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Amt der Tiroler Landesregierung, Jugendreferat
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Beiträge zur Jugendarbeit in Südtirol und Tirol
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[Thema]
Vergangenheit trifft Zukunft
APRIL 2009
Verlagspostamt 6020 Innsbruck. Erscheinungsort Innsbruck. P.b.b. GZ 02Z030010M
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Leitartikel
Vergangenheit trifft Zukunft Kinder und Jugendliche sind grundsätzlich neugierig. Fragen nach. Wie war das früher, wie haben die Menschen gelebt, was hat sie beschäftigt, was waren ihre Geschichten und ihre Geschichte? Wie war das Leben? Worunter haben Menschen gelitten und was hat sie beflügelt? Tausend Fragen und tausend Antworten, die auch junge Menschen beschäftigen, die sie nachdenklich machen. Antworten, die nachdenklich machen, Antworten, die wiederum neue Fragen provozieren. Antworten, die dazu geeignet sind, sich mit der Gegenwart auseinanderzusetzen und einen Blick in die Zukunft zu wagen.
schaut, riskiert das Übersehen des Jetzt. Ebenso kann das Leben nicht nur auf den Augenblick (von der Hand in den Mund) reduziert werden. Und wer ausschließlich darauf setzt, dass morgen alles besser wird, relativiert die Notwendigkeit des Engagements im Alltag heute. So gesehen ist das Motto des Gedenkjahres 09 genial. Und eine große Herausforderung für alle, die mit und für junge Menschen arbeiten. Aber ebenso eine Verantwortung, die darin liegt dazu beizutragen, dass das Bild vom Menschen und des Lebens in der heutigen Zeit ein möglichst buntes, vielfältiges und facettenreiches wird. Und kein schwarz-weißes. Klaus Nothdurfter
Der Mensch braucht alle drei Dimensionen des Seins. Jede für sich allein greift zu kurz. Wer nur in die Rückspiegel
Impressum
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Beiträge zur Jugendarbeit in Südtirol und Tirol • Offenlegung (Gem. § 25 Mediengesetz) • Medieninhaber (Verleger): Amt der Tiroler Landesregierung, Abteilung JUFF, Michael-Gaismair-Str. 1, 6020 Innsbruck • Abteilungsvorstand: HRin Dr.in Waltraud Fuchs-Mair, Kooperation mit dem Amt für Jugendarbeit in Südtirol • Redaktion: Helga Baumgartner/Andres, Klaus Nothdurfter, Mag. Reinhard Macht, Mag. Christine Kriwak • Kontakt: Helga Baumgartner@provinz.bz.it oder juff.jugend@tirol.gv.at • Fotoredaktion: JUFF, Bilderbox, Ernst Gutschi, Amt für Jugendarbeit • Unternehmensgegenstand: „zb“ dient zur Information für die Jugendarbeit. Die Zeitschrift wird den Verantwortlichen in der Jugendarbeit und allen Interessierten gratis zur Verfügung gestellt. Grundlegende Richtung: Im „zb“ werden nach überparteilichen, sachbezogenen Gesichtspunkten und nach journalistischen Kriterien eigene und fremde Beiträge für die Jugendarbeit publiziert • Grafische Gestaltung: MEDIAmacs • Druck: Fotolito Varesco • Konzept: MEDIAmacs • Titelseite: Lisandra Barros Mendonça
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ZUM THEMA
Unser Leben als Erben Andreas Hofers Kindheitserinnerungen . . . . . . . . . . . . . . . 4
Editorial
inhalt
Gemeinde Langkampfen Jugendliche machen was . . . . . . . . . 21
UPLOAD 09 Ein Wettbewerb für junge Musiker, Solisten und Gruppen unter 30 . . . . . . . . . . . . . 22 Vom Krach zu Bach Töne erforschen, Klang entdecken, Musik erleben
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Summer 09 für Kinder, Jugendliche und Familien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
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Geschichte als Chance Eine Umfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Heimatverbundenheit versus Mobilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Freiheit? Ja, Bitte! Seitenweis
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mei Workshop Jugendliche organisieren Workshops . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Labyrinth :: Freiheit Die Landesausstellung 2009 in der Festung Franzensfeste . . . . . . . 26 © Andrea Pozza - PAB/APB
Jugendarbeit gestern – heute – morgen
AKTUELLES InfoEck Sommer 2009
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Kidsnet Eine Broschüre stellt sich vor
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Faltblatt „Rechte und Pflichten“ und Plattform „WiWoWi“ Auftakt des Schwerpunkts „Politische Bildung“ des Südtiroler Jugendrings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Menschen und Jobs Kurz vor Schluss
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„Vergangenheit trifft Zukunft“ lautet das Thema dieser Ausgabe. Die Frage ist, wie macht sie das? Wie treffen diese beiden Kategorien aufeinander? Und eigentlich müssen wir noch eine dritte Kategorie anführen: die Gegenwart, das Hier und Jetzt. Was von der Geschichte nehmen wir mit für später? Was hat sich bewährt und soll auch im Morgen noch Geltung haben? Wir sind es gewohnt, unseren Blick eher in die Zukunft zu richten – wenn wir nicht überhaupt im Heute verhaftet bleiben und das, was gestern war, schnell wieder vergessen, verdrängen, als unwichtig abtun bzw. uns das Morgen gar nicht erst interessiert. Anna Enquist beschreibt diese Ebenen in „Kontrapunkt“ in für uns ungewohnter Weise. In dem Roman hat eine Frau den Unfalltod ihrer erwachsenen Tochter zu verarbeiten. Sie blickt zurück und möchte einzelne Szenen ihres vergangenen Lebens konservieren, in sie eintauchen und noch einmal - bewusster diesmal - leben. Ihre Zukunft interessiert sie nicht, sie ist ganz auf die Vergangenheit fokussiert. Folglich stellt sie sich die Zukunft als jemand vor, der hinter ihr steht, sie umarmt und sie von der Vergangenheit wegführt bzw. –zieht, ihr den Blick auf diese verstellt. Sie würde diese aber lieber genau in ihrem Blick haben, ganz selbstverständlich mit ihr aufwachen und durch den Tag gehen. Letztlich wird es wohl eher darum gehen, eine gute Balance zu finden: im Heute gut verankert zu sein, zugleich aber weder auf das Gestern noch das Morgen zu vergessen. Mal werden wir den Blick nach vorne werfen, dann wieder nach hinten. Die Balance zu finden ist nicht leicht, sie zu halten oft noch schwerer. Doch der Kraftakt, die Vergegenwärtigung von uns als Menschen mit Wurzeln und Flügeln, wird sich lohnen! Viel Spaß beim Lesen des neuen z.B.! Christine Kriwak
Redaktionstermin für die nächste Ausgabe des z.B.:
30. April 2009 THEMA: Interkulturelle Jugendarbeit Seite 15-18
Bildungsprogramm zum Herausnehmen
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Unser Leben als Erben Andreas Hofers Kindheitserinnerungen: Andreas Hofer, auch ein Teil meines Lebens
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er Sandhof, oder wie man im Dialekt normalerweise sagt, „dr Sondwirt“ war unser zu Hause. Mein Name ist Iwan Hofer und ich bin mit meiner drei Jahre jüngeren Schwester Kathrin und meinen Eltern am Sandhof aufgewachsen. Unsere Eltern hatten das Gasthaus von unseren Großeltern übernommen und führten es 15 Jahre lang als Pächter. Wir wohnten „pan Sond“ bis ich zehn Jahre alt war und für mich war dieser Ort in erster Linie ein riesengroßer Erlebnisspielplatz. Es gab unzählige Dinge Meine Schwester und ich, beim Eingang des Sandwirts mit Heel Tonig, den meine Schwester immer für Andreas Hofer hielt.
Kathrin und ich beim Spielen im Garten beim Sandwirt
Klein Iwan in der Eingangshalle des Sandwirts
und Schätze zu entdecken. Das Leben und Spielen in den verwinkelten Kellergewölben und auf dem „unheimlichen“ Dachboden war ein Abenteuer. Es gab viel Platz zum Austoben, wie z.B. den Stadel, in dem heute das Museum untergebracht ist, und die umliegenden Wiesen. Mir und meinen Schulfreunden war nie langweilig, denn wir hatten jeden Tag aufs Neue die Möglichkeit auf Zeitreise zu gehen. Ich kann mich gut daran erinnern, dass wir „Freiheitskämpfer“ gespielt haben, denn mein Elternhaus war geradezu wie geschaffen dafür, Ritter, Indianer und Ähnliches zu spielen. Wir hatten den Platz und die „Requisiten“ für solche Phantasiespiele. Irgendwie war uns Kindern schon bewusst, dass wir an einem „besonderen“ Ort aufwuchsen. Das spürten wir vor allem im Kontakt mit den Gästen, die gerade wegen Andreas Hofer zum Sandhof kamen. Für uns selbst war der Sandhof aber nichts Besonderes, sondern einfach unser zu Hause. Der Besucheransturm in den 80ern war mir als Kind eher lästig. Zum einen, weil es für mich „normal“ war 4
am Sandhof zu wohnen und ich das „Getue“ der Gäste nicht verstand. Zum andern, weil ich das „Erbe“ Hofers in gewisser (negativer) Weise zu spüren bekam: Ich wurde oft gefragt, warum ich denn Iwan und nicht Andreas heiße. Viele der vorwiegend bundesdeutschen Gäste bzw. Besucher am Sandhof waren empört darüber, dass der erstgeborene Sohn der Wirtsleute vom Sand nicht Andreas, sondern Iwan getauft war. Für sie war dies ein Unding, vor allem auch deshalb, weil „Iwan“ in Deutschland als Synonym für den russischen Feind im 2. Weltkrieg gilt. Am Sandhof, den man besucht, um einem Freiheitskämpfer, Heimatverteidiger, Patrioten und Helden näher zu kommen oder nachzuspüren, ein Kind anzutreffen, das den Namen des Erzfeindes schlechthin trägt, war für viele Gäste unverständlich und teilweise sogar enttäuschend. Hier spürte ich das erste Mal, obwohl ich es nicht wirklich begreifen oder einordnen konnte, dass mit dem Tragen des Namens „Hofer“, gekoppelt mit dem „Aufwachsen am Sandhof“ bestimmte Erwartungen an mich verbunden waren. Wir Kinder konnten die Begeisterung und das Interesse für A.H., das die Gäste an den Tag legten, kaum nachvollziehen, da es für uns Alltag war, in diesen historischen Mauern zu leben und das Leben der Person Andreas Hofers war irgendwie ein Teil des unseren, also nichts Außergewöhnliches. Viele Gäste hatten teilweise ein sehr verzerrtes und überhöhtes Bild von Andreas Hofer, das sie dann auch auf unsere Familie übertrugen.
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Iwan Hofer derzeit Pastoralassistent in der Gemeinde Algund
sche Persönlichkeiten konnte ich zunächst jedoch nichts anfangen. Des Öfteren musste ich die Frage beantworten, wie es denn möglich sei, dass ein Nachfahre von Andreas Hofer so wenig historische Fakten weiß. Da half es auch nichts, zu erklären, dass wir eigentlich keine direkten Nachfahren von A.H. sind. Rückblickend habe ich festgestellt, dass ich ein recht positives A.H.-Bild hatte, nicht das eines Helden oder Märtyrers (meine Eltern haben ihn nie so dargestellt), aber das eines Mannes, der sich für eine Sache voll und ganz eingesetzt und die Verantwortung für sein Tun übernommen hat. Dementsprechend geschockt war ich in der Oberschule, als im Geschichtsunterricht die Freiheitskämpfe von 1809 auf dem Lehrplan standen. Bisher kannte ich nur das verherrlichende Bild Hofers, das viele Gäste hatten, das Bild eines „geraden Michls“ von zu Hause und ab und an spürte ich, dass „der Hofer“ Erwartungshaltungen mir gegenüber „verursachte“. Jetzt lernte ich ein ganz anderes Hofer-
Titelblatt des Magazin der Zeitung „Die Zeit“ mit der Titelgeschichte zu Andreas Hofer
Foto Zeitmagazin Abbildung meiner Eltern mit mir vor dem Sandwirt
Bild kennen: in der Oberschule wurde uns A.H. als Barbar und die Freiheitskämpfe als hinterhältige, menschenverachtende Guerillakriege vermittelt. Damals hatte ich das Gefühl, dass jemand einen Teil meiner Kindheitserinnerungen herabwürdigt und schlecht macht. Natürlich hatte ich als Kind keine Vorstellung davon, wie grausam die Schlachten wirklich waren und was Krieg und Kämpfe bedeuten. Nichts desto trotz war diese Darstellung der Geschehnisse um 1809 für mich eine erschreckende und verletzende Erfahrung. Erst durch einen Jahrgangsausflug zum 25. Geburtstag kam ich an den Sandhof zurück und es bot sich mir die Gelegenheit, mich eingehender mit Hofer und meiner Kindheit am Sand auseinander zu setzten. Wir besuchten den Sandhof und das mittlerweile im Stadel entstandene Museum. Dieser Ausflug war geprägt von zwei Gefühlen: zum einen vom einem nostalgischen „in Kindheitserinnerungen schwelgen“, zum anderen von einigen Aha-Effekten. Das Museum ist sehr bemüht ein menschliches Bild von Hofer zu zeichnen, was sich mit meinen Kindheitserinnerungen bzw. -bildern deckt. Ich fand es toll, einige Orte wieder aufzusuchen, an denen ich als Kind gespielt hatte. Besonders erstaunt hat mich, dass neben mir auch die Mehrzahl meiner Jahrgangskollegen noch nie vorher das Museum besucht hatten. Ist doch interessant, dass wir uns alle, obwohl Passeirer, eigentlich nie sonderlich mit der HoferGeschichte beschäftigt hatten. Andreas Hofer begleitet mich von Kindesbeinen an, lange Zeit auf eine beiläufige und unreflektierte Weise und später habe ich den Bezug dazu ganz verloren. Beim Schreiben dieses Artikels wurde mir klar, dass ich erst 25 Jahre alt werden musste, bis ich mich mit meiner persönlichen Geschichte und unserer Landesgeschichte bewusst auseinandersetzte. Ich empfand es nie als etwas Besonderes, am Sandhof aufgewachsen zu sein, dennoch hat mich meine Kindheit am Sandhof mit Sicherheit geprägt.
Vergangenheit trifft Zukunft
Ein Bild, das meine Vorstellung von Andreas Hofer geprägt hat, war eine Kopie des Gemäldes von Franz v. Defregger „Andreas Hofers Letzter Gang“, das im Speisesaal des Sandwirts hing, und so glaube ich, heute noch hängt. Wir pflegten immer gemeinsam vor diesem ca. 4x4m großen Gemälde Mittag zu essen. Auf diesem Bild wird dargestellt, wie Andreas Hofer sich auf dem Weg zu seiner Erschießung von seinen verzweifelten Weggefährten verabschiedet. Obwohl Andreas Hofer dort übergroß und in souveräner Pose dargestellt ist, war ich als Kind fasziniert von einem Menschen, der, so schien es mir, innerlich zerrissen war. Irgendwie hatte ich das Gefühl, der Hofer musste jemand gewesen sein, der einerseits die Verzweiflung und das Elend seiner Kameraden sah und nichts tun konnte, und andererseits Verantwortung für sein Leben übernahm, indem er seinen Weg zu Ende ging. Mein Andreas Hofer- Bild war sicherlich geprägt von den Bildern, Stichen und Drucken im Sandhof. Für mich war diese Geschichte eine ganz lebendige, ich stellte in meinen Spielen oft Szenen von den Bildern nach und überlegte mir dabei, wie sich A.H. z. B. seiner Gefangennahme oder der Auseinandersetzung mit seinen Kameraden gefühlt haben muss. So gesehen, hatte ich kein klassisches Heldenbild von Andreas Hofer, sondern interessierte mich eher dafür, wie es den Leuten damals ergangen war. Nachdem wir 1987 vom Sandhof ins Dorf gezogen waren, bekam A.H. auf eine andere Art und Weise Einfluss auf mein Leben: Als es im Unterricht in der Mittelschule um Geschichtskenntnis und Fakten ging, bemerkte ich, dass meine Mitschüler oft „mehr“ wussten und dementsprechend bessere Noten bekamen als ich. Für mich war es „komisch“ Daten und Fakten über Personen zu lernen, die mir irgendwie schon immer vertraut waren. Das historische Ausmaß der Aufstände um 1809 hatte in meinen Kinderspielen nie eine Rolle gespielt. A. Hofer, Haspinger und Co. hatten mich zwar in Bildern durch meine Kindheit begleitet, mit ihrer Bedeutung als histori-
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Iwan Hofer 5
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Jugendarbeit gestern – heute – morgen Kinder brauchen Wurzeln und Flügel
Ehrenamt in der Jugendarbeit – das ist die Geschichte von Jugendlichen mit dem Wunsch nach Spaß und Anerkennung, das ist die Geschichte von jungen Menschen mit der Forderung nach Mitsprache und Mitverantwortung, das ist auch die Geschichte von Kindern und Jugendlichen, die durch ihr ehrenamtliches Engagement Kompetenzen erwerben, die für ihr individuelles und soziales Leben von essentieller Bedeutung sind.
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hrenamt in der Jugendarbeit ist aber auch die Geschichte von privaten und öffentlichen Trägern, die jugendliches Engagement möglich machen und fördern oder aber bremsen und behindern können.
gestern (die Wurzeln) In die Zeit um 1900 fallen die Anfänge der Jugendbewegung und der Beginn der organisierten Jugendarbeit. Sie konnte bereits auf ein Prinzip aufbauen, das ein halbes Jahrhundert früher zum Tragen kam, das einen Teil der öffentlichen Armenhilfe auf der Grundlage der Preußischen Städteordnung zur ehrenamtlichen Aufgabe der männlichen Bürger machte. Die Prinzipien der Jugendbewegten waren „Jugend erzieht Jugend“ und „Jugend führt Jugend“ – also der Grundsatz der wechselseitigen Unterstützung und Hilfe bzw. der Selbsthilfe und Selbstorganisation. Die im Laufe der Zeit entstandenen Jugendorganisationen waren Wertegemeinschaften, die Jugendliche mit gemeinsamen Einstellungen zusammenführten. Die wesentliche Arbeitsform dieser Organisationen war das ehrenamtliche Engagement, festgeschrieben im Jugendpflegeerlass 1911.
heute Die Geschichte der modernen Jugendarbeit in Südtirol beginnt in den 70er Jah6
ren. Aufbauend auf die Wurzeln und auf die Erfahrung, dass die kirchliche Jugendarbeit in den Pfarreien immer mehr zu einer Arbeit für Jugendliche geworden war und getragen vom Wunsch der Selbstbestimmung und der Selbstorganisation entstanden eine Reihe von Jugendorganisationen als eigenständige, freie Träger der Jugendarbeit. Ehrenamtliches Engagement war wiederum der zentrale Antrieb. In den 80er Jahren begann das Werden der Jugendtreffs und Jugendzentren. Zielrichtungen waren die Bewältigung sozialer Probleme Jugendlicher, Alternativen zu kommerziellen Strukturen, Gegensatz zu klar definierten Interessensgruppen und zu öffentlichen Strukturen, die Jugendliche mehr als Objekte der Fürsorge und des vorbeugenden Jugendschutzes begriffen. Und auch in der offenen Jugendarbeit war und ist das bestimmende Element die Ehrenamtlichkeit. Ehrenamtlichkeit ist auch ein Zeichen des Protests junger Menschen gegen etablierte Strukturen und der Initiative für die Schaffung alternativer sozialer Räume. Die Jugendarbeit in Südtirol hat sich in den letzten 25 Jahren zu einem dichten Netzwerk an Infrastrukturen, Gruppen und Projekten entwickelt. Dank vor allem dem Engagement tausender ehrenamtlicher JugendleiterInnen, Verantwortung tragender Vorstände von über 100 Organisationen und Dank einer hohen Be-
reitschaft aller privaten und öffentlichen Träger miteinander partnerschaftlich zusammenzuarbeiten. Dank auch einer substantiellen, zielorientierten und auf tragfähige Konzepte aufbauenden Förderung durch das Land und die Gemeinden. In Südtirol leben über 100.000 Kinder und Jugendliche zwischen sieben und 25 Jahren. Das sind ca. 22 % der gesamten Bevölkerung des Landes. Die Jugendarbeit will für diese Jugendlichen Anregungen und Impulse geben, die eigene Persönlichkeit zu entwickeln, vielfältige Lebenserfahrungen zu machen und gemeinsam mit anderen soziales Verhalten einzuüben. Sie trägt damit auch der Tatsache Rechnung, dass wir von einer wachsenden gesellschaftlichen Nachfrage nach einer Bildung ausgehen müssen, die Persönlichkeitsentwicklung, soziale Kompetenzen und Wertorientierungen umfasst. Die zentralen Ansätze der Jugendarbeit sind dabei das ganzheitliche Lernen und die Förderung personaler und sozialer Stärken. Ihre Chancen bestehen in ihrer strukturellen Offenheit, ihren konzeptionellen Ansätzen, ihren fachlichen Kompetenzen und in ihren Partizipationsmöglichkeiten. Charakteristisch für die Kinder- und Jugendarbeit ist dabei die Freiwilligkeit der Teilnahme, die Selbstbestimmung der Jugendlichen bezüglich Themen, Inhalten und Methoden, die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Normen und Werten und die aktivierenden und motivierenden Formen des Lebens und Lernens. Wie geht es aktuell dem Ehrenamt in diesem Netzwerk der Jugendarbeit? Welche Bedeutung hat das ehrenamtliche Engagement für die Jugendlichen selbst in persönlicher, sozialer und beruflicher Hinsicht? Und für die Gesellschaft insgesamt? Jungen Menschen ist Eigenaktivität, Freu-
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morgen (die Flügel) Nicht nur die Jugendlichen, die sich ehrenamtlich engagieren, sondern auch die Kinder und Jugendlichen, die als TeilnehmerInnen an den Angeboten und Maßnahmen partizipieren, lernen ungemein viel, das für ihre Entwicklung von herausragender Bedeutung ist. Sie erleben Gemeinschaft, sie übernehmen Ver-
antwortung, sie stehen für ihre Interessen und für die Anliegen anderer ein, sie bewältigen Konflikte und Niederlagen, sie planen und organisieren, sie sind aktiv und interessiert. Was will die Gesellschaft mehr? Und was tut sie dafür?
Auszug aus dem Jugendbericht 2020 des Landes Südtirol: „Die Rahmenbedingungen für die Schaffung von Angeboten und Maßnahmen mit und für Kinder und Jugendliche haben sich deutlich verbessert. Die Anteile der Mittel für die Jugendarbeit in den Haushalten von Land und Gemeinden sind deutlich angestiegen. In allen Gemeinden stehen zweckentsprechende, gut konzipierte und vielfältig nutzbare Strukturen für die verbandliche und offene Jugendarbeit zur Verfügung. Die Zahl der ehrenamtlichen MitarbeiterInnen hat als Ausdruck des bürgerschaftlichen Engagements noch nie gekannte Stärke erreicht. Dazu kommt, dass diese ein breites Angebot hochwertiger Aus- und Fortbildungsmaßnahmen nutzen können, was auch zu einer deutlichen Steigerung der Qualität der Arbeit beigetragen hat. Sie erleben zudem, dass
die Bedeutung, der Wert ihres Engagements für ein gedeihliches Gemeinwesen von Politik und Öffentlichkeit anerkannt wird (Studie UNI Bozen 2019). Das Ende des ersten Jahrzehnts skizzierte Plansoll an hauptberuflichen Fachkräften konnte erreicht werden. Kindern und Jugendlichen sowie ehrenamtlichen MitarbeiterInnen stehen heute eine ausreichende Anzahl an hauptamtlichen JugendarbeiterInnen begleitend zur Seite. Und dies in wechselseitiger Wertschätzung. Dank der 2008 begonnen neuen Beteiligungsformen für Kinder und Jugendlichen auf Gemeindeebene ist das Interesse der Jugend an gesellschaftlichen und politischen Fragen sowie ihre Bereitschaft, sich für diese zu engagieren, erheblich gestiegen. Die damals ebenso erkennbaren Trends nach rechts sind irrelevant geworden. Kinder und Jugendliche erleben sich nicht mehr als Problemgruppe, sondern fühlen sich als Heranwachsende mit ihren Bedürfnissen ernst genommen und akzeptiert (Südtiroler Jugendstudie 2018). Jugendarbeit ist zu einem anerkannten Teil des Bildungssystems geworden, getragen vom Ansatz, dass Bildungsprozesse partnerschaftlich in schulischen und außerschulischen Zusammenhängen stattfinden. JugendarbeiterInnen und LehrerInnen haben neue, viel versprechende Kooperationsformen entwickelt, die allen Beteiligten an Lernprozessen Spaß und Mut machen. Bürokratische Überfrachtungen und einschränkende Normierungen konnten zugunsten einer freieren und eigenverantwortlichen Sicht des Menschen deutlich abgebaut werden. Jugendliche müssen sich nicht mehr in frustrierenden bürokratischen Grabenkämpfen aufreiben. Die in der Jugendarbeit im Rahmen des ehrenamtlichen Engagements erworbenen Kompetenzen und Fähigkeiten spielen bei Bewerbungen um Ausbildungs- und Arbeitsplätze eine zunehmende Rolle.“ Ein nur fiktiver Jugendbericht?
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de und Selbstverpflichtung wichtig. Sie möchten etwas bewegen und die Ergebnisse ihres Engagements sehen und auch genießen. Und sie wollen frei sein im Setzen von Prioritäten und wollen sich abgrenzen, wenn sie das Gefühl haben, dass ihnen die Aufgabe zuviel wird. Sie erwarten sich Respekt und gesellschaftliche Anerkennung, soziale Wertschätzung und eine sachliche Unterstützung ihrer Anliegen. Auch die formale Anerkennung der erworbenen Erfahrungen und Kompetenzen, verbunden mit der Erwartung, dass diese in den folgenden Lebensphasen eingebracht werden können. Jugendarbeit ist gerade auch wegen der Ehrenamtlichkeit „ein unverzichtbares Lernfeld für zivile Formen des Interessensausgleichs und für die Beteiligung der Kinder und Jugendlichen an demokratischen Verfahren“ (Deutscher Kinder und Jugendbericht 02).
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Geschichte als Chance Wir fragten ExpertInnen, wie sie Geschichte und Gegenwart verknüpfen.
Brigitte Foppa Brigitte Foppa, 40, ist im Amt für Weiterbildung u.a. für die Aktionstage Politische Bildung zuständig. Nebenberuflich engagiert sie sich für Frauenthemen, für die Partizipation von Eltern an den Schulen und für eine mehrsprachige Kultur. Seit Jänner 09 ist sie eine der beiden LandessprecherInnen der Grünen Südtirols.
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In meinem Leben gab es wenige Augenblicke, in denen mir das Zusammentreffen von Vergangenheit und Zukunft wirklich bewusst wurde. Einer davon war, als mein erstes Kind geboren wurde. Neben tausenden anderen Gefühlen wurde mir auch erstmals klar, dass es nun jemand gab, der nach mir kam, der im Vergleich zu mir die Zukunft war. Vier Jahre später starb mein Vater und da kam dasselbe Thema wieder mit aller Wucht über mich. Es war der aus meinem Leben getreten, der vor mir gewesen war, der meine Vergangenheit un-
wiederbringlich mit sich forttrug. Immer wieder, wenn danach jemand starb, mit dem mich etwas verband, wurde mir klar, dass nun unsere gemeinsame Geschichte nunmehr in mir allein aufbewahrt blieb – und diese mit mir ebenfalls verschwinden würde. Wenn wir diesen kleinen persönlichen Gedanken auf die Gesellschaft umlegen wollen, so ergibt sich daraus die Notwendigkeit erstens der Zeugenschaft, des Erzählens der Vergangenheit, des Aufschreibens. Zweitens trägt dieses Niedergeschriebene aber auch Lehren, Weisheiten in sich. Ob wir diese erfassen, hängt wesentlich davon
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Norbert Parschalk Norbert Parschalk, Jahrgang 1967, wohnhaft in Vahrn; 1993: Doktorat in Zeitgeschichte zum Thema „Brixen 1918-1939“ an der Universität Innsbruck; von 1994 bis 2006 Oberschullehrer in den Fächern Geschichte, Deutsch, Philosophie in Brixen, Bruneck und Mals; derzeit Doktorand an der Uni Bozen/Brixen im Bereich Geschichtsdidaktik zum Thema: „Geschichtsunterricht in den Abschlussklassen deutscher Oberschulen in Südtirol“. [E-Mail: nparschalk@unibz.it]
Warum sollen sich Jugendliche heute noch daran erinnern, dass vor über 200 Jahren Andreas Hofer nicht nur sein Heimatland mit Waffengewalt verteidigt, sondern sogar sein Leben geopfert hat? Ganz sicher werden sie darauf nicht eingehen, wenn dieses Thema sie nicht anspricht. Es sind vor allem die modernen Medien, die auch im Bereich Geschichte durch geschickte Kombination von Sprache, Bildern,
Musik und Effekten immer auf Spannung, Geheimnisse, Mythen und Rätsel setzen. Dies ist auch im „Hofer-Gedenkjahr“ 2009 der Fall. Die meisten Jugendlichen werden – ob sie wollen oder nicht – auf den Helden, die Persönlichkeit und die Person Andreas Hofer durch die Medien, im Geschichtsunterricht oder bei Besuchen von Gedenkstätten aufmerksam gemacht. Besitzt der Zugang zu den geschichtlichen Ereignissen aus dem Jahre 1809 nicht eine emotionale Basis, so lassen sie das gebotene „Pflichtprogramm“ einfach über sich ergehen, verinnerlichen aber nicht im Geringsten Jahreszahlen, Fakten und zur Schau gestellte historische Gegenstände. Die Frage, ob der Mythos Andreas Hofer für die heutige Jugend eine Bedeutung hat oder für sie nur eine Provokation ist, kann von ihnen nur dann beantwortet werden, wenn sie das Interesse und die Bereitschaft aufbringen, sich mit den geschichtlichen Ereignissen ausführlich auseinanderzusetzen. Nur so lässt sich der über Jahrhunderte gewachsene Mythos „Andreas Hofer“ entschlüsseln. Die uns heute überlieferte Geschichte wird in ihrer Entstehung hinterfragt und in vielen Punkten relativiert. Der uns bekannte Held wird dann wieder zum Menschen mit all seinen Stärken und Schwächen. Dies ist für Jugendliche von heute sicherlich nicht uninteressant, sind sie doch mit unzähligen Helden der Gegenwart konfrontiert, die allein durch die Medien dazu gemacht wurden.
Martha Verdorfer Martha Verdorfer, unterrichtet Geschichte und Philosophie am Humanistischen Gymnasium in Bozen, befasst sich mit historscher Frauen- und Geschlechterforschung, Südtiroler Zeitgeschichte, Lebensgeschichte und Oral History, Präsidentin des Frauenarchivs Bozen. Gedenkjahre sind meist eine zwiespältige Angelegenheit. Sie bieten einerseits
die Chance einer kollektiven und öffentlichen Auseinandersetzung mit Geschichte, die Möglichkeit der breiten Diskussion zur Bedeutung der Vergangenheit für die Gegenwart und Zukunft. Gedenkjahre laufen aber immer auch Gefahr zu einem ritualisierten, perspektivisch verengten und politisch instrumentalisierten Umgang mit Geschichte zu verkommen und das nicht nur dort, wo sie offiziell ausgerufen werden. Die Auswahl und die Verabsolutierung bestimmter historischer Begebenheiten dienen immer wieder Gruppierungen bzw. Parteien zur Legitimierung der eigenen Position. Eine wichtige Frage ist, welche historischen Ereignisse für würdig befunden werden in den Rang eines Gedenkjahres erhoben zu werden, wer die Macht und Möglichkeit hat, darüber zu befinden und welche Interessen damit verbunden sind. Die Gedenkjahre im Zusammenhang mit 1809 stehen zweifellos in einer problematischen Tradition. Sie haben in der Vergangenheit weniger dazu gedient, sich wirklich mit den historischen Ereignissen von 1809 zu befassen, sondern viel eher dazu, eine symbolische Gemeinschaft zu konstruieren, die auf ethnische und religiöse Geschlossenheit rekurrierte, um sich damit von anderen, als fremd empfundenen Menschen bzw. Einflüssen abzugrenzen. 1809 zogen die Tiroler gegen die Ideen der Aufklärung, der Säkularisierung und Modernisierung ins Feld und in der Folge wurde Andreas Hofer zum immer wieder ge- und missbrauchten Symbol für Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit und Antiitalianismus. 2009 könnte auch Anlass sein sich zu überlegen, ob es nicht andere erinnerungswürdige Ereignisse gäbe, die in den Status eines „Landesgedenktages“ erhoben werden könnten. Eines, das mehr als es 1809-2009 kann - alle in Südtirol lebenden Menschen betreffen und angehen würde. Vielleicht ist es möglich eine Zukunft zu denken, die 1809 nicht aus dem historischen Gedächtnis streicht, es aber nicht mehr als rituell wiederkehrendes offizielles Gedenkjahr braucht. Das würde mir gefallen.
Vergangenheit trifft Zukunft
ab, wie wir uns diesem alten Wissen nähern. Wir können uns mit Geschichtsfetzen begnügen, mit leichten Mythen, mit groben Vereinfachungen. Oder aber auf die Nuancen achten, Zwischentöne heraushören und mit einem kritischen und manchmal auch skeptischen Blick in die Vergangenheit schauen. Dann wird es so wie mit den Familiengeschichten: Es gibt wenig Gewissheiten und viele verschiedene Versionen des Erinnerten und Erzählten. Das macht sie vielleicht zweifelhaft, aber auch facettenreich, und genau darin liegt das „Eigene“. Schauen wir deshalb immer wieder hinter die Fassade und analysieren wir das dahinter Liegende. Demontieren wir die Helden und suchen wir nach den Menschen. In denen liegt nämlich das Gegenwärtige. Und das, was uns Menschen eint. Das Sein.
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