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Brüssel greift in Straßengüterverkehr ein
Hotels, die nahe an einer Autobahn liegen, sollten sich demnächst auf ungewohnte Gäste einstellen. Es sind Lkw-Fahrer, die am Wochenende nicht mehr in ihrer Fahrerkabine übernachten dürfen. Das heißt auch: weniger Spielraum für nationale Vorschriften.
Lkw-Fahrer, die im Hotel übernachten, so will es das „mobility package“ genannte Reformvorhaben, das Anfang Juli vom EU-Parlament verabschiedet wurde. 40-Tonner-Brummis auf der Fahrt zu einem gesetzlich vorgeschriebenen Schlafplatz – die Begeisterung der Anrainer wird sich in Grenzen halten. Und wo wird der Sattelschlepper abgestellt? Die üblichen Hotelparkplätze sind für solche Zwecke wohl kaum geeignet. Und wer bewacht die kostbare Fracht? „Das ist alles nicht durchdacht“, meinte Benjamin von Cetenich vom Verband Spedition und Logistik NRW im Interview mit dem Westdeutschen Rundfunk. „Es wird Bußgelder hageln“, sagte er, „weil es einfach an der Infrastruktur fehlt.“ Es werde Jahre dauern, bis sich Raststätten und Autohöfe auf die neuen Anforderungen eingestellt hätten, und bis dahin gebe es weiter übervolle Autobahnrastplätze mit Fahrern, die sich ihr Abendessen mit einem Gaskocher zubereiten. Trotz dieser negativen Prognose war es an der Zeit, dass die Politik wenigsten den Versuch unternimmt, das Nomadendasein von über drei Millionen europäischen Lkw-Fahrern zu beenden.
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Wettbewerbsbedingungen angeglichen Nach Einführung des Kabinenschlafverbots müssen demnächst die Übernachtungskosten von der Speditionsfirma übernommen werden. Selbst wenn man ein Low-Budget-Hotel von 50 Euro pro Nacht zu Grunde legt, sind das 400 Euro im Monat, die dem Arbeitgeber an zusätzlichen Kosten entstehen. Nutznießer der neuen Regel sind besonders Fahrer aus Osteuropa. Sie sind es vorwiegend, die bisher ihre Nächte im Laster verbringen, die lausigen Arbeitsbedingungen unterliegen und dazu schlechter bezahlt werden als andere Kollegen in der EU. Auf diese Weise konnten sich die bulgarischen, polnischen und rumänischen Speditionen im Konkurrenzkampf um Fracht und Touren einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Das soll sich nun
ändern, künftig steht den Fahrern nach drei Wochen Einsatz sogar eine Heimfahrt zu. Kein Wunder, dass osteuropäische Regierungen und Wirtschaftsvertreter lange versucht haben, einen einheitlichen Rechtsrahmen für den Straßengüterverkehr zu verhindern.
Schwierige Umsetzung in die Praxis In Deutschland zeigen sich Branchenexperten durchaus zufrieden
mit dem Brüsseler Beschluss. Frank Huster, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Spedition und Logistik (DSLV), meint, es sei „richtig, dass die EU-Staaten künftig deutlich weniger Spielraum für nationale Vorschriften erhalten.“ Wie schnell das neue Regelwerk zu einer Angleichung der Wettbewerbsbedingungen und Sozialvorschriften führt, werde wesentlich von der nationalen Umsetzung und der Kontrolldichte in den Mitgliedsstaaten abhängen. Und da steckt
der Teufel wiederholt im Detail. So wird künftig der Kabotageverkehr * stark begrenzt, und Fahrer ausländischer Unternehmen sollen während der Kabotage mit dem ortsüblichen Mindestlohn vergütet werden. Die praktische Umsetzung und Nachweisführung dürften allerdings schwierig werden. Denn angesichts 27 national abweichender Mindestlöhne in der EU bedeutet dies einen erheblichen administrativen Aufwand für international tätige Speditionsunternehmer. Voraussetzung, um die neuen Vorschriften digital zu überwachen, ist ferner die Verfügbarkeit intelligenter Fahrtenschreiber. Sie sollen spätestens im Jahr 2025 in allen Fahrzeugen eingebaut sein. Diese zweckmäßige Vorschrift gilt übrigens auch beim Einsatz von leichten Nutzfahrzeugen über 2,5 Tonnen. So wird die Frachtverteilung auf kleinere Einheiten verhindert. Weitere Regelungen des Gesetzespakets werden nach und nach bis zum Jahr 2026 in Kraft treten. Wo bis dahin die dicken Brummis ihren Parkplatz finden werden, lässt sich heute schwer vorhersagen.
Gut zu wissen
* Unter Kabotageverkehr in der EU versteht man einen Binnenverkehr, der von einem im EU-Ausland ansässigen Frachtunternehmen in einem anderen Staat durchgeführt wird. Zum Beispiel, wenn eine polnische Spedition eine Fracht von Berlin nach Köln durchführt.
Rotger Kindermann
Journalist
mittelstand@bvmw.de