magnus lindkvist
Wenn Die Zukunft k o m m t
Midas Management verlag
m ag n u s li n d k v i st
Wenn die Zukunft kommt Eine Anleitung zum langfristigen Denken
Midas Management Verlag St. Gallen • Zßrich
Wenn die Zukunft kommt Eine Anleitung zum langfristigen Denken
1. Auflage © 2014 Midas Management Verlag AG ISBN 978-3-907100-60-8 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar Übersetzung: Claudia Koch und Kathrin Lichtenberg Deutsche Bearbeitung: Gregory C. Zäch Satz: Ulrich Borstelmann, Dortmund Cover: Agentur 21, Zürich When the Future begins – A Guide to Long-Term Thinking © by Magnus Lindkvist | LID Publishing Ltd. 2013 Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung der Texte und Bilder, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in Seminarunterlagen und elektronischen Systemen. Midas Management Verlag AG, Dunantstraße 3, CH 8044 Zürich Mail: kontakt@midas, Social Media: »midasverlag«
I n h a lt
KA P ITEL 1
Von der Zukunft verf체hrt
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KA P ITEL 2
Eine Welt des Zukunftsdenkens
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KA P ITEL 3
Zukunftsforschung: Kunst oder Wissenschaft?
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KA P ITEL 4
Zukunfts-Denkfallen
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KA P ITEL 5
Die Zukunft schaffen und 채ndern
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Freunde und Feinde der Zukunft
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Das ewige Versprechen
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Anmerkungen
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von der zukunft verf端hrt
Z wie Zukunft Wir leben in der Zukunft – der Zukunft der Vergangenheit. Doch während die Zukunft der Vergangenheit glänzend war, technisch, glücklich und konfliktfrei, weil uralte Probleme gelöst wurden, sind die 2010er Jahre ziemlich konfus. Ich sitze an einem wolkenlosen Sommerabend auf meiner Terrasse in einem Stockholmer Mittelklassevorort. Nichts in meiner Umgebung ist älter als 100 Jahre. Die Gebäude stammen aus den späten 1980er Jahren und sehen langsam alt aus. Die Autos, die entlang der Straße geparkt sind, – eine beliebige Auswahl aus den letzten 15 Jahren. Der Sommerhimmel erinnert mich an meine Kindheit vor etwa drei Jahrzehnten. Meine Jeans, die ich nur noch zu Hause zu tragen wage, waren etwa zur gleichen Zeit modern wie Bon Jovi. Die Zukunft sieht überhaupt nicht so aus wie Die Zukunft. Um ehrlich zu sein, sieht sie aus wie ein Mix aus verschiedenen Zeiträumen. Meine Gedanken schweifen ab. In der Zukunft leben wir alle auf dem Mars. Oder in irgendeinem anderen fernen Teil der Galaxis. Gekleidet in digitale, iPod-weiße Uniformen, die ständig unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden überwachen, werden wir leben, bis wir 200 Jahre alt sind. Mindestens. Arbeit ist ein Ding der Vergangenheit und anstatt uns für unsere Mühe zu bezahlen, belohnt man uns für die Schönheit unserer Gedanken. Auch Nationalitäten und
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Hautfarben kennt man nur noch aus der Erinnerung, wenn der Genpool der Welt zu einem einzigen Gebilde verschmilzt – ein Ergebnis globaler Mischehen und der Fortpflanzung über alle Grenzen hinweg. In der Zukunft übertragen und manipulieren wir Materie ebenso leicht wie heutzutage Bits und Gene. Wenn wir etwas brauchen, stellen wir es einfach her. Bei Bedarf. Ganz egal, ob es ein Autoteil ist oder die perfekte Replik einer Streitaxt aus dem 14. Jahrhundert. In der Zukunft sind Armut und Hunger nur noch Seiten in den seltener besuchten Bereichen der WikipediaNachfolgerin, die wiederum schon während der Kindheit per Injektion verabreicht wird. Wissen als Impfung. In der Zukunft sind wir weiser, glücklicher, gesünder und reicher. In der Zukunft. Die drei Wörter mit dem größten Sex-Appeal der Welt. Sexy deshalb, weil die Wörter »In der Zukunft« unseren Verstand verführen und ihn in einen imaginären Raum locken, in dem alles besser ist als heute. Oder schlechter. Eine mentale Zuflucht vor der Tyrannei des Hier und Jetzt. Dieses Gefängnis der Gegenwart. »In der Zukunft« ist nicht nur ein Notausstieg. Es ist auch ein Schlüssel. Zwischen jetzt und der Zukunft liegt eine Tür, die nur geöffnet werden kann, wenn wir darüber nachdenken, was weit hinter dieser Tür liegt. Gleich hinter der Schwelle liegt das Morgen, ein imaginärer Dienstag. Wenn wir aber weiter in die Dunkelheit wandern, können wir erkunden, welche Freuden oder Sorgen der nächste Sommer bringen könnte. Oder der Ruhestand. Oder der Ruhestand unserer Enkelkinder.
v o n de r z u k u n f t v e r f ü h r t
»In der Zukunft« ist eine Droge, eine bewusstseinsverändernde Substanz. »In der Zukunft« ist eine Waffe. In den Händen eines visionären Politikers oder eines wagemutigen Unternehmers können diese Worte Skeptiker bekehren. »In der Zukunft« ist zu einem globalen Zeitvertreib geworden. Beim Übergang von einer Welt, in der uns die meisten Entscheidungen abgenommen wurden, zu einer Welt, in der wir zu einem Leben ewiger Freiheit und Wahlmöglichkeiten verdammt sind, finden wir uns nur zurecht, wenn wir erkunden, was uns unterschiedliche Wege bringen oder auch nicht bringen könnten. Und es gibt keine richtige Antwort. Wie sollte das auch gehen? Es gibt kein anderes Sie, das in die entgegengesetzte Richtung läuft, das gerade nicht diese Zeilen liest. »In der Zukunft« ist der Grund, warum es dieses Buch überhaupt gibt.
Die Bedeutungen eines Wortes Wir benutzen dasselbe Wort für die kommenden Millisekunden und das nächste Jahrtausend. Doch damit verlieren wir Informationen. Die kommenden Sekunden können genau genommen Teil der Zukunft sein, dennoch reservieren wir den Begriff »Die Zukunft« für weiter entfernte Zeiten und Orte, sei es den Traum urlaub, den wir eines Tages zu genießen hoffen, das Leben, das unsere Kinder einmal führen könnten, wenn
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sie erwachsen und zuhause ausgezogen sind, oder ein beliebiges, weit entferntes Datum, wie den 31. Juli 2048. Diese immer gleichen Worte verschleiern die Tat sache, dass die Zukunft ein Konglomerat aus Daten, Situationen, Hoffnungen, Gebeten, Orten und Träumen ist. Über die Zukunft nachzudenken, bedeutet, dass man durch einen Bruchteil dieses vielschichtigen Universums flitzt.
»Was soll ich an diesem Wochenende machen?« »Soll ich in Aktien oder Rentenpapiere investieren oder alles verschleudern, als gäbe es kein Morgen?« »Ist der Klimawandel real?« »Werden wir irgendwann Leben im Weltall finden?« »Werde ich heiraten?« »Werde ich in Kalifornien glücklicher sein?« »Wann werde ich sterben?«
Die Zukunft ist ebenso wie die sprichwörtliche Möhre an der Angel eine mentale Konstruktion und ebenso wie eine Erinnerung existiert sie eigentlich nicht. Doch mit solchen Fragen können wir untersuchen, was hinter unserer unmittelbaren Situation liegt, und uns zwischen den Straßen, Träumen und Albträumen zurechtfinden, die vielleicht auf uns warten. Aus Gründen der Einfachheit bietet es sich an, sich das Ganze als dreidimensionalen Würfel vorzustellen.1
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Dieser Würfel repräsentiert den mentalen Raum, der von der Zukunft eingenommen wird. Wenn wir darüber nachdenken, reisen wir zwischen den unterschiedlichen Räumen im Inneren des Würfels hin und her.
Klare oder verschleierte Sicht?
Einiger Dinge können wir uns ziemlich sicher sein, wie etwa unserer Sterblichkeit oder der Richtung, die ein Tennisball nimmt, wenn man ihn fallenlässt. Anderes dagegen kann man unmöglich wissen. Wie das Wissen selbst. Was werden wir in Zukunft wissen und wie werden wir an dieses Wissen gelangen? Eine klare oder verschleierte Sicht spiegelt diese beiden Blickwinkel wider, die uns wiederum auf unterschiedliche Weisen beeinflussen. Die Dinge, die wir klar sehen, werden üblicher-
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weise nicht als »Zukunft« eingeordnet, sondern als Gesetze der Physik, als Fakten des Lebens oder einfache Routinen, während die Dinge, die sich hinter dem Schleier verstecken, offen sind für Interpretationen, Mythenbildung und Angst. Große oder kleine Wirkung?
Wirkungen kann man auf viele verschiedene Art messen. Wirtschaftswissenschaftler reden gern über Nutzwert, während Psychologen versuchen, mentale Effekte abzuschätzen. Darüber hinaus bedeutet der Geltungsbereich der Wirkung für verschiedene Leute etwas anderes. Ein 14 Jahre alter Junge, der von seiner Freundin verlassen wurde, hält es für das Ende der Welt, während der Rest der Welt – vielleicht abgesehen von seinen Eltern – weiterlebt, ohne etwas von dieser persönlichen Katastrophe zu ahnen. Ebenso hat die Mutation eines Virus irgendwo auf der Welt im Moment nur winzige Auswirkungen, könnte aber später eine katastrophale Pandemie verursachen. Gut oder schlecht?
Schließlich gibt es einen wichtigen Unterschied zwischen Dingen, die in sich gut sind, und solchen, die negativ sein können. Auch dies ist eine Angelegenheit von subjektiver Bewertung, die sich mit der Zeit ändern kann. Denken Sie an Ideen, die einst gut waren und jetzt für schlecht gehalten werden, wie zum Beispiel der Aderlass zum Heilen von Krankheiten, eine bis in das 19. Jahrhundert verbreitete medizinische Praxis.
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Der Sinn des Zukunftswürfels besteht nicht darin, jeden einzelnen Gedanken oder jedes einzelne Ereignis, dem wir in unserem Leben begegnen werden, klar zu beschreiben und zu bewerten. Stattdessen soll er den mentalen Rahmen setzen, den wir nutzen, wenn wir vorausdenken. Wir können ihn auch einsetzen, um zwischen dem Zukunftsdenken in unterschiedlichen Epochen zu unterscheiden. Der gesellschaftliche Optimismus, den man in den 1950er Jahren in den USA und Europa spürte, ballte sich üblicherweise im Bereich Gut und Großartig, während der Pessimismus, den wir in den 2010er Jahren rings um uns sehen können, deutlich in der verschleierten und schlechten Ecke bleibt. Und schließlich können wir den Würfel benutzen, um zu unterscheiden, wie verschiedene Menschen über die Zukunft denken. Allzu selbstsichere Jugendliche, religiöse Eiferer und ungehemmte Pessimisten haben oft eine kristallklare Vorstellung von der Zukunft, die allerdings zerschmettert wird, sobald sich die Realität einstellt. Welche Rolle Sie in Bezug auf die Ereignisse in dem Würfel spielen, hängt davon ab, wo Sie selbst die Zukunft sehen und wie Sie Ihre eigenen Fähigkeiten einschätzen. Vieles kann sich im Laufe der Zeit ändern – selbst das Altern. Die kulturelle Konditionierung ist dabei sehr wichtig. Wir haben im letzten Jahrhundert eine allgemeine Verschiebung von einer fatalistischen Sicht – akzeptiere das Leben so, wie es ist – hin zu einem Gefühl der Allmacht festgestellt. Wie der Zukunftsforscher Stewart Brand sagt: »Wir sind wie Götter und können das genauso gut ...«.2
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Ein Buch über unser Lieblingsziel In einem berühmten Experiment Ende der 1980er Jahre sollten amerikanische Studenten angeben, wie oft sie über die Zukunft nachdenken. Das Ergebnis: durchschnittlich 12 Prozent der Zeit der Teilnehmer oder eine Stunde pro Acht-Stunden-Arbeitstag.3 Das mag nach nicht viel klingen, doch wenn Sie sich eine Statistik darüber anschauen, womit wir unsere Zeit verbringen, dann ist eine Stunde pro Tag schon ziemlich viel. Es wurde außerdem festgestellt, dass das Nachdenken über die Zukunft zu mehr Freude und Wohlbefinden führt.4 Mit anderen Worten, die Zukunft ist eines unserer Lieblingsziele. Dieses Buch möchte genauer untersuchen, warum und wie wir diese mentale Pilgerfahrt in die, wie die Schweden es nennen, framtiden oder »Vorwärtszeit« unternehmen und damit eine Stelle auf dem Zeitstrahl in eine Geisteshaltung verwandeln. In dieser Mission habe ich beschlossen, bestimmte Aspekte des Zukunftsdenkens zu opfern. Dieses Buch ist keine technodeterministische Utopie über die vielen tollen Dinge, die uns eine irgendwann einmal auftauchende Technik bringen wird. Es macht Spaß, über solche Technik zu lesen, ist aber nicht besonders nützlich. Genauso wenig wie die momentan verbreitete dystopische Vision einer Zukunft, in der Umweltverschmutzung, böse Wissenschaftler und gierige Geschäftsleute miteinander konspirieren, um diesen zarten Planeten in
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Grund und Boden zu wirtschaften. Solche Visionen sind meist sehr beängstigend und lassen einen manchmal über seine eigenen (Nicht)-Aktionen nachdenken, liefern aber kein Rüstzeug für das Vorwärtsdenken. Es sind gewissermaßen Fertiggerichte. Und schließlich ist dieses Buch kein vorschreibendes Handbuch. Es wird Ihnen nicht dabei helfen, ganz genau zu verstehen, wie Sie sich bei einem Lottogewinn verhielten oder wenn Sie vor einer gigantischen Flutwelle fliehen müssten. Dieses Buch handelt nicht von der tatsächlichen Zukunft – es versucht nicht, mit Meteorologen, Börsen analysten, Tarot-Karten, Kristallkugeln, Science-Fiction- Romanen oder Elementen zu konkurrieren, die angeblich über prophetische Gaben verfügen. Stattdessen ist es eine Erkundung der imaginierten Zukunft – unserer Beschäftigung mit dem Wort »Zukunft« –, wie wir über das Morgen und darüber hinaus denken und denken sollten. Ich habe auf den mentalen Werkzeugen aufgebaut, die von Futurologen, Science-Fiction-Autoren und anderen Propheten entwickelt wurden, um einen Ratgeber zum langfristigen Vorausdenken zu konstruieren. Bei seinen Ratschlägen weist es auch auf unsere Defizite und Fehler beim Nachdenken über das Morgen hin, denn wie der Philosoph Friedrich Hegel einst sagte: »Grenzen zu kennen, bedeutet, sie bereits überwunden zu haben.« Ich hoffe, Sie zum besseren, konstruktiveren Nachdenken über die Zukunft zu inspirieren, damit Sie sich nicht zu sehr auf all die Zukunftsschwafler verlassen müssen.
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In diesem Buch geht es um folgende vier Fragen: n
Was ist die Zukunft? Wie denken wir über die Zukunft und n Wie sollten wir über sie denken? n Wie können wir die Zukunft ändern? n
Kapitel 2: »Eine Welt des Zukunftsdenkens«, definiert das Zukunftsdenken und beschreibt, wieso diese Fertigkeit heute so viel wichtiger ist als in der Vergangenheit. Kapitel 3: »Zukunftsforschung: Kunst oder Wissenschaft?«, konzentriert sich auf die Grundlagen der Futurologie, ein schickeres Wort für Zukunftsdenken. Kapitel 4: »Zukunfts-Denkfallen«, weist Sie darauf hin, wo uns unser zukunftsdenkendes Hirn am ehesten in die Irre führen wird. Kapitel 5: »Die Zukunft schaffen und ändern«, wirft einen genaueren Blick darauf, wie wir unseren Weg nach vorn bahnen können, anstatt in einer deterministischen Sicht auf das Morgen hängenzubleiben. Kapitel 6: »Freunde und Feinde der Zukunft«, betrachtet die gesellschaftlichen Kräfte, die versuchen, unsere Meinungen über die Zukunft zu beeinflussen. Kapitel 7: »Das ewige Versprechen«, zeigt, wo alles endet. Oder beginnt.
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Meine Annahmen über Sie, lieber Leser Ein Buch über das Denken muss Schwächen haben. Wir wissen immer noch sehr wenig über das Bewusstsein und seine Feinheiten. Darüber hinaus ändert sich unser Denken über das Denken, während wir einen Einblick in die vielen Geheimnisse des Gehirns gewinnen. So wurden Depressionen lange als das Ergebnis einer schlechten Erziehung betrachtet, inzwischen herrscht jedoch Konsens darüber, dass es sich um eine chemische Fehlfunktion handelt. Ebenso könnten wir in der Zukunft zu dem Schluss kommen, dass das Zukunftsdenken ein Ergebnis hormonellen Ungleichgewichts war. Ich habe dieses Thema aus einer subjektiven Sichtweise h eraus betrachtet, bei der ich stark auf meinen eigenen Erfahrungen mit dem Nach-vorn-Denken aufbaue. Ich gehe davon aus, dass Sie ein kluger Mensch sind, der seine Zeit und seine Aufmerksamkeit sinnvoll anlegen möchte. Sie haben keine Zeit für ein langatmiges, philosophisch umständliches Lexikon über den Futurismus und seine vielen Schwächen. Sie suchen aber auch nicht nach einem allumfassenden Glaubenssystem (sprich: billige NewAge-Philosophie) über das Morgen. Sie sind kein Vollzeitfuturologe oder Kristallkugelprofi. Die meisten von uns sitzen nicht den ganzen Tag herum, entwerfen Strategien und sagen Dinge vorher. Wir wollen einfach Möglichkeiten finden, um ein bisschen besser zu leben und zu arbeiten, und ich habe dieses Buch als Beitrag zu unserer alltäglichen Suche geschrieben. Oder sollte es unsere tagtägliche Suche sein?
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KA PITEL 2
Eine Welt des Zukunftsdenkens
»Schauen Sie beim Gehen »nicht nur auf Ihre Füße.« »Dag Hammarskjöld, früherer UN-Generalsekretär
Wann beginnt die Zukunft? Die nächsten Sekunden sind zu 99% vorhersagbar. Deswegen bezeichnen wir sie nicht als »Die Zukunft«, sondern reservieren diesen Begriff für weiter entfernte Orte. Die Zukunft ist die Ungewissheit an dem Punkt, an dem die Unzulänglichkeit unserer Sinne durch unsere Gedanken ergänzt werden muss. Unsere fünf Sinne sind mit der Gegenwart beschäftigt und für sie gedacht. Falls Sie Stimmen aus der Vergangenheit hören oder Düfte aus der nächsten Woche spüren können, sind Sie vielleicht mit übernatürlichen Fähigkeiten gesegnet, möglicherweise müssten Sie aber auch einmal gründlich Ihren Kopf untersuchen lassen. Jenseits der Gegenwart jedoch liegen unendlich viele Möglichkeiten. Was finden Sie an der Straße um die Ecke? Wie wird morgen das Wetter? Wie werde ich meinen 50. Geburtstag feiern? Wann werde ich in den Ruhestand gehen? Das ist nur ein winziger Schnappschuss der Welt jenseits des Jetzt. Da wir aber nicht in der Lage sind, sie zu sehen, zu hören, zu berühren, zu riechen oder zu schmecken, müssen wir uns auf die Zeitreise-Fähigkeit unseres Gehirns verlassen.
Lernen Sie, durch die Zeit zu reisen Meine Zwillingssöhne wurden 2008 geboren. Das erste Jahr ist, wie alle Eltern von Säuglingen bestätigen können, eine anstrengende Mischung aus Füttern, Windeln
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wechseln, Kinderwagen schieben und schlaflosen Nächten. Falls Babys in der Lage sind, über die nächste Mahlzeit hinaus zu denken, verbergen Sie diese Fähigkeit sehr gut. Das zeitreisende Gehirn kommt erst einige Jahre später in Gang. Manche Leute behaupten, dass Kinder mit kreativen Fertigkeiten gesegnet seien. Leider sind sie das nicht. Ihnen fehlt die Fähigkeit, in die Zukunft zu denken, die im präfrontalen Kortex des Gehirns angesiedelt ist. Diese funktioniert erst mit Mitte Zwanzig vollständig. Aus diesem Grund platzen sie mit allem heraus, was ihnen in den Sinn kommt, und das wird manchmal fälschlicherweise für Kreativität gehalten.* Kinder essen auch im Namen der ungehemmten Kreativität Popel oder lecken Schnecken an. Außerdem sind die zukunftsdenkenden Teile des Gehirns die ersten, die wieder verkümmern, weshalb man von älteren Leuten manchmal Bemerkungen hört wie: »Mich kümmert die Zukunft nicht mehr, ich lebe einfach im Hier und Jetzt.« In der kurzen Lücke zwischen unseren Mittzwanzigern und den frühen Sechzigern jedoch können wir mental durch die Zeit fliegen und unsere möglichen Träume und Albträume erkunden. Wenn wir aber über die Zukunft nachdenken, haben wir keinen grenzenlosen Horizont. Stattdessen neigen wir dazu, uns relativ dicht an unserer zeitlichen Heimat in der Gegenwart zu halten und auf der Zeitlinie nicht zu weit voranzuschreiten. Deshalb konzentrieren sich die meisten Nachforschungen über die Zukunft auf Ereignisse in den kommenden Wochen oder Monaten. Werden wir gelegentlich genötigt, langfristig zu denken, ist * Übrigens haben ein bis zwei Glas Wein denselben Effekt, denn Alkohol betäubt den präfrontalen Kortex.
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es unwahrscheinlich, dass wir uns große Mühe g eben, über das Jahr, sagen wir, 2025 hinauszudenken. Lediglich eineinhalb Jahrzehnte weiter als jetzt. Die Gründe dafür sind relativ einfach. Das Zukunftsdenken ist – wie viele andere Funktionen des Gehirns – ein Überlebensmechanismus und zielt deshalb auf nahe oder ferne Ereignisse ab, die uns entweder bedrohen oder unser Wohlbefinden auf neue Ebenen befördern. Wenn Führungskräfte in Unternehmen fragen, wie eine bestimmte Branche in der Zukunft aussehen wird, dann tun sie das selten aus reiner Neugier. Als ich von einigen Managern eines Autoherstellers gefragt wurde, wie das Auto der Zukunft sein könnte, wurde während des Gesprächs deutlich, dass sie eigentlich wissen wollten: »Wie lange können wir mehr oder weniger das gleiche Ding verkaufen, ohne großartig etwas ändern zu müssen?« Auf kurze Sicht ist vieles hauptsächlich inkrementell. Auf lange Sicht vor allem existenziell.
Wieso Weihnachten und Kater immer unerwartet kommen In den 1980er Jahren gab es eine US-Fernsehserie namens »Real American Hero«, in deren Mittelpunkt ein Superheld wider Willen mit nur sehr unzuverlässigen Superkräften stand. Er hatte e inen Anzug gefunden und konnte fliegen und immense Kräfte aufbringen, aber diese übermenschlichen Fähigkeiten nicht vollständig kontrollieren, so dass die Serie zu einer Art Sitcom wur-
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de, die auf den fehlgeschlagenen Versuchen zu fliegen und dergleichen beruhte. Die zukunftsdenkenden Fähigkeiten des Gehirns sind ein bisschen wie der Real American Hero. Wir können vorausdenken, aber diese Fähigkeit ist gewisser maßen unausgegoren. Wir können uns in grandiose Szenarien künftiger Glückseligkeit hineinträumen, sind aber überrascht, dass in einer Woche Weihnachten ist und wir noch Geschenke kaufen müssen. Oder wir verbringen einen ganzen Tag auf einer Konferenz mit dem Entwerfen von Strategien, nur um uns am Abend sinnlos zu betrinken und nicht an den unausweichlichen Kater am Morgen danach zu denken. Wir sind keine zukunftsdenkenden Maschinen, sondern lebendige menschliche Wesen, deren Hirne manch mal voller Gedanken an das Morgen sind, dann aber wieder völlig von der Gegenwart eingenommen werden oder in Erinnerungen schwelgen. Flüchtige Gedanken und Bilder unterbrechen unser tägliches Leben mit zufälligen Anstößen über das Morgen. Vielleicht ist »Herumbasteln an der Zukunft« eine passendere Beschreibung für das, dem wir uns so gern hingeben. Wir leben unsere Leben und suchen nach Antworten und oft sind wir besorgt, ratlos, verwirrt, ärgerlich, traurig und sogar selbstmordgefährdet, wenn wir darüber nachgrübeln, was im nächsten Jahr oder noch später auf uns lauern könnte. Deshalb haben Gesellschaften im Laufe der Geschichte angestrengt versucht, ausgefallene Theorien aufzustellen, die erklären, was unser Schicksal bestimmt und die Zukunft formt.
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Wieso das Zukunftsdenken in einer modernen Welt wichtig ist Wir sind gleichermaßen gestraft wie gesegnet mit einem Organ, das in Teilzeit über die Zukunft nachdenkt. Allerdings ist biologische Begabung nicht der einzige Grund dafür, dass wir vorausdenken. Schließlich erklärt die Tatsache, dass wir reproduktive Fähigkeiten besitzen, nicht unbedingt – oder zumindest nicht komplett – den Aufstieg der Pornografie. Der Kontext zählt. Wieso änderten menschliche Wesen ihre Sicht der Zukunft von etwas, das vorherbestimmt war, auf etwas, das geschaffen werden kann? Was änderte sich im menschlichen Zustand, um uns aus Fatalisten, die im Scheinwerferlicht eines festen Zukunftsszenarios erstarrt sind, in Leute zu verwandeln, die ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen? Das Konzept der Zukunft hat in der Gesellschaft schon immer eine wichtige Rolle gespielt, zumindest seit unsere Spezies die mentale Fähigkeit besitzt, darüber nachzudenken. Die sieben Todsünden des christlichen Glaubens könnten z. B. als dringende Warnung betrachtet werden, den Verlockungen und Reizen des Hier und Jetzt nachzugeben und deren künftige Folgen zu ignorieren. Die Wurzel allen Übels – von Faulheit bis Völlerei – lag also im Nichtnachdenken über die Zukunft. Genauso war die Politik – ob von gewählten Politikern oder autokratischen Kaisern praktiziert – immer ein Kampf. Nicht so sehr um die Zukunft selbst, sondern um Bilder dessen, was vor uns liegt und wie man sie ver-
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meidet oder annimmt – normalerweise begleitet von pompösen Formulierungen wie »Wir leben jetzt in anderen Zeiten« oder »Wir bewegen uns auf eine Kata strophe zu«. Allerdings hat das vergangene Jahrhundert eine Reihe von dramatischen Änderungen hinsichtlich unserer Lebensführung und der Funktionsweise unserer Gesellschaft gebracht. Diese wiederum lenkten das Augenmerk stärker auf die Notwendigkeit, langfristige Aktionen und Reaktionen zu bedenken. Um genau zu sein, können wir innerhalb der letzten 150 Jahre fünf Verschiebungen ausmachen. 1. Von einer zyklischen zu einer sich weiterentwickelnden Gesellschaft
Die Frage »Wie wird die Zukunft aussehen?« ist nur in einer Welt wichtig, in der Änderung normal ist. In einer zyklischen Gesellschaft können wir nicht erwarten, dass unsere Kinder länger oder deutlich anders leben als wir. Man kann anbringen, dass das Wort »Zukunft« bis Mitte des 19. Jahrhunderts ziemlich bedeutungslos war. Um zu verstehen, was passiert ist, werfen Sie einen Blick auf das Diagramm über die Entwicklung von Wirtschaftsaufkommen und Lebensalter im Laufe der letzten beiden Jahrtausende. Diese Kurve5 zeigt etwas Bemerkenswertes. Jahrhundertelang gab es keinen signifikanten Unterschied zwischen der Gegenwart und der Zukunft. Unsere Kinder hatten die gleiche Lebenserwartung wie wir. Gesellschaften wurden nicht reicher und Geld zu erwirtschaften bedeutete im Prinzip, zu kassieren – durch
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Steuern, Plünderungen, Geschenke oder Opfer. Vom ersten bis zum siebzehnten Jahrhundert stagnierte die Gesellschaft aus wirtschaftlicher und gesundheitlicher Sicht. Fortschritt – das Prinzip, das den meisten Gesellschaften heute zugrunde liegt – gab es nicht.
Lebenserwartung bei der Geburt 1600 – 2009 (die Jahreszahlen befinden sich auf der x-Achse, die durchschnittliche Lebenserwartung auf der y-Achse). Quelle: Jim Open und James W. Vaupel: »Broken Limits to Life Expectancy«
Mit dem Aufkommen neuer Denkweisen, neuer Regierungsprinzipien, Industrialismus und wissenschaftlicher Durchbrüche änderte sich das Leben ganz drastisch und oft innerhalb einer Generation. An dieser Stelle stieg das Zukunftsdenken aus den Elfenbeintürmen der Philosophie herab – denken Sie an Nostradamus – und begab
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sich in die allgemeineren Bereiche wie Literatur und Politik. Als erstes Werk der Zukunftsforschung wird Herbert George (»H. G.«) Wells‘ Buch »Anticipations« von 1902 betrachtet, in dem er über die rasanten Veränderungen der letzten Jahrzehnte staunt und darüber spekuliert, was die Zukunft in Bezug auf Technik, gesellschaftliche Veränderungen und deren Folgen für das tägliche Leben mit sich bringt. 2. Von schicksalsgeleitet zu zufallsgeleitet
Bei meinen Vorträgen muss ich schwarze Björn-BorgUnterwäsche tragen. Es ist ein seltsamer Fall von Aberglauben, sonst halte ich mich eigentlich für einigermaßen rational. Ich bin allerdings bei weitem nicht der einzige abergläubische Rationalist. Fußballspieler berühren beim Betreten des Platzes den Rasen, weil sie hoffen, dass das Glück bringt. Leute mit Flugangst führen irgendwelche Rituale durch, bevor sie ein Flugzeug besteigen. Hotels und Fluggesellschaften vermeiden bestimmte Zimmer-, Etagen- oder Sitzreihennummern. Leute schlucken Fischöltabletten oder andere Placebos, wenn diese ein langes, gesundes Leben oder eine glattere Haut versprechen. Das sind Überbleibsel aus einer Zeit, zu der die Menschen davon überzeugt waren, dass ihr Leben von höheren Mächten bestimmt wird. Um zu gedeihen – oder zumindest nicht zu sterben – musste man nur beten, bereuen und hin und wieder ein Tier oder einen Menschen opfern. Das hielt die bösen Wesen im Zaum. Wir haben uns vielleicht – als Gesellschaft – von der Vorstel-
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lung entfernt, dass alles vorbestimmt ist, doch im Gefüge des täglichen Lebens lungert immer noch ein fatalistischer Rest. Diese Vorstellungen haben etwas mit Science-Fiction-Filmen gemein: Sie nehmen an, dass die Zukunft bereits irgendwo auf uns wartet und an einem bestimmten Datum zuschlägt. Das ist eine Top-Down-Betrachtung der Zukunft und die Leute könnten weiterhin fragen: »Was passiert in der Zukunft?«, als wäre nur eine bestimmte Art für uns reserviert. Auf der anderen Seite der Skala liegt der Liebling der Motivationsredner: die Idee, dass die Zukunft etwas ist, was wir selbst schaffen – die BottomUp-Betrachtungsweise. Die Zukunft nicht als endgültiges Ziel, sondern als ein Universum aus Chancen, Gelegenheiten und Gefahren. Die Menschen-als-Gestalter-der-Zukunft-Idee war in den frühen 2000er Jahren so verbreitet, dass wir gar nicht darüber nachdachten, dass sie in gewisser Weise wissenschaftlich ebenso ungenau sein konnte wie ihr fatalistisches Gegenstück. Ganz egal, wie sehr Sie sich anstrengen – und Unternehmensgründer, Politiker und Motivationsredner bestehen immer darauf, dass Sie sich sehr anstrengen –, Sie können einen Tennisball nicht dazu bringen, seitlich wegzufliegen, wenn Sie ihn gerade nach oben werfen. Die Schwerkraft wird uns noch eine Weile begleiten – Schönheitschirurgen werden das mit Freude hören. Sie ist nur eine der vielen Kräfte, die unser Leben und unsere Zukunft bestimmen. Zu sagen »Wir erschaffen die Zukunft« klingt verführerisch, ist aber in vielerlei Hinsicht genauso albern wie zu sagen
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»Unsere Zukunft ist vorherbestimmt.« In Wirklichkeit ist es so, dass die Zukunft eine Mischung aus BottomUp- und Top-Down-Bedingungen darstellt. Manches ist vorherbestimmt und sollte als Teil des menschlichen Wesens akzeptiert werden. Anderes ist offen für Herausforderungen und Veränderungen. 3. Sklave für das Selbst
Die Menschen dienen inzwischen nicht mehr vorrangig einem höheren Wesen – einem Gott, einer Kaste, den Ahnen, einem Klassensystem usw. –, sondern vor allen Dingen sich selbst. Der Schriftsteller Jonathan Franzen beobachtet, wie sich das Schreiben von Fiktion verändert hat, seit die Gesellschaft nicht mehr auf Pflicht beruht, sondern auf Entscheidung: Das 18. Jahrhundert war nicht nur der Augenblick, als Romanautoren aufhörten so zu tun, als wären ihre Geschichten nicht fiktional. Es war auch der Augenblick, ab dem sie sich bemühten, ihre Geschichten nicht fiktional wirken zu lassen – als Plausibilität höchste Bedeutung erlangte. [...] Als die Geschäfte von Investitionen abhängig wurden, musste man mehrere mögliche künftige Ergebnisse abwägen, als Ehen nicht mehr arrangiert wurden, musste man über die Vorzüge potenzieller Ehepartner spekulieren. Der Roman, der sich im 18. Jahrhundert entwickelte, bot seinen Lesern ein Spielfeld, das spe-
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kulativ und risikofrei war. Er betonte zwar seine Fiktionalität, lieferte aber auch Protagonisten. Diese waren so typisch, dass sie als mögliche Versionen des eigenen Selbst erfahren wurden, und dennoch speziell genug, um gleichzeitig nicht man selbst zu sein.6 Der Roman war auf einmal kein Vehikel mehr, mit dem man dem Alltag entfliehen konnte, sondern ein Simulator. Simulation ist die Essenz des Zukunftsdenkens. Sie wirkt allerdings nur, wenn es uns selbst überlassen wird, wie wir unser Leben leben. Werden uns allerdings viele und komplexe Entscheidungen abverlangt, neigen wir dazu, die Simulation den Experten zu überlassen, wie wir in Punkt 5, Komplexität, sehen werden. 4. Das Aufkommen von Wahlmöglichkeiten
Eine hungernde oder anderweitig leidende Person denkt nicht weiter als an ihre unmittelbaren Bedürfnisse. Das Nachdenken über die Zukunft ist ein Luxus, dem wir unsere Zeit widmen können, wenn andere, grundlegendere Bedürfnisse befriedigt sind. Meine Urgroßeltern mussten Ende des 19. Jahrhunderts kaum darüber nachdenken, was sie im Leben erreichen, was sie lernen und wo sie sich niederlassen sollten, da ihnen diese Dinge mehr oder weniger von ihren Umständen diktiert wurden – in Form von Geografie, elterlicher Führung und den Implikationen, die ihr Sozialstatus mit sich brachte. Einige Jahrzehnte später hatten meine Großeltern schon mehr Freiheiten und mussten darüber nachdenken, wo sie in Schweden arbeiten und leben wollten. Sie konnten
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kennenlernen und heiraten, wen sie wollten, konnten entscheiden, was sie studieren und womit sie arbeiten wollten. Meine Eltern, die in den 1940ern geboren wurden, gehörten zu den ersten echten Teenager-Rebellen und genossen einen ausgedehnten Zeitraum, in dem sie frei experimentieren konnten. Schneller Vorlauf zu meinen Söhnen, geboren im Jahr 2008. Sie leben in einer Welt, die sich am besten mit WWW beschreiben lässt – Was auch immer, Wann auch immer, Wo auch immer. Von der Anzahl der Marken, Medienkanäle und Lebensweisen, die ihnen beim Aufwachsen zur Verfügung stehen, bis zu den eher existenziellen Dilemmas wie Sexualität, Glauben, Ausbildung und Beziehungen, sind sie quasi zur Freiheit verdammt. In einer Welt exzessiver Wahlmöglichkeiten wird das Zukunftsdenken von einem seltenen Luxus zu einer alltäglichen Notwendigkeit. Es versteckt sich sogar in vielen scheinbar banalen Aktivitäten. Rentenvorsorge, Heiratsanträge, Urlaubsplanungen, Jobwechsel und sogar triviale Aufgaben wie das Bestellen in einem Restaurant oder die Entscheidung, an welche Schlange man sich im Supermarkt anstellt, sind Beispiele für das implizite Zukunftsdenken. In gleicher Weise sieht man allenthalben die Ergebnisse schlechter Vorausplanung – von Scheidungsraten und Typ-2-Diabetes bis hin zu ungenutzten technischen Spielereien und Sportgeräten, die uns vor einigen Monaten noch als der perfekte Kauf oder das beste Geburts tagsgeschenk erschienen.
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5. Komplexität
Vor einigen Jahren bekam ich die Gelegenheit, hinter die Kulissen von Stockholms internationalem Flughafen Arlanda zu blicken. In einem der Hangars wurde gerade eine Boeing 737 gewartet und ich konnte mit einem der Mechaniker sprechen. Er war einer dieser älteren, raubeinigen Erzähler, die man eher in einem Hafen erwarten würde, wo sie Geschichten von ihren jahrzehntelangen Abenteuern auf hoher See zum Besten geben, würden wir in einem anderen Jahrhundert leben. Jetzt aber, gekleidet in einen blauen, ölverschmierten O verall, nahm er uns mit auf eine Tour durch das Flugzeug. Für einen ausführlichen Check-Up waren die Wände im Flugzeug entfernt worden, so dass die komplizierten Gerätschaften und die Millionen Kabel hinter den Plastikpaneelen sichtbar wurden, die das alles sonst vor den Passagieren verbergen. Erstaunt fragte ich ihn, was das alles für Kabel wären, wie man den Überblick darüber behalten könne und wieso nicht öfter etwas schiefginge – wo doch so viele Dinge gleichzeitig zu überwachen seien. Als ich ihn nach der Ausbildung der Mechaniker befragte, sagte er etwas sehr Tiefgründiges. »Wissen Sie,« sagte er, »als ich vor vielen Jahren mit diesem Beruf begann, durfte ich an praktisch jedem Flugzeugmodell arbeiten. Heute darf ich nur noch an eines ran – ein Modell eines Flugzeugs – die Boeing 737 800-Serie, in dem wir uns gerade befinden.« Er wollte damit ausdrücken, dass die Flugzeugherstellung so komplex geworden ist und so viele einzigar-
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tige Teile aufweist, dass sich Flugzeugmechaniker »hyperspezialisieren« mussten, um Schritt zu halten. Flugzeuge sind aber nicht die einzigen Maschinen, die eine solche Metamorphose durchlaufen haben. Das Diagramm zeigt die Anzahl der Teile pro Maschine in einer Reihe unterschiedlicher Produktkategorien.7 In einer vergleichbaren Entwicklung ist auch die Anzahl der Produkte in die Höhe geschossen, die heute angeboten werden. Man geschätzt, dass eine Stadt von der Größe New Yorks etwa 10 Milliarden8 Stock Keeping Units (Bestandseinheiten), kurz SKU, enthält.* Wir müssen gar nicht nach New York gehen. In Ihrem Supermarkt zuhause gibt es mehr Produkte und Produktvarianten, als Ihre Urgroßeltern in ihrem ganzen Leben gesehen haben. Diese Entwicklungen weisen auf eine komplexe Gesellschaft hin. Das möglicherweise Komplexeste ist die Menge an Informationen, die täglich auf uns einwirken. Versuchen Sie einmal, bei Google nach den Worten »How much information is there in the world?« (Wie viele Informationen gibt es auf der Welt?) zu suchen. Die Ergebnisse sagen alles. Die mehr als 6 Billionen Treffer (Stand September 2013) sind verstreut, oft widersprüchlich, und ihre Glaubwürdigkeit ist gelegentlich fragwürdig. Die Art von Informationsgesellschaft, in der wir leben, macht die Menschen nicht unbedingt klüger und führt sie zu neuen Erkenntnissen, stattdessen verwirrt und frustriert sie und strapaziert unsere Aufmerksam* SKU – Eine Stock Keeping Unit ist ein Wert, der zur Identifikation eines Einzelprodukts oder eines käuflichen Gegenstandes verwendet wird (d. h. ein schwarzes T-Shirt in Größe M hat eine andere SKU als eines in XL, ein M-T-Shrt in weiß wieder eine andere usw.)
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Anzahl der Teile pro hergestellter Maschine in den Jahren 1800 – 1990 (A = Massenprodukte, B = Nischenprodukte, C = Einzelanfertigungen) Quelle: Kevin Kelly: »What Technology Wants«
keit. Aus diesem Grund sind wir von Experten abhängig geworden, die unsere Verwirrung ausnutzen. Um Dinge zu verstehen, sind deutlich mehr Wissen und Training nötig als noch vor einigen Jahrzehnten. Wir gestatten es hoch spezialisierten Experten, uns alles zu erklären – von den Feinheiten des Klimawandels bis hin zum verschlungenen Gebilde des modernen Finanzwesens. Darüber hinaus benutzen wir das Futur als eine Art Gegenmittel für unsere Verwirrung. Die Gegenwart ist turbulent, voller Unordnung und widersprüchlich, so dass wir Klarheit schaffen, indem wir nach vorn schauen – wie auf einem Schiff, wo das
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nstarren des Horizonts gegen die Seekrankheit hilft. A Klimawandel, das finanzielle Schicksal von Nationen und andere Themen des 21. Jahrhunderts spiegeln eine Gesellschaft wider, die über ihre Zukunft nachdenkt. Was passiert, wenn wir den Kohlendioxidausstoß senken? Und was geschieht, wenn wir es nicht tun? Was passiert, wenn die USA ihren Kurs ändern? Was, wenn sie es nicht tun?
Als die Zukunft begann Diese fünf einander überschneidenden Entwicklungen in der Gesellschaft – Fortschritt, Ursache, Individualismus, Wahlmöglichkeit und Komplexität – zeigen, dass das Nachdenken über die Zukunft, das Zukunftsdenken, irgendwann Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts begann. Ich habe jedoch das Wort »Zukunft« verwendet, um einen beliebigen Ort in der Zeit vor uns zu beschreiben – abzüglich der ersten paar Sekunden. Wie allerdings Charles Darwin anmerkte, ist unsere Ignoranz bezüglich der Gesetze der Abänderung ganz beträchtlich. Es gibt nicht »die Zukunft«, nur Zukünfte – Mehrzahl. Genauer gesagt, gibt es fünf Variationen von Zukunft, denen wir uns gegenübersehen und die wiederum unser Denken auf verschiedene Weise beeinflussen. 1. Die langsame und schrittweise Zukunft
Jemand sagte einmal, das Tolle an der Zukunft sei, dass sie immer tageweise eintreffe. Die Kontinentalverschie-
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bung und der menschliche Alterungsprozess sind zwei Beispiele für die schneckenhafte Geschwindigkeit der Zukunft. Solche Veränderungen sind relativ gut vorhersehbar, weshalb die meisten Politiker demographische Veränderungen bevorzugen, wenn sie kühne Voraussagen über die Zukunft treffen. Wir wissen ziemlich genau, wie viele Siebzigjährige in 40 Jahren in Europa, Asien oder den USA leben werden. Das Zukunftsdenken ist in der sich langsam entfaltenden, vorhersehbaren Zukunft im Prinzip nur eine Statistikübung. Versicherungskonzerne verdienen Geld, weil sie – oder zumindest ihre Excel-Tabellen – wissen, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein 35 Jahre alter Mann aus der Mittelklasse an Krebs sterben wird. Problematisch wird es allerdings, wenn wir diese Änderungen aus den Augen verlieren, weil sie einfach zu langsam verlaufen. Gradualismus sorgt dafür, dass wir blindlings annehmen, dass Dinge sich nie geändert haben und sich nie ändern werden. Wir reden über die Evolution der Arten, aber kein lebendiger Mensch hat die Evolution tatsächlich bei der Arbeit gesehen. Deshalb können sich die Menschen alle möglichen Theorien ausdenken, wie die Menschheit entstanden ist. Das Fehlen von Beweisen wird mit dem Beweis des Fehlens verwechselt. Langsame Änderungen verbergen auch das Geheimnis, weshalb gute Unternehmen scheitern. Howard Schulz, der Gründer des Kaffeekochers Starbucks, sagte über die Starbucks-Krise im Jahre 2007: »Starbucks hatte angefangen zu versagen. Besessen vom Wachstum wandten wir uns vom Betrieb ab und ließen
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uns vom Kern unseres Unternehmens ablenken. Man kann nicht eine schlechte Entscheidung oder Taktik oder Person dafür verantwortlich machen. Der Schaden trat langsam und leise auf, schrittweise, wie ein loser Faden, der nach und nach einen Pullover auftrennt. Entscheidung um Entscheidung, Geschäft um Geschäft, Kunde um Kunde verlor Starbucks einige seiner typischen Merkmale, auf denen es gegründet wurde.«9 2. Die schnelle und unerwartete Zukunft
Der gefeierte Filmemacher James Cameron war in den frühen 1980er Jahren weder gefeiert noch unbedingt ein Filmemacher.10 Während der Herstellung des chronisch schlechten B-Movies Piranha 2: Fliegende Killer, befürchtete Cameron, dass ihn der italienische Produzent vor Ende der Dreharbeiten feuern und seinen eigenen Namen unter den Streifen setzen würde. Er hatte das schließlich schon mit anderen aufstrebenden Filme machern getan. Cameron beschloss, sich an das Projekt zu klammern. Mit einer überzogenen Kreditkarte ließ er sich in einem Hotel in Rom nieder und aß das, was der Zimmerservice auf den Tabletts im Korridor zurückließ. Schlechte Idee. Von dem zweifelhaften Essen zog er sich eine ernsthafte Lebensmittelvergiftung zu und lag nun mit hohem Fieber im Bett. Seine Träume waren fiebrig, fast schon halluzinatorisch. In einem von ihnen wurde er von einem roboterartigen Skelett besucht, das durchs Feuer lief. Er erzählte seiner Freundin davon, der Filmproduzentin Gale Anne
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Hurd. Er hatte ihr versprochen, irgendwann einmal einen Film mit ihr zu machen. Nun sollte dieser Film von diesem Ding aus seinen Fieberträumen handeln, diesem »Terminator«, wie er es jetzt nannte. Der Rest ist Filmgeschichte. Das armselige Budget bedeutete, dass The Terminator nicht in der Zukunft spielen konnte. Cameron setzte stattdessen auf eine Zeitreise. Terminator machte Arnold Schwarzenegger zum Star und war nicht nur der erfolgreichste Film des Jahres 1984, sondern auch einer der profitabelsten, die jemals produziert wurden. Was sollen wir nun aus dieser Geschichte über die Kreativität schließen? Die Antwort lautet: »Gar nichts.« Wir lernen daraus lediglich, dass Ideen zu uns kommen – oder zumindest zu bestimmten Leuten. Manche Ideen haben wir unter der Dusche, andere wieder in Fieberträumen. Manche kommen, wenn wir entspannt sind, und andere, wenn wir unter starkem Druck stehen. Wir können auf keinen Fall genau wissen, wie diese Ideen aussehen werden und wann wir sie haben. Und dennoch bieten sie die Möglichkeit, Geld zu verdienen, Kunden zufriedenzustellen und sogar einen Eindruck in Popkultur, Politik, Wissenschaft oder Kunst zu hinterlassen. Diese launischen, unvorhersehbaren Stückchen Einbildungskraft sind sogar in der Lage, die Zukunft zu verändern. Viele der Ideen, die aus dem mystischen Dunkel des kreativen Geists hervorgehen, sind gut; sie verbessern unsere Leben, wie Penizillin, oder machen die kleinen 15-Minuten-Pausen erträglicher, wie das Spiel »Angry Birds«.
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Manche dagegen sind schlecht. Als die Katastrophenschutzeinheit in Oslo im April 2011 eine Übung durchführte, stimmte man darin überein, dass die wahrschein lichste Katastrophe mit den stärksten Auswirkungen, die Norwegens Hauptstadt treffen könnte, eine Grippeepidemie sei.11 Ein Terroranschlag wurde für ziemlich unwahrscheinlich gehalten. Drei Monate später schlachtete Anders Behring Breivik in einer Kombination aus Bom benanschlägen und Amoklauf fast 100 Menschen ab – die meisten davon Teenager. »Die Zukunft tritt immer eher und eigenartiger ein, als man glaubt«, wie der Gründer von LinkedIn, Reid Hoffman, einmal sagte. Im Sinne des Zukunftsdenkens ist es ebenso wichtig, Unstetigkeiten zu verstehen, wie die langsamen, graduellen Trends, die im vorangegangenen Abschnitt beschrieben wurden. Nicht weil wir fähig sein werden, sie vorherzusehen, sondern weil sie die Zukunft weniger als eine Statistikübung und eher als eine Herausforderung an die Fantasie präsentieren. 3. Die tatsächliche Zukunft
Diese ersten beiden Arten von Zukunft sind Produkte unseres Geistes. Wir berechnen oder stellen uns einen Punkt in der Zeit vor uns vor. Dennoch sind sie nichts weiter als mentale Bilder, die nur so lange wertvoll oder aufregend sind, wie sie eine Zeit beschreiben, die noch nicht eingetreten ist. Eines Tages jedoch wird dieser Tag oder dieses Jahr in der Zukunft in den banaleren Ort verwandelt, den wir als Gegenwart bezeichnen. »Die Zukunft« ist prächtig, besser, schlechter oder einfach
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ganz anders. Doch wenn sie dann eines Mittwochmorgens eintritt, werden wir an all die Dinge erinnert, die sich nicht verändert oder in die von uns vorhergesagte Richtung entwickelt haben. Die Technik leidet oft unter dieser Lücke zwischen der Erwartung und der Wirklichkeit. Als sich die Menschen in den 1960ern das Jahr 2000 vorstellten, erzählten sie sich Geschichten von Raumstationen für die Freizeit, fliegenden Autos und Roboterbutlern. Sicherlich gab es auch solche Perlen wie das World Wide Web, Laptops und spritsparende Autos, doch verglichen mit den urbanen Science-Fiction-Landschaften, die sich die Menschen erträumten, waren diese vergleichsweise banal. Eingebildete Zukunftstechnologie ist immer aufregend, beängstigend, wunderschön und weltverändernd. In der wirklichen Welt ist Technologie oft langweilig, unsichtbar und anfällig für die gleichen Kontroversen, Meinungen und Frustrationen, die wir eigentlich abschaffen wollten. Vermutlich werden sich die Menschen auch über die Schlangen an den Teleportationsstationen und die Sicherheitskontrollen vor dem Beamen in den öden Büropark in Slough, England, beschweren. 4. Die eingebildete Zukunft
Die eingebildete Zukunft meinen wir, wenn wir von Zukunft reden, da sie nirgends anders als im Geist existieren kann. Ob sie nun logisch berechnet ist, wie die Anzahl der Rentner im Jahre 2048, oder von einem Drehbuchautor in Hollywood erträumt: die Zukunft ist
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ein Ort, an dem sich unsere Hoffnungen und Ängste frei entfalten können, unbeeindruckt von Unannehmlichkeiten wie Tatsachen, Schwerkraft oder Bürokratie. Sie ist ein Parakosmos, eine parallele Wirklichkeit, die wir durchforschen, um irgendeine Art von Wirkung zu erzielen, wie etwa Kinobesucher zu bezaubern, die Wählerschaft umzustimmen oder uns aus einem langweiligen Meeting hinauszuträumen. Als einflussreiches Werkzeug sind die Worte »in der Zukunft« höchst effektiv. Vergangene Ereignisse verlangen, dass wir die Fakten überprüfen und eine Sprache oder Bilderwelt benutzen, die eine gewisse Zustimmung und Vertrautheit erzeugt. Zukunftsdenken hingegen muss nur ein bestimmtes Gefühl auslösen, um nützlich zu sein. Oft bitten wir Historiker, Politiker oder Experten, Vorhersagen über das Morgen zu treffen, auch wenn ein Künstler oder ein anfeuernder Sporttrainer in Wirklichkeit viel passender wären. Schließlich ist die Art der Zukunft, die wir suchen, nicht die tatsächliche, langweilige, sondern das Spektakel, das wir lieben oder fürchten – oder zu lieben fürchten. 5. Die Zukunft, die niemals eintritt
Einhundert Jahre sind für eine Libelle eine Ewigkeit, für einen Felsen aber nur ein Wimpernschlag. Wenn Schmetterlinge Futurologenkongresse abhielten, dann würden sie darüber spekulieren, was die kommenden drei Monate bringen. Zeit ist relativ und wir beziehen uns auf den Menschen, wenn wir über die Zeit nachden-
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ken. Eine Lebenszeit, etwa achtzig Jahre, wird als langfristig angesehen, während eine Stunde jetzt ist. Wenn wir uns etwas wie »Die Zukunft« vorstellen, dann stimmen wir stillschweigend darin überein, dass dieser Augenblick in einen Bereich fällt, den wir oder wenigstens unsere Enkelkinder irgendwann einmal erleben werden. Die gebräuchlichsten Daten beim Zukunftsdenken sind deshalb auch runde Zahlen wie 2020, 2030 oder 2050. Ein Jahr wie 4872 oder 10334 ist gamz einfach zu weit entfernt, als dass wir es uns vorstellen könnten. Als Menschen halten wir unsere eigene Wahrnehmung der Zeit für die Norm und sind daher blind für Dinge, die Tausende von Jahren brauchen, um aufzutreten oder sich zu verändern, wie die Erosion von Bergen oder die Verwandlung versteinerter Pflanzen in Öl.
Wozu nach vorn denken? Die unterschiedlichen Arten der Zukunft spiegeln die Tatsache wider, dass es unterschiedliche Motive für das Vorwärtsdenken gibt. Erstens ist da der Nutzaspekt des Zukunftsdenkens – die Tatsache, dass wir Einblicke und Ideen gewinnen können, die uns beim Geldverdienen helfen oder uns Chancen bieten, indem sie die Welt von Morgen umreißen. Wenn Unternehmen Trendforscher und Futurologen um Hilfe bitten, dann ist dies normalerweise genau die Art von Perspektive, über die sie mehr erfahren wollen.
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Die zweite Motivation, über die man nachdenken und vor allem reden sollte, ist das Gewinnen von Einfluss und Status. Für Medizinmänner ebenso wie für Politiker ist »die Zukunft« ein ewig sprudelnder Quell, aus dem sich alle möglichen Bilder, Gedanken und Ideen hervorzaubern lassen, vor denen wir uns fürchten, über die wir uns streiten oder in die wir uns verlieben können. Der Medizinmann selbst oder die Partei des besagten Politikers spielt normalerweise eine entscheidende Rolle beim Verhindern oder Beschleunigen der präsentierten Zukunft. Und drittens fliehen Menschen in die Zukunft, um, nun ja, zu fliehen. Manchmal vor sich selbst – denken Sie nur an Urlaubspläne für den Sommer mit einem »anderen Sie« – und manchmal vor dem hässlichen, erbarmungslosen, von Idioten überrannten Ort namens »Die Gegenwart«. Science-Fiction-Autoren waren in vielen Fällen tief verstörte Individuen, die deshalb über eine andere Zeit schrieben, um Zuflucht vor der Gegenwart zu suchen, in der sie gefangen waren. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Menschen, die oft an die Zukunft denken, glücklicher sind als Menschen, die das seltener tun. Der vierte Grund vorauszudenken besteht darin, die Zukunft zu benutzen, um die Gegenwart besser zu verstehen. George Orwells Roman 1984 drehte sich eigentlich um das Jahr 1948. Der Planet der Affen spielte auf einer Erde, auf der das Leben durch das vernichtet war, was man zu dieser Zeit fürchtete (eine Atombombe in den Filmen aus den 1970ern, genetische Manipulationen
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in der Version von 2011). Die Zukunft klärt über die Gegenwart auf, indem sie auf bestimmte Versprechen, Hoffnungen und Ängste verweist und diese überhöht. Der fünfte Grund, weshalb wir über die Zukunft nachdenken ... nun, es gibt ihn nicht. Wir tun es einfach. Denken Sie darüber nach. Wir fragen auch nicht, warum unser Herz schlägt. Wir tun es einfa ch. Genauso ist unsere Fähigkeit, weit in der Zeit vorauszudenken, in ein Körperteil eingebettet, das nicht unbedingt optional war, als Sie und ich zusammengebaut wurden.
Schlussfolgerung Jeder Augenblick besitzt seine eigene Art von Zukunft. Wie eine Person das sieht, was vor ihr liegt, unterscheidet sich von den Vorstellungen anderer Leute. Was als ein singuläres, definitives Ziel beschrieben wird – die Zukunft –, ist in Wirklichkeit ein riesiges Kaleidoskop an Ideen. Die Herausforderung, der wir uns heute gegenübersehen, wenn wir in dieses Kaleidoskop blicken, besteht darin, dass wir kaum oder keine Hilfe beim konstruktiven Nachdenken über die Zukunft bekommen. Wenn die Schulen die Kinder wirklich auf die moderne Welt vorbereiten wollen, sollte dann das Zukunftsdenken nicht zum Lehrplan gehören? Sollten nicht alle Politiker gezwungen werden, die Feinheiten des langfristigen Denkens zu meistern? Es ist fast so, als hätten wir ein Auto erfunden, wären aber nicht daran interessiert, den
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Menschen das Fahren beizubringen. Dies öffnet eine Kluft zwischen dem, was von den Menschen heute verlangt wird – von der Auswahl einer passenden Altersvorsorge bis zum Eingehen langlebiger Beziehungen – und dem, wie geschickt sie diese Herausforderungen meistern. Diese Kluft schafft Verwirrung, die Aberglauben, religiöse Vorstellungen oder anderen Klarheit schaffenden Ideen Tür und Tor öffnet. Es überrascht kaum, dass Berater – von sprituellen Führern und Selbsthilfequacksalbern bis hin zu Finanzplanern und Karriereberatern – seit Jahrzehnten zu den am schnellsten wachsenden Bereichen der Wirtschaft gehören. Wir leben in einer Art von Mittelalter, in dem wir mit einer großartigen Fähigkeit beschenkt wurden – über die Gegenwart hinauszudenken –, kombiniert mit einer Gesellschaft, die größere Fähigkeiten zur Vorhersage erfordert. Dennoch tun wir uns schwer damit, die richtigen Werkzeuge zu finden, die uns am besten dienen. Das nächste Kapitel beginnt damit, die Grundlagen der Zukunftsforschung vorzustellen – die hehre Kunst und manchmal fragwürdige Wissenschaft der Vorhersage dessen, was vor uns liegt.
DIE ZUKUNFT – EINE ANLEITUNG ZUM LANGFRISTIGEN DENKEN Trendforschung wird oft mit dem Blick in die Glaskugel verwechselt. Dabei kann sie jedem von uns helfen, eine bessere Zukunft auszudenken und gezielt zu planen. Magnus Lindkvist zeigt, wie man auch als Laie die Tools der Trendforscher nutzen kann. Er stellt praktische Werkzeuge vor, die dem Leser auch in alltäglichen Situationen helfen, seine Zukunft mit den richtigen Informationen zu planen. »Magnus Lindkvist zuzuhören kommt einer Verjüngungskur für das Gehirn gleich.« (Creative Mornings)
Was ist die Zukunft? Wie nehmen wir die Zukunft wahr? Wie können wir sie ändern?
ISBN 978-3-907100-60-8
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783907 100608
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