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Cannabis und Mutterschaft
from Medijuana 66
Der wichtigste Aspekt beim Graskonsum von Eltern ist das Maß
Cannabis wird heute schon von wahnsinnig vielen Menschen regelmäßig konsumiert, und so verschwinden nach und nach auch die Tabus, mit denen es behaftet ist. Da immer mehr Länder den Gebrauch von Cannabis gesetzlich erlauben, ist es möglich, das Thema auch eingehender zu untersuchen.
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Heute wollen wir ein bisschen über die Unklarheiten im Zusammenhang mit dem Marihuana-Konsum von Frauen sprechen. Im letzten Jahrzehnt hat die Geschlechter-Stigmatisierung, die kennzeichnend für die Cannabis-Kultur ist, bereits etwas nachgelassen. Denn obwohl die kiffenden Ikonen der Popkultur zum Beispiel alle Männer waren – wie etwa Bob Marley, Cheech und Chong oder Snoop Dogg –, kamen die Frauen ebenso in den Genuss der Pflanze, nur wurde darüber wegen der kritischen Einstellung der Gesellschaft lange Zeit nicht offen gesprochen. In Anbetracht der Legalisierungswelle äußern aber jetzt zunehmend mehr Frauen ihre Meinung, berichten von ihren Gewohnheiten und erzählen ihre Geschichten.
Carol Francey aus Toronto hat zum Beispiel das erste Mal 1966 mit siebzehn Jahren Gras geraucht und bis zum ihrem vor kurzem eingetretenen Tod auch nicht damit aufgehört. Allerdings musste sie diese Gewohnheit aufgrund der Vorurteile im Zusammenhang mit dem Cannabis-Gebrauch während ihres Lebens größtenteils geheim halten. Carol war eine kiffende Mutter, die als Grundschullehrerin arbeitete, daher hätte man sie unter mehreren Gesichtspunkten stark verurteilt. In ihrem ganzen Leben verwendete Carol Cannabis zur Entspannung und aus medizinischen Gründen. Wie sieht wohl die derzeitige gesellschaftliche Norm aus? Wird es heutzutage akzeptiert, wenn eine Frau oder sogar Mutter Gras raucht?
Man hört oft von Müttern, die sich, nachdem sie ihr Kind ins Bett gebracht haben, mit einem Gläschen Rotwein von den Strapazen des Tages erholen. Doch was ist da der Unterschied, und warum wird es gesellschaftlich schärfer verurteilt, wenn man den Wein durch etwas Gras ersetzt? Verhalten sich Eltern weniger verantwortlich, wenn sie unter einem Dach mit ihren Kindern Cannabis konsumieren? Da bekannt ist, welche bedeutende Rolle Alkohol bei Gewalt innerhalb der Familie spielt und wie relativ gering dieses Risiko bei Cannabis ist, lohnt es sich, bei der Stigmatisierung von kiffenden Eltern darüber nachzudenken, ob unser Verhältnis zum angeblich gemäßigten Alkoholkonsum von Eltern richtig ist. Überlegen wir doch nur einmal: Wenn jeder alkoholabhängige Vater, der seine Familie schlägt, das Glas gegen eine Pfeife eintauschen würde, fiele die Anzahl der zu Hause verübten Gewalttaten auf einen Bruchteil zurück!
Doch zurück zu den Müttern! Etwa 2018 organisierte sich in den USA eine Bewegung, die sich erstmals zum Ziel setzte, kiffende Mütter in einer Community zu vereinen. Seitdem gibt es unzählige solcher Gruppen, in denen Cannabis konsumierende Mütter offen reden und sich beraten können. Mitglied einer solchen Gruppe ist auch die USAmerikanerin Latrese Thomas, Mutter von drei Kindern, die der Meinung ist, dass sich der Graskonsum ebenso wie ein Glas Wein am Abend mit dem Erziehen von Kindern vereinbaren lässt. Nach einem langen Tag mit ihren drei Kindern hat sich Latrese – vor allem während der Pandemie –, nachdem abends alle drei eingeschlafen waren, meist Wasser eingelassen, etwas cannabishaltiges Badesalz hineingestreut und sich mit ihrem Vaporizer in die Wanne gelegt. Sie hat auch erzählt, dass Gras ihr helfe, ihre Angstzustände als Mutter in den Griff zu bekommen.
Die Community der Cannabis konsumierenden Mütter will darauf aufmerksam machen, dass der größte Irrglaube im Zusammenhang mit ihrem Graskonsum ist, dass sie rauchen, um high zu werden. Einerseits kann man Gras heute schon in unzähligen Formen verwenden – so sind bei den Müttern verschiedene Erfrischungsgetränke, Speisen, Kosmetika und auch Tees sehr beliebt, der Graskonsum kann also nicht unbedingt mit dem Rauchen in Verbindung gebracht werden. Andererseits darf man die positiven phy- siologischen Wirkungen der Pflanze ebenfalls nicht außer Acht lassen: Gesichtspunkte für Mütter können zum Beispiel die Verwendung von Cannabis als natürliches Schmerzmittel bei Menstruationsbeschwerden oder seine stresslösenden Eigenschaften sein.
Barinder Rasode, ebenfalls Mutter von drei Kindern, ist der Meinung, dass das Gras nicht nur ihre Ängste gelindert, sondern sie auch als Mutter viel geduldiger gemacht hat. Sie ist zum Beispiel ein Fan des sogenannten microdosing, konsumiert Cannabis also nur in sehr geringen Mengen. Sie bekommt dadurch eine etwas andere Sicht auf die Dinge, ihre Gedanken und Aufgaben verlangsamen sich in ihrem Gehirn, und sie kann besser fokussieren, kann das Jetzt leichter erleben und sich kreativer mit ihren Kindern beschäftigen.
Wichtig ist allerdings, sich auch mit der Frage zu auseinanderzusetzen, welchen Einfluss es auf Kinder hat, wenn sie ihre Mutter zu Hause beim Kiffen sehen. Kinder, die wahrnehmen, dass ihre Eltern zu Hause regelmäßig trinken, werden mit doppelt so großer Wahrscheinlichkeit der Leidenschaft des Trinkens frönen wie Gleichaltrige. Eine ähnliche Studie ist im Zusammenhang mit Cannabis vorerst nicht bekannt, doch kann man getrost davon ausgehen, dass das Interesse der Kinder am Kiffen früher als notwendig geweckt wird, wenn man ständig um sie herum qualmt, und das Rauchen von Gras im Teenageralter geht mit bedeutenden Risiken einher. The Guardian hat ein paar kiffende Eltern zu diesem Thema befragt, und zwei Mütter äußerten sich, wie folgt:
„Mein Mann und ich zünden uns nur dann einen Joint im Freien an, wenn die Kinder schon im Bett sind, und ich dröhne mich nie total zu. Wenn Eltern in der Nähe ihrer Kinder sitzend ruhig Bier oder Wein konsumieren dürfen, dann sollte man auch den Joint nicht anders bewerten.“ – Merry, London
„Ich kiffe gewöhnlich nicht in der Nähe meiner Tochter, sondern ziehe mich in das Zimmer im oberen Stockwerk, also entsprechend weit zurück. Es macht mich ge- duldiger, ich bin weniger gereizt. Wenn ich tagsüber Cannabis rauche, dann lässt meine Aktivität nach, und ich spiele nicht so viel mit ihr wie sonst, sodass ich mir das eher für den Abend aufhebe.“ – Tannis, Halifax
Aber wie sieht es aus mit Cannabis, das während der Schwangerschaft konsumiert wird? Die Forschung hat noch keine ganz genauen Angaben darüber, wie es sich langfristig auswirkt, wenn eine Frau während ihrer Schwangerschaft regelmäßig Marihuana konsumiert, doch beschäftigen sich schon diverse Studien mit diesem Thema.
Das Forschungsprojekt Moms + Marijuana an der University of Washington verfolgt den Cannabisgebrauch von schwangeren Frauen vom ersten Trimester bis zur Geburt des Kindes. Schwangere konsumieren in der Regel zweimal wöchentlich Gras, meist um ihren Brechreiz am Morgen zu lindern. Sechs Monate nach der Geburt wird dann das Gehirn der Säuglinge untersucht, um die möglichen Auswirkungen von Cannabis festzustellen, inbegriffen die motorische und kognitive Entwicklung sowie Gesundheitszustand und soziales Verhalten.
Laut einer anderen Studie kann täglicher Cannabiskonsum während der Schwangerschaft das Risiko eines niedrigen Geburtsgewichts, einer geringen Widerstandsfähigkeit gegen Infektionen und eines Sauerstoffmangels erhöhen, andere Anomalien wurden allerdings nicht festgestellt.
Dr. Natalia Kleinhans, Radiologin an der UW Medicine, hat betont, dass ein Teil der Medikamente gegen morgendlichen Brechreiz angewandt werden, ohne dass sie zuvor an schwangeren Frauen getestet worden seien, während Cannabis aufgrund seines schlechten Rufs vorerst bei ähnlichen Behandlungen gar nicht erst in Frage komme.
Die Welt, die Akzeptanz durch die Menschen und die Wissenschaft müssen sich im Hinblick auf Cannabis noch unglaublich viel weiterentwickeln, sicher aber ist, dass die Gesellschaft einen neuen und offeneren Weg eingeschlagen hat, und es heute schon vorkommen kann, dass eine Mutter, nach- dem sie ihr Kind zu Bett gebracht hat, zur Entspannung einen Joint raucht. Die Legalisierungswellen, die Gründung von Cannabis-Communities, die diesbezüglichen Forschungen und Diskurse fördern allesamt die Enttabuisierung und Akzeptanz des Themas. Der wichtigste Aspekt beim Graskonsum von Eltern ist das Maß, denn Canna- bis-Konsum und Elternrolle lassen sich durchaus in Einklang bringen, wichtig ist nur, dass es bewusst und verantwortungsvoll geschieht.
text: Josef König