Meditation zu Silvester/Neujahr in Maria Geburt, Aschaffenburg zu Lk 9,62: Jesus spricht: „Wer seine Hand an den Pflug legt, und dann zurückschaut, taugt nicht für das Reich Gottes.“ Scheiden tut weh, sagt der Mund des Volkes. Da können schon mal Tränen am Krankenbett fließen. Die bange Frage: Werde ich ihn nochmals wiedersehen? War es das letzte Mal? Scheiden tut weh... Streng genommen gibt es kein Wieder. Kein Moment des Lebens ist wiederholbar, jeder ist einmalig. Heute scheiden wir uns von 2016. Dieses Jahr wird es nie mehr geben. Tut`s weh? Was? Abschied drängt zugleich in die Zukunft, die wir nicht kennen können, ins Nichtwissen. Es gibt kein Halt machen in der Zeit. Die Zeit läuft, mit der Zeit läuft Leben. Leben nur als Lebenslauf. Wer nicht mit der Zeit geht, läuft ihr hinterher, kommt nicht mehr mit, wird abgehängt. Lebt ohne Lauf - Leben außerhalb des Lebens. Wir kommen da nicht mehr mit, sagen 80 - Jährige. Solch vom Gang des Lebens Abgehängte, hängen den Rest ihres Lebens meist in der Vergangenheit. Sie scheint still zu stehen. Gefühl von Sicherheit. Früher, das waren noch Zeiten. Heute ist es keine Zeit mehr: Still gestellte Vergangenheit unvergänglich - war schon immer so. Zeit anhalten: Immer wieder dieselben Geschichten erzählen. Gibt Sicherheit, bewahrt vor dem Ungewissen, Neuen.
Alles bleibt beim Alten. Man selbst bleibt dabei jung, so wie man vor 50 Jahren eben war. Zeit scheint stehen geblieben, läuft nicht mehr, Leben ohne Lebenslauf, abgeschlossen, erwartend das Ende des Lebens, der Zeit. Wer mit der Zeit geht, muss ständig gehen. Wer geht, muss vergehen. Entweder vergänglich oder gar nicht leben – mich außerhalb des Lebens parken. Wer vergänglich lebt, wird alt. Wer nicht vergänglich lebt, ist schon älter als er ist. Das Evangelium ist keine Einparkhilfe für Langzeit- oder Dauerparker. Es hält uns auf dem Laufenden und am Laufen, damit wir im Laufenden nicht untergehen. Kein Parken – es geht, zumindest, wenn`s gut geht, gut läuft. Damit wir möglichst leicht laufen können, uns die Luft nicht ausgeht, bekommen wir eine optimale Marscherleichterung. Die Devise des Evangeliums: Nicht rückwärts. Nichts mitnehmen. Nichts von Gestern. Alles Vergangene vergehen lassen, es geht sich leichter - leichter gesagt, als getan. Viele nehmen lieber vieles mit. Sie wollen auch aus der Vergangenheit leben: Die schönen Erinnerungen. Das Liebgewordene. Aber auch das Unerledigte, das, was mir nachgeht wie ein treuer Hund: Meine Verletzungen, meine Schuldgefühle, meine Scham, meine Enttäuschungen meine „Das kann ich nie vergessen“, ihr nie verzeihen, meine Überzeugungen, Standpunkte, Gewohnheiten... Alles soll mit, alles mitnehmen. Möglichst viel mitnehmen. Was wäre ich ohne all das?
Kaum auszudenken, gehört zu mir. Ich tu mir immer schwerer. Laufen die Dinge einige Zeit mit mir, hängen sie auf einmal an mir. Will ich sie loshaben, krieg ich sie nicht mehr los. Wie sollte ich sie auch loskriegen. Häng ja so gerne an ihnen. So tragen viele viel, manche sehr viel. Schönes und Schlimmes. Oft lieber Schlimmes. Gehen wird beschwerlich. Um nicht in die Falle zu geraten des mich selbst Lahmlegens, des nicht vergehen lassen Wollens, was vergangen, empfiehlt Lebensmeister Eckhart: „Lebe abschiedlich!“ Das entspricht jesuanischer Weisheit. Wer mir nachfolgen will, wer als Christ ernsthaft leben will, darf nicht in den Rückspiegel schauen. Christsein ist nicht Autofahren. Jesus erteilt jedem Rückwärtsschauen, rückwärts leben eine klare Absage. Wer so lebt, taugt nicht für das Reich Gottes, verliert zu viel Lebensschwung, Lebensenergie. Wer nicht abschiedlich zu leben bereit, wer sich von altem nicht lösen möchte, ihm noch nachtrauert, hat sich schon vom Zug des Lebens, der Nachfolge abgehängt. Diese Weisung Jesu ist von höchster und prinzipieller Bedeutung. Missachte ich sie, tue ich mir schwer mit dem Leben, noch schwerer mit dem Christsein. Jesus sagt ganz einfach: Riskiere es, ohne Vergangenheit zu leben! Sobald ein Mensch es wagt, sich wirklich darauf ein zu lassen: Ein ungeheurer Freiheitsschub. Ballast der Vergangenheit kann abgeworfen werden. Wer Schwierigkeiten hat, sein Gepäck loszuwerden, kann kostenlose Therapie der Absolution für sich in Anspruch nehmen. Sprich nur ein Wort und mir fallen Steine vom Herzen.
Abschiedlich leben ist Vorrausetzung, um im Reich Gottes, im wahren Leben zu leben. Denn das Reich Gottes kennt keine Zeit, keine Vergangenheit, keine Gegenwart und Zukunft. Es kennt nur zeitlose Zeit. Wer sie entdeckt, ist erlöst von Vergangenheit und Zukunft. Er kann lose leben, ohne an irgendetwas, irgendjemanden zu kleben. Er ist in der Lage, voll und ganz d.h. frei im JETZT zu leben. Das verlangt in jedem Moment von jedem Moment Abschied nehmen. Nichts festhalten, dehnen, verlängern, wiederholen wollen. Freiheit, die sich da auftut: Ein Wunder! Lebe nicht mehr vergänglich. Auf einmal: ES geht! ES läuft – viel besser, viel leichter. Nicht mehr ich gehe. Es geht mich, läuft mich. Wie geht’s dir? Wie ich es mir gehen lasse. Gut, sehr gut! Der Lateiner sagt: Nunc stans. Stehendes Jetzt. Jetzt geht es mir gut. Jetzt geht es mir immer gut! Nur wenn ich glaube, wo anders leben zu sollen, nicht im Jetzt, im Reich Gottes, dann geht es mir sofort schlechter. Nunc stans: Alles andere als statisch, höchst dynamisch, überraschend, kreativ, neu, je neu – frei, intensiv, erfüllend. Schon vorbei, schon vorbei, alles geht vorbei... kein halten, kein tragen. Weißt du, was du alles mit dir herumschleppst? Womit du dich beschwerst? Weißt du, was dir das Leben schwer macht?
Woran du hängst, du nicht loslassen willst. Kannst du es im Jahr 2016 belassen? Und zwar jetzt. Jetzt: Was lässt du los? Endgültig! Jetzt! Los! Paulus: Wir sind zur Freiheit befreit! Wer so befreit, ist Christ – abschiedlich, ständig, frei – JETZT! Markus Krauth