Mary Black
Zeitreisen
Alexander der Grosse in Pergamon Zeitreisen
Alexander der Grosse in Pergamon von Mary Black
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Alexander der Große in Pergamon von Mary Black
www.mbbooks.gr Zeitreisen 4 ALEXANDER DER GROSSE IN PERGAMON 1. AUFLAGE Copyright MARY BLACK Übersetzung Marina Mavrogiannaki Textbearbeitung Angelika Gravert Dietrich Bodenstein Illustation Roussetos Panagiotakis Bigbook publications Heraklion 2013 ISBN 978-960-9433-34-1 2
Dieses Buch ist meiner Schwester Marina gewidmet, die mir durch ihr Vertrauen viel Kra3 gibt.
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Fürchte nicht Die wilden Rösser. Spanne sie vor den Streitwagen Mit starker Hand. Ohne die Rösser Kann man kein Alexandria bauen. Und die feindlichen Horden Nicht besiegen. Das Gedicht ist von Kostis Papageorgiou aus dem Gedichtband „Orakel“. 1988
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EINFÜHRUNG Vier Kinder aus Kreta, Alex, Konstantin, Nikolas und Irene, reisten durch die Zeit mit einer Zeitmaschine, die sie mit Hilfe einer alten Landkarte, die Alex’ Großvater gehörte, entdeckt haEen. Konstantin setzte die Maschine versehentlich in Gang und da befanden sie sich plötzlich im Minoischen Kreta. Auch Ariadne, eine Archäologin, war mitgereist und sie versuchte mehrmals, die Zeitmaschine zu stehlen. Auf Kreta, wo König Minos regierte, schlossen sie Freundscha@ mit Rhadamanthys und erlebten mit ihm zusammen viele Abenteuer. Sie sahen bei den kultischen Stiersprüngen zu, haEen eine merkwürdige Begegnung mit dem Minotaurus und trafen die Hohepriesterin der Schlangen. Sie wurden von Minos´ Soldaten festgenommen und dem König vorgeführt. Rhadamanthys’ Onkel Zakros half ihnen, Minos davon zu überzeugen, in ihre Zeit zurückkehren zu dürfen. Nachdem sie in einem der fünfzehnhundert Zimmer des minoischen Palastes Zuflucht gefunden haEen, versuchten sie die Zeitmaschine so einzustellen, dass sie abreisen konnten. Aber als sich die Kinder gerade fertig machten, erschüEerte ein starkes Erdbeben den Palast bis in die Fundamente. Ein Zeitwirbel riss sie mit sich und brachte sie nach Kreta in die Zeit der Venezianer. Dort lernten sie Bianca kennen, die Nichte des venezianischen Verwalters von Kreta Morosini und Fabio, einen tapferen RiEer, sowie Arete und Piedro Longobardo, einen venezianischen Adligen. Die vier Kinder wanderten durch die Gassen von Candia, dem heutigen Heraklion. Sie sahen, wie ihre Landsleute Tag für Tag auf den Festungsmauern ihr Leben ließen, um ihre heißgeliebte Stadt zu verteidigen. Sie wurden zu Unrecht des Verrats beschuldigt und ins Gefängnis geworfen. Nachdem sie mit Hilfe ihrer Freunde fliehen konnten, versteckten 5
sie sich in einer alten Windmühle gegenüber der St. Andreas Festung. Piedro Longobardo riet den Kindern, ihre Zeitmaschine schnell in Betrieb zu nehmen und sofort zu verschwinden. In dem Moment, als sich Konstantin über die Maschine beugte, um die nötigen Einstellungen vorzunehmen, explodierte in einem unterirdischen Stollen Sprengstoff und die alte Mühle fiel langsam in sich zusammen. Ein greller Blitzstrahl fuhr aus der Zeitmaschine und packte die vier Kinder. Bevor Piedro Longobardo, Bianca, Arete und Fabio das Bewusstsein verloren, konnten sie gerade noch einen Lichtwirbel sehen, in dem die Kinder wieder durch die Zeit flogen. Die Zeitreisenden fanden sich nun versehentlich im Jahr 1941 in Heraklion wieder, genau in den Tagen, als die Schlacht um Kreta tobte. Aetomanolis (sein Name bedeutet Emmanuel, der Adler), ein tapferer Kreter, kümmerte sich um die Kinder und beherbergte sie in seinem Haus. Sie lernten seinen Sohn Christos kennen, dem sie ihr Geheimnis anvertrauten. Er half ihnen, die Zeitmaschine zu reparieren und so konnten sie endlich in ihre Zeit zurückkehren. Doch ihre Zeitreisen sind noch nicht zu Ende...
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ERSTES KAPITEL
Fast ein Jahr war vergangen, seit Alex, Irene, Nikolas und Konstantin von ihrer letzten Zeitreise in die Vergangenheit zurückgekehrt waren. Es war Sommer und die vier Freunde haEen gerade ein weiteres Schuljahr erfolgreich beendet. Ihr sehnlichster Wunsch war es, sich nach den Abschlussprüfungen wieder zu treffen. Alex haEe sie zu sich nach Hause eingeladen. Seine MuEer war auf Geschä@sreise. Seit dem Tod seines Vaters arbeitete sie hart als Kunstrestauratorin, um für ihn sorgen zu können. Aus diesem Grund musste sie o@ weg. Der große, gutaussehende, blonde Junge bewunderte und liebte sie sehr. Sie war der wichtigste Mensch in seinem Leben. Danach kamen seine Freunde, Irene, Konstantin und Nikolas. Er und Irene, ein reizendes junges Mädchen mit blauen Augen und langen blonden Haaren wuchsen im gleichen Viertel auf. Auch sie haEe ihren Vater verloren und das verband die beiden noch zusätzlich. Ihre MuEer arbeitete als Historikerin und war eng befreundet mit Alex’ MuEer. Durch Irene haEe er Konstantin kennengelernt, einen blitzgescheiten, etwas stämmigen Jungen mit schwarzen krausen Haaren, gutmütig und lustig. Er liebte das Abenteuer und interessierte sich sehr für Geschichte. Nikolas war vor drei Jahren in ihre Nachbarscha@ gezogen und seit7
dem waren sie unzertrennlich. Er war ein hübscher, schmächtiger Junge, mit braunen Haaren und feurigem Temperament, sprungha@ und reizbar. Ein wahrer Experte am Computer, der Programmierer werden wollte wie sein Vater. Durch die sagenha@en Zeitreisen, die die vier Kinder aus Kreta mit ihrer Zeitmaschine gemacht haEen, waren sie sich noch näher gekommen. Sie waren reifer geworden und haEen neue Wege beschriEen. Sie haEen viel gelernt, sich Gedanken gemacht und angefangen, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Jetzt konnten sie sich, in der Geborgenheit ihres Zuhauses, immer wieder über die unglaublichen Abenteuer unterhalten, die sie zusammen erlebt haEen.
Nikolas, Konstantin und Irene fanden sich am frühen NachmiEag bei Alex ein. Als er sie vom Balkon aus sah, rannte er zur Tür. „Endlich seid ihr da! sagte er. „Wir haben Eis mitgebracht“, antwortete Irene. „Super! Kommt rein“, sagte Alex. Die Kinder folgten ihrem Freund auf die große Veranda, von der man einen Blick auf das Meer haEe. Sie setzten sich in die bequemen Korbsessel, aßen ihr Eis und betrachteten die Möwen, die über den Fischerbooten kreisten. Weit draußen war die Insel Dia schwach zu erkennen, sie lag gemütlich im blauen Meer, das Kreta umgab. „Wo machen wir dieses Jahr Ferien?“, wollte Nikolas wissen. „Auf einer neEen kleinen Insel“, schlug Irene vor. „Eine super Idee!“ stimmte Konstantin zu. „Und was schwebt euch da vor?“ „Mykonos!“ antwortete Nikolas. 8
„Ich würde Santorin vorziehen“, entgegnete Konstantin. „Mykonos!“ „Santorin!“ „Mykonos!“ Die beiden Jungen gerieten aneinander. „Hört auf!“ schrie Irene. „Ihr seid unerträglich! Schon als uns der Minotaurus verfolgte, als uns Morosini an den Galgen bringen wollte und sogar als Hitlers Bombenhagel in unserer Nähe niederging, habt ihr euch gestriEen.“ „Es war aber lustig!“ tönte Konstantin. „Sehr lustig!“, stimmte Nikolas lachend zu. „Ich muss euch etwas Wichtiges sagen“, unterbrach Alex seine Freunde. „Was ist los?“ fragte Irene besorgt. „Meine MuEer hat erwähnt, dass bald die Restaurierungsarbeiten auf der Festung Koules1 beginnen. Wir müssen so bald wie möglich die Zeitmaschine in Sicherheit bringen“, antwortete Alex. „Wir sollten gleich losgehen!“ drängelte Irene. Die vier Kinder machten sich unverzüglich auf den Weg nach Koules. In angeregter Unterhaltung liefen sie die Küstenstraße entlang, die zur venezianischen Festung führte. „Wir müssen sehr vorsichtig sein“, beschwor Irene ihre Freunde. „Alex und ich gehen hinein und holen die Zeitmaschine und ihr“, wandte sie sich an Nikolas und Konstantin, „müsst Schmiere stehen“. Die Jungen waren einverstanden. „Ich hoffe, ihr kriegt euch nicht wieder in die Haare und zieht die Aufmerksamkeit auf euch“, fügte das Mädchen in strengem Ton hinzu. Koules ist eine venezianische Festung im Hafen von Heraklion auf Kreta. Das ursprüngliche Bauwerk wurde 1303 bei einem Erdbeben zerstört, Anfang des 16. Jahrhunderts wurde es restauriert und als Festung wieder aufgebaut, die bis heute gut erhalten ist. 1
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„Wir werden uns streiten als Ablenkungsmanöver“ flachste Konstantin. Als sie an der St.-Peters-Kirche um die Ecke bogen, sahen sie von weitem die venezianische Festung, in der es um diese Zeit nur so von Besuchern wimmelte, stolz stand sie da und trotzte dem Zahn der Zeit. Gleich nachdem sie angekommen waren, gingen Irene und Alex direkt in das kleine Zimmer links vom Eingang, wo sie die Zeitmaschine versteckt haEen. Konstantin und Nikolas warteten draußen. Sie setzten sich auf einen Stein und beobachteten die bunten Fischerboote, die im Hafen lagen. Die Fischer bereiteten die Netze für den nächsten Fang vor. Leise sprachen die beiden Jungen miteinander. „Was meinst du, wo sollen wir die Zeitmaschine verstecken?“ fragte Nikolas seinen Freund. „Ich habe keine Ahnung!“ antwortete der. „Warum brauchen die bloß so lange?“ wunderte sich Nikolas. „Sie häEen längst zurück sein müssen ...“ Kaum haEe der Junge den Satz beendet, sah er Irene und Alex auf sie zu rennen. „Was ist passiert?“ fragte Nikolas. „Die Zeitmaschine hat sich in Lu@ aufgelöst!“ antwortete Alex atemlos. „Aber wie ist das denn möglich?“ stammelte der Junge wie vor den Kopf geschlagen. „Als wir sie versteckt haben, hast du uns versichert, dass wir allein sind“, schrie Konstantin seinen Freund an. „Ich bin ganz sicher, dass uns keiner gefolgt ist!“ gab Nikolas wütend zurück. „Wir haben jetzt keine Zeit für Streitereien!“ ging Irene dazwischen. „Wir müssen jetzt erst mal die Zeitmaschine finden, das hat Vor10
rang. Wir tragen eine große Verantwortung! Ist euch klar, was passieren könnte?“ „Da möchte ich gar nicht drüber nachdenken!“ sagte Alex. „Wir müssen sofort mit Ariadne sprechen!“ schlug Irene vor. „Ihr wisst ja, dass sie die Zeitmaschine unbedingt haben wollte. Ich bin sicher, dass sie sie hat. Sie ist uns bestimmt gefolgt und hat gesehen, dass wir sie in Koules versteckt haben, und als wir weg waren, hat sie sich die Maschine geschnappt.“ „Ich glaube einfach nicht, dass es Ariadne war. Wenn sie uns gefolgt wäre, häEe ich sie gesehen!“ erwiderte Nikolas noch einmal mit Nachdruck. „Da sind wir aber froh!“ meinte Konstantin ironisch. Gekränkt sah der schmächtige Junge seinen Freund an und sagte: „Du solltest mehr Vertrauen zu mir haben!“ Konstantin senkte den Blick und murmelte reumütig: „Entschuldigung!“ „Na ja, ist ja nichts passiert!“ erwiderte Nikolas betreten. „Was hältst du da in der Hand?“ fragte Konstantin Irene. „Einen schwarzen Stein. Wir haben ihn dort gefunden, wo eigentlich die Zeitmaschine häEe stehen müssen. Er sieht aus wie aus Glas.“ Konstantin bat Irene, ihm den Stein zu geben. Der Stein war schwarz glänzend, an manchen Stellen glitzerte er weiß und fühlte sich warm an. Nachdem er ihn vorsichtig untersucht haEe, sagte er: „Er sieht aus wie ein Obsian“. „Was ist denn das schon wieder?“ fragte Nikolas. „Der Obsian oder Obsidian, wie er auch genannt wird, ist ein vulkanisches Gesteinsglas, ein Halbedelstein, der bei Vulkanausbrüchen aus der Lava entsteht. Aber wie ist er hierher gekommen?“ wunderte sich Konstantin. „Ich glaube, den Stein hat derjenige zurückgelassen, der die Zeitmaschine mitgenommen hat“, sagte Alex. 11
„Der Obsidian“, erklärte Konstantin weiter, „war bei vielen Völkern der Antike ein heiliger Stein. Für die Priester der Mayas haEe er magische Krä@e und war ein Symbol der Macht. Es heißt, dass man mit ihm die Zukun@ voraussehen könne. Bestimmt ist er nicht zufällig hier in der Festung Koules gelandet. Irgendjemand versucht uns zu warnen oder uns einen Schrecken einzujagen, damit wir uns nicht mehr mit der Zeitmaschine beschä@igen“. „Und ich befürchte, das ist ihm gelungen!“ sagte Irene. „Ich glaube, wir sind da in etwas reingeraten, das eine Nummer zu groß für uns ist“. „Lasst uns wieder zu mir nach Hause gehen und dort überlegen, was wir machen sollen“, schlug Alex seinen Freunden vor. Als sie dort ankamen, dämmerte es bereits. Sie setzten sich auf die Veranda und beobachteten die Sonne, die, müde geworden, im Westen versank und dabei die glaEe See purpurrot färbte. Die Kinder waren niedergeschlagen und nachdenklich. Sie wussten, dass der Menschheit großer Schaden zugefügt werden konnte, wenn die Zeitmaschine in falsche Hände geriet. Die bedrückende Stille wurde von Alex durchbrochen. „Was meint ihr? Was sollen wir tun?“ fragte er seine Freunde. „Wenn es nicht Ariadne war, die die Zeitmaschine mitgenommen hat, dann wird die Sache kompliziert. Die Situation fängt an, sehr seltsam und gefährlich zu werden“, gab Nikolas zu bedenken. „Wir müssen Ariadne und ihren Großvater treffen“, warf Konstantin ein. „Vielleicht wissen die, was das alles zu bedeuten hat. Herr Christou ist ein erfahrener Archäologe und er hat in Mexiko im Mayagebiet Ausgrabungen durchgeführt, wisst ihr noch?“ „Du hast Recht!“ rief Irene aufgeregt. „Der Stein muss etwas mit den Ausgrabungen zu tun haben, die die Großväter von Alex und Ariadne dort durchführt haben“. „Morgen früh werde ich Herrn Christou anrufen und ihn biEen, 12
mich mit seiner Enkelin zu besuchen“, sagte Alex. Die Kinder waren mit dem Vorschlag ihres Freundes einverstanden. Sie wünschten sich gute Nacht und machten sich schweren Herzens auf den Heimweg. Sobald sie gegangen waren, stieg Alex auf den Dachboden. Er setzte sich auf eine alte Truhe und las noch einmal im Tagebuch seines Großvaters in der Hoffnung, irgendeinen Hinweis zu finden, der ihnen weiterhelfen könnte. Büschel strich miauend um seine Beine. „Dich habe ich ja ganz vergessen!“ sagte er zu ihm und streichelte ihn zärtlich. „Komm, ich gebe dir jetzt dein FuEer und dann ab ins BeE“. Mit dem Kater im Arm legte sich der Junge schlafen.
Alex öffnete die Augen, gähnte und schaute sich um, um herauszufinden, was ihn geweckt haben könnte. Ein vorwitziger Sonnenstrahl haEe sich durch den halb offenen Vorhang gezwängt. Büschel leckte ihm die Füße. „Zeit zum Aufstehen!“ stellte Alex noch ganz verschlafen fest und kraulte ihn am Kopf. Der weiße langhaarige Kater schnurrte zufrieden. Der Junge sprang aus dem BeE und rieb sich die Augen. Er stellte sich ans Fenster, öffnete es und holte tief Lu@. Der Berg gegenüber lag voll im Morgenlicht, und auf dem tieBlauen Meer trieben bunte Boote dahin. Nachdem er sich angezogen haEe, nahm er Büschel auf den Arm und ging in die Küche hinunter. Er gab dem Kater FuEer und trank selbst ein Glas eiskalte Milch. Dann griff er zum Telefonhörer und 13
wählte die Nummer von Ariadnes Großvater. „Wer ist da?“ fragte der alte Mann mit seiner schleppenden Stimme. „Ich bin es, Alex“. „Guten Morgen, wie geht´s dir, mein Junge?“ „Gut...“ „Du klingst irgendwie besorgt, ist etwas passiert?“ „Die Zeitmaschine ist verschwunden...“ Ein paar Sekunden herrschte Stille, bis der alte Mann wieder das Wort ergriff. „Wo haEet ihr sie versteckt?“ erkundigte er sich. „In der Festung Koules. Gestern waren wir dort, um sie woanders hin zu bringen, weil da bald restauriert wird, aber das Einzige, was wir gefunden haben, war ein schwarzer Stein.“ „Ein schwarzer Stein?“ „Ja und zwar ein Obsidian. Ich glaube, das hat etwas zu bedeuten, aber ich weiß nicht was. Gestern habe ich noch mal das Tagebuch meines Großvaters gelesen, konnte aber keinen einzigen Hinweis finden, der uns helfen könnte...“ „Ich hole Ariadne ab und wir kommen vorbei“, unterbrach der alte Mann den Jungen. „Meine Freunde werden auch da sein.“ „Ok, wir sehen uns dann am späten NachmiEag. Auf Wiederhören“, sagte Herr Christou und hängte auf, bevor sich der Junge verabschieden konnte. Ohne Zeit zu verlieren, schickte er seinen Freunden eine SMS und informierte sie über das Treffen. Dann ging er Online und suchte bei Google nach dem Wort ‚Obsidian’. Am späten NachmiEag so gegen sieben trafen Konstantin, Irene und Nikolas bei ihrem Freund ein und ein paar Minuten später waren auch Ariadne und ihr Großvater da. Kaum haEe sich der alte Mann hingesetzt, fragte er Alex nach dem Stein. Bereitwillig gab ihm der Junge den glänzenden Gesteins14
brocken, der wie eine schwarze Schneeflocke aussah. Der alte Mann untersuchte ihn vorsichtig in der Hoffnung, eine versteckte Botscha@ zu finden. Aber da war nichts außer den kunstvollen weißen Einsprengseln, die während der Kristallisation des Steins entstanden waren. „Leider kann ich nichts Ungewöhnliches entdecken“, sagte er und strich sich nachdenklich über seinen langen weißen Bart. „Opa, kann ich auch einen Blick darauf werfen?“ fragte ihn Ariadne. Der alte Mann gab seiner Enkelin den glänzenden Stein. Sie nahm ihn in die Hand und fing an, ihn mit einer Lupe, die sie aus ihrem Rucksack zog, zu untersuchen. Während das schlanke, hochgewachsene Mädchen mit den schwarzen Haaren und der komischen Brille den Stein unter die Lupe nahm, beobachtete ihr Großvater sie voller Stolz. Ein Lächeln umspielte seine schmalen Lippen. „Wie sehr sie doch ihrer MuEer ähnelt“, dachte er. „Schade, dass sie ihre Tochter nicht aufwachsen sehen konnte!“ „Ich kann auch nichts Ungewöhnliches entdecken“, sagte Ariadne nach einer Weile und riss damit den alten Mann aus seinen Gedanken. „Vielleicht dürfen wir uns nicht auf die Gesteinsart konzentrieren, sondern müssen nach einem anderen Hinweis suchen.“ warf Nikolas ein. „An was denkst du da?“ fragte Konstantin. „Vielleicht geht es um die schwarze Farbe oder seine Symbolik. Ich habe eine kleine Suche im Internet gestartet und ein paar merkwürdige Dinge entdeckt...“ „Erzähl schon!“ forderte die Archäologin den Jungen auf. „Gestern Abend habe ich ziemlich lange im Internet gesur@. Als ich bei Google den Begriff „schwarzer Stein“ eingab, kam ich auf diverse Webseiten, in denen seltsame Geschichten über eine Straße in Thessaloniki mit diesem Namen standen. Die gibt es, wie ich gele15
sen habe, in der Oberstadt neben der Burg, auf Höhe der Paschagärten. Eine Legende besagt, dass dort um MiEernacht eine kleine Straße erscheint, so etwas wie ein Torweg in eine andere Dimension, der nach ein paar Minuten wieder verschwindet!“ „Und wie wird das auf den Webseiten erklärt?“ fragte Irene ihren Freund. „Am häufigsten heißt es, die Straße sei ein geomagnetischer Knotenpunkt, ein Energiefeld mit Zeitlöchern und Zeitverschiebungen.“ „Wenn wir also diese sonderbare Geschichte glauben, dann weist uns der, der den Stein da hingelegt hat, darauf hin, dass diese Straße etwas mit der Zeitmaschine zu tun hat. Findet ihr das nicht ein wenig absurd?“ fragte Irene. „Das stimmt schon“, gab Konstantin zu, „aber es ist das einzige Merkmal, das bei dem Stein und der Zeitmaschine übereinstimmt. Es sei denn, jemand hat eine bessere Idee ...“ Da lief Alex plötzlich aus dem Zimmer und rannte, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Stiege zum Dachboden hinauf. „Was ist denn mit dem los?“ fragte Nikolas. „Hat ihn eine Tarantel gestochen?“ „Ich glaube, ihm ist etwas eingefallen“, sagte Herr Christou. „Nikolas, du bist ein Genie!“ rief Alex, als er mit einem alten BlaE Papier in der Hand hastig die Holztreppe wieder herunterkam. „Was ist das?“ wollte Irene wissen. „Eine Seite aus dem Tagebuch meines Großvaters. Hört zu, was hier steht: …am Anfang war ich mir nicht sicher, über welchen Ort er sprach. Als ich es herausfand, war ich überrascht... so nah an meinem Haus und doch so fern! So viele Wunder haben sich mir offenbart, als ich die Schwarzstein-Straße hinaufging...“ „Herr Christou, haben sie uns nicht gesagt, dass sie die Zeitmaschine bei einer Ausgrabung in Mexiko gefunden haben?“ fragte Irene. „Nein“, antwortete er. „Alexander, der Großvater von unserem Alex 16
hier, ist auf die Landkarte gestoßen, die ihn zur Zeitmaschine geführt hat. Er hat mir nie anvertraut, wo er sie gefunden hat.“ „Haben sie ihn nicht gefragt?“ „Doch, sehr o@, aber er weigerte sich, mir zu antworten. Er dachte, dass er mich auf diese Weise vor irgendetwas bewahren könne.“ „Ich schlage vor, in die schöne Stadt Thessaloniki zu fahren“, sagte Ariadne. „Ich denke auch, ihr solltet diese Reise machen“, pflichtete ihr Herr Christou bei. „Ich glaube, wir begeben uns da gerade in ganz schöne Gefahr. Ich habe Angst“, murmelte Irene. „Ariadne wird euch begleiten und auf euch aufpassen“, beruhigte der alte Mann das Mädchen. „Da sind wir aber alle froh!“ flüsterte Irene Konstantin ins Ohr. „Thessaloniki ist eine wunderschöne Stadt! Da gibt es so viele Sehenswürdigkeiten“, rief Ariadne begeistert aus. „Mykonos können wir wohl vergessen“, murmelte Nikolas wehmütig. „Du meinst Santorin!“ gab Konstantin zurück und tat so, als sei er verärgert.
Ein paar Tage später reisten die vier Kinder zusammen mit der Archäologin nach Thessaloniki, der zweitgrößten Stadt Griechenlands. Sie fanden Zimmer in einem hübschen kleinen Hotel in der Oberstadt, einem traditionellen Wohngebiet von Thessaloniki, das am nördlichsten und höchsten Punkt der Altstadt liegt. Am nächsten Morgen gingen sie in die Schwarzstein-Straße, eine gepflasterte, steil ansteigende Straße, in der sie eine Weile herumliefen und die Gegend erkundeten. 17
„Ich sehe nichts Außergewöhnliches!“ meinte Alex. „Du vergisst, dass wir jetzt MiEagszeit haben und das Tor sich der Legende nach erst um MiEernacht öffnet“, erwiderte Nikolas, an seinen Freund gewandt. „Lasst uns ins Hotel zurückgehen, ein wenig ausruhen und wenn es dunkel ist, wiederkommen“, schlug Ariadne vor. Auf dem Rückweg gingen sie durch die Paschagärten, ein schöner Park oberhalb des Platzes mit dem Springbrunnen, neben der alten Burg. Dort befinden sich die Drachenhäuser. Es gibt viele Ansichten darüber, wozu sie gebaut wurden. Die gängigste ist, dass sie im Auftrag der Osmanischen Regierung errichtet wurden, zur Ausschmückung des Gartens des St. Dimitrios - Krankenhauses, das heute noch in Betrieb ist. Man vermutet, dass sie dem Seifoulah Pascha und anderen türkischen Geheimbündlern als Zufluchtsort dienten - deswegen auch die seltsamen Symbole. Die Häuser wurden dorthin gebaut, weil die Gegend nur so von Erdmagnetfeldern wimmelt und als heiliger Ort betrachtet wurde. Das Material und die Bauform sind nicht zu bestimmen und es heißt, dass die verwendeten Steine vom Blitz getroffen wurden. Die Kinder und die Archäologin spazierten im Park zwischen den eigenartigen Gebäuden umher und betrachteten sie ehrfürchtig. „Ein sehr seltsamer und unheimlicher Ort ist das!“ bemerkte Konstantin. „Einer Volkssage zufolge sind die Drachenhäuser Überreste einer unbekannten Zivilisation, eine Unterkun@ für Drachen, die Jahrhunderte lang in den Bergen und der Fantasie der antiken Völker herumgeisterten“, sagte Ariadne. „Ich denke, derjenige, der den Stein zurückließ, wollte, dass wir hierher kommen!“ konstatierte Nikolas. „Das glaube ich auch!“ stimmte Konstantin zu. „Warum bloß?“ wunderte sich Alex. „Ich hoffe, wir werden es bald erfahren“, sagte Ariadne. 18
„Mir wäre es lieber, hier gleich zu verschwinden“, murmelte Irene und betrachtete angsterfüllt die seltsamen, massiven Bauwerke.
Am selben Abend gingen sie wieder in die Schwarzstein-Straße. In der Finsternis sah die Gegend noch unheimlicher aus. Als sie so an den alten, dunklen Häusern vorbeigingen, haEen sie das Gefühl, dass die sich gefährlich über sie beugten und jeden ihrer SchriEe beobachteten. Mit klopfendem Herzen näherten sie sich vorsichtig der Stelle, an dem das ZeiEor erscheinen sollte. Eng zusammen stehend warteten sie bis MiEernacht. Plötzlich hörten sie ein pfeifendes Geräusch. Die Kinder erstarrten vor Angst. „Da hinten bewegt sich etwas“, flüsterte Ariadne und zeigte geradeaus. „Ich gehe nachsehen, was das ist.“ Die Archäologin ging langsam vorwärts, bis die Dunkelheit sie verschluckte und die Kinder sie aus dem Blick verloren. Ihre Herzen schlugen so laut, dass sie dachten, ihr Pochen halle in der ganzen Gasse wider. „Es war nur eine Maus“, hörten sie Ariadne sagen, während sie näher kam. „Ich wäre fast vor Angst gestorben!“ stammelte Irene ziEernd. „Wir haben uns alle erschreckt!“ gestand Alex seiner Freundin. „Wir müssen cool bleiben. Alles wird gut gehen“, beruhigte sie die Archäologin. Sie warteten noch eine ganze Weile, bis sie schließlich aufgaben und beschlossen, ins Hotel zurückzukehren. Als sie angekommen waren, begleitete Ariadne die Kinder noch zu den Zimmern, wünschte ihnen gute Nacht und ging weg. Die Kinder setzten sich auf den Balkon des Zimmers der drei Jungen und unterhielten sich leise. 19
„Ich glaube, wir sind umsonst hierher gefahren!“ sagte Irene. „Ich halte es für unwahrscheinlich, dass es miEen in der Stadt ein ZeiEor gibt!“ „Irgend etwas stimmt nicht mit der Schwarzstein-Straße!“, beharrte Konstantin. „Ich weiß nicht, ob wir es schaffen, die Zeitmaschine zu finden, aber ich bin mir sicher, dass das, was wir im Internet gelesen haben, gar nicht so abwegig ist.“ „Und ich glaube, dass es kein Zufall ist, dass mein Großvater die Straße in seinem Tagebuch erwähnt. Wir müssen einfach Geduld haben! Vergesst nicht, es war die erste Nacht, die wir dort hingegangen sind!“ ergänzte Alex. „Ich bin sehr besorgt! Ich fürchte, wir werden wieder Ärger bekommen“, sagte Irene. „Nachdem wir so viele Gefahren durchgestanden haben, macht dir da so ein blödes ZeiEor Angst?“ frotzelte Konstantin. „Außerdem werde ich nicht zulassen, dass dir etwas passiert!“ „GoE sei Dank bist du auch noch da, um uns zu beschützen!“ stichelte Nikolas. Die zwei Jungen gerieten sich wieder in die Haare. „Jetzt hab ich genug von euren Streitereien! Ich gehe schlafen.“ rief Irene, ging aus dem Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu. „Was ist denn mit der los?“ fragte Nikolas. „Wir machen doch bloß Spaß. Sie weiß doch, dass wir Freunde sind.“ „Sie ist eben schneller aus der Ruhe zu bringen als wir!“ antwortete Alex „Wir sollten schlafen gehen, morgen müssen wir früh aufstehen.“ Kaum haEen sich die Jungen hingelegt, schliefen sie auch schon. Im Gegensatz dazu wälzte sich Irene die ganze Nacht im BeE und haEe seltsame Träume. Ariadne versuchte in ihren Notizen irgendeinen Hinweis zu finden, der sie weiterbringen würde. Als sie das Licht ausmachte, dämmerte es schon. 20
Während ihres Aufenthalts in Thessaloniki besuchten sie die Sehenswürdigkeiten und Konstantin erzählte ihnen die Geschichte der Stadt: „König Kassandros von Makedonien baute 315 v. Chr. die Stadt auf den Fundamenten der antiken Siedlung Therme. Kassandros nahm nach dem Tod Alexander des Großen an den Diadochenkämpfen um die Thronfolge teil und ging als Sieger daraus hervor. Er ha?e aber während der Kämpfe Olympias, die Mu?er des großen Feldherrn Alexander, getötet. Diese Tat ha?e he=ige Reaktionen in Makedonien ausgelöst, wo die Heldentaten ihres Sohnes bereits zur Legende geworden waren. Um die Makedonische Aristokratie zu beschwichtigen, gründete er die Stadt und gab ihr den Namen seiner Ga?in, einer Halbschwester Alexander des Großen. Im Jahr 313 n. Chr., zu Beginn der byzantinischen Zeit (313 – 1453 n. Chr.) war Thessaloniki das Basislager Konstantin des Großen im Krieg gegen seinen Schwager Licinius. Ein Jahr später ließ sich Konstantin dort mit seinem Heer nieder. An Stelle des alten römischen Hafens baute er einen neuen, um seine Flo?e dort zusammenzuziehen. Zu dieser Zeit waren Thessaloniki und Konstantinopel die wichtigsten Wachstumszentren des Byzantinischen Reiches. Konstantinopel war der Königssitz und Thessaloniki der Zweitsitz, der Nabel Europas und der Griechenlands ohnehin. Unter dem byzantinischen Kaiser Manuel II. aus dem Geschlecht der Palaiologen, genau genommen seit 1387 n. Chr., musste Thessaloniki an den Sultan Mourat I. Tribut zahlen, um dem Würgegriff der Türken zu entgehen. Als 1423 die türkische Bedrohung wieder gefährliche Ausmaße annahm, überantwortete Andronikos, der Verwalter von Thessaloniki, die Stadt den Venezianern unter Bedingungen, die zu ihrer Re?ung 21
beitragen sollten. Aber die Venezianische Herrscha= verwandelte sich schnell in eine neue Tyrannei. Die Wehrha=igkeit der Stadt wurde geschwächt und ihr Schicksal war besiegelt, als sie 1430 nach langer Belagerung in die Hände der Türken unter Mourat II. fiel. Sie wurde verwüstet, geplündert und fast vollständig zerstört. Tausende von Einwohnern wurden gefangen genommen und in Ke?en zu den Sklavenmärkten des Ostens verschleppt. Nach und nach wurden die byzantinischen Kirchen in Moscheen umgewandelt. Mit der Ankun= der spanischsprachigen Juden Ende des 15. Jahrhunderts bekam die Stadt einen multikulturellen Charakter, und florierte während der gesamten Dauer der Osmanischen Herrscha=. Thessaloniki wurde am 26. Oktober 1912, dem Namenstag ihres Schutzheiligen St. Demetrios, durch die griechische Armee befreit.“ Die Kinder besichtigten das Byzantinische Museum, in dem Skulpturen, Wandmalereien, Mosaike, Bilder und Inschri@en aus der byzantinischen Epoche ausgestellt sind. Im Archäologischen Museum der Stadt bewunderten sie die Statuen aus der archaischen, klassischen und römischen Epoche und die Schätze, die in Derweni2 ausgegraben wurden. Sie besuchten den Weißen Turm, das Wahrzeichen von Thessaloniki, und Ariadne erzählte ihnen detailliert von seiner Geschichte. „Der Weiße Turm ist ein Festungsbau aus dem 16. Jahrhundert, der den Wachposten der Janitscharen als Unterkun@ diente und auch mal das Gefängnis für die zum Tode Verurteilten war. Er hat sechs Stockwerke, ist 34 Meter hoch und sein Umfang beträgt 70 Meter. Anfangs wurde er ‚Turm des Löwen‘ genannt. Seit dem 17. Jahrhundert nannte man ihn ‚Festung von Kalamaria‘3. Derweni ist eine Stadt in Makedonien, 13 Kilometer von Thessaloniki entfernt. 1962 wurden dort viele ungeplünderte Gräber und andere Funde aus der hellenistischen Epoche geborgen. 3 Kalamaria ist ein StadEeil von Thessaloniki. 2
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Im 19. Jahrhundert gab man ihm den Namen ‚Turm der Janitscharen‘ oder ‚Kanli-Kule‘, was ‚BluEurm‘ bedeutet“. „Sehr unheimlich!“ bemerkte Nikolas. „Warum nannte man ihn so?“ fragte Alex Ariadne. „Weil man ihn in ein Gefängnis für die Todeskandidaten umgewandelt haEe, die von den Janitscharen enthauptet wurden. Im Jahr 1826 befahl der Sultan Machmud II. die Ermordung der Janitscharen und bewahrte so die Stadt vor weiteren Plünderungen und Grausamkeiten.“ „Wann bekam er den Namen ‚Weißer Turm?“ fragte Nikolas. „1891, als ihn ein jüdischer Gefangener namens Nathan Guidili im Tausch gegen seine Freiheit weiß tünchte“, antwortete die Archäologin. „Während des 1.Weltkriegs brachte man dort das Hauptquartier der Fernmeldetruppen der Alliierten unter. Heute ist der ‚Weiße Turm‘ im Besitz des Museums für Byzantinische Kunst und dient seit 2006 als Museum der Stadt Thessaloniki.“ „Ist es wahr, dass er im Au@rag von Sultan Süleyman dem Prächtigen errichtet wurde und dass sein Architekt der berühmte Mimar Sinan Agha war?“ fragte Konstantin. „Das ist die wahrscheinlichste Version und entspricht der Inschri@ über dem Eingang“, antwortete sie. Auf Vorschlag von Nikolas besuchten sie auch das Technikmuseum, in dem sie sehr interessante Ausstellungsstücke auf dem Gebiet der Fotographie, des Weltraums, des Rundfunks, der Schifffahrt und der Telekommunikation besichtigen konnten. Sie machten einen Abstecher in den malerischen StadEeil Ladadika, der früher, wie ihnen Ariadne erzählte, das Großhandelszentrum der Stadt war. Nach dem Feuer von 1917 verließen die meisten diesen StadEeil und es blieben nur die Ölhändler. Auf dem Weg durch die schmalen, gepflasterten Gassen bewunderten die Kinder die denkmalgeschützten Gebäude mit den bunten Fassaden und den rechteckigen, großen Fenstern, die sie in eine andere Zeit ver23
setzten. In die Zeit, als es in den Erdgeschossen noch Geschä@e und Lagerräume gab, in denen man Öl und andere Waren unterbrachte. Auf ihrem Spaziergang zwischen den restaurierten Backsteingebäuden konnten sie intensiv die Atmosphäre der alten Stadt Thessaloniki nachempfinden. Während ihnen noch der Kopf von dem Ausflug in die Vergangenheit schwirrte, kehrten sie zurück in die Gegenwart und erreichten den Morichovo-Platz, der mit seinen Restaurants, Cafés und kleinen Bars voller Leben war. Am Tag vor ihrer Abreise besuchten sie Seih-Sou, einen künstlich angelegten Wald, der, wie sie erfuhren, in den 1930er Jahren gepflanzt worden war und dessen Name ‚das Wasser des Scheichs‘ bedeutet. Den Namen erhielt der Wald wegen eines muslimischen Grabmals (Tourbé). Ariadne und die Kinder machten einen langen Spaziergang auf den Waldwegen, genossen die frische Lu@ und bewunderten die riesigen uralten Bäume.
Sie blieben fast eine Woche in der schönen Stadt. Οbwohl sie jeden Abend um MiEernacht in die Schwarzstein-Straße gingen, passierte nichts Ungewöhnliches, abgesehen vom Au@auchen der niedlichen Maus, die sie am ersten Abend erschreckt haEe. In der letzten Nacht vor ihrer Abreise nach Kreta saßen sie auf einer niedrigen Mauer in der Schwarzstein-Straße. Es war fast MiEernacht und die Spannung war kaum auszuhalten. Nikolas, Konstantin, Irene und Ariadne hockten nebeneinander und unterhielten sich leise. Alex saß etwas abseits und betrachtete den schwarzen Obsidian, den der Dieb der Zeitmaschine zurückgelassen haEe. Plötzlich sah er, dass der Stein einen Lichtstrahl reflektierte. „Schaut her!“ rief er und zeigte den Stein seinen Freunden. 24
„Wie ist denn das passiert?“ fragte Konstantin ganz aufgeregt. „Im Stein spiegelt sich das Licht, das von dort kommt“, sagte die Archäologin. Die Kinder schauten in die Richtung, die ihnen Ariadne zeigte. Ein paar Meter vor ihnen war ein leuchtender Wirbel zu sehen. „Das ZeiEor!“ rief die Archäologin und betrachtete fassungslos das flirrende blaue Licht. „Es existiert also doch“, murmelte Nikolas. „Es ist fantastisch!“ stellte Konstantin fest. „Folgt mir!“ trieb Ariadne die Kinder an, ohne den Blick von dem blendenden Licht abwenden zu können. „Da gehe ich nicht rein!“ flüsterte Irene ziEernd. „Ich auch nicht“, sagte Nikolas. „Kommt, sonst gehe ich allein“, rief Ariadne und ging entschlossen auf das leuchtende Tor zu. Die Kinder folgten ihr schließlich. Sowie sie das Tor durchschriEen haEen, befanden sie sich auf einem kleinen, hell beleuchteten Pfad. Er war höchstens hundert Meter lang. Sie gingen wie in Trance weiter. Am Ende des Weges sahen sie noch ein leuchtendes Tor, das genau so aus sah, wie das erste. „Noch ein ZeiEor!“ rief Konstantin überrascht. „Und was machen wir jetzt?“ fragte Alex. „Wir gehen hinein!“ antwortete Ariadne entschlossen. „Ich finde das keine gute Idee!“ gab Irene zurück. „Wir wissen doch gar nicht, ob wir es rechtzeitig zurück schaffen. Wir haben nur noch ein paar Minuten, bevor sich das Tor hinter uns schließt“, gab Konstantin zu bedenken. „Wir gehen besser zurück“, sagte Nikolas ängstlich. „Ich gehe nicht, bevor ich die Zeitmaschine gefunden habe“, sagte Ariadne trotzig. „Ist dir klar, dass die Tore sich schließen und wir dazwischen stecken bleiben können?“ schrie Irene Ariadne an. 25
„Ich gehe allein! Ihr wartet hier“ beschloss Ariadne und ging auf das zweite ZeiEor zu, bevor die Kinder sie auDalten konnten. In diesem Moment tauchte vor ihnen ein Mann mit langen schwarzen Haaren und sehr dunkler Haut auf. Er war höchstens anderthalb Meter groß. Er trug einen kurzen, bunten, indianischen Rock und sein Oberkörper war nackt. Auf seinen Armen und seiner Brust waren Schlangen tätowiert. In seiner rechten Hand hielt er die Zeitmaschine. Als Konstantin sie sah, stürzte er sich darauf und schrie: „Gemeiner Dieb! Gib sie sofort her!“ Der Mann war dermaßen überrascht, dass ihm die Zeitmaschine aus der Hand fiel. Der Junge schnappte sie sich und rannte zu seinen Freunden. „Lasst uns schnell verschwinden!“ rief er. Plötzlich kam dicker, weißer Rauch aus der Zeitmaschine und die Zeitanzeige fing an, sich wie verrückt zu drehen. Ein leuchtender Wirbel umhüllte die Kinder und die Archäologin und sie trudelten wieder durch die Zeit. „Was für Narren!“ murmelte der Mann zwischen den Zähnen. Dann ging er durch das ZeiEor, das sich sofort hinter ihm schloss.
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