IMPRESSUM Herausgeber: Verein delirium Bremgartnerstr. 80 8003 Zürich Redaktion: Fabian Schwitter Laura Basso Samuel Prenner Daniel Grohé Dominik Holzer Cédric Weidmann Esther Laurencikova Layout: Mauro Schönenberger, Flurin von Salis www.captns.ch Illustration: Laura Grubenmann www.laura.grubenmann.tumblr.com Fotografie Cover: Pius Bacher www.piusbacher.com Auflage: 500 Druck: Basisdruck AG Schulweg 6 3013 Bern Kontakt: www.delirium-magazin.ch www.deliriummagazin.wordpress.com info@delirium-magazin.ch facebook.com/Magazindelirium Abo: Gönnerabo: 30.– pro Jahr IBAN: CH92 0900 0000 3079 0665 7 Beitragende: Laura Basso Yunus Ersoy Sebastien Fanzun Albrecht Füller Jens-Philipp Gründler Andreas Hauri Dominik Holzer Ariel Hondeg Esther Laurencikova René Oberholzer Samuel Prenner Bettina Rychener Fabian Schwitter Christoph Simon Raul Sobasa Luca Thanei Cédric Weidmann
Editorial
Editorial Der Aufstieg von delirium in den bisherigen zwei Jahren war steil: Auf den folgenden Seiten findest du seinen drohenden Untergang. Es knarrt ein wenig gelenkig, wenn man die Seiten blättert, wie wenn man den Kopf einer Hauskatze weit in den Nacken zieht, oder wie die geblakte Diele im Estrich. Wenn «grenzwertig» ein schönes Wort wäre, könnte man es auf jeden dieser Beiträge münzen, aber es ist kein schönes Wort: Die Beiträge sind schöner. Sie ufern aus, wo sich «neue Ufer» nicht einmal delirium auf die Fahne schreiben wollte. Die Kritiken sind vernichtend und schreien nach weiterer Vernichtung, vielleicht der eigenen. Die Redaktion, dieses zutrauliche Knäuel, hat sich über die Eingaben zerstritten. Keines der Ziele, die sich delirium auferlegt, wurde erreicht – oder gerade noch so, wie man ein Kind aus den brennenden Trümmern eines Hauses erreicht, dessen Haut sich von den Beckenknochen schält, und es ist dann doch nur dasjenige des Nachbarn. Doch etwas scheint als galgenhafter Giebel zusammenzuhalten, was so in alle Richtungen zerrt. Der delirische Zustand ist allen Texten gemeinsam, weil sie sich ihrer Umständlichkeit, wie einer, der in der Nacht aufsteht, um zu husten, verliebt fügen: Schlächterischer Blutrausch und die Dostojewski-Hitze der Dachwohnung, Schwindel vor seiner eigenen Intellektualität, Drogen, der «literarische Rausch» und die unberuhigte Lage, aus der sich das Gedicht verabschiedet, machen uns wehrloser als üblich. – Auch das ist, wie in ein Zimmer gesperrt sein, die Hände verbunden und täglich geschlagen werden, häusliche Gewalt. Wir bitten nicht um Rücksicht, wir bitten nicht um Verständnis. Wir bitten nicht darum, gelesen zu werden. Wir trauen uns nicht zu bitten. Das Haus delirium (manchen Wendungen wird grosses Vertrauen entgegengebracht) ist ein wenig unheimlich geworden. CÉDRIC WEIDMANN
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Neun gute Gründe, zu werden: Gönner von 1. Wir sind jung und brauchen das Geld. 2. Du unterstützt damit junge Literatur. 3. Du unterstützt damit die Auseinander setzung mit junger Literatur. 4. Du machst uns glücklich. 5. Dank dir haben wir mehr Zeit (und Geld) uns um die wirklich wichtigen Dinge im Heft zu kümmern. 6. Wir sind nicht besser, aber ein bisschen schöner als alle anderen. 7. Du bekommst eine handgemachte Dankes karte von der Redaktion. 8. Du bekommst bei der nächsten Vernissage eine Umarmung von Fabian dem Schwipster. 9. Wir schliessen dich in unser wöchentlich stattfindendes Redaktionsgebet ein. Gönnerabo: 30.– pro Jahr IBAN: CH92 0900 0000 3079 0665 7
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L I T E R AT U R / K R I T I K
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Umbruch
Brief an Raul Sobasa
CHRISTOPH SIMON
REINREDEN
36 Humorlos: Handlungsarme Unverständlichkeit
ARIEL HONDEG
8 Nichts Neues im Osten, sprach der Westler ALBRECHT FÜLLER
FABIAN SCHWITTER
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Über Windmühlenimperien
Etwas, das passiert ist
RAUL SOBASA
12 Die Welt ist eine bösartige Maschine
Inhaltsverzeichnis
JENS-PHILIPP GRÜNDLER
30, 32
16 Zum ausgebliebenen literarischen Rausch
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Vorzeitiges Ende Blindes Vertrauen RENÉ OBERHOLZER
YUNUS ERSOY
ESTHER LAURENCIKOVA
Zwei Häufchen LAURA BASSO CÉDRIC WEIDMANN SAMUEL PRENNER
39 Das Unbehagen in der Natur (1)
Getretener Quark wird breit, nicht stark
LUCA THANEI
ANDREAS HAURI
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Über Schwindel SEBASTIEN FANZUN
Die Besserwisser ALBRECHT FÜLLER FABIAN SCHWITTER
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V E R A N S TA LT U NG E N
Gegen Geschwafel LAURA BASSO
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DOMINIK HOLZER
Veranstaltungen im Karl
deliriumkalender
44 Analog browsen bei Karl BETTINA RYCHENER
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CHRISTOPH SIMON
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in e r ih n a m il e w t h ic N … n e s s o t s e g r h O s in r e s Mes h c o n e d r ü w r e h c u a hat t e – , n e b le r e s e h c li s s genug Hä er, h ic s r d n a s k le A h ic s da war s e h c li s s ä H n e s s ü wir alle m l a it p S im lt e b a k r e v , erleben d n e p p a n h c s t f u L oder nach r e d o n e k c e b r e m im w im Sch im e b d n e p ip k l h u t S vom d n ie e r h c s r e d o n e Fenst erputz s a d d n u , o t u A n e d n im brenne … l a s k ic h c S r e s n u t is KRITIK
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ALBRECHT FÜLLER 4
Literatur
LITERATUR
Umbruch In jenem Sommer hatte Aleksandr, ein Studienabbrecher, der auf einen Einfall für ein Drehbuch und etwas Glück hoffte, eine Mansarde draussen in Dnipro gemietet, das heisst: die Ecke der Mansarde. In der anderen Ecke hielt die Vermieterfamilie ein paar Schachteln Gerümpel, und in einer dritten Ecke hauste ein Wellensittich mit Namen Shevchenko im silbrigen Käfig. Manchmal in der Nacht machte der Wellensittich Radau, und Aleksandr klingelte bei den Vermietern unten, damit sie nachsähen, was mit Shevchenko los sei. Herr Fedak meinte dann, der Mond treibe sein Unwesen. In seiner Ecke der Mansarde stellte Aleksandr seinen Computer auf den Tisch und legte eine 90-Zentimeter-Matratze auf den Bastteppich. Und zu dieser Matratze kehrte er nachts aus der Stadt zurück, im Laufschritt von der U-Bahn zum dreistöckigen Häuschen zwischen Hochhäusern und Plattensiedlungen, in dem die Fedaks, die Vakhovskas und die Grigorenkos wohnten und die Data Aktiengesellschaft ein Materialbüro unterhielt. In dieser Gegend lauerten durchaus Gefahren auf einen unbewaffneten Menschen, jede fünfte Laterne brannte nicht. Später ist dann ja auch seine Vermieterin, Frau Fedak, hier umgekommen. Aleksandr gefiel das Mansardenleben. Auch wenn Herr Fedak unangemeldet und angesäuselt in die Mansarde zu stolpern pflegte, um Shevchenko zu füttern oder in einer der Kisten nach der Sowjetunion zu suchen. Er rumpelte und lärmte, um dem Untermieter zu zeigen, dass er der Boss war. Herr Fedak hatte oft genug gehört, dass junge Männer keinen Respekt Literatur
vor fremdem Besitz hätten, und er wollte der Gefahr ins Auge sehen. Aleksandr störte sich nicht daran, im Gegenteil, Herrn Fedaks Verhalten beflügelte seine Ideen für ein wehmütigromantisches Drehbuch. Herr Fedak, frühpensioniert, hatte sein Leben lang für den Staat einen Gabelstapler gefahren. Die sanfte Frau Fedak bekam ständig zu hören: «Gib mir dies!», «hol mir das!» und «schau mal zu dem!». Wenn Herr Fedak bei Mascha w zakone einschlief, lag sein Kopf an Frau Fedaks Schulter. So idyllisch verlief das Leben. Manchmal drangen die Vermieter zu zweit in sein Dasein ein, zum Beispiel als Herr Fedak, den ein künstliches Kniegelenk plagte, Frau Fedak unter das Lavabo Aleksandrs schickte – sie sollte den verstopften Abfluss entstopfen. Der protestierende Aleksandr – der Abfluss war nicht verstopft – guckte gemeinsam mit Herrn Fedak zu, wie Frau Fedak einen Plastikeimer unter das Lavabo stellte, sich hinkniete und den Siphon aufschraubte. Er sieht noch heute vor sich, wie Frau Fedak mit den Händen ein paar lächerliche Haare herausklaubte und wie Herr Fedak hinter seiner Frau stand und sich Sorgen um sein Heim machte. Mit Frau Fedak hatte er in diesem Sommer nur ein einziges Mal in persönlicher Sache gesprochen, als er sie bat, sie in den Hidropark begleiten zu dürfen. Herr Fedak hatte ihm auf einem seiner Kontrollgänge erzählt, dass seine Frau Kiev in Miniatur anschauen wolle, und Aleksandr fand die Vorstellung reizvoll, an einem ansonsten wenig versprechenden Sonntag mit der stillen Frau Fedak gemeinsam die Perspektive auf die Stadt zu wechseln. Aber er ging nicht in den Park, und schuld daran war Frau Fedak. Er hatte sie gebeten, ihn früh um neun zu wecken. Das tat sie auch, sie klopfte an die Tür der Mansarde, er rief: «Einen Moment, Frau Fedak!», zog sich an und trank ein Glas Orangensaft, änderte ein paar Worte in einem Skript, bevor er den Computer herunterfuhr, und als er rauskam, war Frau Fedak nicht mehr da, nicht vor der Tür und auch nicht in ihrer Wohnung. Herr Fedak, der auf sein Klingeln an der Tür erschien, meinte, seine Frau sei längst auf dem Bus. Wenn sie zurückkomme, würde er ihr ins Gewissen reden, versprach er. Warum sie nicht gewartet habe, der Untermieter habe bei ihm geklingelt. Aleksandr empfand selten Mitleid. Weder Drogensüchtige noch zahnlose Strassengeiger
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noch alte Krüppel vor einer Rolltreppe konnten sein Mitleid wecken. Ihm kam es immer so vor, als zögen diese Leute sich, nachdem sie kurz in der Öffentlichkeit aufgetaucht waren, wieder in ihr eigenes Leben zurück, setzten sich in irgendeinem Loch vor den Fernseher und kühlten sich mit einer Dose Bier ab, lebten also genauso wie alle anderen Leute, mit kleinen Abweichungen. Nein, ihm tat so gut wie niemand leid. Doch den Gedanken an Frau Fedak wurde er bis heute nicht los. Nicht weil man ihr ein Messer ins Ohr gestossen hatte – auch er würde noch genug Hässliches erleben, da war sich Aleksandr sicher, wir alle müssen Hässliches erleben, verkabelt im Spital oder nach Luft schnappend im Schwimmerbecken oder vom Stuhl kippend beim Fensterputzen oder schreiend im brennenden Auto, und das ist unser Schicksal. Aber er muss immer dran denken, wie Frau Fedak vor der Mansarde auf und ab gegangen war, wie sie resignierend in den Lift gestiegen und zum Bus gehastet war, um einen einsamen Ausflug in den Hidropark zu unternehmen. Frau Fedak wurde im Herbst tot aufgefunden. Aleksandr war im Dezember kurz zurückgekommen, um ein Buch der Bibliothek zu suchen, das er in seiner neuen Wohnung nicht finden konnte und vielleicht in der Mansarde zurückgelassen hatte. Die Jüngste der Grigorenkos erzählte ihm gleich, dass Frau Fedak erstochen worden sei. Im Haus hatte man sich immer vor Einbrechern gefürchtet (im Keller waren schon Schlösser aufgebrochen, eingelegtes Gemüse und Vakhovskas Snowboards gestohlen worden), trotzdem hatte niemand einen Hund. Das hatte verhängnisvolle Folgen, denn Frau Fedak wurde direkt hinter dem Haus in den Himbeersträuchern ermordet, und hätten die Fedaks oder die Grigorenkos einen Hund gehabt, dann wäre das vielleicht nicht so leicht passiert. genutzt. Herr Fedak zog in ein betreutes Heim in der Nähe der Tochter in Charkiv. Shevchenko fand eine neue Heimat bei Data im Erdgeschoss, wo er noch ein bisschen Radau machte, bevor er kurze Zeit später die Federn verlor und starb. CHRISTOPH SIMON
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Literatur
Die Monate in der Mansarde waren Aleksandrs Chance gewesen, und er hatte sie nicht
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Nichts Neues im Osten, sprach der Westler
im Satz wechselt er die Erzählperspektive, das Subjekt und die Zeitform. Plötzlich drängt er sich im Konjunktiv orakelnd als Autor, der über diesen anderen Autor Bescheid weiss, selbst im Text nach vorne, beschwört ein ‹wir› und wird damit pathetisch. Aus Vergangenheit wird Präsens, und er schiebt die Vergangenheit unnötig ins Plusquamperfekt.»
Eine Geschichte um teilweise Schuld und keinerlei Sühne.
Ich guckte zu Offro. Ich wollte protestieren, aber es
Die Anordnung zwingt mir Dostojewski auf: ein junger Mann,
gelang mir nicht. Er hatte Recht, darin lag eine gewisse
ein erfolgloser Student; eine Vermieterin, die stirbt; die Fra-
Schlampigkeit.
ge von Schuld. Stilistisch gesellt sich ein Quäntchen überbor-
Offro fuhr fort. «Ich habe als Schüler auch solche
dende Sprachlichkeit dazu. Selbstverständlich bleibt das nur
Bauchaufsätze geschrieben. Weisst du, was mein Lehrer
vage Imitatio, Hauch von Original, oder böser: Der Text lebt
gesagt hat?» «Was?»
überhaupt dank der Assoziation. Klar können eineinhalb Sei-
« ‹Ich unterstütze, dass Sie sich austoben, aber Sie
ten nicht mit dem Original verglichen werden. Aber es muss
werden einsehen, dass ich Ihnen dafür nicht mehr als
ja nicht zwingend monumental sein.
eine 3.75 geben kann.› – Knapp ungenügend.»
Ich erinnere mich an den Dostojewskitext von Sorokin in «Der himmelblaue Speck» in diesem Kontext: ein Klontext,
«Literatur wird nicht benotet.»
der sein eigenes Derivat hervorbringt. Geschrieben von einem
«Schüleraufsätze aber schon.»
aus einer der drei oder vier Titten rinnt. Der raffinierte Stoff
Der Text spielt in der Ukraine, in Kiew. Dnipro ist ein Stadt-
bringt später dann Stalins Hirn so weit zum Schwellen, dass
teil in Kiew. Sowas findet man ja dank Internet heutzutage
es das Universum zerstört.
schnell heraus. «Mascha w zakone» ist die ukrainische Va-
«Putain. Warum spielt der Text überhaupt in der
Wellensittich «Shevchenko» heisst nach dem ukrainischen
Ukraine?»
Fussballspieler, der für Dynamo Kiew, AC Milan und Chel-
riante der deutschen Anwaltsserie «Danni Lowinski». Der
Ich unterbrach mein Schreiben und blickte auf.
sea gespielt hat. Der Name «Fedak» scheint ohne erkennba-
Mein Kumpel Offro Grigorjewitsch Kynokephal sass
ren Hintergrund gewählt. Eine Swiss Fund Data AG existiert,
mir gegenüber. Er steckte sich noch eine Zigarette an
muss hier aber nicht zwingend gemeint sein. Das behandeln
und blätterte weiter in seinem Fussballmagazin, ohne
wir neutral.
Interesse. Wir sassen in der Garage, wo wir uns wöchent-
Grigorenko ist ein häufiger ukrainischer Nachname,
lich trafen.
könnte aber auch auf mehrere Eishockeyspieler verweisen (da
«Vermutlich weil man hier in der Schweiz alte Damen
wir schon einen Fussballer haben) oder auch auf Piotr Grigo-
nicht einfach so umbringt?»
renko, sowjetischer Dissident, der sich auch für eine Autono-
«Die Barbaren im Osten also wieder einmal...» Er
mie der Krim stark gemacht hat. Vakhovska zuletzt wird wohl
rümpfte die Nase. Er war halber Russe. Er hatte von Li-
der Name der Übersetzerin Christoph Simons ins Ukraini-
teratur keine Ahnung. Er hatte den Text von Christoph
sche sein, Projektkoordinatorin der Rosa-Luxemburgstiftung
Simon gelesen, überflogen mehr, geringschätzig auf den
in Kiew.
Tisch geworfen mit den Worten ‹Schüleraufsatz› und
Der Text ist von einem Schweizer geschrieben («Lava-
sich seinem Magazin gewidmet.
bo» anstatt «Waschbecken»), handelt aber von einem ukraini-
Ich wusste nichts damit anzufangen.
schen Studenten, bzw. Studienabbrecher, namens Aleksandr.
«Warum eigentlich ein Schüleraufsatz?», bohrte ich «Und ich mag den Autor nicht.»
nach.
«Du kennst ihn doch gar nicht.»
Er nahm den Text wieder in die Hand und las die
«Nicht den Autor des Textes», grummelte Offro,
Stellen vor und kommentierte. «Hier... ‹protestierend
«sondern diesen Aleksandr, Putain.»
guckt er› – das ist doch keine Formulierung. Da entsteht einfach kein sinnvolles Bild, Protestieren und Gu-
«Ach so. Ja. Er ist schon eine Nilpe.»
cken zugleich, pft... und hier, hör mal –» Er blätterte um,
«Er lässt die Frau so lange warten, bis sie alleine geht.
las vor. Er räusperte sich und kommentierte: «Mitten
Dann beklagt er sich noch bei ihrem Mann. So einem
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Kritik
Klon Dostojewskis, einem bärtigen Zwerg, dem es himmelblau
gehört eins links und rechts geschmiert. Und ist dir auf-
Er drückte die Zigarette aus und nahm die Wodka-
gefallen, dass es ihn keinen Deut schert, dass die Alte
flasche mit.
stirbt? Sie stirbt im Herbst und es geht an ihm vorbei. Er merkt es erst im Winter, weil er zufällig dort ist. Das
Offro Grigorjewitsch trat auf die Strasse, blickte sich um
heisst, er hat sich nicht gewundert, dass sie am selben
und zog dann den Mantelaufschlag hoch. Seine Schuhe
Tag nicht zurückgekehrt ist. Auch am folgenden Tag
traten in den frisch gefallenen Schnee. War der Wech-
nicht. Irgendwann zieht er aus, es kümmert ihn nicht,
sel zwischen den Erzählperspektiven denn so schwierig?
wo seine Vermieterin ist. Er fragt nicht nach. Was für
Wer mochte das schon sagen... Kritisieren war einfach.
eine Art Mensch ist das?»
Es besser zu machen, gelang einem ja dann doch nicht.
«So habe ich das gar nicht betrachtet.»
Aber musste es die Kritik denn besser machen? Selbst
«Weil du dich ja auch nur fürs Literarische
wenn sie könnte: Wozu solche Fingerübungen? «Kritik
interessierst.»
gehört zur Öffentlichkeit. Wer sich ausstellt, darf sich
Jeder Text, der von einem Autor handelt, birgt in sich die Ge-
er, während er weiterstapfte.
nicht wundern, wenn er vorgeführt wird...», murmelte Ein toter Vogel lag vor Kynokephal auf der Strasse.
fahr, auf den Autor zurückzufallen. Die Frage also: Wie will
Ihm wurde schlecht und er musste tief einatmen. Die
man als Autor einen Autor als Gestalt gestalten?
kalte Winterluft schnitt in seine Lungen, peitschte ihn
Christoph Simon ist der Autor jenes Autors namens Alexandr, der Drehbücher schreiben möchte und seine Vermieter
in seinem Innern. Er warf die Wodkaflasche weg und
als Inspiration nimmt, und dieser Text hier handelt von eben-
schlug sich fest mit der Faust gegen die Brust. «Putain, russische Muttererde...», murmelte er, und
jenem Text. Wer hat ihn geschrieben? Da muss ich wohl «ich»
er fiel vor dem Vogel auf die Knie. Als ob ein sibirischer
Kritik
sagen. Oder schreiben. Ist das verwirrend? Nein, eigentlich nicht im Geringsten.
Bär stürbe, als ob sich Tier vor Tier verneigte... sein fur-
Nimmt ein Autor als Protagonisten einen Autor, ist der
chiges Gesicht war auf den Vogel gerichtet, die Trä-
erste Verdacht: typisch. Es gibt eine Vielzahl von Texten über
nen rannen ihm in den Bart und gefroren zu trüben
Autoren. Manche sind autobiographisch, bzw. geben sich
Kristallen.
autobiographisch. Ich sass weiter in der Garage und dachte über Offros «Und dann diese abschätzige Haltung, die unter dem
Worte nach.
Text liegt... Versteckte Verachtung. Herr Fedak, kon-
Ich fand das dem Text gegenüber nicht gerecht. Es
servativer Gabelstaplerfahrer, alter Arbeiterschlag, der
war eine Geschichte mit ihren eigenen kleinen Feinhei-
Vorurteile gegenüber der Jugend hat und in Kisten nach
ten. Ein Spiel mit Klischees und Vorbildern, das der Au-
der Sowjetunion sucht... ernsthaft? Überall Gewalt und
tor spielte, während sein Protagonist – selbst auch Autor
stumpfe Menschen, die sich gegenseitig quälen, das ist
– in seinem eigenen Leben keine Rolle spielte.
dieses westliche Bild vom Osten, das ihr euch immer macht. Putain.»
Da knüpfen sich Fragen von Schuld, Verantwortung, von Be-
«Zieh mich da nicht mit rein.»
teiligung und Gleichgültigkeit an, die en passant gestellt wer-
«Nur weil du mal ein bisschen in Moskau gewohnt
den, indem sie eben nicht gestellt werden: Nur wir als Leser
hast, bist du als Westler noch lange nicht fähig, das zu
stellen sie uns. Die Banalität der Grausamkeit, der man nicht
verstehen, geschweige denn zu beurteilen.»
habhaft werden kann.
«Gut. Sonst noch was?»
Denn der junge Autor ist eigentlich mit seiner Vermiete-
«Ja, hier... ‹hätten sie einen Hund gehabt, wäre das
rin verabredet, verschuldet ihr Gehen, wofür er sich, laut den
nicht so leicht passiert› – was soll dieser Brunz? Mit ei-
Worten des Vermieters, nicht schuldig fühlen soll. Er kriegt es
nem Hund wäre es also schwer passiert? Will er mich be-
nicht einmal mit, er ist dort und doch nicht dort. Er ist kein
lehren? Das ist seine Folgerung: Schaff dir einen Hund
Zeuge, obwohl er massgeblich in der Kette der Ereignisse steht.
an? Und was hätte ein Hund verändert? So ein Schwach-
Eine quasiexistentialistische Folge, die vorführt, wie alle doch
sinn. Wäre das Messer ins Ohr der Alten etwa mühsamer
eigentlich Gefangene ihrer selbst sind, so wie der Vogel – und
eingedrungen, wenn irgendwo eine Töle gekläfft hätte?»
zuletzt der Tod auf sie wartet, wie auf den Vogel. Jetzt könnte
Offro schüttelte den Kopf. «Das ist mir zu dumm. Ich
man diese Walze von Assoziationen noch in einen Zusammen-
gehe jetzt.»
hang mit der politischen Krise in der Ukraine stellen und in
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dem machtlosen Blick desjenigen, der nicht sehen kann, weil es gerade nicht passt, einen Verweis auf die westliche Haltung der Boulevardmedien entdecken, diese Spirale von unschuldig schuldig sein, von unbeteiligter Beteiligung usw. Aber irgendwie fühlte sich das nicht richtig an. Ich konnte den Text nicht mehr ansehen, ohne an die Worte Offros zu denken. Ohne die Unzulänglichkeiten wie rot unterstrichen hervortreten zu sehen. Seine Worte hatten den Text zerstört. Es ging doch nicht um Grammatik, sondern um Literatur. «Kritik sollte nicht urteilen, sondern einen Dialog eröffnen», murmelte ich alleine vor mich hin. Ich befürchtete, dass die Kritik länger als der Text werden würde.
Kritik
ALBRECHT FÜLLER
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JENS-PHILIPP GRÜNDLER
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Literatur
LITERATUR
…Aus dem e i t s e B r e d l Mau e u a l b n e h kroc n o v e s b e r K … e s s ö r g n e t a Obl
KRITIK
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YUNUS ERSOY 11
Die Welt ist eine bösartige Maschine «Die Welt ist eine bösartige Maschine», rief Georg und riss sich das Amulett von der Brust. Vor ihm erhob sich ein siebenköpfiger Drache, dessen rote Haut im Feuer glühte. Von Georgs Medaillon gingen helle Strahlen aus, als er es vorsichtig auf seiner Handinnenfläche balancierte. Auch entledigte Georg sich seines weissen Rüschenhemdes, und auf seinem Rücken zeigte sich dasselbe Muster wie auf dem Medaillon: zwei mal zwei gleichseitige, um ein Zentrum angeordnete Trigone, umgrenzt von einem faustgrossen Kreis. Die Bestie kämpfte um ihr Leben, schnappte nach Georg und hieb ihre blutigen Fänge in den Nacken des Kriegers. Georg blutete stark, und doch gab er nicht nach, sondern hielt sein Amulett mit beiden Händen über dem Kopf in die Luft. Heiss war die Wüste, immer wieder fielen dicke Blutstropfen auf den kristallinen Sand, wo sie kleine Sterne formten. Aus dem Maul der Bestie krochen blaue Krebse von Oblatengrösse. Blitzschnell bewegten sich die Krustentiere auf den Kämpfenden zu. Und Georg erkannte, dass das gepanzerte Getier Gesichter besass. Alle Krebse wiesen das Antlitz einer kaltäugigen Frau auf, eines Wesens, das Georg als unmenschlich einstufte. Nicht die sieben Häupter der rothäutigen Bestie stellten das Problem dar, sondern die Millionen von auf den Krebsen prangenden Frauenvisagen. Eine hässliche Alte hatte Modell gestanden, dachte Georg, als die Bestie zum zwölften Male die Alptraumvision von diesem garstigen Frauenzimmer ins Nirvana schickte. Tot wirkten ihre Augen, verfilzt die Haare, verwarzt die Nase. Es musste diese Hexe sein, die im Hintergrund die Fäden zog und den siebenschädligen Dämon auf ihn gehetzt hatte. Jahrelang hatte Georg von dem hasserfüllten Weibsbild träumen müssen. In stillen Nächten war es zu ihm gekommen und hatte, während er schlief, Infusionen in seine Ellenbeuge gestochen, um den ängstlichen Jungen mittels eines abscheulichen Giftes Nacht für Nacht in abgründigen Schlaf zu befördern. Im Laufe der Jahre hatte Georg dann gelernt, seine Träume zu steuern und die darin vorkommenden Protagonisten zu manipulieren. Zudem war ihm klar geworden, dass er im Traum nicht wirklich starb. Heute war die fiese Evelyn, wie er sie nannte, also zurückgekehrt, um dem jungen Mann einen gehörigen Schrecken einzujagen. Nicht zu zählen waren die Krebse, die auf Georgs Beinen, Armen, dem Bauch und sogar auf seinem Kopf herumliefen. Das irre Gelächter der Teufelsbrut sorgte dafür, dass Georgs Kräfte schwanden. Viel zu schnell versiegten sie, sah er sich doch mit der schlimmsten seiner Ängste konfrontiert. Dieses Gesicht! Diese kalten, toten Augen! Ununterbrochen spie die Bestie weitere Krebschen aus und dirigierte sie in Georgs Richtung. Mit dem Schwert köpfte Georg drei Häupter des siebenköpfigen Biestes, blieben also noch vier. Welches Kraut aber war gegen die winzigen Kreaturen gewachsen, fragte sich Georg. Sein Sturmfeuerzeug nutzte der junge Krieger, um die Gesichtszüge der dämonischen Evelyns zu versengen. Nur für kurze Sekunden funktionierte diese Taktik, dann aber stellte sich heraus, dass Nase, Augen, Wangen und Mund aus Eis gemacht waren. «Evelyn, der Energievampir, tötet die Verzweifelten durch ihre eigene Kälte, rottet die Einsamen mit ihrer erbarmungslosen Niedertracht aus …» Dieser Satz ging Georg durch den Kopf, als er merkte, wie Eiseskälte in seine Glieder fuhr. Weder die feurigen Extremitäten des bestialischen Drachens noch der brennende Wüstensand vermochten Georg zu wärmen. Standhaft versuchte er, von Todesangst erfüllt, in die milchig getrübten Pupillen von Evelyn zu schauen, doch er war nicht in der Lage, den Blickkontakt zu halten. Ihm war zumute, als dränge die Teufelin gezielt in sein pulsierendes Hirn ein, um ihren Erzfeind zu verwirren. Unaufhörlich wisperte sie den
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Literatur
in seinen Oberarm biss. Er wusste, dass er das Gefecht nur dann gewinnen konnte, wenn er
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Tausenden Krebsen Gemeinheiten zu: «Das ist er! Nun kennt ihr ihn!» Diese Worte trafen sogleich in Georgs Herz, denn mit jenen zwei Sätzen hatte man ihn über Jahre gequält. Was er auch getan, man hatte den scheuen Jungen einen Aussätzigen geschimpft, einen Verrückten, ein Monstrum, einen Perversen. Sie hassten ihn – so lautete auch der Inhalt eines Briefes, den ihm seine Mitschüler einst hatten zukommen lassen. Es war ein Samstag gewesen, Georg hatte sein Zimmer geputzt, dann kam Mutter mit dem in Edding-Farben verzierten Briefumschlag, der nichts Gutes verhiess. Im Inneren des Kuverts fand Georg zwei Seiten Papier, die eng mit den Worten «Wir hassen Dich! Denk daran, wir hassen Dich!» beschrieben waren. Noch heute lief es Georg eiskalt den Rücken herunter, wenn er an das Schreiben dachte. Es rührte seine Urangst an. Die Angst, anders und seltsam zu sein. Wie lange lag jener Samstag nun schon zurück? Waren es fünf Jahre? In jener Nacht hatte Georg – nicht zum ersten Mal – von Evelyn geträumt, die sich in seine Gedankenwelt einschlich und ihn mit Wortsalven des Abscheus malträtierte. «Siehst Du», hatte die hässliche Fratze von Evelyn geflüstert, «alles, was ich dir gesagt habe, erweist sich als wahr. Sie hassen dich, sie hassen dich, sie h-a-s-s-s-s-s-s-e-n dich!» Mittlerweile wähnte sich Georg immun gegen Evelyns Giftpfeile, die das Weibsstück zu Hunderten zwischen seinen Rippen hindurch in seine Lungenflügel schleuderte. Doch die essenzielle Panik blieb ihm erhalten, wenn er ehrlich zu sich sein sollte. Er fragte sich, ob Evelyn, das menschgewordene Urböse, bereits bei seiner Geburt da gewesen war. Evelyn stellte für ihn einen dunklen Stern dar, der die Niederkunft seiner Mutter einst überschattet hatte. Feuer und Schwefel schossen aus den Mäulern der nunmehr vierköpfigen Bestie, und GeLichtbahnen ausgingen, richtete Georg auf die krabbelnden Ungeheuer. Endlich gelang es ihm, das eine oder andere zu eliminieren. Allerdings nahm ihr Strom nicht ab. Eher wuchs die Anzahl der im Krebsgang auf ihn zutänzelnden Evelyn-Physiognomien. Geistesgegenwärtig langte Georg in seine Hosentasche, wo er die Weihrauchpistole verwahrte. Olibanum, so hatte ihm seine Mutter einst beigebracht, war das beste Mittel zur Bekämpfung des Bösen. Lag Georg einmal wieder schlaflos im Bett, weil er schlecht geträumt hatte, entzündete seine Mutter das im silbernen Weihrauchfässchen befindliche Gummiharz. Sofort verschwanden Georgs böse Gesichte und der Junge konnte endlich friedlich schlafen. Jetzt zückte Georg das Geschenk seiner Mutter und richtete den Lauf der Waffe auf die Krebse. Greinend reagierten die mit Evelyns Angesichtern verunstalteten Tierchen und verpufften in der heissen Wüstenluft. Indes wurde Georg immer noch von dem vierköpfigen Ungetüm attackiert. Die Wunden auf seinem Körper waren zahlreich und er verlor viel von seinem roten Lebenselixier. Panisch zielte er, in der Hoffnung auch den roten Drachen mit dem geheiligten Qualm auslöschen zu können, mit seiner Olibanum-Pistole auf jenen. Im Viervierteltakt verschoss die seltsame Waffe Kapseln, die direkt im Brustbereich des Ungeheuers einschlugen. Doch dieses zeigte sich unbeeindruckt. Mit einem weiteren Schwerthieb gelang es Georg, aus dem vier- einen dreiköpfigen Drachen zu machen. Auf dem Sand vor seinen Füssen sah Georg die übrig gebliebenen Hülsen der Krebse. Die Gesichter der bösartigen Evelyn hatten sie verloren. Georg hielt sein Amulett weiterhin in den Fingern und entsandte Lichtstrahlen in die Herzregion des laut brüllenden Drachens. Plötzlich hörte Georg einen leisen Gesang. Zunächst konnte er den Liedtext nicht verstehen, doch dann schwoll die Lautstärke des Singens an: «Wir holen Dich, Du kriegst uns nicht!» Georg wich einen Schritt zurück und unter seinen Schuhsohlen krachte es. Erschreckt registrierte Georg mikroskopische, mit grünen Eiern gefüllte Nester, welche er soeben mit seinem Lederstiefel zerstört hatte. Unzählige solche Nester entstanden unter den toten Körpern der Krebse. Die Eier in den Gelegen platzten auf, frisch geborenes Getier schlüpfte und stimmte das Lied mit den prägnanten Zeilen an, welches Georg erneut an seine Schulzeit erinnerte.
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Literatur
org stürzte, von Krebsen übermannt, in den glühenden Sand. Sein Amulett, von dem goldene
Indes wiesen die Gesichter der kleinen Krebse nicht mehr Evelyns Züge auf, sondern die eines aufgequollenen, schlitzäugigen Weibes. Abrupt vereinigten sich die Myriaden von Schalentieren zu einer imposanten Riesin. Auch deren Antlitz kam Georg bekannt vor, handelte es sich doch um ein weiteres Geschöpf aus seinen Alpträumen, nämlich um Vlada, die spillerige Vampirin. Es war lächerlich, was sollten die Leute nur von ihm denken, wenn er ständig mit Traumwesen und Drachen zu tun hatte! In seinem Leben gab es keinen Platz für die sogenannte Alltagsrealität, bei ihm überstiegen sich die Dimensionen, und niemand würde ihm folgen können, wenn er davon berichtete. Dennoch würde er genau dies tun: Bericht erstatten, Zeugnis ablegen über die dunklen Mächte, in deren festem Griff sich die Menschheit befand. Nicht alle Menschen verkehrten mit Drachen und Dämonen. Wer es indes tat, der wurde zwangsläufig zu einem Retter der irdischen Rasse. Gott, es war doch alles, wirklich alles möglich, solange es sich als denkbar erwies! Vlada besuchte Georg des Nachts, ihre langen gelben Daumennägel gruben sich in seine Aorta und schröpften den Schlafenden. Jetzt hatte Georg wirklich genug, er würde den Drachen töten und Vlada gleich mit ins Höllenfeuer stossen. Handelte es sich bei diesen durchaus realen Gestalten bloss um Symbole, um Zeichen für das radikale Böse, den ultimativen Hass? Im Laufe seines Lebens waren die Alptraumfiguren aus Georgs Kindheit zu mächtigen Gegnern geworden, und heute würde sich der Schwertträger endlich von ihnen befreien, sagte er sich. Evelyn hatte das Zeitliche gesegnet, die bösartige Kreatur war Geschichte. Nun galt es, Literatur
Vlada und den blutenden Drachen zu erledigen. Georg zückte sein Maschinengewehr, lud es mit Weihrauchpatronen und feuerte in einem fort auf Vlada, die vampireske Gigantin. Mit ihren brachialen Klauen griff sie nach Georg, bekam den Winzling jedoch nicht zu fassen. Ein Lasso warf Georg über die vergilbten Nägel von Vladas Hand und zurrte den Strick so fest, wie er konnte. Dann zog er das Wesen in Richtung des Feuer speienden Drachens, der mit seinem brennenden Atem Vlada auf der Stelle erwischte. Während der Drache, der in Vlada offenkundig eine weitere Feindin sah, die fahle und dürre Blutsaugerin in ein Flammenmeer tauchte, näherte sich Georg von hinten und schlug dem überdimensionalen Reptil – eins, zwei, drei – die Häupter ab. Diese purzelten in den rot gefärbten Wüstensand. Ein Lichtstreif am Horizont verkündete dem Universum das Ende des Kampfes. Und anstelle des Drachens, der unzähligen Krebse mit Evelyns Visage und der Vampirin Vlada befanden sich im Staub vor Georgs Stiefelkappen seine alten Schulfeinde John, Corinna und Mersat. Sie waren es gewesen, die Georg einst den bösen Brief geschickt hatten; sie hatten dafür Sorge getragen, dass sich Georg an jedem einzelnen Schultag wie ein Ausgestossener gefühlt hatte, der er ja auch gewesen war. John, Corinna, Mersat hatten den verhassten Schüler gequält, gehänselt, terrorisiert, indem sie sich sorgfältig ausgeklügelter Psycho-Mechanismen bedient hatten. Hinter den grandiosen Ungeheuern, die Georg im heissen Wüstensand zur Strecke gebracht hatte, verbargen sich also die wahren Monster. Hilflos strampelte das Dreigestirn des Bösen mit Armen und Beinen, doch Georg liess den Strick nicht locker. Seine ehemaligen Folterknechte zogen den Drachentöter mit vereinten Kräften über die vor Hitze ins Fleisch stechenden Sandkörner. Wie Hunde vor einem Schlitten hetzte das infernalische Triumvirat auf einen Abgrund zu, den nur Georg sehen konnte. Als das Henkerstrio sich bereits im freien Fall wiederfand, kappte Georg das Tau und blieb wohlbehalten hoch oben auf den Klippen zurück. Nach einigen Sekunden hörte er ein lautes Platschen. JENS-PHILIPP GRÜNDLER
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Zum ausgebliebenen literarischen Rausch
zu. Weshalb beispielsweise der Weihrauch die Pistole ergänzend im Text steht, ist unklar – ausser, dass er den Text in eine Tradition der fantastischen Erzählliteratur einreiht. Der Platz in dieser bleibt dem Text aber aufgrund seines simplen Aufbaus sowie der grafischen, der grammatikalischen und der sprachlichen Verfasst-
angehenden Textes war ein exaktes Zitat des zu bespre-
heit verwehrt. So dient die grafische Variation in jedem
chenden Textes, das sein Original durch Verdoppelung
Text der Verdeutlichung; klassischerweise bei Titeln, Be-
kritisierte, indem es schlicht auf die Sinnlosigkeit einer
tonungen oder Zitaten. Weshalb hier ein Zitat ausser An-
Zweitlektüre verwiese. Eine andere Form der radikalen
führungs- und Schlusszeichen zusätzlich der Kursivie-
Kritik wäre eine ebenso dialogverweigernde Reaktion
rung bedarf, ist hingegen unverständlich: Welche zweite
mit einer leeren Seite gewesen. Doch beides schien mir
Abhebung vom Text wird damit betont?
ein Bruch mit dem Bestreben von delirium zu sein, ei-
Der folgende Satz lässt einige weitere Beobachtun-
nem Gespräch eine Plattform zu bieten. Durch die An-
gen zu: «Von Georgs Medaillon gingen helle Strahlen
ordnung des delirium-Diskurses besteht die gewinnbrin-
aus, als er es vorsichtig auf seiner Handinnenfläche ba-
gendere Aufgabe meines Textes darin, eine Antwort auf
lancierte.» Obwohl Georg wohl kaum sein Amulett aus
folgende Frage zu finden: Wie kritisiert man einen Text,
dem ersten Satz, das ein Schmuckstück mit schützender
der einem überhaupt nicht gefällt, weil man seine lite-
Funktion ist, gegen ein Medaillon, das blosser Schmuck
rarische Qualität nicht sieht? Nach der ernüchternden
ist, tauschen wollte, geschieht dies im Text; wohl zum
Lektüre von Die Welt ist eine bösartige Maschine stelle ich
Zweck der Variation. Es handelt sich dabei allerdings
mir dazu die Frage, was mich an der sprachlichen Ver-
um eine isolierte Differenzierung ohne Anschluss an
fasstheit so stört. Vielleicht gelingt es ja, allfällige Leser
den Rest des Textes. Weiter ist zu dem Satz zu bemerken,
für die ausgebliebene Lust am Text mit Spass an der Kri-
dass Georg eine Sonne in Gestalt eines Schmuckstücks
tik zu entschädigen.
in der Hand zu halten scheint, die selbst Licht abstrahlt,
Der diesen Seiten vorangehende Text erzählt eine
und nicht etwa ein Artefakt, das eintreffendes Licht zu-
Heldengeschichte über Georg, die sich sehr knapp
rückwerfen würde. Das ist zwar spannend, wird aber lei-
zusammenfassen lässt: Der Protagonist kämpft ge-
der nicht weiter ausgeführt. Was hier der weisse Schim-
gen einen Feind, der sich mehrfach vermittelt im Text
mel der «hellen Strahlen» zu suchen hat, ist eine weitere
wiederfindet: Der Drache, gegen den Georg in der prä-
Frage. Befremdend ist dann auch das Wort «Handinnen-
sentischen Ebene des Textes kämpft, wurde von einer
fläche»: vom Handrücken als Fläche zu reden, wäre doch
Hexe, «die im Hintergrund die Fäden zog, [ … ] auf ihn ge-
eher absurd, weshalb es das weniger technische «Hand-
hetzt», die ihrerseits eine Figur von Georgs Albträumen
fläche» auch getan hätte. Nicht zuletzt fällt auf, dass
ist, die wiederum von einem Schmähbrief einiger Mit-
das Medaillon balanciert wird – damit die Hand ihm
schüler ausgelöst wurden. «Aus dem Maul der Bestie»
nicht genügend stabilisierende Fläche bietet, muss ein
kriechen zudem kleine Krebse, auf denen die Hexe Eve-
Schmuckstück irritierend gross sein. Es gibt unzählige
lyn abgebildet ist. Diese stellen später zusammen eine
weitere Beispiele dafür, dass der Text irritiert. So weiss
Riesin dar: Vlada, die spillerige Vampirin. Am Ende ist
man auch mit der Beschreibung des Sands als «kristal-
der Feind in allen Einzelteilen besiegt. Der Wortschatz
lin» wenig anzufangen, da es das Konzept Sand schlicht
des Erzählers verweist insbesondere auf zwei Ebenen:
nicht erweitert. Als Leser wäre man auch froh, wenn der
eine christlich-religiöse und die der Fantasy-Literatur.
Erzähler wüsste, dass das Verb anrühren lexikalisch und
So finden sich im Text die Oblate (als Grössenangabe)
grammatikalisch anders funktioniert als das Verb rühren
ebenso wieder wie der Weihrauch (als Waffe) oder der
in Kombination mit der Präposition an. Doch am meis-
Drache, das Amulett, Dreiecke (ich glaube darin ein ver-
ten stört die parallele Bedienung unterschiedlichster Re-
ständliches Wort für das doch sehr konstruierte «Trigo-
gister. So sind die «Trigone» von einem «faustgrossen
ne» gefunden zu haben) und Kreise. Aus wiederum einer
Kreis» umgeben und damit tritt ein Fachwort neben All-
anderen mythischen Tradition stammt das Wort Nirvana.
tagssprache. Ebenso finden sich Wörter eines ältlichen
Doch irrsinnigerweise werden die Symbole in diesem
Deutschs direkt neben modernen Phrasen: «Alle Krebse
Text nie miteinander verbunden und es kommt ihnen
wiesen das Antlitz einer kaltäugigen Frau auf, eines We-
teilweise auch keine handlungsbestimmende Funktion
sens, das Georg als unmenschlich einstufte.» Nicht nur
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Kritik
Mein erster Einfall für eine Kritik des diesen Seiten vor-
steht hier «Antlitz» sehr nahe bei «einstufen», sondern
sind weder einzelnen Personen noch Ebenen zugeord-
es wird auch die Erzählperspektive mitten im Satz vom
net; im Text mischen sich diverse Sprachregister; die Er-
Blick Georgs zum Blick auf Georg gewechselt. Insgesamt
zählperspektive wird teilweise mitten im Satz gewechselt.
scheint dem Erzähler der Wortschatz der gewählten Re-
Hinter meinem Urteil steht eine differenzierte und
gister zu fehlen, so dass aus der «Hexe» bald ein ältliches
differenzierende Betrachtung des Textes. Und das ist es,
«Frauenzimmer», aus den «Krebsen» «Schalentiere» und
was ich von einem literarischen Text gemeinhin erwar-
aus der neutralen «Menschheit» die kämpferische «irdi-
te: dass er nachvollziehbare Differenzierungen in seiner
sche Rasse» wird. Dass zudem in Phrasen wie «im Laufe»
Sprache vornimmt, dass er dadurch sich selbst erwei-
oder «zum x-ten Male» die veraltete Dativendung stehen
tert und mich mit seiner Komplexität berauscht. Dann
gelassen wird und in demselben Text Wörter wie «ma-
kann die stetige Erweiterung am Ende auch bloss auf
nipulieren» oder «ultimativ» verwendet werden, unter-
ihren Ursprung oder das Nichts verweisen – doch wenn
stützt meinen Befund, dass in dem Text ein Durcheinan-
das Ende eines Textes genau wie den Protagonisten vom
der in Bezug auf die verwendete Sprache besteht. Doch
Feind den Leser vom Text befreit, ist das eine schlichte
damit nicht genug: Dem Erzähler macht auch die Logik
Frechheit.
zu schaffen. So soll Georg zuerst gelernt haben, seine Träume zu steuern, bevor er sich über deren fiktiona-
YUNUS ERSOY
len Charakter klar wurde. Diese mentale Konstellation ist aus psychologischer Sicht bestimmt äusserst interessant (weil abnorm); in der Geschichte wird sie leider nicht ausgeführt und bleibt schlicht nicht überzeugend – oder ist der Held sehr dumm? Dass ausserdem die me-
Kritik
taphorischen Übertragungen innerhalb des Feindes als «sorgfältig ausgeklügelter Psycho-Mechanismus» verstanden werden, wirkt wie blanker Hohn. Am Ende sieht man sich mit einer klischierten Geschichte konfrontiert, die in Klischees erzählt wird: So ist in dieser Phrasenansammlung von einem Jungen zu lesen, der soziale Schwierigkeiten hat und sich deshalb in die Fiktion flüchtet, die als Heldenepos im pseudoexotischen Fantasy-Gewand begriffen wird. Vielleicht gibt es die beschwipste Perspektive, aus der der kritisierte Text selbst als Kritik an der Trivialliteratur verstanden werden kann. Aus dieser schliesst der Text mit den aufgerufenen Symbolen bloss scheinbar an die grosse Zahl fantastischer Werke an, die mit ihrer Sprache nicht sorgfältig umgehen, um die dort erzählten Heldengeschichten als absurde Ausgestaltungen von Alltagserlebnissen zu kritisieren. Einerseits bietet der Text für diese Perspektive selbst aber keine Anhaltspunkte, sondern allenfalls der Ort seiner Publikation; andererseits scheint mir das Vorhaben doch etwas waghalsig, ohne Brechung, ohne Gegenbeispiel und durch die schlichte Wiederholung mit einem literarischen Text an ebensolchen Kritik zu üben – weil sie dadurch schlicht nicht differenziert, sondern reproduziert werden. Aus meiner eigenen Perspektive ist der Text dagegen einfach nur schlecht: Die erzählte Geschichte ist schon zu Beginn absehbar; die zusätzlichen Ebenen des Alltags und des Traums führen die Geschichte bloss auf einen Übertragungsvorgang zurück; die gewählten Sprachregister
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SEBASTIEN FANZUN
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… seine e t h c i h c s e g s n Lebe e i d , e t l h ä z r e n e d n e g l o F m ich i wor tgetreu ] … [ e b e g r e d wi e , n e k n a d u z nichts n o v s a d b a h ich Mont aigne …
KRITIK
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ARIEL HONDEG, RAUL SOBASA 18
Literatur
LITERATUR
Über Schwindel «So kann es sein dass ich mir von Zeit zu Zeit widerspreche, aber der Wahrheit, wie Demades sagte, widerspreche ich nie.» Michel de Montaigne An den Spieltischen des Grand Casino Mamounia herrschte wie immer reger Betrieb und ich hatte meine Begleiterin irgendwann verloren. Auf der Terrasse, von der aus man die Innenstadt Marrakeschs überblickte und in der Ferne das dunkle Glitzern des Mittelmeeres sehen konnte, war ich mit einem älteren Herrn ins Gespräch gekommen, der, offenbar einer inneren Neigung entsprechend weit ausholend, mir entlang einiger Whiskey Sours seine Lebensgeschichte erzählte, die ich im Folgenden wortgetreu wiedergebe.
A REASON TO LIVE, A REASON TO DIE Seine Kindheit sei auf den ersten Blick vielleicht das gewesen, was man für gewöhnlich als glücklich und wohlbehütet bezeichnen würde. Als Sohn eines brillanten Geschäftsmannes, der Windmühlen an spanische Exzentriker verkauft und damit ein Vermögen angehäuft habe, sei das Finanzielle nie ein Problem gewesen. Deutlich stünden ihm die langen Korridore der luxuriösen Pariser Wohnung vor dem inneren Auge, die endlosen Wendeltreppen zwischen den Stockwerken, die den Weg ins Schlafzimmer zu einer alpinistischen Aufgabe gestaltet Literatur
hätten, und ebenso deutlich die Galerie der ehrbaren Ahnen der Familie, da geschönt, wo die reale Genealogie Ehrbarkeit allzu sehr vermissen liess. Wenn es aber ein Gefühl gäbe, das für ihn wie kein zweites für seine Kindheitstage bestimmend gewesen sei und dessen Abglanz bis heute auf seinen frühen Erinnerungen läge, so sei dies dasjenige einer tiefen Langeweile. In den ersten fünfzehn Jahren seines Daseins habe er vermutlich nicht ein einziges Mal seine Umgebung mit Interesse betrachtet, nicht für einen einzigen Bereich seines Lebens so etwas wie Faszination entwickelt. Die langen Korridore, die Ahnengalerie, die wohlhabenden Besucher seien ihm stets vorgekommen wie stille, belanglose Gegebenheiten, an seinem Auge vorbeiziehend wie Bewohner eines seltsamen Aquariums. Wenig verwunderlich sei es deshalb, dass seine Eltern weniger Sorge als vielmehr Begeisterung empfunden hätten, als der schweigsame Junge sich plötzlich tagelang in der Bibliothek des Hauses eingeschlossen habe, von all den darin vorhandenen Büchern kein anderes lesend als immer und immer wieder Montaignes Essais. Die Besorgnis sei erst später aufgekommen, als der Junge sich gegen den Willen seines Vaters, der in ihm einen rechtmässigen Nachfolger an der Spitze des Windmühlenimperiums gesehen habe, für ein Studium der Romanistik eingeschrieben habe. Der Vater habe seinen Widerspruch in sich begraben müssen, und der nunmehr zu einem jungen Mann herangewachsene Junge sei in die Welt der Sorbonne eingetaucht.
MY NAME IS NOBODY Gleich im ersten Semester seien ihm dabei zweierlei Dinge klar geworden: seine Faszination für die weibliche Studentenschaft einerseits und die seiner Begeisterung entgegengesetzte grandiose Gleichgültigkeit andererseits. Nirgends sei dieses Verhältnis zu grösserer Intensität und Konsequenz gelangt als bei einer Kommilitonin namens Elena Garibaldi, deren kunstvolle Gestalt ihm wie das kunstvoll verschlüsselte Versprechen einer gewissen Unsterblichkeit erschienen sei und die ihn von Semester zu Semester durchwegs nicht eines einzigen Blickes gewürdigt habe. Zusätzlich habe sie an Aura gewonnen durch das um sie kursierende Gerücht, sie habe ihr Baccalauréat ausschliesslich wegen ihrer berückenden Schönheit erhalten und sei in eine Liebschaft mit dem vielversprechendsten jungen Literaten von Paris
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verwickelt. Kaum in weniger als dreissig Meter Distanz zu ihr getreten, sei er jedenfalls von einem tiefen Gefühl des Schwindels ergriffen, in einen inneren Taumel versetzt worden, und selbst der geringste weitere Annäherungsversuch sei unmöglich gewesen. Das Grau der Langeweile sei alsbald von einem Silber der Enttäuschung abgelöst worden, und wenn diesem ständigen Frustrationszustand ein Positives abzugewinnen sei, dann läge es wohl in der reichlichen Zeit, die ihm mangels Ablenkung für das Studium geblieben sei. In einer enormen akademischen Ersatzhandlung habe er sich so weiter in Montaigne vertieft und ausserdem ein Interesse an provenzalischer Trobadordichtung entwickelt, deren unverkrampfte Schilderungen sexuellen Hungers und Sättigung er mit einem Gefühl kameradschaftlich-voyeuristischer Wärme im Herzen studiert habe. So durch die frühe französische Literaturgeschichte stolpernd wie durch eine Galerie stellvertretend geniessender Ahnväter, deren ausschweifende Lebensführung dereinst vielleicht ein erotisches Almosen ihm abwerfe, habe er eine jener weltweit verbreiteten studentischen Daseinsformen geführt, deren Leitmotive die Stille und die Enttäuschung seien.
BEYOND THE LAW Und vielleicht wäre sein Leben solcherart verlaufen bis zu seinem ebenso unauffälligen Ende. Aber zufällig sei ihm eines Tages eine Zeitschrift in die Hände gefallen, in der eine Erzählung ebenjenes Autors abgedruckt gewesen sei, der sich Gerüchten zufolge in einer Liaison mit Elena Garibaldi gefalle. Die Erzählung sei ein wirres Machwerk gewesen über einen Maler, der durch irgendeine bis zuletzt unklar bleibende Schwäche unfähig sei, ein Porträt seiner Gerüber hinaus sei nicht eindeutig gewesen, wie viel der Erzählung einfach bei einem anderen Schriftsteller abgeschrieben sei und ob der Maler nun real existierte oder nicht; kurz, es handelte sich um eine Aneinanderreihung bösartiger Täuschungen und Verwirrungen, gänzlich entfernt der literarischen Ideale von sonnenheller Ehrlichkeit und genauester Selbstbetrachtung, wie er sie sich von den Trobadoren und von Montaigne gewohnt gewesen sei. Und da sei es ihm auf einmal offensichtlich geworden, dass zwischen ihm und Elena Garibaldi nichts stand als die Mauer seiner Ehrlichkeit. So habe er sich entschlossen, seiner akademischen Betätigung etwas Fantasie angedeihen zu lassen. Zu diesem Zeitpunkt habe er sich gerade mit Entwürfen für seine Doktorarbeit herumgeschlagen, und da habe es sich angeboten, eine Dissertation zu verfassen über den ungeheuren Einfluss eines bis anhin völlig unbekannten Trobadordichters auf die Philosophie Montaignes, mit dessen Schriften dieser anlässlich seiner Rückreise aus Italien im Jahr 1581 in Kontakt gekommen sein könnte. Montaignes Opus habe nämlich zu diesem Zeitpunkt erwiesenermassen schon lange niemand mehr vollständig gelesen und also niemand mehr den Überblick über alle Passagen des editionshistorisch komplizierten Werks gehabt. Schliesslich aus den unübersichtlich verstreuten Quellen provenzalischer Trobadordichter einen zusätzlichen Autor zu destillieren, sei ein Leichtes gewesen; tatsächlich hätten die in diesem Feld tätigen Wissenschaftler aufgrund der Magerkeit ihres Forschungsfeldes dankbar und ohne kritische Nachfragen jeden Strohhalm ergriffen, der Stoff für weitere Publikationen versprach.
FOR A FEW DOLLARS MORE «[ … ] Unter den provenzalischen Dichtern des 13. Jahrhunderts ist für den Anspruch der folgenden Arbeit insbesondere Raimont Alba Guilhen dou Vydal zu nennen, der nicht nur der aus Frankreichs nördlicheren Gegenden importierten Gattung des Descorts, des ‹zerrissenen, zerstückelten Liedes›, neue Impulse verliehen, sondern auch einen unüberschätzbaren Einfluss auf Montaignes spätes Denken gehabt hat. Dank unablässiger und exakter Forschungstätigkeit ist es mir heute möglich, denselben im Folgenden zu skizzieren. [ … ] In diesem Gedicht
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Literatur
liebten fertigzustellen und das Ganze mit fragwürdigen Schubertanalogien entschuldige. Da-
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entwirft der an den Autoren der griechischen Klassik geschulte Vydal anhand Herodots Erzählung von Iason und dem goldenen Vlies eine positive Konzeption der Lüge, wie Montaigne sie in Chap. IX Des Menteurs wieder aufnimmt: ‹So ward auch dem Sohn Aisons die Wirklichkeit grau und eng / er träumte sich ein Abenteuer / und hell strahlte das Licht seines Geistes um ihn. / Denn was ist die Lüge anderes / als wenn das Boot des schlafenden Traums / vom Steuermann des wachen Geistes / gelenkt wird. / So ist denn oftmals in unserem Geist / ein Aufblühen nach Verschiebung / und wie durch Pforten / betreten wir die Erfindung. / Da sind kleinere und grössere Pforten / und länger oder kürzer / behalten sie uns / in der Halle des Scheins [provenzalisch plur., semblantz]. / Wir, die wir der Pforten kundig sind / sind Zeit und Raum enthoben / und hell strahlt das Licht / des Erzählers um uns› (meine Übersetzung, in der das kunstvolle Reimschema leider nicht beibehalten werden konnte). Nach dieser Darstellung der Lüge als bewusster Form des Traums und Voraussetzung der Erzählung folgen lange und detaillierte Beschreibungen der sexuellen Ausschweifungen mit Damen aller Stände, die sich Vydal durch beispiellose Beschönigungen seiner Rolle im fünften Kreuzzug ermöglicht hat. [ … ] Abschliessend darf also noch einmal festgestellt sein: Montaigne ohne Vydal wäre gänzlich undenkbar. Ja, Montaigne ist gleichsam Vydal, in neue (schwächere?) Gestalt gefasst für unsere Neuzeit.»
ANY GUN CAN PLAY Der Applaus nach erfolgreicher Verteidigung der These habe kaum enden wollen. Auf Abdrucke in verschiedenen Publikationen seien Einladungen an Symposien und Tagungen, an den Würden die Krone aufgesetzt. Die Université Sophia-Antipolis habe sich wie keine Zweite erfreut gezeigt über die Forschungen, die einen aus der Gegend stammenden Dichter als Haupteinfluss des bedeutendsten französischen Philosophen der Renaissance identifizierten. Seine Antrittsvorlesung sei von der regionalen wie nationalen Presse dokumentiert worden. Aber all diese Ehren seien in seiner Erinnerung weitgehend verblasst zugunsten deren an die neu gewonnenen Aufmerksamkeiten der Damenwelt. Elena Garibaldi habe ihren zweitklassigen Dichterling verlassen, und während seiner Zeit in Nizza habe er mit ihr auf Einladung des berühmten niederländischen Kunstmalers Han van Meegeren in dessen luxuriöser Villa gewohnt. Partys hätten hier an der Tages- und Nachtordnung gestanden. Bei einem ausführlichen Gelage zur Feier des Dienstagabends sei das Ereignis eingetreten, das seiner genussvollen Zeit als Experte für Montaigne und seine provenzalischen Ahnväter ein für alle Mal ein Ende gesetzt habe. Gerade einen mit kleineren Fasanen gefüllten Fasanen verspeisend, habe er den verhängnisvollen Fehler gemacht, den Blick hoch zur gegenüberliegenden Wand zu heben. Und dort habe in goldflammenden Lettern ein Zitat Montaignes geprangt, das derselbe in der letzten noch von ihm veranlassten Ausgabe als Ergänzung zu Des Menteurs angefügt hatte: «En vérité, le mentir est un maudit vice.» Den restlichen Abend habe er furchtsam in seinem Zimmer verbracht. Und auf diesen ersten Schock seien weitere gefolgt, zu den ungünstigsten Zeitpunkten: Wenn er etwa eine Spiegelfläche von Kokain gereinigt habe, sei hinter seinem Spiegelbild plötzlich dieses Zitat erschienen. Als er sich anderntags mit einem berühmten Fotomodell auf einer Universitätstoilette unterhalten und sich dabei ganz den durch die Enge der Kabine ergebenden anatomischen Herausforderungen gewidmet habe, seien die bereits verhassten Buchstaben des Zitats auf einmal durch das Weiss der Fliesen gedrungen, und plötzlich ergriff ihn die heftige Furcht, ein geisterhafter Kopf Montaignes einschliesslich Halskrause könne jeden Augenblick aus der Wand schlüpfen, ihn vorwurfsvoll anblickend. An eine Fortsetzung des Kopulationsakts ebenso wie der Arbeit an der Sophia-Antipolis sei von da an nicht mehr zu denken gewesen.
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Vortragsreihen und Festreden gefolgt und schliesslich habe ein Ruf an die Universität Nizza
TEXAS, ADIOS So sei er denn zurück nach Paris gereist, um seinem Vater den Entschluss mitzuteilen: er wolle per sofort eine betriebswirtschaftliche Karriere beginnen, und zwar möglichst ausserhalb der Grenzen Europas, um der fortschreitenden Globalisierung auch zureichend zu entsprechen. Der unter zahlreichen Samtdecken auf seinem Sterbediwan liegende Alte habe gerade noch Gelegenheit gehabt, die Hand seines heimgekehrten Sohnes stolz zu ergreifen und ihm eine Adresskarte in die Hand zu drücken, bevor sich der Lebensatem des Vaters endgültig in die schwer parfümierte Luft des Gemachs verabschiedet habe.
HOW THE WEST WAS WON G., ein Geschäftsmann B., ein Bewerber Szene: Ein Hochhausbüro in New York. G. sitzt hinter einem schweren Eichentisch. Dahinter hohe Fenster, man übersieht Manhattan. G.: Ihre Referenzen sind ganz wunderbar … ich kannte ja Ihren Vater, wie sie wissen … Sie haben einen Doktorgrad in Romanistik? B.: Ja. G.: Worüber haben Sie geschrieben? Die Interessen meiner Angestellten – auch der zukünftigen – sind auch meine Interessen, müssen Sie wissen. B.: Der Titel lautete «Montaigne Surmontaigné: L’Influence de Raimont Alba Guilhen Literatur
dou Vydal sur les Essais.» G.:
Montaigne! Das ist einer meiner Favoriten... ich habe alles von ihm gelesen. Wissen
Sie, was ich an ihm besonders mag? Seine Ehrlichkeit. B.: … G.: Ja, das habe ich erst bei ihm so richtig gelernt. So diese Ehrlichkeit zu sich selber. Ich habe jetzt auch angefangen mich selber zu studieren und habe zu einem ganz neuen Bewusstsein von mir selbst gefunden. In diesem Gebäude, wo Sie und ich jetzt sitzen, hab ich mir ganz oben ein Schreibzimmer eingerichtet. Montaigne hat ja auch in einem Turm geschrieben, da passt das. B.: … G.:
Ich war immer schon geneigt zur Philosophie... wichtiger Ausgleich. Hab mich auch
mal mit dem Kommunismus auseinandergesetzt, auch wenn Sie mir das jetzt vielleicht nicht glauben werden. Sogar ausprobiert hab ich‘s. Vor ein paar Jahren hab ich auf einer Segelyacht im Pazifischen Ozean eine Kommune gegründet im echt bolschewistischen Sinne; alles gehörte allen – ausser die Yacht, die gehörte mir - und man erging sich unbekleidet in neidlosem Treiben. Ein Sturm hat der Sache dann leider ein Ende gemacht, über lange Zeit kann der Kommunismus tatsächlich nicht funktionieren... da muss man ehrlich sein zu sich über seine eigenen Projekte. Hab ich auch von Montaigne gelernt. B.: … G.:
Wollen Sie was lesen aus meinen Sachen? Bin bei Kapitel 409, habe aber bei 108 an-
gefangen, Montaigne ist ja bis 107 gekommen. Ich hab eines, Kapitel 311, «Über Stuhlgang», das hab ich meinem Arzt mitgebracht, der hat gemeint, wenn alle Patienten so wären wie ich, wäre sein Beruf ein einfacherer, ich hab gesagt, nichts zu danken, ich hab das von Montaigne... oder Kapitel 378, «Über Papierkörbe»... wo wollen Sie denn so plötzlich hin? B. zügig ab.
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SEVEN DOLLARS ON THE RED Der Ekel sei die grösste und die Flucht nichts als notwendig, die Auswahl Marokkos hingegen eher zufällig gewesen. Er kenne in der Stadt niemand, fühle sich aber hier im Casino beim Rascheln der Karten, über dem Rot und Schwarz der Teppiche, in den sich weitenden Pupillen und in den schwindelerregend verteilten Spiegelflächen, an fallender Seide und hauchenden Lippen, zwischen feuchten Fingerspitzen und steifen Kragen und unter den Parfums und den Gewölben beinahe zuhause. Das üppige Erbe seines Vaters ermögliche ihm, wenn es das Glück wolle, auf unabsehbare Zeit eine Fortführung dieses Daseins. Und längst habe seine Handmuskulatur das elegante Ergreifen und Wiederablegen der Jetons verinnerlicht, seinem Auge sei das flinke Hinwegblicken über die Zahlen zur Natur geworden und die über den klaren Linien des Spielfeldes glitzernd sich drehende Roulette erfülle ihn mit der schwindelnden Ahnung einer höheren Ehrlichkeit.
Literatur
SEBASTIEN FANZUN
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Brief von Ariel Hondeg an Raul Sobasa, aus seinem Nachlass
steht, dazu bewegt, diese einzureissen und seine Doktorarbeit zu fälschen. Aufgrund des durchschlagenden Erfolges seiner Dissertation und dem damit verbundenen Ruhm, liegen ihm die akademische Welt und die von ihm angehimmelte Studentin zu Füssen und er kann ein Leben in Saus und Braus, mit Kokain und mit Fasanen gefüllten Fasanen führen. Doch bald verfolgt ihn sein Schwindel in Form eines in goldflammenden Lettern auftauchenden Montaigne-Zitats, das ihn beim Essen
Marrakesch, 3. Juni
und koitalen Abenteuern auf der Universitätstoilette erscheint und er gibt seine Stelle an der Universität auf,
Lieber Raul,
um in die Betriebswirtschaft und nach New York zu flie-
es ist bereits einige Tage her, dass ich in Gesellschaft
verschlägt es ihn schliesslich nach Marrakesch und ins
hen. Montaigne verfolgt ihn allerdings auch dort und so meines Mannes im Grand Casino Mamounia war, doch
Grand Casino Mamounia, wo er im Roulette die Ahnung
eine Erzählung, deren Zeugin ich dort zufälligerweise
einer höheren Ehrlichkeit erfährt.
Kritik
geworden bin, will mir nicht mehr aus dem Kopf.
Als die Erzählung geendet hatte, vergewisserte ich
Es war bereits später Nachmittag, als Theodor und
mich, dass Theodor noch immer schlief. Es passiert
ich uns auf die ausladende Terrasse setzten, um uns ei-
nicht mehr oft, dass man längere Geschichten erzählt
nen Drink zu genehmigen. Wahrscheinlich liegt es am
bekommt und so sass ich noch eine Weile mit geschlos-
Klima, dass Theodor, seit wir in Marokko sind, ständig
senen Augen da, um darüber nachzudenken. Beson-
und überall einschläft, und so geschah es auch diesmal,
ders gut hatte mir der Sprachstil gefallen, kunstvoll aber
dass er bereits nach kurzer Zeit ruhig atmend und mit
nicht bis in die Unverständlichkeit gekünstelt. Am bes-
geschlossenen Augen in seinem Korbstuhl versank und
ten hatte die Bildhaftigkeit der Sprache in Kombination
mich mit meinen Gedanken allein liess. Du denkst jetzt
mit der satirisch überspitzten Darstellung des langwei-
vermutlich, dass ich mich gelangweilt hätte, wie übri-
ligen Grossbürgertums auf der einen und der koksen-
gens in den Stunden zuvor, denn es gibt kaum etwas
den, überbordenden Künstler- und Intellektuellenge-
Trostloseres als allein durch ausgeleuchtete Hallen zu
sellschaft auf der anderen Seite gewirkt – an sich nichts
taumeln, in denen Menschen, vornehmlich Herren, le-
Neues, aber gut erzählt. Auffällig war auch die Viel-
thargisch eine Münze nach der anderen in Spielautoma-
schichtigkeit der Erzählung gewesen, die Texte – auch
ten versenken oder durch die hypnotische Kraft einer
fiktive – nacherzählt und zitiert. So ist beispielsweise in
kreisenden Kugel um Tische versammelt kleine Plastik-
die Dissertation des Erzählers wiederum ein Text des
plaketten aufeinanderstapeln. Doch kurz nachdem Theo-
(fiktiven) Trobadordichters Raimont Alba Guilhen dou
dor eingeschlafen war, bemerkte ich zwei Männer, die
Vydal eingeschrieben. Auch sonst hatten sich diverse
am Tisch neben uns sassen und sich unterhielten. Der
Anspielungen auf Weltliteratur gefunden, wobei mir vor
ältere der beiden hatte gerade mit einer Erzählung be-
allem das erwähnte «wirre Machwerk» des «vielverspre-
gonnen und so hörte ich gebannt zu. Es handelte sich
chendsten jungen Literaten von Paris» bekannt vorge-
um seine Lebensgeschichte, von seiner Kindheit bis zu
kommen war. Diese inhaltliche Vielschichtigkeit hatte
seiner Ankunft in Marrakesch.
sich in der Form fortgesetzt, in der Erzählung von den
Nachdem sich der Erzähler in seiner Jugend von den
Versen Vydals oder dem mimetisch wiedergegebenen
drögen Korridoren der elterlichen Wohnung gelangweilt
Dialog zwischen Erzähler und Geschäftsmann. Seltsam
in die Bibliothek zurückgezogen hat, um dort Montaig-
flach und unbeständig hatte hingegen die Figur der Ko-
nes Essais zu verschlingen, entscheidet er sich gegen das
militonin Elena gewirkt, die erst Motivation für den Auf-
Erbe des väterlichen Windmühlenimperiums und für ein
stieg des Protagonisten ist, dann aber plötzlich zwischen
Studium der Romanistik an der Sorbonne. Es ist die un-
Perlwein und Perlhuhn verschwindet und keine weite-
erwiderte Liebe zu einer Kommilitonin, die ihn erst tief
re Erwähnung mehr findet. Etwas platt war mir auch
in Montaigne und der provenzalischen Trobadordich-
die Idee der Lüge erschienen, die den Protagonisten
tung versinken lässt und ihn später, durch die Erkennt-
in Form von flammenden Menetekel und von Montaig-
nis, dass nur eine Mauer der Ehrlichkeit zwischen ihnen
nes Kopf verfolgt und an die er schließlich selbst in New
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Über Windmühlenimperien
York noch durch den Geschäftsmann, bei dem er sich bewirbt – einem großen Liebhaber Montaignes – erinnert wird, sodass schlussendlich nur die Flucht in den Zufall als höhere Form der Ehrlichkeit bleibt. Schwindeln wir nicht eigentlich alle ständig? Mir
Aus dem Notizbuch von Raul Sobasa
fällt da wieder die Geschichte von Rebekka ein, die ihrem Mann bis heute nicht gebeichtet hat, dass er sich damals eigentlich in ihre Zwillingsschwester verliebt
«[D]ie Kommentare des Literaturkritikers [konstituieren] [ … ]
hat und trotzdem sind die beiden seit zwanzig Jahren
eine Fiktion, in der Auerbach als Autor [ … ] das literarische
glücklich verheiratet. Dieses pedantische Pochen auf das
Subjekt der Essais artikuliert, das nicht mehr mit Montaigne
achte Gebot scheint mir also ungerechtfertigt. Aber wir
identisch ist.» – Eli Blanchard
wissen ja beide, dass ältere Herren manchmal zu Moralpredigten neigen. Insgesamt hatte ich mich auf jeden
In einem Literaturmagazin (meine Enkelin hat mir ja
Fall bestens unterhalten gefühlt. Inzwischen war mir
kürzlich dieses Gönnerabo aufgeschwätzt …) bin ich
vom Nachdenken auch schon schwindelig geworden
auf einen Text gestossen, der mich stark an einen Brief
und ich stand auf, um Theodor zu wecken, den ich zum
von Ariel erinnerte; habe lange danach gesucht und ihn
Glück überzeugen konnte, nicht nochmal zu spielen,
schliesslich in einer alten Kartonschachtel wiederge-
und so machten wir uns auf, um die Abendstimmung in
funden, und in der Tat erzählt der Text genau dieselbe
der Rue Bab Doukkala zu geniessen.
Geschichte, die Ariel einst in Marrakesch mit anhörte, als sie mit Theodor einen Sommer lang dort war. Gros-
[ … ]
se Verblüffung! War dieser junge Mann etwa das Gegen-
Inzwischen ist es spät und ich muss leider aufhören; du
Ariel weitererzählte? Oder kennt er Ariel womöglich und
wirst aber bald wieder von mir hören. Grüsse auch Mo-
hat die Geschichte, nachdem sie ihm von meiner guten
nika von mir, bis bald
Freundin (bei einer Tasse Meerwasser) erzählt wurde, aufgeschrieben? Oder, und dieser Gedanke lässt mich
herzlich deine
nicht mehr los, wird der junge Autor die Geschichte erfunden haben, ohne zu wissen, dass sie wahr ist?
Ariel «Ironische Ansätze gehen in vordergründigen Effekten und Schiessorgien unter.» (Lexikon des Internationalen Films). Ein einsamer Junge verschreibt sich der Wahrheit. Als Erwachsener beginnt er zu lügen. Für Sex. Als erfolgreicher Wissenschaftler gibt er sich Exzessen aller Art hin. Die Lüge nicht mehr ertragend wendet er sich an die Geschäftswelt. Deren überzeugte Ehrlichkeit verängstigt ihn und so widmet er sich letzten Endes und bis an sein Ende der Ehrlichkeit des Geldspiels. Oh süsse, süsse Ironie. «Die Mischung aus Italowestern und Klamauk gelingt nicht.» (Frieda Schenk) Gratwanderung zwischen Ironie und Klischee, zwischen im Klischee versteckter und klischeegewordener Ironie. Zum Glück gibt’s einiges auf der Seite des subtilabsurden, ironischen Entlarvens: der Windmühlenverkauf ‹an spanische Exzentriker›, die ‹alpinistische Aufgabe› der ‹endlosen Wendeltreppen›, ein ‹Gelage zur Feier
26
Kritik
über des älteren Herrn, dessen Lebensgeschichte mir
des Dienstagabends› und ein ‹mit kleineren Fasanen ge-
von dieser Erzählung, von der sie mit anhörte, wie sie
füllter Fasan›, der Wissenschaftler als Star, der Unter-
erzählt wurde. Ich erzähle weiter. (Muss aber erst kurz
nehmer als Hobbyphilosoph und die Adresskartenüber-
ein Mindmap machen).
gabe im Sterbemoment. Leider gibt’s aber auch auf der anderen Seite einiges, tief drinnen in der Klischeewelt,
«Parodistische Akzente überwiegen in diesem Film,
so dass sich das Gähnen ganz von alleine einstellt: die
wenngleich immer wieder Konzessionen ans Klischee
Darstellung der Frauen, das Konzept ‹Erfolg› bestehend
gemacht werden.» (Bernd Deck)
aus medialer Aufmerksamkeit, Partys, Drogen und Sex,
Die Lüge werde als Voraussetzung der Erzählung
der vorwurfsvolle Geisterkopf Montaignes als Verbildli-
dargestellt, heisst es in einer fiktiven Dissertation über
chung des schlechten Gewissens, die Schauplätze. Und
ein fiktives Gedicht eines auch innerhalb der fiktiven Er-
oftmals Zweifel: Ist das Dargestellte in seiner Klischiert-
zählung fiktiven Troubadourdichters. Die Lüge als Vo-
heit ernst gemeint oder wird das Klischee dargestellt,
raussetzung der Erzählung bedeutet, Literatur lügt im-
um es zu unterlaufen?
mer und die Wahrheit lässt sich nicht erzählen. Diese
Kritik
positive Konzeption der Lüge, so steht es in der fiktiven «Bud Spencer mal ohne Bart und Sympathiebonus.»
Dissertation, werde von Montaigne wiederum aufgegrif-
(Michael Kraus)
fen, was nicht nur gelogen ist, weil der Troubadourdich-
Mal werden klischierte Attribute vertauscht, wie
ter doppelt fiktiv ist, sondern was auch zwangsläufig als
beim schwindelnden, über die Stränge schlagenden Wis-
Schwindel auffliegen muss. «En vérité, le mentir est un
senschaftler (durchaus vorstellbar) und dem grundehrli-
maudit vice. Nous ne sommes hommes et ne nous te-
chen, kommunistisch geprägten Firmenboss (durchaus
nons les uns aux autres que par la parole», so geht das
nicht vorstellbar), mal werden sie übertrieben gezeich-
plötzlich allgegenwärtige (zur Abwechslung mal nicht-
net, wie bei den Frauen: Elena ist nichts ausser schön,
fiktive) Zitat nämlich weiter und zeigt, dass bei Mon-
arrogant und ruhmgeil. An anderen Frauenfiguren kom-
taigne, der in seinen Essais auf die ehrliche Wiedergabe
men nur eine Begleiterin (könnte also auch ein Hund
seiner Erfahrungen und Empfindungen Wert legte, die
sein), die im Gegensatz zum Vater nicht direkt, sondern
‹positive› Lüge keinen Platz haben kann. (Dem Lügenden,
nur implizit im Wort Eltern erwähnte Mutter und ein Fo-
dessen Kindheit aus der Lektüre Montaignes bestand,
tomodell vor. Diese Zuspitzung ist nicht neu – und sehr,
müsste eigentlich – auch ohne Zitat – klar gewesen sein,
sehr langweilig. Auch die Aufstiegsgeschichte des zuvor
dass seine Erfindung nicht haltbar ist.) Abgesehen da-
ignorierten Aussenseiters kennen wir zur Genüge, aber
von, dass der Diskurs über Montaigne und die Figur, die
immerhin wird sie solide erzählt und immerhin geht’s
dadurch erschaffen wird, auch Erfindungen sind, und
dann doch noch um (ein wenig) mehr als das.
abgesehen davon, dass diese Konzeption der ehrlichen Wiedergabe, wie Montaigne sie dargestellt haben mag
«Für alle, die einen elementaren Western mit [ … ] einer
(‹der Wahrheit widerspreche ich nie›), nichts darüber
nervenzerrenden Musik [ … ] und einer souveränen Ver-
sagt, wie ehrlich er tatsächlich geschrieben hat – abge-
achtung von Sinn und Authentizität lieben, ist dieser
sehen von diesen weiterführenden Verstrickungen also
Film ideal.» (TIME)
haben wir es mit zwei gegensätzlichen Bildern zu tun: Lüge vs. Ehrlichkeit als Voraussetzung des Erzählens.
Ein Erzähler erzählt uns eine Geschichte, die ihm jemand erzählt hat; in dieser Erzählung geht es um die Erfindung einer Figur, die geschieht, nachdem derjeni-
«Durchschnittlicher europäischer Rachewestern.»
ge, der dem Erzähler seine Geschichte erzählt, eine Er-
(Kino.de)
zählung gelesen hat, bei der nicht klar ist, wie viel da-
Das könnte man zumindest meinen. Allerdings ist
von gestohlen wurde, und über dessen Hauptfigur nicht
auch diese Gegenüberstellung letztlich eine Erfindung
klar ist, ob sie erfunden wurde oder nicht; diese Erzäh-
des Autors. Er bringt seine Erzählung Auerbach (aus
lung innerhalb der Erzählung ist wiederum eine ande-
delirium N° 02) neu verpackt als Text von Elenas Litera-
re Erzählung des Autors, der hier einen Erzähler eine
ten-Liebhaber in die Erzählung Über Schwindel ein, und
ihm erzählte Geschichte erzählen lässt und damals ei-
dessen ‹Täuschungen und Verwirrungen›, die den jun-
nen Erzähler über einen Erzähler erzählen liess, was hier
gen Montaigne-Liebhaber dann auf Abwege bringen,
in der Erzählung der Erzählung der Erzählung wieder
werden von ebenjenem der ‹sonnenhellen Ehrlichkeit
vorkommt. Eine Erzählerin erzählt mir in einem Brief
und genauesten Selbstbetrachtung› Montaignes (und
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«Ein angeblicher Regisseur müht sich recht und
der Troubadouren) gegenübergestellt. Montaigne muss als Gegenkonzeption für die von Fanzun betriebene li-
schlecht, etwas Schwung in die Angelegenheit zu brin-
terarische Fiktions-Potenzierung herhalten und des-
gen.» (Bernd Deck)
sen Verhältnis zum Schreiben wird stark vereinfachend
Also bin ich wieder am Anfang. Wie schon Raul So-
auf ‹Ehrlichkeit› reduziert, was nicht so nett ist. Denn
basa sagte: «Analysiere und kommentiere alles, aber
wie schon der grosse marokkanische Sufimeister Nat-
erwarte nicht, damit der Wahrheit näher zu kommen.
tifer Waschib sagte: «Montaigne ist unglaublich schwie-
Denn alles, was man finden kann, sind weitere Fragen.»
rig festzulegen». So viel dazu. Auf der anderen Seite
Ob er damit recht hat, müsst ihr selbst entscheiden. Aber
passt es besser; die positive Konzeption der Lüge und
die Antwort ist ja.
Über Schwindel verstehen sich hervorragend. Denn Fanzun scheint für sich das Zusammenbringen von Fiktion und ‹Wahrheit›, die Auslotung der Fiktion innerhalb der Fiktion und die Verschachtelung von Erzählebenen entdeckt zu haben – und sich freudig herumspringend in diesem Feld auszutoben. Er zeigt uns, was sich alles durch die Aufhebung der Grenze zwischen Fiktion und Realität, die sowieso auch eine Erfindung ist, eröffnen kann, er zeigt uns, dass alles Reale irgendwie auch fiktiv, alles Fiktive irgendwie auch real sein kann und diese Unterscheidung letztlich vielleicht gar nicht so wichtig ist.
Kritik
«Kitschig, oberflächlich, banal und absolut verklärt.» (Canis Majoris) Weil der grosse Ortheo D. Rodwano sagte: «Suche und finde die Wahrheit in der Fiktion», fragen wir uns: Was lehrt uns Über Schwindel? Lesen wir die Lebensgeschichte der Hauptfigur als allgemeine, zeigen sich folgende Wahrheiten: Reiche, gelangweilte Kinder lesen gerne Montaigne. Das Lebensziel eines jungen Mannes ist es, Sex zu haben. Wenn er studiert, dann um sich von diesem Lebensziel abzulenken. Durch Lügen kommt man zu Sex. Models stehen auf Wissenschaftler. Ist dieses Bedürfnis erst mal gesättigt, wird das Streben nach einer höheren Wahrheit zentral. Sexuelle Begierde steht also der Wahrheitsfindung im Weg. Glückspiel hingegen nicht. Lüge nie über deinen Lieblingsphilosophen oder sein Geist wird dich tadeln. Zitate können einen verfolgen. Hobbyphilosophen sind gute Chefs. Ärzte mögen es, wenn man über Stuhlgang schreibt. Eine gescheiterte Karriere ist nicht schlimm, wenn man ein grosses Erbe hat. Wer sich als Kind zuhause fremd fühlte, kann im Kasino ein neues Zuhause finden. Wie schon Michele di Tengomani sagte: «Wir Gebildeten sollten bei einer wichtigen Sentenz merken, dass es sich nicht um einen hübschen Ausspruch handelt, sondern um einen kräftigen Geisselhieb gegen die gewöhnliche Torheit des Urteils.» Und Eric Sauerbach: «Ein Zitat regt immer mehr an als die Geschichte, die dahinter steht.»
28
RENÉ OBERHOLZER
30, 32 LITERATUR
… Bis sich die Lage beruhigt hat …
KRITIK
33
ANDREAS HAURI 29
Vorzeitiges Ende Eine Möwe Die durch den weissen Sand trippelt Der Wind Der die Sonnenschirme flattern lässt Das Blau des Meeres Das sich in der Ferne verdunkelt Eine Wolke Die sich nicht bewegt Ein Hund Der gestreichelt wird Und eine Frau Die aus dem Wasser steigt Direkt auf mich zu Ich stelle das Schreiben ein
Literatur
Bis sich die Lage beruhigt hat
30
31
Blindes Vertrauen Der Hund an der langen Leine Am Abgrund ausgerutscht Hängt in der senkrechten Wand Der nichtsahnende Blinde sagt Alfie zieh nicht so Ich komm ja schon
Literatur
RENÉ OBERHOLZER
32
Getretener Quark wird breit, nicht stark
zum nächsten Gedicht zu springen (was vor allem bei den Gedichtbänden sehr schwierig ist), gehört beim Lesen von Gedichten, wie die Feder zum Indianer, einfach dazu. Andere sprechen hier vom G-Punkt des Gedichts. Ein paar wenige wiederum sprechen von ihrem G-Punkt,
Eigentlich, ja eigentlich müsste es viel mehr Gedichte
den das Gedicht dann bei ihnen gefunden hat. Finden
geben. Ich meine zu behaupten, dass sie, die Gedichte,
oder empfinden, das sind im Grunde die beiden Teu-
uns viel öfters begegnen sollten, den Tag durch – auch
felshörner, an denen man sich normalerweise tagsüber,
abends. Man kennt sie, hat schon von jenen gehört und
aber auch nachts, festzuhalten versucht, liest man ein
über so manches gelästert. Eine Studie hat jüngst erge-
Gedicht und beendet es mit dem Innehalten, diesem ei-
ben, dass die meisten unter uns, wenn sie denn an ein
nen bewussten Augenblick, nach gelesener letzter Zei-
Gedicht denken, an den Erlkönig denken, dem eigentli-
le. Viele verlieren sich auch beim Innehalten, ein durch-
chen Action-Drama aus dem Dänischen.
aus gängiges Phänomen. Sie pausieren dann stutzig und
Nicht, dass ein Gedicht besonders wichtig wäre. Ge-
können gelegentlich vor lauter Grübeln auch gereizt und
dichte sind vom Prinzip her unwichtig. Doch wird man
giftig reagieren. Andere wiederum lesen die letzte Zeile
sich den Annehmlichkeiten von Gedichten erst einmal
erst gar nicht, damit sie nicht innehalten müssen. Sie
bewusst, stellt man unverfroren fest, dass sie im Grunde,
(über-)fliegen dann und sind froh, nicht allzu viel dabei
diese Gedichte, an jeder Ecke stehen müssten. Sie sind
zu empfinden.
Kritik
kurz, schnell gelesen und wollen, wie poplige Teenager, (un-)verstanden sein. Man wirft ihnen jeweils glaub-
Im Gedicht Vorzeitiges Ende stutzt man schon nach ein
haft vor, Ausdruckskraft zu besitzen (ja, so ist das). In-
paar Zeilen, ruht mit den Augäpfeln und ist (erst einmal)
des räumt man ihnen auch kess ein, dass sie sich diese
übel gelaunt. Denn, wie das für Gedichte so üblich ist
bodenlose Frechheit zu eigen gemacht haben, an unse-
(wahrlich ein Laster!), kerkern die wenigen Zeilen des
re Gefühle zu appellieren. Empfindsamkeit in uns aus-
Gedichts die Fantasie des Lesenden förmlich ein, be-
zulösen. Uns in Freude, Tränen und Rührung ausbre-
vor man sich dann, sachte und behutsam, aus dem
chen zu lassen. Und dies, wenn möglich, dann auch so
«Dichticht» freisäbelt.
oft wie nur möglich! Die besonders wirkmächtige Lyrik unter den Gedichten heftet sich an die empfindsamsten
Ich lese von einer Möwe, die durch den weissen Sand
Gemüter unter uns, so heisst es, oder umgekehrt heften
trippelt, einem Wind, der die Sonnenschirme flattern
sich meist empfindsame Gemüter an besonders wirk-
lässt, einem Meer, das in der Ferne verdunkelt, einer
mächtige Gedichte ran. Solch eine Herleitung, wie also A
Wolke, die sich nicht bewegt, einem Hund, der gestrei-
zu B gefunden hat, ist ein Streit um des Kaisers Bart und
chelt wird, einer Frau, die aus dem Wasser steigt, und
führt uns hier nur auf Irrwege (was auch Gedichte gele-
von einem Schreibenden, der das Schreiben einstellt, bis
gentlich zu tun pflegen). Gedichte können auch furcht-
– «sich die Lage beruhigt hat».
bar nerven, die meisten tun es. Viele unter uns können
Mir, dem Lesenden, kommt das schrecklich harm-
mit Gedichten überhaupt gar nichts anfangen. Aber das
los vor und mich umgibt der Gedanke, dass hier et-
liegt nicht an den Gedichten selbst, da diese ja vom Prin-
was stinkt, in dieser vom Autoren gedichteten Meer am
zip her unwichtig sind.
Strand Szenerie. Und zwar gewaltig. Boshaft versuche
Das weitaus grösste Faszinosum jedoch, das von ei-
ich den Zwist, den dieses Gedicht mit dieser Meer am
nem Gedicht überhaupt ausgehen kann, betrifft die letz-
Strand Szenerie zwingenderweise in sich haben muss,
te Zeile. Die letzte Zeile führt uns unweigerlich und un-
zu lösen. Ihm, diesem Gedicht also, auf die Schliche zu
ausweichlich zu diesem einen Moment heran, in dem
kommen. Die ausladende Ausführlichkeit am Strand
der Lesende innehält und die Augäpfel ruhend rasten
ist Käse. Wenn schon (und auch dann gleicht die Mög-
lässt, durchatmet, in sich geht. Viele sind sich bei die-
lichkeit einem Mauseloch), dann müsste die Möwe den
sem kurzen Innehalten, in diesem einen Augenblick voll-
Hund streicheln, die Wolke dunkel aus dem Wasser stei-
ends bewusst, so, in anständiger Art und Weise, wie es
gen und nicht der Wind, sondern die Frau durch die
sich verdammt noch mal gehört, dem Gedicht eine ge-
Zähne pfeifen, damit die Sonnenschirme im Meer flat-
wisse Ehre anzudichten. Spötter sprechen hier von Ver-
tern, der Schreibende innehält und das Schreiben einge-
dichtung. Etwas auf sich ruhen zu lassen, nicht gleich
stellt wird, bis – «sich die Lage beruhigt hat».
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die Lage beruhigt hat» – kann man dem Gedicht nichts Käse also in jener Hinsicht, dass mir nicht annährend
abgewinnen. Es wirkt zu larmoyant, etwas geschmäck-
glaubhaft beschrieben wird, was den Schreibenden im
lerisch, diese Anmerkung sei mir erlaubt. Denn der be-
Gedicht, in dieser Meer am Strand Szenerie, von sei-
mühte Versuch seitens des Autors, eine Bedrohungsku-
ner Schreibtätigkeit abhalten lässt. Was ersichtlich
lisse, ein Chaos in einer Idylle mit Alltäglichkeiten zu
wird und deswegen auch durchaus sympathisch wirkt,
versehen, ist gescheitert, da sich der Autor des Gedichts
ist, dass es sich bei dem mit Konzentrationsschwäche
(nicht der konzentrationsschwächelnde Schreibende im
gesegneten Schreibenden im Gedicht kaum um einen
Gedicht, um Himmels willen, lassen wir diesen armen
westlichen Touristen handelt. Einem also, der sich mit
Kerl in Ruh!) eher wie ein Klugscheisser anhört als ein
Peoplezeitschriften und Flip Flops bewaffnet unter Son-
Wortakrobat, ein dichtender Architekt, der mit Strand-
nenschirmen fläzt und wie ein Seelöwe daliegt. Diesem
szenen umzugehen weiss. Strandszenen sind aber auch
alles-inklusive-Hotelgast, der scharf auf den kaffeebrau-
schwierig.
cken bleichen Bauch bräunen lässt und seiner nervigen
Soll also heissen, an Naivität wurde zu viel zusammen-
Liebsten den Rücken mit fettig-milchiger Sonnencreme
gekratzt, um daraus eine halbwegs, naja, wie soll ich sa-
einschmiert, bis die nächste Runde Strandboccia oder
gen – um in den Worten des Autors zu bleiben - ‹unruhi-
Happy Hour an der Poolbar losgeht. Von welcher es sich
ge› Lage zu schaffen, die niemanden zwingt abzuwarten,
übrigens vergnüglich gleich im Sitzen ins Wasser pin-
geschweige denn, irgendeine Tätigkeit einzustellen. Der
keln lässt. Nein, so ein Schmutzfink ist der Schreiben-
Sex, der durch die Frau kurz angesprochen wird, holt
de aus unserem Gedicht Vorzeitiges Ende nicht. Sichtlich
ihm ein paar «du hast es gut gemeint Punkte» ein, ist
handelt es sich beim Schreibenden im Gedicht um ei-
aber im Grunde, in einer Welt (ach, was rede ich: in un-
nen Schmutzfink ganz anderer Art, bei dem sämtliche
serer Welt!), die vom Schmuddelkapitalismus durch-
Stützen der Konzentration einbrechen, wenn Nacktheit
drungen ist, keine Lorbeere wert. Für den Hund (über
auf seine Netzhaut trifft. Nacktheit, die ich pauschal und
die trippelnde Möwe will ich hier kein Wort mehr verlie-
ohne viel darüber nachzudenken, der aus dem Wasser
ren), gelten die einfachen Gesetzmässigkeiten: Mensch
kommenden, in einen Bikini gehüllten Dame, einfach
streichelt Hund: schlechte Story, Hund streichelt
mal unterstelle.
Mensch: gute Story. Es wurde also verpatzt, den Lesen-
Nennen wir sie Badenixe, denn das ist offensichtlich der
Widerspruch und Wahnsinn, Häme und das Denken in
grösste Fehler, der dem Autor von Vorzeitiges Ende unter-
Kategorien, ansonsten besitzt das Gedicht das Charisma
laufen ist. Er, dieser Autor, benennt nichts. Die Frau hat
eines alten Bademantels, der an den Ärmelenden grau
den in die Strandszenerie einzulullen. Ich wünsche mir
keine Kurven, der Hund keine Tollwut und die Möwe
und ausgefranst ist. Diese Überlegungen manifestieren
hat kein schwarz verschmiertes Gefieder, wegen eines
sich, je öfter ich das Gedicht Vorzeitiges Ende durchlese
Öltankers, der auf dem Meer ausgelaufen ist. Die trip-
und jeweils, wie es sich für ein Gedicht verdammt noch
pelnde Möwe sowie die Frau (die eigentlich trippeln
mal gehört, innehalte, die Augäpfel ruhend rasten lasse,
müsste, Herrgott!) sind Uniform-Möwen und Uniform-
durchatme und in mich gehe.
Frauen. Generalisierbar. Er spricht oder schreibt mit und von Beliebigkeit, was wiederum beim Leser eine
Die Sache mit dem Witz? Der Autor hat noch ein zweites
unendliche Ödnis hervorruft, wofür ich nicht das Meer
Gedicht geschrieben: Blindes Vertrauen. Es handelt sich
am Strand verantwortlich machen kann. Keine scharfen
hierbei um einen Blindenwitz, in dem ein Blinder einen
Töne. Der Schreibende, der das Schreiben einstellt, weil
Blindenhund namens Alfie besitzt. Herrchen und Hünd-
er grad nicht mit der Situation rund um ihn herum klar-
chen in einer Slapstick Manier waren diesem Heft sechs
kommt, wirkt banal und uninteressant. Wenn es sich bei
Zeilen wert. Über Humor sollte man bekanntlich nicht
ihm, dem Schreibenden im Gedicht, in dieser langweili-
streiten.
gen Meer am Strand Szenerie, nicht um einen Autisten handelt, der fiebrig seinen Blick kaum mehr von dem
ANDREAS HAURI
ihm Dargebotenen abzuwenden vermag, ob Fell (Hund), Feder (Möwe) oder Haut (Frau), und daher sichtlich bemüht ist, seine Schreibtätigkeit einzustellen, bis «sich
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Kritik
nen Popo der Animateurin ist, sich tagsüber seinen di-
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Da hockst du in einem Redaktionsraum einer deutschsprachigen Literaturzeitschrift im dritten Stockwerk, diskutierst Einsendungen und dann fällt irgendwann der Satz: «Es ist schon bemerkenswert, wie handlungsarm, humorlos und unverständlich die meisten Texte sind». Du greifst dir an den Kopf, raufst dir die Haare und stellst fest: Das ist wohl kaum verwunderlich, wenn der Durchschnitt der Heerscharen von Wannabe-SchriftstellerInnen im Alter von zehn bis hundert Jahren in diesen übersättigten, reichen Ländern auf Koffern voller Geld in einem Tresorraum einer geheimnisvollen Schweizer Bank oder einer Bank des europäischen Exportmeisters Deutschland sitzt. Dieser Typus hockt da allein in seinem Bunker und kann vom Gefunkel gestohlener Goldbarren geblendet nicht recht sehen. So versteht dieser Typus weder sich selbst noch die Welt so richtig. Aber weil er ganz allein ist, muss er sich und seine kleine Hochsicherheitsfunkelwelt halt ernst nehmen. Er berichtet von der Grosswetterlage zehn Meter unter der Erde und davon, wie auf dieser Welt nichts, aber auch gar nichts passiert. Er hingegen hat ein äusserst tiefes Seelenleben und die einmalige Begabung, diesem Seelenleben Ausdruck verleihen. Selbstredend ist er zehn Meter unter der Erde gegen jede Art von Oberflächlichkeit. – Was soll’s. Du wanderst also durch diese trübsinnigen Innerlichkeitswüsten und bewunderst selbstinduzierte Zeitlosigkeitsorgasmen, weil im Neonlicht die Sonne nie auf- und nie untergeht. Und am Ende ist es dann sogar recht ulkig, wenn die Erlösung von allen asketischen Selbstkasteiungen aus Weihrauchnebel auftaucht und zwischen Schwert und Maschinengewehr in Weltrettungsfantasien à la Lord of the Rings besteht: Kriegerrhetorik von Jünglingen mit weichem Hirn und allzu hartem Penis, die ihre Daddys vermissen (#pickupartist), während nebenan die RedaktorInnen von Charlie Hebdo erschossen werden. Aber Humor liegt immerhin im Auge des Betrachters. «Gott sei Dank!», ruft da der mittlerweile krebskranke Heilige Georg nur.
… Du wanderst also durch diese trübsinnigen Innerlichkeitswüsten und bewunderst selbstinduzierte Zeitlosigkeitsorgasmen …
FABIAN SCHWITTER
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Reinreden
Humorlos: Handlungsarme Unverständlichkeit
Etwas, das passiert ist Der Versuch des Erzählenden etwas Kohärentes zu Papier zu bringen, kann dem Umstand ähneln, wenn ein Vergesslicher { 1 } einen Witz zu erzählen versucht. Oft will es nicht gelingen. Es stellt sich die Frage: wieso nicht? Da auf diese Frage meistens keine Antwort folgt, stellt sich eine andere Frage { 2 }: wozu das Ganze? Man stelle sich den ersten Menschen vor, wie er durch eine romantische Wildnis läuft, irgendwelche Beeren isst, dann schliesslich in einen Teich blickt und sich selber betrachtet. Was geht in diesem ersten Menschen vor? Genau: nichts. Selbst ein etwaiger Sturz in den Teich wäre ein Versehen und keine Eitelkeit. Der erste Mensch trottet also weiter dahin. Nach einer immerwährenden Wiederholung des ewig Gleichen { 3 } beginnt allerdings auch er, sich zu langweilen. Und an diesem Punkt der Geschichte muss etwas geschehen, denn sonst wäre hier Schluss. Der erste Mensch läuft also weiter und langweilt sich, bis er auf eine Truppe anderer Menschen trifft, die um ein Lagerfeuer sitzt. Gesungen wird nicht, da es noch keine Gitarren gibt. Der erste Mensch und die anderen Menschen schauen einander an, es herrscht Verlegenheit, niemand hat mit dieser Begegnung gerechnet. Womit auch keiner gerechnet hat, ist der Säbelzahntiger { 4 }, der hinter dem Gebüsch hervorspringt und alle auffrisst. Im Leben wie auch im Erzählen geht es eben nie um die richtigen Antworten, sondern immer um die richtigen Pointen.
Reinreden
… Womit keiner gerechnet hat, ist der Säbelzahntiger …
ESTHER LAURENCIKOVA
{ 1 } { 2 } { 3 } { 4 }
Gemeint ist eigentlich ein Dementer. Das stimmt nicht, dieser Text will einfach eine andere Frage beantworten. Eine Anspielung auf Nietzsche, das habe ich mal gelesen. Wahrscheinlich ein smilodon populator.
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Wir gebären uns infantil. Wir sind viele kleine Kritiker im Krebsgang. Unsere Mutter, die wir sind, bringt uns einen mit Rotstift verzierten Briefumschlag, der nichts Gutes verheisst. Uns läuft es heute noch eiskalt den Rücken hinunter, wenn wir an das Schreiben denken. Wir versuchen es so differenziert und differenzierend wie möglich zu öffnen. Es geht nicht. Wir nehmen das Schwert zu Hilfe. Zuerst den Zweihänder, dann das Katana. Erst schlagen wir die «TRIGONE» ab, dann den Irrsinn. In der Ecke wimmert der Komplex in seinem Rüschenhemd und hält sich die schmerzende Ellenbeuge. Wir berauschen uns daran. Wir sind gut. Es ist geil. Spass am Text. Der Literaturbetrieb ist eine bösartige Maschine. Fast nichts ist heutzutage mehr im Bestreben von delirium (danke dafür!). Alles ist schlecht. Meistens sind es gerade die Worte. Oder der Held ist sehr dumm. Oder die grafische, grammatikalische und sprachliche Verfasstheit. Oder das Klischee. Oder die wechselnde Perspektive. Oder es ist Trivialliteratur, die die bösartige Maschine gemeinhin hervorbringt. Wir planten den literarischen Vollrausch (über Schwindel hinaus) und gelangten nicht einmal zu einer beschwipsten Perspektive. Wir sind zu lesefest und bleiben nüchtern. Früher war alles anders (veraltete Dativwendung), heute ist es zum x-ten Male neu. Trennen und herrschen! Während wir den Brief teilen, lächeln wir. Wir machen zwei Häufchen. Wenn wir die oblatengrossen Schalentieraugen zusammenkneifen und dabei ein bisschen schielen, sieht es gar nicht mehr so unordentlich aus. Jetzt haben wir Lust am Aufräumen! (Zwang ist auch ein Psycho-Mechanismus.) Im kristallinen Sand hat die Eisvampirin ihre Wortschatzkisten vergraben. Sie sind leer, damit das Wort «TRASH» wie der Knall einer Olibanumpistole in ihnen hallt. Das muss nicht jeden glücklich machen, bringt aber Spass an der Lust. Die Mobber gehen voraus, wir trippeln seitwärts hinterher. Wir, viele blaue kleine Kritiker, schreien «Verrückte, Monstren, Perverse», aber differenzierend, deshalb lösen wir uns gemeinhin in Rauch auf. Wenn das Ende eines Textes genau wie den Protagonisten vom Feind den Leser vom Text befreit und die Nabelschnur kappt, ist das eine Geburt.
… Wir planten den literarischen Vollrausch (über Schwindel hinaus) und gelangten nicht einmal zu einer beschwipsten Perspektive …
LAURA BASSO, CÉDRIC WEIDMANN, SAMUEL PRENNER
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Reinreden
Zwei Häufchen
Das Unbehagen in der Natur (1) In einem Brief an seinen Freund Sigmund Freud versucht der französische Schriftsteller und Pazifist Romain Rolland Freuds kritischen religiösen Ansichten in Die Zukunft einer Illusion (1927) ein nicht näher bestimmtes Gefühl eines «Unbegrenzten» und «Schrankenlosen» entgegenzuhalten. Eine nicht näher bestimmte subjektive Tatsache, eine «Ewigkeit», aufgrund derer sich Rolland zufolge Millionen von Menschen religiös heissen dürfen, auch wenn sie dabei jeden Glauben und jede Illusion ablehnen. Rolland beschreibt es als ein gleichsam «ozeanisches Gefühl»:
Reinreden
« [ … ] Mais j‘aurais aimé à vous voir faire l‘analyse du sentiment religieux spontané ou, plus exactement, de la sensation religieuse qui est (...) le fait simple et direct de la sensation de l’éternel (qui peut très bien n‘être pas éternel, mais simplement sans bornes perceptibles, et comme océanique).»
… der akustische Reflex des Auch meine konfessionslose Wenigkeit versucht sich zuweilen Rollands «ozeanischem Ozeanischen in Form Gefühl» zu nähern und damit den religiösen von kostenpflichten Wellen- Millionen anzugehören. Der Zugang gestaltet sich nach einigem hin und her liberal und geräuschen … sehr materialistisch: Den von Rolland pos-
tulierten Affekt vermute ich nämlich schon seit geraumer Zeit im breiten Angebot virtueller Naturklänge eines bekannten Musikdienstes. Nature Sounds. Dem Zweck des «Schrankenlosen» entsprechend, gehören «Healing Sea», «Sound from a Grove» und buchstäblich natürlich «Ocean Rain» zu den meist gespielten Titeln von Nature Sounds. Kein freudsches Eiapopeia des Himmels also, als vielmehr der akustische Reflex des Ozeanischen in Form von kostenpflichtigen Wellengeräuschen. Die Ahnung des Ozeanischen liegt dabei im Zeitraum von nicht mehr als vier oder fünf Wellen virtueller Dünung. Es sind jeweils die letzten wenigen Wellen, bevor man dem Schlaf verfällt. Die wenigen für deren Dauer es tatsächlich gelingen kann, die Anforderungen der Kultur als etwas Erhabenes, das hoch über dem triebhaften Individuum abläuft, zu verkennen. Es ist das letzte Rauschen der digitalisierten Brandung am Rande des Bewusstseins, durch das man sich, ganz im Sinne Rollands, für kurze Zeit von den freudschen Sublimierungsleistungen des Subjekts losgesprochen fühlen kann. Die Wohltat dieses vorübergehenden Trugs liegt darin, dass man die Natur für einen Moment nicht als einen urmenschlichen Konflikt oder gar verinnerlichten Kulturfaktor an und in sich erleiden muss. Stattdessen wird der elementare Destruktionstrieb durch das Tosen des Titels «Storm Waves» für die Zahlenden zum distanzierten auditiven Genuss aufbereitet und sogar die wogende Rhythmik des freudschen Libidotriebs beginnt in der scheinbar endlosen Serialität von «Calm Beach» allmählich zu verebben. Leider sind die fünf letzten Wellen bald einmal gebrochen und das damit verbundene Aufschimmern des «ozeanischen Gefühls» währt nur kurz und unwiederbringlich vor dem lautlosen Schlaf. Das Gewoge von «3-D Sounds of the Celtic Sea» beginnt sich unerwartet zu überschlagen und kündet wirr vom Ende einer behaglichen Frist des «ozeanischen Gefühls», das in Lethes abschließender freak wave unaufhaltbar heranrollt … LUCA THANEI
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Die Besserwisser Füller contra Schwitter: Fabian Schwitter, Redaktionsmitglied von delirium, diskutiert mit Albrecht Füller von der Gruppe Konverter, einem nicht-kommerziellen Kunstkollektiv aus Zürich.
Füller: Nach Adorno: Autonomie der Kunst ist eine bürgerliche Kategorie. Mit den Mitteln der Kunst sich gegen diese Kategorie aufzulehnen, erlaubt nicht, die historisch vollzogene Trennung wieder aufzuheben. Indem aber die historische Spaltung von kreativer Tätigkeit in Kunst und Laientum bewusst aufgezeigt wird, kann eine Haltung zugunsten tätiger und gelebter Kreativität eingenommen werden, die zwischen affirmativer Haltung gegenüber der Kunst und dilettantischen Versuchen jenseits einer Kategorie der Bürgerlichkeit liegt, aus der heraus zumindest die Möglichkeit besteht, Kunst zu überwinden, indem ihre Kategorien historisch relativiert und damit entkräftet werden. Weder der Werkcharakter noch die Auseinandersetzung innerhalb der Institution Kunst, die den Warencharakter der Kunst in Begrifflichkeiten wie «Konzeptkunst» abstrakt perpetuieren, haben Platz in einer solchen Stossrichtung, die sich die Abschaffung aller Kunst zum Ziel setzt. Oder einfacher gesagt: Ausgehend vom Status quo besteht die Autonomie der Kunst darin, zu sagen: «Ich male, also bin ich Künstler» («male» kann hier durch beliebig andere kreative Tätigkeiten ersetzt werden). Konverter sagt: «Ich male, also bin ich kreativ tätig.» Oder noch einfacher: Es ist keine Kunst im Konverter, weil wir gar nicht Kunst machen (wollen). Keine Werke, keine Konzepte. Schwitter: Tja: Da scheinen wir vom Selben zu reden. Natürlich muss ich meine Aussage präzisieren: «Die Garage wäre Kunst.» Da die Zusammensetzung der Kunst aus Werk und Autonomie keine einseitige Fokussierung weder auf das Werk noch auf die Autonomie erlaubt, kann folglich eine nur autonom vollzogene Tätigkeit nicht mehr «Kunst» genannt werden. Die Frage ist nun: Welche Bezeichnung wäre stattdessen zu wählen? So wie ich das sehe, geht es beim Konverter und den wöchentlichen Treffen eben darum, die kreative Tätigkeit als Teil einer Lebensführung zu verstehen, d.h., es gibt keine Trennung von «Werk» und Lebensführung. In der herkömmlichen Kunst ist es ja eben möglich und wird auch gefordert (selbst wenn das vielleicht ein nie zu erreichendes Idealpostulat ist), das Werk unabhängig von der Lebensführung zu verstehen. Das macht ja auch den Mythos der sogenannten bürgerlichen Kunst aus – bzw. eben der hohen Kunst, die sowohl vom Produktions- als auch vom Rezeptionsprozess her vollständig autonom gedacht ist.
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Reinreden
Schwitter: Nach Bourdieu: Kunst bestimmt sich seit dem 19. Jahrhundert über die (mehr oder weniger grosse) Autonomie des Produktionsprozesses und das materielle Werk. Die Kunst ist der paradigmatische Ort der Autonomie. Bestimmte Off-Szenen-Projekte, wie die Zürcher Gruppe Konverter, bestimmen sich jedoch rein über die Autonomie. Die Werke sind nicht im engeren Sinn als Kunst zu verstehen. Die Kunst liegt im Ort der Gruppe selbst. Der wöchentliche Treffpunkt ist als Kunst im umfassenderen Sinn zu verstehen: Die Garage ist die Kunst.
Reinreden
Füller: Ja, wie möchte man das nennen? Ich schlage immer noch «kreative Tätigkeit» als zeitweilige Überbrückung vor, da sie den institutionellen Charakter von «Kunst» aufhebt: als Institution, aber auch als Verfahren, das vom Leben getrennt ist, sowie als Profession. Daher auch dieser zweite Slogan, den wir einst aufbrachten: «Kunst kann jeder machen – sogar Künstler.» (Im Sinne einer laienhaften Kunst, die nicht als Profession, sondern als Verlängerung der gesellschaftlichen Praxis auftritt. Der Natur des Künstlers gemäss hat dieser hierbei die grösste Hürde zu überwinden, seine eigene Abschaffung nämlich zu denken.) Ja, es ist die herkömmliche «Kunst», die an ihrem eigenen Untergang nagt, so wie das (alte) Gross-, Klein- und Bildungsbürgertum ebenfalls. Das Kleinbürgertum hat sich nach einer nazistischen Periode auf Konsumgüter gestürzt und beweist seit 150 Jahren nur Verklemmung und Infantilismus; seine Partizipation hat sich erübrigt, solange man dem Baby einen iSchnuller gibt. Die Bildungsbürger, aufgrund ihrer Einsicht noch am ehesten als «Totengräber» des eigenen Systems tauglich, sind zwar ebenso Teil dieser untergehenden Ordnung, aber sie drehen sich seit vierzig Jahren in einer Metaspirale – in Gesprächen, in denen die Struktur der Struktur debattiert wird, und das zu einem Zeitpunkt, da das Publikum schon lange den Raum verlassen hat. Dass der Rückgriff auf ein «Proletariat» heute bizarr anmutet, kann ich verstehen. Ein Rückgriff aber auf eine dieser Schichten, die ich oben kurz skizziert habe, scheint mir noch irrwitziger. Und «Kunst» kann sich für eine solche Klasse nicht autonom gestalten, sie ist organisch gebunden an die Lebensrealität der eigenen Klasse. Oder ganz platt: Wenn der Prolet versteht, dass er selber auch Gedichte schreiben kann, kommt er vielleicht auf die Idee, dass er und seinesgleichen auch im Betrieb übernehmen können. Ist der Prolet nicht mehr Zuschauer der Kunst, hört er vielleicht auch auf, bloss Zuschauer seines eigenen Lebens zu sein. Wird er kreativ tätig, ohne Künstler zu werden, kann er vielleicht auch gegenüber der Ausbeutung tätig werden, ohne Ausbeuter zu werden. Und jetzt bitte ich um viel Häme... Nein, ernsthaft: Der letzte Absatz ist eine Skizze, mit der ich tastend mich vorwärts bewege. Sie diene dir nicht als Beispiel, um das vorherige zu entkräften, da sie selber ohne Kraft noch ist.
… Hurrah. Wir nähern uns dem Abgesang. Da ist Schwitter: Hurrah. Wir nähern uns dem Abgesang. Da ist ja doch ja doch etwas drin in dieser etwas drin in dieser gesättigten Zeit. Insofern: Ich stimme grössgesättigten Zeit … tenteils zu. Das klingt alles sehr
interessant. Nur: Der pädagogische Aspekt ist nicht wegzudenken. Das verschiebt die Sache vom Gebiet der Kunst ins Feld der Pädagogik. Da stellt sich aber die Frage: Wie ist es möglich diese Verschiebung zu vollziehen, ohne wieder in paternalistische Muster zu verfallen? Es müsste eine Erziehung mit suspendierter oder graduell aufgehobener Autorität sein. Das Credo: Die LehrmeisterInnen haben Leitern zu verteilen, die länger sind als sie selbst. Füller: Hehe, ja, es ist ein Abgesang. Zwischendurch erlaube ich mir auch noch ein bisschen Rage. Ich glaube nicht, dass das Pädagogische hierbei problematisch ist – ich stehe
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dazu. Ein Stück weit muss man sich da weit hinauslehnen, auch wenn die Gefahr lauert, paternalistisch zu werden (wobei ich frage, was daran denn falsch ist... oder anders gesagt: In Zeiten, in denen die allgemeine Infantilität so stark ausgebreitet ist, mag Paternalismus seine Berechtigung haben. Jeder Zeit das, was sie verdient …).
Füller: Warum sich nicht als Lehrmeister verstehen, ohne gleich zum Lehrer zu werden? Wir müssen das ja nicht aufs Professionelle raufschrauben. Darin liegt übrigens auch die Parallele zur Kunst: Wir können uns kreativ betätigen, ohne uns gleich als Künstler aufzuspielen. Wer nichts lernen möchte, der vermeide tunlichst alle anderen Menschen. Nein, ich halte das für ein verfehltes Menschenbild. Wir sind Lernende und Lehrende und wer etwas zu sagen hat, der sage es auch. Man muss daraus, wie gesagt, nicht gleich eine Programmatik entwickeln, aber wenn du die Frage stellst, wie anzuregen sei, dann antizipierst du bereits ein Verhältnis zu einem (fiktiven) Zuschauer oder Leser, das ungleich ist. Das kommt nicht aus der eigenen Haltung heraus, sondern liegt in der Sache selbst. Kunst trennt die Menschen in Machende oder Vorführende und in Zuhörende oder Stille. Das allein wäre vielleicht noch nicht schlimm, wenn es temporär wäre, aber im Kapitalismus schliesst diese Logik an jene im Arbeitsprozess an. Oder um es jetzt ganz spitz zu formulieren: Der Autor, der nicht belehren möchte, ist wie der Arbeitgeber, der auf gut Freund mit seinen Untergebenen machen möchte. Beide verschleiern ihre Position und belügen sich selber.
Gegen Geschwafel Die Frage, die sich uns stellt, wenn wir einen Text wie Besserwisser lesen, ist eine einfache: Für wen wird hier geschrieben? Wer gelesen werden will, sollte so schreiben, dass er auch gelesen werden kann. Sonst zeigt er damit nur, dass ihn die Meinung anderer nicht interessiert. Wer umständlich schreibt, damit das Geschriebene irgendwie wichtig klingt, kann nicht erwarten, dass sich jemand freiwillig durch dieses Gefasel kämpft. Wir haben gekämpft. Das Fazit ist ernüchternd. Es wird hüstelnd lamentiert, dass «das Publikum schon lange den Raum verlassen [habe]». Dies ist ein unfreiwillig komischer Selbstwiderspruch, weil es in einem einzigen Selbstinszenierungsgesülze geschieht. Neben der verwendeten Sprache sprechen wir uns auch gegen die herablassende Haltung dieses Textes aus. Die zeigt sich am eindrücklichsten an folgender Stelle: «Wenn der Prolet versteht, dass er selber auch Gedichte schreiben kann, kommt er vielleicht auf die Idee, dass er und seinesgleichen auch im Betrieb übernehmen können. Ist der Prolet nicht mehr Zuschauer der Kunst, hört er vielleicht auch auf, bloss
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Schwitter: Nur, dass ich mich nicht als Lehrmeister betiteln lassen will. Da haben wir das Problem: Wir sind uns einig, dass es um Ermächtigung geht und dass die Kunst diesbezüglich einen entscheidenden Beitrag leisten kann. Da stellt sich natürlich die Frage, ob Paternalismus der richtige Weg ist, läuft er doch Gefahr, selbsterhaltend zu sein. D.h., können paternalistisch geprägte Menschen wirklich aus dieser Haltung heraus? Bleibt zu fragen: Wie also anregen zu Tätigkeit, und zwar zu möglichst gut ausgestalteter Tätigkeit?
Zuschauer seines eigenen Lebens zu sein.» Der «Prolet» ist also zu dumm, um zu verstehen, dass er selber Gedichte schreiben kann. Vermutlich meint der Verfasser dies exemplarisch für eine kreative Tätigkeit. Der «Prolet» ist anscheinend unausweichlich Zuschauer seines eigenen Lebens, was nur durch kreative Tätigkeit zu durchbrechen sei. Der Verfasser geht nicht davon aus, dass es Formen der kreativen Tätigkeit geben könnte, die zwar der «Prolet» ausübt, aber die der Verfasser nicht kennt. Er bestimmt, was eine mündige, selbstbestimmte und was eine unmündige, fremdbestimmte Alltagspraxis ist. Durch seine Definitionsmacht über diese Richtlinien stellt er «Unmündigkeit» selbst her.
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… Wir haben gekämpft. Stellen wir uns die Automechanikerin Livia Livia würde wohl durch ihre BerufstätigDas Fazit ist ernüchternd … vor. keit als «Proletin» bezeichnet. Nehmen wir an, Livias Reifendruckmessgerät geht immer nach einem Jahr kaputt. Anstatt ein neues zu kaufen, beschliesst sie einmal, es aufzuschrauben. Vielleicht befindet sich darin ein getimter Trigger, der das Gerät jeweils nach einem Jahr funktionsuntüchtig macht. Wenn Livia nun einmal im Jahr diesen Timer zurückstellt, hat sie sich nicht kreativ betätigt, unterwandert damit nicht das Konsumsystem und hat sich nicht aus dem Zuschauerdasein ihres Lebens befreit. Einzig aus dem Grund, weil sie eine Proletin ist. Wir wissen nicht, wie realistisch dieses Beispiel ist. Gerade weil wir nicht wissen, wie Livias Berufsalltag aussieht, massen wir uns auch nicht an zu sagen, dass in ihrem Berufsalltag nicht «gegenüber der Ausbeutung tätig» wird. Das Belehren scheint offenbar ein wiederkehrender Topos im Denken des Verfassers zu sein: «Der Autor, der nicht belehren möchte, ist wie der Arbeitgeber, der auf gut Freund mit seinen Untergebenen machen möchte. Beide verschleiern ihre Position und belügen sich selber.» Woher kommt die Auffassung, dass jeder Autor belehren möchte? (Eventuell aus dem bürgerlichen Kunstverständnis des 19. Jahrhunderts. Wir sehen hier die Überwindung der Kunst als bürgerliche Kategorie, die es anzustreben gelte, nicht wirklich.) Auch kennen wir die Arbeitgeber des Verfassers nicht, aber aus unserer Erfahrung ist ein freundschaftlicher Umgang zwischen Arbeitgeber und -nehmer durchaus möglich, ohne dass die Positionen verschleiert werden. Was uns darüber hinaus merkwürdig erscheint, ist die Kritik am Bürgertum. Denn diese Kritik geschieht in einer Sprache, die das bildungsbürgerliche Schwafeln geradezu sklavisch imitiert. Formal ist somit keine Distanzierung von der bürgerlichen Praxis geschehen. Es sei denn, beide Verfasser dieses Texts wollen mit ihrem Sprachgestus aufzeigen, dass diese Form von «kritischer Auseinandersetzung» zu nichts führt. Dann haben sie das mit bewundernswerter Effizienz bewerkstelligt. Wir wollen uns mit Literatur und ihrer Aufgabe befassen. Für das Sprechen über Literatur scheint fast krankhaft sprachliche Komplexität als Massstab für die Qualität des Inhalts zu gelten. Dagegen gilt es anzuschreiben. Es ist ein höchst undemokratischer Zugang. Wir treten für einen anderen Qualitätsmassstab ein: weg von unnötig komplexen akademischen Überschraubungen hin zur Zugänglichkeit. LAURA BASSO, DOMINIK HOLZER
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Stöbern, schmökern, sich umsehen, abgrasen. Auf Englisch: to browse. Browsing bezeichnet die Tätigkeit, sich durch Hypermedia-Strukturen wie das Internet zu navigieren. Das geht auch analog. So schiffe ich heute als Informationskapitänin durch das Zeitschriftensortiment im Restaurant. Über 40 Zeitschriften und Zeitungen hat das Debattierhaus Karl der Grosse abonniert – darunter findet sich auch delirium, dessen Redaktion seit letztem Herbst im Karl ein Büro mit dieperspektive teilt. Und immer wieder findet jemand in unserem Team eine neue Perle der Print-Kultur, die den Weg sofort in unser Sortiment finden soll. Auch heute stehe ich sprachlos, aber dennoch fasziniert vor dem Zeitschriftenregal angesichts dieser Flut von mir bekannten und unbekannten Printerzeugnissen. Sirenenhaft gar scheinen mich zwei Magazine anzulocken: mare – Die Zeitschrift der Meere oder Transhelvetica – Schweizer Magazin für Reisekultur. Fernweh an einem gewöhnlichen Nachmittag. Aber ich will nicht die erste Insel ansteuern, die mich verlockt. Weiter. Warum nicht Wohnen und Architektur als Begriff, der meine Hand-Hirn-Auge-Suchmaschine leiten soll? Ich scanne das Regal ab und greife da zu, wo mich Titel und Cover ansprechen: Hochparterre – Zeitschrift für Architektur, Planung und Design, dann die Wohnrevue und Das ideale Heim. All diese Magazine landen auf dem Stapel auf meinem Arm. Oh, es gibt auch die Dérive - Zeitschrift für Stadtforschung, die nehme ich – alte Situationistin, die ich bin – auch gleich mit. Auch das Punkt mit seinem Stadtplan-Cover zieht meine Aufmerksamkeit auf sich, und daneben titelt enorm «Weniger ist mehr». Das könnte spannend sein. Also nehme ich auch diese beiden Wirtschaftsmagazine mit. Brand eins? Ein weiteres Wirtschaftsmagazin. Nehm ich mit. Cicero? Ein Magazin für politische Kultur, warum eigentlich nicht. Langsam wiegt der Stapel schwer, aber da ist noch mehr. Vielleicht noch etwas Philosophie mit HOHE LUFT? Und in diesen einen spannenden Artikel, dessen Titel meine Aufmerksamkeit auf das Cover von REPORTAGEN lenkte, will ich auch reinlesen. Und dann ist da der Schweizer Monat mit dem altmodischen Namen und dem jungen Layout, der mir als Autorenmagazin für Politik, Wirtschaft und Kultur hochstehenden Journalismus verspricht. Kultur interessiert mich auch. Quottom? Literarischer Monat? Spex? Strapazin? Alles da! Bald schon habe ich einen wirklich beachtlichen Stapel auf dem Arm. Direkt am Fenster setze ich mich mit meiner Beute, einem grossen Kaffee und einem Stück von Feridas unübertroffener Früchtewähe hin und beginne mit der Lektüre. Ich betrachte die Cover, überfliege die Inhaltsverzeichnisse, schaue mir die Illustrationen an. Einige Artikel überfliege ich, mit anderen beschäftige ich mich länger, vieles lese ich gar nicht. Ich mag das Haptische an dieser Tätigkeit. Das glatte Holz des Tisches, den Geschmack des Kaffees. Ich mag die verschiedenen Formate, die unterschiedlichen Papierqualitäten der Magazine. Und riechen tun sie auch alle ganz anders, diese Magazine. Bei Karl der Grosse darf man das, was einem am Kiosk durch böse Blicke und harsche Zurechtweisungen oft verwehrt bleibt: Man kann in aller Seelenruhe in verschiedenste Magazine reinschauen, kann sich von seinen Interessen leiten lassen, kann mal da, mal dort einen Artikel anfangen zu lesen und nach einigen Zeilen wieder aufhören, kann sich nur die Bilder anschauen. Sich etwas Gutes tun: Einen Nachmittag mit Kaffee und vielen Zeitschriften verbringen und sich von den Restaurantgeräuschen einlullen lassen. Und ganz am Schluss den Kopf leeren mit ein bisschen Bilder gucken in der Gala. Karls Zeitschriftenregal ist eine abenteuerliche Wellnessoase. Und ich habe beim Schmökern und Lesen wieder zur Sprache gefunden. BETTINA RYCHENER
Mehr über Karl der Grosse: www.karldergrosse.ch
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delirium im Karl
Analog browsen bei Karl
Debattierhaus Karl der Grosse
Diskutieren und flanieren Frühlingsluft streicht durch die Gassen der Altstadt; die Diskussionsfreudigen zieht es hinaus ins Freie. Jahrein, jahraus debattieren wir im Karl der Grosse. Was wäre, wenn wir all die Behauptungen und Beobachtungen, die wir in Karls Kammern austüfteln und herausposaunen, im freien Feld verifizierten – oder widerlegten? Im April wird Karl zum Stadtstreicher. Jede Woche erkunden wir ein anders Thema, diskussionsfreudig an den Stammtischen, vor Ort auf den Expeditionen, wortreich in Karls Blog. Wir sehen Zürich aus der Sicht von Stadtplanern und Stadtforschern, machen eine biografische Erkundungstour mit Milenko und Tomislava, besuchen unterschiedlichste Gärten in der Stadt. Kommt vorbei, liebe Biertrinkerinnen und Grosse-Töne-Spucker, liebe Forscherinnen und Abenteurer, liebe Neugierige, Unersättliche, Waghalsige. Brechen wir auf ins unbekannte Bekannte!
Karl im delirium
Alle Stammtische und Expeditionen unter: www.karldergrosse.ch Di 14. April 19.00 Karl der Grosse Stammtisch: Mythos Zürich Jede Stadt ist mehr als ihre Architektur, ihre räumliche Struktur. Zu einer Stadt gehört immer auch ein Lebensgefühl, getragen von Gesten, Erzählungen, Stadtoriginalen, einem Slang, einem Tempo. Was also macht Zürich aus – und wie lässt sich dieser Mythos verändern? Hinter den Konventionen und Regeln des städtischen Zusammenlebens eröffnet sich für sie eine Welt der unbekannten Möglichkeiten, die es zu entdecken gilt. Heute am Stammtisch: die «Social Space Agency». Das Forschungsgebiet dieser Gruppe ist der soziale Raum. An Karls Stammtisch sind alle Interessierten dazu eingeladen, forschende «Sozionaut_ innen» zu werden und ihre Thesen aufzustellen: Was ist Zürich und – viel wichtiger – was sollte Zürich sein? Eine Zusammenarbeit mit der Social Space Agency (SoSA). Eintritt frei Do 16. April 18.00 – 20.00 Treffpunkt und Ende: Grossmünsterplatz Expedition: Zürich neu erfinden Was wollen wir von Zürich? Wie wollen wir, dass diese Stadt wahrgenommen wird? Die Expedition beginnt! Zusammen mit der «Social Space Agency» brechen wir auf zu einer wagemutigen Forschungsreise in den sozialen Raum; eine Reise, nach der unser Zürich nicht mehr dasselbe sein wird. Im «Dörfli» finden wir neue Geschichten, Tempi, Slangs und Sichtweisen und bauen so einen neuen Mythos. Diesen wird sich unsere Stadt – so behaupten wir kühn – sicherlich bald zu eigen machen. Teilnahme kostenlos / Anmeldung an karl.debattieren@zuerich.ch Eine Zusammenarbeit mit der Social Space Agency (SoSA)
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