E f Ca lager d n E Eine or채re g n u p l m l e te t s s u a t s n u K zur nw채rtigen gege debatte Atom
chrayer S ung r ik e d v N o o g ejen a / Gr e Soh B s / Gregor Gaid illiams r u t n e v ski e / Bona egger / Del Old owell / Kate W t Schwontkow in e H n / Be acD rber Hon lmo Fox ornelia Hesse- erlake / Kate M Schleime / No sanne Starke e s n A / z b Tim s / Su Morit ataille ing / C ander L / Chandra Lem Nuenen / John iam Vlaming / i / Susanne Haa x le A it n ir r m Monroe / Jan va ates / M rt Polido Brendan int / Igor Kostin Seelig / Mindpir erberg / Robe g Shaobin m Z n G체nter Kage / Michael zlaga / Ralf Sch nja Selzer / Ya a S d T e k / r Rade Manf kawa klenko / k / Taishi Hiro e V g le le O er Kozio Sylvest
t r a g t t Stu n i 0 1 0 05/2 / 9 0 s i 26/04 b
Del Olds dokumentierte mit seiner Trojan Implosion Series die weltweit erste Sprengung eines K端hlturms. Das Skandalkraftwerk in Rainier, Oregon soll 端brigens die Vorlage f端r das Kernkraftwerk aus der USSerie Die Simpsons gewesen sein. Del Olds, Trojan Implosion Series. Copyright: Del Olds 2006
Vorwort
Spezialisten r채umen in Niedersachsen eine Sprengstoffattrappe von den Gleisen. Auch mit Plakaten (unten) wird immer wieder versucht, die CastorTransporte in das Zwischenlager Gorleben zu blockieren. Mit dreist체ndiger Versp채tung erreichte der Atomm체ll sein Ziel. Foto: Karl Kassel
Um die Welt zu verstehen, muss man sie auch von unten sehen Wir waren unten in der Asse, in der Atommüllkanalisation der Nation. Mit dem Aufzug runter, 700 Meter hinein in die Kloake der Welt. Ein unheimlicher Ort, an dem angeblich alles sicher ist. Wir haben uns unerwartet zu Hause gefühlt im Innersten von Mütterchen Erde. Es ist angenehm warm und still dort. Man spürt den Herzschlag des Planeten. Doch die Fantasie beschwört die Atombestie herauf, die im nächsten Stollen darauf wartet, uns todbringend zu verstrahlen. In Fässern gestapelt, rostend, sich langsam zersetzend, ohne Listen, die ihren Inhalt beschreiben. Atommüll-Fässchen aus ganz Deutschland, gerne auch aus dem Ländle, mit herzlich schwäbischem Gruß von der Kehrwoche. Der Reaktorunfall von Tschernobyl liegt nun 24 Jahre zurück, und es scheint, als hätten wir nichts daraus gelernt. Die Welt rüstet auf, baut noch mehr Atomkraftwerke, die weitere Endlager brauchen. Bei uns wird der Ausstieg aus dem Ausstieg vorangetrieben, während gleichzeitig klar wird, dass die Endlager in Deutschland das „End“ besser streichen sollten. Unzählige Uranminen, häufig in armen Gesellschaften, verwandeln ganze Landstriche in radioaktiv verseuchte Wüsten und bringen den Menschen dort Krankheit und Tod durch schleichende Verstrahlung. Und schließlich das Damoklesschwert Proliferation: Schmutzige Bomben in den Händen von Terroristen und der Verstoß von Schurkenstaaten gegen den Atomwaffensperrvertrag sind die eine Seite, die andere Seite – das gigantische „legale“ Atomwaffenarsenal, fähig, auf Knopfdruck die Apokalypse auszulösen – ist nicht vertrauenswürdiger. Wer verhindern will, dass spaltbares Material illegal in Umlauf gerät, muss aufhören, immer mehr davon zu produzieren. Atom. Atom. Atom. Unten in der Asse haben wir gelernt und verstanden, dass es keine Sicherheit gibt. Das globale Atom-Roulette lässt uns tagtäglich unbewusst mit einer Vielzahl von Bedrohungen leben, die weitgehend unkontrollierbar sind. Wir haben es uns bequem gemacht, den Widerstand eingerollt, Tschernobyl verdrängt und der weltweiten Atomlobby das Spielfeld überlassen. In unserer zunehmenden Sorge um die Folgen des Klimawandels richten wir unseren Blick heute lieber in den Himmel als auf die Gefahren, die nach wie vor von der Atomkraft ausgehen. Der in der Rückschau schon fast romantisch wirkende Widerstand der Anti-Atom-Bewegung hat sein Ziel nur scheinbar erreicht. Der Kampf muss weitergehen: Es ist Zeit, den Schalter endgültig umzulegen! Meuterei im Atomkraftwerk! Jetzt strahlen wir!
Ralf Schmerberg und Team
Die Arbeit am Café Endlager hat uns sehr beschäftigt – und wird dies weiter tun. Die künstlerische Leitung dankt Entega, die dieses Projekt ermöglicht und bei der künstlerischen Gestaltung freie Hand gelassen hat. Sie dankt ebenso herzlich allen Künstlern, Beteiligten, kooperierenden Institutionen und dem Team für die großartige Zusammenarbeit.
Kate MacDowell, First And Last Breath, 2010, Fotoprint, 50 x 50 cm
Inhalt 5 Vorwort 7 Inhalt 14 Tschernobyl
Walter Mossmann, ein Hauptakteur der Anti-Akw-Bewegung, besucht den traurigsten Ort der Welt
20 Endlager
BfS-Präsident Wolfram König im Gespräch über Verantwortung, Atommüll und darüber, wie lange eine Million Jahre dauern
28 Widerstand
Guerilla-Art, Hoaxes, Hacktivismus – die Formen des Protests ändern sich. Doch Erfolg hat nur, wer über Inhalte und Ziele verfügt. Ein Essay von Holm Friebe
34 Uran
Die DDR war der wichtigste Uranlieferant der Sowjetunion. Ein Ortsbesuch im ehemaligen Tal des Todes am Rand des Erzgebirges. Reportage von Stefan Krücken
40 Proliferation
Macht und Magie des Atoms. Und wieso die Rettung der Menschheit nur in der Anbetung der Sonne liegen kann. Ein Essay von Ingo Niermann
44 Proliferation
Atom in Zahlen I. Zusammengestellt von Philipp Albers
46 Atom Weltweit
Global verstrahlt: So radioaktiv ist die Erde. Eine Karte
48 Atomenergie in Deutschland
Auch bei uns strahlt es gewaltig. Noch eine Karte
49 Atomwirtschaft, Uranbergbau und Co2-Bilanzen Atom in Zahlen II. Zusammengestellt von Philipp Albers
50 Epilog
Darf ein Unternehmen so tun, als sei es eine Umweltbewegung? HSE/Entega-Vorstand Holger Mayer im Gespräch
52 Veranstaltungsprogramm 54 Danksagung Cover: Groover Schrayer, Light Goddess Barbie
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Manuskript eines Radiointerviews, gefunden im Archiv des Bundesministeriums für Atomfragen (1955–1972): Atom-Minister Franz Josef Strauß setzte sich vehement für die zivile Nutzung der Kernenergie ein, die er gern komplett in privater Hand, möglichst frei von staatlicher Kontrolle gesehen hätte
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Liquidatoren nannte man die Aufräumarbeiter, die rund um Tschernobyl nach Überlebenden suchten. Dieser Kinderwagen wurde in einem verlassenen Haus gefunden. Igor Kostin, aus der Serie Chernobyl – The Aftermath, 1986, 109 x 150 cm
Tschernobyl
4000 Quadratkilometer groß ist die Sicherheitszone rund um den Block IV des Atomkraftwerks, in der Natur und Dörfer verwildern – wie auch dieser kontaminierte Apfelbaum. Igor Kostin, aus der Serie Chernobyl – The Aftermath, 1989
Tschernobyl
Hubschrauber messen den Austritt von Radioaktivit채t am Ort der Verheerung. Sieben Mal besuchte Fotograf Igor Kostin die Strahlungszone. Er ist heute in medizinischer Behandlung. Igor Kostin, Chernobyl Desaster and Consequences, 1986
Die Schnappschüsse von Oleg Veklenko dokumentieren die Banalität der Aufräumarbeit der Liquidatoren. Nur durch Gasmasken geschützt, tragen sie die oberen Erdschichten mit einfachem Gerät ab. Verseuchte Aggregate werden mit gewöhnlichem Putzmittel gereinigt. Filmaufnahmen des damaligen Schichtleiters Veklenko, der heute als Professor für Grafikdesign an der Kunsthochschule Charkiw unterrichtet, wurden durch die Strahlung größtenteils zerstört. Der Gesundheitszustand der Arbeiter wurde bis heute nicht dokumentiert, geschweige denn veröffentlicht. Alle Aufnahmen: Oleg Veklenko, 1986 13
Tschernobyl
Eine Landpartie von Walter Mossmann
Am 26. April 1986 kam es in dem Reaktor eines ukrainischen Kernkraftwerks zu dem bisher größten nuklearen Unfall der Menschheitsgeschichte. Zu der Zeit war Walter Mossmann ein Hauptakteur der westdeutschen Anti-Atomkraft-Bewegung. 23 Jahre später fährt er als Tschernobyl-Tourist durch die verstrahlte Zone Kiew, 17. September 2009. Frühmorgens um halb acht von der elften Etage – dort oben bin ich für ein paar Tage in der Wohnung der Stefanowa untergekommen, über den Dächern der Stadt – mit dem tattrig-stabilen Lift runter zur Haustür und raus auf die Saksahanskyj-Straße, wo der Verkehr erstaunlicherweise schon brummt. Alles geht seinen postsowjetischen Gang, nur mein Mietwagen ist noch nicht da. Also steh ich herum, unbestimmt erwartungsvoll, im Frühtau sozusagen, ein nicht abgeholter Ausflügler. Auch das Wetter ist danach, wahrscheinlich wird das heute wieder so ein prächtiger ukrainischer Indian-Summer-Day, knallbunt, vielleicht auch richtig heiß. Schließlich kommt der Wagen, ein VW-Bus deutscher Herkunft, ursprünglich vielleicht mal als „humanitäre Hilfe“ deklariert (Unsinn! So spricht das notorische Misstrauen der 90er-Jahre, heutzutage vermutlich ganz unangebracht, aber es sitzt tief, das Misstrauen). Der Fahrer heißt Igor, der Guide heißt Sergij, beide sprechen nur Russisch. Ein paar Straßen weiter steigen die Anthropologen zu, Rostyslaw Omeljaschko im grün gescheckten Overall, Military-Look, ich weiß nicht, warum, und Olena Tschebanjuk mit einer Frisur, die zu den Farben des Altweibersommers passt, sie trägt flammendes Rot, das leuchtet mir ein. Die Ethnologen sprechen untereinander Ukrainisch, und für später hat Olena ein etwas zerlesenes Taschenwörterbuch Russisch/Englisch mitgebracht. Wir fahren auf einer Ausfallstraße nach Norden. Aber die Stadt will einfach nicht aufhören, eine endlose „banlieue“. Rechter Hand hinter den Plattenbauten vermute ich in Gegenrichtung den Dnjepr, links muss irgendwo die Schlucht von Babij Jar liegen. Babij Jar – diesen seltsamen Namen hatte ich erstmals im April 1963 gehört, und zwar im Festsaal der Tübinger Uni. Dort trat der Dichter Jewgeni Jewtuschenko auf und rezitierte sein „Babij Jar“-Poem. Jewtuschenko, damals gerade 30, wurde als Sowjetrebell gehandelt, das machte ihn mir sympathisch, und außerdem hatte ich zuvor noch nie erlebt, dass ein Poet seine Gedichte vorträgt wie ein Popstar seine Songs, mit Ganzkörpereinsatz und ohne jede Scheu vor Pathos und feuchtfröhlicher Gefühligkeit. Die Show war toll, die anderen Gedichte erinnere ich nicht, nur eben „Babij Jar“. In der Übertragung von Paul Celan heißt es dort: Die Internationale / ertönen, erdröhnen soll sie, / wenn der letzte Antisemit, den sie trägt, diese Erde, / im Grab ist, für immer. Drei Wochen nach meiner Geburt hat die Nazi-Militärmaschine (mein Vater „ein Rädchen im Getriebe“) die Stadt Kiew in Besitz genommen, eine Woche darauf fand schon der Massenmord von Babij Jar statt. Derweil wurden in der Heimat die Fotos herumgereicht, die den treuherzigen deutschen Landser zeigen, wie er als Ausflügler im ukrainischen Sonnenblumenfeld herumtapert. (Was hattest du dort zu suchen, Emil?) Über alles wächst Gras oder vielmehr: Es wachsen Plattenbauten, Plattenbauten, Plattenbauten. Etwas weiter nordwestlich von Babij Jar muss das Konzentrationslager Syrez gewesen sein. Ob ich beim Stichwort Kiew auch mal an irgendwas anderes denken kann als nur an Nazikram? Ja, natürlich, ich denke gern an Dynamo Kiew. Ein wunderbares Ensemble. Die haben doch in den 60er-, 70er-Jahren einen temporeichen Kombinationsfußball gespielt, hinreißend, und ganz in Weiß traten sie auf, und der westdeutsche TV-Reporter hat jedes Mal, wenn die sowjetische Mannschaft in der Totale zu sehen war, wie auf Knopfdruck vom Kollektiv schwadroniert (Subtext: seelenlos), vom Kollektiv ohne Individualisten, als ob es sich um irgendwelche Apparatschiks mit Betonstiefeln gehandelt hätte, wir sahen aber leichtfüßige Fußballer, Ballartisten, Künstler, und sie haben unglaublich schnell und elegant gespielt – „kollektiv“ und „elegant“, geht das überhaupt zusammen? 14
Ganz unversehens hat die endlose Stadt Kiew denn doch aufgehört, und nun fliegt richtige Landschaft am Autofenster vorbei: Felder, Wiesen, Weiden, Bäume, Wälder. Sehr helle Wälder. Kiefern und Birken, gelegentlich Pappeln. Und allerlei Gewässer, Flussarme, Fischteiche, Seen. Diese hellen „russischen“ Wälder der Ukraine kamen in jeder Kriegserzählung vor. Und die Sümpfe natürlich auch, die berüchtigten Pripjatsümpfe, von denen die Heimkehrer raunten, in den Pripjatsümpfen hätten sich die Partisanen versteckt, diese Bestien in Russengestalt; die hätten den erschlagenen Deutschen auch noch die Eier abgeschnitten. Die Partisanen musste man natürlich „ausmerzen“, da gab es kein Pardon. Ausgemerzt wurden dann aber entsprechend dem großen Plan die Juden in allen kleinen und größeren Orten der Region, in Mogilew, Gomel, Tschernobyl, Borisow, Witebsk. Und über 30.000 in Babij Jar. Davon haben die Heimkehrer nicht gesprochen, angeblich nichts gewusst. (Ah, diese verdammte Sechste Armee, wie ich die Götterdämmerungsfilme über Stalingrad hasse!) Nach zwei Stunden Fahrt dann die Zonengrenze. Stoppschild, Schlagbaum, Passkontrolle. Das letzte Pissoir vor dem verstrahlten Gelände, in das man besser nicht austreten sollte. Die Grenze: ein wirklich abgelegener Ort, auf dem Theater würde man sagen „freies Feld“. Unser VWBus das einzige Auto weit und breit. Die Grenzer gehen mit Sergij und Rostyslaw recht kollegial um, man kennt sich, und ich erfahre nun von Olena unter freundlicher Mithilfe ihres zerfledderten Wörterbuchs, was der martialische Military-Look von Rostyslaw bedeutet: Rostyslaw Omeljaschko trägt ganz offiziell Uniform, er ist nämlich im Dienst, und zwar als Projektleiter des State Scientific Center for Cultural Heritage Protection from Man-Caused Catastrophes, das dem Tschernobylministerium unterstellt ist. Die Expeditionsgruppen dieses Zentrums versuchen seit den frühen 90er-Jahren zu retten, was noch zu retten ist. Sie holen regelmäßig in den verlassenen Dörfern der Zone traditionelle Gerätschaften von Haus und Hof, aus Landwirtschaft und Handwerk (auch Kunsthandwerk, Töpferei, Glas, Schnitzerei, Textil): Mobiliar, Bilder, regionale Trachten, Musikinstrumente, die ortstypischen Einbaumboote und die Fangkörbe der Fischer – das Spektrum ist sehr breit. Sie säubern die künftigen Exponate, so gut es geht und lagern sie in verschiedenen Magazinen in Kiew, Tschernobyl, Iwankiw, Lemberg. Irgendwann soll daraus ein Museum werden, ein Tschernobyl-Memorial. Der Schlagbaum gibt den Weg frei, und unser Wagen rollt in die gesperrte Zone. Rechts und links immer noch derselbe helle „russische“ Wald, über uns derselbe nachsommerlich blaue, leicht verwischte Septemberhimmel, und wenn der Wagen mal anhält, höre ich eine fantastische, geradezu beglückende Stille. Aber mein Kopf macht nicht mit. Irgendeine Instanz in mir hat auf Alarm geschaltet und beginnt zu dramatisieren. Sie muss nun unbedingt über die stummen Bilder der Landschaft eine Tonspur legen, ein elektrisches Sirren & Flirren und ein Ticken & Tackern wie vom Geigerzähler. Ich sehe nichts, spüre nichts, rieche nichts, aber ich weiß: Diese Zone ist verstrahlt. So ist das eben, wenn einem das mitgebrachte Wissen die unmittelbare Wahrnehmung versaut. Ich weiß nicht mehr genau, wann ich zum ersten Mal versucht habe, mir eine verstrahlte Landschaft vorzustellen. Vielleicht 1973, als Freia Hoffmann in das Manuskript für eines unserer gemeinsamen Radiofeatures einen Satz über die Atomkatastrophe von Swerdlowsk (1957/58) hineingeschrieben hat. Dort sei ein Gebiet von der Größe Schleswig-Holsteins verstrahlt worden. Damals galt diese Nachricht noch als Räuberpistole, aufgebauschtes Gerede von linken Wichtigtuern, denn die Explosion in der sowjetischen Plutoniumfabrik „Majak“ zwischen Tscheljabinsk und Jekaterinburg (Swerdlowsk) war der bestverheimlichte
GAU in der Geschichte der Atomindustrie, und auch die westlichen Atomstromverkäufer wollten darüber nicht geredet wissen. Der russische Biologe Schores Medwedjew hat die Sache aufgedeckt und 1979 in einem Buch dargelegt: „Nuclear Disaster in the Ural“. Aber Freia hat es erstaunlicherweise schon 1973 gewusst und im Südwestfunk verbreitet, und ich habe damals versucht, mir eine derart verseuchte Landschaft vorzustellen: die hellen Wälder, die Gewässer, die Felder, die Dörfer – verstrahlt. Es ist mir nicht gelungen. Man kann sich kein Bild davon machen. Am 17. Mai 1986, also drei Wochen nach der Havarie, habe ich als Gast bei einem Sonderparteitag der Grünen in Hannover eine Tschernobyl-Rede gehalten und versucht, für meine verworrenen Wahrnehmungen Worte zu finden: Dann redet der Wetterkartenmensch vom Ostwind. Ganz unverfänglich zunächst. Und dann ist „es“ da. Aber was ist denn da in Wirklichkeit? Nichts ist da außer Wissen, und das ist ungenau. Schon die sogenannte Wolke ist nicht sichtbar, nur ein Bild, das sich das Wissen gemacht hat. Nichts zu hören, zu sehen, zu riechen, zu schmecken, anzufassen – nichts. Vor allem kein „Schmutz“. Dieses Saubermänner-Trauma, dieses Idiotengeschwätz von der Umweltverschmutzung! Das Widerwärtige an der Radioaktivität ist ihre Sauberkeit. Wenn ich aus dem Fenster hinausschaue, sehe ich die sauberste Idylle der Welt: Da blüht ein Kirschbaum, da weiden zwei Schafe, da pflücken Kinder die ersten Wiesenblumen. Endlich ist es mal wieder warm und grün, und der Wind fährt durch Haare und Röcke – aber das soll alles an diesem Tag nicht wahr sein. Von da und dort höre ich Warnungen der Wissenden: überall strahlende Teilchen, die herumschweben, eindringen, angereichert werden, Zellen zerstören. Dann diese absurden Becquerelzahlen, über deren Bedeutung ich selbst gar nichts weiß, obwohl ich besonders große manchmal in den Mund nehme. Aber was heißt das schon? Das ist ja das Gespenstische. Es findet kein blutiges Drama statt, dessen Tragweite sofort begriffen werden könnte: Hier das Messer, dort die Schnittwunde, das schafft klare Verhältnisse. Hier der Hammer, dort der Schädel – so was ist verständlich. Wenn unsere Haut wenigstens empfindsam wäre, so eine Art Lackmuspapier, wenn sie sich verfärben würde und eine Reaktion anzeigen! Nichts von alledem – die Schäden, sagt man, werden vielleicht erst in der nächsten Generation auftreten, und beweisen kann man dann den (strittigen) Zusammenhang von Ursache und Wirkung allenfalls mithilfe der Statistik. Ich sehe, ich bin vollkommen abhängig von Messungen, denen ich mit guten Gründen nicht mehr traue, und von Interpreten, die ich schon seit über zehn Jahren als Lügner kenne. Die Lage ist fatal, und die Gefühle schwanken. Wenn ich etwas unternehme, ist es vielleicht lächerlich. Wenn ich etwas unterlasse, ist es womöglich fahrlässig. Die Kinder dürfen ihren Dreck nicht genießen, sondern werden dekontaminiert; in der Kneipe verlange ich Konservenfraß statt Salat; kein Ökohändler will je etwas mit glücklichen Hühnern zu tun gehabt haben; wenn es regnet, spielen nur noch Türkenkinder im Sandkasten. Was ist lächerlich? Was ist fahrlässig? Die Gefühle schwanken. So beschaffen waren meine Sätze im Mai 1986, aufgeschrieben im „Café Irlandais“ an der Place de Contrescarpe, Paris, 5ème arrondissement, inmitten einer Schar von heiteren, sorglosen Kaffeehausbesuchern – in Frankreich, wo die Électricité de France das Sagen hat, war die Tschernobyl-Wolke angeblich gar nicht angekommen! – und vorgetragen in Hannover bei der Außerordentlichen Bundesversammlung der Grünen vor einem Publikum, das vor Tschernobyl-Betroffenheit nur so triefte, obwohl dieser Parteitag eigentlich vom damaligen Hauptwiderspruch zwischen Fundis und Realos umgetrieben wurde. Und jetzt, dreiundzwanzig Jahre später, fahre ich als Tschernobyl-Tourist durch die verstrahlte Zone, erinnere meine
Cornelia Hesse-Honegger malte vor dem Unfall in Tschernobyl mutierte Laborfliegen und untersuchte ab 1987 Blattwanzen in Fallout-Gebieten. Die Mutante Aristapedia wurde 1985 durch RÜntgenstrahlen genetisch verändert. Aquarell in Miniaturtechnik, 1985, 44 x 55 cm
Tschernobyl
Noch 2001 ist die Warte in Block IV völlig verwahrlost. Im Angesicht der Katastrophe verließen die ukrainischen Techniker fluchtartig den Kontrollraum. Die Aufnahme stammt von Robert Polidori, der in der Zone geplünderte Schulen, Krankenstationen und Schiffe fotografierte. Copyright: Robert Polidori, Tschernobyl, 2001. Courtesy: Camera Work, Berlin
Tschernobyl Sätze von damals und bemerke: Die Gefühle schwanken immer noch. Neben der Straße tauchen immer mal wieder die vom Wald zugewachsenen, längst verlassenen Bauernhäuser auf, schattenhaft, geheimnisvoll. Ehemalige Dörfer, Weiler, Aussiedlerhöfe, Rostyslaw kennt sie alle mit Namen. Dann, durchaus auffällig in diesem flachen Land, zwei, drei Hügel. Rostyslaw erzählt von einem Dorf, das untergepflügt wurde, weil es zu sehr verstrahlt gewesen sei; nun liegt es hier unter der aufgeworfenen Erde, unwiederbringlich. Dieser Ort hieß Zalissja. Mich erinnern die Hügel an Kurgane. Und die Bewohner von Zalissja? Man hat sie evakuiert („In zwei, drei Jahren seid ihr wieder zu Hause“), und heute, nach einem Vierteljahrhundert, hausen sie irgendwo, mal besser, mal schlechter, verstreut auf unzählige Ortschaften zwischen Charkiw und den Karpaten, und gelegentlich kriegen sie Besuch von den Ethnologen der Expeditionsgruppe. Olena Tschebanjuk betreibt derartige sekundäre Feldforschung, sie macht Hausbesuche und sammelt mit Tonbandgerät und Videokamera die uralten Volkslieder, Sprüche, Redensarten, Märchen und Legenden aus den Dörfern von Polissja, fotografiert die Menschen, ihre Erinnerungsstücke, Devotionalien, ihre traditionellen Gewänder. Landschaftlich wirklich wunderschön gelegen die Kleinstadt Tschernobyl, auf einer Anhöhe über dem Fluss Pripjat. Erstmals als Ortschaft erwähnt im 12. Jahrhundert, eine Stadt mit Vergangenheit. Heute eine Stadt mit nichts anderem mehr als Vergangenheit. Provisorisch und ambulant wohnen hier noch ein paar Leute, die im AKW beschäftigt sind oder sonst wie in der Zone zu tun haben. Und richtig, ein Hotel gibt es auch („Extremtourismus!“, Olenas Kommentar); und schräg gegenüber vom riesigen verloren-versteinerten Lenin zeigt die Leuchtschrift über dem Postamt die aktuelle Strahlenbelastung an. Die schwankt heute zwischen 98 und 101, auch 3000 habe es schon mal gegeben; ich weiß allerdings nicht, in welcher Einheit hier gemessen wird, ich wüsste mit diesem Wissen auch gar nichts anzufangen. In einem kleinen Park (obwohl – die ganze Stadt Tschernobyl ist ja längst ein reichlich baumbestandener, großer tickender Park!) eine Gedenkstätte für die Liquidatoren. Am Eingang eine Plastik in Grünspan, sie stellt eine Kanone aus dem letzten Weltkrieg dar. Artillerie gegen Strahlung? Nein, die Erinnerungskultur greift eben auf die vertrauten Muster zurück, auf alte Gewohnheiten, man zieht den Hut, schlägt das Kreuz und gedenkt der Gefallenen. Tschernobyl-Tag ist so etwas wie Volkstrauertag, Heldengedenktag. Die Blumen am Mahnmal in Tschernobyl erinnern mich an die Blumen in Verdun, an Kriegsgräberfürsorge. Im Tschernobyl-Museum in Kiew habe ich eine moderne Ikone gesehen, die den „heiligen Feuerwehrmann“ darstellt. Im angrenzenden Raum eine Grußadresse der New Yorker Feuerwehrleute. Nine Eleven – Tschernobyl? Ja, das sind durchaus verwandte Mythen. Aus dem amerikanischen Mythos resultiert der „Krieg gegen den Terror“, aus dem ukrainischen – ich weiß nicht. Vielleicht ist ukrainische Trauer doch etwas selbstvergessener als amerikanische. Plötzlich zwischen den Bäumen eine Synagoge aus dem 19. Jahrhundert. Zwei Birken wachsen aus der Fassade heraus. Richtig, die Stadt Tschernobyl hatte auch ihr Schtetl. Um 1900 beispielsweise lebten hier 7000 Juden bei einer Gesamtbevölkerung von etwa 10.000. Seit Mitte des 18. Jahrhunderts habe es hier eine für ganz Osteuropa bedeutende chassidische Dynastie gegeben, begründet von Reb Menachem Nachum Twersky. Das war zur selben Zeit, als hier auch die russischen Altgläubigen eingewandert sind auf der Flucht vor der unduldsamen Moskauer Autokratie. Langsam öffnet sich der Blick auf die vergangene Menschengesellschaft von Polissja, deren Geschichte am 26. April 1986 abrupt und definitiv beendet wurde. Tschernobyl ist eben mehr als eine Chiffre für eine Nuklearkatastrophe. (Die jüdische Geschichte von Tschernobyl endete 1941, und zwar in Babij Jar.) Mit Rostyslaw stromere ich ein bisschen um eine orthodoxe Kirche herum (ob das gefährlich ist, mit offenen Sandalen herumzulatschen im verstrahlten Gras?), und er rupft im Kirchhof ein Kraut ab und hält es mir unter die Nase: „Tschornobyl! Tschornobylnyk! Schau dich um, das wächst hier überall!“ – Ach ja, ich weiß schon, jetzt kommt die Geschichte mit der Apokalypse. Mystizismus 18
Nichts zu hören, zu sehen, zu riechen, zu schmecken, anzufassen. Nichts. Vor allem kein Schmutz. Das Widerwärtige an der Radioaktivität ist ihre Sauberkeit.
spielt in der ukrainischen Volkskultur seit je eine große Rolle, manche Ethnologen meinen, Mystizismus sei ein Teil der „slawischen Identität“. Mit großer Begeisterung wurden beispielsweise schon 1986 die Verse 10 und 11 aus Kapitel 8 der Johannes-Offenbarung als Voraussage der Tschernobyl-Katastrophe gelesen: „Und der dritte Engel posaunte; und es fiel ein großer Stern vom Himmel, der brannte wie eine Fackel und fiel auf den dritten Teil der Wasserströme und über die Wasserbrunnen. Und der Name des Sterns heißt Wermut. Und der dritte Teil der Wasser ward Wermut, und viele Menschen starben von den Wassern, denn sie waren bitter geworden.“ Die Pflanze Wermut ist aber verwandt mit der Pflanze Beifuß, und Beifuß heißt auf Ukrainisch „tschornobyl“. Voilà! Quod erat demonstrandum. Im Kiewer Tschernobyl-Museum hat mir eine ahnungslose junge Frau dieses Zitat als eine Prophezeiung des Nostradamus serviert. Das hat mir gefallen. Pripjat, die sogenannte „Geisterstadt“. Ich finde hier nichts Geisterhaftes. Ich finde, diese Stadt ist vor allem leer. Und ich sehe nichts, was ich zuvor nicht schon auf Fotos und in Filmen gesehen hätte. Ich erlebe Pripjat als eine unvergleichliche Installation: Die vom Wald zugewachsenen Wohnblocks, das berühmte Schwimmbad, die berühmte Sporthalle, die berühmte Musikschule das berühmte rostende Riesenrad. Wir sind übrigens nicht die Einzigen, die in Pripjat herumgeführt werden. Inzwischen ist Mittag, und der Tschernobyl-Tourismus nimmt zu. Manchmal habe ich den Eindruck, morgens geht hier jemand durch und richtet die Scherbenhaufen, dass sie auch was hermachen, drapiert vielleicht eine Puppe dahin oder einen demolierten Teddybär dorthin, legt am Beckenrand ein Gästebuch aus, riskiert da und dort ein Graffito – die ganze Stadt Pripjat ist eine Installation mit derart vielen Bedeutungsebenen, dass mir der Schädel brummt. Die Stadt Pripjat steht ja auch ganz zeichenhaft für den sowjetischen Traum. Im April 1986 war sie noch nagelneu, gebaut erst 1970 für die Belegschaft der Tschornobyl‘ka Atomna Elektrostantsija. Gut, einige sagen „Retortenstadt“, eine dieser seriell hergestellten Industriestädte, wie sie in Sibirien aus dem Boden gestampft wurden, im Kaukasus, in der Ukraine, am Ural, und wie sie heute wieder verfallen und ganz ohne GAU grotesk verrosten. Allerdings war Pripjat immer etwas Besonderes, ein Schaufenster für den Rest der Welt, und: Dieser sowjetische Traum war gut finanziert und auf dem neuesten Stand. Es gab in dieser Stadt keine alten Leute, Durchschnittsalter 26 Jahre, mietfreies Wohnen, hervorragende Jobs, pro Jahr etwa tausend Geburten. 1986 hatte Pripjat 48.000 Einwohner, schon bald sollten es 80.000 sein. Dann die Havarie. Von einem Moment auf den anderen wurde hier 36 Stunden nach dem Unfall das Leben angehalten. Wie in „Dornröschen“, es fehlen nur die eingefreezten Bewohner, die man durch Prinzenkuss wieder erwecken könnte. Denn die Bewohner von Pripjat hat man damals in 1100 Bussen evakuiert. Seither steht die Stadt definitiv leer, der Wald nimmt sie in Besitz, von den Rändern her. Und nun kommen wir Tschernobyl-Touristen vorbei und erleben eine sehr eindrucksvolle Installation. Höhepunkt jeder Tschernobyl-Tour ist natürlich die Besichtigung von Block IV des Atomkraftwerks, der explodierte Block IV, der zugeschüttete, ummantelte,
immer noch unruhige („Meine Damen und Herren, sehen Sie hier: der weltberühmte Sarkophag von Tschernobyl!“). Ständig rollen nun mehr oder weniger luxuriöse Limousinen auf die Parkplätze; Standardbesetzung: ein Fahrer, ein professioneller Tschernobyl-Guide, ein Dolmetscher, ein Besucher, der für die Erlaubnis, in die Zone eindringen zu dürfen, mächtig gelöhnt hat. Seltsam, je mehr Leute ich treffe, die hier dasselbe tun wie ich, um so lockerer und leichtsinniger werde ich. Die Anspannung, die ich noch an der Zonengrenze gespürt habe, lässt deutlich nach. Stattdessen ein etwas dümmlicher Übermut. Auch ich lasse mich mit meiner Gruppe vor dem Sarkophag fotografieren. Dann dirigiert uns Rostyslaw zu einer Eisenbahnbrücke über einen kanalisierten Pripjat-Arm, irgendein betongefasstes Bassin. Er hat einen Laib Weißbrot mitgebracht, reißt ihn in Stücke und wirft die Brotbrocken ins Wasser. Drunten ein wildes Fischgewimmel, alle starren hinunter, vielleicht sehen wir nun endlich mal die redensartlichen AKW-Karpfen, die im radioaktiv verseuchten Kühlwasser zu ungeahnter Größe anschwellen? (In den 70er-Jahren war der AKW-Kühlwasser-Karpfen eine beliebte Witzfigur.) Nein, die Erwartungen werden gewaltig übertroffen. Wir sehen meterlange Tiere mit riesigem flachen Schädel und breitem Maul, rechts und links lange, bewegliche Barteln, die aussehen wie die gedrehten Schnurrbartschnüre der Saporoger Kosaken. Es sind Welse. „Tschernobyl Som“ diktiert mir Olena ins Notizheft. Und alle schauen wir hinunter, als hätten wir nun endlich ein sichtbares Bild des Schreckens gefunden in dieser Nachsommer-Idylle, die fürs Auge so harmlos tut. Endlich etwas Sichtbares! „Tschernobyl Som“, ein aufgeblasenes Nuklearmonster! Obwohl die Viecher wahrscheinlich nur so groß geworden sind, weil sie von den Touristen so viel Brot zu fressen kriegen. Ich schau den Monstern begeistert zu und verstehe, warum die Menschheit den Teufel erfunden und derart begeistert immer wieder lustvoll abgebildet hat. Beim Austritt aus der Zone wieder die Grenzkontrolle und ein Hand-Fuß-Kontaminationsmonitor. Ein vorsintflutliches Gerät, du legst oben rechts und links die Hände an die markierte Stelle und trittst mit den Schuhen in die vorgestanzten Fußstapfen, dann ein bisschen Geratter und Geknatter – und Spannung, ob die Maschine nun rot oder grün blinkt. Sie blinkt immer grün. Niemand glaubt an dieses Gerät, aber alle freuen sich über Grün. Prima Placebo. Der Ausflug ist zu Ende, ich habe Hunger. Wart’s ab!, signalisiert mir Olena mit ihrem Wörterbuch, „wait a minute!“ Dann biegt der Wagen ab, hinein in den hellen Wald, und da ist auch schon eine passende Picknick-Stelle mit rustikalen Tischen und Bänken, aus diversen Plastiktaschen wird ausgepackt, was man bei solchen Gelegenheiten auspackt: Brot, Käse, Wurst, Schinken, Tomaten, Gurken, Paprika; und Rostyslaw hat auch schon eine Wodkaflasche bei der Hand und bringt einen Toast aus, der Wodka macht wirklich gute Stimmung, fehlt nur noch das Lagerfeuer, was soll ich sagen? Seltsamerweise habe ich gut geschlafen in dieser Nacht, im elften Stock, Saksahanskyj-Straße 45, Kiew-Zentrum. „Über alles wächst Gras“, sagt die Sprache in einem gewissen tröstenden Ton. Aber wenn auch das Gras – und das erst recht! – verstrahlt ist? „Das hältst du doch im Kopf nicht aus!“, sagt die Sprache an anderer Stelle. Walter Mossmann war bis in die späten 80er-Jahre einer der bedeutenden politischen Sänger der Bundesrepublik, neben Liedermachern wie Franz Josef Degenhardt, Konstantin Wecker oder Hannes Wader. Als Leitfigur der Anti-Atomkraft-Bewegung war er in Westeuropa unterwegs, außerdem wirkte er als Rundfunkjournalist, Dokumentarfilmer, Buchautor und am Theater. 1941 geboren, engagierte sich der Germanist, Soziologe und Politikwissenschaftler schon früh in der Studentenbewegung. 1964 veröffentlichte er Gedichte, trat erstmals mit eigenen Chansons auf und wurde ab 1965 Protagonist des Burg-Waldeck-Festivals, die seinerzeit wichtigste Open-Air-Veranstaltung der linken Protestbewegung. Ab den 70er-Jahren stand der regionale Widerstand für ihn im Mittelpunkt, er engagierte sich vor allem gegen das geplante Atomkraftwerk in Wyhl. 2009 veröffentlichte Walter Mossmann seine Erinnerungen: „Realistisch sein: das Unmögliche verlangen“. Seit Jahren beschäftigt er sich intensiv mit Osteuropa. Mossmann lebt in Freiburg und in Lemberg in der Ukraine.
Norbert Schwontkowski, (Schul)Ausflug, 2008, テ僕 auf Leinwand, 200 x 240 cm. Courtesy: Contemporary Fine Arts Galerie, CFA Berlin
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Endlager
Ralf Schmerberg, Closed, 2010, Ditoneprint
Diese tragische Unsichtbarkeit Interview mit Wolfram König von Ralf Grauel
Wolfram König lässt gerade Atommüll aus vierzig Jahren deutscher Geschichte aus einem maroden Bergwerk holen. Ein unbequemer Job, aber jemand muss ihn machen. Ein Gespräch über Endlager, Verantwortung und über die Frage, wie lange eine Million Jahre dauern Herr König, Sie lassen gerade prüfen, Atommüllfässer aus einem alten Bergwerk ans Tageslicht zu holen. Ist das nicht auch Polittheater, mit dem sich die Anti-Atom-Hysterie herrlich steigern lässt?
So einfach ist das nicht. Wer Atomenergie nutzt, muss sich auch um die Entsorgungsfrage kümmern. Seit dem Einstieg Mitte der 50er-Jahre war klar, dass ohne diese Technologie eine vernünftige Entsorgung nicht verantwortungsvoll zu betreiben ist – jenseits anderer Risikofragen, die damit verbunden sind. Dieser Verantwortung haben sich die eigentlich Verantwortlichen aber nie ausreichend gestellt. Bei der Asse ist das überdeutlich. Dort hat man eine sogenannte Forschungseinrichtung sehr frühzeitig als billige Entsorgungseinrichtung funktionalisiert, ohne dass vor der Einlagerung die Sicherheitsnachweise erbracht waren. Das hat nicht nur das Vertrauen in die Machbarkeit der Entsorgung zerstört – vor Ort vielleicht stärker als bundesweit. Es hat gleichzeitig die Frage aufgeworfen, ob wir überhaupt in der Lage sind, mit solchen Technologien verantwortungsvoll umzugehen. Und nun holen Sie die Leichen aus dem Keller.
Das ist das gesellschaftliche Spannungsfeld, in dem ich mich bewege. Die einen sagen, Endlagerung sei nicht möglich, wir könnten nur versuchen, die Schädigungen so gering wie möglich zu halten. Die anderen behaupten, Endlagerung sei technisch längst gelöst, nur sei die Umsetzung politisch nicht gewollt und werde blockiert.
Technik. Was völlig klar ist: Wie das in der Asse organisiert wurde – alte Bergwerke zu nehmen, mit großen Problemen hinsichtlich Standsicherheit und Wasserzutritt –, das geht auf keinen Fall. Warum gräbt man nicht einfach große Löcher, stellt die Container darin ab und deckt sie mit einer Betonhalle ab, wie in Frankreich?
So gehen die Franzosen mit ihrem schwach- und mittelradioaktiven Abfall um. Aber wir reden ja hier über die hochradioaktiven Abfälle. Da geht es um eine Million Jahre. Für uns ist das unvorstellbar lang. Aber wir haben Stoffe in die Welt gesetzt, die so lange erhebliche Gefahren für die Umwelt verursachen können. Wie kommen Geologen zu Aussagen über derart lange Zeiträume?
Die Geologen versuchen Naturbeobachtungen, also Entwicklungen der letzten 200, 300 Millionen Jahre in die Zukunft zu projizieren. Dafür muss man sich auf Szenarien verständigen. Welche Klimaveränderungen sind zu erwarten? Eiszeiten können erhebliche Auswirkungen auf ein Endlager haben, wenn es zum Beispiel im Salz errichtet wird und sich in diesem Bereich beim Abschmelzen Rinnen bilden, die mehrere hundert Meter tief werden können. Das ist tatsächlich ein Aspekt in Gorleben, wo eine Rinne aus der letzten Eiszeit vorhanden ist. Diese Rinne hat die abdichtende Tonschicht beseitigt, sodass das Grundwasser direkt bis an den Salzstock herankommen kann. Die Frage ist: Was passiert in einer Million Jahren?
Weiß man, wohin das Wasser führt, das in der Asse eintritt? Kommt es irgendwo, sagen wir mal in Halle oder Herne, wieder heraus?
In Gorleben gibt es keinen Grundwasserkontakt mit Bereichen, in denen man vorhat, gegebenenfalls ein Endlager zu errichten. Bei der Asse jedoch dringt Wasser in den Bereich ein, der für die Abfalleinlagerung genutzt wird. Zwar kommt das Wasser noch nicht bis an die Abfälle, aber es ist im Bergwerk. Das genaue hydrogeologische System ist noch nicht genügend erkundet. Was machen Sie mit dem Wasser?
Wir pumpen ab. Jeden Tag 12.000 Liter. Und hoffen, dass es nicht mehr wird. Wir versuchen aber, uns darauf einzustellen, dass auch eine größere Menge noch handhabbar ist. Ist dieses Wasser verseucht?
Nein. Das Wasser ist unbelastet. Wieso pumpen Sie dann ab?
Um zu verhindern, dass es in Kontakt mit den Abfällen kommt, kontaminiert und zu einem echten Problem wird. Und natürlich, damit die Grube nicht langsam voll läuft und dann absäuft. Was machen Sie mit dem abgepumpten Wasser?
Wir bringen es in Tanklastern in ein anderes Bergwerk. Es handelt sich ja um voll gesättigte Salzlauge. Die können wir nicht in irgendeinen Bach einleiten. Und es wird zur Stabilisierung eines anderen Bergwerkes genutzt, nachdem es freigemessen und sichergestellt ist, dass keinerlei Belastung vorliegt.
Wer sagt denn so was?
So steht es in den Broschüren des Deutschen Atomforums, des Lobbyverbands der kerntechnischen Industrie. Ist denn die Endlagerung technisch gelöst? Nein. Die eigentliche Herausforderung stellen die hochradioaktiven Abfälle dar, die 99,9 Prozent der Strahlung ausmachen. Die Endlagerung dieser Abfälle ist weltweit nicht gelöst. Lediglich für die schwach- und mittelradioaktiven Abfälle mit geringer Wärmeentwicklung gibt es ein atomrechtlich genehmigtes Endlager: Schacht Konrad. Dabei handelt es sich zwar um große Mengen, aber nur 0,1 Prozent der in Deutschland endzulagernden Radioaktivität. Wieso werden dann hochradioaktive Abfälle zum Beispiel nach Gorleben transportiert?
Weil sich dort ein zentrales Zwischenlager für hochradioaktive Abfälle befindet. Bei dem Salzstock in der Nähe handelt es sich um ein Erkundungsbergwerk, bei dem geprüft wird, ob es sich als Endlager eignet. Bis hin zu Umweltministern aus Süddeutschland aber meinen nun viele, dass in Gorleben Castoren endgelagert würden. Das ist ein Missverständnis. Bundesumweltminister Röttgen hat eben wieder festgestellt, dass wir noch mindestens 17 Jahre bis zu einem Planfeststellungsbeschluss, 20 Jahre bis zur Realisierung einen Endlagers Gorleben brauchen. Da war das Missverständnis bequemer.
Richtig. Denn für die Gegner der Kernenergie sind die eigentlichen, ungelösten Fragen gleichermaßen unbequem. Wie viel Abfall werden wir noch produzieren? Und wie lagern wir diesen Abfall für viele Generationen sicher ein? Wie lange muss ein Endlager sicher sein?
Für hochradioaktive Abfälle mindestens eine Million Jahre. Man kann eine Endlagerung nur realisieren, wenn die folgenden Generationen nicht dauerhaft mit der Überwachung beauftragt werden. Sie müssen ein Endlager so bauen, dass, wenn das Wissen um die Stoffe weg ist, nicht plötzlich eine Gefährdungssituation entstehen kann. Eine solche Stabilität bietet doch kein Ort der Erde.
Deswegen muss man es so organisieren, dass die abdichtenden Barrieren, die letztendlich die Sicherheit zu gewährleisten haben, nachweislich diese Funktion auch dauerhaft übernehmen können. Aber ein solcher Nachweis ist doch nicht zu erbringen.
Das ist die Herausforderung an Naturwissenschaft und
Ralf Schmerberg, Ich bin hier II, 2010, Ditoneprint, 200 x 140 cm, 2010. Die Serie entstand im ehemaligen Forschungsbergwerk Asse für schwach und mittelradioaktiv strahlende Abfälle 21
Endlager Ralf Schmerberg, Asse, 2010, Ditoneprint, 200 x 140 cm
Endlager Was passiert mit dem kontaminierten Wasser aus den berüchtigten Laugensümpfen?
Das bleibt unter Tage. Im Rahmen des Gesamtkonzepts wird es bei einer Rückholung mit zu behandeln sein. Sickert dieses Wasser denn nicht durch das Bergwerk weiter ins Grundwasser?
Nein. Die Laugen stammen aus den Kaliabbauen im Nordbereich, in die in den 20er-Jahren nasser Versatz eingebracht wurde. Die Laugen sind dort im Bereich der 750-Meter-Sohle salinär eingeschlossen und können nicht nach unten versickern. Grundwasser führende Schichten befinden sich oberhalb der Sohle. Bislang ist kein verseuchtes Wasser abgeflossen?
Von Zutritten oder Abflüssen ist uns nichts bekannt. Wie sind diese Abfallkammern eigentlich beschaffen?
Es gibt 13 Abfallkammern, deren Größe von circa 20 x 20 x 15 Metern bis 80 x 20 x 15 Metern variiert. Und die mit Salzgrus verfüllt sind. Was ist das?
Grob gemahlenes Salz, das eingeblasen wurde und dazu dienen sollte, Stabilität herzustellen. Aber dieses Salzgrus besteht bis zu 50 Prozent aus Luft. Die stabilisierende Wirkung wird nicht so schnell erreicht wie zum Beispiel mit Beton. Nun gibt es Kammern, die schon während des Betriebs als Salzbergwerk in den 20er-Jahren verfüllt wurden, in denen auch Flüssigkeiten unter Tage gebracht wurden. Diese Flüssigkeiten sind wohl die Ursache für das Auslaugen in einzelnen Abfallkammern. Wir wissen also einerseits nicht genau, was in diesen Fässern ist, noch können wir sicherstellen, dass nicht über einen längeren Zeitraum kontaminiertes Material unkontrolliert austritt und durch das Deckgebirge wieder in die Biosphäre und ins Grundwasser versickert. Noch einmal zurück zum hochradioaktiven Müll.
Für den weltweit niemand eine Lösung hat. Gern. Hochradioaktiver Abfall gilt als wärmeentwickelnder Abfall. Was entwickelt in dem Müll noch Wärme?
Das sind abgebrannte Brennelemente aus den Reaktoren, die nicht mehr zur Energiegewinnung eingesetzt werden können. Die müssen abklingen. Zunächst fünf Jahre im
Kraftwerk selbst, gekühlt in einem Unterwasserbecken, dann werden sie trocken in die Castor-Behälter eingebracht. Zu diesem Zeitpunkt haben die Behälter immer noch über 100 Grad Außentemperatur. Das Abklingen dauert, weswegen man die Behälter frühestens nach 30 Jahren in ein Endlager einbringen kann. Diese Zwischenlagerung in Hallen dient dazu, die Wärmeleistung zu reduzieren. Kann man Castoren nicht als Fernwärmequellen benutzen?
Nein. Die Behälter sind so konstruiert, dass sie autonom bleiben. Sie kühlen sich durch natürliche Luftströmung. Sie sind also nicht an Kühlsysteme angeschlossen?
Nein. Wären es dann am Ende diese Castor-Behälter, die endgelagert würden?
Das kommt auf die Endlagerkonzeption an. Bisher war es zum Beispiel in Gorleben vorgesehen, sie neu zu konditionieren, also umzuverpacken. Man hat dafür ursprünglich einen anderen Behältertyp aus Beton, den sogenannten Pollux vorgesehen. Die neuen Sicherheitsbedingungen aus dem Jahr 2009 schreiben vor, dass die Behälter auch noch nach 500 Jahren für eine Bergung aus dem Endlager handhabbar sein müssen. Das ist hinsichtlich der bisher geplanten Behälter noch nicht nachgewiesen. Aber auch die Umlagerung in Pollux-Behälter ist noch in der Diskussion. Es gibt Überlegungen, ob es nicht sicherer ist, die bis zu 110 Tonnen schweren Castoren direkt endzulagern. Castor und Pollux, benannt nach den unsterblichen Söhnen des Zeus.
Das waren wohl seinerzeit die Assoziationen der Industrie. Von denen der eine, Castor, am Ende doch gemeuchelt wurde.
Jedenfalls ist es so, dass die Sicherheit in einem Endlager nicht durch den Behälter oder die Geologie, sondern das Gesamtsystem gewährleistet sein muss. Gibt es Radioaktivität an der Außenfläche der Castor-Behälter?
Es gibt Strahlung, aber die Behälter sind dicht. Das bedeutet, wir haben Energie, zum Beispiel Neutronenstrahlung,
aber keine Partikel an den Außenhüllen der Behälter. Diese Radioaktivität ist noch immer von einer Qualität, der sie sich nicht unkontrolliert aussetzen dürfen. Was bedeutet das für die Arbeiter? Anzüge? Geigerzähler?
Wer dort arbeitet, muss gewisse Abstände von den Behältern einhalten und gehört zu den Personen, die ein entsprechendes Messgerät tragen. Wer ist für die Zwischenlager verantwortlich?
Diese Zwischenlager werden von den Energieversorgungsunternehmen betrieben, die sind auch für die Sicherheit verantwortlich. Wir als Bundesamt für Strahlenschutz haben hier nur die genehmigungsrechtliche Grundlage zu liefern. Die Endlagerung ist dann wieder – aufgrund der besonderen Langzeitrisiken – eine staatliche Aufgabe. Kann man die Castor-Behälter nicht einfach in Hallen stellen und so viel Beton darübergießen, bis keine Strahlung mehr durchkommt?
Damit werden Sie Langzeitsicherheit nicht nachweisen können. Das ist der Kernpunkt der Endlagerung: Sie müssen nachweisen, dass über den Zeitraum, in dem die Stoffe wirksam sind, sie auch dauerhaft abgeschirmt bleiben. Die derzeit existierende Zwischenlagerung ist notwendig, um die Wärme abklingen zu lassen. Aber sie ist eben keine Endlagerung. Eine Endlagerung beinhaltet dauerhafte Absicherung und Überwachungsfreiheit. Wir können diese Überwachungs- und Kontrollaufgaben nicht einfach zukünftigen Generationen übertragen. Wieso eigentlich nicht? Wir können doch auch Häuser, Institutionen oder Schulden vererben. Warum ein solches Ultimatum an die Gegenwart stellen?
Weil es sich um eine Hochrisikotechnologie handelt, bei der die Herausforderungen nicht ein, zwei, drei oder zehn Generationen betreffen, sondern für eine Million Jahre gelöst werden müssen. Das würde bei einer durchschnittlichen Generationendauer von 34 Jahren auf eine Verantwortung für 25.000 Generationen hinauslaufen.
Eben! Nun hat ja schon die Asse gezeigt, dass selbst dann, wenn diese Stoffe sichtbar sind – jeder konnte ja in die Asse einfahren und bis an die Abfälle herangehen –, die Gesellschaft einschließlich der Politik und der Anti-AKWBewegung nicht in der Lage war, sich wirklich des Problems anzunehmen. Alle haben die Augen verschlossen und gehofft, dass es sich irgendwie selbst erledigt. Insofern war die Asse ja doch ein Forschungsbergwerk.
Dann allerdings zu einer anderen Thematik, nämlich gesellschaftspolitischer Natur. Für mich ist die Asse der Beweis, dass das Modell, unsere Probleme in die Zukunft zu verlagern und zu hoffen, sie würden dort besser gelöst, gescheitert ist. Herr König, zum Abschluss eine persönliche Frage. Sie leiten seit elf Jahren das Bundesamt für Strahlenschutz. Wie hat Sie der Job verändert?
Er hat meinen Blick auf Gut und Böse verändert, also auf Wahrheiten, die man früher klarer und unbelasteter zugeschrieben hat. Wenn Sie mit Alltagswissen an Probleme herangehen, sind Sie zwar schnell, aber komplexe Probleme lösen Sie dadurch nicht. In den letzten Jahren mussten wir alle – Industrie, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft – unsere Schützengräben verlassen und die Auseinandersetzung suchen. Früher hat man ein Bergwerk wie Gorleben, in dem sich kein Gramm radioaktives Material befindet, eingemauert und obendrauf Stacheldraht und Wasserwerfer gesetzt. Heute bringt uns das nicht mehr weiter. An diesem Punkt bin nicht nur ich, sondern es sind viele andere Menschen mit mir elf Jahre reifer geworden.
Ralf Schmerberg, Keine Verbindung, 2010
Wolfram König ist seit 1999 Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS). Durch seinen Einsatz für Transparenz und die Einbeziehung aller betroffenen Gruppen bei der Lösung brisanter Problemstellungen hat er sich selbst bei Kritikern Respekt verschafft. Seit Januar 2009 beaufsichtigt das BfS die Schließung des ehemaligen Forschungsbergwerks Asse, in dem über Jahrzehnte atomare Abfälle auf nicht genehmigte Weise de facto endgelagert wurden. König setzt sich für eine Lösung der weltweit ungeklärten Endlagerung hochradioaktiver Abfälle ein und plädiert für einen parteiübergreifenden Konsens. Ralf Grauel ist Wirtschaftsjournalist und schreibt für „brand eins“ und „brand eins Wissen“.
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Moritz Schleime, Der Baum der sterbenden Zeit, 2009, テ僕 auf Leinwand, 115 x 230 cm
Widerstand
Der Fotograf G端nter Zint ist einer der wichtigsten Chronisten der deutschen Anti-Atomkraft-Bewegung. Die Aufnahme zeigt eine typische Begegnung aus den 80er-Jahren. G端nter Zint, Baumverteidigung, 1975
Widerstand
Wie geht Widerstand heute? von Holm Friebe
Protest im Wandel: Wo früher paramilitärisches Pathos herrschte, gilt heute die strategische Liaison mit dem Marketing. Wer aber in der Gesellschaft des Spektakels durchdringen will, sollte neben einem triftigen Anliegen auch Argumente und Informationen auf seiner Seite haben Als im Jahr 2004 das Magazin „Rebel:art“ erst- und einmalig auf Papier erschien, um die versprengten Ansätze der „Culture Jammer & Adbuster, Hacktivisten & Net-Aktivisten, Street Artists & Street-Vandalen, PostDadaisten & Retro-Neoisten, notorischen Nervensägen & subversiven Störenfriede“ zu versammeln, stand eine simple Frage im Raum und auf dem Titel: „How to provoke today?“ Anders als beim Vorläufer und Genreklassiker, dem „Handbuch der Kommunikationsguerilla“ von 1997, das ganz im Stile der „Jetzt helfe ich mir selbst“-Bücher noch handfeste Anleitungen liefern konnte, schwang darin allerdings weniger das Versprechen auf umsetzungsfertige Subversionskonzepte aus dem Baukasten mit als vielmehr die Ahnung einer aporetischen Situation: Wie kann man heute überhaupt noch provozieren? In einer Zeit, da jede wirksame Subversion sofort als Blaupause für die nächste Marketingstrategie dient? In der das Guerilla-Marketing selbst sich mit dem Ruch des Klandestinen und Verbotenen umgibt? Und in der eine mit allen Wassern gewaschene Öffentlichkeit längst abgestumpft und tolerant ist gegenüber Provokationen jeglicher Art? Wie wichtig symbolträchtige Inszenierungen und die Generierung von Images im Kampf für die gute Sache sind, das hat niemand besser vorgemacht als Greenpeace. Noch heute assoziiert man bei dem Namen als Erstes spektakuläre Schlauchboot-Stunts vor Ölplattformen und Walfängerbooten. Aber auch Greenpeace sieht sich mit der Frage konfrontiert, wie sich Widerstand zeitgemäß aufladen lässt. Bei abstrakteren Themen wie der Sensibilisierung für die Folgen des Klimawandels greift man schon mal selbst tief in die Marketing-Trickkiste und lässt etwa den Fotokünstler
Protest wird Anfang der Achtziger zur Massenbewegung. Die Anwohnerin Marianne Fritzen auf dem Weg zu einer Demo. Foto: Günter Zint, GorlebenFritzen
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Spencer Tunick 600 Nackte beiderlei Geschlechts in einer Mulde des abschmelzenden Aletschgletschers arrangieren. Das Bild erschien weltweit auf Titelseiten und hatte einen ähnlichen medialen Impact wie seinerzeit der Rummel um die Ölplattform Brent Spar. „Sex sells“, was im Umkehrschluss nicht bedeutet, dass entblößte Brüste und Genitalien heute noch ernsthaft als provokant empfunden würden. Also zurück zur Frage, wie Protest heute provozieren kann. Das heißt auch: irritieren und die Gussform des Gelernten, Gewöhnlichen und Alltäglichen durchbrechen. Eine mögliche Antwort und spätestens seit den 1960ern erprobte Strategie ist die entlarvende Überidentifikation, auch „subversive Affirmation“ genannt. Indem man das, wogegen man sich richtet, in übertriebenem Maße umarmt, stellt man es bloß. Als prototypisch dafür steht im „Rebel:art“-Kontext das Projekt „Nikeground – rethinking space“ der Künstlergruppe 0100101110101101.org. Im Sommer 2003 errichteten die Wiener Aktivisten dafür auf dem Karlsplatz einen im Corporate-Look des Sportartikelherstellers designten Pavillon, um die Bevölkerung über die bevorstehende Umbenennung des historischen Platzes in „Nike-Platz“ zu unterrichten. Auch eine geplante Skulptur in Form eines gigantischen Swoosh, des NikeLogos, war im Modell zu besichtigen. Es hagelte empörte Leserbrief-Proteste, bis die wahren Macher sich outeten. Ihr Fazit: Die Aktion habe „zu einem Nachdenkprozess angeregt, inwieweit Großkonzerne allein Macht und Einfluss auf die Zeichensysteme des alltäglichen Lebens ausüben können“. Insoweit also ein voller Erfolg. Allerdings bleibt ein leiser Verdacht, dass die gesamte Aktion unterm Strich doch mehr auf das Konto der Marke Nike eingezahlt als
ihr geschadet haben könnte, zumal sie für den weniger versierten Beobachter kaum von Nikes sonstigen GuerillaAktivitäten zu unterscheiden war. „Um innerhalb einer Ökonomie der Aufmerksamkeit wirksam zu sein“, schreibt der Urbanismus-Kritiker Friedrich von Borries, „müssen sich diese Aktionen genau jener Logik unterwerfen, die sie zu kritisieren versuchen: der Logik des Marketings.“ Irgendwie scheint es keinen rechten Ausweg aus dieser Verstrickung mit dem Marketing zu geben. Denn der Rückweg in die idyllische Eindeutigkeit des politischen Straßenkampfes und Stellungskriegs erscheint erst recht verbaut. Gern lauschen wir der Generation der 78er, wenn sie von ihren Stahlgewittern im Kampf um die WAA Wackersdorf und die Startbahn West berichtet. Ein Abglanz dieser vorrevolutionären Romantik schien noch einmal auf in den militanten Scharmützeln im Umfeld der G-8Treffen von Seattle bis Heiligendamm und der jährlichen Belagerung des WEF-Treffens in den Schweizer Bergen. Mit Carlo Giuliani, der 2001 bei den Straßenschlachten während des G-8-Gipfels in Genua einem Polizeigeschoss zum Opfer fiel, gab es sogar zeitweise einen echten Märtyrer à la Benno Ohnesorg. Aber wer in letzter Zeit die alljährlichen Krawallfestspiele zum 1. Mai in Berlin und anderswo verfolgt hat, wird sich des Eindrucks kaum erwehren können, dass die in der Pose zorniger junger Männer ausagierte Gewalt zum hohlen Spektakel geronnen ist, das nur noch entfernt etwas mit Politik zu tun hat. Vom riskanten Funsport des erratischen nächtlichen Abfackelns vermeintlicher Nobelkarossen einmal ganz zu schweigen. Generell hat hasardeurhafter Heldenmut – die Bereitschaft, für die gute Sache Kopf und Kragen zu riskieren und todesverachtend den eigenen Körper zum Austragungsort politischer Konflikte zu machen – in den vergangenen Jahrzehnten einiges von seinem Nimbus eingebüßt. Wohl nicht erst seit dem 11. September. Nur irrationale Fundamentalisten und französische Arbeitnehmer können noch glaubhaft mit Entführungen, Attentaten, Hungerstreiks und Selbstmordanschlägen drohen. Bei fast allen anderen Akteuren wirkt derlei in Ermangelung einer realen revolutionären Perspektive schnell aufgesetzt und peinlich pathetisch. Natürlich kann man sich an den Gleisen von Gorleben festketten, um damit den Castor-Transport ein paar Stunden aufzuhalten. Aber spätestens seit sich der damalige „Titanic“-Redakteur Gerhard Henschel 1994 vor der Frankfurter DFB-Zentrale ankettete, um die Nachnominierung von Bernd Schuster für die Fußball-WM zu erzwingen, ist auch diese Protestform tendenziell der Lächerlichkeit überführt. Es muss also intelligenter gehen. Das ökonomische Kalkül des Marketings gebietet, selbst auf dem Feld der Symbolpolitik sparsam zu wirtschaften und mit begrenzten Ressourcen maximale Effekte zu erzielen. Dem Schneeballmedium Internet fällt in dieser Aufmerksamkeitsökonomie die Schlüsselrolle zu. Zusammen mit Mobilfunk und Textnachrichten hat es etwa die gute alte Demo ins 21. Jahrhundert katapultiert und als Flashmob beziehungsweise Smart Mob auferstehen lassen. Auf den Philippinen haben solche spontanen und dezentral koordinierten Demonstrationen bereits dazu beigetragen, einen korrupten
Von Beginn an ist das X das Wahrzeichen des Widerstands. Courtesy: Gorleben-Archiv
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Widerstand
Oft genug besteht die größte Provokation für die mächtigen Schurken dieser Welt allein darin, dass die schmutzige Wahrheit ans Licht kommt und es einen Mutigen gibt, der sie ausspricht.
Auch Kinder demonstrieren mit, etwa beim Wilstermarsch 1981, bei dem über 250 Menschen verletzt werden. AKW-Baustelle Brokdorf 1977, Zeichnung, Courtesy: Panfoto 30
Präsidenten zu stürzen. In Iran organisiert und verständigt sich die Opposition via Twitter. Und in Deutschland hat mittlerweile selbst die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di Flashmobs als alternatives Arbeitskampfmittel zu aufwendigen Streiks für sich entdeckt und veranstaltete bereits theatralische Spontanblockaden von Filialen missliebiger Einzelhandelsketten. Abgeschaut haben sie sich das vermutlich in den USA, wo Whirl-Mart-Aktivisten sich regelmäßig treffen, um in Wal-Mart-Märkten die Gänge mit leeren Einkaufswagen zu blockieren. Überrumpelungstaktiken und irritierende NonsenseElemente können wirkmächtige Waffen im Kampf um die symbolische Lufthoheit sein, besonders dann, wenn man sie mit dem Repertoire der subversiven Affirmation kreuzt. Seit circa 2003 irrlichtert die Clandestine Insurgent Rebel Clown Army als Widergänger der surrealen Clownsarmee aus Anonionis „Blow up“ bei internationalen Anlässen wie G-8-Gipfeln oder Klimakonferenzen zwischen den Fronten herum. Schillernd maskiert mit militärischer Tarnkleidung und klassischen Clowns-Attributen wie Schminke und roten Nasen, pusten sie Seifenblasen, reinigen Polizeifahrzeuge mit Staubwedeln – und produzieren mit dieser Form der paradoxen Intervention vor allem Bilder, die um die Welt gehen. Es sind Bilder, die die Inszenierung von Macht und Staatsräson veralbern, Ikonen der Respektlosigkeit. Wo wir gerade bei symbolischen Handlungen sind: Was früher das Kerzenanzünden in der Lichterkette war, ist heute das Lampenausmachen. Und zwar jährlich zur „Earth Hour“ am 27. März. 4000 Städte in 126 Ländern beteiligten sich dieses Jahr offiziell an dem globalen AntiSpektakel für den Klimaschutz, das, bei Licht besehen, niemandem wirklich wehtut. Provokanter ist die Aktion „Melser Denkpause“ des Schweizer Konzeptkunst-Duos Frank und Patrik Riklin, im Zuge derer der kleinen Gemeinde im Sarganserland eine tägliche Strom-Zwangspause verordnet werden sollte: „Eine grundsätzlich absurd erscheinende Praxis des absichtlichen Stromausfalles (..) läutet eine neuartige Dimension im System des Alltags ein“, schreiben die Künstler. Und ernten darauf Reaktionen von erbitterter Ablehnung bis zu blankem Entsetzen, also genau das, was sie mit der Aktion bezwecken wollten. Damit sind wir wieder bei den Strategien der Kommunikationsguerilla gelandet: dem Medien-Fake, dem
Hoax und dem Hacktivism. Und bei einer neuen Stufe der subversiven Affirmation, diesmal ausgestattet mit InternetTurbo. Die „best practice“ auf diesem Feld markieren Andy Bichlbaum und Mike Bonanno aus New York, die unter dem programmatischen Namen Yes Men firmieren. Das heißt, sie firmieren unter diversen gefakten Websites internationaler Konzerne und Organisationen wie Gatt und WTO, über die sie sich als deren Vertreter zu Kongressen, Konferenzen und Talkshows einladen lassen, wo sie dann gut einstudierte und professionell ausgearbeitete Ungeheuerlichkeiten lancieren. So kündigten sie bei einem Fernsehinterview im Namen von Dow Chemical eine umfangreiche Entschädigung der Opfer der BhopalKatastrophe an, worauf der Aktienkurs der Firma um drei Prozent einbrach. Bei einem internationalen Textil-Kongress in Tampere präsentierten sie das WTO-Modell eines goldenen Ganzkörperanzugs für Manager, der über einen phallischen Auswuchs mit eingebautem Überwachungsmonitor für Sweatshop-Arbeiter verfügt. Als Vertreter von Exxon verteilten sie auf einer Öl-Konferenz Kerzen aus Menschenfleisch von Klimaopfern als zukünftige Alternative zu fossilen Brennstoffen. Die Videomitschnitte dieser „pranks“ – inklusive der oft verstörend ungerührten Publikumsreaktionen – verbreiten sich via YouTube, wo sie hunderttausendfach angeklickt werden. Die Yes Men-Methode findet derzeit viele, wenngleich oft weniger virtuose Nachahmer: von den Greenwash Guerillas, die heuchlerische Öko-Kampagnen entlarven und bloßstellen, bis zum Bund mündiger Bürger, der einen Antrag auf Eröffnung eines Kontos bei der staatlichen Bad Bank zum Download auf seiner Website veröffentlicht – für Privatpersonen, die schon immer mal ihre Miesen loswerden wollten. Je inflationärer diese Strategien und Werkzeuge aber benutzt werden, desto mehr nutzen sie sich ab. Und desto mehr kommt es darauf an, was eigentlich Ziel, Zweck und Gegenstand der aktionistischen Provokation ist. Wie bei der politischen Satire muss die Frage erlaubt sein: Was will uns der Urheber eigentlich damit sagen? Für unsere Zwecke heißt das: Funktioniert die Provokation um der Provokation willen oder hat sie eine klare Stoßrichtung? Basiert sie auf Klischees und Ressentiments oder trifft sie einen realen Nerv? Ist sie Teil des allgemeinen Spektakels oder hat sie einen emanzipatorischen Kern? Von daher ist die Basis aller wie auch immer fantasievoll und kreativ gearteten Protestformen die oft mühsame und kleinteilige Aufklärungsarbeit einer intakten kritischen Öffentlichkeit. Dazu zählen eine funktionierende investigative Presse ebenso wie lobbykritische Vereinigungen und einschlägige Watchlogs. Eine wichtige Rolle bei der Aufdeckung von Skandalen in Politik und Wirtschaft spielt auch die Website wikileaks.org, die ihr zugespielte Dokumente und Belastungsmaterial veröffentlicht und ihren Informanten dabei absolute Anonymität garantiert. Denn oft genug besteht die größte Provokation für die mächtigen Schurken dieser Welt allein darin, dass die schmutzige Wahrheit ans Licht kommt und es einen Mutigen gibt, der sie ausspricht. Nur auf die Boulevardmedien möchte man sich in dieser Angelegenheit lieber nicht verlassen müssen. Holm Friebe, Jahrgang 1972, Diplom-Volkswirt, ist geschäftsführender Redakteur des Grimme-Preis-prämierten Weblogs Riesenmaschine, Geschäftsführer der Zentralen Intelligenz Agentur in Berlin und Dozent an der Zürcher Hochschule der Künste. Sein Sachbuch „Wir nennen es Arbeit – die digitale Bohème oder intelligentes Leben jenseits der Festanstellung“ (mit Sascha Lobo, Heyne 2006) wurde zum Wirtschaftsbestseller. Zuletzt erschien von ihm „Marke Eigenbau – Der Aufstand der Massen gegen die Massenproduktion“ (mit Thomas Ramge, Campus 2008).
Wir stellen uns quer, so der Titel dieses Fotos, ist auch die ewige Parole des Widerstands im Wendland. Foto: R. Erhard
Widerstand
Nackte hissen Plakate, ein H체ttendorf ruft sich zur Republik Freies Wendland aus. Die AntiAKW-Bewegung erfindet neue Protestformen, wenig sp채ter sogar eine neue Partei: Die Gr체nen. Die Aufnahmen stammen von Bewohnern und Besuchern des Wendlands. Courtesy: Michael Seelig
Uran
Tal des Todes nannten sie die Gegend, und das war noch nicht mal übertrieben von Stefan Krücken
Schlema im Erzgebirge war das Zentrum des Uranbergbaus der DDR. Früher gruben hier Zehntausende Bergleute für die Atombomben der UdSSR. Heute suchen Zehntausende Rheumakranke Linderung durch die angebliche Heilkraft des Radons. Ein Ortsbesuch Am schlimmsten ist nicht die Gewissheit, dass sein Tod nahe ist wegen der Radioaktivität, die seinen Körper verstrahlte. Am schlimmsten sind nicht die Schmerzen in den Gelenken, die beschädigt sind, weil er viel und zu lange mit den zentnerschweren Maschinen ins Gestein hämmerte. Auch mit seinen Erinnerungen an endlose Schichten unter Tage, wenn er in der Hitze des Schachts schuftete und den Kopf wegdrehen musste, weil der Lärm des Bohrhammers „BH-55“ auch mit weich gekautem Zeitungspapier in den Ohren nicht zu ertragen war, an Unfälle, an einen Kameraden, den er verarztete, als ihm ein Bagger den Arm abriss, an einen schweren Brand, mit all dem wird Ulrich Werk, 72, fertig. Schlimm aber wird es, wenn dem schmächtigen Bergmann, der mehr als die Hälfte seines Lebens in der Erde von Schlema arbeitete, Zweifel kommen. War es richtig, für die Atombomben der UdSSR nach Uran zu graben, für das „Gleichgewicht der Kräfte“ und „die Verteidigung des Weltfriedens“, wie es die Parolen an den Wänden des Bergwerks versprachen? Glaubte er an die richtige Sache? Und hatte er überhaupt eine Wahl? Vor Kurzem wurde der neue Golfplatz am Rande des Ortes eingeweiht, ein Parcours von zehn Bahnen. Im Klubcontainer, der im Schatten eines Förderturms steht, serviert man nun italienische Salate und kaltes Bier, und von Loch 8 aus hat man einen weiten Blick hinab ins Tal, sieht das Kurmittelhaus, das Hallenbad, die Hotels und ein Segel inmitten einer Parklandschaft. Das Segel soll eine Art Denkmal für die Wiederauferstehung des Ortes sein und steht genau dort, wo Ulrich Werk und viele andere früher in die Erde herabfuhren, Lichtloch 15. Schlema ist wieder Kurort, Bad Schlema, staatlich anerkannt, und wo Zehntausende
Schachtanlage der Wismut in Schlema um 1948. Rechts: Bergarbeiter im Stollen 1952. Mehr als 230.000 Tonnen Uran förderte das DDR-Unternehmen aus dem Erzgebirge hervor. Fotos Courtesy: Museum Uranbergbau Bad Schlema
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Bergleute an Lungenkrebs oder Silikose erkrankten, baden heute Tausende in radonhaltigem Wasser, um ihre Gicht oder ihren Rheumatismus zu lindern. Einige Abschnitte des Golfplatzes befinden sich auf Abraumhalden, unter denen verstrahltes Geröll lagert. Um die Zerstörung einer Region soll es gehen, so monströs, als versuche man, einen Teil der Erde in eine Mondlandschaft zu verwandeln. Aber auch um den ebenso gewaltigen Versuch, mit Geld und Hingabe und Arbeit wieder herzustellen, was herzustellen war. Nach Angaben der „Wismut“, eines ehemaligen Bergbauunternehmens von UdSSR und DDR, das die eigenen Altlasten im Auftrag des Bundes beseitigen soll, investierte man 770 Millionen Euro allein in die Sanierung der Landschaft rund um Schlema. Insgesamt stecken 6,4 Milliarden Euro in Europas größtem Umweltprojekt. Etwa 90 Prozent der Arbeiten, heißt es von der Wismut, seien abgeschlossen, und in einigen Abschnitten sieht man noch Bagger und Tieflader über die Hügel rollen, die Geröllberge abtragen und Humus aufschütten, damit Gras und Bäume darauf wachsen können. „Alles, wofür wir damals schufteten, liegt nun auf Halden“, sagt Werk, es klingt deprimiert. Alles auf Halden: Früher nannte man die Senke, in der Schlema liegt, „Tal des Todes“, und das war nicht übertrieben. An keinem anderen Ort zeigte sich deutlicher, mit welcher Rücksichtslosigkeit die Wismut die Umwelt in einer dicht besiedelten Region zerstörte. Hügel aus Abraumgeröll, giftig, radioaktiv, schüttete man in den Vorgärten von Häusern auf. Abluftanlagen bliesen belasteten Staub und gefährliches Radongas in die Höfe von Wohnvierteln. Hunderte Gebäude brachen zusammen, weil Schächte nicht richtig gesichert waren, und einige Dörfer riss man nach schnel-
lem Beschluss komplett ab. Hochgiftiger Schlamm wurde in Senken gepumpt, bis Giftseen aufliefen, tatsächlich: Seen aus hochgiftigem Schlamm. Zahlen gibt es, die das Ausmaß der geplanten Katastrophe beschreibbar machen sollen, aber was soll man mit Angaben wie 311 Millionen Kubikmeter Haldengeröll, 160 Millionen Kubikmeter radioaktive Schlämme oder 1400 Kilometer ungesicherte Grubengänge anfangen? Sie genügen kaum, sich die Qualität der Verwüstung vorzustellen, und wer wissen will, wie es früher aussah, sollte sich Aufnahmen von Michael Beleites ansehen, einem Umweltschützer in der DDR, der dem Terror der Stasi zum Trotz in der militärischen Sperrzone dokumentierte, was niemand sehen sollte. Was von 1946 bis Ende der 1980erJahre zwischen Seelingstädt und Königstein auf Weisung der Sowjetunion geschah, taugte als Kulisse für Endzeitfilme. Mehr als 120.000 Arbeiter schufteten zu Höchstzeiten für die Wismut, und sie holten insgesamt 231.000 Tonnen Uran aus dem Erzgebirge. Knapp 80.000 Tonnen Uran stammen aus den Zechen von Schlema, das vor dem Zweiten Weltkrieg ein idyllisches Radiumbad gewesen war, laut Eigenwerbung „das stärkste der Welt“. Russische Truppen schlossen die Kurbetriebe im November 1946, als man damit begann, unzählige Männer aus allen Teilen der sowjetisch besetzten Zone unter Zwang zu verpflichten. Geheimdienstleute und Geologen waren auf der Suche nach Uran fündig geworden, dem Material, nach dem Josef Stalin verlangte. Die USA hatten zwei Atombomben abgeworfen, und die UdSSR benötigte Uran, um eigene Sprengkörper bauen zu können. „Erz, Genossen, Erz um jeden Preis“, lautete die Losung. Zehntausende wurden unter Bedingungen geschunden, die denen in Straflagern glichen; der SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher brandmarkte die „Sklavenarbeit“ hinter den streng bewachten Stacheldrahtzäunen. In Militärtribunalen wurden vermeintliche Deserteure abgeurteilt, und wie viele Arbeiter in den Minen starben, weil Decken einstürzten, Feuer ausbrachen, weil Staub ihre Lungen verstopfte oder sie Hunderte Meter in die Tiefe der Schächte abstürzten, ist nicht geklärt. Zu verstehen, was Ulrich Werk antrieb, seinen unbedingten Willen, der Beste zu sein, einer Brigade seinen Namen zu geben, als jüngster Hauer knapp 30 Loren Uranerz in einer Schicht zu füllen, wenn die anderen nach 15 zusammenbrachen, dafür mit drei Bohrhämmern in der Enge und der Hitze zu arbeiten, Maschinen, die jeweils etwa 50 Kilo wogen und gefährlich zu bedienen waren, fällt ihm selbst schwer. „Ich kann nicht begreifen, wie wir das überstanden haben“, sagt er. In seinem Haus hat er ein Zimmer zum Museum umgebaut, zu einem kurzen Schacht, in dem er Geräte, Hacken und Lampen sammelt, und auf Fotografien sieht man Werk in Schwarz und Weiß, als jungen Bergmann, mit Backenbart und muskulösem Oberkörper. Seine Bergmannsjacke hat er an einen Bügel gehängt, sie ist mit zahllosen Orden dekoriert. „Alle für Arbeit“, betont Werk, „nicht einer für Politik.“ Von Extraprämien für Fleiß erzählt er, von einem Lebensstandard, der in der militärischen Sperrzone höher lag als im Rest der DDR, von seinem Stolz. „Ich bin Bergmann, wer ist mehr?“, so lautete damals ein Parole. „Vielleicht habe ich dem Weltfrieden gedient mit meiner Hände Arbeit“, sagt Werk, der jeden Morgen zur Stammzellentherapie ins anderthalb Autobahnstunden entfernte Dresden fährt, weil sein Arzt das so für richtig hält. Er sagt den Satz, als halte er sich daran fest, er räumt ein, dass ihm der Gedanke Trost spendet. „Ich habe vieles kaputt gemacht“, sagt Werk, „und ich musste etwas wiedergutmachen.“ Als Einmannbrigade Werk half er jahrelang der Gemeindeverwaltung von Schlema, wo er konnte, repa-
Uran Manfred Kage, Uran angereichert, 1970, Fotografie
rierte Straßenschilder oder Parkbänke und unterstützte seinen Freund, den ehemaligen Bürgermeister. Den „Barth Konrad“, wie ihn Werk (alias „Werk Ulli“) nennt, denn es gehört zu den Eigenarten der Region, dass man unter Bekannten Vor- und Nachnamen umdreht. „Barth Konrad“ hat vermutlich den größten Vorgarten in Sachsen, denn gleich vor seinem Haus, das „Tanneneck“ heißt und vor dem eine Laube steht, unter der bei gutem Wetter Schlagermusik aus einem alten Grundig-Radio dudelt und er Glückauf-Pils trinkt, liegt der Kurpark Bad Schlema. 40 Hektar ist die Grünanlage groß, eingezäunt, mit einem Schleusensystem gesichert, das auf Knopfdruck funktioniert. „Ich habe das alles therapiegerecht anlegen lassen“, erklärt Barth, 70, er weist mit einer Armbewegung auf das Sonnensegel in der Parkmitte. „Dahinter grast Dammwild, ich fand das schön. Habe ich mal im Urlaub an der Mosel gesehen.“ Um zu erklären, welche Rolle Exbürgermeister Barth (SED, später parteilos) von 1979 bis 2004 und gewiss noch heute im Ort spielt, genügt die Wiedergabe eines kurzen Dialogs, zwischen ihm und einem christdemokratischen Landrat. Der Landrat fragte: „Herr Barth, ein Bürger berichtete mir, Sie seien das Gesetz in Bad Schlema. Was sagen Sie dazu?“ „Das ist richtig“, entgegnete Barth. Der Geschäftsführer der Kurverwaltung, den Barth einst einwies (so wie er vermutlich alle Funktionsträger im Ort einwies), behauptet, das Sonnensegel im Kurpark stehe nach allem, was im Ort gelaufen sei, als Symbol für „Piraterie“. Barth ist ein kompakt gebauter, ehemaliger Bergmann, der früher eine Brigade leitete, die mit Kühlsystemen die Hitze unter Tage erträglicher machte. Er trägt ein blaues Poloshirt, beigefarbene Shorts und eine leicht getönte Brille, vieles an ihm erinnert an den Anfang der 90er-Jahre, an die Aura von Kohl oder Strauß. Ohne den Patriarchen, den Strippenzieher, den „Paten“ Barth („meine Gemeinde, mein Eigentum“), der schon Jahre vor dem Mauerfall die Idee vom Radonheilbad Schlema verfolgte, der nach Quellen bohren ließ, der Wissenschaftler zu Kongressen und RheumaPatienten zu Studien einlud, um den medizinischen Nutzen des Radonwassers zu belegen, ohne ihn würde es Schlema, das glauben viele, womöglich nicht mehr geben. Über Barth kursieren sagenhafte Geschichten im Ort, wie die vom Besuch des Bundesministers Wolfgang Schäuble, der eigentlich die Nachbargemeinde Schneeberg hatte besuchen wollen, von einem Kommando Barths aber an der Autobahn abgefangen und umgeleitet wurde. Als Verantwortliche der Bahn bei anderer Gelegenheit auf einige Briefe Barths nicht reagierten, ließ der Bürgermeister („Ich habe wilde Sau gespielt, aber das musste sein“) alte Gleisanlagen, die den Bau einer Straße behinderten, einfach herausreißen. Mit einem Investor, der eine millionenteure Hotelanlage bauen wollte, unterzeichnete er den ersten Vertrag auf einem Bierdeckel. Er ließ nachts Steinbrocken auf Straßen kippen, um den Verkehr zu beruhigen, zog mit knapp 1000 Demonstranten zum Amt, das eine Schule im Ort schließen wollte, vor allem aber schaffte er es immer wieder, Fördergelder in Millionenhöhe für die Gemeinde von 5500 Einwohnern zu bekommen. Wie funktionierte das? „Ich drohte mit Biedenkopf“, erklärt er und grinst, während die Melodie von „Sommernacht in Rom“ durch die Laube dudelt. Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU), seinerzeit Patriarch von Sachsen, hatte er während einer Visite gefragt, ob er ihn als Drohfigur einsetzen dürfe. Biedenkopf habe ihn erstaunt angesehen, erinnert sich Barth, aber nichts dagegen gehabt, und fortan ließ der Bürgermeister, wenn Beamte besonders bürokratisch vorgingen, durchblicken, dass der Landesvater gewiss nicht amüsiert wäre, von Verzögerungen zu erfahren. Am Haldenberg, einer sanierten Abraumhalde, ragt heute eine Aussichtsplattform, der „Biedenkopfblick“, empor: „Ingrid und Kurt Biedenkopf. Sie glaubten mit uns an die Wiedergeburt des Schlematals“, steht auf einem Gedenkstein daneben. „Wir mussten das schaffen“, sagt Barth, und er sagt es voller Trotz. Als Vertriebener war er von Schlesien aus nach Schlema gekommen, als die Sowjets seinen Vater zur Arbeit in den Minen zwangsverpflichteten. Aufgewachsen mit dem Wissen, dass eine Mahlzeit und eine warme Behausung Luxus bedeuten, beschloss er, sich seine neu gefundene Heimat von niemandem mehr nehmen zu lassen. Den Bürgern, die ihn mit knapp 80 Prozent wählten, versicherte er – als Schwertransporter rund um die Uhr
Geröll durch den Ort fuhren und wegen der Erschütterungen Tassen in den Schränken klapperten –, dass es eines Tages mit Lärm und Dreck vorbei sein werde. Auf einem Foto von der Einweihung des Kurzentrums sieht man Biedenkopf am Rednerpult, während Barth im Hintergrund vor Freude die Fäuste in den Himmel streckt. Knapp eine halbe Million Gäste zählt man in Schlema in guten Jahren, mehr als 1400 an manchem Tag, und die meisten sind alt und kommen, weil sie sich vom Bad im Radiumwasser oder durch das Atmen des Radongases Linderung von Arthrosen, Weichteilrheumatismus, Durchblutungsstörungen, Asthma oder Lungenerkrankungen erhoffen. „Rentnerwaschanlage“ nennen manche den Ort. Dass einige Wissenschaftler den Nutzen solcher Kuren bezweifeln, ficht Barth nicht an. „Ich wusste immer, dass das Radon helfen kann“, erklärt er in seiner Barth-Logik: „Wir Bergleute hatten alle möglichen Probleme – aber ich kenne nicht einen, der Rheuma hat.“ Im Hotel „Am Kurhaus“ eröffnete das erste „authentische Ayurveda Center in Sachsen“ (Eigenreklame), und Fachkräfte aus Sri Lanka massieren, dengeln* und salben für die Reinigung des Körpers und der Seele. Ayurveda in Bad Schlema, das war vor Jahren wie die Eröffnung eines Swingertreffs im Vatikan. Es ist Abend geworden, die Sonne steht tief über seinem Bad, und Barth beobachtet, wie Rentner an Stöcken Richtung Schleuse humpeln. Er sieht auf die Uhr, es wird Zeit, den „Werk Ulrich“ abzuholen. Nachher referiert ein Doktor der Goethe-Gesellschaft in der Weindiele des Kulturhauses „Aktivist“ über die Persönlichkeit Friedrich Schillers. Im „Aktivist“ tranken sie früher nach der Schicht Bier und spielten Karten, heute ist ein Bergbaumuseum darin untergebracht. Ob Barth sich wirklich für die Feinheiten des Charakters von Friedrich Schiller interessiert, lässt er offen, aber der Doktor von der Goethe-Gesellschaft, der ist ein interessanter Gast. Vielleicht kommen eines Tages viele Goethe-Gesellschafter nach Schlema, vielleicht kann man darüber mal sprechen, vielleicht ist wieder was drin.
„Erz, Genossen, Erz um jeden Preis“, lautete die Losung. Zehntausende wurden unter Bedingungen geschunden, die denen in Straflagern glichen. Vermeintliche Deserteure wurden in Militärtribunalen abgeurteilt.
Stefan Krücken, Jahrgang 1975, volontierte beim „Kölner Stadt-Anzeiger“, arbeitete als Polizeireporter für die „Chicago Tribune“. Krücken schreibt für Magazine und Tageszeitungen und betreibt mit dem Fotografen Achim Multhaupt den Verlag Ankerherz, in dem auch seine Bücher „Wellenbrecher“, „Orkanfahrt“ und „Sturmkap“ erschienen. Diese Reportage erschien zuerst in „Dummy“ – Thema: Atom.
Uranpechblende aus der Lagerstätte Niederschlema-Alberoda im Erzgebirge. Foto: Hermann Meinel, 2002. Courtesy: Museum Uranbergbau Bad Schlema
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Modolore tis acipsusto doluptat verostrud dunt aut augue te magnis nis ero dolessed tat ut praesequat.
Yang Shaobin, Untitled, 2003, テ僕 auf Leinwand, 130 x 175 cm. Courtesy: Privatsammlung
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Proliferation
Sieg der Sonne von Ingo Niermann
Erst wenn sich die Menschheit der Sonne unterwirft, besteht vielleicht Aussicht, dass wir die Gefahren des Atomzeitalters überwinden. Aber dafür müssten wir aufgeben, was uns am Atom so fasziniert: Macht Sonne, du hast Leidenschaften geboren Und hast mit entzündetem Strahl gebrannt. Wir werden dich mit staubiger Decke bedecken, Wir werden dich in ein Haus aus Beton einsperren! So verkündet es ein „futuristischer Kraftmensch“ zu Beginn der 1913 in Sankt Petersburg uraufgeführten Oper „Sieg über die Sonne“. Die Sonne wird im weiteren Verlauf des von Aleksei Krutschonnych und Welimir Chlebnikow geschriebenen und von Michail Wassiljewitsch Matjuschin komponierten Werks tatsächlich gefangen genommen und mit ihr auch gleich alle Natur, die der Sonne ihr Leben verdankt. Die auf geometrischen Grundformen basierenden Kostüme und das Bühnenbild stammen von dem Künstler Kasimir Malewitsch. Den Sonnenkerker und dessen Luke stellt er als ein in ein schwarzes und ein weißes Dreieck unterteiltes Quadrat dar. Kurz darauf malt Malewitsch sein berühmtes Bild „Schwarzes Quadrat auf weißem Grund“, einen Meilenstein der modernen Kunst. Die nur teilweise Verdeckung der Sonne in „Sieg über die Sonne“ wird hier vollendet. Nur Nacht habe er, so schreibt Malewitsch später, in sich gespürt und dann seine neue Kunst der reinen Empfindung empfangen, den Suprematismus. Denn der Sieg über die Sonne sollte nur der erste Schritt sein hin zu einer Befreiung des Geistes von aller Schwere. Sei es die Erinnerung oder die „allerweltliche Schwerkraft“: „Glaubt nicht den früheren Gewichten!“ Die Sorge gilt in „Sieg über die Sonne“ denen, die von der Entwicklung überrascht werden: „Allen wurde leicht zu atmen, und viele wissen nicht, was sie mit sich tun sollen vor unwahrscheinlicher Leichtigkeit. Einige versuchen, sich zu ertränken, die Schwachen haben den Verstand verloren, sie sagten: wir können doch schrecklich und stark werden. Das hat sie beschwert.“ Woher dafür aber die Energie kommt, scheint die russischen Futuristen nicht zu beschäftigen. Denn die ihren Optimismus beflügelnde Industrialisierung wird von nichts anderem angetrieben als in fossilen Brennstoffen gespeicherter – erinnerter – Sonnenenergie. Doch die Lösung dieses Dilemmas lässt nicht lange auf sich warten. Schon im darauffolgenden Jahr, 1914, beschreibt H. G. Wells in dem Science-Fiction-Roman „The World Set Free“ die ungeheuren Energien, die aus dem nuklearen Zerfall erwachsen können und die zur Entwicklung von die menschliche Zivilisation in ihrer Existenz bedrohenden „atomic bombs“ führen, da man nun „in ungefähr einer Handtasche so viel latente Energie tragen kann, um einen halbe Stadt zu zerstören“. Bis zur Entdeckung der Kernspaltung durch Otto Hahn, Lise Meitner und Fritz Straßmann soll noch ein Vierteljahrhundert vergehen, bis zur Zündung der ersten Atombombe durch die USA im Jahr 1945 sind es weitere sechs. Obgleich man die enorme Sprengkraft sofort im Krieg gegen Japan erprobt, werden die verheerenden Langzeitschäden durch die dabei freigesetzte Radioaktivität weiterhin unterschätzt. Beobachter von Atombombentests schützen sich höchstens mit einer Sonnenbrille gegen den Lichtblitz. Bewohnte Inseln im Pazifik werden bei oberirdischen Atombombentests schwer verseucht. Nachdem 1949 die Sowjetunion ihre erste Atombombe testet, produziert man in den USA Aufklärungsfilme, in denen der Bevölkerung erklärt wird, dass sie sich im Fall eines Nuklearangriffs durch einfaches „duck and cover“ – Ducken und Bedecken – schützen könne. Sein Haus schützt, wer immer schön Ordnung hält und keine leicht entflammbaren Materialien wie etwa Papier herumliegen lässt. Parallel wird die zivile Nutzung der Kernkraft vorangetrieben. Kompakte Nuklearantriebe sollen die Eroberung der Meere, Wüsten und des Weltraums vorantreiben. Herzschrittmacher werden mit Batterien aus hochgiftigem Plutonium bestückt. 1953 lancieren die USA das „Atom for peace“-Programm, aus dem 1957, dem Jahr der Inbetriebnahme des 40
ersten kommerziellen amerikanischen Kernkraftwerks, die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO) hervorgeht. Ihr Ziel ist es, einerseits die zivile Nutzung der Atomenergie weltweit zu fördern, andererseits eine weitere Verbreitung von Kernwaffen zu verhindern. Deren Besitz wird lediglich den fünf ständigen Mitgliedern des UNSicherheitsrats erlaubt. Immer wieder kommt es in Kernkraftwerken zu bedenklichen, im Falle von Tschernobyl katastrophalen Unfällen. Es fehlt an sicheren Endlagerstätten für den Atommüll; mehr als 100.000 Tonnen werden einfach im Meer versenkt. 1994 ist der Bundesnachrichtendienst in ein Scheingeschäft involviert, bei dem 363,4 Gramm waffenfähiges Plutonium mit einem Lufthansa-Linienflug von Moskau nach München transportiert werden. Mehreren Staaten – Israel, Indien, Pakistan, Nordkorea und zwischenzeitlich Südafrika – gelingt es, ebenfalls zu Atommächten zu werden. Entweder treten sie der IAEO gar nicht erst bei oder sie verlassen sie nach einem Katz-und-Maus-Spiel mit deren Inspektoren wieder. Ländern, die im Verdacht stehen, ohne Billigung der IAEO Atomwaffen herzustellen, drohen Handelssanktio-
Kompakte Nuklearantriebe sollen die Eroberung der Meere, Wüsten und des Weltraums vorantreiben. Herzschrittmacher werden mit Batterien aus hochgiftigem Plutonium bestückt.
nen. Die währen in der Regel nur bis zur ersten Testzündung. Ab da kann die neue Atommacht darauf spekulieren, im Gegenteil besonders behutsam behandelt zu werden. Häufig findet sich auch eine Atommacht, die dem Atommacht-Aspiranten behilflich ist, sei es aus wirtschaftlichen Erwägungen oder um die internationale Machtbalance zum eigenen Vorteil zu verschieben. Frankreich hilft Israel, Israel hilft Südafrika, China hilft Pakistan, Pakistan hilft Nordkorea. Das einzige Land, das jemals wegen der angeblichen Produktion von Massenvernichtungswaffen angegriffen und erobert wird – der Irak –, hat zu dem Zeitpunkt (2003) gar keine. Um die Nutzung der Atomenergie auszuweiten, aber die Gefahr ihres militärischen oder terroristischen Missbrauchs einzudämmen, werden Laufwellen-Reaktoren erforscht, die ohne vorherige Urananreicherung auskommen und anders als die Schnellen Brüter ihr erbrütetes Plutonium gleich wieder selbst verbrauchen. Das 2004 vorgestellte und vom US-Energieministerium geförderte Konzept des SSTAR – small, sealed, transportable, autonomous reactor – und ein ähnliches, seit Anfang 2010 von Bill Gates beworbenes Projekt des Forschungsunternehmens TerraPower geben dem „Atom for peace“-Ansatz neuen Schwung: Kleine, auf Sattelschleppern transportable Reaktoren sollen über mehrere Jahrzehnte hinweg Energie produzieren, ohne der Wartung zu bedürfen. Im Falle eines Unfalls oder Anschlags sollen sie sich selbsttätig abschalten und darum auch in politisch instabilen Entwicklungsländern Verwendung finden. Der Uranabfall würde minimiert. Auch das bei der Urananreicherung für traditionelle Reaktoren übrig bleibende abgereicherte Uran ließe sich verwenden. Prototypen werden in frühestens fünf Jahren erwartet. Wann diese jemals in Serie gehen können, ist ungewiss. Das größte Solarkraftwerk der Welt mit einer Kapazität von über 350 Megawatt steht bereits seit 20 Jahren in der Mojave-Wüste. Es bestehen keine technischen Hindernisse, um – wie es die Desertec-Initiative plant – mit dem Bau riesiger solarthermischer Kraftwerke in der nordafrikanischen Wüste zu beginnen. Die dort zur Verfügung stehende Fläche würde ausreichen, weit mehr als den heutigen Strombedarf der gesamten Welt zu decken. Für Patentjäger wie TerraPower ist das uninteressant. Stattdessen sind multinationale Verhandlungen vonnöten. Europa würde sich in eine langfristige Abhängigkeit von einem Kontinent begeben, dessen Menschen und Produkten es sich bisher weitgehend verschließt. Die Laufwellen-Reaktoren dagegen könnten zwar dezentral eingesetzt werden, die Kontrolle über An- und Ausschaltung aber verbliebe bei den Herstellern in den Wohlstandsnationen. Ähnlich wie bei Software und genmanipuliertem Saatgut würden die Käufer nur eingeschränkte Nutzungsrechte erhalten. Alles Leben auf der Erde verdankt sich der Kernschmelze der Sonne. Sie schickt uns täglich so viel Energie, dass wir Menschen mit ihr noch ein Vielfaches unseres heutigen Bedarfs decken können. Zugleich umkreist die Erde die Sonne in so sicherer Entfernung, dass wir uns, wenn sie uns zu viel wird, vor ihren Strahlen nur dünn zu verhüllen brauchen. Noch sind wir darauf angewiesen, anderes Leben zu verspeisen, da wir die Sonnenenergie nicht wie Pflanzen direkt nutzen können. Unsere Maschinen aber sind dazu bereits in der Lage. Ingo Niermann, geboren 1969, ist Schriftsteller und lebt in Berlin. Zuletzt veröffentlichte er „China ruft dich“ – Gespräche mit Auswanderern und Heimkehrern nach China. Im Juni erscheint in der von Niermann herausgegebenen Solution-Reihe sein Buch „Dubai Democracy“, in dem er analog zu seinem Essayband „Umbauland – Zehn deutsche Visionen“ ein radikales Redesign Dubais imaginiert. 2004 kuratierte Niermann gemeinsam mit Antje Majewski in Dresden die Ausstellung „Atomkrieg“.
Alexander Lataille, Nuclear Warming, 2008. Courtesy: fatherofgod. deviantart.com
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Yang Shaobin, An Egg Impossible to Swallow, 2009, テ僕 auf Leinwand, 80 x 100 cm. Courtesy: Alexander Ochs Galleries Berlin Beijing
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Proliferation
Atom in Zahlen I von Philipp Albers
Anzahl der Atomwaffen im Jahr 1986 weltweit: 70.481 Anzahl der nuklearen Gefechtsköpfe heute weltweit: 22.300 Höchstzahl der Atomsprengköpfe, über die die USA jemals verfügten (1966): 32.193 Arbeitstage, die erforderlich sind, einen durchschnittlichen Atomsprengkopf in der amerikanischen Waffenanlage Pantex zu demontieren: 14
Gesamtsprengkraft aller Atomwaffen in Milliarden Tonnen TNT: 7,5 Weltbevölkerung in Milliarden: 6,9 Sprengkraft der auf einem Lastwagen verborgenen Bombe, die 1995 beim Oklahoma City Bombing ein achtstöckiges Regierungsgebäude zerstörte und 324 weitere Gebäude demolierte, in Tonnen TNT: 2,3
Gesamtzahl amerikanischer Atomwaffentests von 1945 bis 1992: 1030 Summe der vom amerikanischen Militär zwischen 1992 und 1995 aufgewendeten Mittel für Nuklearwaffentests in US-Dollar: 1.200.000.000 Zahl der in diesem Zeitraum durchgeführten Tests: 0 Tage im Jahr, an denen zwischen Ende der 50er- und Mitte der 60er-Jahre US-Bomber mit einsatzbereiten Atombomben in der Luft unterwegs waren: 365 Zahl der offiziell vom amerikanischen Verteidigungsministerium vermissten Atombomben, die bei Unfällen verloren gingen und nie wieder auftauchten: 11 Gesamtzahl der schätzungsweise während des Kalten Krieges verschwundenen Nuklearwaffen: 50 Differenz zwischen der laut Unterlagen von 1978 bis 2003 angefallenen Menge Plutonium in der japanischen Wiederaufarbeitungsanlage Tokai Mura und der bei einer Inventur tatsächlich vorgefundenen Menge in Kilogramm: 206 Benötigte Mindestmenge Plutonium zum Bau einer Atombombe in Kilogramm: 8
Weltweite Vorräte an waffenfähigem Plutonium in Tonnen: 260 Zahl der Jahresproduktionen an Uran, der diese Menge Plutonium bei Umwandlung zu MOX-Brennstoff für Kernkraftwerke entspricht: 1 Menge des hochangereicherten Urans in amerikanischen und russischen Atomwaffen in Tonnen: 2000 Zahl der für diese Menge erforderlichen Jahresproduktionen im Uranabbau: 12 Jahr, in dem der Atomwaffensperrvertrag in Kraft getreten ist: 1970 Zahl der Staaten, die den Vertrag bis heute unterzeichneten: 189 Zahl der Staaten, die heute nach offiziellen Erkenntnissen über Atomwaffen verfügen: 9 Zahl der Staaten, die eigene Atomwaffen entwickelt und diese später vollständig abgerüstet haben: 1 Jahr, in dem Nordkorea dem Atomwaffensperrvertrag beigetreten ist: 1985 Jahr, in dem Nordkorea mit den USA das Genfer Rahmenabkommen schloss, das Nordkorea zur Aufgabe seines Atomwaffenprogramms verpflichtete: 1994 Jahr, in dem Nordkorea den Atomwaffensperrvertrag gekündigt hat: 2003 Jahr, in dem Nordkorea sich zur Atommacht erklärte: 2005 Jahr, in dem Nordkorea die Durchführung eines ersten unterirdischen Atomwaffentests verkündete: 2006 Quellen: Asse Einblicke, BUND, Bund der Energieverbraucher, Bundesamt für Strahlenschutz, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, Der Spiegel, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, die tageszeitung, E&M Ökostromumfrage, Energy Watch Group, Eurosolar, Federation of American Scientists, Focus, Greenpeace, IAEO, IMF, kernenergie.de, Öko-Institut Freiburg, The Brookings Institution, The Guardian, Umwelt-Institut München, U.S. Energy Information Administration, WHO, World Nuclear Association
Philipp Albers ist Amerikanist und Kulturwissenschaftler und lebt als freier Journalist und Lektor in Berlin. Er ist Gründungsmitglied und Mitgeschäftsführer der Zentralen Intelligenz Agentur. Von 2004 bis 2008 war er als Program Director der American Academy in Berlin tätig. 44
Milit채rf체hrungen von L채ndern wie Frankreich und den USA setzten ihre Soldaten bewusst radioaktiver Strahlung aus, um deren Wirkung zu testen. Montage: totalleh.com
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Atom weltweit
Global verstrahlt
Norwegen Schweden Niederlande Belgien Tschechien
Kanada Großbritannien Deutschland
Frankreich Spanien USA
Slowenien Schweiz
Niger
Mexiko
Brasilien
Namibia
Argentinien
Reaktoren in Planung (1 Reaktor je Millimeter) Reaktoren in Bau (1 Reaktor je Millimeter) Reaktoren in Betrieb (1 Reaktor je Millimeter) Atommüll-Lager/Wiederaufbereitungsanlagen (1 Anlage je Millimeter) Nuklearsprengköpfe (100 Stück je Millimeter; in Grafik jeweils auf die nächste Hunderterstelle aufgerundet) Uranabbau jährlich in hundert Tonnen (100 Tonnen je Millimeter)
Quellen: World Nuclear Association (WNA), World Association of Nuclear Operators (WANO), Federation of American Scientists Grafik: Daniel Stolle ZAHLEN ZUR KARTE: Ägypten: 1; 1 Argentinien: 2; 1; 2; 2 Armenien: 1; 1 Australien: 84 Belgien: 7 Brasilien: 1; 2; 3 Bulgarien: 2; 2; 3 China: 37; 20; 11; 240; 8 Deutschland: 17; 8 Finnland: 1; 4; 2 Niger: 30 Nordkorea: 1; <10 Norwegen: 1 Pakistan: 2; 1; 2; 70–90; 1 Rumänien: 2; 2; 1 Russland: 16; 8; 32; 3; 12 000; 35 Schweden: 10; 2 Schweiz: 5; 1 Slowakei: 2; 4 Slowenien: 1 Spanien: 8; 1
Finnland
Russland
Slowakei Nordkorea
Weißrussland Ungarn
Kasachstan
Ukraine Bulgarien Rumänien Armenien
Usbekistan
Türkei Japan
Israel
Iran China Pakistan
Ägypten Vereinigte Arabische Emirate
Indien
Südkorea Thailand Vietnam
Indonesien
Australien
Südafrika
Frankreich: 1; 1; 58; 4; 300; 1 Großbrit. 4; 19; 4; 185 Indien: 20; 4; 19; 9; 60–80; 3 Indonesien: 2 Iran: 2; 1 Israel: 80 Japan: 13; 1; 54; 2 Kanada: 4; 2; 18; 90 Kasachstan: 2; 85 Mexiko: 2 Namibia: 44 Niederlande: 1 Südafrika: 3; 2; 7 Südkorea: 6; 6; 20 Thailand: 2 Tschechien: 6; 5; 3 Türkei: 2 Ukraine: 2; 15; 8 Ungarn: 4; 2 USA: 9; 1; 104; 2; 9400; 14 Usbekistan: 23 Vereinigte Arab. Emirate: 4 Vietnam: 2 Weißrussland: 2
Atomenergie in Deutschland
Zwischenlager Geesthacht
Stade (bis 2003)
Unterweser Zwischenlager Zwischenlager KKW Unterweser Esenshamm
Lingen (bis 1977)
Emsland
Brokdorf KrĂźmmel
Zwischenlager KKW Emsland
Rheinsberg (bis 1990)
Zwischenlager Braunschweig
Zwischenlager Leese
Grohnde
Zentrales Zwischenlager & Erkundungsbergwerk Gorleben
Endlager Schacht ÂťKonradÂŤ
Zentrales Zwischenlager Ahaus Hamm-Uentrop (bis 1988)
Greifswald (bis 1990) Zwischenlager Nord ehem. KKW Greifswald
Zentrales Zwischenlager Lubmin
BrunsbĂźttel
Zwischenlager Berlin
Endlager Morsleben Altlast Asse
WĂźrgassen (bis 1994)
Zwischenlager Rossendorf ehem. Kernforschungszentrum Versuchsreaktor JĂźlich (bis 1988) Zentrales Zwischenlager JĂźlich
Zwischenlager Ebsdorfergrund
Mßlheim-Kärlich (bis 1988)
Wismut, ehem. UranfĂśrdergebiete
Versuchskraftwerk Kahl Zwischenlager (bis 1985) Hanau, Karlstein
Zwischenlager Mitterteich
Grafenrheinfeld Zwischenlager KKW Grafenrheinfeld
Biblis Zwischenlager Ellweiler
Zwischenlager Elm-Derlen Philippsburg
Obrigheim (bis 2005)
Neckarwestheim Isar
Zwischenlager KKW Neckarwestheim Gundremmingen Veruchsreaktor EggensteinEggensteinLeopoldhafen Leopoldhafen (bis 1991) (bis 1984)
Gundremmingen A (bis 1977) Zwischenlager Garching
Leistung in Gigawatt (1 Gigawattstunde je Zentimeter) Im Jahr erzeugte Energie in Terawatt (1 Terawattstunde je Millimeter) Bisher erzeugter radioaktiver Abfall in Tonnen Schwermetall (100 Tonnen je Millimeter) Noch zu erwartender radioaktiver Abfall in Tonnen Schwermetall (100 Tonnen je Millimeter)
Quellen: Bundesamt fĂźr Strahlenschutz (BfS) (SBmL %BOJFM 4UPMMF
ZAHLEN ZUR KARTE: Biblis: 2,5; 15; 16; 3 Brokdorf: 1,5; 11; 6; 4 BrunsbĂźttel: 0,8; 6; 4; 1 Emsland: 1,4; 11; 6; 4 Grafenrheinfeld: 1,3; 9; 7; 3 Grohnde: 1,4; 11; 6; 4 Gundremmingen: 2,7; 21; 13; 7 Isar: 2,4; 19; 11; 5 KrĂźmmel: 1,4; 10; 5; 4 Neckarwestheim: 2,2; 17; 10; 5 Philippsburg: 2,4; 18; 11; 6 Unterweser: 1,4; 9; 8; 2
Atom in Zahlen II Zahl der Atomkraftwerke weltweit: 438 Zahl der derzeit im Bau befindlichen Atomkraftwerke weltweit: 52 Zahl der in China geplanten Reaktoren bis 2030: 157 Zahl der in Betrieb befindlichen Endlager für hochradioaktive Abfälle: 0 Anteil der Atomkraft an der weltweiten Stromproduktion in Prozent: 15 Anteil der Atomkraft an der Stromerzeugung in Deutschland in Prozent: 23,3 Menge des 2008 in deutschen Atomkraftwerken produzierten Stroms in Milliarden Kilowattstunden: 148,8 Zahl der Stunden, die man mit der Energiemenge von einer Kilowattstunde am Laptop arbeiten kann: 50 Absatz an Ökostrom in Deutschland 2003 in Milliarden Kilowattstunden: 1,7 Absatz an Ökostrom in Deutschland 2008 in Milliarden Kilowattstunden: 11 Zahl der Beschäftigten in der Kernenergiebranche in Deutschland: 30.000 Zahl der Beschäftigten im Bereich der erneuerbaren Energien in Deutschland: 300.500 Summe der öffentlichen Ausgaben für Kernenergieforschung in Deutschland zwischen 1956 bis 2006 in Milliarden Euro: 50 Volumen der öffentlichen Förderung für die Erforschung erneuerbarer Energien in Deutschland von 1974 bis 2007 in Milliarden Euro: 6
Anteil der Verbraucher, die sich beim Wechsel des Stromanbieters für Ökostrom entscheiden, in Prozent: 20 Seitenlänge des Kubus, in dem der gesamte in der Bundesrepublik bis zum Jahr 2000 angefallene Atommüll nach einer Schätzung des Atomphysikers Carl Friedrich von Weizsäcker aus dem Jahr 1969 Platz hätte haben sollen, in Metern: 20 Tatsächliche Seitenlänge des Kubus, in dem die bis 2008 in Deutschland vorhandenen radioaktiven Abfälle Platz hätten, in Metern: 50 Zahl der in der Asse von 1967 bis 1978 eingelagerten Fässer mit schwach- und mittelradioaktiven Abfällen: 125.787 Anteil der Radioaktivität im ursprünglich zu „Forschungszwecken“ eingerichteten Endlager Asse, der nicht aus Forschungsreaktoren stammt, sondern aus Abfällen der Kernkraftwerke der heutigen Energieunternehmen E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall Europe, in Prozent: 86 Seit 1988 täglich in die Asse einsickerte Wassermenge in Litern: 12.000 Jahr, bis zu dem die Sicherheit des Salzbergwerks Asse nach einem Gutachten des Leipziger Instituts für Gebirgsmechanik höchstens noch gewährleistet ist: 2014 Geschätzte Kosten für die Rückholung des in der Asse eingelagerten Atommülls in Milliarden Euro: 3,7 Weltweiter Uranbedarf 2010 in Tonnen: 68.646 Menge des weltweit abgebauten Urans 2009 in Tonnen: 49.722 Jahr, in dem laut Michael Meacher (britischer Umweltminister von 1997–2003) das globale Uranfördermaximum, der sogenannte „peak uran“ erreicht wurde: 1981 Jahr, für das die World Nuclear Association 2005 den „peak uran“ vorhergesagt hat: 2015 Jahr, in dem „peak uran“ laut Energy Watch Group eintreten wird: 2035
Anzahl der US-amerikanischen Uranminen im Jahr 1955: 925 Anzahl der US-amerikanischen Uranminen im Jahr 2008: 16 Jährliche Uranfördermenge in Niger in Tonnen: 3032 Umsatz des französischen Areva-Konzerns in 2009, der die Mehrheit an den Uranminen in Niger hält, in Milliarden Euro: 14 Bruttoinlandsprodukt von Niger im Jahr 2009 in Milliarden Euro: 4 Bevölkerungsanteil in Niger, der mit weniger als umgerechnet einem US-Dollar am Tag auskommen muss, in Prozent: 61 Wasserverbrauch für die Erzeugung einer Kilowattstunde Strom in einem Atomkraftwerk in Litern: 3,2 Wasserverbrauch für die Erzeugung einer Kilowattstunde Strom in einem konventionellen Kohlekraftwerk in Litern: 2,6 Wasserverbrauch für die Erzeugung einer Kilowattstunde Strom in einem photovoltaischen Kraftwerk in Litern: 0,1 Wasserverbrauch der australischen Uranmine Olympic Dam pro Tag in Litern: 33.000.000
CO2-Belastung pro Kilowattstunde Atomstrom, wenn das verwendete Uran aus Erzen mit einem Urangehalt von 0,15 Prozent stammt, in Gramm: 65 CO2-Belastung pro Kilowattstunde Solarstrom in Gramm: 60 Jahresleistung des Reaktors Biblis B in Megawatt: 1.300 Dafür benötigter Brennstoff aus angereichertem Uran in Tonnen: 28 Zur Herstellung dieses Brennstoffs benötigte Menge Natururan in Tonnen: 260 Menge Erz mit einem Urangehalt von 1%, die dafür abgebaut werden muss, in Tonnen: 26.000 Anteil der weltweiten Vorräte an Uranerz, deren Konzentration mehr als zehn Mal niedriger ist, in Prozent: 67 Urangehalt des im australischen Olympic Dam abgebauten Erzes in Prozent: 0,044 Urangehalt des Erzes, ab dem die Energiebilanz entlang der Brennstoffkette von der Uranmine bis zum Atomkraftwerk negativ wird, in Prozent: 0,01 Nach dem Uranabbau im Abraum verbleibende Radioaktivität in Prozent: 85 Weltweite Gesamtmenge der sogenannten „Tailings“, das sind die beim Uranabbau entstehenden Abfälle, die giftige Schwermetalle enthalten, strahlen und als Zerfallsprodukt das radioaktive Gas Radon emittieren, in Tonnen: 1.000.000.000 Mittlere Konzentration des radioaktiven Gases Radon, des zweithäufigsten Auslösers von Lungenkrebs nach dem Rauchen, in Wohnräumen in Deutschland in Becquerel pro Kubikmeter: 50 Von der Weltgesundheitsorganisation definierter Grenzwert für die Konzentration von Radon in Wohnräumen in Becquerel pro Kubikmeter: 100 Spitzenwert der Radon-Konzentration an Orten mit Uranerzabbau in Becquerel pro Kubikmeter: 3000 Zahl der zwischen 1946 und dem Betriebsende 1990 an Lungenkrebs verstorbenen Beschäftigten des DDR-Uranproduzenten Wismut: 7160 Von der Bundesregierung veranschlagte Kosten für die Sanierung des Uranabbauzentrums in Wismut in Milliarden Euro: 6,4 49
Epilog
Brendan Monroe, Sifting, 2007, Acrylcollage auf Papier, Originalgröße 79 x 61 cm, Ausstellungsgröße 456 x 290 cm
fragen an die glaubwürdigkeit Interview mit Holger Mayer von Thomas Ramge
Auch das noch. Hinter dem Café Endlager steckt ein Energiekonzern. Wie geht das zusammen? Darf ein Unternehmen so tun, als sei es eine Umweltbewegung? „Es sollte sogar, wenn es die Welt verändern will“, sagt HSE/Entega-Vorstand Holger Mayer und fragt zurück: „Wie hätten Sie es denn gerne: Sollen wir als Energieversorger weiterhin die Luft verpesten und verstrahlen, nur damit wir in Ihr Feinbild passen?“ Thomas Ramge: Herr Mayer, warum tut
ein Energieversorger plötzlich so, als ob er eine Nichtregierungsorganisation wäre? Holger Mayer: Die Frage verstehe ich nicht. Im Januar organisierten Sie in Berlin eine „Schneemann-Demo“ mit einer klaren politischen Botschaft. Nun initiieren und ermöglichen Sie eine Kunstausstellung zum Thema Atomkraft, ebenfalls mit klarer politischer Botschaft. So etwas machen doch normalerweise NGOs.
Wir haben Themen, die uns bewegen. Im einen Fall ist es der Klimawandel. Im anderen die ungelöste Frage des Atommülls. Zu diesen Themen nehmen wir als Unternehmen auf eine Art und Weise Stellung, wie sie uns gefällt. Und von der wir glauben, dass wir eine Reihe Menschen erreichen und mitnehmen können. Und dabei vermischen Sie klassische Unternehmenskommunikation mit Aktivismus.
Die Vorstellung, dass es vorgefertigte Kommunikationsformen für Unternehmen und vorgefertigte Kommunikationsformen für NGOs geben soll, ist abstrus. Interessanterweise kommt die Kritik an unseren Aktionen in der Tat am stärksten von Umweltorganisationen, die diese Kommunikationsformen für sich beanspruchen. Mit so einer Denkweise können wir nichts anfangen. Als Unternehmen sind wir immer auch gesellschaftlicher Akteur; mit Entega haben wir nun das Glück, an einem entscheidenden Punkt aktiv und mit großem Hebel etwas gegen den Klimawandel zu bewirken. Aber warum sprechen Sie über „Ihre“ Themen dann ausgerechnet mit den Mitteln der Kunst?
Auf der abstrakten Ebene würde ich antworten: Kunst erlaubt herrschaftsfreien Diskurs. Konkret wollen wir uns als Unternehmen einem gesellschaftlichen Problem stellen, ohne uns dabei zu verstellen und so zu tun, als wären wir eine altruistische Organisation. Natürlich wollen und müssen wir Profit machen. Aber vor allem wollen wir unsere Themen neuartig aufbereiten und über die Kunst einen anderen Zugang zu Menschen finden. Außerdem helfen uns die Künstler, mit denen wir zusammenarbeiten, über unsere eigene Rolle zu reflektieren. Dabei lernen wir eine ganze Menge. Was lernt ein Unternehmen von der Kunst?
Wenn sich ein Künstler wie Ralf Schmerberg einem Thema wie Energieproduktion oder Widerstand gegen Atomkraft nähert, fördert er Zahlen und Fakten zutage, die uns vorher vielleicht nicht bewusst waren. Er zeigt uns Bilder, die uns nicht präsent sind, die wir nicht für möglich hielten, wie zum Beispiel Atommüll, der einfach in ein unsicheres Lager gebracht wurde, wie im Fall der Asse, wo irgendwelche Fässer wild durcheinanderliegen. Aber wichtiger als diese Aha-Effekte sind die Hinweise, die uns ein Künstler darauf gibt, wie wir von anderen wahrgenommen werden. Kunst hält uns – und damit der Gesellschaft – einen Spiegel vor. Wir bedienen uns dieser Herangehensweise, um alte Denkmuster und Barrieren zu überwinden und den Wandel zu beschleunigen. Für ein Unternehmen, das sich als Akteur des Wandels begreift, sind diese Einsichten verdammt wichtig. Entega hat sich von der Atomenergie längst verabschiedet. Warum schauen Sie nicht nach vorn?
Unser Unternehmen hat sich bereits 2008 gegen Atomstrom entschieden. Mit dem Café Endlager bereiten wir das Thema Atomkraft retrospektiv auf und zeigen, wie die Konsequenzen aus unseren Entscheidungen von gestern uns auch in Zukunft begleiten werden. Die Endlagerung wird uns noch über Generationen beschäftigen. Die Ausstellung zeigt, wie leidenschaftlich unsere Elterngeneration das Thema Atomkraft über Jahrzehnte hinweg diskutiert hat. Mich persönlich bewegt das Thema
Atommüll nach wie vor sehr. Manche aus meiner Generation befinden sich heute in Positionen, in denen sie Entscheidungen zum Ausstieg aus dieser Technologie treffen können, und müssen feststellen, dass Atomkraft für die nächste Generation kein emotionales Thema mehr ist. Wir diskutieren leidenschaftslos über etwas, worüber sich unsere Eltern die Haare zerrauft haben. Wir haben es aktuell mit einer rein politischen Diskussion zu tun, die auf eingefahrene Weise zwischen NGO und Politikern geführt wird. Wir wollen das Thema mit unserer Aktion wieder mitten in die Gesellschaft rücken. Denn viele Leute halten heute sogar Atomstrom für Ökostrom. Die Kunst ist prädestiniert, den einst leidenschaftlichen Diskurs neu zu entfachen. Ist dies der Grund, wieso Ihre Aktionen so auf Krawall gebürstet und so laut sind?
Es geht um ein lautes Thema, nicht um die Frage, ob wir enge oder weite Jeans tragen sollen. Es geht um die Frage, ob wir der Welt Müll hinterlassen, der Jahrtausende strahlt. Es geht um die Frage, ob wir Energieversorgung so hinbekommen, dass wir dabei keine Ressourcen vernichten. So wie unsere Branche zurzeit agiert, macht es offenkundig Sinn, mal ein wenig lauter zu werden. Gängige Praxis in deutschen Unternehmen ist doch: Bloß nicht polarisieren! Wie wir aber alle wissen, muss der ökologische Wandel schnell passieren, damit sich die Folgen von Raubbau und Klimawandel für künftige Generationen in Grenzen halten. Und ausgerechnet als Energieversorger wollen Sie dazu beitragen, die Welt zu verbessern?
Wer soll das denn sonst machen? Wenn wir die Klimakrise als Energie- und Nachhaltigkeitsproblem begreifen, müssen wir uns fragen, was das bedeutet. Atomstrom ist zwar CO2 -neutral, aber es ist keine Lösung für die Endlagerung in Sicht. Deshalb müssen wir uns fragen, was besser ist: Noch mal zwei Kohlekraftwerke zu bauen und parallel den CO2-Ausstoß zu kompensieren oder Atommüll zu produzieren, der uns zwei- bis dreitausend Jahre beschäftigen wird? Der ökologische Wandel kommt nicht von allein, schon gar nicht in der Breite. Deswegen sind wir auch kein Nischenanbieter. Wir sind ein Energieunternehmen im Massenmarkt, und wir versuchen mit einem ökologisch orientierten Angebot erfolgreich zu sein. Allein das polarisiert schon in unserer Branche. Diese Argumentation könnte auch ein kluger Marketing-Gag sein. Wie überzeugen Sie Kunden, dass Sie es ernst meinen?
Mit den Fakten, denn wir versorgen all unsere 580.000 Kunden ohne Atomstrom. Wer genau hinschaut, wird feststellen, dass wir in unserem Stammgebiet Südhessen tatsächlich alles tun, um unseren Bestandskunden Ökostrom anzubieten. Unsere Ökostromtarife sind billiger als unsere Tarife mit Graustrom. Wir verzichten komplett auf Atomkraft und investieren konsequent und in großem Volumen in regenerative Energiequellen. Und wir erfüllen die Anforderungen strenger Ökostrom-Siegel wie zum Beispiel „ok-Power“. Das ist die faktische Ebene von Produkt und Unternehmensstrategie. Und zur Frage des Marketing-Gags: Den Vorwurf höre ich meist von Leuten, bei denen ich den Eindruck habe, dass sie in der Regel nicht genau hinschauen, um ihr veraltetes, bequemes Rollenverständnis nicht zu gefährden. Für diese Leute müssen Unternehmen gierig sein. Wer aus diesem Bild ausbricht, wird mit Zynismus bestraft. Transparenz braucht Kommunikation. Entega hat noch keinen Nachhaltigkeitsbericht.
Ab diesem Jahr werden wir einen veröffentlichen. Damit hinken Sie hinterher. Andere Energieversorger veröffentlichen ihre Ökobilanz schon seit Jahren.
Ich gebe zu: Auch mir geht in Fragen der Transparenz nicht
alles schnell genug. Wir sind ein schlankes Unternehmen, beim Nachhaltigkeitsbericht wollten wir es besonders gut machen und wurden dann von der Komplexität erschlagen. Auf halbem Weg wurde uns klar, dass wir uns Hilfe von außen holen müssen. An dem Punkt befinden wir uns gerade. So wird unser Bericht nicht nur die CO2Emissionen der eigenen Kraftwerke ausweisen, sondern auch die Emissionen, die aus langfristigen Lieferverträgen entstehen. Bei der monetären Transparenz sind wir schon jetzt sehr gut. Aber vor allem konzentriert sich unser Bericht auf die Energiebranche, wie sie aus unserer Perspektive funktioniert und was daran so problematisch ist. Was ist das Problem der Energiebranche?
Die Branche hat über hundert Jahre mehr oder weniger im Verborgenen gearbeitet. Die Menschen hat es kaum interessiert, wo ihr Strom herkam. Wie soll ein Kunde mündig entscheiden, wenn er nicht versteht, wie der Strom in seiner Steckdose ankommt und woher er kommt? Die gesamte Branche muss hier Aufklärungsarbeit leisten. Sie sprechen in diesem Zusammenhang gern davon, „den Wandel in die Breite zu bringen“. Was bedeutet das?
Nachhaltiger Energieverbrauch ist kein Thema, bei dem eine Elite oder eine kleine Gruppe besonders bewusster Verbraucher in der Lage wäre, große Veränderungen herbeizuführen. Energie ist ein Jedermanns-Produkt, weil jeder sie benötigt. Nur wenn es gelingt, die nachhaltigen Varianten wirklich „an alle“ zu verkaufen, entsteht der Hebel für die dringend notwendige Veränderung. Aber sind Kunstaktionen dafür das richtige Mittel?
Zunächst gefällt uns natürlich die Arbeit mit den Kreativen. Wir finden unser Denken, unsere Ängste und Hoffnungen in der Kunst wieder. Aber darum geht es nicht. Wir wollen mit diesen Aktionen Aufmerksamkeit erzeugen, um die Themen, die uns bewegen, in der Gesellschaft zu platzieren und Denkanstöße zu geben. Wir hoffen, dass sich dadurch mehr Menschen mit dem Thema Klimawandel und Atommüllendlagerung beschäftigen. Ob dieser Plan aufgeht, werden wir vermutlich in ein, zwei Jahren wissen, dann sind wir schlauer. Aber für uns sind diese Aktionen keine Elitenveranstaltungen. Uns geht es immer darum, eine möglichst breite Öffentlichkeit zu erreichen. Thomas Ramge arbeitet als fester Autor beim Wirtschaftsmagazin „brand eins“ zu den Themen Energie, Technologie und Mobilität. 2007 erhielt er den HerbertQuandt-Medienpreis, 2008 stand er auf der Shortlist für den Kisch-Preis. Er hat vier Sachbücher geschrieben, darunter den Bestseller „Die Flicks“, der mit dem Deutschen Wirtschaftsbuchpreis ausgezeichnet wurde. 2008 erschien von ihm und Holm Friebe bei Campus „Marke Eigenbau“. Entega ist ein Energieversorger aus der Rhein-MainNeckar-Region mit Sitz in Darmstadt und hat als Teil der traditionellen Energiewirtschaft lange Zeit selbst zu Problemen wie Klimaerwärmung und Atommüll beigetragen.Heute arbeitet Entega an Lösungen, die sowohl ökologisch als auch ökonomisch sinnvoll sind. Ziel ist eine massenmarktfähige, CO2-neutrale Energieversorgung mit Ökostrom und klimaneutralem Erdgas. Zusammen mit der Muttergesellschaft HEAG Südhessische Energie AG (HSE) werden dafür bis 2015 circa eine Milliarde Euro in erneuerbare Energien investiert. Entega ist mit rund 400.000 Ökostromkunden zweitgrößter deutscher Ökostromanbieter und seit Anfang 2008 atomstromfrei. Neue Wege werden auch in der Kommunikation beschritten: Die von Entega ermöglichten Aktionen sollen Themen rund um die Energieversorgung in der Gesellschaft platzieren. Erste Schritte sind die „Schneemann-Demo gegen Klimawandel“ und aktuell das Café Endlager in Stuttgart. 51
Veranstaltungsprogramm
Ab heute strahlen wir! 25/04/2010 ab 18.00 Uhr Eröffnung von CafE Endlager mit starken Stimmen und echter Musik
Zum Eröffnungsabend wird das Café Endlager von verschiedenen Künstlern bespielt. Walter Mossmann liest aus seiner Biografie „Realistisch sein: Das Unmögliche verlangen“. Dazu singt der Musiker Thomas Felder Mossmanns Gorlebenlied. Integriert in die Ausstellung, hat der Künstler und Musiker Moritz Wolpert die „Schaltzentrale“ aufgebaut; der Stuttgarter Singer/Songwriter Matteo Capreoli präsentiert Songs, und später ringt bei Bonjour Madame Feldmusik aus Luzern Chanson-Punk mit Kammermusik. James Dean Browns Nukebox spielt den atomaren Soundtrack zum Café Endlager.
26/04/2010 um 20.30 Uhr Lesung „Tschernobyl“ mit Julia Hummer und Nikolai Kinski
Für das Buch „Tschernobyl: Eine Chronik der Zukunft“ sprach die weißrussische Autorin Swetlana Alexijewitsch über Jahre mit Menschen, für die Tschernobyl zum zentralen Ereignis ihres Lebens wurde. Dabei entstanden Porträts von Menschen, die sich ihre Zukunft in einer Welt der Toten aufbauen mussten. Es lesen Nikolai Kinski und Julia Hummer. Musikalische Begleitung: Moritz Wolpert.
27/04/2010 um 20.00 Uhr Streitgespräch „Ablagern, verlagern, belagern – eine Bestandsaufnahme zur Atomdebatte“ mit Wolfram König und Stefan Dietrich. Moderation: Dagmar Dehmer, „Tagesspiegel“
Atomkraft scheint CO2-arm, sicher und günstig. Fehlende Lagerstätten, riskante Transporte und die Gefahren der Proliferation werden jedoch selten sachlich diskutiert. Im Streitgespräch trifft Wolfram König, Präsident des Bundesamts für Strahlenschutz, auf Stefan Dietrich, den verantwortlichen Redakteur für Innenpolitik bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. König, „Hausherr“ des Skandal-Lagers Asse, steht für eine offene Kommunikation der Risiken des nuklearen Abfalls. Dietrich gilt als Atomkraft-Befürworter. Die Moderation übernimmt Dagmar Dehmer, Politredakteurin und Umweltexpertin beim „Tagesspiegel“.
01/05/2010 um 19.30 Uhr Atomwahnsinn – ein Abend mit dem Atomphysiker Hans-Peter Dürr
Der Träger des Alternativen Nobelpreises und ehemalige geschäftsführende Direktor des Max-Planck-Instituts in München Hans-Peter Dürr begann seine Karriere an der University of California in Berkeley bei Edward Teller, dem Vater der Wasserstoffbombe. Später arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter unter Werner Heisenberg. Der konstruktiv-kritische Querdenker fordert eine radikale und tief greifende Neuorientierung der Gesellschaft und neue Ansätze im Ungang mit der Nuklearenergie.
07/05/2010 um 19.30 Uhr ZintStoff – Geschichten vom Widerstand mit Günter Zint
In den 80er-Jahren durchdrang der Gorleben-Protest die gesamte Bundesrepublik. Die Bilder zu dieser Zeit stammen von Günter Zint. 1941 in Fulda geboren, gründete Zint in den 60er-Jahren die „St. Pauli Nachrichten“ und mischte den Kiez mit seinen Bildreportagen auf. Später wirkte er als Aktivist und Fotograf in der Anti-Atomkraft- Bewegung an vorderster Front mit, was ihm mehrfach Prozesse und Hausdurchsuchungen einbrachte. Bei einem persönlichen Abend erzählt Günter Zint von Blockaden, Wasserwerfern und Aktivistinnen in Strickmützen.
09/05/2010 um 20.00 Uhr Finissage – Tag der Entscheidung Veranstaltung zu den Wahlen in NRW
Außerdem zeigt das Café Endlager jeweils um 20.30 Uhr folgende Filme: 28/04/2010: Sonnensucher 29/04/2010: Am Tag als Bobby Ewing starb 30/04/2010: The Atomic Cafe 02/05/2010: The China Syndrome 03/05/2010: Dark Circle 04/05/2010: Stalker
Das Cafe Endlager ist täglich von 12 bis 22 Uhr geöffnet Weitere Informationen auf www.entega.de oder www.denkanstoesse.de
Chandra Leming, Atom Bombs & Childrenâ&#x20AC;&#x2122;s Songs, 2009, Acryl- und Sprayfarbe auf Hartfaserplatte, 61 x 61 cm
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Danksagung
Radek Szlaga, The Other Side, 2009, テ僕 auf Leinwand, 190 x 140 cm. Courtesy: Alexander Ochs Galleries Berlin Beijing
Cafe Endlager Künstler Alexander Lataille, Anselmo Fox, Ben Heine, Bonaventure Soh Bejeng Ndikung, Brendan Monroe, Chandra Leming, Cornelia Hesse-Honegger, Del Olds, „Gorleben-Gefühl“ (verschiedene Autoren), Gregor Gaida, Groover Schrayer, Günter Zint, Igor Kostin, Jan van Nuenen, John Timberlake, Kate MacDowell, Kate Williams, Manfred Kage, Michael Seelig, Mindpirates, Miriam Vlaming, Moritz Schleime, Norbert Schwontkowski, Oleg Veklenko, R. Erhard, Radek Szlaga, Ralf Schmerberg, Robert Polidori, Susanne Haas, Susanne Starke, Sylvester Koziolek, Taishi Hirokawa, Tanja Selzer, Yang Shaobin AUSSTELLUNG
KATALOG
Künstlerische Leitung: Ralf Schmerberg Co-Kuratierung: Dr. Carola Dürr, Peter Weber Konzeption: Ludwig Berndl, Kristoffer Heilemann, Ralf Schmerberg Produzent: Stephan Vens Projektleitung: Cornell Hentze Projektmanagement: Bella Sahin
Herausgeber: Ralf Schmerberg Artdirektion: Petra Langhammer Redaktion: Ralf Grauel
Recherche-Leitung: Jasmin Terfoorth Recherche-Team: Hans-Christian Hoffmann, Jessica Kleffner, Peter Weiss Videobearbeitung: Lars Karich Logistik Kunstexponate: Boris Moshkovits
Autoren: Philllip Albers, Holm Friebe, Stefan Krücken, Walter Mossmann, Ingo Niermann, Thomas Ramge Illustration: Daniel Stolle Bildredaktion: Tobias Kruse, Sofia Uguccioni Schlussredaktion: Matthias Sommer Lithografie & Druckvorstufe: max-color Druck: Axel Springer AG, Druckerei Spandau
Architekt: Jonas Greubel, Heike Pauketat Assistenz: Sebastian Keller Recherche: Sonja Jehle Requisite: Torsten Auer Hängung: Dirk Behrend Readymades: Ivan Lacaze Carpentry: Michael Grün, Paper Blattmacher Helfer: Chrischa Wahl, Steffen Belz Bauhelfer: Kornel Klacek, Andy Hertsch, Raffaele Blankenhorn, Tom Mette Transporte: Tim Stutz, Peter Lorenz
WWW.DENKANSTOESSE.DE
Assistenz der künstlerischen Leitung: Christian Schmid, Friederike Schinagl Assistenz Produktion: Philip Ostendorf Assistenz Projektmanagement: Benjamin Heuschmid Technische Projektleitung: Bodo Maier Aufnahmeleitung: Moritz Schreiner Venue Manager: Benny Steinbrenner Architekt Bauanträge: Ulrich Weingärtner IT: Roland Brehe Controlling: Uta Abt
Projektleitung: Sandra Schamber Online: Ann-Katrin Schmiechen Media: Jens Hoffmann Marketingleitung: Dr. Karoline Haderer
Mindpirates Artdirektion: Ebon Heath Projektmanagement: Eric Mahleb, Felix Vogler Redaktion: Dr. Göran Adrian Bellin, Mathias Gößling Programmierung: Oliver Berger, Jovica Aleksik Flash-Programmierung: Jens Leske
CAFE ENDLAGER wurde ermöglicht durch ENTEGA
Bauliche Maßnahmen: Zinnow Gebäudeausbau Veranstaltungsschutz: S.P.A. Security Brandschutzanlage: C.M Heim A/V, Lichttechnik, Logistik : Cologne Hunters Kunsttransporte: Brandl Transport Versicherung: Eberhard, Raith und Partner Ausstellungs-Prints: RECOM Art Rahmen: Bilderrahmen Landwehr, Merzrahmen Gastronomie: Bravo Charlie Public Relations, Programm und Veranstaltungsmanagement BUREAU N Leitung: Silke Neumann Pressemanagement: Stefan Bernhard Programm: Moritz Estermann, Jennifer Schmitt Assistenz: Mirna Funk, Zita Struebi Produktion: Trigger Happy Productions Agentur: DDB Berlin Kunde: Entega
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Tanja Selzer, Strand, 2008, テ僕 auf Leinwand
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Der Leiter des Ausbildungszentrums f체r Zivilschutz in Quebec erl채utert im April 1958 die Auswirkungen einer Atombombenexplosion 체ber Montreal. Foto: Fox Photos, Hulton Archiv, Getty Images
, r e g i r g e i n u w n i ch s Me t e s i t s s s „E a f e g r o v n e r e ein m in e m t s ü n i r E t t r er b e l A z — u “ . z m o t A n i e s l a
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