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Geschäftsreisen in Gefahr
Der deutsche Mittelstand steht für 90 Prozent aller Geschäftsreisen – bis zum Beginn der Coronakrise. Ein halbes Jahr später sorgt die Pandemie für gravierende Änderungen beim Thema Unternehmensmobilität. Und die halten vermutlich in den nächsten zwei bis drei Jahren an.
Die Coronakrise hat sowohl einen Angebots- als auch einen Nachfrageschock ausgelöst. Das wirkt sich ganz besonders dramatisch auf den geschäftlichen Tourismus aus. Deutschland ist von den Entwicklungen in erheblichem Maße betroffen. Denn als offene Volkswirtschaft, die intensiv in die globalen Wertschöpfungsketten eingebunden ist, ist es stärker als andere Länder von den wirtschaftlichen Auswirkungen des Coronavirus gefährdet. Auch nach dem Ende des Lockdowns in Deutschland sind viele Unternehmen immer noch weit von der alten Geschäftigkeit entfernt. Und in den Städten sind die Straßen nur auf den ersten Blick wieder etwas belebter, von einem Aufschwung ist wenig zu spüren. Die Bundes
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republik verzeichnet in den letzten Wochen auch wieder einen gefährlichen Anstieg der Coronainfektionen. Das kann konkrete Auswirkungen auf geschäftlich Einreisende und Leisure-Touristen nach sich ziehen. Zwischen April und Juni sind mehr als 90 Prozent aller Dienstreisen ausgefallen und mit ihnen hunderttausende Meetings, Messe- und Kongressbesuche. Die meisten deutschen Unternehmen haben auf Homeoffice und virtuelle Treffen gesetzt. Fliegen war kaum möglich und ist selbst heute noch mit Fragezeichen versehen, denkt man an Ziele wie die USA, Brasilien und halb Südamerika, an Mexiko, Indien, teilweise an China und Russland – alles Länder, die in Vor-Corona-Zeiten als Geschäftsreise-Hotspots galten. Auch innerhalb Europas waren die Grenzen über Monate dicht. Bahnfahren war stark eingeschränkt, grenzüberschreitend ging über mehr als zehn Wochen gar nichts.
Krisengewinner Geschäftswagen Nach einer mehr oder weniger zögerlichen Wiederöffnung von Luftfahrt und Bahn Ende Mai/Anfang Juni war die Welt für Dienstreisen plötzlich eine vollkommen andere. Die Gefahr von Ansteckung in Flugzeugkabine oder Zug und ÖPNV und die Tatsache, dass es viele Maskenverweigerer gibt, trieb die Firmenreisenden in den Geschäftswagen. Nur dort fühlten sie sich sicher. Und so ist es selbst heute noch. Insofern ist nachvollziehbar, dass sich der deutsche Flottenmarkt im Juli 2020 wieder in guter Form präsentierte. Zwar wurde das Spitzenergebnis aus dem Juli 2019 knapp um 5,4 Prozent verfehlt, mit 84.675 Neuzulassungen erreichte das Flottengeschäft aber dennoch das zweithöchste Juli-Ergebnis seit Beginn der Aufzeichnungen. In der Passagierluftfahrt hingegen und auch bei der Bahn läuft es alles andere als rund. Viele Fluggesellschaften bieten seit Juni zwar wieder mehr Flüge an. Und seit dem 15. Juni 2020 hat das Auswärtige Amt die Reisewarnungen für die meisten EU-Mitgliedsstaaten, den Schengen-Raum und Großbritannien aufgehoben. Allerdings gibt es inzwischen wieder Reisewarnungen für bestimmte Regionen. Branchenvertreter erwarten, dass der Passagierverkehr erst in einigen Jahren wieder das Niveau aus der Zeit vor der Coronavirus-Pandemie erreicht. Immer noch fehlen den Airports europaweit viele Millionen Passagiere im Vergleich zum Vorjahr. Laut den Zahlen des Airports Council International Europe gingen die Passagierzahlen im 1. Halbjahr 2020 um 64,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurück; das zweite Quartal schlug mit einem Rückgang von 96,4 Prozent zu Buche.
Langsame Erholung Es war eigentlich logisch, dass es in den traditionell schwachen Geschäftsreisemonaten Juli und August nicht zu einer Erholung bei den Dienstreisen kommen würde. Doch ob die niedrigen Zahlen Bestand
haben werden, darf bezweifelt werden. Passend zum schwachen Monat Juli veröffentlichte der Personaldienstleister Randstad ei ne Personalleiterbefragung des ifo-Instituts, wonach angeblich rund 60 Prozent aller deutschen Unternehmen planten, Dienstreisen und Vor-Ort-Meetings dauerhaft einzuschränken. Kann nicht sein, konter te der Verband Deutsches Reisemanagement (VDR). „Geschäftsreisen sind eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Bei vielen Mitarbeitern wächst der Wunsch, Geschäftspartner wieder persönlich zu treffen. Fast alle Unternehmen erlauben daher in begründeten Ausnahmefäl len wieder nationale und internationale Dienstreisen. Der Trend zeigt nach oben. Die fatalistischen Prognosen kann ich nicht teilen und halte die Darstellung für irreführend“, sagte VDR-Präsident Christoph Carnier. Auch dem VDR ist bewusst, dass die Corona-Pandemie An zahl und Struktur der Geschäftsreisen verändern wird. Die überwiegende Mehrheit der Geschäftsreise-Experten der Verbandsmitglieder rechnet mit zehn bis maximal 30 Prozent Rückgängen bei der Reise tätigkeit. Carnier ist überzeugt, dass die persönliche Verständigung zwischen den Menschen und Unternehmen wichtig bleiben wird und dauerhaft nicht durch virtuelle Kommunikation zu ersetzen ist. Schon in Vor-Corona-Zeiten leisteten Geschäftsreisen einen maßgeblichen Beitrag zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland. So gaben deutsche Unternehmen vor der Corona-Pandemie über 110 Milliarden Euro für Business Trips aus. Die meisten setzen auf einen verhaltenen Aufschwung im Lauf des Jahres 2021. Sollte der nicht oder erst später eintreten, wie es vor allem die Fluggesellschaften befürchten, fällt ein notwendiges Erfolgsinstrument der Exportnation Deutschland aus – mit allen Konsequenzen für die regionale und länderübergreifende Wertschöpfung.
Gut zu wissen
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n Unternehmen sollten vorübergehend strengere Genehmigungsprozesse für Geschäftsreisen einführen Mobilitätsmanager sollten ausloten, wie sie für die Sicherheit der Mitarbeiter unterwegs sorgen können Unternehmen müssen jederzeit wissen, wo sich die geschäftlich reisenden Mitarbeiter befinden, und wie sie im Notfall mit ihnen kommunizieren können Sie müssen entscheiden, ob Geschäftsessen wieder zulässig sind. Hierzu sollten klare Vorgaben eingeführt und bestehende Ausgaberichtlinien aktualisiert werden
Gernot Zielonka
Chefredakteur DMM
www.dmm.travel