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Von Behring zum Corona-Impfstoff

Behring im Pferdestall: Produzenten der ersten industriell hergestellten Antikörperpräparate waren bis in die 1940er Jahre vor allem Pferde. Foto: Behring-Archiv Marburg/Philipps-Universität Marburg

Uni-Vortragsreihe beleuchtet die Geschichte des Pharmastandorts

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Vor 120 Jahren war es das bahnbrechende Serum gegen die Diphtherie, heute ist es der Impfstoff gegen das CoronaVirus. Seit wenigen Wochen wird der Corona-Impfstoff von Biontech in einem neuen Werk in Marburg produziert. Damit liegen erneut viele Hoffnungen auf dem Standort, der bis heute eine zentrale Bedeutung für die Stadt und ihre Finanzen hat. Die Marburger Philipps-Universität nimmt die öffentliche Aufmerksamkeit zum Anlass, die Geschichte der Impfstoffproduktion und der Behringwerke in Marburg in einer digitalen Vortragsreihe zu behandeln. Unter dem Titel „Seuchenbekämpfung, Wissenschaft und Unternehmensstrategien: Die Philipps-Universität Marburg und die Behringwerke im 20. Jahrhundert“ betrachten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Entwicklung des Pharma- standorts von der Gründungszeit vor dem ersten Weltkrieg bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts. Den Grundstein für die Produktionsstätte hat der Marburger Nobelpreisträger Emil von Behring (1854-1917) gelegt, der sich 1895 an die Philipps-Universität locken ließ. An der Berliner Charité hatte er gemeinsam mit Paul Ehrlich den Impfstoff gegen die Diphtherie entwickelt, an der damals noch jedes zweite Kind starb. Hergestellt wurde das Serum zunächst aus dem Blut von Kaninchen und Meerschweinchen, später aus dem Blut von Pferden. Mit der Einführung der DiphtherieImpfung sank die Sterblichkeit innerhalb von zehn Jahren auf die Hälfte. Dafür erhielt Behring 1901 den ersten Nobelpreis für Medizin und den Beinamen „Retter der Kinder“. Auch im Ersten Weltkrieg ver- danken zahllose Menschen dem Wissenschaftler ihr Leben. Die auf Behrings Forschungen basierende Tetanus-Prophylaxe wurde damals zum ersten Mal breit ein- gesetzt. Mit dem Geld für den Medizin- nobelpreis gründete der Wissenschaftler die Marburger Behringwerke. Mit zunächst nur zwölf Mitarbeitern startete er die Firma in seinem Laboratorium am Schlossberg. 1913 zogen sie nach Marburg-Marbach, wo bis heute der Sitz des inzwischen aufgegliederten Unternehmens liegt. Bis heute beschäftigen Pharmaunternehmen wie CSL Behring, GSK und Siemens Healthineers mehr als 6000 Menschen am Standort. Produziert werden hier Präparate für Bluter und Verbrennungsopfer, aber auch Impfstoffe gegen Tetanus, Tollwut, FSME, Meningitis, Diphtherie, Keuchhusten und Grippe. Die Vortragsreihe beleuchtet aber auch die dunklen Kapitel der Behringwerke, die während der NSZeit Präparate gegen Fleckfie- ber, Ruhr und Gasbrand an Häftlingen des Konzentrationslagers Buchenwald erprobten. Die Nazis bedienten sich der Errungenschaften Behrings, verleumdeten ihn jedoch wegen seiner jüdischen Ehefrau Else Spinola.

Emil von Behring mit seinem Assistenten Hermann Scholz im Labor. Repro: Coordes

Vortragsreihe

Die interdisziplinäre Vortragsreihe startet am 21. April und findet immer mittwochs in der Zeit von 10 bis 12 Uhr digital statt. Den Online-Link mit den Zugangsdaten gibt es über grohmann@unimarburg.de. Die Vorträge im Einzelnen:

21.4.: „Kaufmännischer Sinn“ versus „Geist der Medicin“: Zur Gründungsgeschichte der Behringwerke Bremen und Marburg. Dr. Ulrike Enke (Uni-Arbeitsstelle für Geschichte der Medizin) 28.4.: Die Organisation der medizinischen Forschung der Behringwerke in der Weimarer Republik. Julia Langenberg (Uni Marburg/ Wirtschafts- und Sozialgeschichte) 5.5.: Medizinische Experimente zur Erprobung von Seren und Impfstoffen. Die Rolle der Behringwerke bei Menschenversuchen im Konzentrationslager Buchenwald. Dr. Christoph Franke (Stadtarchiv Wetzlar) 19.5.: Die Marburger Erinnerungsfeier 1940 am 50. Jahrestag der Erstveröffentlichung Emil von Behrings über das Diphtherie– und Tetanusheilserum. Dr. Kornelia Grundmann (ehemals Emil-vonBehring-Bibliothek) 26.5.: Expansion im Dienst der nationalsozialistischen Lebensraum- und Vernichtungspolitik (1942–1944). Dr. Heidi Hein-Kircher (Herder-Institut Marburg) 2.6.: Die Behringwerke in der Zeit des Wiederaufbaus: Entflechtung und Eingliederung in die Hoechst AG. Viola Droste (Uni Marburg/Wirtschafts- und Sozialgeschichte). 9.6.: Die Behring-Werke, Vergangenheitspolitik, Erinnerungskultur und „Public Relations“. Prof. Christian Kleinschmidt (Uni Marburg/Wirtschafts- und Sozialgeschichte). 16.6: Werbung der Behringwerke und Wandel deutscher Impfprogramme 1930-1970. Prof. Malte Thießen (Uni Oldenburg/Neuere und Neueste Geschichte). 23.6.: Das Marburg-Virus: Zur Vorgeschichte globaler Gesundheitssicherheit. Dr. Andrea Wiegeshoff und Prof. Sven Opitz (Uni Marburg/Neueste Geschichte und Soziologie) 30.6.: Was vom Unternehmen übrig blieb: Der Industriepark Behringwerke und Selbstdarstellungen in der Tradition des Unternehmensgründer. Marc Sandmüller (HVS Marburg)

Weitere Informationen zum Programm gibt es unter

www.uni-marburg.de/de/fb06

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