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Finanztipp: Das Wirecard-Desaster und sein Guru

FINANZTIPP

Das Wirecard-Desaster und sein Guru

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Im Fall von Wirecard haben Bankanalysten, Börsendienste, Investmentfonds, Anlageberater, Wirtschaftsprüfer, Aufsichtsräte, Rechtsanwälte und auch Politiker offenbar nicht die richtigen

Fragen gestellt, nämlich: Wieviel Cash hat das Unternehmen bei welchen Banken im In- und Ausland auf welchen Konten? Wie viele Kredite hat es bei welchen Banken, mit welcher Laufzeit und zu welchem Zinssatz?

Ehrliche Antworten allein auf diese Fragen hätten zumindest den Aktionären von Wirecard das Desaster erspart. Ein Bekannter hat mit seiner kompletten Erbschaft nahezu bei den Höchstkursen Aktien von Wirecard gekauft. Warum? Es hieß, es sei die beste Aktie im DAX.

Und er hat die beiden wichtigsten Regeln missachtet, erstens: Nicht alle Eier in einen Korb legen, sondern diversifizieren. Zweitens: Jede Investition von Anfang an mit Stop-loss-Marken versehen. Jetzt steht ein Heer von Anlegerschutzanwälten auf der Matte, die wollen zunächst einmal Geld von den Anlegern, denn Anwälte arbeiten nicht umsonst, aber oft vergeblich. Da wird gutes Geld dem schlechten nachgeworfen. Denn wen wollen die Geschädigten verklagen? Selbst wenn es ein Urteil gibt: Wer hat noch Geld, den Schadenersatz zahlen zu können?

Wer Aktien von Wirecard an der Börse gekauft hat, hat doch nicht in

Wirecard investiert. Denn nicht das Unternehmen selbst hat (außer bei der Erstausgabe der Aktien – und selbst das ist nicht einmal sicher) – das Geld erhalten, sondern ein anonymer Marktteilnehmer, der über die Börse seine Aktien verkauft hat.

Weshalb ich nie Wirecard-Aktien gekauft oder den Kauf empfohlen habe? Zahlungsdienstleister rechnen mit Pfennigen. Erst große Umsätze erzeugen vielleicht eine Million an Einnahmen, aber keine Gewinne in Milliardenhöhe. In diesem Fall war ich klüger als die

Zahlenakrobaten, die ohne Sinn und Verstand veröffentlichte und ungeprüfte Bilanzen hochrechnen.

Ein besonders dreistes Gesellenstück in Sachen Wirecard leistete sich der in Presse und Fernsehen omnipräsente Börsenprofessor Max Otte. Er lässt sich unwidersprochen feiern als der Mann, der den Crash genau vorhergesehen habe. „Der Euro Crash kommt!“ (so im Juli 2011 in Focus Online), und später im September 2011 prophezeite Otte den „Gelduntergang“ in Focus Money. Schon in seinem Buch „Der Crash kommt“ (solche Titel lassen sich immer gut verkaufen) sagte Otto den „größten Unfall der Weltwirtschaft“, zweistellige Inflationsraten und für den Liter Normalbenzin Preise von „drei, vier oder fünf Euro“ voraus. Sich trotz solcher gravierender Fehlprognosen immer wieder dafür feiern zu lassen, als Einziger präzise den Crash vorausgesagt zu haben – das muss man erst einmal schaffen. An ihren Taten sollt ihr ihn erkennen: Im letzten Jahresbericht des PI Global Value Fund, der „nach der Strategie von Prof. Dr. Max Otte investiert“, steht zu der fast zwei Millionen Euro hohen Investition in Wirecard-Aktien beim Jahresendkurs von 107,50 Euro: „Das Unternehmen hat eine hervorragende Perspektive im wachsenden Markt für Online-Shopping und Online-Reisebuchungen. … Das Wachstum ist gigantisch. … Der Titel ist auch nicht teuer, sondern im Gegenteil extrem günstig. … Wirecard ist für uns eine Langfristinvestition.“ Doch damit nicht genug. Im letzten Halbjahresbericht des Max Otte Vermögensbildungsfonds ist aus der Vermögensaufstellung zum 31. Dezember 2019 zu sehen, dass die Beteiligung an Wirecard AG sogar aufgestockt worden ist. Da darf natürlich auch Focus Money (Ausgabe 8/2020, also kurz vor der Wirecard-Pleite) nicht fehlen. Unter dem Titel „Mit soliden Aktien durch die Krise“ wiederholt sich „Der Stock-Picker“ Otte: „Eine weitere Aktie, die wir seit Anfang des Jahres im Portfolio haben, ist Wirecard. Das Wachstum ist gigantisch, aber aus unserer Sicht bei Weitem noch nicht ausgeschöpft.“ Somit konnten auch die unbedarften Leser von Focus Money noch in letzter Minute mit der Hoffnung auf hohe Gewinne auf ein sinkendes Schiff setzen. Jetzt dürfen wir gespannt auf den nächsten Fondsbericht sein, ob und wann Otte seine Wirecard-Aktien verkauft hat oder noch auf einem mehrfachen Millionen-Verlust sitzenbleiben wird. Vielleicht nicht er selbst, aber die Zeichner seiner aktiv gemanagten Investmentfonds bestimmt.

Hans-Peter Holbach

Herausgeber des Informationsdienstes Geld (erscheint im 48. Jahrgang) www.geldbrief.com

Chefredakteur beim Vertraulichen Schweizer Brief www.vertraulicher.com

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