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Über eine Fotografie von Marion Kalter

Jean-Jacques Lebel

Peter Orlovsky, ein bedeutender Dichter der Beat Generation, der insbesondere der Autor von Clean Asshole Poems & Smiling Vegetable Songs ist (verlegt bei City Lights Books in San Francisco).

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Steve drückt seine Gitarre an sich, Allen sitzt im Schneidersitz im Gras vor seinem Harmonium und hört meiner Übersetzung eines seiner Gedichte zu, die anschließend zusammen mit den Originalversionen am Mikro vorgetragen wird. Der hier abgelichtete Ginsberg ist nicht der Pentagon-und-Wall-Street-Ankläger, noch der nackte Barde, der in Indien am Ufer des Ganges fotografiert worden war, oder der halbnackte Beatnik, der zusammen mit Gregory Corso in eine Duschkabine gezwängt für den mondänen Fotografen Richard Avedon posierte. Er ist auch nicht der bekiffte Schamane mit der zotteligen Mähne und dem biblisch-buddhistischen Bart, der zusammen mit Kerouac, Corso, Burroughs und Bob Dylan die Normen des poetischen Diskurses über den Haufen warf und damit ein wenig „das Leben änderte“, wie Rimbaud schrieb. Man sieht ihn hier vielmehr im Jackett, mit Krawatte, kurzem Haar, glattrasiert – seinen dichten Bart hatte er abgeschnitten und einem befreundeten Filmregisseur, Jonas Mekas, geschenkt (diese seltsame Reliquie ist in einem Schuhkarton im Archiv der FilmMakers’ Cinematheque in New York konserviert, das heute als Anthology Film Archives bekannt ist). Auch Peter Orlovsky hat sich in Schale geworfen: Er trägt einen makellosen weißen Anzug, passende Socken, Krawatte, der Pferdeschwanz fällt locker über eine Schulter, Banjo und

Gitarre liegen neben ihm im Gras. Orlovskys Blick ist intensiv: Er ist sich des Schwindelgefühls bewusst, welches durch den körperlichen Balanceakt zwischen dem Mündlichen und dem Schriftlichen entsteht. Die Szene ist intimistisch und wirkt, als stehe die Zeit still. Es ist der Fotografin gelungen, die Fragilität und den emotionalen Inhalt dieses Moments zu erfassen. Diese vier Freunde sind kurz davor, sich in ein „Abenteuer ohne Netz“ zu stürzen: die erste zweisprachige Präsentation einer Version, die sich in eigentümlicher Weise von der Poesie der Beat-Generation unterschied, vor dem großen und erfahrenen Publikum im American Center von Paris. Diese Version war weder gemindert noch gezügelt – ganz im Gegenteil, denn die subversive Kraft der Texte duldete nicht die geringste Zensur –, sondern wurde in sinnlicher, musikalisierter und/oder gesungener Form vorgetragen, wie das Gedicht The Tyger von William Blake, mit dem Ginsberg seine öffentlichen „Sessions“ zu beginnen pflegte. Es war ein wirklich riskanter Schritt mit ungewissem Ausgang. Als Ginsberg als Auftakt zur Rolling Thunder Review –der legendären Tournee von Bob Dylan und Joan Baez, mit denen er befreundet war – auf der Bühne stand, erlitt er einige schlimme Blamagen: Er sang falsch und die Dylan-Fans konnten sein Harmonium nicht ausstehen. Deswegen wurde er heftig ausgepfiffen und ausgebuht, wie Jahrzehnte später Patti Smith, als sie die unglückliche Idee hatte, sich anstelle von Bob Dylan zur Verleihung des Literaturnobelpreises zu begeben – der Autor von Blowin’ in the Wind hatte es vorgezogen, der Zeremonie nicht beizuwohnen –, und beim Vortragen fürchterlich grölte. Man misstraut automatisch jeder Person, die (mit guten oder bösen Absichten) versucht, als jemand durchzugehen, der sie nicht ist. So sind Dichtkunst und Showbusi- ness von vornherein Widersprüche. Das hat einige außergewöhnliche begabte Personen wie Langston Hughes, Jack Kerouac, Michael McClure, Jayne Cortez, Ted Joans, Amiri Baraka, Linton Kwesi Johnson und Michael Smith aber nicht davon abgehalten, ihre Texte mithilfe von ausgezeichneten Musikern zu „jazzifizieren“. Sie wollten damit über den geschlossenen Kreis der Poesieliebhaber hinausgehen, den Text der Schrift entreißen und vertonen, um die poetische Utopie besser unter Zuhörer zu bringen, die nie Bücher kaufen oder aufgebrachten und visionären Denkern Gehör schenken würden. Das erklärt die hieratische Fragilität, die von diesem Bild ausgeht. Ginsberg und Orlovsky waren 1957 zum ersten Mal nach Paris gekommen. Sie hatten sich im berühmten Beat Hotel in der Rue Gît-le-Cœur 9 eingemietet, wo sie viel schrieben in Gesellschaft von Corso, Burroughs, Gysin und vielen anderen: völlig abgebrannten Jazzmusikern, Künstlern, Schriftstellern unterschiedlicher Herkunft, Exilanten, Herumreisenden, glorreichen Gammlern. 22 Jahre später sind Ginsberg und Orlovsky wieder in Paris – zwar berühmt, aber auch so klarsichtig wie nie, was das Schicksal unseres unter dem immer totalitäreren Einfluss von „Moloch, die gelähmten Regierungen! Moloch, dessen Hirn reine Maschinerie ist!“ (Howl / Das Geheul, Gesang II) ächzenden Planeten angeht.

Diese Fotografie von Marion Kalter hat den Verdienst, die Kehrseite der Medaille der Beat-Generation zu zeigen, die in Wirklichkeit nicht nur zwei Seiten hat, sondern unzählige, eine unorthodoxer und widersprüchlicher als die andere.

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