Architekturkrise der 70er

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DIeter Schnell

Die Architekturkrise der 1970er Jahre Her ausgegeben von der Abteilung bachelor Architektur der BFH

2013 hier + jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte, Baden



Die Architekturkrise der 1970er Jahre Dieter Schnell


Impressum Begleitpublikation zur Jahresausstellung der Abteilung bachelor Architektur der Hochschule für Architektur, Holz und Bau im Frühling 2013 Mit Beiträgen haben das Buchprojekt unterstützt: Xxx Dieses Buch ist nach den aktuellen Rechtschreibregeln verfasst. Quellenzitate werden jedoch in originaler Schreibweise wiedergegeben. Hinzufügungen sind in [eckigen Klammern] eingeschlossen, Auslassungen mit […] gekennzeichnet. Lektorat: Ruth Wiederkehr, hier§#§+§#§jetzt Gestaltung und Satz: Mauro Schönenberger Bildverarbeitung: xxxxxx Dieses Werk ist auf www.libreka.de auch als E-Book erhältlich: ISBN E-Book 978-3-03919-838-2 ©2012 hier§#§+§#§jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte GmbH, Baden www.hierundjetzt.ch ISBN Druckausgabe 978-3-03919-284-7


Inhaltsverzeichnis E inlei t u ng 9 Anstiftung zum Unfrieden

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Das Umdenken

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K atal o g 4 6 Zum Beispiel Spreitenbach. Ein Dorf hat Ambitionen Reportage von Walter Bosch 48 Ein Dorf verlor sein Gesicht, Lucia Zuber

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Volksabstimmung über den Überbauungsplan und die Sonderbauvorschriften Thoracker, vom 4./5. März 1972 in der Stadt Bern 56 Der Maulwurf Grabowski, Luis Murschetz

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Der Sündenbock Stadt, Peter Killer

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Momo, Michael Ende

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Buchbesprechungen in der Tagespresse:

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Alle Jahre wieder saust der Presslufthammer nieder oder: Die Veränderung der Landschaft, Jörg Müller, 76 Grösstes Zentrum Glatt: Affäre mit dem Architekten, statt Paradies nur Konsum, Max Jäggi und Sil Schmid 79 Schönheit der ZIEGELDÄCHER, Werner Catrina

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Spreitenbach – vom Bauerndorf zur Stadt, Rolf Meier,

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Walter Baumann, Ohne Halt bis Betonville. Vom Schweizer Bauernhaus zum modernen Wohnsilo 91 Hier fällt ein Haus, dort steht ein Kran und ewig droht der Baggerzahn, oder: Die Veränderung der Stadt, Jörg Müller, 95


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Einleitung

Die «Architekturkrise der 1970er-Jahre» ist kein stehender Begriff. Vielmehr schickt sich der vorliegende Text an, den Beweis einer tiefen Architekturkrise während dieses Jahrzehnts erst anzutreten. Das hier Thematisierte ist wohl als eine Parallelentwicklung zu den gesellschaftlichen Erschütterungen der 1968er-Bewegung, zu den vom Club of Rome 1972 vorgebrachten Thesen «Die Grenzen des Wachstums» oder zu den ersten Umweltschutzbemühungen (Gründung von Greenpeace 1971) zu verstehen. Eine tiefer greifende Analyse der Ursachen und Beweggründe kann hier allerdings nicht geleistet werden. Zunächst wird im ersten Kapitel versucht, den Charakter der Krise herauszuschälen. Die Schwierigkeit besteht darin, dass sie nicht in erster Linie eine fachimmanente Angelegenheit gewesen, sondern von aussen an die Fachleute herangetragen worden ist. Zwar haben auch einzelne Architekten an den Rezepten der Moderne zu zweifeln begonnen, ohne Druck von aussen hätte sich aber diese Selbstkritik wohl nie zu einer ernsthaften Krise ausgeweitet. Das zweite Kapitel zeigt die wichtigsten Kritikpunkte sowie den darin enthaltenen Zündstoff auf. Politisch-gesellschaftliche Entwicklungen und Folgen werden hier nur angedeutet. Im dritten und letzten Teil werden die Reaktionen der Fachleute auf die Architekturkrise angesprochen. Auch hier ist es selbstverständlich unmöglich, eine Schweizer Architekturgeschichte der 1970er-Jahre zu schreiben. Das Thema ist viel zu umfangreich für die umfassende Behandlung auf diesen wenigen Seiten. Vielmehr versteht sich der vorliegende Text als Formulierung einer These und der daraus folgenden Konsequenzen. Die hier vorgetragene These lautet wie folgt: Ende der 1960er-Jahre fand sich die gängige Architekturpraxis zunehmend heftiger Kritik und Anschuldigungen ausgesetzt. Das allgemeine Ansehen der zeitgenössischen Architektur und mit ihr der Architekten erlebte in der Folge einen historischen Tiefpunkt. Die damals neu entstandenen Architekturpositionen werden verständlicher, wenn man sie als Abwehr- und Auswegstrategien zu betrachten sucht.


Wa s f ü r e i n e A r c h i t e k t u r k r is e ? Seit ein paar Jahren thematisiere ich in meinen Architekturgeschichtsseminaren an der Fachhochschule die Architekturkrise der 1970er-Jahre. Dabei stelle ich immer wieder fest, dass Aussenstehenden gänzlich unklar ist, was ich damit meine, dass aber nach wenigen Erläuterungen nicht nur ein erstauntes «Aha» folgt, sondern von den Gesprächspartnern plötzlich selber Argumente beigesteuert werden, die meine These stützen. Selbst unter Fachleuten scheint das Bewusstsein einer tiefen Architekturkrise in den 1970er-Jahren nicht vorhanden zu sein. So sind beispielsweise Ákos Moravánszky und Judith Hopfengärtner während ihrer Forschungen über Aldo Rossis Lehrtätigkeit in Zürich ab 1972 immer wieder auf Hinweise gestossen, die von einer Krise unmittelbar davor berichtet haben. Aus ihren beiden im Jahr 2011 gedruckten Publikationen geht deutlich hervor, dass sie Mühe hatten herauszufinden, was die Ursache dieser Krise gewesen sei. Sie schreiben: «Es fällt heute schwer, zu verstehen, worin genau die Natur dieser Krise um 1970 bestand. International anerkannte Architekten sind als Professoren tätig. Bernhard Hoeslis (1923–1984) viel gelobter Grundkurs vermittelt beispielhaft die elementaren Gestaltungsprinzipien und das Raumverständnis der architektonischen Moderne. Auch die theoretische Beschäftigung mit der Disziplin kommt nicht zu kurz. Bereits 1967 hatte Hoesli zusammen mit Paul Hofer und Adolf Max Vogt das Institut für Geschichte und Theorie der Architektur (gta) gegründet. Die Architekturschule hatte keinen für eine zeitgemässe Entwicklung nötigen Schritt verpasst, im Gegenteil, alle Facetten sind vertreten, auch soziologische Forschung wird betrieben. Warum also die Unzufriedenheit?»  1 Wenn hier also von der Architekturkrise der 1970er-Jahre geschrieben werden soll, muss zuerst dargelegt werden, worin diese bestanden hat oder bestanden haben könnte. Bereits jetzt kann an die Adresse der oben Genannten gesagt werden, dass ihre «Verständnisschwierigkeit» auch daher rührt, dass sie womöglich den Herd der Krise allein an der Architekturabteilung 1 Ákos Moravánszky und Judith Hopfengärtner, Die das Glück hatten, ihn zu kennen, in: TEC21 25/2011, 18. Ebenso: Ákos Moravánszky und Judith Hopfengärtner, Wie man

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wird, was man ist. Eine Einführung, in: Ákos Moravánszky, Judith Hopfengärtner (Hrsg.), Aldo Rossi und die Schweiz. Architektonische Wechselwirkungen, Zürich 2011, 12.


der ETH gesucht haben. Wie zahllose Schriften der 1970er-Jahre beweisen, war die Wahrnehmung einer akuten Architekturkrise nicht allein in Zürich vorhanden, sondern sehr weit wenn nicht gar weltweit verbreitet. Diese Behauptung möchte ich eingangs mit ein paar zufällig ausgewählten Zitaten belegen, wobei ich mich auf zeitgenössische Publikationen beschränke, die in deutscher Sprache – im Original oder als Übersetzung – gedruckt worden sind. «Besonders dringlich ist das [gemeint ist die Kommunikation und die Förderung des Austauschs zwischen divergierenden Bestrebungen] für den Bereich der Architektur, der heute von einer Sprachkrise heimgesucht wird – Ursache und Folge der Kluft zwischen Architektur und Gesellschaft.»  2 (Renato de Fusco, 1967) «Während der letzten fünf Jahre ist die Architektur wieder in eine Krisensituation geraten. Diese jüngste Krise hat mehr Verzweiflung und Überraschung hervorgerufen als irgendeine der früheren. Vor noch nicht zehn Jahren schien es nicht den geringsten Hinweis darauf zu geben, dass irgendetwas in diesem Tätigkeitsbereich nicht stimmen könnte, und auf den ersten Blick schienen auch keine neuen Entscheidungen oder Alternativvorschläge erforderlich. Dann aber wurde ganz plötzlich der Architekt – im traditionellen Sinne – von jungen Abweichlern beschuldigt, in der Zwangsjacke seiner beruflichen Ausbildung und Praxis zu stecken.»  3 (Alexander Tzonis, 1972) «Negative Ergebnisse der Bau- und Stadtplanung werden in Diskussionen über die Berufspraxis häufig auf die Architekten selbst zurückgeführt; es wird dann von einer Architektur-Krise gesprochen, doch handelt es sich eher um eine Krise des Selbstverständnisses der Architekten angesichts dieser Missstände, die selbst Ausdruck allgemeiner gesellschaftlicher Bedingungen sind.  4 (Klaus Brake, 1973) «Dass die Architekten die Schuld am chaotischen Bild unserer gebauten Umwelt tragen, ist eine verbreitete Meinung. Ebenso häufig wird der Architektur 2 Renato De Fusco, Architektur als Massenmedium. Anmerkungen zu einer Semiotik der gebauten Formen, Bauwelt Fundamente 33, Gütersloh 1972, 7 (Originalausgabe: Architettura come mass medium, Bari 1967). 3 Alexander Tzonis, Das verbaute Leben, Bauwelt Fundamente 39, Düsseldorf 1973, 12 (Originalausgabe: Towards A Non-Oppressi-

ve Environment, Boston 1972) 4 Klaus Brake, 1. Ausgangssituation. Erscheinung und Zusammenhang der Krise der Architekten, in: Klaus Brake (Hrsg.), Architektur und Kapitalverwertung. Veränderungstendenzen in Beruf und Ausbildung von Architekten in der BRD; Frankfurt a. M. 1973, 7.


bescheinigt, dass sie sich in einer gefährlichen Krise befindet. […] Das überlieferte Instrumentarium einer vor allem ästhetisch begründeten Baukunst weist keinen Weg aus der immer wieder behaupteten Krise der Umweltgestaltung, die viele den Architekten und Stadtplanern anlasten und die doch eigentlich eine Krise der Gesellschaft in ihrer Gesamtheit ist.»  5 (Wilhelm Krücker, 1976) «Es gibt also nicht nur eine Ursache für die Krise der Architektur, sondern ein ganzes System von Ursachen, und mit Sicherheit wird lediglich eine Änderung des Stils oder der Ideologie der Architekten, wie zahlreiche Kritiker vorschlagen, die Gesamtsituation nicht ändern.»  6 (Charles Jencks, 1977)

Diese fünf chronologisch geordneten Zitate stammen aus Italien, aus England, zwei aus Deutschland und das Letzte aus den USA. Die erste Textstelle, diejenige aus Italien, spricht (noch) nicht von einer Architekturkrise, sondern bloss von einer Sprachkrise im Bereich der Architektur. Interessant ist die Feststellung, dass die beiden Zitate aus Deutschland zwar den Begriff der Architekturkrise erwähnen, ihn aber anderen in den Mund legen und sich selber davon distanzieren. Während der eine Autor statt einer Architekturkrise eine «Krise des Selbstverständnisses der Architekten» ausmacht, will sie der andere zu einer «Krise der Gesellschaft in ihrer Gesamtheit» ausgeweitet sehen. Hier scheint bereits eine wichtige Erkenntnis auf, die in der Folge noch genauer untersucht werden muss: Die hier behandelte Architekturkrise war weniger ein fachinterner Diskurs als vielmehr eine von Fachleuten diagnostizierte Erschütterung bei Architekturlaien unterschiedlichster Couleur. Fünf Zitate sind allerdings zu wenig, um der Architektur eines Jahrzehnts den Stempel der Krise aufzudrücken. Ein weiteres Indiz soll deshalb das Zitieren von Buchtiteln aus den 1970er-Jahren liefern. In chronologischer Reihenfolge lassen sich ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder Systematik folgende Titel auflisten 5 Wilhelm Krücker, Architektur zwischen dernen Architektur. Die Entstehung einer alKunst du Konsum. Auf der Suche nach einem ternativen Tradition, Stuttgart 1978, 14 (Origineuen Selbstverständnis, Frankfurt a. M. 1976 nalausgabe: The Language of Post-Modern (zweite Auflage 1979), 15/16. Architecture, London/New York 1977). 6 Charles Jencks, Die Sprache der postmo-

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1 Cover des Buches: Renato De Fusco, Architektur als Massenmedium, Anmerkungen zu einer Semiotik der gebauten Formen, Bauwelt Fundamente 33, Bertelsmann Fachverlag, G端tersloh 1972. 2 Cover des Buches: Alexander Tzonis, Das verbaute Leben, Vorbereitung zu einem Ausbruchsversuch, Bauwelt Fundamente 39 Bertelsmann Fachverlag, G端tersloh 1973. 3 Cover des Buches: Wilhelm K端cker, Architektur zwischen Kunst und Konsum, Auf der Suche nach einem neuen Selbstverst辰ndnis, Suhrkamp Taschenbuch 309, Frankfurt a. M. 1976. 4 Cover des Buches: Charles Jencks, Die Sprache der Postmodernen Architektur, Deutsche Verlags-Anstalt DVA, Stuttgart 1978.


Uwe Schultz (Hrsg.), «Umwelt aus Beton oder Unsere unmenschlichen Städte»  7 (1971) Joseph Lehmbroock, Wend Fischer, «Profitopoli$ oder Der Mensch braucht eine andere Stadt»  8 (1971) Ulrich Conrads, «Architektur – Spielraum für Leben. Ein Schnellkurs für Stadtbewohner»   9(1972) Rolf Keller, «Bauen als Umweltzerstörung. Alarmbilder einer Un-Architektur der Gegenwart»  10 (1973) Hugo Kükelhaus, «Unmenschliche Architektur»  11 (1973) Walter Baumann, «Ohne Halt bis Betonville. Vom Schweizer Bauernhaus zum modernen Wohnsilo»   12(1975) Brent C. Brolin, «Das Versagen der modernen Architektur»  13 (1976) Paolo Portoghesi, «Ausklang der modernen Architektur. Von der Verödung zur neuen Sensibilität»   14(1980)

Doch auch diese Liste repräsentiert nur einen sehr kleinen Ausschnitt aus allen Publikationen, die sich mit der Architekturmisere der 1970erJahre befassen. Es sind hier nämlich nur diejenigen Titel enthalten, die 7 Uwe Schultz (Hrsg.), Umwelt aus Beton oder unsere unmenschlichen Städte, Hamburg 1971, (Das Buch wurde mindestens fünfmal neu aufgelegt). 8 Joseph Lehmbroock, Wend Fischer, Profitopoli$ oder Der Mensch braucht eine andere Stadt, München 1971. (Dieses Buch war der Katalog einer Ausstellung in München, die so erfolgreich war, dass 1979 unter dem Titel «Von Profitopoli$ zur Stadt der Menschen» eine Nachfolgeausstellung organisiert wurde.) 9 Ulrich Conrads, Architektur – Spielraum für Leben. Ein Schnellkurs für Stadtbewohner, München 1972. (Das Buch erschien zwei Jahre später unter verändertem Titel als Taschenbuch: Ulrich Conrads, Umwelt Stadt. Argumente und Lehrbeispiele für eine humane Architektur, Hamburg 1974.) 10 Rolf Keller, Bauen als Umweltzerstörung.

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Alarmbilder einer Un-Architektur der Gegenwart, Zürich 1973. (Das Buch war äusserst erfolgreich und erlebte bis 1977 fünf Auflagen sowie eine Lizenzausgabe durch Ex Libris 1975.) 11 Hugo Kükelhaus, Unmenschliche Architektur, Köln 1973. 12 Walter Baumann, Ohne Halt bis Betonville. Vom Schweizer Bauernhaus zum modernen Wohnsilo, Schweizerisches Jugendschriftenwerk 1326, 1975. 13 Brent C.Brolin, Das Versagen der vmodernen Architektur, Frankfurt a. M., Berlin, Wien 1980 (Originalausgabe: The Failure of Modern Architecture, New York 1976.) 14 Paolo Portoghesi, Ausklang der modernen Architektur. Von der Verödung zur neuen Sensibilität, Zürich 1982 (Originalausgabe: Dopo l’architettura moderna, Rom, Bari 1980.)


sich mit einer mehr oder weniger reisserischen Überschrift in den Vordergrund drängen. An dieser Titelliste fällt auf, dass sich einzig der letztgenannte primär an ein Fachpublikum zu richten scheint. Alle anderen wollen entweder ausschliesslich ein Laienpublikum oder sowohl ein Fach- als auch ein Laienpublikum ansprechen. Die Autoren der aufgeführten Bücher waren zur einen Hälfte Architekten. Die anderen vier sind Uwe Schultz als Geisteswissenschaftler, Hugo Kükelhaus als Künstler und Pädagoge, der studierte Kunsthistoriker Ulrich Conrads als langjähriger Architekturkritiker und -publizist sowie Walter Baumann als Primarlehrer und Publizist, die sich in einen Fachdiskurs vorwagen, der üblicherweise fast ausschliesslich von Fachleuten bestritten wird. Während Ulrich Conrads, der fleissigste Architekturpublizist unter den aufgelisteten Autoren, mit seinem Buchtitel keinen anklagenden Unterton beabsichtigt – ein einziger Blick in das Buch genügt dann allerdings, um diesen festzustellen – suchen andere im Titel, oder doch zumindest im Untertitel, ein klares, kämpferisches Statement abzugeben. Meine Behauptung, die Krise sei nicht so sehr ein fachinterner Spezialistendiskurs gewesen, sondern vorerst ein breit gestreutes Missbehagen an der aktuellen Gebäudeproduktion, das sich von aussen dem Fachdiskurs aufgedrängt habe, möchte ich mit Beispielen untermauern, die von einem zunächst völlig unerwarteten Ort stammen: dem Kinder- und Schulzimmer. 1972 erschien das Bilderbuch «Der Maulwurf Grabowski», das Vorschulkindern die Geschichte der Vertreibung eines Maulwurfs aus seinem angestammten Lebensraum in Bild und Text erzählt: «Kräne wurden aufgestellt, und das Ungeheuer mit den schrecklichen Grabschaufeln war ein grosser Bagger, der tiefe Löcher in die Erde gegraben hatte; denn hier sollten Hochhäuser mit Tiefgaragen entstehen. Ein Arbeiter sah den Grabowski und wollte ihn fangen.»   15 Selbstverständlich findet der Kleine nach glücklichem Überstehen mehrerer lebensbedrohlicher Situationen eine neue Wiese. Schulkinder konnten im Jahr darauf im wohl berühmtesten Jugendbuch des Jahrzehnts, «Momo», über zeitgenössische Architektur folgendes lesen: «Und schliesslich hatte 15 Luis Murschetz, Der Maulwurf Grabowski, Zürich 1972. (Buch ohne Seitenzahlen)


auch die grosse Stadt selbst mehr und mehr ihr Aussehen verändert. Die alten Viertel wurden abgerissen, und neue Häuser wurden gebaut, bei denen man alles wegliess, was nun für überflüssig galt. Man sparte sich die Mühe, die Häuser so zu bauen, dass sie zu den Menschen passten, die in ihnen wohnten; denn dann hätte man ja lauter verschiedene Häuser bauen müssen. Es war viel billiger und vor allem zeitsparender, die Häuser alle gleich zu bauen.»  16 Die zeitgenössische Architektur spielt zwar in der Erzählung, in der es um eine heimtückische Bande von Zeitdieben geht, eine untergeordnete Rolle. Es fällt aber auf, dass sie immer dort auftaucht, wo sich die «grauen Herren» aufhalten oder ihre dunklen Geschäfte tätigen. Es kommt der Eindruck auf, als könne das unmenschliche Leben unter dem Diktat der «grauen Herren» am besten an der Monotonie und Ausdruckslosigkeit der modernen Architektur aufgezeigt werden. Das Gegensatzpaar von Momo und den «grauen Herren», das die Spannung des Buches ausmacht, erfährt eine Analogie in der ruinösen antiken Arena, wo Momo wohnt, und den monotonen Neubauvierteln der «Zeitsparer». Auch der ehemals gemütliche Freund von Momo, der Maurer Nicola, gerät in die Abhängigkeit der Zeiträuberbande. Er berichtet in einer Nacht, stark alkoholisiert, über sein verändertes Leben: « ‹Was meinst du, was bei mir jetzt los ist, Kind! Das ist nicht mehr wie früher. Die Zeiten ändern sich. Da drüben, wo ich jetzt bin, da wird ein anderes Tempo vorgelegt. Das geht wie der Teufel. Jeden Tag hauen wir ein ganzes Stockwerk drauf, eins nach dem anderen. Ja, das ist eine andere Sache als früher! Da ist alles organisiert, jeder Handgriff, verstehst du, bis ins letzte hinein …› Er redete weiter, und Momo hörte ihm aufmerksam zu. Und je länger sie das tat, desto weniger begeistert klang seine Rede. Plötzlich hielt er inne und wischte sich mit seinen schwieligen Händen übers Gesicht. ‹Alles Unsinn, was ich da rede›, sagte er auf einmal traurig. ‹Du siehst, Momo, ich hab’ wieder mal zuviel getrunken. Ich geb’s zu. Ich trink’ jetzt oft zuviel. Anders kann ich’s nicht aushalten, was wir da machen. Das geht einem ehrlichen Maurer gegen das Gewissen. Viel zuviel Sand im Mörtel, verstehst du? Das hält alles vier, fünf Jahre, dann fällt es zusammen, wenn einer hustet. 16 Michael Ende, Momo, Stuttgart 1973, 71. (Das Buch war überaus erfolgreich: Es erlebte nicht nur zahlreiche Auflagen, es gab illustrierte Ausgaben, eine Schulausgabe, es ist in mehrere Sprachen übersetzt wor-

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den; mehrere Filme, Hörspiele und sogar eine Oper fussen auf dem Text, der Autor erhielt den Deutschen Jugendbuchpreis.)


Alles Pfusch, hundsgemeiner Pfusch! Aber das ist noch nicht das Schlimmste. Das Schlimmste sind die Häuser, die wir da bauen. Das sind überhaupt keine Häuser, das sind – das sind – – Seelensilos sind das! Da dreht sich einem der Magen um! Aber was geht mich das an? Ich kriege eben mein Geld und basta. Na ja, die Zeiten ändern sich. Früher, da war das anders bei mir, da war ich stolz auf meine Arbeit, wenn wir was gebaut hatten, was sich sehen lassen konnte. Aber jetzt … Irgendwann, wenn ich genug verdient hab’ häng’ ich meinen Beruf an den Nagel und mach’ was anderes.› Er liess den Kopf hängen und starrte trübe vor sich hin.»  17 Zwischen 1935 und 1995 gab «Das Schweizerische Schulwandbilder Werk» jedes Jahr vier neue, grossformatige Bilder heraus, die, mit einem mehrseitigen Lehrerkommentar versehen, für den Einsatz im Volksschulunterricht bestimmt waren.  18 1975 erschienen zwei Flugbilder der Swissair, die zum einen die Hochhaussiedlung Spreitenbach, zum anderen das Waadtländer Weindorf Allaman zeigen. Während der Lehrerkommentar des letzteren die ländliche Idylle in Geschichte und Gegenwart beschreibt, die einzig durch zwei Kiesgruben gestört wird, und dabei ausführlich auf den traditionell hier ansässigen Weinbau eingeht, vermag der Autor des anderen Flugbildes, die «Objektivität» eines Lehrerkommentars nicht immer zu wahren. Dies wird etwa in folgenden Passagen deutlich: «Im Verlaufe der letzten 10 bis 15 Jahre haben sich unzählige Baumaschinen in Spreitenbachs Acker- und Wiesland hineingefressen, haben den gewachsenen Boden zerstört, verbaut und ‹versteinert›. Mit dieser Entwicklung sind nicht alle zufrieden. Rolf Keller zum Beispiel bezeichnet Spreitenbach in seinem Buch ‹Bauen als Umweltzerstörung› als eine ‹zerbaute, zerschundene Landschaft› und gibt zu bedenken, dass auch Bauen – alles in allem und je länger, je mehr – zu einer eigentlichen Umweltzerstörung geworden ist. Er denkt wohl in erster Linie an die grossen und anonymen Betonklötze, an die Fabrikhallen und Schuppen, die das Limmattal wie ein Riegel durchqueren. […] Die Architektur ist meistens zu eintönig, die Aussenräume sind keine Begegnungsräume, in denen ‹etwas läuft›. Es fehlt der Abwechslungsreichtum der gewachsenen Stadt mit Entfaltungsund Kontaktmöglichkeiten.»  19 Dass das Schulwandbild «Spreitenbach» im

17 Ebenda, 81/82. 18 Bundesamt für Kultur (Hrsg.), Kunst zwischen Stuhl und Bank. Das Schweizerische

Schulwandbilder Werk 1935–1995, Baden 1996. 19 Rolf Meier, Spreitenbach –


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1 Cover des Buches: Uwe Schultz (Hrsg.), Umwelt aus Beton oder Unsere unmenschlichen Städte, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbeck bei Hamburg 1971. 2 Cover des Buches: Ulrich Conrads, Architektur, Spielraum für Leben, Bertelsmann Verlag, München, Gütersloh, Wien 1972. 3 Seiten aus dem Buch: Ulrich Conrads, Architektur, Spielraum für Leben, Bertelsmann Verlag, München, Gütersloh, Wien 1972.


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4 Cover des Buches: Ulrich Conrads, Umwelt Stadt, Argumente und Lehrbeispiele für eine humane Architektur, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbeck bei Hamburg 1974. 5 Cover des Buches: Hugo Kükelhaus, Unmenschliche Architektur, Gaia Verlag, Köln 1973. 6 Cover des Buches: Rolf Keller, Bauen als Umweltzerstörung, Alarmbilder einer Un-Architektur der Gegenwart, Artemis Verlag, Zürich 1973. 7 Cover des Buches: Brent C. Brolin, Das Versagen der modernen Architektur, Ullstein Verlag, Frankfurt a. M., Berlin, Wien, 1980 (engl. 1979) .

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schweizerischen Schulunterricht meist überaus kritisch besprochen worden ist, belegt die Tatsache, dass der Gemeinderat von Spreitenbach vier Jahre nach Erscheinen des Bildes den Wunsch äusserte, «Das Schweizerische Schulwandbilder Werk» solle das Bild zurückziehen.  20 In der am Schluss des Lehrerkommentars angefügten Literaturliste erscheint nicht nur das im Zitat erwähnte Buch von Rolf Keller,  21 sondern auch die zwei Jahre zuvor erschienene Bildermappe «Alle Jahre wieder saust der Presslufthammer nieder oder Die Veränderung der Landschaft»,  22 die in sieben farbigen Darstellungen die Veränderung des fiktiven Dorfes Güllen in Zeitschritten von etwas mehr als drei Jahren aufzeigt. In nur 19 Jahren wandelt sich die ländliche Idylle des ersten Bildes von 1953 zur «technischen, betonüberwucherten Landschaft» der letzten Darstellung von 1972, wie es im kurzen Kommentar heisst. Die Verbindung mit den zwei Schulwandbildern ist insofern nicht zufällig, als auch der Verlag der Sammelmappe betont, ihre Publikation eigne sich vorzüglich für Kindergärten und Schulen. Im gleichen Jahr wie die beiden Schulwandbilder erschien zudem das oben bereits erwähnte Büchlein «Ohne Halt bis Betonville. Vom Schweizer Bauernhaus zum modernen Wohnsilo»,  23 das aus einer Zusammenarbeit des Schweizer Heimatschutzes mit dem Schweizerischen Jugendschriftenwerk (SJW) anlässlich des europäischen Jahres für Denkmalpflege und Heimatschutz hervorgegangen zu sein scheint. Während das Büchlein im Text sehr ausführlich auf die verschiedenen historischen Haustypen der Schweiz eingeht und erst gegen Ende das zeitgenössische Bauen thematisiert, gehorchen die Illustrationen einem anderen Konzept: Wiederholt sind in die Abfolge von Aufnahmen historischer Gebäude Bilder von Hochhäusern, Agglomerationslandschaften und harte Konfrontationen von kleinen historischen und mächtigen zeitgenössischen Gebäuden eingestreut. Der Text Bauerndorf zur Stadt, Kommentare zum Schweizerischen Schulwandbilderwerk, Bild 167, 13 und 15, 1975. 20 Das Schweizer Fernsehen strahlte am 12. 11. 1979 die Sendung «Spreitenbach» aus, in der dieser Wunsch des Gemeinderates thematisiert wird. 21 Rolf Keller, Bauen als Umweltzerstörung. Alarmbilder einer Un-Architektur der Gegenwart, Zürich 1973.

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22 Jörg Müller, Alle Jahre wieder saust der Presslufthammer nieder oder Die Veränderung der Landschaft, Aarau 1973. 23 Walter Baumann, Ohne Halt bis Betonville. Vom Schweizer Bauernhaus zum modernen Wohnsilo, Schweizerisches Jugendschriftenwerk 1326, 1975.


lässt spätestens gegen Schluss eine deutlich erzieherische Tendenz erkennen. Hier lesen wir: «Eisenbeton hat für den Hausbesitzer, den Architekten und den Baumeister so viele Vorteile, dass diese Bauart die andern fast ganz verdrängt. In den letzten zwanzig Jahren sind überall in unserem Land riesige Eisenbetonhäuser entstanden, manchmal so hohe ‹Wolkenkratzer›, dass uns der Kirchturm daneben ganz klein vorkommt. Natürlich passt diese neue Bauart nicht überall. Ganze schöne Häuserzeilen sind durch einzelne moderne, aber lieblose Häuser verunziert worden. Ist es nicht schade, dass oft alte, gemütliche Häuser abgebrochen werden, nur weil ein neues Eisenbetonhaus billiger zu stehen kommt? Natürlich gibt es auch alte Gebäude, die nie schön waren. Aber jene Häuser, Dorfwinkel und Häuserzeilen, die vor Jahrzehnten und Jahrhunderten von begabten Handwerkern errichtet wurden, sollte man stehen lassen und, wenn es nötig wird, reparieren und renovieren. Wenn wir nicht aufpassen, so ist in wenigen Jahrzehnten die ganze Vielfalt der schönen alten Häuser verschwunden. Dann gibt es keine Riegelhäuser, keine Erkerhäuser und keine Dreisässenhäuser mehr. Dann ist die Schweiz eine einzige grosse Betonstadt geworden und all das, was früher in vielen Jahrhunderten mit viel Können und Liebe gebaut wurde, können wir nur noch in Bilderbüchern bewundern. Wollen wir das?»  24 Nach all diesen Versuchen, die Architekturkrise der 1970er-Jahre, wie sie in diesem Text verstanden wird, einzukreisen, möchte ich an den Schluss dieser Einleitung eine Behauptung stellen: Die Architekturkrise der 1970er-Jahre besteht darin, dass das Ansehen – neudeutsch «Image» – der damals aktuellen Gebäudeproduktion bei den Laien einen historischen Tiefpunkt erreicht hatte. Nie vorher in der Geschichte des Bauens standen ähnlich viele Bürgerinnen und Bürger dem aktuellen Bauschaffen so misstrauisch und ablehnend gegenüber. Um es sehr plakativ auf den Punkt zu bringen: Um 1975 wusste jede beliebige Person bereits beim Betrachten von Bauprofilen, dass hier demnächst ein ganz hässlicher Betonklotz entstehen würde.

24 Walter Baumann, Ohne Halt bis Betonville. Vom Schweizer Bauernhaus zum mo-

dernen Wohnsilo, Schweizerisches Jugendschriftenwerk 1326, 1975, 48.


A ns t if t u ng z u m Unfrieden Das Buch von Alexander Mitscherlich, «Die Unwirtlichkeit unserer Städte. Anstiftung zum Unfrieden», dessen Untertitel als Überschrift dieses Kapitels dient,  25 steht am Anfang der hier thematisierten Architekturkrise. Nicht, dass die Krise durch das Buch ausgelöst worden wäre, aber der Autor scheint als einer der ersten die Zeichen der Zeit erkannt und ein bereits vorhandenes Unbehagen in Worte gefasst zu haben.  26 Mitscherlich hat aber nicht bloss als einer der ersten über das Thema geschrieben, er hat mit dem Buch auch den Gang des Diskurses vorbestimmt. Drei seiner Themen tauchen über Jahre immer wieder in den verschiedensten Diskussionen und Publikationen auf und werden damit zu prägenden Topoi: Erstens die Behauptung, die städtebauliche Misere habe tiefgreifende negative Auswirkungen auf die Psyche und das Sozialverhalten der Menschen, zweitens der kapitalismuskritische Unterton und schliesslich drittens der Aufruf an die Bürger, sie sollen sich zur Wehr setzen und die Misere nicht akzeptieren. Der erste Punkt, die negativen Auswirkungen der modernen Stadt auf ihre Bewohner, liest sich bei Mitscherlich wie folgt: «Es geht um einen im Wortsinn fatalen, einen schicksalshaften Zirkel: Menschen schaffen sich in den Städten einen Lebensraum, aber auch ein Ausdrucksfeld mit Tausenden von Facetten, doch rückläufig schafft diese Stadtgestalt am sozialen Charakter der Bewohner mit.»  27 Alexander Mitscherlich (1908–1982), Psychoanalytiker, Universitätsprofessor und Leiter des Sigmund-Freud-Instituts in Frankfurt am Main, betrachtete dieses Thema als sein Spezialgebiet. Seine zunehmende Sorge um das Wohlergehen seiner Mitmenschen liess ihn das Pamphlet überhaupt erst verfassen. Er ist überzeugt und spricht es immer wieder aus, dass die moderne Stadt den Menschen an individueller Entfaltung hindere, dass er ihn aus den alten städtischen Traditionen ausgliedere und insgesamt zu einem asozialen Wesen verkümmern lasse. 25 Alexander Mitscherlich, Die Unwirtlichgelöst zu haben. Wolf Jobst Siedler und keit unserer Städte. Anstiftung zum UnfrieElisabeth Niggemeyer, Die gemordete Stadt. den, Frankfurt a. M. 1965. (Bis heute gibt es Abgesang auf Putte und Strasse, Platz und immer wieder Neuauflagen.) Baum, Berlin 1964. 26 Das Buch «Die gemordete Stadt» er27 Alexander Mitscherlich, Die Unwirtlichschien sogar ein Jahr vor Mitscherlichs Pam- keit unserer Städte. Anstiftung zum Unfriephlet, scheint aber weit weniger Echo ausden, Frankfurt a. M. 1965, 9.

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1 Cover des Buches: Alexander Mitscherlich, Die Unwirtlichkeit unserer St채dte, Anstiftung zum Unfrieden, edition Suhrkamp 123, Frankfurt a. M. 1965. 2 Cover des Buches: Wolf Jobst Siedler, Elisabeth Niggemeyer, Die gemordete Stadt, Abgesang auf Putte und Strasse, Platz und Baum, Herbig Verlagsbuchhandlung, Berlin 1964.3 Cover des Buches: Jane Jacobs, Tod und Leben grosser amerikanischer St채dte, Bauwelt Fundamente 4, Bertelsmann Fachverlag, G체tersloh 1963.


Punkt zwei, der kapitalismuskritische Unterton, ist bei Mitscherlich zwar immer vorhanden, scheint aber vom Autor bewusst zurückgenommen worden zu sein. Im Satz, «um die Analyse etwas ergiebiger zu machen, muss man zuerst diese Schuldfrage ausklammern»,  28 wird diese selbstauferlegte Zurückhaltung deutlich. Der Leser gewinnt den Eindruck, als wolle er seinen Gegnern, die er in den Reihen der Planer, Bauverwalter, Wohnbaugenossenschafter und den Grossorganisationen des Wohnungsbaus vermutet, keine politische Angriffsfläche bieten und sich von ihnen in die Ecke des Kommunisten drängen lassen. Ganz verschweigen mag er aber seine politische Überzeugung trotzdem nicht. So lesen wir weiter unten: «Die Herzlosigkeit, die Unwirtlichkeit der neuen Bauweise hat jedoch eine ins Gewicht fallende Entschuldigung auf ihrer Seite: das Tabu der Besitzverhältnisse an Grund und Boden in den Städten, welches jede schöpferische, tiefgreifende Neugestaltung unmöglich macht. Es ist wohl von niemandem ernstlich bestritten, dass die Misere des deutschen Wiederaufbaus eng mit der Zufälligkeit der Besitzverteilung, den spekulativen Bodenpreisen und dem ausgebliebenen politischen Versuch zu räumlicher Neuordnung der Stadtareale zusammenhängt. Denn Privatbesitz, unbeschadet seiner unter Umständen für die Gemeinschaft tödlichen Auswirkungen, ist ein Tabu, ein Fetisch, an dem niemand zu rühren wagte. Keine der gesetzgebenden Körperschaften, keine der Parteien.»  29 «Zudem ist der Autor sich im klaren, dass ein Volksaufstand zu befürchten stünde, wenn eine starke Gruppe seine These von der Neuordnung der Besitzverhältnisse an Grund und Boden in unseren Städten sich zu eigen machte. Das wäre ihm ein Trost, denn dann käme vielleicht die seit Jahrhunderten fällige deutsche Revolution; der Anlass wäre ihrer würdig.»  30 Ungeschminkt gibt Mitscherlich in der Vorbemerkung seine Sympathie für einen Volksaufstand zum Ausdruck. Er nimmt die Hoffnung auf eine umfassende Veränderung aber gleich selber wieder zurück, denn unmittelbar auf die zitierten Sätze folgt diese Passage: «Deutschland, beruhige dich – sie wird nicht kommen, die Revolution. Es wird alles beim alten bleiben. Diese Seiten werden vergilben wie Manifeste und Pamphlete vor diesem.»  31 Würde er die 28 Ebenda, 16. 29 Ebenda, 19/20.

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30 Ebenda, 7. 31 Ebenda, 7.


Auswirkung seiner Schrift tatsächlich so pessimistisch sehen, hätte er wohl gar nie zu schreiben begonnen. Trotzdem fällt auf, dass, entgegen dem Untertitel, «Anstiftung zum Unfrieden», der gleichzeitig dem längsten Kapitel des Buches als Überschrift vorsteht, keine eigentlichen Aufrufe zu irgendwelchen Aktionen in dem Buch zu finden sind. Vielmehr scheint der humanistisch gebildete Autor – er studierte in seinem Erststudium Geschichte, Kunstgeschichte und Philosophie in München – in aufklärerischer Weise allein auf die Wirkung sachlicher, möglichst objektiver Argumente zu setzen. Nicht das emotionale Aufpeitschen ist sein zumindest vordergründiges Ziel, sondern die nüchterne Analyse und das wissenschaftlich korrekte Aufdecken von Zusammenhängen und Beziehungsmustern. Dass damit die emotionale Wirkung mitunter noch gesteigert werden kann, scheint er, wie der Untertitel beweist, sehr wohl in Rechnung zu haben. Zunächst initiierte Mitscherlich selbst in seinem Sigmund-Freud-Institut weitere Untersuchungen zum Thema. 1968 erschienen unter dem Titel «Architektur als Ideologie» drei Aufsätze von drei seiner Mitarbeiter. Die Autorin und die beiden Autoren schicken sich an, aus dem Blickwinkel der Soziologie die moderne Architektur und den modernen Städtebau tiefgreifender zu hinterfragen als es Mitscherlich getan hatte. Ihre Analyse kulminiert im Vorwurf, die moderne Architektur habe ihre eigentliche Aufgabe nur zu einem sehr geringen Teil überhaupt erkannt und schon gar nicht gelöst: «Wir wollen die Funktionalität der Architektur nicht bloss an ihrer dürftigsten Zielsetzung, nämlich bruchsichere Gehäuse zu schaffen, messen, sondern die Forderung nach Funktionalität auch auf die Erfüllung psychologischer Bedürfnisse ausgedehnt wissen».  32 In ihren Texten versuchen die Autoren, die Aufgaben der Architektur und des Städtebaus aus soziologischer und psychologischer Sicht zu fassen. Im oben erwähnten Sammelband von Uwe Schultz, «Umwelt aus Beton oder unsere unmenschlichen Städte»,  33 tritt Mitscherlich 1971 als Nachwortautor auf der Frontseite auf, woraus hervorgeht, dass er damals bereits als 32 Heide Berndt, Alfred Lorenzer, Klaus Horn, Architektur als Ideologie, Frankfurt a. M., 1968, 19. (Das Buch wurde mindestens fünfmal aufgelegt.)

33 Uwe Schultz (Hrsg.), Umwelt aus Beton oder unsere unmenschlichen Städte, Hamburg 1971. (Das Buch wurde mindestens fünfmal aufgelegt.)


allseits bekannte Leitfigur in Sachen Architektur- und Städtebaukritik gegolten hat und ein potentieller Leser aus seinem Namen Rückschlüsse auf den Buchinhalt ziehen konnte. Allerdings richtete sich auch diese Aufsatzsammlung primär an ein akademisch gebildetes Publikum. Das an der ETH in Zürich entstandene Buch « ‹Göhnerswil›. Wohnungsbau im Kapitalismus»  34 aus dem Jahr 1972 belegt, wie an einer Architekturhochschule der traditionelle Entwurfsunterricht zugunsten einer ökonomischpolitischen Untersuchung zurückgestellt worden ist. Der Gastdozenten Jörn Janssen hatte im Herbst 1970 ein Seminar zum Thema «Ökonomische Kriterien für Planungsentscheidungen» ausgeschrieben. Die Studierenden fanden aber bei der ersten Sitzung keinen vorbereiteten Lehrinhalt, keinen Semesterplan, nicht einmal eine Arbeitsstruktur vor, sondern mussten in wohl endlosen Diskussionen alle Beschlüsse selber erarbeiten. Das eigentliche Untersuchungsobjekt, die von der Ernst Göhner AG errichtete Siedlung «Sunnebüel» in Volketswil, setzte sich nach über einem Monat Diskussion per Münzenwurf gegen einen anderen Vorschlag durch. Die schulpolitisch motivierte Nichtverlängerung von Janssens Lehrauftrag durch den Schulpräsidenten im Sommer 1971 führte nicht nur zu heftigen Studentenreaktionen, sondern auch zu dem Entschluss der verbliebenen Seminarteilnehmer, die Untersuchungsergebnisse in einem Buch zu publizieren. Dieses Buch schickt sich an, vor dem Hintergrund einer grossen Faktensammlung die wirtschaftlichen und personellen Verfilzungen sowie die korrupten Machenschaften eines Grossunternehmers im Umgang mit demokratischen Verfahren aufzuzeigen. Dabei bedient es sich des zeittypischen Tonfalls einer politischen Aufklärungs- und Anklageschrift: «Wir hoffen, eine wichtige Stütze für die Aufrechterhaltung eines solchen Wohlstands- und damit auch Herrschaftsgefälles beseitigen zu helfen, indem wir uns bemüht haben, falschen Glauben – vermittelt durch Fehlinformation und systematische Unterschlagung von Information – wie auch Unwissenheit bei den betroffenen Mietern zu verringern.»  35 Die innerhalb einer Hochschul-Lehrveranstaltung entstandene Schrift hatte also den Anspruch, über die Hochschule hinaus Gehör zu finden. Vermutlich wurde sie zwar als Provokation aufgefasst und zur 34 Autorenkollektiv an der Architekturabteilung der ETH Zürich, «Göhnerswil». Woh-

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nungsbau im Kapitalismus, Zürich 1972. 35 Ebenda, 12


Kenntnis genommen, als Aufklärungsschrift für Architekturlaien – was sie der Intention nach sein wollte – scheint sie allerdings das Publikum kaum erreicht zu haben. vtIn unserem Zusammenhang interessiert aber nicht allein der Gang des akademischen Diskurses, sondern auch die Breitenwirkung der Thesen von Mitscherlich. Dafür war eine gezielte Popularisierung notwendig. Eine solche setzte zu Beginn der 1970er-Jahre ein. Die 1971 in München eröffnete Ausstellung «Profitopoli$ oder: Der Mensch braucht eine andere Stadt»  36 scheint ein sehr früher Versuch einer solchen Popularisierung gewesen zu sein. Im Gegensatz zu den zuvor erwähnten, akademisch ausgerichteten Texten ist die populäre Ausrichtung bereits beim Durchblättern des Katalogs augenscheinlich: Es dominieren schlagzeilenartige Überschriften über jeder Buchseite, grossformatige Abbildungen sowie plakative Zitate. Der beigegebene Fliesstext von Lehmbrook, «Städtebau, eine politische Aufgabe. Anmerkungen eines Architekten»,  37 steht am Schluss des Buches und ist im Gegensatz zum Bildteil auf graues Papier gedruckt, als sei er eine Dreingabe, die nur wenige interessieren dürfte. Die Zitate und Bilder sind auf eine höchstmögliche Prägnanz hin zugespitzt. Es beginnt mit «Maximaler Profit wurde zum Massstab aller Dinge»  38 und endet mit «Wer an den Dingen seiner Stadt keinen Anteil nimmt, ist nicht ein stiller Bürger, sondern ein schlechter».  39 Damit ist auch die inhaltliche Entwicklung abgesteckt. Das Buch beginnt mit aktuellen Aussagen, Fakten und eindrücklichen Abbildungen, die die Misere der modernen Stadt überdeutlich werden lassen und endet in einem Appell an die Bürger, sich zur Wehr zu setzen: «Und Sie? Was meinen Sie? Fühlen Sie sich wohl in Ihrer Stadt? Ober müsste man vieles ändern, damit Sie sich wohl fühlen? Man müsste ändern – aber wer ist ‹man›? Sie. Also tun Sie etwas.»

36 Joseph Lehmbroock, Wend Fischer, Profitopoli$ oder: Der Mensch braucht eine andere Stadt, München 1971. 37 Ebenda, 137–163. 38 Ebenda, 1, das Zitat stammt von John

Kenneth Galbraith, Nationalökonom, USA. 39 Ebenda, 63, das Zitat stammt von Perikles, dem antikgriechischen Staatsmann.


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1 Cover des Buches: Heide Berndt, Alfred Lorenzer, Klaus Horn, Architektur als Ideologie, edition Suhrkamp 243, Frankfurt a. M. 1968 2 Cover des Buches: Autorenkollektiv an der Architekturabteilung der ETH Zürich, „Göhnerswil“ Wohnungsbau im Kapitalismus, Verlagsgenossenschaft c/o Limmat Verlag, Zürich 1972. 3 Cover des Ausstellungskatalogs: Josef Lehmbrock, Wend Fischer (Hrsg.), München Profitopoli$ oder: Der Mensch braucht eine andere Stadt, Die Neue Sammlung, Staatliches Museum für angewandte Kunst, München, München 1971.

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4 Plakat zur Ausstellung: Profitopoli$, Die Neue Sammlung, Staatliches Museum für angewandte Kunst, München, 1971. 5 Cover des Buches: Stephen Willats, Ich lebe in einem Betonklotz, Märkisches Viertel Berlin, Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 1980. 6 Cover des Buches: Jörg Aellig, Peter Müller, Hans Düby, Hugo Wandeler, Problem Hochhaus, Verlag Arthur Niggli, Niederteufen 1974.


Ähnliches beabsichtigte auch Rolf Keller mit seinem 1973 erstmals erschienen Buch «Bauen als Umweltzerstörung».  40 Er fokussiert weniger auf das Profitdenken skrupelloser Unternehmer als vielmehr auf die bereits im Titel erwähnte Analogie zu den damals hochaktuell werdenden Themen der Umweltverschmutzung und Umweltzerstörung. Das Buch beginnt denn auch mit einer Gleichsetzung von ökologischer und baulicher Umweltzerstörung: «Auch Bauen ist – alles in allem und je länger, je mehr – zu einer eigentlichen Umweltzerstörung geworden. Alle reden zwar von Umweltzerstörung, und meinen jedoch, es betreffe nur die Teile Wasser, Luft und Müllbeseitigung; keiner redet von der Zerstörung durch das Bauen.»  41 Auch Keller arbeitet mit aussagekräftigen Bildern, mit Cartoons und Kinderzeichnungen. Dazwischen hat er Textseiten gestreut, damit seine Leser das ganze Buch durchblättern müssen. Tatsächlich ist es ein «Muss», denn die Fotografien sind zum Teil von erschreckender Hässlichkeit. Im Gegensatz zu «Profitopoli$» versucht Keller nicht, einen Schuldigen oder Schuldige zu benennen, was seine Anklage fast noch beklemmender macht. Der Schluss des Buches mündet dann allerdings auch in einen Aufruf zur Gegenwehr: «Die Suche nach Schuldigen möge unterbleiben, und die Verteidigung eines ‹Rechts auf zerstörende Hässlichkeit› sei dem Zyniker überlassen. Vorerst aber ist die Zeit zum Widerstand gegen all das, was in der von uns gebauten Umwelt den Menschen herabwürdigt.»  42 Als drittes Beispiel einer Arbeit, die die Diskussion der Architekturmisere zu den Architekturlaien zu tragen suchte, soll die Schrift «Architektur – Spielraum für Leben. Ein Schnellkurs für Stadtbewohner» von Ulrich Conrads erwähnt werden.  43 Im Vorspann der zwei Jahre später unter anderem Titel erschienen Taschenbuchausgabe steht folgendes über das vorgetragene Thema: «Die gebaute Umwelt bietet dem Leben kaum noch Spielraum – die Stadt macht krank. Zu viele Interessen behindern einander: Wohnwelt gegen Arbeitswelt, Industrie gegen Natur, Eigenheim gegen Wohnmaschine, Arbeit gegen Kapital, Fussgänger gegen Auto, Kinder gegen Erwachsene, Wirtschaftlichkeit gegen Wirtlichkeit. Das Interesse der Kapitalverwertung herrscht vor. Unterderhand entartet die 40 Rolf Keller, Bauen als Umweltzerstörung. Alarmbilder einer Un-Architektur der Gegenwart, Zürich 1973. (Bis 1977 erschienen fünf Auflagen sowie eine Lizenzausgabe durch Ex Libris 1975.)

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41 Ebenda, 4. 42 Ebenda, 188. 43 Ulrich Conrads, Architektur – Spielraum für Leben. Ein Schnellkurs für Stadtbewohner, München 1972.


Rationalisierung des Bauens zu einer Normierung des Wohnens. Statt das Wohnen aus den alten technischen Zwängen zu befreien, engt die Industriealisierung des Bauens den längst errungenen Standard wieder ein. Jenseits von Nutzung und Unterbringung müssen Werte wiederentdeckt werden, die weder messbar noch ökonomisch auswertbar sind: Stadtarchitektur als sinnliches Erlebnis und Gehäuse für Begegnungen. Das setzt die Mitsprache informierter Stadtbewohner bei Bauplanungen voraus.»  44 Auch Conrads schlägt zunächst den Weg der Analyse und der Darstellung des gegenwärtigen Zustands der Städte ein. Dieser mündet dann allerdings in ganz konkrete Vorschläge für fünf Sofortmassnahmen: «1. Beschluss: Wir bauen endlich für Kinder und alte Menschen. […] 2. Beschluss: Wir führen die Enteignung auf Zeit ein. […] 3. Beschluss: Wir richten Bannmeilen für Privatautos ein. […] 4. Beschluss: Wir setzen neue Wohnbau-Normen. […] 5. Beschluss: Wir errichten ‹offene› öffentliche Bauten.»  45 Rolf Keller, Ulrich Conrads und auch die Herausgeber von «Profitopoli$» waren Architekten oder Architekturkritiker und versuchten trotz heftiger Vorwürfe und Angriffe an die Baubranche mit ihren Analysen der Diskussion eine gewisse Breite und argumentative Tiefe zu geben. Mit zunehmender Verschärfung der Krise scheint der Volkszorn jedoch einfachere und konkretere Feindbilder verlangt zu haben. Es kristallisierten sich zwei Zielscheiben der Aggression heraus: Der Beton und das Hochhaus. Das von den Modernisten euphorisch gefeierte Wundermaterial Beton, das in den 1920er-Jahren von avantgardistischen Büchern wie «Beton als Gestalter» oder «Bauen in Frankreich, bauen in Eisen, bauen in Eisenbeton»  46 stolz im Titel hervorgehoben worden war, fiel zum allseits verachteten «Prügelknaben» ab. Die Vorurteile gegen Beton waren in den 1970er-Jahren sehr 44 Ulrich Conrads, Umwelt Stadt. Argumente und Lehrbeispiele für eine humane Architektur, Hamburg 1974, Vorspann. Der Autor dieser Sätze – sie stammen nicht von Conrads selbst – wird nicht angegeben. Es ist anzunehmen, dass sie aus einer Buchbesprechung entnommen worden sind. 45 Ulrich Conrads, Architektur – Spielraum für Leben. Ein Schnellkurs für Stadtbewohner, München 1972, Kapitel «Mündige Stadtbür-

ger begründen 5 Sofortmassnahmen», 170ff. 46 Ludwig Hilberseimer und Julius Vischer, Beton als Gestalter, Stuttgart 1928. Sigfried Giedion, Bauen in Frankreich, bauen in Eisen, bauen in Eisenbeton, Leipzig 1928. 47 Der «Betonklotz» schaffte es auf einen Buchtitel: Stephen Willats, Ich lebe in einem Betonklotz. Märkisches Viertel Berlin, Köln 1980.


populär und entsprechend weit verbreitet, so hiessen moderne Neubauten «Betonklötze»,  47 ganze Siedlungen bezeichnete man als «Betonwüsten». Der Hinweis, ein Gebäude oder auch nur ein Gebäudeteil sei aus Beton, bedeutete in weiten Kreisen gleich viel wie «hässlich», «gefühllos» oder «kalt». Dass sogar ernsthafte Publikationen mit Aufsätzen renommierter Wissenschaftler sich nicht scheuten, das stereotype Negativurteil über den Beton in den übergreifenden Titel aufzunehmen, beweist das bereits mehrfach erwähnte Taschenbuch «Umwelt aus Beton oder Unsere unmenschlichen Städte».  48 Ähnlich wie dem Beton erging es dem Hochhaus: Auch diese noch neue Gebäudegattung war von den «Pionieren»  49 der Moderne in den 1920er-Jahren stürmisch begrüsst worden. Sie erhofften sich davon das Ende von licht- und luftarmen Massenwohnungen und etwas später auch die Lösung des Zersiedelungsproblems. Wie der Beton so war also auch das Hochhaus bereits ein Symbol der modernen Architektur gewesen. Diesen Symbolcharakter behielten beide auch dann bei, als in den 1970er-Jahren die moderne Architektur mit Kritik überschüttet wurde. Es veränderte sich einzig das Vorzeichen, indem sie vom Symbol für den Fortschritt zum Symbol einer menschenverachtenden und verfehlten Stadtentwicklung wurden. Der Buchtitel «Problem Hochhaus» spielt mit dieser Wertungsverschiebung, indem er zum einen auf die technisch-wirtschaftlichen Probleme beim Bau eines Hochhauses, dann aber auch auf die Probleme vieler Menschen mit dem Hochhaus anspielt: «Das ‹Problem Hochhaus› ist auch heute noch für alle davon Betroffenen und Beteiligten nicht umfassend gelöst, obwohl seit dem Ende der fünfziger Jahre diese Bauform mehr und mehr das Bild unserer Landschaft zu prägen beginnt. Dass Hochhäuser Probleme bringen, wird jedoch einem immer breiteren Bevölkerungskreis bewusst, und in Publikationen wie auch an Tagungen werden von allen Seiten Zweifel am Hochhausbau angebracht.»  50 48 Uwe Schultz (Hrsg.), Umwelt aus Beton oder unsere unmenschlichen Städte, Hamburg 1971. (Das Buch erlebte mindestens fünf Auflagen.) 49 Es gehört zur «Heldengeschichte» der modernen Architektur, die frühen Vertreter dieser Architektur als «Pioniere» zu bezeich-

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nen: Alfred Roth, Begegnung mit Pionieren, Basel 1973. 50 Jörg Aellig, Peter Müller, Hans Düby, Hugo Wandeler, Problem Hochhaus, Niederteufen 1974, 6.


Es erstaunt denn auch nicht, dass in dem Buch kaum sinnvolle Gründe für den Bau eines Wohnhochhauses angegeben werden können: «Der Verdacht, dass auch Wohnhochhäuser zu einem grossen Teil aus Renommiersucht erstellt werden, ist nicht von der Hand zu weisen. Es gehört fast zum Prestige eines Architekten, mindestens ein Hochhaus gebaut zu haben.»  51 Der Volkszorn äusserte sich aber nicht allein in der Diskreditierung von Beton und Hochhaus, sondern vor allem in Volksabstimmungen über Planungsgeschäfte. Jeder Kanton und jede Stadt der Schweiz kann Planungsvorlagen aus den frühen 1970er-Jahren vorweisen, die trotz einstimmiger Ja-Parolen der Fachleute und Politiker an der Urne hochprozentig gescheitert sind. In Bern waren die beiden wichtigsten Ablehnungen die so genannte H-Lösung im September 1970  52 und der Gestaltungsplan Thoracker im März 1972. Während die erste Vorlage primär eine Verkehrsplanung beinhaltete, bei der eine vierspurige Strasse über den Waisenhaus- und den Bärenplatz geführt werden sollte, betraf das zweite den Neubau eines sehr gross dimensionierten Einkaufszentrums am Stadtrand auf dem Murifeld. Der Berner Heimatschutz schrieb damals – nicht ohne Stolz – in seinem Jahresbericht, im Frühling 1972 hätten die Stimmbürger der Stadt Bern den Neubau eines Einkaufszentrums im Thoracker (Oberes Murifeld) verworfen, nachdem der Heimatschutz auf Wunsch seiner Mitglieder aktiv an der Bekämpfung des überdimensionierten Projekts mitgewirkt habe.  53 Selbst die bis heute vielen Bernern in Erinnerung gebliebene Ablehnung des Klösterli-Projekts von Heinz Tesar im Jahr 1984  54 dürfte noch mit einer allgemeinen Gegenwartsarchitekturverdrossenheit der Stimmbürger zu erklären sein.

51 Ebenda, 7. gruppe Bern, 34. 52 Vgl. hierzu: Philippe von Escher, «Die 54 Vgl. hierzu: Dieter Schnell, Rettet die AltDurchbruchsschlacht ist gewonnen!» Verstadt, Bern 2005, 136ff. kehrsgestaltung in der Stadt Bern um 1970, Lizentiatsarbeit Universität Bern 2002. 53 Berner Heimatschutz, Jahresbericht 1972, Berichte der Regionalgruppen, Regional-


D as Umdenken Der «Duden online» erklärt das in der Überschrift verwendete Wort «Umdenken» mit «sich eine neue Denkweise, eine neue Sicht der Dinge zu eigen machen». In den 1970er-Jahren war «Umdenken» ein grassierendes Modewort. 1975 erschien es sogar im Titel des sich auch mit Architektur befassenden Buches «umdenken umschwenken. Alternativen, Wegweisen aus den Zwängen der grosstechnologischen Zivilisation.  55 «Die Architektur der Gegenwart gefällt kaum jemandem. Ein uniformer, internationaler Baustil hat die Städte vereinheitlicht und ihren besonderen Charakter zerstört. Viele Menschen, die in isoliert angelegten ‹Schlafstädten› leben, fühlen sich krank. Die moderne Architektur ist zu einem grossen sozialpolitischen Problem geworden.»  56 Dieser allererste Satz aus dem Vorspann eines populär aufgemachten Taschenbuchs, das sich anschickt, den Leser – es richtet sich wohl primär an Laien – über «Moderne Architektur» und dessen «Fundamente, Funktionen, Formen» zu unterrichten, lässt an Deutlichkeit wenig zu wünschen übrig. Während der Satz aber darauf verzichtet, Schuldige für das «grosse sozialpolitische Problem» ausfindig zu machen, sind andere Publikationen in dieser Hinsicht weniger zurückhaltend. Die Architekten selber sehen als Hauptschuldige der Misere den profitgierigen «Spekulanten». Diese Graue Eminenz konnte allerdings in unterschiedlichen Funktionen auftreten: Sie war Investor, Bauunternehmer oder aber auch Architekt. Die Bücher «Göhnerswil» oder «Profitopoli$», die beide das Feindbild des Spekulanten ausmalen, wurden bereits erwähnt. Interessant ist jedoch die Tatsache, dass immer wieder auch die Architekten im Verdacht standen, primär auf den eigenen Vorteil und nicht auf die Interessen des Bauherrn oder das Wohl der zukünftigen Nutzer bedacht zu sein. 55 Arbeitsgemeinschaft Umwelt AGU (Hrsg.), umdenken umschwenken. Alternativen, Wegweiser aus den Zwängen der grosstechnologischen Zivilisation, Zürich 1975. 56 José A. Dols, Moderne Architektur. Fundamente, Funktionen, Formen, Hamburg 1978, das Zitat steht nicht im paginierten Teil

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des Buches, sondern auf der allerersten Seite als Aneignung oder Vorspann. (Die Originalausgabe erschien 1973 unter dem Titel «Función de la Arquitectura Moderna» in Barcelona.)


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1 Seite 191 aus dem Buch: Rolf Keller, Bauen als Umweltzerstörung, Alarmbilder einer Un-Architektur der Gegenwart, Artemis Verlag, Zürich 1973. 2 Cover des Buches: Arbeitsgemeinschaft Umwelt AGU (Hrsg.), Umdenken - umschwenken Alternativen, Wegweiser aus den Zwängen der grosstechnologischen Zivilisation, Arbeitsgemeinschaft Umwelt AGU, Zürich 1975. 3 Cover des Buches: José A. Dols, Moderne Architektur, Fundamente, Funktionen, Formen, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbeck bei Hamburg 1978. 23


Die allgemeine Wertschätzung des Architektenberufs sank in den 1970erJahren auf einen historischen Tiefpunkt. In der Not suchten die Angeschossenen nach Auswegen und Ausreden. Aufschlussreich hierzu ist die Reaktion des BSA (Bund Schweizer Architekten) auf das Buch «Bauen als Umweltzerstörung» ihres Mitgliedes Rolf Keller (im BSA seit 1969). In den Neuauflagen ist am Schluss eine Stellungnahme dieses Architektenbundes vom August 1973 abgedruckt.  57 Daraus geht hervor, dass zwar nicht sie selber am Pranger stehen würden, sie aber gegen die zunehmende Hässlichkeit des Gebauten nicht anzukommen vermöchten: «Rolf Kellers Fotografien zeigen das unverzerrte Bild unserer Umwelt, in welchem – wie Rolf Keller es treffend ausdrückt – die formschönen Bauten der BSA-Architekten nicht viel mehr als ‹Alibi-Rosinen› in einer Betonkruste, die unsere Erde überzieht, darstellen.» Selbstverständlich hat der BSA das Malaise längst auch selber erkannt und an mehreren Fronten dagegen anzukämpfen begonnen. Das Papier kommt zu zwei Schlussfolgerungen: Erstens sei es nicht allein die Aufgabe der Architekten, die Misere zu überwinden, denn «eine Gesellschaft bekomme die Architektur, die sie verdiene», und zweitens wurde der Wunsch geäussert, das Buch möge vielen die Augen öffnen. Diese Stellungnahme zeigt Reaktionsmuster auf, die damals unter Architekten üblich waren: Schuld sind die anderen. Die Überzeugung, man selber liefere gute Arbeit, war ungebrochen. Dennoch kann heute durchaus bezweifelt werden, dass Architekturlaien die «formschönen Rosinen» unter allen anderen Neubauten als solche erkannt hätten. Dabei wird meist nur indirekt zugegeben, dass es unter den Kollegen auch «schlechte» Architekten gibt. Der «gute» Architekt ist allein machtlos und sucht sich deshalb Gleichgesinnte im Kampf gegen das umweltzerstörende Bauen. Während in den vorangehenden Jahrzehnten eine wohl auch von den Architekten selbst akzeptierte Unterscheidung in progressiv gesinnte Modernisten und in eher den traditionellen Bauformen Verpflichtete gängig war, scheint in den 1970erJahren mehr und mehr eine Trennung in die verantwortungsbewussten «Guten», das heisst «Kulturschaffenden», und in die mit den «Spekulanten» kooperierenden «Baulöwen» entstanden zu sein. Wohl kein Architekt hätte 57 Rolf Keller, Bauen als Umweltzerstörung. Alarmbilder einer Un-Architektur der Gegen-

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wart, Zürich 1973. Ausgabe des Buchclubs Ex Libris Zürich, 1975, 191.


sich selber in die zweite Gruppe eingeteilt. Und um der ersten Gruppe zugerechnet zu werden, genügte es nicht mehr, in einer allgemeinen Art die Architektur der Moderne zu vertreten. Es brauchte nun eine eigene Position und eine Vision, die in eine bestimmte Richtung zielte. Während es also in den 1960er-Jahren noch weitgehend üblich war, als anerkannter Architekt die gängigen, bereits zur Konvention gewordenen Positionen der Moderne mehr oder weniger gekonnt ein- und umzusetzen, musste das Architekturwerk in den 1970er-Jahren eine eigene Position vertreten und zum Ausdruck bringen. Viele Architekten verstanden sich nun als Oppositionelle, als Kämpfer für eine gute Sache und gleichzeitig als Gegner eines «billigen» Mainstreams.  58 Dabei galt es, das Eigenständige so weit zu kultivieren, dass man als Individuum erkannt, nicht aber als Aussenseiter abgeschoben werden konnte. Es überrascht also nicht, dass in den 1970er-Jahren zahlreiche neue Architekturpositionen ausgedacht, vorgeschlagen und zum Teil auch experimentell umgesetzt worden sind. Es ist versucht worden, einen Gutteil dieser neu aufgekommenen Architekturpositionen unter dem Begriff der Postmoderne zusammenzufassen. In der Schweiz hat sich aber der Begriff insofern nicht durchgesetzt, als er recht schnell auf wenige Extrempositionen zugespitzt und zunehmend auch mit einer Negativbewertung belegt worden ist. Obwohl selbstverständlich auch hier Bücher wie «The Language of Post-Modern Architecture» von Charles Jencks,  59 «Learning from Las Vegas» von Robert Venturi, Denise Scott Brown und Steven Izenour  60 sowie andere Werke gelesen und intensiv diskutiert worden sind, ist eine direkte Bezugnahme in der Architekturpraxis kaum auszumachen. Ähnlich erging es den zwar heftige Diskussionen auslösenden europäischen Leitbauten wie dem Centre Pompidou in Paris (von Renzo Piano und Richard Rogers, Wettbewerb 1971, Eröffnung 1977) oder der Staatsgalerie in Stuttgart (James Stirling, Wettbewerb 1977, Eröffnung 1984): Auch sie fanden hierzulande keine eigentliche Nachfolge. 58 Bezeichnend hierfür ist der Titel der zwischen 1973 und 1984 in den USA erschienen Avantgarde-Fachzeitschrift «OPPOSITIONS», deren Titelschreibweise sowohl auf Opposition als auch auf Position verweist. 59 Charles Jencks, The Language of Post-

Modern Architecture, London 1977. 60 Robert Venturi, Denise Scott Brown, Steven Izenour, Learning from Las Vegas, Cambridge Massachusetts, 1978.


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1 Cover des Buches: Robert Venturi, Denise Scott Brown, Steven Izenour, Lernen von Las Vegas, Zur Ikonographie und Architektursymbolik der Geschäftsstadt, Bauwelt Fundamente 53, Vieweg Verlag, Braunschweig, Wiesbaden, 1979. 2 Cover des Buches: Lucius Bruckhardt, Walter Förderer, Bauen ein Prozess, Verlag Arthur Niggli, Niederteufen, 1968. 3 Cover des Buches: Philippe Boudon, Die Siedlung Pessac - 40 Jahre Wohnen à Le Corbusier, Sozio-architektonische Studie, Bauwelt Fundamente 28, Bertelsmann Fachverlag, Gütersloh 1971. 4 Cover des Buches: Rolf Spille, Mieter planen mit, solidarisches Wohnen statt genormter Isolation, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbeck bei Hamburg 1975.

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5 Cover des Buches: INSA – Inventar der neueren Schweizer Architektur 1850–1920, Band 1: Aarau, Altdorf, Appenzell, Baden. Mit einer Einführung Stadt und Städtebau in der Schweiz 1850–1920. Herausgegeben von der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte, Bern 1984. 6 Cover des Buches: Albert Knoepfli, Walter Drack, Paul Hofer, Hans R. Sennhauser, Ortsbild - Inventarisation. Aber wie?, Manesse Verlag, Zürich 1976. 7 Cover des Kunstführers: Ursula Reinhardt, St. AlbanTal in Basel, Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte gsk, Schweizerische Kunstführer 173/174, Basel 1975. 8 Cover des Buches: Albert Knoepfli, Altstadt und Denkmalpflege, Ein Mahn- und Notizbuch, Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1975. 9 Cover des Buches: Werner Müller, Zürcher Inventar, Artemis Verlag, Zürich 1975.


In der Schweiz sind grossmehrheitlich Positionen vertreten worden, die nicht wie die «Postmodernisten» den radikalen Bruch mit der vorangehenden Architektur suchten. Trotzdem können sie, so die These dieses Textes, als Reaktionen auf die Krise und also als Vermeidungs- und Auswegstrategien verstanden werden. Wenn beispielsweise immer wieder betont wird, Aldo Rossi habe während seiner Lehrtätigkeit an der ETH in Zürich Mitte der 1970er-Jahre  61 den Architekturdiskurs von den ausufernden Soziologie-, Politik-, und Gesellschaftsdiskussionen in den Jahren nach 1968 auf die Architektur selbst zurückgeführt, so heisst das in der hier vorgeschlagenen Lesart: Er hat den zunehmend zu Ungunsten der Architekten geführten Diskurs dem an Mitsprache interessierten Architekturlaien entzogen und wieder zu einem mehr oder weniger hermetischen Fachdiskurs gemacht.  62 Trotzdem können die dabei von Rossi und anderen aufgegriffenen Themen zwanglos als Reaktionen auf die wichtigsten Kritikpunkte an der Architektur der Moderne gelesen werden: Das von Rossi von seinen Studierenden geforderte, intensive Eingehen auf den konkreten Ort und das Erkennen und Übernehmen regionaler Bautraditionen werden vor diesem Hintergrund zum Versuch, den häufig erhobenen Vorwürfen der Ausdruck- und Gesichtslosigkeit sowie der Beliebigkeit moderner Architektur zu entgehen. In der Beschäftigung mit Typen wird das Bemühen erkennbar, dem eigenen Werk Selbstverständlichkeit und Charakter zu geben. Als wichtiger Kritikpunkt an der Architektur der Moderne wurde immer wieder vorgebracht, die Benutzer seien den Werken der Architekten und Planer wehrlos ausgeliefert. Weder seien Möglichkeiten der Mitsprache und Mitbestimmung im Planungsprozess vorgesehen, noch würden sich die Architekten ernsthaft für die Bedürfnisse der zukünftigen Nutzer interessieren. Bereits 1968 machten Lucius Burckhardt und Walter Förderer in ihrem Büchlein «Bauen ein Prozess» auf diese Anliegen aufmerksam.  63 Auf den ersten Blick scheinen die in den 1970er-Jahren getätigten Versuche um 61 Der Lehrtätigkeit Aldo Rossis in der Schweiz ist kürzlich eine Publikation mit einer Sammlung von Aufsätzen gewidmet worden: Ákos Moravánszky, Judith Hopfengärtner (Hrsg.), Aldo Rossi und die Schweiz. Architektonische Wechselwirkungen, Zürich 2011

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62 Vgl. hierzu: Silvan Blumenthal, Das Lehrcanapé. Lucius Burckhardt und das Architektenbild an der ETH-Zürich 1970–1973, Standpunkte Dokumente, Basel 2010, 22.. 63 Lucius Burckhardt und Walter Förderer, Bauen ein Prozess, Teufen 1968, 2. Auflage 1972.


eine Beteiligung der späteren Nutzer am Planungsprozess nur von sehr beschränktem Ausmass und nur von sehr kurzer Lebensdauer gewesen zu sein. Ein Projekt wie beispielsweise die Siedlung Bleiche in Worb, wo die Architekten nur den Rohbau planten und ausführten, damit die zukünftigen Bewohner selber den Feinausbau in die Hand nehmen konnten, ist in diesem Umfang nicht wiederholt worden. Auf den zweiten Blick stellt man aber fest, dass Planungen heute, rund dreissig Jahre später also, in viel höherem Mass die Mitwirkung von Laien ermöglichen als noch vor den 1970er-Jahren, dass also die Mitsprachemöglichkeiten massiv erweitert worden sind. Der Grund dafür liegt vermutlich weniger in den positiven Erfahrungen aus den Pilotprojekten als vielmehr in den negativen an der Urne. Die Befürchtung der Planungsbehörden und Politiker, ohne breit abgestützte Mitwirkungsverfahren an Urnengängen negative Überraschungen zu erleben, lässt sie die in der Zwischenzeit geschaffenen Mitwirkungsverfahren sehr gewissenhaft durchspielen. Ein weiteres wichtiges Themenfeld, dessen Bearbeitung in den 1970er-Jahren deutlich erweitert und über den engen Kreis von Spezialisten ausgeweitet worden ist, betrifft den Gebäude-Altbestand. Zunächst sind hier zwei grosse nationale Inventarwerke zu nennen, die ihren Beginn nicht zufällig in der Mitte der 1970er-Jahre haben: Das INSA (Inventar der neueren Schweizer Architektur) und das ISOS (Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz). Während sich das INSA der durch die Moderne diffamierten Architektur des 19. Jahrhunderts annahm und – von jungen Kunsthistorikern getragen, die auch ihre Dissertationen dem Thema widmeten – eine bisher nur verächtlich betrachtete Architektur neu entdeckte, wandte sich das ISOS den bemerkenswerten Siedlungen zu. Der adäquate Schutz historischer Siedlungen war auch das Hauptthema des «Europäischen Jahres für Denkmalpflege und Heimatschutz», das für 1975 ausgerufen und mit zahllosen «réalisations exempaires» auch umgesetzt worden war. Gerade die intensive Bautätigkeit während der Bauboomjahre der Nachkriegszeit hatte gezeigt, dass die Denkmalpflege mit dem Schutz einzelner Objekte die historischen Siedlungsstrukturen nicht zu erhalten vermochte. Die Frage, wie historische Strukturen zu erhalten seien, bewegte nicht nur die Denkmalpfleger, sondern zunehmend auch die Architekten. Pilotprojekte wie die


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1 Cover des Buches: Othmar Birkner, Bauen und Wohnen in der Schweiz 1850-1920, Artemis Verlag Zürich 1975. 2 Cover des Ausstellungskatalogs: Die Neue Sammlung, Staatliches Museum für angewandte Kunst (Hrsg.), München Neues Bauen in alter Umgebung, Die Neue Sammlung, Staatliches Museum für angewandte Kunst, München 1978. 3 Cover des Ausstellungskatalogs: The presence of the past, first international exhibition of architecture, the Corderia of the Arsenale, la Biennale di Venezia 1980, architectural section. – Venezia, La Biennale di Venezia, c1980. 4 Cover des Buches: Christian NorbergSchulz, Genius Loci, Landschaft - Lebensraum – Baukunst, Klett-Cotta-Verlag, Stuttgart 1982. (ital. 1979)


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5 Cover des Buches: Kent C. Bloomer, Charles W. Moore, Architektur für den „Einprägsamen Ort“, Überlegungen zu Körper, Erinnerung und Bauen, Deutsche Verlags-Anstalt DVA, Stuttgart 1980. (engl. 1977) 6 Cover des Ausstellungskatalogs: Martin Steinmann, Thomas Boga (Hrsg.), Tendenzen. Neuere Architektur im Tessin, gta ETHZ, Zürich 1975. 7 Cover des Buches: G.R. Blomeyer, B. Tietze, In Opposition zur Moderne, Aktuelle Positionen in der Architektur, Bauwelt Fundamente 52, Vieweg Verlag, Braunschweig, Wiesbaden, 1980.


Restaurierung des gesamten Sankt-Alban-Tals in Basel, wo nicht nur die Restaurierung und Rekonstruktion historischer Bauten, sondern auch der Neubau in historischer Umgebung gefördert und intensiv diskutiert worden ist, fanden eine breite Beachtung.  64 Erstmals waren in den Schweizer Architekturfachzeitschriften nicht mehr nur der Neubau erwähnenswert, sondern auch die anspruchsvolle Umnutzung und das Bauen im Bestand. Zusammenfassend lässt sich festhalten: Obwohl der häufig für die Architekturpositionen der späten 1970er-Jahre gebrauchte Begriff Postmoderne einen radikalen Bruch mit der Architektur der Moderne impliziert, kann ein solcher in der Entwicklung der Schweizer Baukunst nicht festgestellt werden. Deutliche Akzentverschiebungen gegenüber den Architekturvorstellungen der Bauboomjahre sind aber sehr wohl zu beobachten: Zunächst ist eine zuvor nicht in diesem Ausmass vorhandene Unterscheidung der Architekten in «Kulturschaffende» und in «Baulöwen» zu erkennen. «Kulturschaffende» zeichnen sich durch eine eigene Position aus, die sie sich auf architekturtheoretischem Weg angeeignet haben. Die Qualität von Architekturwerken wird zunehmend in individuellen Einstellungen, Ansichten und Überzeugungen ihrer Schöpfer gesucht. Folge daraus ist eine mehr und mehr zum Individuellen neigende Architektur. Treibende Faktoren dieser Individualisierung sind eine verstärkte Sensibilität für Fragen des Ortes, der Einbettung in die unmittelbare Umgebung sowie der Materialien und Materialoberflächen. Das bröckelnde Vertrauen in die alleinige Vorherrschaft der Moderne lässt das Interesse am Gebäudebestand zumal demjenigen aus dem ehemals verachteten 19. Jahrhundert stark ansteigen. «Bauen im Bestand», «Umnutzen» und der sogenannte «Dialog zwischen Alt und Neu» werden als interessante Experimentierfelder entdeckt und in den Fachzeitschriften entsprechend gewürdigt. Die Denkmälerpflege erfährt nicht nur, aber auch durch das europäische Jahr der Denkmalpflege 1975 eine deutliche Aufwertung. 64 Alfred Müller und Rudolf Suter, SanieBaur Sarasin und Anne Nagel, St. Alban-Tal rung St. Alban-Tal 1975–1987. Schlussbericht, in Basel, Schweizerische Kunstführer GSK Basel 1988. Ursula Reinhardt, Das St. Al851/852, Bern 2009. ban-Tal in Basel, Schweizerische Kunstführer GSK 175, Basel 1975. Esther Baur Sarasin, St. Alban-Tal in Basel, Schweizerische Kunstführer GSK 529/530, Bern 1992. Esther

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So gesehen ist die Architekturentwicklung der Schweiz bis weit in die 1990er-Jahre durch die Architekturkrise der 1970er geprägt. Die meisten in diesen Jahrzehnten vertretenen Positionen und Haltungen lassen sich zwanglos als Abwehr- und Auswegstrategien aus dieser Krise lesen und verstehen. Als Beispiel hierfür sei die Schweizer Hochhausdiskussion der 2000er-Jahre erwähnt: Die Euphorie zahlreicher Fachleute für den Messeturm oder andere Hochhausprojekte ist nur verständlich, wenn man weiss, dass das Hochhaus nach seiner Glorifizierung im Zusammenhang mit dem Glauben an das unbegrenzte Wachstum in den 1950er-Jahren seit den 1970er-Jahren als Symbol einer verfehlten Architektur diffamiert worden ist und deshalb über Jahrzehnte an die Realisierung eines Hochhauses in der Schweiz nicht ernsthaft zu denken gewesen ist


Katalog

Der hier vorliegende Katalog zeigt Bücher, Plakate, Zeitschriften und andere Medien, die anlässlich der Jahresausstellung der Abteilung bachelor Architektur der Hochschule für Architektur, Holz und Bau im Frühling 2013 in einer kleinen Sonderausstellung gezeigt werden. Er stellt eine Sammlung von «Beweisstücken» dar. Sie sollen die These belegen, dass die Architekturkrise der 1970er-Jahre bis in die Massenmedien eingedrungen ist. «Heute, im Zeitalter der lieblosen, funktionalen Beton- und Glasarchitektur», lesen wir 1975 in der Zeitschrift «Schweizer Familie».  65 Nicht allein die Selbstverständlichkeit dieses vernichtenden Urteils erstaunt uns aus der Distanz von nahezu vierzig Jahren, sondern fast noch mehr die Tatsache, dass die Aussage in einer Zeitschrift erscheint, die sich sonst kaum je über Architektur äusserte. Die hier zusammengetragene Sammlung ist weder vollständig noch wissenschaftlich abgesichert. Vielmehr ist sie ein sehr bunter Strauss zum Teil zufällig entdeckter Texte, Artikel, Bilder, Fotos oder Plakate, die das Vorhandensein und den Charakter der in diesem Büchlein postulierten Krise in mannigfaltiger Weise bestätigen. Alle stammen aus der Zeit der 1970erJahre und aus der Schweiz. Im Gegensatz zum vorangehenden Text, worin versucht worden ist, die Krise als internationales Phänomen zu fassen und mit Buchtiteln aus dem erweiterten Architektur-Fachdiskurs zu illustrieren, geht es hier um den «Massendiskurs»: Um Tageszeitungen, um Artikel in illustrierten Wochenzeitschriften, um Cartoons, um Schulunterricht, um politisch agierende Bürgerbewegungen. Abgedruckt sind zum einen die Illustrationen und Bildteile, zum anderen auch die Originaltexte dazu. Oft wird der gesamte Text wiedergegeben, gelegentlich musste aufgrund der zu umfangreichen Textlänge ein aussagekräftiger Ausschnitt ausgewählt werden. Die Texte und Abbildungen werden nicht weiter kommentiert, sie sollen für sich stehen und ihre Wirkung auf den Leser entfalten. Aus Gründen der Darstellbarkeit in einem Büchlein fehlen die vier Fernsehreportagen, die in der Ausstellung zu sehen sind. Es sind dies: «SP-Initiative zur 65 Werner Catrina: Schönheit der Ziegeldächer, Schweizer Familie 38/1975, 13.

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Erhaltung von Wohnraum» (Schweizer Fernsehen, Antenne, 14. 5. 1971), «Humanes Wohnen» (Schweizer Fernsehen, Antenne, 10. 1. 1974), «Renditedenken» (Nr. 5 einer Serie von 10 Filmen zum europäischen Jahr für Denkmalpflege und Heimatschutz, ausgestrahlt im Schweizer Fernsehen, Datum unbekannt) «Wohnen im Hochhaus» (Schweizer Fernsehen, Blickpunkt, 6. 12. 1977).


Zum Beispiel Spreitenbach. Ein Dorf hat Ambitionen

R e p o r ta g e v o n Wa lt e r B o s c h    6 6

66 Walter Bosch, Zum Beispiel Spreitenbach. Ein Dorf hat Ambitionen, in: Annabelle 6/1970, 12-16.

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Im Jahr 1453 wurde ganz Spreitenbach für knapp 1000 Gulden verkauft. 500 Jahre später, 1953, kostete ein Quadratmeter Land am gleichen Ort 10 Franken. Heute ist das gleiche Fleckchen Erde 180 Franken wert. Und die Preise steigen weiter. Das explodierende Dorf mit der grössten Zuwachsrate des ganzen Kantons Aargau gehört eigentlich zu Zürich. 20 Autominuten von der Stadt entfernt, erliegt es dem Sog der City. Dem grossen Nachbarn verdankt es auch die meisten Zuzüger: 1960 gab es 2000 Spreitenbacher, heute sind es dreimal so viel. Das sind die nüchternen Zahlen einer phänomenalen Entwicklung. Ein Erfolg! Keine Frage. Aber wer stellt die Frage nach den Menschen?

W o hnmaschine a u s B e t o n Das alte Spreitenbach ist ein gemütliches Dorf. Eines, wo noch die Mistkarren fahren und die Beizen Zentrum sind; eines, wo noch Platz ist für alte Leute und wo die Kinder unbesorgt auf der Strasse spielen können; eines, wo die Zeit sich noch am Wetter und am Tage misst und nicht am sturen Stundenplan der Zivilisation. Aber dieses ländliche Spreitenbach ist nur ein Fünftel der Wirklichkeit. Die grosse Masse wohnt im neuen Teil, in jener architektonischen Meisterleistung aus Stahl und Beton, die mit unzähligen Stockwerken den modernen Hintergrund gibt für die «ad absurdum» geführten Relikte bäuerlicher Beschaulichkeit. Ein Sammelsurium des Wohnmaschinen-Stils unserer Zeit ragt hoch hinaus, manche zeigen ihre zig Stockwerke ganz adrett, andere türmen sie schamlos aufeinander. Die Gestaltung der Giganten ist kein Kontrapunkt zur Umgebung, die Natur ist nicht einmal mehr Staffage, sie ist Baugrund. Hier sind die Strassen breiter, aber leerer; hier sind die Häuser sauberer, aber kälter; hier sind die Fenster grösser, aber dunkler. Sogar der Regen ist nicht derselbe wie im Dorf nebenan, er ist nässer, widerlicher, grauer. Tagsüber gehört die Schlafstadt den Frauen und den Kindern. «Gehört» ist ein falscher Begriff. Eigentlich gehört sie niemandem, weil hier niemand richtig hingehört. Die Männer sind fort. Sie arbeiten. Meistens kommen sie auch mittags nicht nach Hause. Die Frauen warten. Den ganzen langen Tag lang. Sie versorgen die Kinder. Sie machen den Haushalt. Sie langweilen sich.


Es gibt nichts in diesem kahlen Land der Wohntürme. Auch das Einkaufen ist keine Abwechslung. Man kennt sich nicht. Man mag sich nicht einmal. Für grössere Einkäufe muss man ja doch in die Stadt. Aber da sind die Verbindungen so schlecht. Die Lethargie ist unaufhaltsam. Die Einsamkeit frisst, die Abgeschlossenheit, die Reduktion auf diese bewohnbare Zelle in einem gigantischen Komplex. Pierre Bertaux in seinem Buch «Mutation der Menschheit»: «Das wichtigste Kennzeichen einer Gruppe wäre damit nicht die Zahl der Individuen, aus denen sie sich zusammensetzt, sondern die Zahl der wechselseitigen Informationen, die jeweils im ‹Netz› zirkulieren. (…) Jede menschliche Gruppe liesse sich somit durch ihre ‹Austauschaktivität›, (…) sozusagen durch ihre ‹soziale Temperatur› kennzeichnen.» Die «soziale Temperatur» im neuen Spreitenbach liegt unter dem Gefrierpunkt.

S chlafs tad t o der B eischlafs tad t ? Sie liegt unter dem Gefrierpunkt, obwohl der Volksmund will, dass Spreitenbach seinen Aufschwung der Liebe verdankt. Der körperlichen Liebe. Denn das kühle Dorf liegt zwar nahe bei Zürich, aber doch im Kanton Aargau, wo das Konkubinat erlaubt ist. Wo ein Mann und eine Frau miteinander wohnen dürfen, ohne dass ein verstaubtes Gesetz sich in Bettangelegenheiten mischt. Spreitenbach wäre also keine Schlafstadt, sondern eine Beischlafstadt. Trägt sie zu Recht den spöttischen Übernamen «Eros Center»? Gemeindeammann Locher bestreitet das: «Die Sache mit dem Konkubinats-Paragraphen hatte überhaupt keinen Einfluss auf die Entwicklung von Spreitenbach.» Die Realität wird auch hier in der Mitte liegen. Auf 1800 Familien kommen nach offiziellen Zahlen nur 50 Fälle von Konkubinat. Ohne Zweifel ist die Dunkelziffer hier immens. Und es darf es ja in diesem glücklichen Kanton auch sein. Ein Indiz, dass es mit dem Konkubinat nicht so weit her sein kann, sind die vielen Kinder. Neu-Spreitenbachs Baugruben, Pfützen, Strassen und Höfe wimmeln von Kindern. Für sie liegt der Unterschied zwischen Paradies und Unglück noch in einem Kaugummi. Für sie

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ist auch diese Landschaft von Sichtbeton, Bauschutt, Asphalt und Schlamm ein möglicher Spielplatz. Der bestmögliche ist es nicht.

M anager im D o rf Hier muss nun ein Wort des Lobes geredet werden. Die Gemeindeverwaltung von Spreitenbach arbeitet mit zukunftsweisender Brillanz. Die Ortsplanung zum Beispiel, schon in den fünfziger Jahren an die Hand genommen, sucht weitherum ihresgleichen. Die Infrastruktur, die Finanzen, sie hielten Schritt mit dieser alles überrollenden Entwicklung. Die Häuser wuchsen schnell und hoch. Aber sie wuchsen diesen cleveren Dorfmanagern nicht über den Kopf. Sie werden auch die 300 neuen Wohnungen, die noch in diesem Jahr aus dem Boden wachsen, verkraften. Und sie werden das stolze Endziel von 30 000 Einwohnern zweifellos ohne Chaos erreichen. Dass sie die menschliche Seite dieser Entwicklung unterschätzt und vernächlässigt haben, ist menschlich. Aber es schafft unmenschliche Zustände. Das hat man in Spreitenbach erkannt. Gemeindeammann Locher, der sich ab Mai vollamtlich seiner Gemeinde zur Verfügung stellen will, möchte vor allem die Industrie noch mehr forcieren, damit mehr Arbeitsplätze beim Wohnort entstehen. Er will kulturelle Bestrebungen unterstützen. Sein Programm: «Ich werde versuchen, die bisherige Entwicklung voranzutreiben, die Planung fest in den Händen zu halten, den Finanzhaushalt gesundzuerhalten und mich vor allem den menschlichen Problemen widmen.»

Die menschlichen Probleme werden, ob er will oder nicht. zu seinem Hauptproblem werden. Denn die graue Schlafstadt mit den vielen grünen Witwen ist vorläufig kein Platz zum Leben und kein Platz zum Sterben. Sie ist ein Platz, wo man Kinder zeugt und zur Welt bringt. Und das ist gleichzeitig das Beste und das Schlechteste, was man dort machen kann.

Ü berlebens - C hance Eine Chance für Spreitenbach und eine Bewährungsprobe ist das neue «Shopping Center», das jetzt eröffnet wird. Auf kreuzungsfreien Zufahrten


wird man zu einem Gratis- Parkplatz mit Raum für 1500 Autos gelangen Auf zwei Geschossen bieten dann fast 50 Geschäfte die Verkaufsfläche einer kleineren Schweizer Stadt. Und dazu wird sogar noch ein Hallenbad gehören, ein Kinderparadies, ein Kino und ein Dancing. Mehrere Restaurants und ein Postbüro machen das Center zu einer Stadt im Dorf. Wenn das Experiment gelingt, dann kommt Spreitenbach über den Umweg des Big Business zu einer erträglichen «sozialen Temperatur». Wahrscheinlich aber kann das Einkaufsparadies nur ein kleiner Teil der Anstrengungen sein, die gemacht werden müssen, um Spreitenbach zu einer lebenden und lebensbejahenden Gemeinde zu machen. Um, wie Gemeindeammann Locher es ausdrückt, «keine Schlafgemeinde zu haben, sondern ein pulsierendes Leben». Hausfrau, 28: «Ich würde viel lieber in der Stadt wohnen. Hier fühle ich mich vernächlässigt. Ich habe kein Auto und verbringe den ganzen Tag im Haushalt und mit den Kindern. Wenigstens nimmt mich mein Mann manchmal fürs Kino in die Stadt.» Hausfrau, 24: «Hier gefällt es mir gar nicht. Wir wohnen schon vier Jahr hier, weil die Wohnung billiger ist als in der Stadt. Ohne Auto würde ich es gar nicht aushalten. Die Kinder darf man erst ein Jahr vor Schulbeginn in den Kindergarten schicken. Hier ist überhaupt nichts los, man kann nicht einmal richtig einkaufen.» Sekretärin, 35: «Mein Mann und ich haben ein Haus gekauft und ziehen aus. Wir haben es hier nie ausgehalten und fuhren jedes Wochenende weg. Vielleicht bringt jetzt das Einkaufszentrum etwas Abwechslung.»

Walter Bosch

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Ein Dorf verlor sein Gesicht L U CIA Z U B ER    6 7

Es war einmal ein kleines Dorf mit zwanzig, vielleicht auch zwei- oder dreiundzwanzig Bauernhäusern. Es lag südlich von einer Stadt, in sanft ansteigendem Gelände mit fruchtbaren Äckern und Wiesen. Im Süden und im Westen war es von dunklen Tannenwäldern geschützt, im Osten behütet von einem Burghügel und mit freiem Blick gegen Norden, wo nachts die Lichter der nahen Hauptstadt mit den Sternen über dem kleinen Dorf wetteiferten. 67 Lucia Zuber, Ein Dorf verlor sein Gesicht, in: Der Bund, 25. Februar 1972, 21. Rubrik «Bern kreuz und quer», Bilder Curt Werren.


Das kleine Dorf führte ein bescheidenes Dasein. Es hatte nicht einmal eine eigene Kirche oder ein Postbüro, ganz zu schweigen von einer Polizeistation oder eines Gemeindekanzlei. Die Leute im Nachbarort pflegten vor Zeiten über die Bewohner des kleinen Dorfes, das dem grossen Nachbarn politisch angegliedert war, zu witzeln und sie etwas über die Achsel anzusehen. Die Menschen des kleinen Dorfes nahmen das weiter nicht tragisch. Sie lebten und arbeiteten friedlich unter den breiten, heimeligen Dächern und zwischen zahllosen Obstbäumen. Und hatte das kleine Dorf auch keine Kirche und kein Postbüro, so hatte es doch seine Ruine. Die war einmal das Stammschloss derer von Bubenberg gewesen, denn wo anders hätten sich so viele Hasen und Rehe und Rebhühner für die ritterliche Tafel gefunden als in den tiefen, verschwiegenen Wäldern am Rande des kleinen Dorfes? Da waren auch ein Kramladen, ein Wirtshaus, eine Schmiede und sogar ein eigenes Schulhaus – ein Schulhaus von der guten alten Sorte, mit Holzriegeln in den Mauern, mit einem Bänklein vor der Haustüre, mit einem Garten, in dem im Sommer neben den Salatköpfen Rittersporn, Lupinen und Dahlien in feurigen Farben prangten, mit einem alten Steinbrunnen. Der unermüdlich fliessende Strahl des alten Brunnens plätscherte in warmen Nächten die Menschen des kleinen Dorfes in den Schlaf. Am Tage gab er Pferden, Kühen und Hunden freigebig zu trinken und ersetzte der munteren Dorfjugend das Freibad. Wie gesagt: es war ein bescheidenes kleines Dorf. Wenngleich die Leute des nächsten Ortes auch gerne ihre Witzchen machten, so kamen am Sonntag desto lieber die Menschen aus der nahen Stadt heraus, wanderten zwischen blühenden Obstbäumen an den behäbigen Bauernhäusern vorbei, stiegen auf den Burghügel, und wenn sie oben angekommen waren und sich den Schweiss von der Stirne gewischt hatten, dann schauten sie hinunter, mitten in das freundliche Gesicht der kleinen Dorfes und freuten sich an seinen Äckern, Wiesen und Apfelbäumen. Nun mag eines unschönen Tages einer gewesen sein unter all den friedlichen Burghügelgängern, der nicht einfach zum Vergnügen hinaufgestiegen war, vielleicht nicht einmal an einem Sonntag. Ja wenn wir es richtig bedenken,

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kann es gar kein Sonntag gewesen sein, sonst hätte der Fremde nicht einfach das freundliche Gesicht des kleinen Dorfes übersehen. Sein Blick galt weder den Obstbäumen noch den Bauernhausdächern, weder Kartoffeläckern noch Weizenfeldern oder saftigen Wiesen. Der Fremde sah Bauland, Mietshäuser, Wohnblöcke, eine ‹schöne Lage› und viel Rendite. Und so begannen eines ebenso unschönen Tages Baumsägen zu kreischen, Presslufthämmer zu dröhnen, Betonmischmaschinen zu rattern, und mechanische Greifarme machten aus fruchtbarer Erde schmutzigen Aushub. Wo der Brunnen geplätschert und der Rittersporn geblüht hatte, gähnte bald einmal ein tiefes Loch. Und die Frauen des kleinen Dorfes sahen mit Tränen in den Augen auf die armseligen Steinbrocken, die einmal ihr Dorfbrunnen gewesen waren. Vor, neben und hinter den heimeligen Bauernhäusern schossen Blöcke wie giftige Knollenblätterpilze aus dem Boden und zogen einen Hexenkreis um das kleine Dorf. Mancher kam und liess sich in einem der neuen Mietshäuser nieder, weil der schon immer davon geträumt hatte, auf dem Lande zu leben. Nach kurzer Zeit musste er allerdings mit missbehagen feststellen, dass die Stadt ihn wieder eingeholt hatte und der freie Blick nach Norden, der ihn am Anfang so gefreut, von neuen Wohnblöcken verdeckt wurde. Wer sich heute noch die Mühe macht, auf den Burghügel zu steigen, dem starrt das griesgrämige, verzerrte und unharmonische Antlitz einer Agglomeration entgegen, nicht mehr das freundliche Gesicht eines kleinen Dorfes. Es war einmal ein kleines Dorf mit zwanzig oder vielleicht auch zwei- oder dreiundzwanzig Bauernhäusern, auf sanft ansteigendem Gelände mit fruchtbaren Äckern, Wiesen und Kirsch- und Apfelbäumen. Es ist gestorben.


Volksabstimmung über den Überbauungsplan und die Sonderbauvorschriften Thoracker, vom 4./5. März 1972 in der Stadt Bern A bs t imm u ngsinserat : « D er B u nd » v o m 1. 3. 1972: Berner Mitbürgerinnen und Mitbürger! Berns Altstadt mit ihren Einkaufsgelegenheiten zwischen Heiliggeistkirche und Bärengraben hat uns internationalen Ruf gebracht und nicht das Antlitz einer seelenlosen Stadt. Sollen wir das preisgeben aus reinem Profitdenken?

Das geplante Einkaufszentrum im Thoracker an der Peripherie der Stadt ist in seinem Ausmass übersetzt. Selbst Befürworter bestätigen das, gemessen am Bedürfnis der künftigen Bevölkerung jenes Gebietes. Erste Aufgabe der Überbauung Oberes Murifeld ist doch wohl, den Menschen einen Wohnraum zu schaffen, in dem sich leben lässt. Ist da ein

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Mammut-Umschlagplatz für Überflusskonsum und Verschwendung nötig, der alle bisherigen Dimensionen in der Schweiz sprengt und dem Moloch Verkehr für einen weiteren Bereich Einlass gewährt? Der Heimatschutz befürwortet eine Stadtentwicklung zum Wohle des Gemeinwesens; uns unterstützt eine zielgerichtete und sinnvolle Planung in Stadt und Region. Wo aber diese Grenzen überschritten werden und nur noch Zweckdenken und Profit regieren, die Menschen und Landschaft in eine Statistenrolle verbannen, sagt der Heimatschutz Nein. Einer wohnlichen Stadt und ihren Menschen zuliebe:

Thoracker NEIN Berner Heimatschutz Regionalgruppe Bern


A bs t imm u ngsinserat : « D er B u nd » v o m 1. 3. 1972: Etwas tun für den Umweltschutz Nicht nur davon reden JA zur verkehrsfreien Innenstadt Der unnötige Autoverkehr wird auf die Parkplätze des Thorackers gelenkt. Unsere schöne Altstadt gehört den Fussgängern. JA zum ruhigeren Wohnquartier Mit einer einzigen Fahrt in den Thoracker kann man kaufen, wofür heute viele Fahrten quer durch die Wohnquartiere nötig sind. Denn im Thoracker liegen Läden aller Art dicht beisammen. Der gesamte Stadtverkehr wird kleiner. Er rollt endlich dort, wo er hingehört: auf der Autobahn (nicht auf den Quartierstrassen). JA zu niedrigeren Preisen Im Thoracker gibt’s für jedes Produkt mindestens zwei Läden. Das ermöglicht Preisvergleiche und schafft Konkurrenz. Und damit niedrigere Preise. Übrigens: Im Thoracker sind alteingesessene Berner Geschäfte, Filialen der Stadtgeschäfte. JA zu Erleichterungen für Frauen und Mütter Endlich hat die berufstätige Frau nach Büroschluss genügend Zeit zum Einkauf. Die kurzen Wege erlauben ein viel rascheres Shopping. Und die Mütter haben’s auch leichter. Weil Ihre Kinder unterdessen in einem überwachten Hort spielen.

Wir sind für das Thoracker-Projekt, weil es eine zweckmässigere und preisgünstigere Versorgung der Bevölkerung ermöglicht und weil es heute und in der Zukunft die umweltfreundlichste aller Lösungen ist. Man muss etwas tun für den Umweltschutz. Nicht nur davon reden. Darum: Thoracker JA

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Gemeindeabstimmung 4./5. März 1972 Margrit Flückiger, Präsidentin der Sektion Bern der Schweiz. Migros-Genossenschafterinnen Vorstand des COOP-Frauenbundes Bern Fritz Anderegg, Präsident VPOD, Sektion Bern Allgemeine Hans Mäder, Präsident Gewerkschaftskartell Bern H. U. Hug, Präsident des Beamten- und Angestelltenkartells Alfred Neukomm, Grossrat, Sekretär Stiftung für Konsumentenschutz Verkehrsverein der Stadt Bern Verband I/industrieller Arbeitgeber von Bern und Umgebung Kant. Handels- und Industrieverein Sektion Bern

Abs t i m m u n g s i n s e r at : « D e r B u n d » v o m 1. 3. 1972: Berns Frauen stimmen am 5. März THORACKER NEIN NEIN zu einem überregionalen Einkaufszentrum (1.5 mal Spreitenbach!), welches das Todesurteil für unsere Innerstadt bedeutet. NEIN zur rücksichtslosen Verkehrsüberschwemmung unserer Wohnquartiere. NEIN zum Missbrauch von Tausenden von raren Arbeitskräften, von Kapital und knappem Boden für ein unnötiges Milliardenprojekt, während Bern nicht einmal seine dringendsten sozialen Aufgaben z. B. Altersbauten!) zu bewältigen vermag. NEIN zu noch mehr Überflusskonsum und Verschwendung.


NEIN zur weiteren Privilegierung der Privilegierten und zur weiteren Benachteiligung der Benachteiligten (Nichtautobesitzer, Betagte, Behinderte). NEIN zu einer Planung, die den Lebensraum unserer Kinder noch ärmer macht, weil einige wenige noch reicher werden wollen. Susanne Anliker-Miller, Apothekerin; Lily Brugger-Blanc, dipl. Ing. agr. ETH; Ursula Brunner, Gemeindehelferin Nydegg, Stadträtin Junges Bern; Elisabeth Chable-Bächinger, Vizepräsidentin stabtbern, Bund für Zivilschutz; Dr. jur. Rosmarie Felber, Stadträtin CVP; Annemarie Geissbühler-Lanz, Lehrerin, Vorstandsmitglied Berner Heimatschutz; Marta von Greyerz-Merz, Vizepräsidentin Frauenstimmrechtsverein Bern; Marta Jäggi-Schitlowsky, Präsidentin der Sektion Bern des Schweiz. Gemeinnützigen Frauenvereins; Züsi Jakob, Präsidentin Sektion Bern des Schweizerischen Lehrerinnenvereins; Dr. phil. Regine Käser, Redaktorin, Vizepräsidentin Schweiz. Bund für Naturschutz; Nannette Klein, Präsidentin katholischer Frauenbund Bern; Anna Kundert-Landolt, Vorstandmitglied Verein für Familienschutz des Stadt Bern, Mitglied des Arbeitsausschusses der kantonalbernischen Elternschulung; Marianne Langenegger-Moser, Mitarb. Schweizerische Stiftung für Konsumentenschutz; Leni Robert-Bächtold, Redaktorin, Stadträtin Jungfreisinn; Maria Schaer-Lüthi, Stadträtin EVP; Dr. jur. Elisabeth Schmid-Frey, Stadträtin FdP, Präsidentin Bernischer Frauenbund; Dr. med. Anna Schönholzer, Schulärztin Bern Nord-Ost; Andrée Witzel.

S ta d t r at s p r o t o k o l l e 1 9 7 2 / I , S e i t e n 5 4 4 , 545 Überbauungsplan Thoracker mit Gestaltungsplan und Sonderbauvorschriften wird mit 14 223 Ja gegen 24 856 Nein verworfen.

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Der Maulwurf Grabowski Lu i s Mu r s c h e t z ,

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Luis Murschetz

Der Maulwurf Grabowski Diogenes

[…] Eines Tages aber geschah etwas Schreckliches. Etwas, das den meisten Maulwürfen bisher unbekannt ist. Es kamen fremde Männer auf die Wiese und begannen mit Messinstrumenten das Land zu vermessen. Dabei stiess einer einen Messstab in Grabowskis Schlafhöhle. Der erschrak sehr und drückte sich ängstlich in die Ecke. Die Stange verschwand nach einer Weile wieder nach oben, und zurück blieb ein Loch, durch das man die Arbeit der Männer beobachten konnte. Sie liefen mit ihren Messstangen hin 68 Luis Murschetz, Der Maulwurf Grabowski, Diogenes Verlag, Zürich 1972. Textausschnitt (keine S.)


und her und machten Notizen in ihre Mappen. Am Abend packten sie ihre Sachen wieder ein und fuhren mit dem Auto davon. Aber fortan war keine Ruhe mehr auf der grossen Wiese. Denn morgens, so gegen sechs, rissen heftige Stösse und grosser Lärm Grabowski aus dem Schlaf. Ein Erdbeben dachte er und hastete nach oben zum nächsten Höhlenausgang. Doch der war versperrt. Da stand etwas sehr Schweres darauf. Grabowski stiess heftig mit seiner Nase dagegen. «Au» quiekte er erschrocken, «Auweh!». Er versuchte einen neuen Ausgang zu graben, einen neuen Erdhaufen aufzuwerfen, von wo aus man alles überblicken kann. Doch es gelang nicht; denn die Erde war schwer und fest wie im Winter, wenn sie gefroren ist. An einer Stelle konnte er schliesslich doch nach oben. Plötzlich griffen zwei gewaltige Grabeskrallen, hundertmal grösser als seine eigenen, nach ihm. Voller Schrecken wühlte er sich wieder zurück unter die Erde, viel tiefer als sonst. Doch das Ungeheuer war bald wieder über ihm. Es packte ihn mit einem grossen Klumpen Erde, und – nach einer kurzen Rundfahrt fiel er hoch durch die Luft auf den Boden. Auf seiner schönen Wiese standen Baumaschinen, Lastwagen und Betonmischer. Kräne wurden aufgestellt, und das Ungeheuer mit den schrecklichen Grabesschaufeln war ein grosser Bagger, der tiefe Löcher in die Erde gegraben hatte; denn hier sollten Hochhäuser mit Tiefgaragen entstehen. Ein Arbeiter sah Grabowski und wollte ihn fangen. Der rettete sich gerade noch unter einen Stapel Bauholz, wo er zitternd vor Angst versteckt blieb, bis jemand «Feierabend» rief und alle Geräusche verstummten. Da wagte er einen Blick auf seine Wiese, aber die gab es nicht mehr. Es waren nur noch Baugruben, Gerüste und Kanäle. Auch die Lichter der Stadt waren nicht mehr zu sehen. Da wurde Grabowski sehr traurig, und er beschloss wegzuziehen, irgendwohin, wo es noch saftige Wiesen mit weicher, lockerer Erde gibt. Er wanderte mehrere Tage und Nächte, überquerte Eisenbahnschienen und gefährliche Strassen, bis er an eine riesengrosse Wiese kam, mit leichter duftender Erde darunter. […]

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Der Sündenbock Stadt

PETER KILLER    6 9

69 Peter Killer, Der Sündenbock Stadt, in: Du, «Utopia», 1/1972, 26-31.


Über die Krise, in der sich die grossen Städte befinden, ist viel geschrieben worden. Urbanisten, Planer, Naturwissenschafter und Publizisten analysierten die Situation in unseren Bevölkerungszentren. Was ihre Tabellen, Schemata, Pläne, Traktate und Aufsätze aussagen, erfährt der Stadtbewohner tagtäglich: unsere Städte sind krank. Wem diese Diagnose als allzu krass erscheint, der lasse sich einmal in einer grossen Stadt mit öffentlichen Verkehrsmitteln aus dem Zentrum in ein dichtbesiedeltes Aussenquartier bringen. Er erlebt die Verkehrsmisere mit überfüllten Metrozügen, Tramwagen und Bussen, mit Autoschlangen, mit von Verkehrsampeln gehetzten Fussgängern. Er erlebt die Anonymität des Häuserbreis der Vorstädte. Und er sieht sich mit unabsehbaren Scharen von Stadtbewohnern konfrontiert, die von einer offenbar lustlos verbrachten Arbeitszeit einem Feierabend entgegenfahren, der weit von einem Feier-Abend entfernt sein wird. Von Grossstadt-Flair, von der legendären Faszinationskraft der urbanen Zentren spürt man hier wenig oder nichts. Dafür Aggressionen, Rastlosigkeit und Unzufriedenheit. Auf den Bahnhöfen, auf denen die Pendler auf die Vorortszüge warten, sieht’s nicht wesentlich anders aus. «Der städtische Mensch hat noch nie – tatsächlich noch nie! – so einsam, so hilflos, so teuer, so fruchtlos, so nach allen Kanten und Seiten idiotisch gelebt», schreibt Godi Suter in seinem Buch «Die grossen Städte». Man hat heute für alle gesellschaftlichen Missstände eine Universalerklärung bereit. Raubbau an Boden und Luft, Verkehrsmisere, die Zerstörung unzähliger charaktervoller Bauwerke, die grassierende Allerweltsarchitektur, die Passivität der Konsumgesellschaft, die wachsende Kriminalität, die kontinuierliche Zunahme der Nervenkrankheiten: dieses alles kann, so man will, der Stadt angelastet werden. Wie weit ist die Stadt für Rassenprobleme, für die Unruhe unter den Jugendlichen verantwortlich? Alexander Mitscherlich schreibt dazu in seinem Aufsatz «Die Unwirtlichkeit unserer Städte»: «Der junge Mensch ist noch arm an höherer geistiger Leistungsfähigkeit – er ist weitgehend ein triebbestimmtes Spielwesen. Er braucht deshalb seinesgleichen – nämlich Tiere, überhaupt Elementares, Wasser, Dreck, Gebüsche, Spiel-Raum. Man kann ihn auch ohne das alles aufwachsen lassen, mit

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Teppichen, Stofftieren oder auf asphaltierten Strassen und Höfen. Er überlebt es – doch man soll sich dann nicht wundern, wenn er später bestimmte soziale Grundleistungen nie mehr erlernt, zum Beispiel ein Zugehörigkeitsgefühl zu einem Ort und Initiative. Um Schwung zu haben, muss man sich von einem festen Ort abstossen können, ein Gefühl der Sicherheit erworben haben. Wenn der Jugendliche aus den Slums oder aus komfortablem Vorstadtmilieu mit emotioneller Spar- und Rohkost aufgezogen – wenn beide Jugendliche, äusserlich so verschiedener Herkunft, plötzlich sadistische Gewalttaten verüben, an blindem Zerstörungsdrang Gefallen finden, wenn der Städter, dem die Einsamkeit angeblich nichts anhat, Jahr für Jahr mehr Alkohol trinkt, nicht weil er sich am Saft der Trauben labt, sondern weil er sich besaufen muss, wenn er Jahr für Jahr blindlings mehr Kilometer herunterrast in seiner zwecklosen Freizeit, weil er es nirgends mehr aushält – dann wird mir eine gewisse, sich ganz unsentimental gebende soziologische Auffassung, die das alles als Unvermeidlichkeiten des sozialen Daseins hinzunehmen bereit ist, fragwürdig … …Warum werden unsere städtischen Kinder nicht wie Kinder von Menschen behandelt, sondern wie Puppen oder Miniaturerwachsene, von infantilisierten Erwachsenen umgeben, deren städtische Vorerfahrungen sie dermassen beschädigt haben, dass sie schon gar nicht mehr wissen, was der Mensch bis zum 6., bis zum 14. Lebensjahr für eine Umwelt braucht, um nicht später ein Renten- und Pensionsbettler zu werden?» […] Die Teilung des Stadtkomplexes in Wohn- und Arbeitszonen macht sich in der City nicht minder negativ bemerkbar als in der Agglomeration. Die City wurde zum blossen Geschäfts- und Verwaltungszentrum, das auch noch gewisse kulturelle Funktionen übernimmt. Die Einwohnerzahl nimmt in den Innenstädten ständig ab, Kinos und Theater werden immer weniger besucht. Eine Speisewirtschaft um die andere verschwindet. Die Innenstadt wird immer prächtiger, an Repräsentationsbauten reicher, doch zugleich lebloser. Sie verliert ihren geselligen, kontaktbringenden Charakter mehr und mehr. Die City ist der Tempelbezirk der Konsumgesellschaft, der ausserhalb der


Kultzeit verödet daliegt. Die Trennung der Funktionen, ein Prozess der noch nicht abgeschlossen ist, bedingt – oft lange und mühsame – Fahrten zwischen Wohn- und Arbeitsort. Die Zeit, die der einzelne durch die Verkürzung der Arbeitszeit gewonnen hat, verliert er auf Strassen und Schienenwegen. Gegen den innerstädtischen Morgen- und Abendverkehr zu schimpfen nützt wenig. Er hängt unmittelbar mit der Entfernung der Wohnquartiere von den Zentren zusammen. Je weiter die Vorstädte ins Grüne hinausdringen, umso schlechter werden sie von den radial aus den Stadtzentren hinausführenden öffentlichen Verkehrsmitteln bedient. Um Fussmärsche zu weit entfernten Bahn- oder Busstationen zu vermeiden und um dem mässigen Fahrkomfort zu entrinnen, wird das eigene Auto benutzt. Die Konsequenz ist die lärmige, verpestete, verstopfte und verstellte Innenstadt. Der täglich anwachsenden Autoflut versucht man mit Strassenverbreiterungen, Unter- und Überführungen und neuen Strassen gerecht zu werden. Die stetige Bauerei bringt Unannehmlichkeiten: Lärm, Schmutz, Umleitungen für Fussgänger und Automobilisten, riesige Finanzaufwendungen. In Zürich wurde in den letzten zehn Jahren ein Viertel der «öffentlichen Bäume» dem Verkehr geopfert. Wohnhäuser machten Strassenbauten Platz. Und wir akzeptieren nicht nur Lärm und Gestank, sondern auch das Gefahrenmoment, das der moderne Verkehr birgt. Strassen, einst Mittel der Verbindung, der Kontaktnahme werden mehr und mehr zu trennenden, isolierenden Streifen, auf denen eine gewisse gegenseitige Rücksichtnahme nur noch durch die Höhe der Chassis-Reparaturschäden garantiert ist. «In unserem Gegenwärtigen Zustand haben wir unser städtisches Erstgeburtsrecht für einen trostlosen Haufen von Automobilen verkauft. Das ist ein ebenso schlechtes Geschäft wie Esaus Linsengericht …» schreibt Lewis Mumford. Die Verschmutzung der Luft hat bereits heute ein alarmierendes Ausmass erreicht. In verschiedenen Grossstädten hat die Verunreinigung die Grenze

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des Erträglichen überschritten. Für den Grossteil der Verschmutzung trägt das Auto die Verantwortung. Noch werden mehr und breitere Strassen gebaut. Damit wird eine negative Entwicklung nur gefördert und nicht gesteuert. Die besseren Strassen werden noch mehr Autos in die Stadt hineinfliessen lassen. Und der Moloch Verkehr wird nach neuen Opfern rufen, unsere Städte noch unwohnlicher machen. Was lässt sich gegen die Unwirtlichkeit der Innenstädte und Vororte tun, wie kommt man der Verkehrsmisere bei? Innen- und Randzonen der Städte müssen funktionell vermischt werden, damit gleichzeitig gewohnt und gearbeitet werden kann. Wenn Arbeitsplätze in Fussdistanz liegen, entfällt der Pendler-Verkehr. Sinnvoll lässt sich die Vermischung nur durch eine Verdichtung der Städte erreichen. Wenn den Arbeitsplätzen Wohnungen überlagert und Arbeitsplätze in Wohnzonen integriert werden können, belebt man sterbende oder tote Stadtteile und deckt den ständig wachsenden Bedarf an Lebensraum.


Momo

M i c h a e l E n d e ,    7 0

70 Michael Ende, Momo, Stuttgart 1973, div. Ausschnitte.

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S ei t en 7 2 , 7 3 […] Und schliesslich hatte auch die grosse Stadt selbst mehr und mehr ihr Aussehen verändert. Die alten Viertel wurden abgerissen, und neue Häuser wurden gebaut, bei denen man alles wegliess, was nun für überflüssig galt. Man sparte sich die Mühe, die Häuser so zu bauen, dass sie zu den Menschen passten, die in ihnen wohnten; denn dann hätte man ja lauter verschiedene Häuser bauen müssen. Es war viel billiger und vor allem zeitsparender, die Häuser alle gleich zu bauen. Im Norden der grossen Stadt breiteten sich schon riesige Neubauviertel aus. Dort erhoben sich in endlosen Reihen vielstöckige Mietskasernen, die einander so gleich waren wie ein Ei dem anderen. Und da alle Häuser gleich aussahen, sahen natürlich auch alle Strassen gleich aus. Und diese einförmigen Strassen wuchsen und wuchsen und dehnten sich schon schnurgerade bis zum Horizont – eine Wüste der Ordnung! Und genauso verlief auch das Leben der Menschen, die hier wohnten: Schnurgerade bis zum Horizont! Denn hier war alles genau berechnet und geplant, jeder Zentimeter und jeder Augenblick. Niemand schien zu merken, dass er, indem er Zeit sparte, in Wirklichkeit etwas ganz anderes sparte. Keiner wollte wahrhaben, dass sein Leben immer ärmer, immer gleichförmiger und immer kälter wurde. […]

S ei t en 8 1 , 8 2 […] «Was meinst du, was bei mir jetzt los ist, Kind! Das ist nicht mehr wie früher. Die Zeiten ändern sich. Da drüben, wo ich jetzt bin, da wird ein anderes Tempo vorgelegt. Das geht wie der Teufel. Jeden Tag hauen wir ein ganzes Stockwerk drauf, eins nach dem anderen. Ja, das ist eine andere Sache als früher! Da ist alles organisiert, jeder Handgriff, verstehst du, bis ins letzte hinein …» Er redete weiter, und Momo hörte ihm aufmerksam zu. Und je länger sie das tat, desto weniger begeistert klang seine Rede. Plötzlich hielt er inne


und wischte sich mit seinen schwieligen Händen übers Gesicht. «Alles Unsinn, was ich da rede», sagte er auf einmal traurig. «Du siehst, Momo, ich hab’ wieder mal zuviel getrunken. Ich geb’s zu. Ich trink’ jetzt oft zuviel. Anders kann ich’s nicht aushalten, was wir da machen. Das geht einem ehrlichen Maurer gegen das Gewissen. Viel zuviel Sand im Mörtel, verstehst du? Das hält alles vier, fünf Jahre, dann fällt es zusammen, wenn einer hustet. Alles Pfusch, hundsgemeiner Pfusch! Aber das ist noch nicht das Schlimmste. Das Schlimmste sind die Häuser, die wir da bauen. Das sind überhaupt keine Häuser, das sind – das sind – – Seelensilos sind das! Da dreht sich einem der Magen um! Aber was geht mich das an? Ich kriege eben mein Geld und basta. Na ja, die Zeiten ändern sich. Früher, da war das anders bei mir, da war ich stolz auf meine Arbeit, wenn wir was gebaut hatten, was sich sehen lassen konnte. Aber jetzt … Irgendwann, wenn ich genug verdient hab’ häng’ ich meinen Beruf an den Nagel und mach’ was anderes.» Er liess den Kopf hängen und starrte trübe vor sich hin …

S ei t en 1 9 1 , 1 9 2 […] Aber dann brach sie plötzlich ab. Vor ihr lag Ninos Lokal. Momo dachte im ersten Augenblick, sie hätte sich im Wege geirrt. Statt des alten Hauses mit dem regenfleckigen Verputz und der kleinen Laube vor der Tür stand dort jetzt ein langgestreckter Betonkasten mit grossen Fensterscheiben, welche die ganze Strassenfront ausfüllten. Die Strasse selbst war inzwischen asphaltiert, und viele Autos fuhren auf ihr. Auf der gegenüberliegenden Seite waren eine grosse Tankstelle und in nächster Nähe ein riesiges Bürohaus entstanden. Viele Fahrzeuge parkten vor dem neuen Lokal, über dessen Eingangstür in grossen Lettern die Inschrift prangte: NINOS SCHNELLRESTAURANT

Momo trat ein und konnte sich zunächst kaum zurechtfinden. An der Fensterseite standen viele Tische mit winzigen Platten auf hohen Beinen, so dass sie wie sonderbare Pilze aussahen. Sie waren so hoch, dass ein Erwachsener im Stehen an ihnen essen konnte. Stühle gab es keine mehr. […]

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S ei t e 2 0 0 […] Es war wirklich eine sehr vornehme Gegend. Die Strassen waren hier breit und sehr sauber und beinahe menschenleer. In den Gärten hinter den hohen Mauern und Eisengittern erhoben uralte Bäume ihre Wipfel in den Himmel. Die Häuser in den Gärten waren meist langgestreckte Gebäude aus Glas und Beton mit flachen Dächern. Die glattrasierten Wiesen vor den Häusern waren saftig-grün und luden förmlich ein, auf ihnen Purzelbäume zu machen. Aber nirgends sah man jemand in den Gärten spazierendgehen oder auf dem Rasen spielen. Wahrscheinlich hatten die Besitzer keine Zeit dazu. […]

S ei t e 2 5 4 […] Inzwischen war sie in jenen Teil am nördlichen Rande der grossen Stadt gekommen, wo die Neubauviertel mit den immer gleichen Häusern und den schnurgeraden Strassen sich bis zum Horizont dehnten. Momo lief weiter und weiter, aber da je alle Häuser und Strassen einander vollkommen glichen, hatte sie bald das Gefühl, gar nicht vom Fleck zu kommen und an der gleichen Stelle zu laufen. Es war ein wahrer Irrgarten, aber ein Irrgarten der Regelmässigkeit und Gleichheit. […]


Buchbesprechungen in der Tagespresse:

R o l f K e l l e r , B a u e n a l s U m w e lt z e r s t ö rung. Alarmbilder einer Un-Architekt u r d e r G e g e n wa r t.    7 1

71 Die Besprechungen sind nicht den Tageszeitungen selbst entnommen, sondern dem in der Schweizerischen Bauzeitung abgedruckten Pressespiegel: G.R., «Bauen als Umweltzerstörung» im Spiegel der Presse, in: Schweizerische Bauzeitung. 46/1974, 1028–1031. Leider fehlen in dieser Quelle die Daten zur Ersterscheinung der Buchbesprechung in der jeweiligen Tageszeitung.

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Neue Zürcher Zeitung,

E ine S t rei t schrif t wider die Un tat en in Beton Was Keller an Bildern zusammengetragen hat, ergibt eine Galerie der Hässlichkeit, eine Sammlung der in Beton, Metall und Glas erstarrten Gestaltungsschwäche. Was Keller, der Architekt ist, schreibt, ist eine vehemente Anklage gegen Kollegen, die so abscheulich bauen, gegen Behörden, die das Abscheuliche zulassen. Die Anklage richtet sich auch gegen uns andere, die wir die Zerstörung der Umwelt durch die Architektur aus dem Bewusstsein verdrängen, um sie nicht gewahren zu müssen, oder sie gewahren und «in Toleranz» hinnehmen. Keller bemüht sich, uns dieses fragwürdige Beruhigungsmittel wegzunehmen. Er will uns beunruhigen, das Hässliche wahrnehmen lehren, uns zum Überdenken von dessen weittragenden und tiefgehenden Folgen bringen. Er zeigt: da fördern Monstergebäude die Vermassung, dort kommen sich die Menschen im eigenen Quartier als Fremde vor, fühlen sich nicht in den Häusern zu Hause, die nichts denn «funktionierend, rentierend» zu sein brauchen, und suchen sich deshalb armseligen Ersatz in den rollenden Eigenheimen aus buntem Blech. Das leidenschaftliche Engagement ist die Stärke dieser Streitschrift zu der reichhaltigen Kollektion an Alarmbildern. Auf die tieferen Ursachen der Untaten auf den Bauplätzen geht Keller wenig ein; seine Wut ist zu gross. Zum Teil schreibt er sie sich in zentimeterhohen Lettern vom Leibe. Er verordnet keine Rezepte gegen den «Baukrebs», der das Land immer weiter überwuchert. «Wenn wir die Krankheit nicht verdrängen, sondern annehmen, kann … der Heilungsprozess einsetzen», hofft er an einer Stelle mit der Einschränkung: «… wenn es nicht zu spät ist!» Anderswo stellt er fest, der «point of no return» scheine bereits erreicht zu sein.


Badener Tagblatt

E in A rchi t ek t schläg t A larm Wenn Bilderbücher oft von Traum-Unwirklichkeiten, bösem Zauber und Dämonen handeln, dürfen wir Kellers Bildband getrost hier einreihen. Denn keiner argen Fee und keinem noch so schwarzen Zauberer ist es je gelungen, bedrückendere Alpträume heraufzubeschwören. Ein Unterschied ist freilich nicht aufzuheben: Kellers Alarmbilder sind keine Phantasieprodukte. Sie zeigen vielmehr, was wir täglich sehen können: unsere bauliche Umwelt. Sichtbarmachen: Gegen diese Blindheit richten sich Kellers Alarmbilder: Sie sollen zeigen, was sich rund um uns ereignet hat und was wir nicht sehen, nicht wahrhaben wollen. Es geht dem Architekten dabei nicht um Vollständigkeit mittels Bewertungskriterien, -skalen, -analysen usw. oder gar schon daraus resultierenden Rezepten, sondern einzig um das Sichtbarmachen der durch die Bauerei gefährdeten Umwelt. Kellers rund 200 Bilderseiten mit wenig Begleittext richten sich ganz schlicht an jene Fähigkeit, über die jedes Kind verfügt: ans Sehen. Da das Alarmbilderbuch sich aber an Erwachsene wendet, ist seine Überzeugungskraft ungewiss. Verdrängte Ästhetik: Ästhetik, jene Disziplin, die es mit dem Geschmacksurteil zu tun hat und sich um das «Schöne» kümmert, hat im Welt-Engineering unseres Jahrhunderts längst jedes Mitspracherecht verloren. Sie konserviert zwar noch am Schleppsaum universitärer Tradition verblasste Stickereien, doch am Werden unserer Welt mitzuwirken – davon hat sie sich dispensiert. Ästhetik umfasst in Wirklichkeit natürlich sehr viel mehr. Sie macht das aus, was uns Lust, Gefallen und Vergnügen bringt. Bei Bauten sprechen wir von Wohnlichkeit, Atmosphäre, Geborgenheit, «Cachet», wir nennen eine Strasse einladend oder ein Quartier belebt. Keller: «Ich möchte es unarchitektonisch sagen: Die Amerikaner reden von ‹friendly objects›, das heisst von Dingen, die mir gut wollen, mir freundlich gesinnt sind, von denen Liebe und Vertrauen ausstrahlt. Und gerade das fehlt den meisten unserer Bauten. Sie sind keine ‹friendly objects›. Sie sind lieblos, man merkt es ihnen an,

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dass keiner, der mit ihnen während der ganzen Erstellung zu tun hatte, mit Lust, Freude oder gar Glück bei ihnen verweilte, es fehlt ihnen also gerade das, was ausnahmslos alle alten Bauten ausstrahlen, ungeachtet der Ästhetik der Stilrichtungen oder gar des Geschmacks.» Sympathisch an Kellers Buch ist sein Verzicht, ideologische Erklärungen herbeizubemühen. Es wäre natürlich auch nicht ganz einfach, die Un-Architektur, wie er sie anprangert, etwa auf spätkapitalistische Gesellschaftsstrukturen zurückzuführen. Denn die Un-Architektur in sozialistischen Staaten ist mit der unsrigen durchaus konkurrenzfähig. Konvergenz der Fehlentwicklungen? Doch Keller vermeidet es auch, nach Schuldigen zu fragen. Gewiss tragen die bekannteren und unbekannteren, all die grossen und kleinen Immobilien-, Finanz- und Baugesellschaften eine nicht geringe Verantwortung am Bauchaos, das uns umgibt. Aber warum sollten gerade von ihnen solche Pionierleistungen an Phantasie, Verständnis und menschlich-sozialer Verantwortung erwartet werden, die selbst an Architekten-Hochschulen kaum gedeihen und schon gar nicht Allgemeingut sind? Als Bewohner nehmen wir alle an ihr teil und durch unsere Zustimmung, Ablehnung oder Gleichgültigkeit prägen auch wir ihre Gestalt. Architektur wird dadurch zum Gesicht einer Gesellschaft. Und eine Gesellschaft, deren Leitideologie die Menschen in funktionalen Quantitäten begreift, hat und verdient die Un-Architektur, die wir haben.


Alle Jahre wieder saust der Presslufthammer nieder oder: Die Veränderung der Landschaft J ö r g M ü l l e r    7 2 ,

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72 Jörg Müller, Alle Jahre wieder saust der Presslufthammer nieder, oder: Die Veränderung der Landschaft, Sauerländer Verlag, Aarau 1973, Vorspann.

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Die sieben grossen Farbbilder des jungen, in Frankreich lebenden Schweizer Künstlers Jörg Müller zeigen Kindern, was im Verlaufe von wenigen Jahren mit einem Stück Erde geschehen kann und geschieht. Vom ersten bis zum siebenten Bild ist immer der gleiche Landschaftsausschnitt zu sehen. Vom ersten bis zum siebenten Bild nimmt in stetiger Progression die Verwüstung der Landschaft zu, sind die Auswirkungen aufgezeigt. Um nur einen Aspekt zu nennen: auf dem ersten Bild steht Kindern noch fast die ganze Fläche als Spiel- und Lebensraum zur Verfügung. Auf dem letzten Bild aber bieten sich neben einem nicht betretbaren Rasendreieck nur noch ein betonierter Sandkasten und eine Betonröhre an. Spielmöglichkeiten, die für das Einüben in die Gesellschaft unerlässlich sind, sind reduziert auf reglementierte Reservate. Der genormte und viel zu kleine Spielplatz ist quasi eingerichtet als Naturschutzpark. Dabei ist die Einsicht notwendig, dass Naturschutzparks eben gerade die Gefahren beweisen, zu deren Widerlegung sie erfunden worden sind. Damit ist nichts gegen Naturschutzparks gesagt, aber einiges gegen die Ideologie, die dahinter steht, nämlich, dass man das schlechte Gewissen wegen der Umweltvernichtung mit Reservaten und Schonräumen jeglicher Denkensart und –weise verdrängen will. Es geht Jörg Müller nicht darum, in Kulturpessimismus zu machen, er will nicht den Weg vom «heilen, lieblichen» Dorf zur «bösen, technischen» Stadt zeigen. «Ich möchte weder Moralist noch Lügner sein. Dass die Probleme der Umweltzerstörung nicht beim Papierchen auf der Strasse liegen, weiss doch heute jeder, aber viele tun so, als wüssten sie es nicht.» Daher hat er auch das letzte Bild, das die technische, betonüberwucherte Landschaft zeigt, so widerlich sauber gehalten. Gras darf nur wachsen, wo es hinbefohlen wird. Ja, und Papierchen auf der Strasse, das wäre dann wohl «Umweltverschmutzung»? Umweltschutz im engeren Sinne (z. B. Reinhaltung von Wasser und Luft) ist nur ein Teilaspekt, der in diesen sieben Bildern angesprochen ist, und es wäre sicher auch falsch, nur darauf abzielen zu wollen. Schon winken viele ab, wenn sie nur das Wort «Umwelt» hören, es zeichnet sich bereits Überdruss ab, wogegen doch kaum erst damit begonnen wurde, ernsthafte Programme für Umweltschutz und Umweltgestaltung zu entwickeln. Das sind

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die umfassenden Probleme, die nicht von einzelnen Gutwilligen zu lösen sind. Wie einzelne aber die Umwelt verpesten, das hat Jörg Müller ebenso gezeigt. Von ersten Bild an ist in verschiedenen Zuständen eines jener Einfamilienhäuser zu sehen, für die so viel geworben und getan wird, gegen die aber auch schon ebensoviel geredet wird, weil sie z. B. zur fortschreitenden Zersiedelung der Landschaft schier unaufhaltsam beitragen. In der Folge der Bilder zeigt Jörg Müller am Beispiel des Einfamilienhauses, wie im kleinen Bereich des schier Privaten genau die gleichen Fehler und Deformationen produziert werden wie im globalen Umfang der Zerstörung. Der Ansatz zum Resultat auf dem letzten Bild besteht also schon im ersten Bild. Die Einstellung zur Umwelt war immer schon die gleiche, nur die Möglichkeiten zu ihrer Zerstörung sind ungleich vielfältiger geworden. Beginnend in den fünfziger Jahren deckt jedes der sieben Bilder etwa einen Zeitraum von drei Jahren und führt also mit dem letzten Bild bis heute in die siebziger Jahre. Diese Zeitspanne wurde gewählt, weil sie vom Grossteil der heutigen Eltern- und Lehrergeneration erlebt wurde. Und weil sich Fortschritte im Denken nur in selbständiger Suche vollziehen, wurde darauf verzichtet, eine handelnde Figur einzuführen, eine Geschichte dazu zu erzählen. Das Thema an sich eignet sich vor allem auch wegen der Art und Weise, wie es behandelt und dargestellt wird, vorzüglich für Kindergärten und Schulen. Etwas sehr Wesentliches dabei ist, Dass Jörg Müller grossen Wert darauf gelegt hat, die Kinder nicht mit vordergründiger Kritik anzuöden. Auf jedem dieser sieben grossen Farbbilder ist eine schier unermessliche Fülle von Details zu entdecken. Trotz der Ernsthaftigkeit des Themas wird also kein Kind jemals Lust am Betrachten dieser prächtigen realistischen Bilder verlieren.


Grösstes Zentrum Glatt: Affäre mit dem Architekten, statt Paradies nur Konsum M a x J ä g g i u n d S i l S c h m i d    7 3

73 Max Jäggi und Sil Schmid, Grösstes Zentrum Glatt: Affäre mit dem Architekten, statt Paradies nur Konsum, in: Schweizer Illustrierte 7/1975, 14-20.

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Ein sonniger Tennisplatz auf dem Flachdach und ein erfrischendes Schwimmbad in der Halle, grosszügige Räume für Kunstausstellungen und moderne Bildungsstätten, medizinischer Service mit Arzt und Zahnarzt, gemütliche Säle für bunte Abende und Theater und ein amüsierliches Nachleben. Das alles – und noch viel mehr hätte am Stadtrand von Zürich, auf dem Boden der Gemeinde Wallisellen, erstehen sollen: neu und einmalig, attraktiv und anregend, ein Begegnungszentrum der Superlative. Am Donnerstag dieser Woche nun, einem Dreizehnten, öffnet der 200-Millionen-Bau seine ungezählten automatischen Schiebetore. Und Chef Friedrich Dübendorfer schneidet zur Feier des Tages ein buntes Band entzwei. Doch eröffnet wird nicht das geplante wunderbare Freizeitparadies der unbegrenzten Möglichkeiten, sondern einfach ein knallharter Businesspalast: das «Einkaufszentrum Glatt». Auf 52 000 Quadratmetern Verkaufsfläche erhoffen sich die Detailgiganten Migros, Jelmoli und Globus sowie rund 70 weitere Ladenbesitzer das ganz grosse Geschäft. 4000 Parkplätze sollen die erwartete Blechlawine der Glatt-Kundschaft schlucken. Die gesamte Ladenfront, die auf drei Stockwerken um Kundengunst wirbt, entspricht dem Shoppingangebot an Zürichs renommierter Bahnhofstrasse. Von Begegnungszentrum keine Spur. «Glatt für alli»? Dabei hatte alles so verheissungsvoll begonnen. Am 18. August 1968 nahm die «AG Einkaufszentrum Glatt» (Migros, Jelmoli und Globus) den wohl bekanntesten Shoppingarchitekten, den Amerika-Wiener Victor Gruen (heute 72), unter Vertrag. Grundlage des Vertrags war Gruens Konzept eines «multifunktionalen Zentrums, das nicht als eine Einkaufsmaschine, sondern als Mehrzweckbau im Interesse der Öffentlichkeit gestaltet werden sollte. Vereinbartes Prinzip: es sollen «nur etwa 49 Prozent der verbauten Fläche für Verkaufszwecke» verwendet werden. Im Frühjahr 1972 freilich war es plötzlich aus mit dem Verständnis für ein glattes Glatt-Zentrum. Von den harten Rechnern der Branche auf Profitkurs getrimmt, wollten die Bauherren von einem Begegnungszentrum nichts


mehr wissen und wünschten statt der geplanten 49 Prozent einen Verkaufsflächenanteil von 77 Prozent. Als Gruen nicht spuren wollte und sich auf seine Verpflichtung gegenüber der Öffentlichkeit berief, wurde er glatt ausgebootet und durch den willigen Zürcher Kollegen Ernst Schwarzenbach ersetzt. Und als Gruen die Bauherrschaft wegen Vertragsbruchs auf Einstellung der Arbeiten einklagen wollte, blitzte er ab, weil das Züricher Obergericht eine Kaution von 500 000 Franken verlangte. Glatt Verwaltungsratspräsident Friedrich Dübendorfer heute: «Wir waren nur mit dem anfänglichen Grobkonzept von Gruen einverstanden.» Dagegen Architekt Gruen: «Ich wurde vertraglich für die Leitung des Projekts bis zu dessen Fertigstellung verantwortlich gemacht.» Und: «Womit wir in diesem Fall konfrontiert sind, ist der totale Sieg eines kurzfristigen Profitdenkens und die bedingungslose Niederlage des öffentlichen Verantwortungsbewusstseins.» Gruens Niederlage allerdings feiern die Glatt-Bosse heute als Triumph. Shopping-Direktor Günther Gruenhut begeistert: «Wir haben das vielfältigste Angebot der ganzen Schweiz. Von jeder Branche gibt es bei uns zwei Geschäfte, damit die Kundschaft wirklich wählen kann.» Feuer und Flamme für das neue Konsum-Mekka ist auch Wallisellens Gemeindepräsident Paul Remund, Inhaber einer Gärtnerei/Blumenhandlung und selber Ladenmieter im Einkaufszentrum: «Wir bekommen neue Einwohner und neue Steuerzahler.» Von den Verkaufsgeschäften – mit hohen Investitionsabschreibungen auf dem Steuerzettel – dürfte er indes in den ersten zwei, drei Jahren nicht allzu viel erwarten. Die «National Registerkassen AG» (NC R), deren Zentralverwaltung sämtliche 14 Etagen des angegliederten Bürohochhauses gemietet hat, füllt die Walliseller Gemeindekasse dagegen gut und gern mit einer halben Steuermillion im Jahr. Die Bewohner der Nachbarstadt Dübendorf (12 000 Einwohner) sehen dem

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Glatt-Zentrum skeptischer entgegen. Sie fürchten Verkehrsstauungen. Und dass das Einkaufszentrum ausgerechnet während des Baustopps aus dem Boden schoss, ist Dübendorfs Stadtschreiber Paul Rogenmoser noch heute ein Dorn im Auge: «Es war schmerzlich, dringend nötige öffentliche Bauten nicht verwirklichen zu können und zusehen zu müssen, wie nebenan dieser Tempel entsteht.» Jetzt steht der Tempel, und ab Donnerstag werden die zahlenden Konsumgläubigen erwartet. Doch einer hat sich damit noch nicht abgefunden. Vor zweieinhalb Wochen liess der kaltgestellte Glatt-Architekt Victor Gruen durch seinen Rechtsanwalt, Nationalrat Dr. Andreas Gerwig, klagen: Für seinen Rausschmiss fordert er 2,5 Millionen Franken Schadenersatz.


Werner Catrina: Schönheit der ZIEGELDÄCHER  74

Schönheit der ZIEGELDÄCHER «Wohlauf, lasst uns Ziegel formen und brennen!» Diese Worte, ausgerufen vor dem Bau des Turms zu Babel, stehen im Ersten Buch Moses. Sie sind einer der frühesten Beweise für die Verwendung von Ziegeln aus gebranntem 74 Werner Catrina: Schönheit der ZIEGELDÄCHER, Schweizer Familie 38/1975 12/13. Fotos: Walter Schmid.

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Ton. Seit Jahrtausenden schon sind Backsteine zur Erstellung von Mauern und Dächern ein unentbehrliches Baustoff. Heute, im Zeitalter der lieblosen, funktionalen Beton- und Glasarchitektur, wo das Flachdach weite Verbreitung gefunden hat, sind Ziegeldächer etwas seltener geworden. Umso wertvoller sind alte, baulich unversehrte Stadtkerne, wo das Ziegeldach in grosser Formenvielfalt die Szene beherrscht. Sattel-, Walm- oder Zeltdach nennt der Fachmann die verschiedenen Konstruktionen, Krüppelwalm-, Pult- und Schleppdach sind einige weitere Variationen, die vom Ideenreichtum früherer Häuserbauer zeugen. So gross die Vielfalt sein mag, die einheitliche Bedeckung mit Ziegeln schafft einen Zusammenhalt und eine Harmonie, die modernen Siedlungen oft abgeht. Unsere Bilder entstanden in süddeutschen Städtchen und Dörfern, wo Ziegeldächer vielerorts die Regel sind. Rundgänge durch diese Siedlungen offenbaren immer neue, faszinierende und anregende Ausblicke auf grosse und kleine Dachflächen, besonders dann, wenn man aus alten Wehrgängen in den ehemaligen Stadtmauern ins Dächergewirr schauen kann. Erker, Türmchen und Balkone sind meist mit Flachziegeln, auch «Biberschwanzziegel» genannt, eingedeckt. Genauso wie die vielgestaltigen Hausdächer. Diese jahrhundertealten Ziegel, von Hand in Formen gepresst und meist im Holzfeuer gebrannt, sind von vorzüglicher Qualität. Ziegel sind ein Naturprodukt und kommen erst nach Jahren oder gar Jahrzehnten völlig zur Ruhe. Beim «Abwittern» geht nicht selten der eine oder der andere zu Bruch. Hat ein Ziegel aber einige Jahrzehnte überstanden, so sind die Chancen gross, dass er auch in Zukunft hält. Die in Nuancen verschiedene Beschaffenheit der einzelnen Ziegel und die etwas unterschiedliche Brennzeit geben alten Dächern das lebhafte, gleichsam organisch wirkende Aussehen. Wie Schuppen sind die Flachziegel übereinandergelegt. Moos oder farbliche Veränderungen durch mikroskopisch kleine Pflanzen geben manchem Dach das Aussehen eines Fischleibs. Die weit heruntergezogenen Dachflügel und die kleinen Fenster, welche darunter hervorgucken, schaffen ein Gefühl der Geborgenheit. Jedes Haus ist ein Original, in Serie hat man nur die Ziegel fabriziert.


Spreitenbach – vom Bauerndorf zur Stadt

Rolf Meier,

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75 Rolf Meier, Spreitenbach – vom Bauerndorf zur Stadt, Kommentare zum Schweizerischen Schulwandbilderwerk, Bild 167, 1975.

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1958 schrieb der Ortsplaner: «Spreitenbach liegt im Spannungsfeld zweier Wirtschaftszentren. Keine andere Gemeinde besitzt so viel unüberbautes Land, gepaart mit gleich hoher Verkehrsgunst. In absehbarer Zeit werden sich die Agglomerationen Baden und Zürich in Spreitenbach berühren. Spreitenbach wird zur Nahtstelle der Mittelland- Bandstadt.» Gegen Ende der fünfziger Jahre setzte die bauliche Entwicklung ein – die Entwicklung vom Bauerndorf zur Stadt. Von der Kulturlandfläche des Jahres 1955 ging rund ein Drittel verloren, die Agglomeration wuchert ins freie Land. Am Dorfrand, zwischen Parkplätzen, Wohnvierteln und Baugruben, liegen noch ein paar Wiesen, doch die Bewirtschaftung ist zwischen Spalieren von Hochhäusern erschwert und auf die Dauer kaum mehr möglich. Auf dem freien Feld entstanden etappenweise Wohnviertel mit Blöcken, Parkplätzen, Grünflächen und Strassenschneisen, wie die auf der rechten Bildseite sichtbaren Überbauungen Rotzenbühl und Langäcker. Hunderte von Wohnungen sind entstanden – in Blöcken, in Hochhäusern, zum Teil in eigentlichen «Wohncontainern» oder Wohntürmen, einige davon liegen hart an der Durchgangsstrasse. Der Kran (im Bild rechts hinten) zeigt, dass das Bauen und Aneinanderreihen von Häusern noch nicht abgeschlossen ist. Mehr und mehr Äcker werden von der Betonkruste überzogen. Spreitenbach bildet keine Ausnahme. Nach Alfred A. Häsler («Wieviel Erde braucht der Mensch», 1974) wird in der Schweiz jede Sekunde ein Quadratmeter Erde unter Stein und Asphalt begraben. Das eigentliche Dorf (auf dem Bild nicht sichtbar, am Bildrand links oben abgeschnitten) verliert an Bedeutung und wird immer mehr von Neuüberbauungen umklammert. Am Dorfrand, im Übergangsgebiet zwischen den alten Bauern- und Bürgerhäusern und der «neuen» Welt. entsteht ein Gürtel kommunaler Bauten, der


mitwächst (Schulhäuser usw.). Spreitenbach ist vor allem durch das Einkaufszentrum (Shopping Center) bekannt geworden. Die Umsatzziffern zeugen von der grossen Anziehungskraft. Im Bild treten die riesigen Parkflächen und die zu- und wegführenden Strassen mehr hervor als das eigentliche Center mit seinen begrünten Dachflächen. Im Shopping Center wird sichtbar, dass Spreitenbach nicht nur Schlaf- und Satellitenstadt der übergeordneten Zentren werden will; die Gemeinde steht in Entwicklung zur Stadt und möchte regionale Aufgaben übernehmen. Für die entstehende Stadt sucht die Gemeinde ein Zentrum. Da das Shopping Center allein diese Aufgaben und Funktionen nicht übernehmen kann, wird gegenüber, nordöstlich der Landstrasse (im Bild rechts im Vordergrund), die Überbauung Pfadacker errichtet. Es handelt sich um den Tivoli-Komplex, der als Stadtzentrum angepriesen, in seiner ersten Bauetappe jedoch lediglich zu einem weiteren Handels-. Gewerbe und Dienstleistungszentrum führt mit zusätzlichen 25 000 m2 Verkaufsfläche. Ob hier über die reinen Konsumstätten hinaus je einmal eine City entsteht, ist heute ungewiss. […]

2 . 2 . B a u b o o m in S prei t enbach Von der Flucht der Städter aufs Land ist die Gemeinde Spreitenbach in besonders hohem Masse betroffen. Von den benachbarten Zentren Zürich und Baden setzte in den fünfziger Jahren ein starker Siedlungsdruck ein, denn Spreitenbach verfügt über eine hervorragende Verkehrslage und über grosse Landreserven. Durch den Nationalstrassenbau und durch die Errichtung eines grossen Rangierbahnhofs wurden Standortgunst und damit auch der Bauboom noch zusätzlich gefördert.

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B evölker u ngsen t wickl u ng S prei t en bachs 1850

669 Einwohner

1900

913 Einwohner

1950

1173 Einwohner

1960

1964 Einwohner

1970

6044 Einwohner

Von der Jahrhundertwende an waren lange Zeit immer etwa 1000 Einwohner ansässig. Zwischen 1960 und 1970 betrug der Zuwachs jedoch 207,7 %. Die eigentliche bauliche Entwicklung setzte ums Jahr 1955 ein. Zuerst baute man ein paar Wohnhäuser. Anfang der sechziger Jahre wurde der Wohnbau gefördert; im Gyrhaldenquartier entstand das erste Hochhaus, dem dann in den Überbauungen Rotzenbühl und Langäcker viele weitere folgten. Einige Richtplangebiete (zum Beispiel Gyrhalde und Rotzenbühl) sind heute zu 100 % überbaut. Zudem erschloss man Industriegebiete, um auch Arbeitsplätze anbieten zu können. Im Jahre 1970 wurde als vorläufiger Höhepunkt das Shopping Center eröffnet. Im Verlaufe der letzten 10 bis 15 Jahre haben sich unzählige Baumaschinen in Spreitenbachs Acker- und Wiesland hineingefressen, haben den gewachsenen Boden zerstört, verbaut und «versteinert». Mit dieser Entwicklung sind nicht alle zufrieden. Rolf Keller zum Beispiel bezeichnet Spreitenbach in seinem Buch «Bauen als Umweltzerstörung» als eine «zerbaute, zerschundene Landschaft» und gibt zu bedenken, dass auch Bauen – alles in allem und je länger, je mehr – zu einer eigentlichen Umweltzerstörung geworden ist. Er denkt wohl in erster Linie an die grossen und


anonymen Betonklötze, an die Fabrikhallen und Schuppen, die das Limmattal wie ein Riegel durchqueren. Dank finanzieller und technischer Mittel wurde in den letzten Jahren sehr rasch gebaut – die Siedlungen sind nicht allmählich gewachsen, sondern schnell, sprunghaft, zum Teil lawinenartig. Es entstanden Mischgebilde aus Planung und Spekulation. Der durchschnittliche Quadratmeterpreis stieg in Spreitenbachs Wohnzonen in den letzten 20 Jahren von Fr. 7,43 auf Fr. 148.– ; die prozentuale Bodenpreissteigerung beträgt seit 1952 rund 2000 %. Für die neu zu erschliessenden Siedlungsgebiete haben die Planer Formeln geschaffen, mit denen Hauptnutzungsarten zoniert und entsprechende Nutzungsziffern festgelegt wurden. Diese Ausnützungsziffern wurden in Spreitenbach oft erhöht, denn für Leistungen des Grundeigentümers, wie unentgeltliche Landabtretungen an Strassen, Einhaltung des Richtmodells, unterirdische Garagierung und Ähnliches, wurden Prämien in Form erhöhter Ausnützung oder reduzierter Gebühren ausgerichtet. 2.3. Wohnen in «Neu»-Spreitenbach Mit zunehmender Wohndichte verändern sich auch die Lebensformen, wechseln die Formen des Zusammenlebens. Die neuen Quartiere in Spreitenbach sind einigermassen locker, durchgrünt, mit Spielplätzen und Sammelgaragen versehen. Sie besitzen wohnhygienische Qualitäten, mit denen in der Stadt nicht mehr unbedingt zu rechnen ist. Dennoch müssen sich die neuen Wohnüberbauungen in letzter Zeit Kritik gefallen lassen, wobei die Kritik weniger von den Bewohnern selbst als von Beobachtern ausgeht, von Soziologen, Planern, Architekten. Kritisiert wird in erster Linie die mangelnde Durchmischung von Wohnund Arbeitsplätzen, von Einkaufs-, Dienstleistungs- und Vergnügungszentren. Viele Bewohner gehen in die Stadt zur Arbeit. Jeden Morgen um halb sieben beginnt der grosse Exodus der Pendler. Viele sind im Minimum 11 bis 12 Stunden von Spreitenbach abwesend. Wenn noch das Schlafen abgezogen

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wird, bleibt für die Pflege von Beziehungen in Spreitenbach nur wenig Zeit. Viele Bewohner haben dadurch kaum eine innere Beziehung zu ihrer Gemeinde. Die Architektur ist meistens zu eintönig, die Aussenräume sind keine Begegnungsräume, in denen «etwas läuft». Es fehlt der Abwechslungsreichtum der gewachsenen Stadt mit Entfaltungs- und Kontaktmöglichkeiten. Man fährt daher nicht nur zur Arbeit in die Stadt, man geht auch dorthin ins Kino, ins Theater – oder wenn man Leute treffen will. Zu Hause fühlen sich viele eingeengt, einerseits durch zu kleine Wohnräume, anderseits durch eine Hausordnung, die zu vieles verbietet («Bitte keine Haustiere» usw.). Viele wohnen nur «provisorisch» in Spreitenbach. Die durchschnittliche Mobilität der Bevölkerung ist hoch. In den neuen Quartieren leben vor allem junge Ehepaare mit kleinen Kindern. Da ein grosser Prozentsatz der Frauen berufstätig ist, ergeben sich Probleme in Bezug auf die Betreuung der Kinder. Auffallend ist auch der Ausländeranteil, nach der Eidgenössischen Volkszählung von 1970 betrug er 32,2 %. Diese Fakten sind bestimmt mitverantwortlich, dass die Gemeinde gegen zu geringes öffentliches Engagement und gegen politisches Desinteresse zu kämpfen hat. […]


Ohne Halt bis Betonville. Vom Schweizer Bauernhaus zum modernen Wohnsilo Wa lt e r B a u m a n n    7 6

76 Walter Baumann, Ohne Halt bis Betonville. Vom Schweizer Bauernhaus zum modernen Wohnsilo, SJW 1326, 1975.

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Tex t a u f der B u chrücksei t e : Ein Büchlein gegen den falschen Fortschritt, herausgegeben zum Jahr der Denkmalpflege und des Heimatschutzes. Vorgestellt werden in Text und Bild verschiedene Typen von Bauernhäusern und alte Stadthäuser. Aber auch Wohnblöcke und Einfamilienhäuser in modernen Siedlungen, die heute die alten Haustypen mehr und mehr verdrängen.

E inlei t u ng […] Von der Schweiz dürfen wir sagen, dass sie an landschaftlichen Schönheiten besonders reich sei. Nirgends ist ein so kleines Land so vielgestaltig wie das unsere. Und wer offene Augen hat, der sieht auch, dass die Dörfer und Städte, die in den so verschiedenen Landschaften liegen, selber ganz verschiedenartig sind. Forscher haben herausgefunden, dass sich die Siedlungen der Menschen auf wundervolle Art ihrer Umgebung angepasst haben. Wer also mit offenen Augen nach Augst im Baselland, nach Augwil im Kanton Zürich oder nach Augio im Kanton Graubünden kommt, wird sehen, dass das drei ganz verschiedene Welten sind. Und sie liegen doch nur wenige Stunden Bahn- oder Autofahrt auseinander. Dürfen wir auf diese schweizerische Vielfalt nicht stolz sein? Oder möchtet ihr lieber in einem Lande leben, in dem alle Dörfer und Städte gleich aussehen? Überall die gleichen breiten Strassen mit Verkehrslichtern an den Kreuzungen. überall moderne Flachdachhäuser aus Beton und Glas? Leider sind wir heute daran, aus unserem Lande eine riesige moderne Stadt zu machen. Sümpfe, wo die Frösche quaken, verschwinden. Gärten werden in Parkplätze verwandelt, krumme Gassen müssen gerade werden, und der Weg zur Schule wird von Tag zu Tag gefährlicher. Wie sieht das im Jahre 2000 aus? […]

M o derne W o hnsiedl u ngen am R ande der A rbei t szen t ren


Die Industrie hat nicht nur Wohlstand gebracht, sie hat auch Erzeugnisse geschaffen, von denen man früher kaum zu träumen wagte. Nur wer besonders reich war, konnte in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts ein Auto kaufen. Heute kann sich fast jede Familie einen Klein- oder Mittelklassewagen leisten. Durch die Verbreitung des Autos ist es vielen Menschen, die in der Stadt arbeiten, möglich geworden, auf dem Lande zu wohnen. Immer mehr Menschen wollten aus den verkehrsreichen Städten fliehen. Dadurch ist das Bauland rings um die grossen Arbeitszentren immer teurer geworden. So entstanden in letzter Zeit auch auf der Landschaft «Mietskasernen», ja ganze riesige Überbauungen, die heute richtige Vorstadtquartiere sind. Die Wohnungen in diesen Häusern sind zumeist recht schön und hell, aber am Äusseren der Häuser und an der Umgebung wird oft gespart. Um sich grosse Vorbereitungsarbeiten zu ersparen, haben sogar einzelne Unternehmer an den verschiedensten Orten der Schweiz Wohnblocksiedlungen aufgestellt, die sich so ähnlich sind, dass wir sie kaum mehr voneinander unterscheiden können. Einzelne Bauelemente wie Fenster, Türen, Treppenwände und ganze Hausteile werden sogar in der Fabrik hergestellt und fertig auf den Bauplatz gebracht. Mit den Preisen für das Bauland sind auch die Häuser, die darauf stehen, immer höher geworden. Oft wohnen Hunderte von Menschen in einem solchen Hochhaus. Trotz dieser vielen «Nachbarn» fühlen sich manche sehr einsam. Sie haben keinen Garten und keine Bäume vor dem Fenster, oft können sie kaum auf die Strasse und den Kinderspielplatz hinunterblicken. Mit dem Lift fahren sie direkt vor ihre Wohnungstür und haben nie Gelegenheit, ihre Nachbarn richtig kennenzulernen. Böse Zungen haben solche Häuser «Wohnsilos» genannt, weil sich die Menschen darin nicht mehr richtig zu Hause fühlen. Auf möglichst billige Weise werden sie darin über Nacht «aufbewahrt», damit sie am nächsten Morgen wieder zur Arbeit und zur Schule fahren können. Und da ist noch eine Sache, an die man bei Bau der vielen «Stadthäuser» auf der Landschaft nicht gedacht hat: Je mehr Menschen in der Stadt arbeiten und auf dem Land wohnen, umso mehr Autos und Strassen brauchen sie. Der Weg zum Arbeitsplatz wird damit immer mühsamer, und die schönen Orte,

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wo wir uns am Sonntag erholen möchten, verschwinden mehr und mehr. Eisenbetonhäuser in der ganzen Schweiz […] Eisenbeton hat für den Hausbesitzer, den Architekten und den Baumeister so viele Vorteile, dass diese Bauart die andern fast ganz verdrängt. In den letzten zwanzig Jahren sind überall in unserem Land riesige Eisenbetonhäuser entstanden, manchmal so hohe «Wolkenkratzer», dass uns der Kirchturm daneben ganz klein vorkommt. Natürlich passt diese neue Bauart nicht überall. Ganze schöne Häuserzeilen sind durch einzelne moderne, aber lieblose Häuser verunziert worden. Ist es nicht schade, dass oft alte, gemütliche Häuser abgebrochen werden, nur weil ein neues Eisenbetonhaus billiger zu stehen kommt? Natürlich gibt es auch alte Gebäude, die nie schön waren. Aber jene Häuser, Dorfwinkel und Häuserzeilen, die vor Jahrzehnten und Jahrhunderten von begabten Handwerkern errichtet wurden, sollte man stehen lassen und, wenn es nötig wird, reparieren und renovieren. Wenn wir nicht aufpassen, so ist in wenigen Jahrzehnten die ganze Vielfalt der schönen alten Häuser verschwunden. Dann gibt es keine Riegelhäuser, keine Erkerhäuser und keine Dreisässenhäuser mehr. Dann ist die Schweiz eine einzige grosse Betonstadt geworden und all das, was früher in vielen Jahrhunderten mit viel Können und Liebe gebaut wurde, können wir nur noch in Bilderbüchern bewundern. Wollen wir das? Natürlich dürfen wir unsere Städte und Dörfer nicht in Museen verwandeln. Auch Neues und Modernes muss in unserem Lande Platz finden und gedeihen können.


Hier fällt ein Haus, dort steht ein Kran und ewig droht der Baggerzahn, oder: Die Veränderung der Stadt J ö r g M ü l l e r ,    7 7

77 Jörg Müller, Hier fällt ein Haus, dort steht ein Kran und ewig droht der Baggerzahn, oder: Die Veränderung der Stadt, Sauerländer Verlag, Aarau 1976, Vorspann.

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Nach der Bildermappe «Presslufthammer» (Alle Jahre wieder saust der Presslufthammer nieder oder Die Veränderung der Landschaft) legen wir als logische und notwendige Ergänzung die Bildermappe «Baggerzahn» (Hier fällt ein Haus, dort steht ein Kran und ewig droht der Baggerzahn oder Die Veränderung der Stadt) vor. Die Bildermappe «Presslufthammer» hat da und dort Beifall von der falschen Seite bekommen und ist wissenschaftlich missbraucht worden. So hat der Professor einer kanadischen Universität den «Presslufthammer» als Muster guter Landschaftsplanung vorgestellt. Dass er sich damit dem Hohngelächter seiner Studenten ausgesetzt hat, lässt hoffen. Wir lassen uns nicht von Sozialromantikern, Denkmalschützern, Nostalgikern vereinnahmen. Wütend und hoffend haben wir mehr als zwei Jahre an der Bildermappe «Baggerzahn» gearbeitet. Wut auf das, was wir bei Ämtern, Behörden, bei privater «Bauherrlichkeit» erleben und sehen mussten, Hoffnung auf die Kinder und Jugendlichen, für die wir gearbeitet haben. Ist-Zustände wollen wir aufzeigen, um Soll-Zustände denkbar zu machen.


Wir meinen, dass es unerlässlich ist, die Vergangenheit der Zukunft aufzuarbeiten. Darum haben wir den vorliegenden Versuch gemacht. Möglichst objektiv die Veränderung des Lebensraumes durch blosses Aufzeigen zu interpretieren, hat uns oft gezwungen, dokumentierte Darstellungen in ihrer Aussage abzuschwächen, weil diese Wirklichkeiten zu polemisch gewirkt und damit unserer Absicht widersprochen hätten. In unsere Arbeitszeit fiel das Denkmalschutzjahr, eine Angelegenheit, die zunächst zynisch und pervers erscheinen muss, in einer Gesellschaft, die kaum Anspruch auf Gestaltung und Schönheit ihrer Umwelt stellt. Wie glaubwürdig ist eine Gesellschaft, die in alibistischer Haltung das Denkmalschutzjahr schokoladeseitig zum Fassadenschutzjahr macht – oder gar mit der Aufpäppelung drittklassiger Bauten neue Möglichkeiten des Bauens unmöglich macht? Wir halten es da mit dem Kunsthistoriker Dehio, den nicht einmal blaublumige Nostalgiker für einen rasenden Revoluzzer nehmen. Im Gegenteil. Auch beflissene Bildungsbürger begeben sich mit dem Dehio unter dem Arm auf die Suche nach gebauten Herrlichkeiten verlorener Zeit. Dehio also warnt davor, «ein Denkmal indirekt zu zerstören: Durch Missklänge in seiner Umgebung». Denkmalschutz sei ohne Beschränkung nicht möglich. Und er fährt fort: «Das ist es, weshalb ich den Denkmalschutz sozialistisch nenne.» Vor 70 Jahren hat Dehio das gesagt. Wer uns jetzt wohl «Sozialisten» schimpfen mag? Deutschlands Innenminister Maihofer erklärte, dass die Bagger in den vergangenen 30 Jahren mehr als die Bomben im letzten Krieg zerstört hätten. Schweizer Stadtbilder, sagt der Zürcher Professor Knoepfli, seien nicht durch Bomben zerstört worden, sondern durch «kalte Feuergarben des Wirtschaftswunders». Situationen, die allerorts übertragbar sind. Die Veränderung der Stadt. Wohnen heisst Zusammenleben. Keiner wohnt für sich allein. Lebt man in Städten? Lebt man nicht eher in Nachbarschaften, in meiner Strasse, in meinem Viertel? Auch durch Wohnen identifiziert sich der Bürger mit seiner Stadt. Wo und wie wird in Städten noch gewohnt, wenn man weiss, dass auf einen echten Bewohner heute schon 20 Stadtbenützer kommen? Weil profitorientiert ganze Strassenzüge abgehobelt

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werden, nutzungsplanerisch am Bürger vorbeigebaut wird, Kindern weniger Spielraum als Autos Parkplatzraum zur Verfügung steht? Wer lässt das zu? Wir, die Bürger dieser oder jener Stadt? Ist Städtebau gebaute Politik? Schuppen, Bunker, Silo, Legebatterie – diese umgangssprachlichen Begriffe beschreiben treffend bittere Wohn- und Lebens-Wirklichkeiten, wenn Hausbau nur noch die Erstellung von wasserdichten vier Wänden bedeutet. Warum werden Bauchbarkeit und Ästhetik als unvereinbare Gegensätze gesehen? Organisiert Gebautes nur Handlungen und Abläufe wie: zur Arbeit fahren, zum Einkaufen gehen, schlafen? Bedeutet das nicht umfassend Lebensraum, und gehört dazu nicht Freude, Genuss? Wer sind, wer sollen die Nutzniesser sein? Das sind einige der Fragen, die uns bei unserer Arbeit zu beschäftigen hatten. Um die Veränderungen der Stadt möglichst umfassend darzustellen, mussten wir von einem gerafft-vielseitigen Stadtbild ausgehen. Um aus Altstadt, Neustadt, Schrebergarten, Hof, Bach usw. eine einzige Stadtansicht zusammenzufügen, hatten wir eine umfangreiche Dokumentation zu erstellen. So haben wir z. B. in Frankfurt, Hannover, Zürich, Biel usw. etwa 800 Diapositive gemacht, in Stadtarchiven, Zeitschriften, Jahrbüchern, Fotobänden usw. Zeitgenössisches gesammelt, um den in der Bildermappe abgedeckten Zeitraum von rund 20 Jahren möglichst lückenlos und genau zu dokumentieren. Wie genau und prägend mit allen Schichten ihres Bewusstseins gerade Kinder ihre Umwelt aufnehmen, haben wir bei unserer Arbeit immer bedacht. Deshalb haben wir versucht, Identifikationsmöglichkeiten zu bieten, die nicht nur Erklärungen geben, Situationen aufzeigen, sondern auch immer den Spass am Anschauen und Entdecken erhalten sollen. Jörg Müller Heinz Ledergerber


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