REISE & ERHOLUNG
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Sonnabend, 11. August 2012
Für den Hummer zwischendurch nach Nova Scotia Zu Gast im Land der Lobster: In der kanadischen Provinz gibt es die Schalentiere auch fürs Handgepäck auf Long Island. Die Hummer-Lizenz führt Troy belles so schön bunt hier: reits in dritter FamiliengeneEinige Hundert Bojen hat ration. Als sein Großvater Wayne schon grellorange ge- noch aufs Meer fuhr, galt strichen, ein paar Dutzend Lobster als Armeleuteessen in fehlen immer noch. Gern Nova Scotia. Schüler trugen macht er zwischendurch ein Hummerfleisch als ungeliebPäuschen auf seinem Holz- tes Pausenbrot im Tornister, steg auf der winzigen Insel und die Schalentiere endeten Long Island, die für ihre als Dünger im Gemüsebeet. Whale-Watching-Touren geFür Nachschub an frischem rühmt wird. Der Sommer am Hummer ist gesorgt: Die südlichsten Zipfel der kanadi- Fangsaison wird an den einschen Provinz Nova Scotia ist zelnen Küstenabschnitten noch nicht vorüber, und so- Nova Scotias zeitlich gestafwieso würde der Endfünfzi- felt. Zudem ist die gesamte ger viel lieber zum Fischen Provinz mit sogenannten mit seinem Bruder rausfah- Lobster-Pounds überzogen – ren. Sollen die verflixten Bo- mit Umschlagplätzen, wo die jen ruhig noch ein wenig war- lebenden Schalentiere in friten, die in der nächsten schem Ozeanwasser zwiFangsaison die Plätze markie- schengelagert werden. ren werden, an denen er seine „Bis nach Südkorea werden knapp 400 Hummerkäfige ins die Hummer von hier aus geWasser lässt. liefert“, sagt Angela, ChefköInmitten der mannshoch chin im „Lobster Pound“ in aufgestapelten Drahtkäfige Hall’s Harbour. „Die Asiaten steht Wayne und plaudert: mögen besonders die großen, „Toll war die Saison nicht ge- mehrpfündigen Tiere.“ In rade.“ Vier bis fünf Dollar dem Örtchen an der Fundygab’s pro Pfund Hummer, in Küste, die für ihren bis zu früheren Jahren war der Preis zwölf Meter großen Tidenmehr als doppelt so hoch. Der hub bekannt ist, stehen kaum Job sei hart, seine Tochter wol- mehr als ein paar blau gele jedenfalls nicht in seine Fuß- tünchte Hütten und Contaistapfen treten. Er werde seine ner. Fischerboote sind an Lobster-Lizenz wohl in naher Holzstegen vertäut. Bis zu Zukunft verkaufen, 60 000 Pfund leIn Pictou sozusagen zur Renbende Hummer tenaufbesserung: Babyhummer können in Hall’s Rund 450 000 KaHarbour vorgehaladoptieren nadische Dollar kosten werden. Besser und günstet die begehrte tiger als in den Lobsterstaatliche Genehmigung. Bei Wind und Wetter fährt Pounds lässt sich kaum irgendWayne raus. An den ersten wo Hummer in Nova Scotia Saisontagen zähle jede Stun- genießen. In Hall’s Harbour de, da krieche die Delikatesse gibt man die Bestellung direkt in Massen (und zwar rück- im Souvenirshop auf, wo die wärts) in die Fallen. Einige Hummer im Aquarium padTausend Pfund Hummer deln. Dann trägt man seine bringt ein Boot pro Fahrt an Wahl – lebend in einer PlasLand, bis zu 50 Tiere drän- tikschale – rüber in die angegeln sich in einem einzigen schlossene Küche. Knapp 20 Käfig. Gegen Saisonschluss Minuten später kommt der müssen sich die Fischer auch Hummer, nun in der schon mal mit ein paar Hun- typisch orangen Fardert Tieren insgesamt begnü- be, auf dem Teller zugen. Und Kosten und Risiken rück. Kosten: 15 bis 20 sind hoch: der Sprit, die Re- Kanadische Dollar, paraturen, die Wetterkaprio- umgerechnet zwölf len auf dem Atlantik . . . bis 16 Euro. Für den Die Fischerei in Nova Sco- Lobster-Laien stellt tia ist nur noch ein Schatten ihrer selbst, seit die großen Trawler die ganzen Küsten leer gefischt haben. Der Hummerfang dagegen floriert. Jedenfalls noch: Auch hier sinken die Fangmengen über die Jahre stetig. Die Schutzbestimmungen immerhin sind inzwischen streng. Trächtige Weibchen und zu kleine Tiere müssen die Fischer sofort wieder über Bord befördern. „Ein paar Dollar kann man Elche, Wale, Bären– es gibt vieimmer noch verdienen“, sagt le Tiere, die Kanada attraktiv der Mittzwanziger Troy und machen. In Nova Scotia aber grinst verschwörerisch. Er dreht sich alles um den HumStosch (3) steht einen Holzsteg weiter mer. Von Stefan StoSch
Hin und weg
A
l Anreise Halifax auf Nova Scotia ist mit Air Canada über Toronto erreichbar. Direkt fliegt Condor in der Sommersaison auf die Insel. l Einreise Bundesbürger benötigen für einen Aufenthalt bis sechs Monate kein Visum, lediglich einen gültigen Reisepass. l Klima Im Sommer wird es bis zu 30 Grad warm, die Durchschnittstemperatur liegt bei rund 20 Grad Celsius. Dank des Golfstroms sind die Winter mild, oft ohne Schnee (abgesehen vom nördlichen Teil um die Cape-Breton-Insel). l Kulinarischer Tipp Five Fishermen, 1740 Argyle Street, Halifax. www.fivefishermen.com
Für Nachschub an Delikatessen ist immer gesorgt: Hummerfallen in der Nähe von Halifax in Nova Fotolia.com/brytta Scotia.
sich dann eine entscheidende Frage: Wie isst man das Tier? In guten Restaurants wie im „Five Fishermen“ in der Provinzhauptstadt Halifax
werden die Schalen angeknackt serviert, damit Anfänger ihr Dinner beim Fuhrwerken mit der Zange nicht durchs Lokal katapultieren. Der deutsche Küchenchef Konrad Haumering im „Mariner King Inn“ in Lunenburg an der Südküste serviert als Abendmenü gern eine Trilogie aus Heilbutt, Jakobsmuscheln und Hummer – der Gast kommt so in den Genuss von gleich drei Atlantik-Köstlichkeiten und muss nicht groß mit den Schalen kämpfen. Im „Settler’s Salt Water Café“ in Pictou an der Northumberland-Küste denkt man pragmatisch: Eine Gebrauchsanweisung wird mitgeliefert, in der empfohlen wird, sich auch an den Hummerkörper zu wagen, um an die letzten Fleischstücke zu gelangen. Einheimische Hummeresser brau-
chen nur ein paar Handgriffe, um der Delikatesse zu Leibe zu rücken. In Nova Scotia ist es auch erlaubt, am Hummerbein zu lutschen, wenn man mit Gabeln und Minilanzen nicht zurande kommt. Gästen, die die kanadische Provinz nicht ohne die Köstlichkeit verlassen wollen, wird am Flughafen in Halifax geholfen: Die Schalentiere werden – auf Wunsch sogar lebend – fürs Handgepäck verpackt. Wer bei dem rigiden Umgang mit dem Meeresbewohner ein schlechtes Gewissen bekommt, dem sei ein Besuch in Pictou, knapp zwei Autostunden von Halifax entfernt, empfohlen. Auf einem Bootsschuppen an der Waterfront prangt dort ein Schild mit der Aufforderung „Adopt a Lobster“. Das ist wörtlich zu verstehen: Man kann in Pictou Babyhummer adoptieren und in die Freiheit entlassen. In Zusammenarbeit mit den lokalen Fischern hat das Fischereimuseum das Projekt ins Leben gerufen. Trächtige Hummer-
l Weitere Informationen Nova Scotia Tourism, c/o TravelMarketing Romberg, Tel. (0 21 04) 79 74 54. www.novascotia.com
weibchen werden vorübergehend mit staatlicher Genehmigung im Bootshaus einquartiert, ihr aus den Eiern geschlüpfter Nachwuchs in Plastiktanks mit Shrimpsnahrung gepäppelt. Wissenschaftliche Grundlagenforschung war nötig, um das Überleben des empfindsamen Nachwuchses zu sichern. Die Arbeit der Aufzuchtstation wird wissenschaftlich begleitet. Wenn die Babylobster etwa zwölf Millimeter groß sind, kann man sie für ein paar Dollar adoptieren, zum Steg tragen, in einer Art Toilettenspülung ins Meer schwemmen – und bekommt ein tolles Zertifikat als Hummerpate. Den wichtigeren Teil der Arbeit erledigen allerdings die Fischer: Einige Hunderttausend Babylobster haben sie in den vergangenen Jahren zurück in die Fanggründe gebracht. In sechs oder sieben Jahren sollen die Winzlinge groß sein – und dann in die Käfige der Fischer kriechen. Rückwärts natürlich.
Abstieg in die Tiefe: Eine Tour ins Innere des ewigen Eises
Im österreichischen Pitztal gehen Touristen auf Gletschertour – und bekommen ein ganz eigenes Gefühl von der Natur Von chriStian helten
s sind nur noch wenige E Zentimeter, die den Fuß von dem Loch im Eis trennen.
Der glatte Untergrund, das Wasser, das links an ihm vorbeifließt und in die Tiefe stürzt – niemand weiß, wie weit es dort hinabgeht. Bergführer Michael Walser gibt Anweisungen. Er steht ein paar Meter vom Loch entfernt und sichert mit einem blauen Kletterseil. „Hände weg vom Seil! Und häng dich mit deinem ganzen Gewicht rein! Nach hinten
lehnen!“ Nach hinten, das heißt dahin, wo es hinuntergeht in das Eis des Pitztaler Gletschers. Ein Schritt über die Kante, das Seil spannt sich. Hinab geht es in das Loch. Dieses ist eigentlich gar kein Loch, sondern eine sogenannte Gletschermühle, wie es sie hier auf dem Gletscher im Pitztal oft gibt. Das Schmelzwasser hat sich hier tief ins Eis gefressen und die Mühle geformt. Im Pitztal muss man kein erfahrener Alpinist sein, um das ewige Eis in knapp 3000 Metern Höhe zu sehen; von
der Bergstation geht man nur eine halbe Stunde bis zum Rand des Gletschers. Es gibt Eissafaris, dabei läuft man mit Steigeisen über den Ferner, kann in Gletscherspalten blicken oder sich eben in eine Gletschermühle abseilen. „Das Tolle daran ist, dass die Leute eine Beziehung zum Gletscher aufbauen können“, sagt Michael Walser. „Wenn man von Weitem draufschaut, denkt man ja: ‚Ist halt Eis.‘ Aber wenn man ihn mal von innen sieht, bekommt man ein Gespür.“ Eine halbe Stunde dauert es
von der Station der Bahn bis zum Gletscher. Bis zum Gipfel des Mittagskogels ist es nur ein wenig weiter, wenn auch ein gutes Stück anstrengender. Aber von oben, aus 3162 Metern Höhe, hat man einen wunderbaren Blick über den gesamten Gletscher und das grüne Pitztal, den Geigenkamm, der es im Osten vom Ötztal trennt, und den Kaunergrat auf der anderen Seite. Aber die Welt hier oben verändert sich. Die Gletscher schrumpfen rapide, vor allem in den Randbereichen. Beson-
ders deutlich sehe man es an den Gletscherzungen, sagt Walser und zeigt hinüber zur Mittelstation der Mittelbergbahn, die frei von jedem Eis auf harten Felsuntergrund gebaut ist. „Wo die Station jetzt steht, war vor 25 Jahren noch 20 Meter dickes Eis.“ In Ordnung ist die Welt hingegen noch im Riegetal, einem Seitenarm des Pitztals. Das Landschaftsschutzgebiet liegt oberhalb von Jerzens und ist geprägt von den Zirbenwäldern, die das Dorf seit seiner Entstehung vor Lawinen Perfekt zum Abstieg: Der Pitzdpa/tmn taler Gletscher. schützen.