Rundbrief 2011-04

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Rundbrief April 2011

Maximilian-Kolbe-Werk Hilfe für die Überlebenden der Konzentrationslager und Ghettos

Die rechte Seite war das Leben Die Geschichte der polnischen Jüdin Ruta Wermuth-Burak Ruta Wermuth-Burak wurde am 1. Januar 1928 als drittes Kind der jüdischen Familie Wermuth in Kolomea im Osten Polens, der heute zur Ukraine gehört, geboren. „Ich hatte eine glückliche Kindheit. Die einzige Tochter wurde von den Eltern verhätschelt, meine beiden älteren Brüder Salek und Pawel beschützten ihre kleine Schwester. Ein gepflegtes Elternhaus also, dazu unzählige Tanten, Onkel, Cousinen, Freunde und Schulkameraden”, beginnt sie ihre Erzählung. Das beschauliche Leben findet ein jähes Ende: Im September 1939 überfällt die deutsche Wehrmacht Polen. Ostpolen wird zunächst von sowjetischen Truppen besetzt, zwei Jahre später kommen die Deutschen. Ab August 1941 steht Kolomea unter deutscher Verwaltung. Die Verfolgung der Juden begann, als Ruta 13 Jahre alt war. Jüdische Geschäfte mussten schließen, jüdischer Besitz wurde beschlagnahmt, jüdische Kinder durften keine Schule mehr besuchen. „Die Deutschen verloren keine Zeit. Die Liste der Schikanen und Repressalien war lang und grauenvoll und Tag für Tag wurde es schlimmer.”

Ruta Wermuth-Burak, 83, engagiert sich seit vielen Jahren als Zeitzeugin im Maximilian-Kolbe-Werk.

"Ich glaube, so ergeht es allen Überlebenden: Das Letzte, das Schlimmste ist nicht mitteilbar." Ruta Wermuth-Burak

Ghetto, Deportation und Flucht Im März 1942 wird in Kolomea ein Ghetto errichtet. „Wir mussten in ein enges, eingezäuntes und bald überfülltes Viertel übersiedeln, die ärmste Gegend der Stadt, in der die Häuser eher Hütten waren, ohne Wasser und Kanalisation. Es gab kaum Nahrung. Tausende starben an Hunger und Krankheit.” Der „natürliche Tod“ der Juden geht der deutschen Besatzung zu langsam. Ihre Vernichtung war bereits beschlossen. Im September 1942 stehen 5000 Menschen dicht gedrängt auf dem Platz des Ghettos. Nur etwa 300 von ihnen werden mit einem lässigen Wink von SS-Untersturmführer Peter Leideritz nach rechts ausgesondert, alle anderen nach links. „Rechts bedeutete Leben, links Tod. Mama,

Papa und ich gingen nach links. Wir hielten uns fest an den Händen“, erinnert sich Ruta. Wo ihre Brüder waren, wusste sie nicht. Ein langer Zug mit Viehwaggons stand schon bereit, die Türen weit geöffnet. Panische Schreckensschreie lassen die Kolonne auseinanderbrechen. Mit Peitschen treiben die Unformierten die vor Angst fast wahnsinnigen Menschen in die Waggons. „Wir ahnten, wohin die Reise gehen sollte. Nach Belzec in ein Vernichtungslager – eine Reise ohne Wiederkehr.“ Hunderttausende Juden wurden in Belzec ermordet. Auf der Fahrt gelingt es Rutas Eltern, die morsche Waggonwand des Deportationszugs aufzubrechen. „Bevor ich das Ganze richtig verstehen konnte, packten mich kräftige Hände, hoben mich hoch


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