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Jede Bohne zählt

Ohne viel Aufhebens, aber dank der hervorragenden Qualität der Bohnen, röstet in Hausham eine zierliche blonde Frau exzellenten Kaffee. Die Geschichte eines Lebenstraums.

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Text und Fotos: Sabine Schreiber

Auch wenn es uns heutzutage wie selbstverständlich erscheint, ist es dennoch ein absolutes Luxusgut: Kaffee! Das aromatische, tiefdunkle Heißgetränk ist für viele aus dem Alltag kaum mehr wegzudenken und gilt als Garant für einen guten Start in den Tag, als wohltuender Energieschub am Nachmittag oder als perfekter Abschluss eines guten Essens. Vor lauter Gewohnheit vergisst man allerdings leicht, was für ein wertvolles und ungewöhnliches Getränk da eigentlich in der Tasse vor sich hin duftet – wenn es denn mit der nötigen Sorgfalt produziert und hergestellt wurde. Das beginnt schon bei Anbau und Ernte, erstreckt sich über Lagerung und Transport und geht über Röstung und Mischung bis hin zu Mahlgrad und Zubereitung. Um wirklich guten und – ebenso wichtig! – bekömmlichen Kaffee zu erzeugen, braucht es ein Zusammenspiel aus einer Vielzahl an Faktoren. Die Kaffee-Großindustrie, in der sich die Interessen weniger an der Qualität des Endprodukts als an der Gewinnmaximierung ausrichten, produziert inzwischen kaum mehr Produkte, die annähernd an das herankommen, was Kaffee eigentlich sein könnte. Gott sei Dank gibt es aber Kaffee-Spezialist·innen wie Anna und Christian Schmid.

Die beiden lieben, was sie tun – und das ist vermutlich das Geheimrezept für ihren Erfolg. Alles begann damit, dass Christian seinen Managerposten auf höchster Ebene aus Überzeugung an den Nagel hängte und bereits als junger Mann seinem Leben bewusst eine andere Richtung gab. Er reiste durch die Welt, gründete eine Familie und versuchte sich an einem Onlineshop für italienischen Kaffee und Kaffeemaschinen. Da in den 2000ern das Internet von Händlerseite noch weniger überfüllt und der Kaffee in Deutschland unglaublich schlecht war, boomte sein Webshop innerhalb kürzester Zeit. Die studierte Musikerin Anna bekam drei Kinder, Christian lagerte seine Waren im Gartenschuppen, Anna gab Musikunterricht, Christian mietete ein Ladengeschäft in Schliersee und beauftragte exquisite Röstereien mit

Aromaeigenen Kaffeeröstungen für allespresso. Dann waren aber die Kinder aus dem Gröbsten heraus und Anna hatte Lust auf mehr. Sie wollte selbst rösten. Endlich Einfluss haben auf die Auswahl sowie den Import der rohen Bohnen und selbst Röstgrad und Mischung bestimmen. Denn die Maschine kann noch so gut sein, wenn das Kaffeemehl – wie es die Profis nennen – lieblos behandelt und von minderer Qualität ist, kommt nur magenunfreundliche Plörre aus dem teuren High-End-Gerät. Nepp, den die Schmids ihrer Kundschaft auf jeden Fall ersparen wollen.

Mit Fleiß und Geduld zur Röstmeisterin

Und so machte sich Anna auf die Reise, eine Röstmeisterin zu werden. Was nicht einfach ist, da es diese Ausbildung im üblichen Sinne leider gar nicht gibt. Man muss sich also auf den Weg machen, Röstereien besuchen, Kurse belegen, jede Chance nutzen, um die Kniffe zu erfahren und zu erlernen. Denn eines ist gewiss: Pipifax ist Kaffeerösten mitnichten. Im Gegenteil: Viele Handgriffe und Techniken sind wohl gehütete Geheimnisse, die in Röster·innen-Dynastien nur familienintern weitergegeben werden! Aber Anna hatte Glück: Dank einer langjährigen Freundschaft erhielt sie profunden, praktischen Einblick in das verborgene Metier einer italienischen Familie mit jahrzehntelanger Erfahrung auf diesem Gebiet. Sie arbeitete hart und experimentierte viel, aber 2018 war es dann so weit: Die Kaffeerösterei Rafaels konnte zusammen mit allespresso in Hausham ein neues Ladenlokal beziehen. Annas Kaffee gewann umgehend diverse Preise und sofort Gaumen, Herzen und Vertrauen von Kaffeeliebhaber·innen sowie Gastronom·innen mit Anspruch. Seitdem importiert sie inzwischen mehr als 20 Rohkaffeesorten aus dem sogenannten Kaffeegürtel rund um den Äquator. Die Kaffeepflanze ist anspruchsvoll, aber dankt eine gute und artgerechte Behandlung mit höchster Qualität: Höhenlage, Bodenbeschaffenheit und vor allem eine angenehme Temperatur – nicht zu heiß, nicht zu kalt – üben einen ähnlichen Einfluss auf die Aromenvielfalt der Bohnen aus wie beim Wein die Trauben. Im Unterschied zu Weinreben bevorzugen Kaffeepflanzen es, wenn sie von einer hohen Biodiversität umgeben sind – Monokulturen ohne schattenspendende Bananenstauden oder Mangobäume sorgen für kümmerliche Kaffeesträucher, die mit umso mehr Pestiziden und Chemie künstlich aufgepäppelt werden müssen. „Die besten Bohnen liefern Bauernfamilien, die mit ihren kleinen, gemischten Kaffee- und Obstplantagen ein zufriedenes Leben führen können.“ Anna Schmid blickt ernst. „Kinderarbeit ist dabei für mich ein No-Go. Dafür bezahlen wir lieber höhere Rohkaffee-Preise.“ Sie lässt die Bohnen durch ihre Finger rieseln. „Aber das muss

es uns einfach wert sein.“ Während Christian viel Zeit für die Beratung und Betreuung seiner Kaffeemaschinen-Kundschaft investiert, um das komplexe Zusammenspiel von Mahlgrad und Maschine zu erklären oder Reparaturen an seine versierten Techniker in der angeschlossenen Werkstatt zu übergeben, widmet sich Anna dem diffizilen Röstvorgang. Anders als die Industrie röstet sie die Bohnen bei niedrigen Temperaturen über eine längere Zeit, um die Aromen zu schonen und die Entstehung von Säuren zu unterbinden. Auch kippt sie die heißen Bohnen nicht in ein kaltes Wasserbad, das den Kaffee verwässert und die Marge unnötig streckt, sondern kühlt die Bohnen durch Luftzufuhr. Allein durch einen Blick auf die Bohnen weiß sie, wann es genug ist mit der Hitze. Die Details bleiben natürlich ihr Geheimnis.

Das Geheimnis liegt im Zusammenspiel

Genuss 48 | DIE MIESBACHERIN Was aber wichtig zu wissen ist: Egal, ob ich meinen Kaffee als klassischen Filterkaffee aufgieße, ob ich einen Vollautomaten besitze oder ob ich eine der hochwertigen, edlen Siebträgermaschinen benutze – die Art der Röstung und die Sorte des Kaffees müssen unbedingt zur entsprechenden Zubereitungsart passen. Benutzt man einen Filter, schwimmt das Kaffeemehl länger im Wasser und gibt viel Koffein und Aroma ab. Wird das Wasser mit hohem Druck

und in kurzer Zeit durch das Pulver hindurchgepresst, muss die Aufnahme des Geschmacks rascher passieren. Also braucht es hinsichtlich Sorte und Mahlgrad unterschiedliches Kaffeemehl. Sonst schmeckt der Kaffee am Ende sauer oder dünn, geht auf den Magen oder macht unzufrieden statt zu energetisieren. Wer also noch nicht komplett glücklich ist mit seinem Kaffeegenuss, der sollte dringend einmal auf einen Sprung in der Alten Tegernseer Str. 39 in Hausham vorbeischauen … allespresso / Kaffeerösterei Rafaels

Alte Tegernseer Str. 39, Hausham

Mo., Di., Do., Fr. 9:30–12:30, 15:00–18:00

Sa. 9:30–12:00 www.allespresso.de

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