Mit Merkel, Steinmeier und Lindner in der Mongolei

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Donnerstag, 8. August 2019

OV-Extra

Oldenburgische Volkszeitung

Mit Merkel, Steinmeier und Lindner in der Mongolei Es braucht viele Stunden, um die Grenzen zu überwinden / Die Zeit nutzt die Gruppe für praktische Dinge – wie Wäschewaschen Der Dammer Martin von den Driesch macht für sein nächstes Buchprojekt eine ungewöhnliche Reise. Von Martin von den Driesch

Uaalanbaatar.

„Die Letzten werden die Ersten sein“ – daran fühlen wir uns hier an der russisch-mongolischen Grenze erinnert. Obwohl wir schon am Vorabend am Grenzübergang eingetroffen sind und die Autos an vorderster Stelle geparkt haben, geht jetzt alles sehr, sehr langsam. Besser gesagt: ohne jegliche Organisation auf der mongolischen Seite. Grenzbeamte laufen wie Ameisen hin und her, aber im Gegensatz zu diesen, scheinen die Beamten absolut keinen Plan zu haben. Sechs Stunden nach Grenzöffnung stehen wir immer noch an gleicher Stelle, eine Stunde davon müssen wir bei acht Grad im Freien auf einen Stempel warten. Und dann wird erstmal eine Stunde Mittagspause gemacht. Wir wurden im Vorfeld vor bis zu 15 Stunden Wartezeit an der Grenze gewarnt, haben dies aufgrund unserer hervorragenden Startposition aber als Panikmacherei abgetan. Inzwischen scheint es durchaus im Bereich des Möglichen zu sein. Die Mittagspause ist vorbei, jetzt müssen alle, aber auch wirklich alle Gepäckstücke zur Sicherheitsprüfung in eine Baracke geschleppt werden. Dort sehe ich, wie eine von insgesamt drei Beamten am Computer langsam ihren Kopf auf die Tastatur fallen lässt und einnickt, während auf ihrem Monitor ein gestochen scharfes Bild unseres BMWs auftaucht. Großes Interesse am möglicherweise sicherheitsrelevanten Inhalt unserer Autos scheint also nicht vorhanden zu sein. Auch mit der Prüfung unseres Gepäcks geht es nicht voran. Dutzende Gepäckstücke liegen schon seit einer halben Stunde um das Röntgengerät verteilt, und kein Beamter in Sicht. Wir nehmen also unsere Sachen wieder ins Auto – bis plötzlich der Leiter der mongolischen Zollstelle doch hellhörig wird und eine internationale Krise ausruft: „Ich kann euch alle noch einen weiteren Tag hierbehalten!”,

schreit er. Es fallen übelste Schimpfwörter auf Russisch und Deutsch, nach insgesamt acht Stunden Warten liegen die Nerven bei allen blank. Am Ende kann eine diplomatische Krise abgewendet werden, und es heißt: „Frau Merkel, es geht weiter!” Die Russen nennen unsere Berliner Teilnehmerin Andrea seit Reisebeginn „Andrea Merkel”. Daraus entwickeln wir für unsere deutsche Gruppe folgende Codenamen: der junge Tourist Jakob ist Christian Lindner, ich fahre als Präsident Steinmeier mit. Nach erfolgter Zollkontrolle muss noch eine Autoversicherung für die Mongolei abgeschlossen werden – das Bürogebäude sieht nicht besonders vertrauenserweckend aus. Ich mache vorsichtshalber ein Foto, um eine Adresse zu haben. Am Ende eines langen Tages sind wir dann schließlich in der Mongolei unterwegs: endlos weite Landschaft, in der stets vereinzelte Jurten stehen, wilde Pferde und regelmäßig auch Kamele. Die nächsten beiden Tage verbringen wir überwiegend im Auto. Regelmäßig machen wir Halt in kleinen Cafés und Restaurants, wo wir immer freundlich von den Einheimischen begrüßt werden. Wir übernachten zwei Nächte im Zelt, bevor wir die Hauptstadt Ulaanbaatar erreichen. Hier sind wir in einem netten, kleinen Hotel untergebracht. Kurz nach Ankunftszeit heißt es: „In 45 Minuten geht es zum Empfang und Abendessen!“ Ich muss aber erstmal meine Bildern abspeichern und ordnen, alle Akkus aufladen und auch etwas Wäsche waschen. Also wird folgender Plan entworfen: Merkel und Lindner müssen alleine zum mongolischen Abendessen. Am nächsten Tag stehen noch verschiedene offizielle Programmpunkte an, unter anderem eine Pressekonferenz. Alle diese Punkte werden aber räumlich oder zeitlich verschoben, wobei ich mich an die Worte unseres Expeditionsleiters am ersten Campingabend erinnern muss: „Mit 20 Prozent Wahrscheinlichkeit wird in Ulaanbaatar alles gut organisiert sein, zu 80 Prozent aber eher nicht“. Er hatte also genau Recht mit sei-

Imposant: Martin von den Driesch posiert vor der Statue von Dschingis Khan. ner Prognose. Das Angenehme bei der ewigen Warterei, sofern WLAN vorhanden ist: man kann seine Spotify-Musiklisten aktualisieren und herunterladen, für mehr Abwechslung bei der Fahrt. Wir legen uns für jedes Reiseland Musiklisten an: für Russland ist mir die Indie-Band Shortparis empfohlen worden, für Korea die Folk-Sängerin Lang Lee.

Auch die falsche Merkel beweist Organisationsgeschick Mit aktualisiertem Musikarchiv geht es dann von Uaalanbaatar Richtung chinesische Grenze. Vorher wird noch ein Zwischenstopp in Tsonjin Boldog eingelegt, dort steht seit 2008 eine riesige Reiterstatue von Dschingis Kahn, dem legendären Begründer des Mongoli-

Nicht besonders vertrauenserweckend: Das Büro der Autoversicherung, direkt am Grenzübergang.

schen Reichs. Von der Besucherplattform auf dem Kopf des Pferdes hat man einen imposanten Ausblick auf die Steppenlandschaft. Wir fahren die ganze Nacht durch. Zum Glück haben alle Teilnehmer unserer Gruppe einen internationalen Führerschein, so dass wir uns beim Autofahren abwechseln können. Um 6 Uhr morgens erreichen wir den mongolischen Grenzort Zamun Ude. Der Tag hier wird wieder sehr lange dauern: den chinesischen Grenzbeamten liegen noch nicht alle Autopapiere für die Einreise vor. Aber wir sind inzwischen abgehärtet und lassen uns dadurch die Stimmung nicht verderben. Wie das Original beweist auch die falsche Merkel enormes Organisationsgeschick und hängt zwischen zwei Autos in der Warteschlange unsere Wäsche zum Trocknen auf. Am späten Nachmittag dann die Ansage: Die Papiere werden erst am nächsten Tag fertig, also zurück in die Mongolei. Doch Moment mal: Wer darf eigentlich wieder in die Mongolei einreisen? Wir sind ja aktuell im „Niemandsland” zwischen zwei Ländern: die Ausreise aus der Mongolei ist schon offiziell erfolgt, die Einreise nach China noch nicht. Für unsere deutsche Gruppe und die Russen ist die Lage einfach: ein Visum für die Mongolei wird nicht benötigt, wir können also gleich umkehren. Aber für Andrea, den italienischen Teilnehmer, und die Reisegruppe aus Usbekistan, ist die Lage verzwickter: Sie haben nur ein Visum für die einmalige Einreise in die Mongolei und diese war ja schon erfolgt. Mit Hilfe unseres neuen Freundes Batmunkh, ein sehr hilfsbereiter Übersetzer im Grenzgebiet, der stets auf einem Minifahrrad der Autofirma “Hummer” herumfährt, schicken wir diese Teilnehmer also nach

Fotos: Von den Driesch

Kreativ: Die Reisegruppe trocknet die Wäsche an der chinesischen Grenze zwischen zwei Autos. China, per Taxi, in ein grenznahes Hotel. Und der Rest fährt mit Batmunkh zurück nach Zamun Ude, dort checken wir in das Hotel Nongon ein, direkt am Bahnhof gelegen. Am Bahnsteig steht gerade ein langer Zug der Transsibirischen Eisenbahn, mit dem schönen Namen Zarengold.

In elf Tagen wird er Moskau erreichen. Aber wir wollen ja in die andere Richtung, müssen aber erstmal noch auf die Papiere warten. Nach zwei Tagen gibt es dann grünes Licht: Alles klar für die Einreise nach China – Peking, wir kommen!

Fakten M Martin von den Driesch ist

Fotograf und Filmemacher. Er stammt gebürtig aus Damme. M Nach seiner Ausbildung zum Fotografen hat er mehr als 20 Jahre im Ausland gelebt: 13 Jahre in Moskau, acht Jahre in Dubai. M Er wohnt jetzt mit seiner Frau Julia Kim in Berlin. M Von den Driesch ist vom 9. Juli bis 15. September mit dem Auto von Moskau nach Nord- und Süd-Korea (und

zurück) unterwegs. Die Eindrücke will er in einem Buch mit dem Titel „Crossing Frontiers” verarbeiten. Geplanter Veröffentlichungstermin ist im Herbst 2020. Realisiert werden soll die Idee über ein CrowdfundingProjekt. M Von den Driesch stellt einige Fotos seiner Reise plus weitere Infos auf seine Instagram-Accounts @martinvondendriesch und @crossingfrontiers.


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