8 minute read

«Wir wollten keine Mitglieder zweiter Klasse sein»

«Ein heftiger Knall wäre besser gewesen»

«Sozial, demokratisch, ökologisch» – so lautet der Slogan der Freien Liste, hinter dem auch Nadine Gstöhl und Ute Jastrzab standen. Gstöhl kandidierte für den Landtag und erlangte ein Mandat als stellvertretende Abgeordnete, Jastrzab kandidierte 2019 in Schaan für den Gemeinderat und war im Vorstand der Partei. Seit dem 27. August sind sie keine Mitglieder der Freien Liste mehr. Zu viel ist vorgefallen, dass die beiden weder als sozial noch als demokratisch wahrgenommen haben. Interview: Heribert Beck

Über die Querelen in der Freien Liste ist nach und nach vieles an die Öffentlichkeit gelangt. Wie würden Sie das Problem der Partei zusammenfassen? Ute Jastrzab: Kurz gesagt: In der Freien Liste ist wenig Platz für unterschiedliche Ansichten. Viele der «alten Garde» möchten, dass alles bleibt, wie es ist, beziehungsweise dass alles läuft, wie sie es für richtig halten. Es gibt kaum Raum für echte Weiterentwicklung. Statt auf Dialog und Einbindung aller wird auf Druck gesetzt. Das hat mich schon zu meiner Zeit im Vorstand überrascht. Dort tat sich das damalige Co-Präsidium schwer, wenn es nicht nach seinen Vorstellungen lief. Wurden die beiden Co-Präsidenten Pepo Frick und Conny Büchel-Brühwiler überstimmt, erhöhten sie in der nächsten Sitzung den Druck. Ihr Handeln im Vorstand und gegenüber der Geschäftsstelle war oft weder demokratisch noch sozial. Zuletzt in Sachen vorsorglicher Kündigung des Geschäftsführers aus angeblich finanziellen Gründen und gegen den Willen des Restvorstands. Auch der Umgang mit den Mitarbeitern der Geschäftsstelle wurde heftig kritisiert. Mit jedem Lösungsvorschlag des Vorstands zündete das Co-Präsidium die nächste Eskalationsstufe, was in der Kündigung des Geschäftsführers und dem Antrag auf eine ausserordentliche GV durch Nadine Gstöhl gipfelte. Es ging den Co-Präsidenten vor allem darum, Macht zu demonstrieren und um Bestandswahrung – leider sind die beiden damit nicht allein. Das war mir lange nicht bewusst.

Frau Gstöhl, Sie haben damals mit neun weiteren Mitgliedern die ausserordentliche GV beantragt. Es ist dann doch ein Stillhalteabkommen bis nach den Wahlen daraus geworden. Hätten Sie rückblickend auf einer ausserordentlichen GV bestehen sollen? Nadine Gstöhl: Pepo Frick und Conny Büchel-Brühwiler haben damals die Vereinbarung unterschrieben, die auch beinhaltete, dass sie sich nach den Wahlen aus dem Präsidium zurückziehen. Daraus resultierte, dass sich alle Landtagskandidaten, die sich aufgrund des Verhaltens des Co-Präsidiums bereits zurückgezogen hatten, wieder zur Wahl stellten und sich drei von vier demissionierten Vorstandsmitgliedern bereiterklärten, ihre Vorstandsarbeit bis zur nächsten ordentlichen GV zum Wohl und Erfolg der Freien Liste wieder aufzunehmen. Nach den Wahlen sah alles plötzlich anders aus. Die Vereinbarung wurde von Pepo und Conny als Knebelvertrag angesehen, und sie beanspruchten wieder ihre Position als Co-Präsidenten. Die damaligen Vorstandmitglieder wurden vor Gericht gezerrt. Rückblickend wurden der Vorstand und ich einfach nur belogen.

Ute Jastrzab: Heute wäre es mir lieber, die Vereinbarung wäre nicht zustande gekommen. Mit dem Verhindern der ausserordentlichen GV durch die Verein-

Nadine Gstöhl

barung wurde der wohl demokratischsten Akt in diesem ganzen Drama abgeblockt. Ein heftiger Knall und ein sauberer Schnitt wären sicher besser gewesen als das, was danach gekommen ist. Es war nicht absehbar, dass die Co-Präsidenten sich nicht an die Vereinbarung halten würden, die im besten Interesse der Freien Liste getroffen wurde. Es ist mir heute noch unbegreiflich, warum sie der Freien Liste ohne Not einen solchen Schaden zugefügt haben. Leider zeigte sich an der GV vom 27. August, dass die Mehrheit der Anwesenden die Handlungen des alten Co-Präsidiums offenbar nicht so dramatisch sah und kein Interesse am Dialog hatte. Man wolle nach vorne schauen, lautete der Tenor. Dazu entschloss ich mich dann auch und verfasste meinen Parteiaustritt noch an der Sitzung handschriftlich. Nadine Gstöhl: Diese GV steht für mich sinnbildlich für das, was ich in den vergangenen Monaten innerhalb der Freien Liste erlebt habe. Besonders die Mitglieder rund um das ehemalige Co-Präsidum wollten nicht hören, was wir zu sagen hatten. Es schmerzt nicht, über das Geschehene zu reden. Vielmehr schmerzt es, dass man nicht gehört werden will. Respekt ist etwas anderes, gerade in einer Partei, die sich auf die Fahnen schreibt, wie demokratisch und sozial sie ist. Besonders Thomas Lageder und ich wurden für unsere angebliche Verweigerungshaltung bei der Aufarbeitung des Konflikts heftig kritisiert. Meine persönliche Stellungnahme zur Chronik, die Ute über die Vorgänge erstellt und für den Schlussbericht von Peter Bussjäger und Valentina Baviera eingereicht hat, wurde nirgendwo erwähnt. Dass

der ehemalige Co-Präsident ebenfalls nur teilweise an der Aufarbeitung teilgenommen hat, scheint aber kein Problem zu sein.

Ute Jastrzab: Meine Hoffnung auf eine Verbesserung der Verhältnisse in der Freien Liste knüpfte ich stark an den neuen Interimsvorstand und an eine umfassende ehrliche Aufklärung. Diese Hoffnung wurde jedoch leider enttäuscht. Uns war es immer ein Anliegen, sauber und mit offenen Karten zu spielen. Aber das ist selten erfolgreich, wenn nur eine Seite sich so verhält. Wir wurden vorgeführt, und alles Mögliche wurde gegen uns ausgelegt. Dennoch haben wir uns an der Aufarbeitung beteiligt und sind für den Dialog immer offengeblieben.

Was haben Sie sich trotz allem von der GV am 27. August erhofft? Nadine Gstöhl: Nichts mehr. Und dennoch haben der Ablauf und die bereits angesprochene Respektlosigkeit mich überrascht. Damit war nochmals ein neuer negativer Höhepunkt erreicht. Schliesslich hat diese GV mich noch ein letztes Mal darin bestärkt, aus der Freien Liste auszutreten.

Ute Jastrzab: Ich war vielleicht etwas naiv. Der neue Vorstand, insbesondere wegen des Einsitzes von Manuela Halnder-Schierscher, Sebastian Meier und Stefan Becker, hatte mich positiv gestimmt. Aber die Abläufe an diesem Abend haben mich endgültig auf den Boden der Tatsachen geholt. Die «alte Garde» wird weiterhin die Linie der Freien Liste vorgeben beziehungsweise stark beeinflussen, egal wer im Vorstand ist. Sie entscheiden an einer GV mit ihren Stimmen und denjenigen ihres Umfelds und berufen eine ausserordentliche GV ein, wenn ihnen etwas nicht passt. Die Verbissenheit und Arroganz gegenüber den Jüngeren, insbesondere der Jungen Liste, an der GV hat mich schockiert. Es scheint Mitglieder erster und zweiter Klasse zu geben. Die Altersgruppe 19 bis 49 hat klar das Nachsehen. Eine Weiterentwicklung der Freien Liste wird offenbar nicht gewünscht.

Ute Jastrzab

Die Aussage «Man kann nicht alle mitnehmen» als Reaktion auf die Austritte finde ich sehr vielsagend.

Nadine Gstöhl: Diese Partei wird im Hintergrund von einer Gruppe von Mitgliedern geleitet. Das hat früher schon zu gelegentlicher Kritik geführt, allerdings von Einzelpersonen, mit denen die «alte Garde» jeweils fertig geworden ist, indem die Kritiker übergangen und ausgebootet worden sind. Dass es nun eine ganze Reihe von Personen war, die ihren Unmut geäussert hat, wurde in den Co-Präsidien und deren Umfeld offenbar als Bedrohung wahrgenommen.

Wie fühlt sich Ihr Austritt mit einigen Tagen Abstand an? Immerhin haben Sie sozusagen die politische Heimat verloren. Ute Jastrzab: Mein Austritt hat mich betroffener gemacht, als ich zunächst gedacht hätte. Ich war wider Erwarten traurig statt erleichtert, da ich mit der Freien Liste gerne den Weg in die Zukunft gegangen wäre. Ich hätte die Partei ebenso gerne dabei unterstützt, einmal über mehr als drei Mandate zu verfügen und entsprechendes politisches Gewicht hinzuzugewinnen. Wir waren auf einem guten Weg. Ich war sehr guter Dinge, dass wir den Schwung aus den Gemeindewahlen mitnehmen und weiterhin von der europaweiten grünen Welle profitieren können. So viele tolle Menschen haben sich in der Partei engagiert. Ich denke zum Beispiel daran, wie die Junge Liste mich beeindruckt hat. Engagierte junge Erwachsene, welche die Zukunft der Freien Liste aktiv mitgestalten wollen. Diesen Enthusiasmus hatte ich ja selbst. Darum habe ich mich bereiterklärt, im Vorstand mitzuarbeiten und dort etwas zu bewegen. Da ich annahm, dass der Konflikt unter Kontrolle war, hatte ich ein gutes Gefühl für die Zeit nach der Landtagswahl. Besonders in der «Krisenzeit» hat sich auch gezeigt, was für ein gutes Team die ehemaligen einfachen Vorstandsmitglieder waren, und mit Michaela Hogenboom hatten wir eine fähige sowie ideenreiche Interims-Geschäftsführerin gefunden. Es wäre definitiv viel möglich gewesen, wenn sich alle an das Stillhalteabkommen gehalten hätten. Doch seit Ende März, als die Co-Präsidenten dieses Abkommen einseitig nicht mehr als verpflichtend angesehen und ohne Not die Öffentlichkeit gesucht haben, sieht die Welt der Freien Liste wieder anders aus. Es wird noch eine Weile dauern, bis sie sich davon erholt hat. Vieles wurde nicht wirklich geklärt. Nötig wären dieser Eklat und der Affront gegenüber den FL-Wählern nicht gewesen. Für mich gab es eigentlich immer nur die Freie Liste, aber ich habe, bei aller Liebe, keine Lust, an jeder Generalversammlung grund- und am Ende sinnlose Kämpfe zu führen. Daher spüre ich mittlerweile auch eine gewisse Erleichterung.

Nadine Gstöhl: Für euch ehemalige Vorstandsmitglieder hat es mir leidgetan. Besonders diese Negativität, die gewisse Mitglieder euch entgegengebracht haben. Der ehemalige Vorstand wurde im Geschäftsbericht mit keinem Wort erwähnt, und als ich ihnen für ihren Einsatz gedankt habe, ging ein respektloses Raunen einiger Mitglieder durch den Saal. Aber im Prinzip ging es mir gleich wie Ute. Für eine Landtagskandidatur habe ich mich entschieden, da ich in der Geschäftsstelle, die sich bei uns im Haus befand, und an Anlässen viele engagierte Mitglieder der Freien Liste kennenlernen durfte. Jetzt bin ich nur noch erleichtert, dass es vorbei ist.

Werden Sie sich in Zukunft wieder in irgendeiner Gruppierung politisch einbringen? Ute Jastrzab: Das kann ich heute noch nicht sagen. Den uns unterstellten bösen Masterplan gibt es aber genauso wenig wie das sogenannte «Lageder-Lager». Wir sind keine geschlossene Gruppierung. Dementsprechend gibt es auch keinen Plan für die Gründung einer neuen Partei. Ihre politische Heimat haben in diesem Jahr jedoch nicht nur wir beide, sondern auch rund 20 andere Mitglieder der Freien Liste verloren – und vermutlich ebenfalls viele Wähler, die keine Mitglieder waren. Ich habe jedenfalls zunächst keine Pläne. Aus vielen Gesprächen mit Wählern und unter Berücksichtigung der Klimaproblematik kann ich mir aber vorstellen, dass sich in den kommenden ein, zwei Jahren etwas ganz organisch entwickeln könnte – mit starkem Fokus auf Klima- und Energiepolitik.

Nadine Gstöhl: Ich musste das Geschehene zuerst verarbeiten und die ganze Angelegenheit bis zu meinem Austritt am 27. August zu Ende bringen. Folglich habe ich keinen Gedanken an eine neue Partei verschwendet. Ausserdem wäre es für mich ohnehin kein ehrlicher Weg gewesen, als Freie Liste-Mitglied bereits eine neue Partei zu planen oder zu organisieren.

This article is from: