moritz mai 2004
nr. 42
das greifswalder studentenmagazin
Greifswald neuer
Atomm端llhafen? Ehemaliges AKW Lubmin: Zwischen Faszination und Horrorvision
Impressum moritz – Studentische Medien Greifswald Wollweberstraße 4, 17487 Greifswald Tel: 0 38 34 / 86 17 59 (Reda); -58 (GF) Fax: 0 38 34 / 86 17 56; e-mail: moritz@uni-greifswald.de Chefredakteur: Norman Gorek Stellvertreter: Alexander Böber Geschäftsführer: Fabian Maus Stellvertreter: Matthäus SeebergElverfeldt Herausgeberin: Studierendenschaft der Universität Greifswald (AStA, Rubenowstraße 1, 17487 Greifswald) V.i.S.d.P.: Norman Gorek Redaktion: Florian Benckenstein (flo), Alexander Böber (AB), Finn Breyer (finn), Kai Doering (ring), Alina Götze (aliG), Norman Gorek (nogo), Mirko Gründer (MiG.), Annett Habermann (nett), Claudia Hänchen (cla), Arvid Hansmann (aha), Juliane Hesse (juli), Delia Holm (dee), Sebastian Jabbusch (sj), Melchior Jordan (mel), Joel Kaczmarek (jmk), Jessyca Keil (jazzy), Laura Keßler (kess), Julia Kindt (juki), Ulrich Kötter (UK), Verena Lilge (lil), Katja Neichel (kat), Yvonne Mathei (yvo), Sarah Rieser (sari), Nikolaus Roos (kola), Uwe Roßner (ur), Anne Schuldt (enna), Katja Staack (tja), Britta Voß (boß), Eric Wallis (ede) Gestaltung: Norman Gorek, Ulrich Kötter Titelbild: Sebastian Jabbusch Zeichnungen: Franziska Salopiata Anzeigen: Geschäftsführung Druck: Druckhaus Panzig, Studentenberg 1a, 17489 Greifswald moritz erscheint während des Semesters monatlich in einer Auflage von derzeit 3.000 Exemplaren. Anzeigen- und Redaktionsschluss der nächsten Ausgabe ist der 16. Juni. Die nächste Ausgabe erscheint am 30. Juni. Nachdruck und Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion. Die Redaktion behält sich vor, eingereichte Texte und Leserbriefe redaktionell zu bearbeiten. Namentlich gekennzeichnete Artikel und Leserbriefe geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die in Artikeln und Werbeanzeigen geäußerten Meinungen stimmen nicht in jedem Fall mit der Meinung des Herausgebers überein. Alle Angaben sind ohne Gewähr. “And I just hope that you can forgive us / But everything must go“
Nicht nur in der Greifswalder Mensa, auch im Willy-Brandt-Haus liegt der moritz aus. SPD-Generalsekretär Klaus-Uwe Benneter ist begeistert. Foto: UK
Hallo Leute! Dick ist schön! moritz präsentiert sich von dieser Ausgabe an in neuem Gewand. Da sollte auch der Inhalt nicht zu kurz kommen: Mit 80 Seiten ist dies die Rekordausgabe meines Studentenmagazins. Allerdings dürftet ihr es nun nicht mehr schaffen, den moritz während einer einzigen Vorlesung durchzulesen... Im Titelthema geht es uns diesmal um das gute alte Atomkraftwerk in Lubmin. Was die Moritze da herausgefunden haben, schlägt dem Castor-Fass den Boden aus.
Womöglich wird in Zukunft sogar Atommüll in unsere Gefilde verschickt. Doch trotz aller Kritik konnte ich mich der Faszination des AKW nicht entziehen. Natürlich habe ich auch die Hochschulpolitik nicht zu kurz kommen lassen und auch ein breitgefächertes Feuilleton auf die Beine gestellt. Und nebenbei dem „Playboy“ etwas Nachhilfeunterricht erteilt. Viel Spaß –
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inhalt moritz gelesen? Nachgedacht? Meinung schreiben!
moritz@uni-greifswald.de, Betreff: Leserbrief
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Dandy
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Dekan
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Das Gelände des AKW Lubmin beflügelt so manche Vision. moritz über einen faszinierenden und recht lebendigen Dinosaurier.
Nach sieben Jahren Funkstille hat Morrissey nun sein neues Album “You Are The Quarry“ veröffentlicht. moritz hörte rein.
... der Philosophischen Fakultät ist seit kurzem Prof. Manfred Bornewasser. Im moritz-Gespräch zeigte er sich „voller Tatendrang“.
titel
feuilleton
politik
Nur „Zufälle“? – Die Atomlobby errichtet in Lubmin einen Atommüllhafen 10 Atomkraft in Deutschland 17 Wie funktioniert ein AKW? 18 Glossar: Castor ohne Pollux 19 Im Herzen des Reaktors – Faszi20 nation Atomkraftwerk Wohnungsbau im Zeichen des AKW – Schönwalde 24
Berlinale – Stars und Studenten 28 Kino: „Schultze gets the blues“, “Kill Bill“, „Troja“ 30 DVD: “Bad Boys II“, „Findet Nemo“, „Fluch der Karibik“ 32 Kino ohne Kant 33 Theater: „Johannifeuer” 34 Musik: Morrissey – “You Are The Quarry“ 35 Musik: Anastacia, The Streets, Eric Burdon, Keane 36 Musik: Detroit Blues 38 Musik: Torun Eriksen, Paco de Lucia, Alexander-Sergei Ramirez, Agnetha Fältskog, Festspiele 40 Musik: Krach live 42 Sport: Deutscher Fußball – Quo 44 vadis? Literatur: Updike, O’Nan, Frise 46 Porträt: Dalí 48 Computer Games: „Port Royale II“, Radio 98eins 49 Bericht: Londons Angst vor Damenhandtaschen 50 Arvids Kolumne: Das neue Mittelalter 78
Kurznachrichten: Neubesetzungen, Sportwissenschaft, Kreditvergabe, StuPa-Präsident 54 Die Kiste – Aus Alt mach Neu 55 Auf ein Neues – StuPa-Wahlen 56 Kommentar: Wahlen 59 Interview: Prof. Bornewasser – „Wir müssen uns vernetzen“ 60 Interview: Felix M. Prokoph – 62 Neuer Dekan, alte Probleme? Ein überrollter Schwan – Das Institut für Politikwissenschaft 63 Zurück in die Schule – Studenten 64 lehren die Kommunalwahl Erstsemesterwoche – Bilanz 65 Uni-Bibliothek feiert das 400. Jubiläum 66 SMS-Evaluation bei den Medizi67 nern Diplomatie für Fortgeschrittene – NMUN in New York 68 Familienzuwachs – Die EU-Osterweiterung 69 Gründerprojekt — Studenten stellen Gourmet-Pass vor 70
rubriken Impressum Editorial Leserbriefe
3 3 6
playmoritz Hübsche Studentinnen Reime: Ein Bildungsausflug m. trifft: Egon Kühl Kreuzmoritsel Friedhelm – Hasch mich! mai 2004
72 74 75 76 77
inhalt
Dinosaurier
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leserbriefe Lieber Moritz ... Zu: „8000 haben gefehlt - Demonstriermüdigkeit der Greifswalder Studenten“ (Januar ‘04)
leserbriefe
... in Deiner Januar-Nummer hast Du mich durch Deinen Autor Eric Wallis arg rüffeln lassen – bin ich doch einer von den 8000, die an der Demo vom 21.01. nicht teilgenommen haben. Noch schlimmer: ich habe auch keine Kerze auf dem Marktplatz angezündet, keinen Luftballon steigen lassen und keine Nacht in einem Hörsaal verbracht. Anlass zu Protest hätte ich in der Tat: einmal als (Wieder-) Studierender, zum anderen als Vater von drei Studierenden, die von mir alimentiert werden. Einer von den Dreien, Student in Gießen/Hessen, darf bereits ab SoSe 2004 50 Euro pro Semester berappen; ab dem 13. Semester werden es 500 Euro, dann mit jedem Semester 100 Euro mehr. Soweit mein Studienalltag betroffen ist, so sitze auch ich ungern auf dem Fußboden. Und wenn ich von der Ur- und Frühgeschichte zur Kunstgeschichte hecheln muss, dann finde ich dort nicht einmal mehr den erforderlichen Fußraum. Meine Mutter hat für ihre Ausbildung Lehrgeld bezahlen müssen. Für meinen Gymnasiumsbesuch haben meine Eltern gelöhnt, ich habe in den 60ern Hörergebühren berappt. All das schien in einem immer reicher werdenden Land der Vergangenheit anzugehören. Aber jetzt beginnt das große roll back, parallel zu einer schamlosen Selbstbedienung der Konzernbosse. Und Ackermann und Konsorten geben sich da siegessicher. Mit Essers Abfindung könnte ein Langzeitstudent nach BAföGSätzen ca. 2500 Jahre studieren. Wenn nun der Bundeskanzler per Elite-Universitäten die deutsche Bildung retten will, dann stellt sich für Deinen Autor Sebastian Jabbusch die Frage nach Studiengebühren neu. Für mich stellt sie sich nicht – siehe Vorstehendes. Für die Zeit der angesprochenen Greifswalder Protest-Aktivitäten habe ich kein Alibi. Ich habe leider keine Oma mehr, kann mir aber 6
durchaus vorstellen, daß jüngere Kommilitonen das OmaSponsoring hegen und pflegen. Ich habe auch keine Arztpraxis betreten, denn das Entrichten der Eintrittsgebühr von 10 Euro hätte mich gesundheitsschädigend erregen können. Nein, ich saß in meinen vier Wänden, bei einem Glas Rotwein, und stellte mir vor, wie unsere Politschranzen sich in ihren Behausungen, bei einem etwas kostspieligeren Getränk, über das hilflose Gezappel der Studierenden in Greifswald, Gießen usw. amüsierten. Was tun? Zunächst: Was nicht tun? Sporadische Aktionen wie die hiesigen, die nach wenigen Tagen in den Semesterferien versanden, schaden mehr als dass sie nützen. Sie müssen der Schweriner Herrschaft das Gefühl geben, alle studentischen Proteste könnten schlicht durch Aussitzen gelöst werden. Und ehrlich, wenn eine 24h-Vorlesung eine Form des Protestes sein soll, dann ist sie sicherlich vom bayerischen Innenminister erfunden worden. Übrigens, ich weiß den persönlichen Einsatz von Simon Sieweke und seiner Mitstreiter durchaus zu schätzen. Nur – wo ist ein Konzept? Zur Strategie von Protestaktionen einige Aspekte: Demonstrationszüge sollten möglichst zusammen mit anderen geschabten und geschorenen (Formulierung aus dem Bauernkrieg) Gesellschaftsgruppen durchgeführt werden. Dass dies auch gelegentlich geschehen
ist, hat Kommilitone Jabbusch in seiner dankenswerten Zusammenfassung der studentischen Protestaktionen erwähnt. Die Flamme der studentischen Proteste muss am Brennen gehalten werden. Da das Hochschulwesen vor allem Länderangelegenheit ist, sollte auch vor dem Sitz des Bundesrates Protest sichtbar werden. Berlin müsste als Brennpunkt der Proteste ausgebaut werden – was aber lokale oder regionale Aktionen nicht ausschließt. Streiks lassen sich wohl nur an Großuniversitäten organisieren; nur dort ist wahrscheinlich die "kritische Masse" an protestbereiten Studierenden vorhanden. Zudem ist die Wahrscheinlichkeit nicht von der Hand zu weisen, dass die Streikenden sich unverhältnismäßig mehr selbst schädigen, als dass sie die Herrschenden unter Druck setzen. Nein, moritz, was hältst Du denn von der Idee, ein Protest-Semester einzulegen? Während eines solchen Semesters sollten alle Fakultäten möglichst viele ihrer Lehrveranstaltungen unter ein gemeinsames Protest-Motto stellen, etwa Widerstand. Es muss ja nicht unbedingt der zweckfremde Gebrauch von Dreschflegeln, Sensen und Mistgabeln geübt werden. Ein ProtestSemester wäre nachhaltig wirksam, ließe sich medienwirksam inszenieren und würde die Studierenden mobilisieren, dabei aber nicht am Scheinesammeln hindern. Dein treuer Leser Günter Stein.
Diesmal noch ohne Dreschflegel: Luftballon-Aktion am 8. 1. ‘04
Foto: A. Loew
moritz
Zu: „Virginia Jetzt! Nicht!“ (moritz 39) und „Clubs dieser Stadt vereinigt euch!“ (moritz 41) Immer wieder eine Freude, im moritz Artikel über die Studentenclubs der Stadt im Allgemeinen und den Mensaclub und die Clubs-UNight im Besonderen zu lesen, da ich eine gewisse Verantwortung dafür trage. In den oben genannten Artikeln, die sicher gut gemeint waren, wimmelte es leider von Halb- und Falsch-Aussagen. Virginia Jetzt! Kommt! Zum ersten Artikel über die ClubsU-Night am 25.10.2003. Richtig daran ist, dass „Virginia Jetzt!“ als Hauptact krankheitsbedingt kurzfristig durch „Pinko Star“ ersetzt werden musste. Der Fehler: Die Kartenkäufer sollen nicht rechtzeitig darüber informiert worden sein. Dies ist falsch. Im Gegenteil, nach der offiziellen Absage von „Virginia Jetzt!“ am Mittwoch, dem 22. 10. wurden die Plakate entfernt und alle späteren Käufer von der Problematik unterrichtet. Weiterhin wurde allen, die schon eine Karte hatten, die Möglichkeit eingeräumt, diese gegen volle Rückerstattung des Kaufpreises umzutauschen. Schließlich wurde in dem Artikel gefragt, warum die Karten bis zum Schluss zum vollen Preis verkauft wurden. Dazu ist zu sagen, dass der Preis für „Virginia Jetzt!“ gerade 10 Prozent des VeranstaltungsBudgets betrug (letztlich war die Ersatzband „Pinko Star“ ebenso teuer). Die Philosophie der Organisatoren besteht darin, sehr gute Bands zu verpflichten, solange sie finanzierbar sind. Das gelang ja auch vor „Virginia Jetzt!“ schon des Öfteren gut. Die gute Nachricht für alle Fans von „Virginia Jetzt!“: Die Band holt vertragsgemäß das ausgefallene Konzert am 11.06.04 im Mensaclub nach. Die Kiste lebt! Dem letzten moritz gab ich ein längeres Interview zum Thema ClubsU-Night. Schade, dass in dem recht positiven Artikel auch einiges fehlerhaft ist. So vermittelt der Artikel den Eindruck, dass alle Clubs ihre Räumlichkeiten zur Veranstaltung öffnen. Bekanntermaßen ist dies mai 2004
nicht der Fall. Die Clubs feiern in nahezu der gesamten Mensa. Desweiteren sind die Clubs mitnichten Discotheken sondern Studentenclubs, die einiges mehr bieten. Im Übrigen seien die Veranstalter noch einmal genannt: Es handelt sich um den Mensaclub, den Club 9, den Geographenkeller den Geologenkeller sowie die Kiste! Da auch unsere Lokalzeitung zuletzt die Kiste totsagte, sei hier noch einmal versichert: Der Patient lebt, es geht ihm gut und das hoffentlich über den 25. Geburtstag hinaus. Silvio Zenk, Mensaclubmitglied und Koordinator von Clubs-U-Night
„Linksideologische Verschwörergruppe“? Zu: „Nicht ist wie es scheint — Was passierte am 11. September?“ (moritz 41) Da haben wir es wieder: Die Eliten dieser Welt haben sich gegen das gemeine Volk verschworen, die USA nutzt alle zur Verfügung stehenden Mittel (und auch die, die es eigentlich nicht gibt) um ihre Weltherrschaft zu untermauern und Bush ist sowieso ein Nazi (vielleicht sogar schlimmer?). Ich weiß wirklich nicht, was den Autor Eric Wallis dazu bewogen hat, diesen Artikel zu schreiben. Noch viel weniger verstehe ich allerdings, warum dieser im moritz erscheint. Versucht das Studentenmagazin auf der Welle des Antiamerikanismus mehr Leser für sich zu begeistern? Oder steckt gar eine linksideologi-
sche Verschwörergruppe dahinter? Warum werden in dem Artikel wieder einmal nur „angebliche“ Fakten präsentiert, die der Deutung der Ereignisse seitens seriöser Medien widersprechen? Wie kommt der Autor zu Aussagen wie: 1. „Bin Laden steht nicht im Zusammenhang mit dem 11.09.01.“ Warum sollte er auch? Schließlich ist der erste Anschlag auf das WTC 1993 schief gegangen. Da versucht man so was natürlich nicht noch mal, zumal die Anschläge in Kenia und Tansania ja funktioniert haben. 2. „Ein Terrornetzwerk oder Unsummen von Dollar sind für einen solchen Anschlag nicht von Nöten.“ Mohammed Atta und seine Mitstreiter konnten wohl kostenlos Flugschulen besuchen. Wahrscheinlich weil Start und Landung in ihrem Programm nicht vorkamen. 3. „Es waren keine Muslime an den Flugzeugentführungen beteiligt.“ Dass der gesamte Aufenthalt eben dieser beschuldigten Muslime von verschiedenen Medien (FAZ, SDZ, Spiegel etc.) fast minutiös nachvollzogen werden konnte, ist sicher nur ein weiterer Teil der Verschwörung neokonservativer Elemente (waren es „mal wieder“ die Juden oder ist das dann doch zu hart?) Es fällt mir sicherlich nicht leicht, die Politik der US-Regierung (insbesondere nach dem 11. September) zu verteidigen. Auch ich halte den Irak-Krieg für ungerechtfertigt, aber die USA als den großen Satan der Welt zu bezeichnen, der nicht einmal davor zurückschreckt seine eigenen Landsleute auf bestialische Weise umzubringen, um daraus Vorteile zu erzielen, ist absurd. Es ist schon bemerkenswert, dass diese angebliche Verschwörung noch nicht von „Insidern“ aufgedeckt wurde, obwohl doch so viele Leute involviert gewesen sein müssten. Eric Wallis schreibt: „Wer nicht fragt, bleibt dumm.“ Wer sich nur bei Medien bedient, die seine Überzeugungen stützen und nur „Fakten“ präsentiert, die diese untermauern, wird auch nicht klüger.
leserbriefe
Abgesagte Bands und totgesagte Clubs
Marcus Dugel Eric hat keine Thesen auf-, sondern Fragen gestellt. Das ist ein Unterschied. Außerdem: Als linksideologische Verschwörergruppe möchten wir eins klarstellen: Nicht „die Juden“ sind an allem schuld – sonnogo dern der moritz! 7
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moritz
titelthema Atommüll: Betrug und Korruption oder nur „Zufälle“? Überblick: Wo die deutsche Atomenergie entsteht Physikunterricht: Wie funktioniert eigentlich ein Kernkraftwerk? Glossar: Castor ohne Pollux Faszination: moritz besuchte das AKW Lubmin
titel
Geschichte: Schönwalde I und II
mai 2004
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Betrug und Korruption oder nur „Zufälle“? Während der Landesregierung ein Arbeitsplatzwunder in Lubmin vorgegaukelt wird, lässt sich die Atomlobby auf Kosten des Steuerzahlers einen 32 Millionen Euro teuren Atommüllhafen errichten / Von Sebastian Jabbusch Es ist ein großer Feiertag für die Universität: Nach vier Jahren Sitzplatzmangel eröffnete der erste Hörsaal, in dem endlich jeder Student seinen eigenen Sitzplatz bekommt. 750.000 Euro kostet der Umbau der Makarenkostraße und würde man die absurde Verschwendung von Steuergeldern direkt vor den Toren unser Hansestadt nicht kennen, könnte man sich freuen. Leider kennen wir sie. Es sind stolze 32 Millionen Euro, die in Form von Beton und Sand in der Ostsee versenkt wurden. Damit hätte man immerhin 42 neue Hörsäle bauen können, für jedes Institut einen eigenen. Wohin fließen also die so dringend benötigten Finanzen? In aussichtsreiche, zukunftsträchtige Projekte?
eigentlich niemand Schuld, konnte niemand „diese“ Entwicklung vorhersehen und die Hoffnung auf Besserung ist schon per se ausgeschlossen... Unsere Geschichte nimmt ihren Anfang in den 70er Jahren. Damals errichtete der sozialistische Einheitsstaat in der kleinen Gemeinde Lubmin, direkt am Greifswalder Bodden, ein Atomkraftwerk. Doch im vereinten Deutschland entsprach das AKW nicht mehr den Sicherheitsanforderungen. Noch inner-
Arroganz der Macht
titel
Es ist eine kleine Geschichte, die sich um einen Hafen dreht, der eigentlich gar keiner sein darf und trotzdem so genannt wird, eine geschickte Verschleierungstaktik von großen Männern, die mit Atommüll viel Geld verdienen wollen, eine Geschichte um Gemeindevorsteher, die den Blick für die Wirklichkeit verloren haben, Anwohner, die erfolglos gegen Mauern anrennen und sich dabei ständig blutige Nasen einholen. Eine Geschichte über nationale und internationale Interessen, eine Geschichte über Politik, Arroganz der Macht, Industrieansiedlung und Irreführung. Kurzum: Der ganz normale Wahnsinn. Doch diese Geschichte spielt sich noch heute in Greifswald ab. Sie ist furchtbar deprimierend und dabei so verrükkt, dass sie schon wieder amüsant sein könnte. Im Übrigen ist nichts davon belegbar, wie immer hat 10
halb eines Jahres setzte sich auf Bundesebene die Ansicht durch, dass die ostdeutschen Kraftwerke Rheinsberg (nördlich von Berlin) und Greifswald abgeschaltet werden müssen. Eine Horrormeldung für die Beschäftigten und die gesamte Stadt.
Ein Schock, der heute nachwirkt.
bis
Bei den Energiewerken Nord (EWN) sind von den einst 10.000 Mitarbeitern nur noch etwas mehr als 1.000 geblieben. Die Arbeitsplatzverluste des Kernkraftwerks wurden nie aufgefangen, die
Arbeitslosigkeit in Greifswald liegt bei etwa 22 Prozent. Wie auch andere ostdeutsche Städte kämpft Greifswald mit den Folgen: „Verdummung, Vergreisung, Verarmung“ (siehe SPIEGEL-Artikel vom April 04). Die beiden Kernkraftwerke Greifswald und Rheinsberg werden seit 1995 zurückgebaut. Die ehemaligen Mitarbeiter zerlegen ihre vormals eigene Arbeitsstätte. Dieses weltweite Pilotprojekt hat bisher – nach unterschiedlichen Angaben – zwischen eineinhalb und drei Milliarden Euro an Bundesmitteln verschlungen. Finanziert wird dies direkt und ausschließlich von Bundesministerium für Finanzen, dem die EWN zu 100 Prozent gehören. Die Reste des Rückbaus werden im Zwischenlager Nord (ZLN, Eröffnung 1998), einlagert, dort verarbeitet und zum Teil an Metallschrotthändler geliefert. Dies ist ein gewollter, von allen Beteiligten getragener, politischer Konsens. Und dies ist auch das Ende des Konsens und der eigentliche Beginn der Geschichte. Im Zentrum des Konflikts steht die Nachnutzung der Fläche des ehemaligen Atomkraftwerkes „Bruno Leuschner“ (siehe Grafik rechts) und die Frage, ob Lubmin ein Standort für Atom- und Industrieansiedlung sein soll. Das Gelände ist etwa 300 Hektar groß, von denen noch etwa 200 Hektar durch alte Reaktor- und Verwaltungsgebäude besetzt sind. Für diese Fläche haben die Energiewerke Nord, die neben dem Rückbau des KKW auch mit der Neuansiedlung von Industrie beauftragt sind, eine Super-Vision: Den „Synergiepark Lubminer Heide“. Den Grundstein sollen ein bis drei Gaskraftwerke legen, die Strom und Wärme für energieintensive Betriemoritz
be liefern. Das Industriegebiet soll in westlicher Richtung um 100 Hektar über das EWN-Gelände hinaus erweitert werden. Dort könnten dann zum Beispiel ein Sägewerk, Aluminium-, Stahl- oder Betriebe der Keramikindustrie angesiedelt werden. Dieter Rittscher, Geschäftsführer der Energiewerke, sprach in der Ostsee-Zeitung schon von bis 1500 neuen Arbeitsplätzen.
Die Horrorvision
gers auf dem Gelände, welches „zufällig“ noch tausende Kubikmeter frei hat, erregt die Aufmerksamkeit des verspielten Armageddon-Propheten. Garniert werden die Ängste mit Verbindungen der EWN zur Atomlobby, lokalen Seilschaften zwischen Wirtschaft und Politik und allerlei mysteriösen Widersprüchen und Geheimniskrämerei rund um den Bau eines Hafenbeckens, das bis heute nicht als solches genehmigt ist. AKW-Gegner mit entsprechender WeltuntergangstheorieNeigung wissen zudem, dass eine große Menge deutscher Atommüll in den Wideraufbereitungsanlagen La Hague und Sellafield zur Abholung (vorzugsweise per Schiff) bereit liegen. Doch wer sich gegen die EWN wehrt, wird unter Druck gesetzt. Und die Presse wird mit bunten Informationsmappen und ausweichenden Auskünften befriedigt.
Verschleierung Was wirklich in Lubmin geplant ist, wird wohl, bis es in die Tat umgesetzt ist, der Öffentlichkeit verborgen bleiben. Fest steht nur, dass die Bürger aus Greifswald und Lubmin darauf am wenigsten Einfluss haben
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Als Rittscher den Lubminern Bürgern am 2. Februar 2000 den ersten Entwurf des "BebauungsPlans" vorstellte, war jedoch niemand begeistert. Hier stellte man sich schnell eine Super-Horrorvision zusammen. Das Industriegebiet soll bis zu 200 Meter an das Seebad heranreichen. Lubmin jedoch ist ein verträumtes Dorf mit 1800 Einwohnern und 800 Gästebetten, das den Touristen durch seine Beschaulichkeit, viele Bäume und idyllische Sandstraßen in Erinnerung bleibt. Die Befürchtung, dass ein Sägewerk oder an- und abfahrende Lastwagen das romantische Vogelzwitschern übertönen könnten, ist nur allzu verständlich. Zudem müssten für die Wester-
weiterung des Industrieparks mindestens 50 Hektar Küstenwald gerodet werden. Die Gaskraftwerke sollen gar in einem bestehenden EU-Vogelschutzgebiet entstehen. Dieter Rittscher wurde nach der Vorstellung von den versammelten Bürgern ausgebuht und hat seitdem an keiner öffentlichen Diskussion mehr teilgenommen. Noch im selben Monat gründete sich die Bürgerinitiative „Zukunft Lubminer Heide e.V.“ (BI ZLH), die sich zum Ziel setzte, den Küstenwald zu schützen und den errungenen Seebadtitel zu bewahren. Die weitere, sich inzwischen über vier Jahre erstreckende, Diskussion über die Industrieansiedlung wäre nicht so interessant, wenn Bundesund Landesregierung nicht Millionensummen in dieses Stück Land gesteckt hätten, obwohl selbst der Laie erkennt, dass Lubmin ein denkbar schlechter Standort für Industrieansiedlung ist. Eine stillgelegte Schiene und eine Landesstraße mit mehreren Ortskerndurchfahrten führen zum zukünftigen Schwerindustriegebiet. Bundesstraßen und Autobahnen sucht man vergebens. Spätestens aber die „zufällige“ Existenz des größten deutschen Atommüll-Zwischenla-
Großindustrie im Seebad? Dieser Bebauungsplan für den „Synergiepark Lubminer Heide“ soll Investoren anlocken. Doch die geplante Abholzung des Küstenwaldes sorgt für den Widerstand der Bürger Lubmins. Grafik: EWN mai 2004
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Für jede Tonne hochradioaktiven Mülls, den Deutschland in die Wiederaufbereitungsanlage schickt, kommen zusätzlich 10 Tonnen schwachradioaktiver Müll zurück. Eine gewaltige Menge, die bis heute nicht abgeholt wurde... Aufgrund hoher Transportkapazitäten und billigen Sicherungsmaßnahmen bietet sich ein Transport mit Hochseeschiffen an.
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und bis heute weder informiert oder gar gefragt wurden. Doch eins nach dem anderen: Nach 15 Monaten Bauzeit ragt seit Dezember letzten Jahres direkt in das geplante Industriegebiet ein moderner Hochseehafen hinein. Geplant und beantragt wurde er von den EWN als „Sanierung des alten Kühlwasserkanals“. Die EWN verbinden im Genehmigungsverfahren die Sanierung des Kanals mit dem Neubau der Gaskraftwerke, die ebenfalls Kühlwasser bräuchten. Es bleibt jedoch unklar, warum für die Kühlung von acht geplanten KKW-Blöcken der bisherige Kanal ausreichend war, wohingegen die beiden geplanten Gas-und-Dampf-Kraftwerke einen „Auslaufkanal mit Einlaufbecken“ benötigen, dessen Kanalquerschnitt etwa das 5-fache des alten Kanals beträgt. Die Bürgerinitiative aus Lubmin errechnet aus dem Vergleich der Zahlenkolonnen eine mindestens zehnfache Überdimensionierung des Kühlwasserkanals. "Im Grund hätten sogar etwas größere Rohrleitungen in die Ostsee ausgereicht", so Dr. Klaus Kühnemann, Vorsitzender der Bürgerinitiative, Bauingenieur und promovierter Wasserwirtschaftler. 12
Kein Hafen, "schiffbarer Kühlwasserkanal"! Warum wird der Hafen von den EWN nie Hafen genannt, obwohl es sich augenscheinlich um einen solchen handelt? So sind beispielsweise auf den Expo2000-Projektplänen für den Synergiepark bereits große Schiffe im Kühlwasserkanal eingezeichnet. Selbst im Genehmigungsantrag finden sich Hinweise: so ist zum Beispiel die Rede von einer „gespundeten“ Bauweise der Böschung, damit „die Wellenschlagung für Boote des Bundesgrenzschutzes günstiger sei“. Was Boote des Bundesgrenzschutzes in einem Kühlwasserkanal verloren haben, wird nicht erklärt. Das der Bundesgrenzschutz für die Sicherheit bei Atommülltransport zu Lande und zu Wasser zuständig ist, ist natürlich völlig „zufällig“ und hier „zusammenhangslos“. Der Hafen – pardon – der „schiffbare Kühlwasserauslaufkanal“ wurde von 32 auf 107 Meter verbreitet und von 4,5 auf 7 Meter vertieft. Zum KKW-Gelände hin erstreckt sich der Kanal zum Hafenbecken … ähm … „Kühlwasser-Einflussbecken“ mit den beeindruckenden Maßen von 230 mal 175 Meter. So können hier
jetzt „völlig zufällig“ Containerschiffe der Europa-Klasse (80 Meter lang, 10 Meter breit) in den Kühlwasserkanal ein- und auslaufen und sich sogar ohne Probleme passieren. Und trotz all dieser deutlichen Indizien und obwohl noch während des Genehmigungsverfahrens in öffentlichen Reden von „Kaianlage mit 8 Liegeplätzen“ und „Hafen“ gesprochen wird, bewilligte das staatliche Amt für Umwelt und Natur Ueckermünde am 21.12.2001 die „Sanierung des Kühlwasserkanals“ ohne mit der Wimper zu zucken. Herr Kühnemann berichtet, dass dieser Etikettenschwindel „von oben“ durchgedrückt wurde: „Der Wirtschaftsminister von Mecklenburg Vorpommern klammert sich an jeden noch so dünnen Halm auf dem ‚Arbeitsplätze’ draufsteht. Und irgendwo müssen sie ja ihre üppigen Fördergelder rein pumpen.“ Auch sonst sind die Landesbehörden gnädig gestimmt und ziehen schon mal die Grenzen von Naturschutzgebieten aufwendig um die geplanten Gaskraftwerke herum, damit es später ja keine Probleme beim Genehmigungsverfahren gibt. „Die Berücksichtigung ökonomischer Kriterien bei der Abgrenzung von FFH-Gebieten, verstößt zwar gegen EU-Recht, aber es ist eben einer der vielen ‚Zufälle’ in Lubmin“, so Frau Dr. Münchberger, Landesgeschäftsführerin des Naturschutzbundes (NABU) gegenüber dem moritz.
Der fünfte Hafen am Bodden, doch wozu? Normalerweise wäre ein solcher Ausbau zu einer faktischen Hafenanlage nie genehmigt worden. Denn für eine Hafenanlage ist – im Gegensatz zu einem Kühlwasserkanal – ein aufwendiges Planfeststellungsverfahren nötig. Ein solches würde sich unter Beteiligung der Öffentlichkeit über Jahre hinziehen und erfordert umfangreiche Umweltverträglichkeitsgutachten. Außerdem hätte dann ja jemand denn Unsinn bemerken können, dass es am Bodden bereits vier andere Häfen gibt: GreifswaldLadebow, Vierow, Peenemünde und Wolgast. Ein paar Kilometer weiter sind außerdem Stralsund und SassnitzMukran. Wozu also noch einer? Wo doch alle Häfen einen Mangel an moritz
Subventionsbetrug? All das wäre wohl schon leidig genug, wenn die Atomlobby diesen Hafen nicht auch noch auf staatliche Kosten hätte finanzieren lassen. Dazu wurden – nach Meinung der Bürgerinitiativen – alle Register des Subventionsbetrugs gezogen. Nachdem der Bundesrechnungshof von der Bürgerinitiative auf die Hafen-Pläne der EWN hingewiesen wurde, kappte es wohl den Geldhahn. Schließlich sollen die Geldmittel der Energiewerke Nord zum Rückbau der Kernkraftwerke, nicht zum Bau und Betrieb von Häfen, verwendet werden. Also brauchten man schnell eine neue Finanzierung und fand sie auf Landesebene: Millionenschwere Strukturfinanztöpfe für den „Aufbau Ost“. Doch diese stehen nur kommunalen Einrichtungen zur Verfügung, nicht privatwirtschaftlich organisierten Unternehmen wie der EWN GmbH. Also wurden die Bürgermeister der drei Anliegergemeinden Lubmin, Krölin und Rubenow überzeugt, einen Zweckverband zu gründen, welche für die EWN die benötigten 29 Millionen Euro Fördersumme vom Land einfordern sollten. Dafür musste der kommunale „Zweckverband Freesendorf“ (ZVF) jedoch Eigentümer des Grund und Boden sein, auf dem die Investition ablaufen. Also verkauften die EWN dem ZVF eine Teilfläche von circa 12,5 Hektar am Oberen Auslaufkanal. Doch der Zweckverband hatte kein Geld – schließlich haben die Haushalte der Mitgliedsgemeinden dafür keine Mittel. Wie der Zweckverband trotzdem die Flächen kaufen konnte, wollte uns Herr Gebhardt, Vorsitzender des Zweckverbands, auch nach mehrfachen Nachfragen, nicht verraten. Die mai 2004
Geschäfte zwischen dem öffentlichen Zweckverband und dem Staatsbetrieb EWN sind natürlich geheim und gehen das gemeine Volk gar nichts an. Auf einer Versammlung von Gewerbetreibenden soll Gebhardt im Übereifer jedoch folgendes höchstmerkwürdige Finanzierungsmodell vorstellt haben: Um dem Zweckverband zu etwas Geld zu verhelfen, versprachen die EWN die Flächen später zu einem höheren Preis wieder abzukaufen und dafür bereits heute eine Anzahlung zu tätigen. Von dieser Vorauszahlung kaufte der Zweckverband jetzt die 12,5 Hektar von den Energiewerken. Alles klar? (Dem moritz liegt der Kaufvertrag zwischen den EWN & dem ZVF vom 18.12.2002 vor. Auch daraus ist das beschriebene Finanzierungsmodell herauszulesen.) Die Abhängigkeit zwischen Zweckverband und EWN könnte nicht offensichtlicher sein. Laut dem Kaufvertrag halten die EWN übrigens weiterhin alle Nutzungsrechte am „verkauften“ Grundstück. Mit den erworbenen Flächen konnte der kommunale Zweckverband jetzt die Fördergelder zum Bau des Hafens beantragen. Und die Landesregierung, der all diese Vorgänge bekannt sind, drückte alle Augen zu und zahlte bereitwillig – wohl in der vagen Hoffnung auf Arbeitsplätze. Die Bürgerinitiative ZLH reichte daraufhin Strafanzeige wegen Subventionsbetrug gegen die drei
Bürgermeister, Dieter Rittscher und gegen Unbekannt (ein Mittelsmann im Wirtschaftsministerium) ein. Die Staatsanwaltschaft Stralsund erklärte gegenüber dem moritz, dass die Anzeige jedoch wegen „fehlendem Anfangsverdachts“ nicht verfolgt wurde. Die BI jedoch hat in Erfahrung gebracht, dass die Staatsanwalt ausschließlich beim Wirtschaftsministerium nachgefragt hat, ob der Verdacht begründet sei. „Natürlich nicht, da das WiMi ja selbst beteiligt ist. Dabei hat die Staatsanwaltschafti immerhin festgestellt, dass alles sehr vernetzt und gegenseitig abgedeckt sei“, so Kühnemann. Es überraschte dann irgendwie niemanden mehr, dass der Zweckverband die gesamte Projektsteuerung des Hafenbaus – ohne öffentliche Ausschreibung – direkt an die EWN vergeben hat. Die 58.000 Euro Auftragssumme ist ebenfalls bereits geflossen.
Folgekosten? Doch all das ist nicht genug. Auf den Hafenbetreiber, den Zweckverband, könnten nun auch noch hohe Folgekosten zukommen. Die BI rechnet mit jährlichen Betriebskosten des Hafens (Abschreibung, Bewachung, Service, Ausbaggerung der Fahrrinne) in Höhe von mindestens einer Million Euro pro Jahr. Diese Kosten sollen durch die Liegegebühren der Schiffe und Wassereinführungsge-
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Umschlag beklagen und allerorten Industrie- & Gewerbegebiete veröden. Auch ein Beamter des Stralsunder Wasserund Schifffahrtsamtes (Name der Redaktion bekannt) konnte uns diesen Wahnwitz nicht erklären: „Noch ein öffentlicher Hafen macht überhaupt keinen Sinn, aber das sind eben politische Entscheidungen.“ Wiederum: das einzige was Lubmin zum Unikat macht, ist sein Zwischenlager, welches jetzt als erstes und einziges in Deutschland auf dem Schiffwege zu erreichen ist.
Das Zwischenlager Nord (ZLN) steht auf dem Geländes des ehemaligen Kernkraftwerks. Es wurde 1998 eröffnet und weckt bis heute viel Misstrauen. Mit 20.000 Quadratmetern ist es das größte Zwischenlager Grafik: EWN Deutschlands und noch immer ist viel Platz frei. 13
Megadebatte: 1991 forderte die Atomlobby erstmals, in Greifswald schwachradioaktiven Atommüll einzulagern. Tausende Artikel, Leserbriefe, Politiker und Experten kritisierten diese Pläne. Die Atomlobby hat sich jedoch offenbar davon zu keinem Zeitpunkt beeindrucken lassen und ihre Stratgie nie geändert. Collage: SJ, div. Zeitungsausschnitte & B-Plan EWN
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bühren der Gaskraftwerke finanziert werden. Problem ist nur: bisher ist kein einziger Betrieb, geschweige denn ein Schiff da. Die Gaskraftwerk-Großinvestoren wie HEW, Vattenfall und Fortum sind inzwischen aus unterschiedlichen Gründen ausgestiegen. „Zur Zeit unfinanzierbar“ oder „kein Strombedarf auf dem deutschen Markt“ hießen die Begründungen. Lediglich eine acht Mann starke ausgelagerte „Concord Power Lubmin GmbH“ der HEW, ist noch mit der Planung eines Gaskraftwerkes beschäftigt. Doch selbst wenn über Nacht Genehmigungen & Finanzierung ständen und simultan mit dem Bau der Gaspipeline aus Brandenburg und dem Gaskraftwerk begonnen würde, ist laut OZ-Bericht nicht vor September 2007 mit dem ersten Regelbetrieb zu rechnen. Bis dahin wird sich beim HafenZweckverband voraussichtlich ein Schuldenberg in Millionenhöhe auftürmen. Wie uns Herr Gebhardt aber zu berichten wusste, ist dies kein Problem, da sich die EWN freundlicherweise bereit erklärt haben, diese Kosten für die nächsten 20 Jahre zu übernehmen. Dies würde dann tatsächlich die Gemein14
den finanziell entlasten, bestärkt aber noch einmal den Verdacht, dass in Wirklichkeit die EWN der Betreiber des Hafen sind. Der Zweckverband würde durch diese finanzielle Abhängigkeit zu einer Marionette, um Subventionsgelder zu erschleichen. (Auch dieser Sachverhalt geht aus dem Kaufvertrag zwischen Zweckverband und EWN hervor.)
Irreführung Aber warum lassen sich die Lubminer zum Spielball der Mächtigen machen und wehren sich nicht? Das größte Problem ist, dass kaum ein Bürger richtig informiert ist. Gemeindevertretung und EWN proben eine gemeinsame Desinformationsund Irreführungspolitik. So wurde beispielsweise – bis zur Fertigstellung – in Zeitungsberichten und gegenüber den Behörden die Planung eines „Hafens“ heftig dementiert. Und auch die in der Kommunalverfassung vorgesehene „Einberufung der Bürgerversammlung bei allgemein bedeutsamen Angelegenheiten“ wurde seit der turbulenten Vorstellung des B-Plans im Jahr
2000 nie wieder anberaumt. Gäbe es die Arbeit engagierter Bürger nicht, wäre all dies bis heute verborgen geblieben. Doch bisher hat diese Informationen kaum jemand aufgegriffen. Bei den regionalen Medien, wie zum Beispiel der Ostsee-Zeitung (OZ) stößt die BI auf taube Ohren. EWN-kritische Redakteure werden „zufällig“ mit anderen Aufgaben betreut und allzu kritische Leserbriefe unterschlagen. Verständlich, da doch die EWN regelmäßig großseitige Anzeigen in der OZ schaltet... Die überregionalen Medien, wie der SPIEGEL, haben bereits mehrfach – zuletzt 1999 – über die Zwischenlagerpläne berichtet. Der Bau des Hafens und die Steuerverschwendung sind allerdings bisher noch nicht aufgegriffen worden. „Die politischen Magazine kommen doch erst, wenn die Investitionsruinen stehen“, meint Norbert Lang, Mitglied der „Bürgerinitiative Kernenergie Greifswald“, die schon seit 1990 gegen das Kernkraftwerk und seine Nachnutzung ankämpft. Falls sich trotzdem ernstzunehmender Widerstand konstituiert, wird er von direkt oder über Helfershelfer abgeschmettert. Zwei Bürgerbegehmoritz
ren wurden von der Gemeindevertretung erst gar nicht zur Entscheidung zugelassen. Gerichtlich wurde in einem Fall bereits bestätigt, dass dies widerrechtlich geschah. Im Zweckverband ging man über 452 zum ersten und über 1845 Widersprüche zum zweiten Bebauungsplan hinweg. Lediglich sechs Minuten befasste sich der ZVF mit der Abnickung der Pläne.
Gekaufte & erpresste Politiker?
Nötigung & Angst Wenn die Bürgerinitiativen dennoch zu viel Schererei machen, kennt man auch andere Methoden, um allzu aktive Mitglieder ruhig zu stellen. So wurden einige Gewerbetreibende „zufälligen“ Steuerprüfungen unterzogen, in der BI aktive Handwerker durften plötzlich nicht mehr auf das Gelände der EWN. Es gab nächtliche Morddrohungen und einige Lubminer verloren sogar ihre Jobs (Namen & ausführliche Fallbeschreibungen sind der Redaktion bekannt, werden aber auf Wunsch
der Betroffenen hier nicht veröffentlicht). Dass hier bestimmte Personen die Hände im Spiel hatten, ist nicht nachweisbar. Rosemarie Poldrack, frühere Vorsitzende der greifswalder BI, kann sich noch erinnern: „Als ich 1990 für die Abschaltung des Kernkraftwerks gearbeitet hatte, wurde ich mehrfach von verbitterten Kraftwerksmitarbeitern telefonisch – auch mit dem Leben – bedroht. Dort hatte sich eine unvorstellbare Wut angesammelt.“ Ob diese Stimmungen durch den Vorstand auf Betriebsversammlungen bewusst geschürt oder billigend in Kauf genommen wurden und werden, bleibt Spekulation.
Die wahren Interessen? Bei so viel Verschleierung glauben viele Anwohner, dass wesentlich größere Interessen hinter dem Hafenbau von Lubmin stehen. Geradezu konsequent ist es also, dass die EWN über ihre eigenen Pläne zur Nachnutzung des Geländes sehr viel zurückhaltender sprechen. Dabei steckt im Zwischenlager Nord viel Potential. Im Gegensatz zu anderen Lagern, ist das ZLN auch eine Verarbeitungsfabrik. Hier kann schwach radioaktiver Müll gesägt, getrennt, und gepresst werden. Das spart Platz bei der Lagerung und somit auch viel Geld. Seit 1998 hat das Zwischenlager eine Genehmigung Atommüll aus ganz Deutschland zwecks Verarbeitung für zwei Jahre „pufferzulagern“.
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Warum aber ignoriert die Gemeindevertretung die augenscheinliche Mehrheit der Einwohner Lubmins? Nun – da ist beispielsweise der ehrenamtliche Bürgermeister Matthias Lietz. Dieser drohte uns mit „rechtlichen Konsequenzen", wenn wir behaupten würden, dass er bei einem Tocherunternehmen der EWN eine Stelle hat. Also behaupten wir dies hier nicht. Wo er denn aber arbeitet, wollte er uns auch nicht verraten. So sind wir gezwungen, bei den kursierenden Mutmaßungen zu bleiben: Bei der EWNTochter soll er – wie passend – angeblich für die Standortvermarktung des EWN-Geländes zuständig sein. Wie Herr Lietz da zwischen objektiver Ortsvertretung und Standortvermarktung im Namen der EWN unterscheiden könnte, ist unklar. Bei unserem Gespräch hatte er jedenfalls leuchtende Augen, als er uns die Bebauungspläne vorstellte. Als wir ihn nach der Entwicklung Lubmins zum Tourismusstandort befragten, wischte er solche Optionen vom Tisch. So was sei doch „bloß
eine Illusion, von der niemand leben kann“. Aber auch bei Gemeindevertretungsmitgliedern gibt es immer wieder finanzielle Abhängigkeiten zu den EWN. „Es gibt praktisch keine Firma hier vor Ort, die nicht direkt oder indirekt von den Aufträgen der EWN abhängig ist“, sagte uns sogar Herr Lietz. Doch es gab auch Gemeindevertreter, die sich nicht „kaufen“ ließen. Diese wurden dann laut Auskunft der Betroffenen eingeschüchtert, mit Arbeitsplatzverlust bedroht und regelmäßig schikaniert (Namen sind der Redaktion bekannt, werden aber auf Wunsch der Betroffenen hier nicht veröffentlicht). Darüber hinaus, könnte die 1,3 Millionen Euro hohe Verschuldung der Gemeinde Lubmin gegenüber den EWN – die sich auf Grund einer falschen Steuerberechnung ergeben hat – und der „freundliche Rückzahlungsaufschub“ die einen oder anderen Bedenken zerstreuen.
Es gibt keine absolute Sicherheit, wie dieser entgleister Castorzug in Frankreich zeigt. Welches Gefahrenpotential ein Foto: Greenpeace gesunkenes Schiff mit radioaktiver Fracht hat, ist nicht bekannt. mai 2004
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Ehemaliges AKW Lubmin: Welche Pläne liegen in der Schublade?
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Doch der Atomlobby reicht das nicht. Sie möchte Greifswald bereits seit 1991 zum „bundesweiten Zwischenlager“ ausbauen. (Zur Erklärung: da es in Deutschland derzeit keine Endlager gibt, gibt es zurzeit nur "bundesweite Zwischenlager", wie z.B. Gorleben.) Auch Atomlobbyist Dieter Rittscher verlangte damals im Namen der „Gesellschaft für Nuklear-Service“ öffentlich, dass das Greifswalder Zwischenlager auch für westdeutschen Atommüll ausgelegt werden müsste. 1995 wurde Rittscher dann Chef der EWN. Obwohl die Pläne für ein bundesweites Zwischenlager schnell dementiert wurden, wurde die ursprünglich angepeilte Kapazität von 200.000 Kubikmetern nie geändert. Aus diesem Grund sind die Kapazitäten im ZLN auch zum heutigen Zeitpunkt noch lange nicht erschöpft. Was Herr Rittscher wirklich will, kann niemand mit Bestimmtheit sagen. Und das ist es, was den Anwohnern die meisten Sorgen macht. Jegliche Pläne zur längerfristigen Einlagerung von Fremdmüll streitet man heute bei den EWN heftig ab: „Für so was gibt es doch gar keine Genehmigung!", so Manfred Meurer, Pressesprecher der EWN gegenüber dem moritz. Doch Genehmigungen kann man ja holen... Der SPIEGEL deckte auf, dass Rittscher im Bonner Umweltministerium anno 1998 ursprünglich die Zwischenlagerung von Atommüll gefordert hatte - und 16
Foto: nogo
nicht nur die Pufferlagerung: „Rittscher hat sich vertrösten lassen. Aber die Zeit, meint der Profi, der schon Gorleben und Ahaus entwickelt hat, arbeite für ihn.“ (SPIEGEL: 9/1998) Offenbar glaubt Rittscher, dass jetzt die Zeit, sechs Jahre nach diesem Antrag, gekommen sei. Vor kurzem nämlich beantragten die EWN die Verlängerung der Pufferlagerungszeit von zwei auf zehn Jahre. Warum heute plötzlich zehn Jahre notwendig sind, konnte man uns nicht plausibel erklären. Ein Zusammenhang zwischen diesem Antrag und der Fertigstellung des Hafens besteht natürlich nicht, sondern ist „völlig zufällig“.
Das Geschäft mit der Atommülllagerung Die Lagerung von Atommüll bleibt ein lukratives Geschäft in denen es um Millionenbeträge geht. Dieter Rittscher ist schon heute Geschäftsführer des Zwischenlagers, welches, nach Abschluss der KKW-Rückbaumaßnahmen, privatisiert werden soll. Ein Goldesel, verfügt es dann doch sowohl über Technik, Lagerraum und einen Hafen. Über diesen Hafen könnte dann schwachradioaktiver Müll aus den Wideraufbereitungsanlagen herantransportiert werden. Ein Transport auf dem Schiffswege bietet sich aufgrund der hohen Mengen und den geringeren Kosten an. Sollte tat-
sächlich Atommüll nach Lubmin transportiert werden, wäre es dann sogar von Vorteil, wenn keine Betriebe im Hafen sind. So könnten auch lange Schiffsblockaden zum Beispiel von Greenpeace ohne wirtschaftliche Folgekosten bleiben. Eine nur eintägige Blockade beispielsweise des Hamburger Hafens hingegen könnte durch den Umschlaggüterausfall Millionenkosten verursachen. Außerdem gibt es in der Region, bedingt durch die enge Verbundenheit der Bevölkerung mit dem Kernkraftwerk (siehe Artikel „Wohnungsbau im Zeichen des Kernkraftwerks“), bislang kaum Widerstand. Beim bisher einzigen Castortransport von Rheinsberg nach Greifswald im Jahr 2001 standen lediglich 24 Demonstranten rund 12.000 Polizisten gegenüber.
Gerüchte & Gemeinniskrämerei Und so bleibt Lubmin ein Ort für Gerüchte. Manchmal taucht darin auch der Fusionsforschungsreaktor „ITER“ auf. Auch die Pläne von Teilen der CDU, zusammen mit den Franzosen in Lubmin ein neues, modernes KKW zu bauen, scheinen nicht endgültig vom Tisch zu sein. Außerdem hat Russland angeboten, deutschen Atommüll zu kaufen. Ein Transport über die Ostsee wäre dafür jedoch zwingende Voraussetzung. Ob etwas Wahres dran ist, bleibt den Augen der Öffentlichkeit verschlossen, da man bei den EWN nicht sehr gesprächig ist. Als wir einige Fragen an die Energiewerke schrieben, antwortete man uns: „Ihr Informationsbedarf entsprechend der E-Mail [vom] 5.5.2004 geht nach unserer Meinung weit über das übliche Maß zur Information der Bevölkerung hinaus […]“. Zudem mussten wir uns schriftlich verpflichten, dass wir den Artikel vorher von Herrn Rittscher genehmigen lassen, wenn wir die Auskünfte der EWN verwenden wollten. Da die „geheimen“ Informationen im Grunde nach ziemlich belanglose Umgehungen unserer eigentlichen Fragen waren, bedankten wir uns, und verzichteten auf die Verwendung in diesem Artikel. Ist all dies nur eine Kette von „Zufällen“? Oder lässt sich daraus ein System, gar ein großer Plan herauslesen? moritz
Firma Strahlemann und Söhne Vom Kernreaktor der Saurier zum Atomausstieg
mai 2004
Atomkraft in Deutschland Grafik: BA für Strahlenschutz
reiter: Es wurde als erstes KKW des Vertrages im vergangenen Jahr abgeschaltet. Doch nach dem Ausstieg ist es mit den strahlenden Aussichten für die Zukunft noch nicht vorbei. Kraftwerke müssen abgebaut und Atommüll eingelagert, Endlager gesucht und ausgebaut werden. Zudem laufen Verträge mit Aufbereitungs-
anlagen in anderen Ländern noch immer weiter. Es bleibt auch die Frage, woher der Strom in Zukunft kommen soll, denn alternative Verfahren zur Erzeugung von Energie sind bei weitem noch nicht in der Lage, die Produktivität der Atomkraftwerke zu ersetzen. Vieles bleibt also offen. Kai Doering
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Alles begann unter der Tribüne eines Fußball-Stadions in Chicago. Hier baute Enrico Fermi 1942 den ersten technischen Kernreaktor der Welt. Fermi konnte nicht ahnen, dass er mit seinem Experiment lediglich ein natürliches Phänomen nachvollzogen hatte, denn Funde im afrikanischen Gabun beweisen, dass es bereits vor zwei Milliarden Jahren "Reaktoren" gab, in denen Kerne des UranAtoms U-235 gespalten wurden und Wärmeenergie entstand. In Deutschland fiel die politische Entscheidung zur friedlichen Nutzung der Kernenergie in den sechziger Jahren. Hauptgrund damals: Die Erzeugung von kostengünstigem Strom in großen Kraftwerksblöcken. Die Kernkraftwerke Würgassen und Stade (beide in Niedersachsen), die Anfang der siebziger Jahre ans Netz gingen, waren die ersten kommerziellen Kernkraftwerke der BRD. Fast vierzig Jahre belieferten die KKW deutsche Haushalte mit ihrem „sauberen“ Strom. Umweltorganisationen warnten indessen vor den nicht abschätzbaren Folgen der Atomenergie. Im Jahre 1998 hatte dann für die Atomenergie in Deutschland das letzte Stündlein geschlagen. Am 14. Juni 2000 unterzeichneten Bundesregierung und Energieversorgungsunternehmen einen Vertrag zur "geordneten Beendigung der Kernenergienutzung", in dem eine Restlaufzeit der Kernkraftwerke von etwa 32 Jahren festgelegt wurde. Und auch hier wurde Stade Vor-
Physikunterricht
Wie funktioniert eigentlich ein Druckwasserreaktor? In Lubmin wurden insgesamt acht sowjetische Druckwasserreaktoren (DWR) gebaut, von denen jedoch drei nie in Betrieb waren. Inzwischen sind alle Reaktoren stillgelegt und die Brennelemente werden im Nasslager zwischengelagert. Wie funktioniert nun ein solcher Druckwasserreaktor? Der auch als Leichtwasserreaktor bezeichnete DWR nutzt eine kontrollierte Kettenreaktion. Dabei ist wichtig, dass in etwa eine gleichbleibende Anzahl von Neutronen produziert wird, die die Reaktion aufrechterhalten. Als Moderator setzt man hierbei "leichtes" Wasser (gereinigtes , aber ganz "normales" H2O) ein, um die Neutronen abzubremsen. Gleichzeitig wirkt das Wasser als Kühlmittel und nimmt die bei der Reaktion freigesetzte Wärmeenergie auf. Um diese guten Eigenschaften des Wassers zu nutzen, setzt man den gesamten ersten Kreislauf unter Druck, da das
Wasser bei der im Reaktor herrschenden Temperatur von 320°C eigentlich verdampft wäre. Mit einer Umwälzpumpe leitet man das energetisch angereicherte Wasser in einen Wärmetauscher, wo die Wärmeenergie auf einen zweiten, "frischen" Wasserkreislauf übertragen wird. Über einen Dampferzeuger geleitet, wird dann ein Teil der Wärmeenergie mit Turbinen mechanisch in Elektroenergie umgewandelt. Was ist nun am Abbau des KKW so kompliziert? Und warum gibt es da so verschiedene Konzepte wie den totalen Einschluss (der zum Beispiel bei Block 4 in Tschernobyl gewählt wurde) und den in Greifswald angestrebten sofortigen Abbau? Das Schlagwort hier ist mal wieder Radioaktivität, oder präziser noch radioaktive Kontamination, welche beim Betrieb des KKW von ganz allein entsteht. Wir produzieren also abgesehen von den primären Abfallpro-
dukten (wie den "verbrauchten" Brennelementen und dem radioaktiv angereicherten Wasser aus dem primären Kühlkreislauf) noch sekundäre Abfallprodukte (der Reaktorkern und die Teile der Anlage, die mit radioaktivem Material in Berührung kommen). Normalerweise (beim totalen Einschluss) wird der ganze Komplex einfach mit einer dicken Betonschicht überzogen und man wartet ein paar Jahrzehnte, bis die Radioaktivität abgenommen hat, bevor man dann mit dem Abbau beginnt. In Greifswald hat man sich jedoch für den sofortigen Abbau entschieden, wobei man mit Hilfe ferngesteuerter Maschienen die Bauteile zerlegt und dabei nur die wirklich kontaminierten Teile entsorgt. Zum Beispiel braucht man bei der Reaktorummantelung nur die innere Stahlschicht zu entsorgen. Da die Strahlung absorbiert wird (das heißt, den Stahl nicht durchdringt) kann der Rest normal verschrottet Alina Götze werden.
titel So funktionierte das Atomkraftwerk Lubmin. Sieht doch eigentlich ziemlich einfach aus. 18
moritz
Kleines Lexikon zur Atomenergie
Castor ohne Pollux Castor, Gorleben und SuperGau – alles Begriffe, von denen man schon mal irgendwie im Zusammenhang mit Atomkraftwerken gehört hat. Hier ein kleiner Überblick, was sich hinter diesen und einigen anderen Ausdrücken verbirgt.
Abklingbecken (auch: Nasslager): Dies ist ein mit Wasser gefülltes Becken, in dem Brennelemente nach dem Reaktoreinsatz so lange lagern, bis Aktivität und Wärmeentwicklung auf einen bestimmten Wert abgenommen haben. Brennstab: Geometrische Form, in der Kernbrennstoff, ummantelt von Hüllenmaterial, in einen Reaktor eingesetzt wird; meist bilden mehrere Brennstäbe ein Brennelement Castor: Hat nichts mit den mythologischen Brüdern Castor und Pollux zu tun, sondern steht für Cask for storage and transport of radioactive material. Es handelt sich also um einen Behälter für den Transport und die Lagerung abgebrannter Kernelemente. Endlagerung: Wartungsfreie, zeitlich unbegrenzte und sichere Beseitigung von radioaktiven Abfällen ohne beabsichtigte Rückholbarkeit. In Deutschland wird die Lagerung in tiefen geologischen Formationen als die beste Lösung angesehen. Bisher ist die ehemalige mai 2004
Ein Castorwagen auf dem Gelände des AKW Lubmin. Schachtanlage "Konrad" bei Salzgitter als zentrales Endlager im Gespräch. GAU: "Größter Anzunehmender Unfall". Dies ist ein Begriff aus der Reaktorsicherheit, der jedoch heute durch den "Auslegungsstörfall" ersetzt wurde. Gorleben: Am Standort Gorleben in Niedersachen werden ein Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente sowie ein Endlager für schwachradioaktive Abfälle betrieben. Kernkraftwerk: Wärmekraftwerk, überwiegend zur Stromversorgung, bei dem die bei der Kernspaltung in einem Reaktor freigesetzte Energie in Wärme und über einen Wasser-Dampf-Kreislauf mittels Turbine und Generator in elektrische Energie umgewandelt wird. Kettenreaktion: Der radioaktive Zerfall ist eine Energieabgabe aus spaltbarem Material. In der Natur liegt z.B. Uran als ein Gemisch aus den Isotopen U-235 und U-238 vor. U-235-Kerne haben die Eigen-
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schaft, bei Kontakt mit Neutronen zu zerfallen, wobei neben Energie auch 2 bis 3 Neutronen abgegeben werden. Diese wiederum können neue Kernzerfälle anregen und damit eine Kettenreaktion auslösen. Bei der unkontrollierten Kettenreaktion erhöht man die Anzahl der radioaktiven Isotope, so dass innerhalb kürzester Zeit alle U235-Kerne umgesetzt und große Mengen Energie freigesetzt werden. Diesen Prozess nutzt man bei Kernwaffen. Um aus der Kernspaltung im KKW Energie gewinnen zu können, muss man nun eine kontrollierte Kettenreaktion erreichen, bei der die Anzahl der Neutronen- bzw. Kernzerfälle konstant bleibt. Dies wird erreicht, indem man den Anteil der radioaktiven Isotope verringert und die Brennelemente mit einem Material umgibt, das die Neutronen absorbiert, bis nur noch ein Neutron pro Zerfall eine neue SpalaliG, ring tung auslöst.
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Abfälle, radioaktive: Hier denkt jeder zunächst an abgebrannte Kernelemente (stark radioaktiv). Diese machen jedoch nur einen sehr geringen Teil aller radioaktiven Abfälle aus. Weit größer ist die Menge an Stoffen, die z.B. in der Kernmedizin oder bei der Reinigung von Kernkraftwerken anfallen (schwach radioaktiv). Radioaktive Abfälle müssen in speziell ausgesuchten und vorbereiteten Zwischen- bzw. Endlagern aufbewahrt werden.
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Gangs of „New York“: moritz erkundet das AKW-Gelände.
Alle Fotos: nog0
Im Herzen des Reaktors Faszination Atomkraftwerk: moritz besuchte das ehemalige AKW Lubmin und war von dessen Ausstrahlung fasziniert / Von Juliane Hesse und Norman Gorek
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An sich zieht es den Menschen in seiner Freizeit hinaus in die Natur. Grüne Wiesen, dichte Wälder und frische Luft bieten eine willkommene Abwechslung zum Alltag, der sich für manche gar in überfüllten Seminaren oder langweiligen Vorlesungen äußert. Von Zeit zu Zeit aber sucht der Mensch eine andere Art der Abwechslung, besonders wenn er ohnehin in einer schönen Stadt am Bodden lebt und der Frühling die Strandparties einläutet. Dann ist es weniger die Natur, die anziehend wirkt, sondern das krasse Gegenteil. Vielleicht die Seitenstraßen und abgelegenen Viertel einer Großstadt? Furchtsam schweift hier der Blick durch düstere Gassen. Dunsterfüllte Betonschluchten, in denen die Feuchtig20
keit lungert und wo sich der Dampf seinen Weg aus der Kanalisation sucht, lassen Szenen aus den Mafiaepen des Martin Scorsese vor dem inneren Auge entstehen. Die moritz-Redaktion jedenfalls entdeckte jüngst ihre Faszination für das Endzeitliche und brauchte dafür von Greifswald aus nicht einmal lange zu fahren, denn Lubmin liegt gleich um die Ecke. Im dortigen Atomkraftwerk lernten wir eine ganz andere Seite des ländlich-idyllischen Mecklenburg-Vorpommern kennen. Nebenbei erfuhren wir fast alles, was wir über Atomkraft wissen wollten und kamen beim Anblick der Dimensionen nicht mehr aus dem Staunen heraus. Schon bei der Anfahrt wird das Ausmaß des AKW-Geländes deut-
lich. Riesengroß erhebt sich die Anlage über die ansonsten karge Heide- und Waldlandschaft. Etliche gigantische Beton- und Stahlungetüme, umgeben von hohen Sicherheitszäunen, konfigurieren sich vor den Augen des womöglich gar mit atomkraftkritischem Gedankengut vorbelasteten Betrachters zum beängstigenden Bild eines kontaminierten Industriemonsters. Am Eingang des Atomkraftwerks werden wir von Leonhard Bienert in Empfang genommen. Der passionierte Sachkundige macht zu Beginn in einem etwa einstündigen Vortrag deutlich, dass besagte Vorurteile unbegründet sind. Unter Zuhilfenahme etlicher Tageslichtprojektorenfolien gibt Bienert zunächst geschichtliche Daten, moritz
dann technische Basics und Besonderheiten des Lubminer Werks an die interessierten Laien weiter. Nach der theoretischen Einweisung ist es dann endlich soweit. Die moritz-Redaktion erhält noch einen persönlichen Sicherheitsmann als Begleitung und wird durch die streng kontrollierten Schranken auf das eigentliche Betriebsgelände losgelassen. Wir finden uns in "New York" wieder. So wird das Gelände unter den Mitarbeitern genannt, da die Straßen durchnummeriert sind. (Womit wir wieder bei Martin Scorsese wären.) Entlang einer großen Hauptstraße verlaufen unzählige überirdische Leitungen. Das industrielle Flair unterstreichend steigt Dampf aus Schächten im Boden.
Wir steuern "Block 6" an, dem Teil der Anlage, der nie in Betrieb war und deshalb bedenkenlos betreten werden kann. Vor der Eingangstür des Blocks sind zur Einstimmung ein gigantisches, komplett aus bestem Edelstahl gefertigtes (”denn das war bei den Russen so üblich”) Rohrteil und ein Teil des Reaktors aufgestellt, die trotz ihrer einzig technischen Relevanz wie Objekte einer Ausstellung für moderne Kunst anmuten. An der winzigen Tür des fast 30 Meter hohen Meilers angekommen, brennen wir nun darauf, in das Wunderwerk eingelassen zu werden. Da nichts über Sicherheit geht, bekommen alle Moritze einen signalroten Schutzhelm verpasst, was besonders den Autor dieses Artikels freut („Wenn Gerhard Schröder einen Betrieb besucht, hat er auch immer so einen auf!“) Vor sämtlichen Gefahren gefeit passieren wir die erste von drei Schleusen und befinden uns im Inneren des Kolosses. Schon der erste Raum besticht durch technische Superlative. Auf etwa 40 Quadratmetern winden sich unzählige ineinander verschlungene, fingerdicke Metallrohrleitungen, die mit Messuhren und Hebeln bestückt sind. Wer soll da durchblicken? Aber es handelt sich ja bloß um einen Kontrollraum. Auf dem Weg zum eigentlichen Ort des Geschehens, der an riesigen Kühl- und Pumpsystemen vorbeiführt, müssen wir die zweite Schleuse passieren. mai 2004
Die drei Moritze vo(r)m Grill: Der Kernreaktor als bequemer Rastplatz.
Bruno Leuschner (1910 – 1965) war als KPD-Mitglied im Widerstand gegen die Nazis aktiv. Später bekleidete er in der DDR diverse Staatsämter.
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Technische Superlative
Potentielle Club-Location: die Luftfalle. 21
desweiteren an einem Bedienerkorridor entlang, in dem an die 30 Ventilarmaturen zum Drehen angebracht sind. Diese muten zwar etwas bedienungsunfreundlich an, wären aber laut unseres Begleiters durchaus auch von den ”braunäugigen schönen Frauen” der moritzRedaktion zu bedienen. Die nächste Etappe führt vorbei an der aufschlussreichen und amüsanten Fotoausstellung "Fotos eines Arbeitstages von Egbert W.”, bei der die mannigfaltigen Aufgaben an diesem außergewöhnlichen Arbeitsplatz mit Bildern und Schnappschüssen eines sympathischen Kraftwerkers dargestellt werden.
In Stahlgewittern
Wer hat am Ventil gedreht? Heute verursacht der moritz mal keinen GAU. Zu "aktiven Zeiten" haben sich hier die Arbeiter in die Kraftwerkskluft geschmissen, die nicht nur aus schützenden Overalls bestand, sondern bis hin zu der Unterwäsche vorgeschrieben war. Laut Leonhard Bienert hatten die weiblichen Mitarbeiter jedoch ein Problem: Die BHs waren russische Modelle und haben den deutschen Arbeiterinnen aus nicht näher spezifizierten Gründen nur schlecht bis gar nicht
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gepasst. Das Modell eines Arbeiters in AKW-Kluft, komplett mit Schutzmaske und Helm, erregt die Aufmerksamkeit des Autors. Schon muss ihn eine moritz-Mitarbeiterin in Kumpelpose mit dem Pappkameraden photographieren. Unser Instrukteur Bienert scheint das erwartet zu haben: "Dieses Modell zieht Spaßvögel magisch an." Nun wird es aufregend: über lange, mit gleißendem Licht beleuchtete Gänge gelangen wir in den unteren Teil des 15 Meter hohen Reaktors und werden über die hier stattfindenden Mess- und Kontrollfunktionen informiert. Eine kleine Fotoausstellung hilft, etwas besser durch die schwierigen Sachverhalte durchzusteigen. Danach geht es über verzweigte Treppen, Rampen und enge niedrige Gänge, die komplett aus Metall sind und daher für eine Geräuschkulisse der besonderen Art sorgen, in einige andere mit unverständlicher Technik vollgestopfte Räume wie den Pumpenringraum, die Ventilkammer und dem Lüfteraum. Auf dem Weg zum Reaktor kommen wir
Als die Heiterkeit wieder ehrfürchtigem Schweigen gewichen ist, kommen wir zum Highlight der Tour: dem Reaktor. Umgeben von Rohren, Pumpen, Schächten und einem ganzen Batzen anderer Gerätschaften steht er in der Mitte eines runden Saals. Als Leonhard Bienert noch die Funktionsweise des Reaktors erklärt, stecken einige Moritze schon ihre Nase in die kleine, an eine Ofentür erinnernde Öffnung an der Außenwand des Reaktors. Der professionelle Tutor Bienert lässt sich erweichen: "Wenn's nicht allzu lange dauert, können sie auch einmal hineinkriechen." Also krabbeln die ganz mutigen Redakteure durch einen Schacht in die Reaktorkammer, dorthin wo sonst den Brennstäben die Neutronen um die Ohren fliegen. Drinnen tut sich ein schummriger, turmartiger Raum auf, der von kreisförmig angeordneten Stahlstiften durchzogen ist. Überwältigt von der Technik und dem Gedanken an die tödliche Gefahr, die eigentlich von dieser Stätte ausgehen müsste, kommt eine andächtige Stimmung auf. Diejenigen unter uns, die sich nach dem Besuch im Herzen des Reaktors noch immer Gedanken über Sicherheitsfragen machen, können sich im Anschluss daran von den enormen Vorkehrungen überzeugen. Was also, wenn "in 15.000 Jahren" (Bienert) eines der extrem stabilen Stahlrohre, durch die 300°C heißes Wasser unter Druck hindurchgeleitet wird, bersten und der verseuchte Dampf austreten sollte? Der Dampf würde in sogemoritz
nannten ”Wassertassen” kondensiert werden und die Luft in ”Luftfallen” gesaugt werden. Als wir eine dieser bestimmt 300 Quadratmeter großen und 7 Meter hohen Metallkammern betreten, haut uns das schier um. Ein so riesiger leerer Raum, der nur im Falle des Falles "benutzt" würde! Einige vorwitzige moritz-Redakteure aber schmieden bereits Pläne, wie man daraus einen neuen In-Club machen könnte. Gleichermaßen von der langen Reise durch das Labyrinth aus Stahl ermüdet wie von den Dimensionen erschlagen, treten wir nun den Rückweg an, der über lange Srecken über Gitterböden verläuft, unter denen der Abgrund klafft. Für die ganz Ängstlichen sind selbstgezeichnete Bilder an der Wand aufgehängt, denen man eher als dem Nichts unter sich seine Aufmerksamkeit schenken sollte.
Annäherungen
moritz dankt Herrn Leonhard Bienert für die interessante Führung und dem Fahrdienst der Uni für einen schnellen Hin- und Rückweg. mai 2004
Industrieromantik.
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Als wir wieder ins Freie gelangen, erscheinen uns die vorher so unheimlich anmutenden Äußerlichkeiten der Anlage nicht mehr befremdlich. Es hat eben alles seine Funktion. Die Sicherheit ist in hohem Maße gewährleistet und das bisschen Atommüll im ebenfalls sicherheitstechnisch unübertrefflichen Zwischenlager scheint auch nicht extrem bedrohlich. Ganz selbstverständlich nehmen wir die parkenden Castor-Tieflader in einer Seitenstraße zur Kenntnis. Für diesen Tag sind wir im positiven Sinne „bedient“ und wollen heute weder Nutzen noch Gefahr hinterfragen. Kritiklos überzeugt von dieser Form der Energiegewinnung ist von uns wahrscheinlich kaum jemand. Wir haben aber einen Eindruck von den Gefühlen und der Leidenschaft, die viele Menschen für das Atomkraftwerk Lubmin hegen, bekommen und können nun den Konflikt zwischen Befürwortern und Gegnern vielleicht besser nachvollziehen. Auf jeden Fall haben wir einen Einblick in eine Welt erhalten, die für die meisten von uns von Grund auf schändlich behaftet, aber gleichzeitig auch unglaublich fern und unverstanden ist.
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Wohnungsbau im Zeichen des Kernkraftwerks Nach einem schweren Start in den 50er Jahren entwickelt sich Greifswald ab Mitte der 60er Jahre zum Industriestandort / Von Ulrich Kötter Nach dem zweiten Weltkrieg hatte Greifswald mit vielen Problemen zu kämpfen: In den umliegenden Dörfern und in der Stadt selber kamen tausende Flüchtlinge aus den Gebieten östlich der Oder an – überwiegend Frauen und Kinder. Greifswald als einzige unzerstörte Stadt in der Region hatte im Herbst 1945 mit 70.000 Einwohnern fast die doppelte Anzahl als vor dem Krieg. Die Bevölkerung verteilte sich in den Folgejahren wieder, die Wohnungsnot blieb jedoch ein Kennzeichen bis Anfang der 60er Jahre. Der Wunsch Greifswalds, sich in der frisch gegründeten DDR als zweites Zentrum neben Rostock zu etablieren, ging nicht in Erfüllung. Das Geld für den Wiederaufbau floss in die zerstörten Städte der Umgebung. Zeitzeuge Alfred Wohlrab kam 1958 nach Greifswald und wohnte zunächst in der Innenstadt. Von einer Zeit des Mangels mag er zwar nicht sprechen: „Verhungert ist niemand und was an Nahrungsmitteln da war, wurde verwertet.“ Dennoch charakterisiert er die 50er Jahre als „ärmlich“.
len Arbeiterwohnungsgenossenschaft (AWG) zusammengelegt. Das Genossenschaftskonzept gefiel der SED und trat nicht in Konkurrenz zum staatlichen Wohnungsbau. Der gewöhnliche Arbeiter war auf die Wohnungskommission seines Betriebes angewiesen. Dort wurden von Ehrenamtlichen überwiegend nach sozialen Kriterien die Wohnungen an die Mitarbeiter verteilt. Die städtische Kommission für Wohnungszuweisungen verteilte als übergeordnete Instanz die sogenannten „Wohneinheiten“ („WE“) an die Betriebe. Dass bei der Wohnungsvergabe auch politische Kriterien eine Rolle gespielt haben, möchte Alfred Wohlrab nicht ausschließen – aufgefallen ist ihm das jedoch damals nicht. Der großangelegte Wohnungsbau begann an der Franz-MehringStraße, um den Rosengarten herum und an der Walther-RathenauStraße sowie ab 1956 im „alten“ Ostseeviertel östlich des Stadions. Von 1960 bis 1967 wurde die Südstadt zwischen Anklamer Straße, Hans-Beimler-Straße und
Karl-Liebknecht-Ring errichtet. 1961 zog Alfred Wohlrab mit Familie an den Karl-LiebknechtRing. Er erinnert sich: „Als Genossenschaftsmitglied hatte man eine Sollzahl an Aufbaustunden zu verrichten. Für eine 4-ZimmerWohnung mussten 590 Arbeitsstunden verrichtet werden – neben der gewöhnlichen Arbeit am Sonnabend Nachmittag oder Sonntag.“ Entweder verrichteten die Mitglieder „Bauhilfsarbeiten“ oder gestalteten die Grünflächen vor ihren Häusern. Zum Teil wurden zuerst die Häuser und dann erst die Infrastruktur mit Unterstützung der neuen Bewohner gebaut. Das alte Ostseeviertel und die Häuser an der Rudolf-PetershagenAllee wurden noch in traditioneller Bauweise hergestellt, während man in der Südstadt die Blockbauweise erprobte. Dort wurden Teile eines Wandstückes vorgefertigt geliefert und mittels Kran Stück für Stück zusammengesetzt. Ebenso neu war das Wohnkonzept an der Petershagen-Allee: In den Flachbauten zum Rosengarten hin
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Wohnungsnot Die Wohnungsnot war unverkennbar; es fehlten die Baukolonnen. „Ich bin noch vor dem Einwohnermeldeamt zuerst zur Wohnungsgenossenschaft gegangen und dort eingetreten“, erinnert sich Wohlrab. „Dort kam der an eine Wohnung, der frühzeitig eingetreten war.“ Seit 1954 gab es in der Stadt vier neu gegründete Wohnungsgenossenschaften – so zum Beispiel eine für die Reichsbahnbediensteten oder auch eine für Angehörige der Universität. 1958 wurden sie wie überall in der DDR zu einer zentra24
Das „Baukastenprinzip“ in Schönwalde I: Plattenbauten am Dubnaring / Loissiner Wende. Fotoquelle: Biederstedt, Rudolf u.a.: Greifswald. Rostock 1973 moritz
Harry Tisch, erster Sekretär der Bezirksleitung Rostock, eröffnet das NEG. Fotoquelle: Biederstedt, Rudolf u.a.: Greifswald. a.a.O.
Aufbruchstimmung Im Jahr 1964 war beschlossen worden, Greifswald durch forcierte Industrialisierung aufzuwerten und den Rückstand durch gezielte Infrastrukturmaßnahmen aufzuholen. Ein Jahr später fiel die Standortentscheidung für das „Kernkraftwerk Nord“ in Lubmin und ab April 1967 wurde das Nachrichtenelektronikwerk Greifswald (NEG, heute teilweise Siemens) errichtet. Die Investitionen waren dringend nötig, um den Wohnungsbau endlich anzukurbeln. 1967/68 wurden die Stadtteile Schönwalde I und II entworfen. Schönwalde I sollte schwerpunktmäßig den Mitarbeitern des KKW und ihren Familien vorbehalten sein, weniger den Bewohnern der Innenstadt. Das NEG sollte die Arbeitsplätze für die verhältnismäßig vielen Frauen im Kreis bieten und die Ehefrauen der im KKW beschäftigten Bauarbeiter und Spezialisten auffangen. Man strebte gar eine Verdoppelung der Einwohnerzahl der Stadt bis 1980 an. Die Universität sollte einen technischen Schwerpunkt aufbauen, eine mai 2004
neue Mensa sowie Studentenwohnheime und ein Großklinikum wurden entworfen. Dafür sollte auch alte Stadtsubstanz weichen. Ab 1968 wurden die Maßnahmen unverkennbar: Greifswald bekam eine moderne Straßenanbindung nach Stralsund und Lubmin, eine Eisenbahnstrecke nach Lubmin wurde gebaut. Der Haltepunkt Greifswald Süd entstand.
Die Geburtsstunde der Greifswalder Platte Das Plattenwerk des Kombinats Wohnungsbau spezialisierte sich nach seiner Eröffnung im Januar 1969 auf Bauplatten für Wohn-
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waren Lebensmittelgeschäfte und Kneipen untergebracht, so dass man zu Fuß alles bequem erledigen konnte. Die Grundlage für eine langsame Abwanderung aus der verfallenden Innenstadt war gesetzt.
häuser. Die Platten wurden auf einem wackeligen Feldbahnsystem zu den Baustellen transportiert. Nicht wenige der bis zu 6 Tonnen schweren Platten, die mit der Spitze gegeneinander auf den Loren standen, fielen herunter. Das Plattenwerk lieferte Wände, Decken und die sogenannten Feuchtzellen – komplett gefliest und mit Badewanne. Die Abteilung Tiefbau des Kombinats schachtete die Fundamente aus, die Abteilung Wohnungsbau „setzte“ die Häuser „zusammen“ und die Abteilung Ausbau kümmerte sich um die Einrichtung. Schönwalde I wurde „auf der grünen Wiese“ errichtet, vorher gab es dort Kleingärten, Koppeln und Wiesen. Der Bereich von Schönwalde II war vormals eine große Obstplantage der Universität. Der Name „Schönwalde“ hängt mit den Dörfern Groß und Klein Schönwalde zusammen und nicht zuletzt erinnert der Wortbestandteil „walde“ an „Greifswald“. Ende 1964 hatte Greifswald rund 47.500 Einwohner, im Jahr 1977 waren es schon rund 60.000. Das Kombinat Wohnungsbau stellte bis 1977 rund 1000 Wohnungen im Jahr fertig, dennoch reichte das Platzangebot nicht. Findige Kombinatsmitarbeiter bauten bei Eigenbedarf Kellerräume zu Wohnungen um oder bauten Dachgeschosse der älteren Häuser mit Spitzdach aus. Ab 1973/74 begann der Aufbau von Schönwalde II und wurde rund 4 Jahre später abgeschlossen. Die Universität erhielt an der Makarenkostraße vier neue Studentenwohnheime und als „Mehrzweckbau“ die „Kiste“.
Faszination Kernkraftwerk Lubmin: Postkarte der „Großbaustelle der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft“. Foto: EWN-Archiv 25
Rund 30.000 Menschen lebten jetzt in den Neubauvierteln. Die Menschen verließen endgültig die unbewohnbare Altstadt und es entwickelte sich ein vom Arbeitsrhytmus geprägtes Alltagsleben in den Neubausiedlungen. Die Werkbahn von Greifswald Süd nach Lubmin fuhr mit ihren Doppelstockwagen zur KKW-Baustelle hinaus und war immer voll besetzt. Von den höheren Etagen der Häuser aus glichen die Schönwalder Magistralen zu den Stoßzeiten einer „Ameisenstraße“. Die Zugfahrt nach Lubmin blieb kostenlos, so dass auch viele Touristen im Sommer nach Lubmin an den Strand fuhren. Die Arbeitskräfte für den Kraftwerkbau kamen noch überwiegend aus der Region. Der Einzugsbereich des KKWs reichte von Stralsund über Grimmen, Demmin und Anklam bis nach Usedom. Die vielen Spezialisten wurden aus der ganzen DDR angeworben. Ein bescheidener Wohlstand kehrte in Greifswald ein, 1973 wurde das
wenn es weniger Gemeinsamkeiten gab.“ Insgesamt hätten sich sich die Menschen gerade in Schönwalde I doch sehr wohl gefühlt, weil es städtebaulich mit dem meisten Grün am besten gelungen sei. Ein Patenschaftsvorhaben für Bäume ebbte jedoch ab und so blieben die Vorstädte dort eher öde, wo die nicht genossenschaftlich organisierte Bevölkerung wohnte.
erprobte sparsamen Umgang mit Baustoffen. Das neue Ostseeviertel Parkseite entstand in sehr dichter Bebauung – man sparte Erschließungskosten
Niedergang Wende
nach
der
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Mit der Wende 1989/90 und dem Beschluss vom November/Dezember 1990, das Kernkraftwerk Lubmin – inzwischen schon „EnergieDas Tempo stockt werke Nord“ – stillzulegen und Ab Mitte der 70er Jahre verlangzurückzubauen, wurden in der samte sich das Tempo der BauFolgezeit mehrere Tausend Beschäfmaßnahmen, in den 80er waren tigte arbeitslos. Bis 1993 wurden Anzeichen der Stagnation unverrund 3.700 Spezialisten entlassen, kennbar: Die Stadt wuchs langsadaneben verloren circa 12.000 mer. Statt der geplanten 80.000 Montagearbeiter ihren Arbeitsplatz. Einwohner war man nur bei 65.000 1990 protestierten etwa 6.000 angelangt. Nicht nur das Bautempo Beschäftigte des KKW in Greifswald in Lubmin stockte, auch der Verfall für den Erhalt ihres Arbeitsplatzes der Innenstadt konnte nicht aufgeund eine Weiterführung des halten werden. Dennoch hatte Betriebes. „Sicherlich ein Zeichen Alfred Wohlrab nicht das Gefühl, in mangelnden Umweltbewußtseins“, der Luft zu hängen: „Wenn auch erläutert Alfred Wohlrab, „aber es langsamer – es ging weiter. Sichergab zu DDR-Zeiten eine äußerst starke Technikgläubigkeit. Die Sicherheit stand durch den Volkseigentum-Gedanken scheinbar an erster Stelle und man war überzeugt, dass der Mensch die Natur beherrschen kann.“ Der Arbeitsplatzabbau ging nicht schlagartig vonstatten, etliche Beschäftigte konnten zunächst in ausgegründeten Zweigbetrieben des ehemaligen Kombinats weiterarbeiten. Einige der Ehemaligen zogen aufs Land, so dass die umliegenden Dörfer stark wuchsen. Wer das Geld für ein Eigenheim nicht hatte, blieb, wo er war. In die leer gewordenen Plattenbauwohnungen zogen unterdessen Familien ein. Schönwalder Impressionen: Der Glasbrunnen Ernst-Thälmann-Ring/Lomonossowallee Neue Bepflanzungen und Ende der 70er Jahre. Foto: EWN-Archiv Spiel- und Sportplätze in den Plattenbausiedlungen lich gab es Probleme, aber die waren haben zwar die Attraktivität an einiStrandbad Eldena aufgespült, Kleinden Menschen aufgrund der hohen gen Stellen gehoben, dennoch bleibt gärten, die der Erholung dienten sozialen Sicherheit vielleicht nicht dem heutigen Betrachter ein gewisund staatlich gefördert wurden, so bewußt wie heute. Außerdem gab ser Nachgeschmack. Überwiegend schossen aus dem Boden. „Das es immer wieder Spitzen, wie den ältere Menschen auf den Straßen Lebensgefühl war sehr anders als in zweigleisigen Ausbau und die und an der Supermarktkasse, gefüllder Südstadt“, erinnert sich Alfred Elektrifizierung der Eisenbahnte Wartesäle im Arbeitsamt und hin Wohlrab, „Es gab hier viele unterstrecke.“ Dennoch: Dringende Bauund wieder eine junge Familie oder schiedliche Altersgruppen und in vorhaben wie das Klinikum oder die einzelne junge Leute, die durch eine den größeren Häusern auch deutUmgehungsstraße kamen nicht der vielen modernen Einkaufslich mehr Mieter. Die Menschen mehr voran und das Plattenwerk passagen rennen. waren insgesamt lockerer, auch 26
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feuilleton Berlinale: Stars und Studenten Kino: „Schultze gets the blues“ / “Kill Bill“ / „Troja“ / DVDs / Kino ohne Kant Theater: „Johannifeuer“ Musik: Morrissey / Detroit Blues / Aktuelle CDs / Agnetha Fältskog / Krach Sport: Deutscher Fußball – Quo vadis? Literatur: Updike / O’Nan / Frisé Porträt: Dalí Games: „Port Royale II“ feuilleton
Bericht: London in Angst Radio: News
Jack Nicholson as photographed by Arvid Hansmann. mai 2004
„Sind sie akkreditiert?“ Berlinale-Impressionen / Text und Photos: Arvid Hansmann
„Das ist nett; Dankeschön“, entgegnete mir Tom Tykwer, als ich ihm die Januar-Ausgabe des moritz in die Hand drückte. Seine Worte waren ebenso freundlich, wie perplex: Da kam an diesem Freitag im Februar gegen Mitternacht im Foyer des CinemaxX scheinbar „aus dem Nichts“ jemand auf ihn zu und empfahl ihm, einen Blick in ein Magazin zu werfen, von dem er noch nie zuvor etwas gehört hatte. Kurz danach verschwand er wieder. Warum ich auf diese naive Idee gekommen bin, habe ich mich hinterher gefragt; und warum ich nicht gleich einen „praktischen“ Nutzen daraus gezogen habe, indem ich ein „Tom-Tykwer-liest-moritzFoto“ gemacht hätte. Dabei war ich am Eröffnungs-Donnerstag so selbstsicher ins „GrandHyatt“-Hotel am Marlene-DietrichPlatz reinmarschiert, um mir einen offiziellen Presseausweis zu besorgen („Akkreditierung“ war das Zauberwort). Ich war kurz zuvor von
unserem Chefredakteur per E-Mail „angekündigt“ worden und eigentlich zuverlässige Quellen hatten mir versichert, dass dies ausreichen würde. Aber als ich mich zu der Frau Sowieso durchfragte, die die Mail in Empfang genommen hatte, konnte sie mich in all dem „permanenten Stress und Hektik“ nur an einen weiteren Herrn verweisen. „Sie wollen eine Akkreditierung? Da reicht es nicht‚ einfach so eine Mail zu schikken. Da hätten sie bis zu 15. Dezember eine offizielle Anmeldung einreichen müssen ...“ bekam ich zu hören. Es wäre ja auch zu schön gewesen, in der ersten Reihe der Fotografen stehen zu können, ein Freikontingent an Filmen zu bekommen und vielleicht sogar an einer Pressekonferenz teilnehmen zu dürfen ... C’est la vie. Also ging ich über zu „Plan B“: Wenn ich beim roten Teppich nicht vorne stehen konnte, brauchte ich eben eine „erhöhte Position“. Das Problem war, dass ich mir über die
Vieles von dem, was ich bei der Berlinale unternommen habe, war fraglich.
Journalistenkollegen ...
feuilleton Überraschende Studentenproteste im Berlinale-Palast: Aktion „im Geime erstickt“ und der Abend plätscherte langsam aus. 28
Umsetzung des Planes noch keine allzu tiefgründigen Gedanken gemacht hatte. Ich dachte nur: „so eine kleine Trittleiter aus dem Baumarkt“. Aber wo findet man mitten in Berlin einen Baumarkt ? – „Irgendwo beim Ku-Damm“, erfuhr ich. Nachdem ich dann auf selbigem mitbekam, wie teuer so ein AluKlappding ist, fielen mir diese kleinen runden Hocker mit dem blauen Schaumgummisitz ein. So etwas gab es momentan nur in einem Möbelhaus, das wieder ein paar U-BahnStationen entfernt war. Als ich das Ding endlich in meiner Hand hielt, war es bereits Abend und ich beeilte mich, um zu den „Stars und Sternchen“ zu gelangen. moritz
Der „Chef vons Janze“: Festspielleiter Dieter Kosslick.
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mir in diesem Falle nicht hold und ich gehörte zu der Traube, vor der die Türen verschlossen wurden. Ich bin dann zum Vorstellungsende noch mal wiedergekommen, da ich die Hoffnung immer noch nicht aufgegeben hatte, dass die Protagonistin aus dem Kurzfilm „True“ vielleicht doch – trotz ihrer ge-
Keine studentischen Protestierer: Ethan Hawke und Jack Nicholson. trübten Einstellung gegenüber Deutschland – hier erscheinen würde. Aber dem war nicht so. Mir lief nur der Regisseur, eben Tom Tykwer, über den Weg. Ein paar Tage später habe ich diesen äußerst poetischen Film dann doch noch gesehen – eingebettet in eine Veranstaltung des „Berlinale Talent Campus“, auf dem sich junge Filmemacher trafen. Wie ich mit ihnen in ein „Foto-Shooting“ auf dem roten Teppich geraten bin (wobei ich mich dann doch auf die Seite der Fotografen gestellt habe) ist eine andere Geschichte. Zu selbiger sei nur noch das Poster zu „True“ genannt, das ich nach etlichen „Irrfahrten durch ein Meer von Institutionen“ (bei denen ich
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Doch diese waren im Vergleich zum letzten Mal weniger zahlreich vertreten und die „erhöhte Position“ nützte kaum etwas, um durch das Gewirr aus Köpfen, Kameras und Wuschelmikrofonen zu dringen und das Gesicht von Christiane Paul oder Anthony Minghella (den ich zu diesem Zeitpunkt eh noch nicht kannte) zu fokussieren. Aber bald sollte ich selbst im Fokus des Geschehens stehen. Mit der Ankunft des Herrn Wowereit entpuppten sich die zahlreichen Altersgenossen um mich herum als Exekutive der „Nachwehen“ der großen Studentendemos vom Januar. Unter anderem mit Michael-Moore-Zitat im Banner versuchten sie auch innerhalb des Berlinale-Palastes auf sich aufmerksam zu machen. Ich stand mitten im keilförmigen Zugang, als Polizisten und Journalisten wild um mich hersprangen. Die Situation drohte außer Kontrolle zu geraten und ich war froh, da noch heil rausgekommen zu sein – zugegeben, so schlimm war’s nicht, aber es war schon schwierig, sich möglichst „neutral“ zu verhalten. Jedenfalls wurde diese Aktion „im Geime erstigt“ und der Abend plätscherte langsam aus. Für den nächsten Tag hatte ich mir vorgenommen, eine Karte für den ersten Block des Kurzfilm-Wettbewerbs zu ergattern. Einen Platz in einem Kino zu erlangen kam nämlich Zuständen wie auf dem Basar oder an der Börse gleich: nicht jeder, der eine Karte hatte, bekam auch einen (Treppen-)Platz und in einem „vollen“ Saal konnte man auch zum „Schnäppchenpreis“ noch einen bequemen Sitz finden – all dies entschied Fortuna. Diese war
unter anderem vor einer Drehtür fast mit Fatih Akin, dem Schicksalsträger der Kalypso Sibel Kekilli, kollidierte) als Geschenk bekam – mein schlechtes Gewissen zwingt mich dazu dies zu erwähnen, da ich vorgab, es „aus redaktionellen Gründen“ zu benötigen, obwohl es jetzt in meiner Küche hängt. Wie dem auch sei; letztendlich habe ich dann noch etliche Euros für interessante Filme (vor allem aus dem asiatischen Raum) ausgegeben und könnte nun noch seitenweise über extrem devote Japaner, groteske Bestattungsriten in China, oder christliche Symbolik in koreanischen Psychostudien berichten, aber ich will lieber Platz für ein paar Bilder lassen. Ich habe viel gesehen und einiges davon auch eingefangen, aber dennoch schaute ich neidvoll auf die bunten Umhängeschildchen der internationalen „Kollegen“ und musste an die bekannten Worte eines Kaya Yanar denken ...
Begehrte Trophäe für die Küche des Autors: Das „True“-Filmposter. 29
Die Rache ist mein – „Kill Bill“ ist endlich vollständig
kino
Auf das Feeling kommt es an: Horst Krause überzeugt als Bluesbreaker.
Deep in the south Tragikomisch genial: „Schultze gets the blues“ / Von Britta Voß
feuilleton
Wenn eine Salzkristalllampe alles ist, was von lebenslanger Arbeit in der Grube geblieben ist, wenn deine Blechbläsergruppe deine Heimat ist und deine beiden einzigen Freunde dich immer noch beim Nachnamen nennen, kannst du sicher sein: Irgendwas ist schief gelaufen, verpasst, zu spät. Oder aber alles ist ganz normal, wie der Film "Schultze gets the blues" des "gebürtigen" Dokumentarfilmers Michael Schorr beweist. Schultze, gespielt (vielmehr „gelebt“) von Horst Krause, steht am Ende seines produktiven Erwerbslebens und damit auch am Ende aller Erwartungen. Nun gilt es, die Zeit totzuschlagen – mit Angeln, Pils trinken und vor allem Akkordeon spielen. Das Repertoire besteht aus Polka und, äh, Polka. Quasi über Nacht erlebt Schultze allerdings eine erschütternde Veränderung: Der seit 20 Jahren treudeutsch wiederholte Bierzelttanz gefällt ihm nicht mehr! Schlimmer 30
noch, schrammliger Blues erwärmt seine Musikerseele. Als der Wiedergeborene eine von der amerikanischen Partnergemeinde ausgelobte Reise in die Südstaaten der USA gewinnt, begibt er sich auf eine Pilgerfahrt zu den Ursprüngen des Dixielands. Wo die Musik schweigt, tut es ihr der Film meist gleich, zu den eloquentesten Szenen gehören die stammtischparoligen Gespräche der drei Grubenfreunde Schultze, Jürgen (Harald Warmbrunn) und Manfred (Karl-Fred Müller). Die natürliche Komik dieser Sequenzen ist nicht ganz frei von bitterem Stumpfsinn. Der Kinostreifen hat die Sprödigkeit einer verlängerten Flens-Werbung in seiner Kargheit, dem Verzicht auf alles Extravagante. Schorr gelingt damit ein kleines Kabinettstück, Alltäglichkeiten einzufangen ohne sie zu erhöhen, zu kommentieren oder bewusst der Lächerlichkeit preiszugeben. Darum, get the blues now!
Uma Thurman, deren zerschlagenes Gesicht man erst auf den zweiten Blick erkennt, wimmert und schluchzt. "Findest du mich sadistisch?”, fragt David Carradine alias Bill, bevor er seine Ex mit einem Pistolenschuss aus nächster Nähe für die folgenden vier Jahre ins Koma befördert. Auch das Samuraischwert-Duell zwischen Beatrix Kiddow (Uma Thurman) und O-Ren-Ishii (Lucy Liu) in einem winterlichen japanischen Garten zu Enrico Morricones Musik aus "Spiel mir das Lied vom Tod” blieb von „Kill Bill Vol.1“ im Gedächtnis. Quentin Tarantino huldigte in dem sehr blutigen ersten Teil des Filmes vor allem dem fernöstlichen Actionkino. Jetzt können die deutschen Kinofreunde den zweiten, weit weniger blutigen Teil von "Kill Bill” genießen. Hier wird die Hauptdarstellerin erst mal von dem schmierigen Budd (Michael Madsen) überraschend gestoppt und in einen Holzsarg gesteckt. Dabei sieht der Kinobesucher teilweise gar nichts, da die Leinwand vollkommen schwarz bleibt. Nur ihr schweres Atemgeräusch ist hörbar. Doch plötzlich Licht. Im Schein einer kleinen Taschenlampe wird die klaustrophobische Enge im Sarg, in dem der blonde Racheengel eingezwängt ist, für den Zuschauer spürbar. Aber selbst in einer solchen scheinbar auswegslosen Situation findet Uma Thurman eine Lösung, um sich sofort ins nächste Duell zu stürzen. Dabei kommt es zu einem echten Blondinenbattle... "Kill Bill Vol. 2” erinnert an die guten alten Italo-Western à la Sergio Leone. Nicht nur da der zweite Teil hauptsächlich in Texas und Mexiko gedreht wurde, sondern weil der endlich auftretende Bill wie ein Cowboy mit Pistolengurt und Revolver auf der Kinoleinwand erscheint. Ihm bleibt ein ganz besonders skurriles Ende vorbehalten. In Rückblenden erfährt man nun endlich die wahren Hintergründe, wie alles seinen Anfang nahm beim Massaker von "Two Pines” und wieso Bill so sauer auf Beatrix Kiddow war. Empfehlung (nicht nur an Taranflo tinofans): Sehr sehenswert! moritz
kino
Besser nicht ausgegraben Wolfgang Petersen läßt „Troja“ erneut untergehen / Von Delia Holm Deutschlandexport Wolfgang Achilles lassen sich Fortschritte Odysseus verlassen, in dem bePetersen hat sich als Regisseur gegen die mächtige trojanische kanntlich auch ein großes Holzpferd und Produzent an dem durch HoArmee, angeführt von Prinz Hector zum Einsatz kommt. mer überlieferten Mythos von „Tro(Eric Bana), erzielen. Um den Sieg Die Geschichte der im Jahre 1871 ja“ versucht. In der Tradition bezu erringen, müssen sich die von Heinrich Schliemann ausgegrakannter Historienfilme wie „Ben Griechen auf einen listigen Plan des benen Stadt Troja ist für die meisten Hur“ stellt er die tragische nicht neu, und so gibt es Geschichte in imposanten nicht viele überraschende Bildern dar. Momente in diesem Film. Paris (Orlando Bloom), der Dennoch ist nicht nur die Prinz von Troja, verliebt Riege der Schauspielelite, sich unsterblich in die die sich die Ehre gibt, von schöne Helena (Diane KruOrlando Bloom über Brad ger), Königin von Sparta Pitt und dem brillianten und Ehefrau von Menelaos Peter O’Toole als König (Brendan Gleeson). TrunPriamos, sehr sehenswert. ken vor Liebe entführt PaAuch die eindrucksvollen ris Helena nach Troja und Bilder wären einen Oscar entflammt so einen der wert. größten Kriege der GeAllerdings verlässt man schichte. Menelaos will sei„Troja“ am Ende nicht überne schöne Frau natürlich schwenglich begeistert, da zurück und wendet sich an man kaum Bezug zu den seinen Bruder AgamemCharakteren findet. Das non (Brian Cox), den Köscheint vor allem an der nig von Griechenland. GeFilmmusik zu liegen – sie meinsam mit einem riesiführt nicht wirklich in das gen griechischen Heer und Geschehen und stellt keine der Unterstützung von emotionale Bindung zu den Achilles (Brad Pitt) und Figuren her. Schade eigentOdysseus (Sean Bean) selich, denn die Sterne stangeln sie gen Troja. den günstig für ein großes Nur durch die Kraft von Ein Jahr für’s Aussehen trainiert: Muskel-Achill Brad Pitt. filmisches Heldenepos.
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Rammstein & Korn. Metallica auf dem Dudelsack. Datum: 5. Juni ab 19 Uhr Ort: Festspielplatz am Helmshäger Berg Eintritt: 5 € Kartenvorverkauf ab Montag, 24. Mai in der Mensa und im „Sofa“. mai 2004
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dvd Bad Boys II
Findet Nemo
Fluch der Karibik
Die harten Jungs schlagen wieder zu
Fischiger Filmspaß mit Vorbildfunktion
Piratenpower Marke Bruckheimer
Wer sich für einen echten Nigga hält, dem darf diese DVD eigentlich nicht fehlen. Die bösen Buben haben uns eine Extra-DVD gegönnt, die – unterlegt mit Film- und Produktionssequenzen – zu allerlei Interessantem einlädt.
Wenn es eine vorbildliche DVD gibt, dann diese! Sowohl die Unterwassermenüs als auch die fischige Verpackung wurden mit viel Liebe entworfen und erstere sind durch und durch animiert. Für die vielschichtige Scheibe wurden extra neue Dialoge eingesprochen, die den Benutzer von Extra zu Extra begleiten. Besonderer Clou: das animierte Aquarium! Ein Klick auf das Fernsehsymbol und der Fernseher wird zum Aquarium, ideal für die, die immer vergessen würden, ihre Fische zu füttern. Sogar ein pädagogisches Moment schwimmt im Strom mit und sorgt für ein gewisses „Niveau“. JeanMichel Cousteau und ein Fischlexikon geben allerlei quallige Infos zur Meereswelt und ein Spiel bringt die blauen, äh, grauen Zellen in Schwung. Ein witziger Kurzfilm aus den Tiefen der Pixar-Archive und ein Musikvideo von Robbie Williams liefern über Making-Of und verschiedene Galerien hinaus weitere Unterhaltung.
„Ihr werdet den Tag nie vergessen, an dem ihr fast Captain Jack Sparrow gefangen hättet!“ – und Ihr werdet den Tag nicht vergessen, an dem Ihr diese DVD gekauft habt, na ja oder zumindest so ähnlich. Aber im Ernst, sechs Menüsprachen, THX-Sound und eine ExtraDVD mit Bonusmaterial sprechen für sich. Mit viel Akribie wurde das
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Witzig zu sehen sind die entfallenen Szenen, die in Originalsprache den Black-Miami-Flair gut rüberbringen. Featuretten und Produktionsnotizen zeigen die Entstehung des Films recht eindrucksvoll und Trailer machen Lust auf weitere Filme. Auch Rapper Jay-Z hat es sich nicht nehmen lassen, ein Musikvideo beizusteuern. Ehrlicherweise muss man allerdings anmerken, dass die Menüs recht simpel gehalten sind. Zwar sind die Musikübergänge ziemlich flüssig, aber Animationen sind eher Mangelware, so dass der Schluss nahe liegt, hier hätte noch mehr Detailarbeit geleistet werden können. Erhältlich ist der Film auch in einer ungeschnittenen Fassung, die jedoch nur eine Minute länger ist. Der Film selbst kommt im 16:9-Widescreen-Format daher und lässt dank Dolby-Digital-Vertonung ein jedes Wohnzimmer erbeben. Es ist also alles für ein Actionfeuerwerk jmk angerichtet. 32
Sechs Menüsprachen und THXSound runden den Fernsehspaß ab. Und für alle, die neulich Ostern verpennt haben, birgt der Film auf seinen zwei DVDs auch noch ein paar jmk Eastereggs.
Auswahlmenü im Piratenstil entworfen und enthält auch animierte Übergänge, bei denen zwar strekkenweise die Musik etwas hakt, aber dieses Problem ist doch ein sehr generelles. Prinzipiell gibt es an der DVD kaum etwas auszusetzen. Audiokommentare, Featuretten, Off-Takes zusätzliche Szenen und natürlich auch ein Making-Of sind mit an Bord. Besonders das Making-Of zeigt den Aufwand, mit dem der Film in Jerry-Bruckheimer-Manier produziert wurde. Etwas nervig sind – vor allem bei mehrfachem Gucken – die aufgezwungen Trailer, die auf DisneyDVDs nun Standard sind. Ein Geheimtipp für Freunde des Englischen ist der Film im Original, da auf wirklichkeitsgetreue Sprache geachtet wurde. Beim Klabautermann: eine verdammt gelungene DVD, wohl am schönsten mit einer Buddel Rum zu jmk geniessen! moritz
Gandalf sieht aus wie der XMen-Schurke Magneto, nur mit Bart. Und wem ist eigentlich nicht aufgefallen, dass der Computerfachmann, der in "Independence Day" die Welt rettet, dem Chaosforscher Ian Malcolm zum Verwechseln ähnlich sieht, der in "Jurassic Park" von Anfang an gesagt hat, das ganze wäre eine dumme Idee? Und wer möchte bestreiten, dass trotz der AlienAktionen vom 2. Juli 1996 das Weiße Haus noch immer steht – manchmal möchte man hinzufügen: leider. Fazit: Im Kino wird man verarscht. Aber, wird ein kluger Kopf einwenden, so kann man das doch gar nicht sehen. Ist doch alles nur Illusion. Das Kino ist das Theater unseres ungelebten Lebens. Es versorgt uns mit Bildern und Vorbildern, mit Träumen und Ängsten, mit Psychologien und Philosophien für den Alltagsgebrauch.
Kino ohne Kant Eine Lobeshymne auf das moderne Popcornkino / Von Mirko Gründer
Sätzen von James Joyce, Platon und Gandhi Aussprüche etwa von Meg Ryan, John Wayne oder John Travolta. Sie helfen uns durchs Leben. Und sie tun es leichtfüßiger
geliefert und hat sich inzwischen so in das menschliche Hirn eingebrannt, dass wir uns kaum vorstellen können, dass Krisensituationen nicht gut ausgehen könnten.
Vom Kino lernen wir
mai 2004
Die Identität einer ganzen Generation... und zugleich aufdringlicher als die alten Leithammel. Denn wer würde behaupten, Nietzsche lesen wäre einfach? Kino bleibt fast immer gut verdaulich, kommt in abgemessenen Portionen und nicht zu scharf gewürzt. Aber die wichtigsten Zutaten des Kinos zu unserem Leben sind die Träume und Ängste. Mag es auch bedenklich sein, dass wir uns erstere von weither holen, den Verlust letzterer in unserem unmittelbaren Lebensumfeld wird wohl niemand beklagen. So fährt das Kino alles auf, was Ängste schürt: den irren unzerstörbaren Killer des SplatterHorrors, die mörderisch-unbegreifliche Bestie der Monsterfilme, die weltzerstörenden Erdbeben, Meteore und Vulkane des Katastrophenfilms, die Barbarei und moralische Selbstverstümmelung des Krieges. Gewöhnlich wird dabei die Hoffnung auf ein gutes Ende gleich mit-
Zuletzt und nicht einmal beiläufig versorgt uns das Kino mit der Menschen- und Weltkenntnis, die wir benötigen. Selbst unsere Ethik wird wohl mehr von Steven Spielberg als von der Bibel beeinflusst – auch wenn beide möglicherweise zusammengehören. Was wir über fremde Kulturen wissen, lernen wir im Kino. Dass wir mehr über Klingonen als über die AmazonasIndianer wissen, ist bedauerlich nur für letztere. Das Kino ist und bleibt eine Perspektive des eurozentristischen (oder besser: amerikazentristischen) Egoismus. Auf unserer Suche nach Orientierung bietet es uns Anhaltspunkte, es bestimmt unseren Horizont. Und macht uns – und damit möchte ich mein Loblied schließen – zugleich klar, dass die alte Kantische Maxime, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, in einer Welt der laufenden Bilder überflüssig geworden ist.
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Was gibt uns das Kino heute? Zuerst einmal Wissen. Denn wer würde bei "Wer wird Millionär?" schon die ganzen Bibel-Fragen beantworten können, könnte er nicht auf die Bilderflut von "Die zehn Gebote" oder "König der Könige" zurückgreifen? Und spätestens seit "Gladiator" wissen wir auch, dass die Römer noch keine Steigbügel kannten – auch wenn den Filmemachern diese Tatsache noch nicht bewusst war, haben uns doch unsere Altertumskundler schnell und medienwirksam darauf aufmerksam gemacht. Zweitens hilft das Kino unserer Fantasie gewissermaßen mit Bildern aus. Sogar wer "Der Herr der Ringe" oder "Harry Potter" las, bevor die Verfilmungen über uns hinwegrollten, wird schnell auf die Visualisierungen festgelegt. Daniel Radcliffe wird Harry Potter, Ian McKellen ist Gandalf und war es schon immer. Ist ja auch nicht schlimm. Jedenfalls nicht so schlimm, wie sich George Clooney als Batman vorstellen zu müssen. Aber wenn man seine Fantasie schon auslagert, muss man wohl auch auf Fehlgriffe gefasst sein. Die Schauspieler jedenfalls sind die Helden unserer Zeit – man schlage nur einmal in einer aktuellen Lebensweisheiten-Anthologie nach. Da finden sich zwischen klugen
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Brüder, vereint im Vollrausch Rünno Saaremaes Stück „Johannifeuer“ in deutscher Erstaufführung / Von Britta Voß Schnapsleiche, Suffkopp, Saufbruder, Schluckspecht – als ungemein variantenreich erweist sich unsere Sprache, geht es darum auszudrücken, dass da wohl jemand "zu tief ins Glas geguckt hat". Dabei ist der Alkohol nicht wegzudenkender Bestandteil unseres Lebens: Das kultivierte Glas Wein zum Mittag, der "Absacker" hinterdrein, das Bier
Keine neuen Fragen, die es aber immer wieder wert sind, gestellt zu werden, mag eine Antwort hierauf auch nur bedingt möglich sein. Das verdeutlicht auch Rünno Saaremaes Stück "Johannifeuer", erstmals auf deutsch aufgeführt am 6. Mai vom Theater Vorpommern. Den zahlreichen Zuschauern bot sich auf der Bühne des Penguin ein intensives
Schnaps ist flüssige Sonnenwende: Heldur (Andreas Dobberkau), Hanno Foto: Vincent Leifer (Markus Voigt) und Marta (Eva-Maria Blumentrath).
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zum Feierabend. Alles im Griff, unter Kontrolle, man kann auch ohne Alkohol lustig sein. Gar nicht lustig aber, wenn das nicht mehr so ist. Dann ist man plötzlich asozial und der Stempel "Trinker" sitzt. Ursachenforschung dient immer auch der Selbstbestätigung, uns kann’s nicht treffen. Aber was ist das, was uns Halt gibt? Warum glauben wir uns immun aus Gründen, die in ihrer Gegenwärtigkeit keinerlei Garantie versprechen können? Wo liegt der Sinn, wenn die Entscheidung, wo wir stehen, weniger von uns abzuhängen scheint als von unserer Geburt, unserer Erziehung, unserem Umfeld? 34
Schauspiel: Hanno und Heldur, ungleiche Brüder vereint im Vollrausch, sind arbeitslos, beide schon im Gefängnis gewesen und ohne Perspektive. Dritte in dieser Schicksalsgemeinschaft ist Heldurs Frau Marta, getragen von der Hoffnung, die Verwahrlosung und Selbstzerstörung hinter sich zu lassen, auf dem Land mit ihrem Mann ein neues Leben zu beginnen. Dem aber fehlt der Mut, sich gegen seinen verrohten Bruder durchzusetzen, dessen Gedanken immer nur die nächste Flasche Schnaps umkreisen, der als einzige Zeit die Erinnerung an seinen Vater akzeptiert. Über dieses Heraufbeschwören einer gemeinsa-
men Vergangenheit bindet er den sensibleren Heldur an sich, immer wieder die scheinbare Idylle der Kleinfamilie preisend. Die erfuhr ihren ersten Riss am Tag der Sommersonnenwende, als ihre Mutter sie verließ, die Feierlichkeiten rund ums große Johannifeuer nutzend. Das Johannifeuer, ohnehin schon mythisch aufgeladene Tradition wird zum Symbol für Befreiung, verzehrende Gefühle und den Wunsch, in den Flammen des Scheiterhaufens die angehäufte Schuld, die eigene Unzulänglichkeit verglühen zu sehen. So eskaliert die ausweglose Situation des Bruderpaares just am kürzesten Tag des Jahres: Volltrunken zündet Heldur Hanno an, anders scheint er sich nicht vom übermächtigen Bruder lösen zu können. Die Tat misslingt, der Bruder überlebt und versucht nun gleichfalls, den Bruder zu töten. Am Ende sitzen beide wieder einträchtig auf dem Treppenabsatz, die Flasche Schnaps lässt sie in die Vergangenheit blicken, der Kreis schließt sich. Nur Marta geht, die ewigen Versprechen des Gatten hinter sich lassend. Die dramatische Entwicklung der Geschichte bedeutet keine Absage an die Glaubwürdigkeit, ganz im Gegenteil. Zu sehen sind keine grotesken Figuren, die lallend und unzurechnungsfähig über die Bühne stolpern. Nein, die von Andreas Dobberkau und Markus Voigt mit viel Empathie und noch mehr Einsatz gespielten Heldur und Hanno sind real und erschreckend lebendig. Auch Eva-Maria Blumentrath als Marta beweist in ihrer Mischung aus Resignation und Resolutheit Gespür für die Ambivalenz der Rolle. Klar ist doch, dass es keinen Gewinner oder Verlierer in diesem Spiel um Menschenwürde und Daseinsberechtigung geben kann. Das zeigt die ohne weitere Worte empfehlenswerte Aufführung, die keine schnelle Antwort sucht, wo hundert Fragen lauern. moritz
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Anarch in Nadelstreifen Von Norman Gorek "There is no one on earth I'm afraid of/And no regime can buy or sell me". Für die etablierten Parteien Attack Records und das Königshaus hat er weniger denn je übrig: "I've been dreaming Großbritannien ist zu Recht stolz of a time/when the English are sick darauf, den sozialen Typus des Exto death of Labour/and Tories/and zentrikers wenn nicht erfunden, so spit upon the name Oliver doch zumindest vervollkommnet zu Cromwell" – so klingt ein Manifest. haben. Auch die britische Popmusik Überhaupt: When he's bad he's betkonnte seit den frühen 60er Jahren ter. Denn es gibt auch kleinere mit einer Menge exzentrischer GeSchnitzer zu vermelden. "I Like stalten aufwarten. Ein besonders You" – harmlos, "Let Me Kiss You" schwerer Fall wie Keith Moon stieg – zu weich. Ansonsten ist das durch sein allzu herbes Album alles andere als harmTreiben gar zur nationalen los. In "The World Is Full Of Institution auf. Da kam es Crashing Bores", zusammen einer Tragödie gleich, dass mit "How Can Anybody ausgerechnet Britannias PopPossibly Know How I Feel" szene dann in den 80er der zentrale Teil der Platte, Jahren hauptsächlich Gutrempelt Morrissey Aumenschen oder Scheitelpoptoritäten in gewohnter Weise per hervorbrachte. an: "Policewomen, policemen, Lediglich Morrissey hielt die silly women, taxmen – uniFahne des britischen Exzenformed whores/Educated critrikers hoch. Der Smithsminals work within the law". Sänger konterkarierte jedes Das Album ist um die beiden Rock'n'Roll-Klischee, ernährte Songs herumgebaut, die in sich streng vegetarisch und ihrer rhetorischen Schärfe verkündete mit Anfang 20, und melodischen Brillianz fortan zölibatär zu leben. einen Eindruck vermitteln, Intellektuell sämtlichen andewie wichtig Morrissey immer ren Popstars weit überlegen noch ist. Ein Anarch, der trotz ("Niemals würde ich etwas so seiner 44 Jahre nichts von seiVulgäres tun wie Spaß haner antibürgerlichen Haltung ben"), war Morrissey auch als eingebüßt hat. Manche mögen Bürgerschreck eine Klasse für das "in Würde altern" nennen. sich: "Das wahre Unglück des Wie auch immer, Songs wie Bombenanschlags in Brighton Morrissey greift mit einer neuen Platte wieder an. diese bringt nur Morrissey ist, dass Thatcher lebend dazustande. vongekommen ist". Ein Geniestreich auch der SchlussGetragen von der bewährten MiNach dem Ende der Smiths startete punkt "You Know I Couldn't Last". schung aus rockigen und romantiMorrissey 1988 seine Solo-Karriere In der als Hommage an den Smithsschen Klängen, ist das Album musiund veröffentlichte eine Reihe herSong "Paint A Vulgar Picture" angekalisch ein echter Morrissey-Provorragender Alben. Das große Mulegten Abrechnung mit dem Mutotyp. Lyrisch zeigt sich der Sänger sikgeschäft blieb dem eigenwilligen sikbusiness zischt Morrissey: "With so angriffslustig wie seit "Your Sänger dennoch stets fremd. Aufevil legal eagles/You know I Arsenal" (1992) nicht mehr. "Irish grund seines Kultstatus eigentlich couldn't last". Dann setzen die Blood, English Heart", ein mitreieine relativ sichere Bank für PlatGitarren ein und der Sänger geht ßender 2-Minuten-Stomper und tenlabels, schaffte es Morrissey, erhobenen Hauptes ab. Britannia Morrisseys beste Single seit 12 nacheinander bei EMI, RCA und kann stolz auf ihn sein. Jahren, geht da gleich in die Vollen: Mercury rauszufliegen. In den letzmai 2004
ten sieben Jahren stand er dann komplett ohne Vertrag da. "You Are The Quarry", erschienen bei Attack Records, markiert das Ende der Durststrecke. Eventuelle Befürchtungen, Morrissey könne nach so langer Zeit für die heutige Musiklandschaft nicht mehr relevant sein, wischt "You Are The Quarry" vom Tisch. Morrissey präsentiert sich in Topform und kann immer noch aus großer Höhe auf die Konkurrenz herabblicken.
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Morrissey You Are The Quarry (9/10)
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The Streets A Grand Don't Come For Free (7/10) Warner
Anastacia Anastacia (8/10) Sony Music
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Nach einjähriger krankheitsbedingter Abstinenz meldet sich Anastacia nun mit ihrem dritten, schlicht selbstbetitelten Album zurück. Bereits im Vorfeld gab es Gerüchte über Anastacias neue, rockigere Richtung im Gegensatz zum stark R'n'B-lastigen Vorgängeralbum. Und es stimmt: Mit ihrer Wortneuschöfpung SPROCK (was soviel wie Soul-Pop-Rock bedeutet), mit der Anastacia ihre Musik umschreibt, trifft sie genau ins Schwarze. Für den, der sich darunter nichts genaues vorstellen kann, nur soviel: Für den Song "I Do" holte die Schönheit aus New York als Sangespartner niemand geringeren als Sonny von P.O.D. Das klingt vielversprechend für Liebhaber der etwas härteren Tonart. Allein diese Tatsache könnte alte Fans etwas irritieren, andere wiederum dazu motivieren, einmal bei Anastacia reinzuhören. Auch als Co-Writer verpflichtete sie exzellentes Personal: Glen Ballard (Alanis Morrissette), Dallas Austin (Pink, Madonna, TLC) und Dave Stewart hinterlassen auf dem Album ihre musikalische Visitenkarte, ohne den eigenen Stil der Sängerin zu überdecken. "Anastacia" ist nicht nur eine musikalische Weiterentwicklung für die Sängerin, sondern auch eine ganz persönliche Verarbeitung der Ereignisse der letzten 12 Monate. Jetzt kehrt sie vielseitig und anmutig in die Welt der Musik zurück. Delia Holm 36
Vor zwei Jahren veröffentlichte Mike Skinner alias The Streets das Meisterwerk "Original Pirate Material". Für den eigenartigen Stil – kein Rap, kein Indie, schon gar kein Techno – erfand die Musikpresse schnell ein paar Bezeichnungen, moritz hat davon natürlich "Hooligan House" am besten gefallen. Und obwohl das britische Feuilleton erst pikiert auf Skinners Saufen-fernsehen-und-beim-Fußball-rumpöbelnPersönlichkeit reagierte, erkannten bald auch erwachsene Kritiker die Qualitäten der Streets-Texte. Die zeichnen auch auf "A Grand Don't Come For Free" ein wenig schmeichelhaftes Bild vom Leben der britischen working class. Skinner hat mit dem in seinem Schlafzimmer selbst produzierten
Werk, oh Schreck, eine Art Konzeptalbum vorgelegt. Zu Beginn läuft auch gleich so einiges schief. Die CD ist wie eine Schallplatte auf zwei Seiten angelegt und so wird der Hörer fast mit der Nase draufgestoßen, dass die erste Hälfte recht schwach ist. Textmäßig zwar gewohnt formidabel, wollte Skinner es musikalisch offenbar langsam angehen lassen, was nicht immer hinhaut. Die zweite Seite entschädigt dafür restlos. Selbst wenn wir einen Beziehungskrach wie "Get Out Of My House" noch nie erlebt hätten, wäre der Song klasse. "Empty Cans" ist sogar der bis jetzt vielleicht beste Song der Streets. Anfangs noch voller Wut über sein verkorkstes Leben ("No-one gives a crap about Mike/That's why I'm acting nasty/You know what you can do with your life/Introduce it up your jacksie"), setzt nach der Hälfte des Songs ein cleverer Rewind-Effekt ein. Mike sieht eine Möglichkeit, alles in den Griff zu bekommen und sogar den Fernseher reparieren zu lassen! Licht am Ende des Albums. moritz wendet das 10-Punkte-System hauptsächlich bei Platten an, Mike Skinner auch bei chicks. In "Fit But You Know It" heißt es: "You're about an eight or nine/Maybe even a nine and a half in four beers time". Für das Album gibt’s bei uns auch nach vier Bieren wegen der misslungenen ersten Seite nur 7 Punkte. Norman Gorek
Mike Skinner: Ein Bierchen in Ehren... moritz
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Drei Gründe, warum sich der moritz selten über ein neues Album so gefreut hat wie über dieses: Weil Eric Burdon ein verdammter Held ist. Interpret von Welthits wie "House Of The Rising Sun" (1964) oder "San Franciscan Nights" (1967). Der einzige Weiße, der je in einer reinen SchwarzenBand als Sänger bestehen konnte. Für Stones-Gitarrist Brian Jones war der moritz-Hero schlicht "The best blues singer to come out of England … ever". Trotzdem ist Burdon weder eine Karikatur (wie Jagger), noch ein Langweiler (wie Clapton) geworden. Weil "My Secret Life" sein erstes Album seit einer verdammten Ewigkeit ist. In bester britischer Tradition hat sich der Sänger aus Newcastle die ganz große Karriere durch sein Gesaufe verbaut. Der Tiefpunkt: die 80er Jahre, in denen er nur noch als Soundtrack-Depp für deutsche TV-Serien in Erscheinung trat. Burdon hat sich gefangen. Und sich Eric Burdon (re.) mit den New Animals 1968. auf seine Berufung besonnen: Der Mann mit der unSecret Life" mal daneben. Der alberglaublichen Bühnenpräsenz gibt ne Ska von "Black And White regelmäßig grandiose Live-KonWorld" passt nicht zu ihm und zerte. Studioaufnahmen sind da "Heaven" scheint den AusnahmeMangelware. sänger schlicht zu unterfordern. Oft Weil "My Secret Life" ein vergenug aber bestätigt die Platte Burdammt gutes Album ist. dons Status als Großmeister des Angelegt als Hommage an Mit-UnBlues. Beweisen muss er seit 1964 sterbliche wie Chet Baker, John Lee nichts mehr. But it's good to have Hooker oder James Brown, versamhim back. Norman Gorek mai 2004
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Keane Hopes And Fears (9/10) Island
Um etwaige Befürchtungen zu zerstreuen: Roy Keane hat keine Band aufgemacht. Zwar würde dem rabiaten Mittelfeldspieler von Manchester United beispielsweise eine Oi!-Punk-Band gut zu Gesichte stehen. Musik als Vehikel zur Unsterblichkeit hat der FußballEisenmann aber gar nicht nötig. Unsterblich ist er nämlich schon, seit er kurz vor der WM 2002 aus dem irischen Nationalteam flog – Roy Keane hatte den Trainer mit einigen Verbalnettigkeiten bedacht, die unsere DFB-Christkindchen nicht einmal denken könnten ("You're not even Irish, you English cunt"). Nein, in unserem Falle handelt es sich bei Keane um drei eher schöngeistig veranlagte Britpop-Gesellen, die mit der Super-Single "Somewhere Only We Know" quasi aus dem Nichts in die Pop-PremierLeague aufstiegen. "Hopes And Fears" heißt das brilliante DebütAlbum der Band und es rechtfertigt die obligatorischen Next-BigThing-Schlachtgesänge der britischen Musikpresse voll und ganz. Sänger Tom Chaplin, Pianist Tim Rice-Oxley und Drummer Richard Hughes zelebrieren ihren zerbrechlichen Britpop im Stile einer Klassemannschaft. Und genauer betrachtet haben Keane eines mit ihrem Wahl-Namensvetter gemein: Mut, denn immerhin spielt die Band ohne einen Gitarristen. Damit enden aber auch schon die Gemeinsamkeiten – Keane sind Norman Gorek Arsenal-Fans.
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Eric Burdon My Secret Life (8/10)
melt das Album die Stile jener und noch mehr. Gleich zu Beginn der Soul-Kracher "Once Upon A Time", ein Song, bei dem einfach alles stimmt. "I remember Marvin Gaye singing …I remember Otis Redding singing … I remember Sam Cooke singing" – Burdon hat viel von den Besungenen gelernt und singt den Soul doch auf eine ganz eigene Art, unverkrampft, fast nach innen gekehrt, manchmal gar ironisch, manchmal rauh. Obwohl Burdon einige Überraschungen auf Lager hat ("Motorcycle Girl" erinnert mit seinen Latino-Rythmen an Willy DeVille), ist er spätestens in "The Secret" bei seiner alten Liebe angelangt: dem sumpfigen, schwülen SüdstaatenBlues. "I watched you walk down bayou's edge/And gently lay your body down". Keine Frage, der Mann hat so einiges auf dem Kerbholz. Da dürfte es auch den jungen Bluesern aus Detroit dämmern, wer der Herr im Hause ist. Nun gut, wie in seinem real life greift Eric Burdon auch auf "My
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Opfer Jason Stollsteimer, Prügler Jack White: Die reine Independent-Lehre verteidigt?
Detroit Blues Nach der wichtigsten Kneipenschlägerei Detroits – die Garagenbands der Stadt werden das Ende der harmonischen Zeiten überstehen / Von Norman Gorek
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Als Ende letzten Jahres VonBondies-Frontmann Jason Stollsteimer und Jack White, Gitarrist und Sänger der White Stripes, in einem Club aufeinandertrafen, gab es mächtig Haue. Monatelang hatten die beiden führenden Köpfe der in Detroit ansässigen Garage-BluesSzene in Interviews keine Gelegenheit ausgelassen, den jeweils anderen zu schmähen. Und nun, im Detroiter "Magic Stick", standen sich die beiden Rivalen in persona gegenüber. White hatte offenbar nur auf eine Gelegenheit zur Endabrechnung gewartet und ging sofort zum Angriff über. Er landete einige schwere Rechte im Gesicht seines Kontrahenten. Als der zu Boden ging, ließ der White-Stripes-Star nicht locker und prügelte so lange auf den Unglücklichen ein, bis ihn ein paar beherzte Zuschauer fortzerrten. Stollsteimer sah aus, als sei er mit Mike Tyson über die Runden gegangen. White wurde angeklagt und heuerte als Rechtsbeistand Wally Piszczatowski an. Der hatte als Verteidiger 38
eines gewissen Eminem bereits hinreichende Erfahrungen mit schwierigen Musikern gesammelt. Auch im Fall "Jack White ./. The city of Detroit" sorgte der Staranwalt für einen glimpflichen Ausgang: White wurde zur Teilnahme an einer Agressionstherapie verurteilt.
Musikhochburg Eigentlich sollte in der wenig glamourösen Arbeiterstadt als Kontrast zum harten New Yorker Pflaster das Bild einer heilen Independent-Welt vermittelt werden. Bands, die zusammenhalten – und zusammenhängen. Jack White teilte sich die Wohnung mit dem SoledadBrothers-Gitarristen Ben Swank, der wiederum Stollsteimers Kumpel ist. Auch die White Stripes und die Von Bondies waren befreundet, White war mit Stollsteimers Gitarristin Marcie Bolen liiert. Im "Magic Stick" trafen sich die neuen Bands zum Bier: The Soledad Brothers, The Dirtbombs, The Detroit Cobras, The White Stripes. Rivalitäten gab
es kaum, begünstigt durch den Umstand, dass keine dieser Bands auch nur einen Plattenvertrag hatte. Das änderte sich, als die unfassbar überschätzten White Stripes mit dem leidlich guten Album "Elephant" zum globalen Höhenflug ansetzten. Plötzlich hieß Whites Freundin nicht mehr Marcie Bolen, sondern Renèe Zellweger. Detroit wurde „in“, die Talentsucher der Plattenfirmen rückten an. Letztendlich aber waren die Schrammelbands aus der Proletenstadt für den Mainstream zu ungenießbar. Die meisten unterschrieben bei kleinen Independent-Labels wie In The Red oder Sweet Nothing. The Von Bondies aber wurden von dem MajorLabel Sire/Warners unter Vertrag genommen. Stollsteimers Truppe war eben (durch die zwei Bandfrauen) nicht nur die bestaussehendste Gruppe der Stadt, sondern auch eine der besten. Unterdessen unternahm das Schicksal einen letzten Versuch, den abgehobenen Jack White wieder auf Normalmaß zu stutzen. Bei einem moritz
mai 2004
Rockstar im KneipenschlägereiProzess – das ultimative Klischee. Der oberste Reinheitswächter hatte seine eigenen Ideale ad absurdum geführt.
Wunschdenken Doch wie geht es nun weiter mit "Detroit"? Was die Musik betrifft, so wie immer. Garage-Bands gab es in der Stadt schon, bevor Jack White eine Gitarre halten konnte und es wird sie vermutlich auch dann noch geben, wenn er keine mehr halten kann. Das Problem ist vielmehr die Tatsache, dass es keine "softe Vermarktung" gibt und dem gegenüber das Wunschdenken des amerikanischen Alternative, immer wieder die perfekte Independent-Welt erschaffen zu wollen. Irgendwann "verkaufen" sich die einen, die an-
könne die Stimme einer Generation sein und nebenbei UndergroundHero bleiben und schlug sich eine Zeitlang auch durchaus anständig. Dann warf der Star das Handtuch und Seattle wurde von schlechten Bands und schlechtem Heroin überschwemmt. In der Folgezeit fuhr die einst so frische Szene gegen die Wand; die Stadt Seattle hat bis heute ein riesiges Junkie-Problem. Detroit hat größere Chancen, den Hype zu überstehen. Erstens ist der ohnehin schon fast vorüber, mittlerweile ist Glasgow die "neue" Stadt. Zweitens gibt es einen entscheidenden Unterschied zu Seattle: Die erfolgreichen Grunge-Bands der zweiten Generation waren keine Underground-Acts im eigentlichen Sinne. Pearl Jam hätten ein paar Jährchen früher ebensogut eine MainstreamCombo abgeben können, Nirvana
The Von Bondies: Abtrünnige Vorzeigeband und Fingerzeig für die Zukunft. deren verraten die Ideale und am Ende gibt's auf die Schnauze. Denn das hatten wir doch alles schon mal. Als es Ende der 80er mit "Seattle" losging, war die Stadt die kreative Alma Mater für einige der interessantesten Bands des Landes. Solidarität untereinander, eingeweihte Fans, mit Sub Pop die Inkarnation des hippen Indie-Labels und an den Stadttoren ein Schild "Mainstream bitte draußen bleiben". Auch dort dachte man, es könne ewig so weitergehen. Dann räumten Nirvana alles ab, Kurt Cobain wurde der Seattle-Posterboy und jede Band ohne Plattenvertrag zog nach Seattle, um einen solchen zu ergattern. Cobain dachte, er
waren im Grunde Hippies. Diese Jungs kann man einem Millionenpublikum verkaufen. Bei Leuten wie, sagen wir, den Soledad Brothers, deren Lebenselixier zerkratzte Blues-Platten aus den 30er Jahren sind, ist das schon schwieriger. Bestes Beispiel dafür, dass Detroit noch eine Menge zu bieten hat, sind ausgerechnet Prügelknabe Jason Stollsteimer und seine Von Bondies. Deren "Pawn Shoppe Heart" ist nun endlich auch in Deutschland erschienen. Ein bewusst "kleines" Album, unaufwendig produziert, keine 40 Minuten lang, randvoll mit bezaubernden Garagenkrachern. Es geht eben nichts über ein klassisches Line Up.
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Unfall brach sich der Gitarrist einen Finger. Finger futsch, US- und Europatournee futsch. Aber der Irrsinn ging weiter: Talkshows, Presserummel, Kate Moss im Videoclip zu "I Just Don't Know What To Do With Myself". Für einen Underground-Act waren die White Stripes ziemlich weit gekommen. Daheim in Detroit war die Rangordnung nun klar definiert. Sprachrohr der Szene war Jack White schon immer, nun entwickelte er sich zu einer Art "Paten". Kaum eine Band, die er nicht produzierte, buchte, beriet und kaum eine, die ihn nicht an prominenter Stelle in ihren Plattencredits erwähnte. Der Dank war aufrichtig, immerhin setzte da jemand seinen Einfluss ein, um weniger bekannten Bands zu helfen. Was noch wichtiger war: 30 Jahre nach den Stooges und den MC5 wurde Detroit landesweit wieder als Musikhochburg und nicht nur als dreckige, gefährliche Fabrikarbeiterstadt wahrgenommen. Doch nicht alle bezeugten dem Paten Respekt. The Von Bondies waren durch den Major-Deal finanziell halbwegs abgesichert, ihr guter Ruf als Live-Band eilte ihnen voraus. Das Verhältnis der Von Bondies zu Marcie Bolens Ex-Freund war ohnehin nicht mehr das beste. Zudem hatte die Band in Jason Stollsteimer einen ähnlich egozentrisch veranlagten Frontmann. Die Gruppe entschied sich, ihr Major-Debüt in Kalifornien aufzunehmen. Die einstige Vorzeigeband wurde abtrünnig. Jack White reagierte fuchtig. In einem Interview mit dem New Musical Express im vergangenen September bellte er in Richtung Stollsteimer: "Die haben doch den Verstand verloren. Besonders der Sänger ist ein hinterhältiger Typ. Ich habe diese Band produziert, ich habe ihnen einen Plattenvertrag verschafft. Mit denen rede ich nicht mehr." Was er dann auch nicht mehr tat. Bis zum 13. Dezember letzten Jahres, als er Stollsteimer zufällig im "Magic Stick" traf. Mag sein, dass Jack White wirklich dachte, er verteidige die reine Lehre, als er den Verräter niedermachte. Doch schon allein die Tatsache, dass er danach einen sauteuren Promi-Anwalt auffahren musste, um unbeschadet aus der Sache rauszukommen, zeigt, wie sich die Proportionen verschoben haben. Der Star-Anwalt verteidigt den
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musik
Torun Eriksen Glittercard (7/10)
Paco de Lucia Cositas Buenas (9/10)
Universal
Blue Thumb
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Universal hat wieder gut Lachen. Nach der betörenden Rebekka Bakken und der ihr darin etwas zurückstehenden Silje Nergaard erfreut sich das Label jetzt an einer weiteren stimmliche Schönheit aus dem sagenhaften Norwegen. Torun Eriksen hinterlässt mit "Glittercard" eine glänzende Visitenkarte in den CD-Regalen. Die norwegische Presse bedachte das Album mit Superlativen. Der norwegische Plattenboss Bugge Wesseltoft entdeckte die 26jährige Sängerin und Songschreiberin dank ihrer dunkel-warmen Stimme. Wesseltoft fand an ihr (musikalisch) so sehr Gefallen, dass er auch das Album produzierte. "Glittercard" ist ein offenherziges Augenzwinkern. Die freundliche Einladung zum Zuhören gründet sich auf der Liebe zur Musik beim Schreiben und Produzieren. Die wohlphrasierende Stimme der Norwegerin zeichnet anmutig die klaren Linien der elf unaufdringlichen Songs aus Rhythm’n’Blues- und Soul-Originals wie “I Love A Man“ oder “Under The Rainbow“. Lässig kommt der Groove des Schlagzeugs daher. Sorgfältig gewählt und auf’s Einfachste reduziert begleiten zuweilen allein Flügel oder Kontrabass und Saxophon Torun Eriksens dezente Stimme. Die wahre Schönheit der "Glittercard" erschöpft sich nicht augenscheinlich auf dem Frontcover der CD, sondern erschließt sich erst dem, der sich diesem behutsamen und durchsichtigen Jazz hingebungsvoll überlässt. Uwe Roßner 40
Alexander-Sergei Ramírez Odyssey (8/10) Deutsche Grammophon
Wenn einer eine Reise tut, dann … Warum nicht einmal ganz gemütlich in Gedanken verreisen? "Odyssey", die neueste Einspielung von Alexander-Sergei Ramìrez, ist eine hervorragende Einladung dazu. Der klassische Gitarrist nimmt den Hörer mit auf seinen von Spanien ausgehenden Ausflug, der über Japan nach Australien und Peru führt. Auf insgesamt 12 Stationen beweist Ramírez en passant ein hohes technisches Niveau, das die anspruchsvollen Kompositionen und Stile erfordern. Gleichzeitig tritt in den Werken der jeweils typische Charakter des Landes hervor. Beim kurzen Blick ins Booklet ist man anfangs vielleicht etwas überrascht ob dieser Vielfalt, prompt kann man sie hörend überprüfen. Ramírez´ CD besticht durch handgemachte Feinheit. Allein mit seinen beiden Händen lockt der Gitarrist dezent aus seinem Instrument die unterschiedlichsten Klangeffekte wie zum Beispiel Regen oder Vogelgezwitscher hervor. Lediglich die Zeit für das Wechseln der Position für den gewünschten Klang wurde am Ende herausgeschnitten. Wer sich auf dieses entdeckende Spiel einlässt, wird bereichert von der Reise um die Welt mit Alexander-Sergei Ramírez und seiner Gitarre zurückkehren. Uwe Roßner
Auch wer den Flamenco mit der Muttermilch eingesogen hat, bedarf des "Duende", um letztlich fliegen zu können. Fabelhafte Technik allein hilft dem begabten Gitarristen wenig. Es kommt auf den Geist in der Musik an. Duende bedeutet eigentlich Zwerg. Das magische Wesen sitzt im traditionsreich lebendigen Baum Flamenco. An dessen Zweigen sprießen dann die wunderschönsten Blüten. Der spanische Poet Frederico García Lorca sagt: "Der Duende ist die Inspiration des Flamenco-Künstlers, der Moment des kreativen Wahnsinns, der den, der ihn erlebt fliegen lässt." Der weltweit bekannte Flamencound Jazzgitarrist Paco de Lucia spielte 1998 sein letztes Album "Luzia" als eine Hommage an seine kurz zuvor verstorbene Mutter ein. Danach verstummte auf einmal die Musik in ihm. Der als Fransico Sánchez Gómez in Andalusien geborene Gitarrist zog sich in sein Haus in Mexiko zurück und wartete. Er wartete, bis er seinen hohen kompositorischen Ansprüchen wieder gerecht werden konnte. Für das Anrufen des Duende fehlte bisweilen die Kraft. Glücklicherweise kehrte die Musik nach fünf Jahren wieder. Mit seiner neuesten Einspielung "Cositas Buenas" stellt Paco de Lucia acht bemerkenswert vitale Kompositionen voller Spielfreude und Lebensmut vor. Wer sich darauf einlässt, kann sich vom Flamenco inspirieren lassen. Paco, es tut gut, wieder von dir zu hören. Uwe Roßner moritz
Warner
Agentha, Frieda, Benny und Björn, alias ABBA, veränderten die internationale Sicht auf ihr Heimatland. Sie legten als Komponisten zeitloser Hits den Grundstein für die hochproduktive Musikfabrik Schweden. Selbst im vergangenen Jahr exportierten nur noch die amerikanische und die britische Musikindustrie mehr Musik in das Ausland. In Zahlen ausgedrückt bedeutet dies Einnahmen von 700 Millionen Euro. Dieser Wirtschaftsboom setzte vor 30 Jahren mit ABBAs Sieg beim Grand Prix d´Eurovision de la Chanson in Brighton ein. Der Rest der Geschichte befindet sich auf Schallplatten. Der Blütentraum ABBA endete 1982. Nach dem offiziellen Schlusspunkt der Gruppe setzte Agnetha, "Die Blonde von den ABBA", ihre Solokarriere mit drei englischsprachigen Alben fort. Vor der Gründung der schwedischen Hitfabrik im Jahre 1972 in Stockholm hatte sich Agnetha Fältskog in den späten 60ern und frühen 70er Jahren schon einen guten Namen als Musikerin gemacht. Bekannt wurde sie unter anderem durch ihre Rolle als Maria Magdalena in dem Musical "Jesus Christ Superstar" und durch einige schwedische Alben. Jetzt kehrt sie nach 17jähriger Abwesenheit mit einer sehr persönlichen Platte in den Zirkus der Musikwirtschaft zurück. Die bittenden Briefe und das lange Warten der Fans haben sich gelohnt. Vor vier Jahren entstand ihr Wunsch, ein neues Album aufzunehmen. Sie hörte wieder die Musik ihrer Zeit, der 50er und 60er Jahre, kramte in einem darauf spezialisierten Plattenladen umher und las viel. Auch das Studieren alter Chartlisten mai 2004
Unzeitgemäß: Agnetha Fältskog.
musik Streicherflächen unterlegten Songperlen scheinen der Sängerin wie auf den Leib geschrieben. Die Polar Studios sind ein würdiger Ort für ein solch unzeitgemäßes Album, das vielleicht eines der letzten dort produzierten sein könnte. Nach 26 Jahren können die Studios den hohen Mietforderungen der Wohnungsgesellschaft nicht mehr nachkommen. Die attraktive Lage reizt reiche Käufer. Damit geht eine 26 Jahre währende Ära zu Ende – neben ABBA nahmen hier Bands wie Led Zeppelin, Genesis oder The Ramones ihre Alben auf. Vielleicht ist da der "Rückblick" von Agnetha Fältskog doch gar nicht so unzeitgeUwe Roßner mäß.
Klassische Klänge Die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern setzten die Tradition ihrer anspruchsvollen klassischen Konzerte in diesem Jahr fort. Das erfolgreiche Anima Quartett gastiert am 23. Juni im Pommerschen Landesmuseum innerhalb der internationalen Kammermusikreihe "Junge Elite". Während des Konzerts erklingen Streichquartette von Joseph Haydn, Franz Schubert und Ludwig van Beethoven. Das Schloss Karlsburg ist ein langjährig bespielter Ort des Veranstalters. Das Gebäude besticht mit seinem wunderschönen Konzertsaal und den darin zu sehenden Portraits. Am 25. Juni trägt hier der Pianist Igor Levit Werke von Ludwig van Beethoven, Sergej Rachmaninow, Frédéric Chopin und Robert Schumann vor. Ein Höhepunkt der diesjährigen Festspielsaison ist die Aufführung von Carl Orffs "Carmina Burana" im Dom St. Nikolai. Unter dem Dirigat von Justus Frantz musiziert am 27. August die Philharmonie der Nationen zusammen mit dem Chor des Bulgarischen Rundfunks und dem berühmten Tölzer Knabenchor. Karten: Stadtinformation unter 0385-591 85 85.
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Agnetha Fältskog My Colouring Book (9/10)
bereitete ihr viel Spaß. Vor einen Jahr kehrte sie an den Ort zurück, wo alles aufhörte: in die legendären Polar Studios in Stockholm. Zuerst galt es, die Angst vor dem Mikro zu überwinden, dann lief alles wie am Schnürchen. Ein Jahr mietete sie die Räume auf Kosten ihrer eigenen Produktionsfirma. Als das Material im Kasten war, zog sie ihre Plattenfirma hinzu. Die angenehme Zeit im Studio ist ein Grund für den entspannten, warmen Klang des Albums "My Colouring Book". Trotz der berauschenden Resonanz reduzierte Agnetha ihre Pressetermine und Konzerte auf größtmögliches Minimum. Die Platte erreichte in Schweden bereits vor dem eigentlichen Erscheinungstermin durch unzählige Vorbestellungen Platin. Welche Sehnsucht ihre Fans doch nach ihrer Stimme hatten. "My Colouring Book" ist ein unzeitgemäßes Statement, eine Liebeserklärung an eine zurückliegende Zeit Musikgeschichte. Dusty Springfield, Connie Francie und Sandie Shaw erstrahlen in neuem Glanz. Während der Interpretation der 13 Lieder verschmilzt Agnethas Stimme spielerisch in der Musik. Die behutsam mit klar akzentuierten
oder ur 41
I want YOU to dance! KRACH bei der CD-Release-Party in der Greifswalder Mensa.
Fotos: ede
Krachmacher vom Dienst KRACH, Vorpommerns einzige Ska-Punk-Jazz-Reggae-Band, stellte ihr neues Album „Tagtraum“ in der Greifswalder Mensa vor / Von Eric Wallis und Jens Kirch
feuilleton
April 2004 in Greifswald. Unmengen von jungen Leuten strömen durch die Straßen und Gassen. Aber, was ist das? Überall dieses grüne Auge mit den geschwungenen Wimpern. Es scheint, als würde es dich durch die ganze Stadt verfolgen. Dich anstarren. Du kriegst Alpträume davon? Es ist nur die Ankündigung zur CD-ReleaseParty der einzigen Ska-Punk-JazzReggae-Band Vorpommerns. Wir reden von KRACH. Das neue Album heißt „Tagtraum“ und hat wirklich nichts mit Alpträumen zu tun. Die seit 1997 existierende Band besteht zur Zeit aus sieben Mitgliedern. Sich vorstellen können sie wahrscheinlich selbst am Besten. Zu hören in dem Lied "Krach": "Jan, der quält den Bass, und Sascha prügelt die Drums. Arne nimmt die Klampfe, und dann gibt´s einen Rumms. Die Bläser (Tilmann, Thorsten, Thomas) betreten die Bühne, und ich schrei ins Mikro rein. Mein Name ist Tobias, und ohne Krach – kann ich nicht sein!" Am 23. April war es soweit. Der zweite Rundling war verkaufsfertig und zur Feier des Tages gaben die Jungs ein Konzert in der Mensa. Die 42
400 Karten im Vorverkauf waren Freitag alle weg. Das ließ auf eine großartige Party hoffen. moritz war vor und hinter der Bühne mit dabei.
Backstage "Fühlt euch wie zu Hause", begrüßt uns Sänger Tobias. Wunderbar, denken wir beiden Moritze und holen uns für den Anfang zwei Bier. Brötchen und Gulaschsuppe sind aufgebaut. Leere benutzte Schüsseln, Gläser und halbvolle Bierflaschen zieren die beiden großen runden Tische im Raum. Vereinzelt stehen Musikinstrumente herum. Wir erkennen eine Tuba. An einem der Tische dreht sich jemand eine Zigarette. Es ist Thomas Welzer. Ihn scheint das alles nichts anzugehen. Er ist die Ruhe in Person. Er schaut umher und scheint sich zu allem eine eigene Meinung zu machen, die jedoch keinen etwas angeht. Langsam kommen wir ins Gespräch. Er spielt Flügelhorn. Das ist das Instrument, was für uns wie eine Trompete aussieht. Er erzählt vom leisesten KRACH-Konzert, das an einem verkaterten Morgen als Vorband beim Ostseejazzspektakel
auf der Burg Klempenow stattfand. Thorsten begrüßt uns lachend. "Thorsten komm mal hoch", ruft einer. Und schon ist er wieder weg. Uns bleibt nichts anderes übrig, als zu beobachten und uns noch ein Bier zu holen. Noch dauert es etwa eine Stunde bis es losgeht. Thorsten kommt wieder. Er ist unruhig, schaut hin und her. Schon wieder ruft einer seinen Namen. Er schwirrt überall herum, scheint sich um alles zu kümmern. Nachher auf der Bühne wird er Tuba spielen. Ihre Konzerte zu zählen, haben sie irgendwann aufgegeben. "An die 300 müssten´s langsam sein", sagt uns Tilly. Kurz darauf sucht er sein Saxophon und beginnt, frontal die Wand anzuspielen. Nun wird auch Thomas hellhörig. Er sucht sein Instrument und verschwindet in einer dunklen Ecke. Einspielen. Vorbereiten auf die Massen. Das es heute voll wird, ist klar. Greifswald ist schließlich Heimspiel. Die Stimmung ist angespannt. Sascha, der Drummer sucht alkoholfreies Bier. Dann die Nachricht: Es ist komplett ausverkauft. Die Mensaleute riegeln den Laden ab und es wurden schon Leute nach moritz
Frontstage Das Publikum wartet schon auf die Stars des Abends. Die Tanzfläche als riesiger Wartesaal mit Stehplätzen, zwischen denen es keinen freien Platz mehr gibt. Dann kommen sie. KRACH, im typischen Ska-JazzOutfit sehr adrett gekleidet. Angekündigt und angefangen – und sofort sind alle mittendrin. Das Publikum ist eine einzige große Bewegung. Hände in die Luft werfend, hüpfend, wellenartig zur Seite fallend, aufgehalten und zurückgeworfen werdend; so bewegt sich ein jeder unweit des Taktes von
Genausowenig, wie KRACH sich einer Musikrichtung zugehörig fühlt, ist auch das Publikum nicht in eine Schublade zu stecken. Vom zarten Jugendalter bis Open End will hier jeder einfach nur Spaß haben. Von punkig, lässig, rockig, ausgefallen bis elegant ist alles dabei. Ein buntes und länderübergreifendes Publikum. Wir müssten auch Adjektive wie schrill, skurril und krass nennen. Alle diese Menschen sorgen heute Abend für richtig heiße Stimmung in der Mensa. Im Vorraum gibt es eine Art vegetarisches Chili zu essen, schmeckt lecker und erfreut den Magen. Hier hat sich versammelt, wer reden oder sich trocknen möchte. "Endlich einmal gute Musik in der Mensa", so oder so ähnlich ist es manchmal von irgendwo her zu hören. Drinnen ist derweil der Teufel los. Jedenfalls in punkto Temperatur.
Der Ska-Moritz (re.) im Gespräch mit KRACHer Thorsten. KRACH. Die Offbeat-Klänge lassen das Trommelfell erbeben. Arme und Beine wissen nicht, wie ihnen geschieht. Aber auf jeden Fall müssen sie sich zu den Rhythmen bewegen. Zu hören ist viel. Ruhige Lieder wie das fast wie Bluesartige "I.L.Y.", der punkige Mitgröhlhit "Alles im Griff", der schnelle Danksagungssong "Wir für euch". Daneben schöne Reggae-Rhythmen und die Selbstdarstellung "Krach". Kurz, ein tanzbarer Song nach dem anderen. Die Ska-Tänzer konnten am Rande schöne Bewegungen zeigen, während die grobe Masse beim Pogo in der Mitte genug zu tun hatte. mai 2004
Die überhitzten, heftig tanzenden Körper sorgen für eine Höllenhitze, im wahrsten Sinne des Wortes. Schweiß ist das Produkt, wenn etwa 500 Leute abtanzen. Das, was ausgeatmet wird, sammelt sich an der Decke und beglückt den einen oder anderen mit einem kalten Tropfen auf der Haut. Sänger Tobias lässt sich das Bad in der Menge nicht nehmen. Also, wer dieses Event verpasst hat, sollte sich auf jeden Fall die CD besorgen oder den nächsten LiveAuftritt miterleben. Infos und Fan-Artikel: www.krach-musik.de
KRACH Tagtraum Krachmacher
Seit ihrer grandiosen CD-Release Party können wir endlich neue Klänge von KRACH durch die Anlage schießen lassen. Im Gegensatz zu ihrem Erstling "Tinitus" ist die neue Platte etwas ruhiger und vor allem jazziger ausgefallen. Das Coverartwork zeigt ein grünes Auge, welches wohl im "Tagtraum" zu versinken scheint. Daneben die eigene Beschreibung der Stilrichtung Ska Punk Jazz Reggae. Voller Vorfreude hört man die ersten Worte der CD: "Das ist keine Musik mehr, das ist ja Krach!" Danach geht der "Tagtraum" auch schon los und malt schöne Bilder mit angenehmen ruhigen Skaklängen und einer Melodie, die im Ohr bleibt. Und schon geht´s weiter mit einem krachendem Reggaesound, viel Offbeat und Gebläse. Nur bei dem explosiven Zwischenspiel wird man aus seinen Träumen wieder herausgerissen. Danach folgen drei Lieder, die sich mit mal rauchiger Stimme, dann wieder toastend durch Liebeskummer, Abschiedsbriefe und das Alleinsein spielen. Unterstützt wird der Gesang durch feine Jazz- und Swingelemente. Das nun folgende Lied ist eins der beiden englischsprachigen und bleibt durch sein Midtempo schnell im Ohr. Die Livepower erkennt man bei den punkigen Songs "Krach" und "Wir für Euch" und schließlich vollendet man die Reise durch die 13 Lieder. Zu erwähnen sei hier auch noch das instrumentale Stück, welches man sich immer wieder anhören möchte. Wer eine bunte Mischung aus Punk, Ska, Reggae, Jazz, Blues und Latin mag, sollte sich dieses Werk nicht entgehen lassen. Und live überJensen zeugen die Jungs auch.
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Hause geschickt. Im Klartext heißt das, dass gut 500 Leute gekommen waren, um mit KRACH zu feiern. Noch eine halbe Stunde. Aufregung liegt in der Luft, und auch wir lassen uns so langsam davon Anstecken.
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Deutscher Fußball – Quo vadis? Über das schleichende Siechtum unserer Nationalelf / Von „Uns Finn“ Breyer
Eine Nation ist geschockt. Soeben wurde die DFB-Auswahl von Teamchef Rudi Völler durch die Kicker aus Rumänien mit 5:1 deklassiert. Ach, was heißt deklassiert? Fertiggemacht wurden sie. Eine Klatsche haben sie bekommen. Bloßgestellt der Vizeweltmeister. Circa vier Wochen vor dem Start der Europameisterschaftsendrunde in Portugal ist die deutsche Nationalmannschaft dort angekommen, wo sie nach dem Ausscheiden in der Vorrunde der EM 2000 schon einmal war: Ganz unten. Nur langsam erholte man sich damals von diesem Schock und schaffte es durch eine mehr oder weniger glückliche Gruppenauslosung und gnädige Gegner in den K.O.-Spielen bis ins Finale bei der WM 2002. Erst dort traf man auf den ersten hochkarätigen Gegner – Brasilien. Das Ergebnis ist bekannt. Fairerweise soll hier aber angemerkt werden, dass die Mannschaft damals ihr bestes Spiel der WM zeigte und durchaus hätte gewinnen können. Nichtsdestotrotz ist schon seit 1990 ein langsamer Klassenverlust bei der deutschen Mannschaft festzustellen.
Der Weg nach unten
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Auch der Gewinn der EM 1996 in England kann nicht darüber hinwegtrösten. Der Generationenwechsel nach dem Abend des 8. Juli 1990 in Rom ließ lange auf sich warten. Zu lange. Ergebnis dieser verfehlten Politik war das Ausscheiden im Viertelfinale gegen Bulgarien bei der WM 1994 in den USA. Zwei Jahre später, es waren einige junge Spieler hinzugekommen, errang man den Europameistertitel in England – etwas wie Aufbruchstimmung machte sich breit. Die Mannschaft hatte gekämpft bis zum letzten Mann – im wahrsten Sinne des Wortes. Man erinnere sich nur an den bandagierten Kopf von Dieter Eilts („Eisen-Dieter“) im Finale, oder an die Präsentation der Feldtrikots für die Ersatztorhüter. 44
Die Anzahl der sich im Lazarett der deutschen Mannschaft befindlichen Spieler hätte einem Kreiskrankenhaus durchaus Konkurrenz machen können. Man erwog ernsthaft den Einsatz der Torhüter auf dem Feld. O.K., jeder mag zu der Golden-Goal Regel, die Deutschland den Titel bescherte, stehen wie er
der Mannschaft wieder Selbstvertrauen geben, gleichzeitig die hohen Erwartungen der Fans erfüllen und neue Spieler in die Mannschaft integrieren. Mühsam erreichte man über die Relegation die Endrunde der WM. Doch trotz des Erreichens der Vizeweltmeisterschaft hatte die Mannschaft längst nicht das Niveau
Auf dem Hosenboden der Tatsachen: Oliver Kahn und Jens Jeremies (li.). will, aber viel wichtiger war, dass man England im Halbfinale in einem Elfmeterkrimi auf heimischem Boden besiegt hatte. Wenn manch einer glaubte, die Krise sei überwunden, wurde er zwei Jahre später in Frankreich eines besseren belehrt. Kroatien hieß damals der Gegner, der Deutschland mit 3:0 im Viertelfinale nach Hause schickte. Gerade gegen diese Holzer vom Balkan schied man aus. Unfassbar! Doch der unrühmliche „Höhepunkt“ folgte wiederum zwei Jahre später bei der EM in Holland und Belgien. Man schied in der Vorrunde ohne Sieg mit nur einem Punkt und einem Tor aus. Ein Desaster! (Einzig positives Ergebnis: auch Gruppengegner England schied in der Vorrunde aus.) Folglich musste auch Erich Ribbeck seinen Stuhl als Teamchef räumen. Sein Nachfolger Rudi Völler war nicht zu beneiden. Er sollte innerhalb von zwei Jahren
von 1990 erreicht. Nach der WM fiel die deutsche Mannschaft wieder in ein Loch, ruhte sich auf ihren Lorbeeren aus, und dass, obwohl die Qualifikation zur diesjährigen EM anstand. Letztendlich hat man die Qualifikation geschafft, doch ob die Deutschen nach der in Rumänien aufgeführten Posse in der Lage sind, in der Vorrunde gegen Gegner wie Holland und Tschechien zu bestehen, ist stark zu bezweifeln. Doch wo liegen die Gründe für den Klassenverlust? Diese Frage zu beantworten würde hier den Rahmen sprengen. Einige Punkte sind jedoch zu augenscheinlich. 1. Torwart Man mag Oli Kahn menschlich für einen arroganten, cholerischen Egoisten mit Hang zu Handgreiflichkeiten halten, fußballerisch ist er die unangefochtene Nummer 1 im DFBTor. Doch auch ihm unterlaufen in moritz
letzter Zeit vermeidbare Fehler (siehe WM-Finale 2002, das Champions-League-Aus gegen Real Madrid, das 0:1 im Meistergipfel gegen den SV Werder...). Er hat mit Verletzungen zu kämpfen, und dass er zur Halbzeit in Bukarest bereits viermal hinter sich greifen musste ist schon bestürzend. Gleichzeitig ist er Mannschaftskapitän, was uns zum zweiten Punkt bringt: 2. Der Chef auf dem Platz Die Mannschaft besitzt keinen. Oli Kahn ist als Torwart, obwohl er Kapitän ist, nicht der Richtige dafür. Der Chef sollte Feldspieler sein, das Spiel aus dem Verlauf heraus lenken, nicht von der Torlinie
Flanken und Pässe nach vorne schlagen, sind hier fehl am Platze. Komischerweise gibt es ja ein halbwegs eingespieltes Team: Die Nationalspieler aus Leverkusen, auf die Rudi Völler (Ex-Trainer von Leverkusen) zur Zeit ja auffälligerweise immer noch gerne zurückgreift. Neben dem eben genannten Ramelow sind da noch Jens Nowotny, Bernd Schneider und Oliver Neuville zu nennen. Dass Nowotny nach seinem Kreuzbandriss und einem Ausfall von einem Dreivierteljahr wieder unbesehen in den Kader aufgenommen wurde, ist unverständlich. Sicher, Erfahrung hat er schon, bloß die Fitness fehlt ihm einfach. Schneider hat eine Klasse-
scherweise nicht immer erste Wahl, was man schon daran sieht, dass er erst nach langem Hin und Her wieder in die Nationalmannschaft zurückkehrte, nachdem er schon einmal einige Zeit vor der WM für Deutschland gestürmt hatte. Dies sind nur einige Punkte, man könnte noch tiefer graben, weitere Spieler hinterfragen, aber was dann noch alles zum Vorschein käme...
Hoffen auf das Wunder Was ist also zu tun? In knapp vier Wochen beginnt die EM. Rudi sollte erstmal Ruhe in den Hühnerhaufen bringen, sich dann genau überlegen, ob er nicht noch einige Spieler im Kader austauscht und dann bleibt ihm nur noch eins: Hoffen. Hoffen, dass man wenigstens die Vorrunde übersteht oder mindestens die Holländer schlägt – alles andere ist Nebensache. Doch halt! Mag der deutsche Fußball zur Zeit noch so schlecht dastehen, im Juni werden sich die in schwarz-weiße Trikots gewandeten Fußball-Jünger wieder in Scharen vor den Fernsehern zu Hause oder in der Kneipe versammeln und die DFB-Elf anfeuern. Hand drauf. Und wer weiß, vielleicht bewahrheitet sich ja der abgedroschene gebetsmühlenartig wiederholte Satz. "Die Deutschen sind eine Turniermannschaft."
Paul Freier erkennt den Ernst der Lage: Es ist zum Heulen.
3. Abwehr/Mittelfeld Die Abwehr hat in Bukarest klar versagt, stand offen wie ein Scheunentor, jeder konnte mit dem Ball hindurchspazieren – die deutschen Spieler guckten bewundernd zu. Da muss ein eingespieltes Team stehen, das sich blind versteht, Abseitsfallen aufbauen kann, und neben der Bewachung seines Gegners auch Impulse nach vorne setzt. Genauso das Mittelfeld. Spieler, die sich zu schade dafür sind, hinten mit auszuhelfen, Bälle noch in der eigenen Hälfte verlieren und blinde mai 2004
WM in Japan/Südkorea gespielt, doch zur Zeit ist er nur Mittelmaß. Und Neuville – Tja, er ist einfach ein Pechvogel – trifft das Tor nicht. Schoß in der Saison 2002/2003 kein einziges Länderspieltor. Womit wir zum größten Problem kommen: 4. Der Sturm Neuville, der eben erwähnte ewig verhinderte Stürmer. Miroslav Klose, der heute immer noch von dem Ruhm lebt, gegen Saudi-Arabien bei der WM 2002 drei Tore geschossen zu haben (insgesamt 5 Tore bei der WM), ansonsten aber mit Lautern in dieser Saison kurz vorm Abstieg stand und deswegen nach Bremen wechselt. Dann wären da noch Kevin Kuranyi, der vor kurzen erst seine über mehrere Spiele anhaltenden Landehemmung so langsam abstreifen konnte, und Fredi Bobic, der wenigstens halbwegs regelmäßig trifft. Bobic aber ist komi-
P.S.: Im übrigen gratuliert moritz dem SV Werder Bremen zur in München gewonnenen Deutschen Meisterschaft 2003/04.
feuilleton
aus. Michael Ballack, der so hochgerühmte Superfussballer, spielt nicht konstant, läuft und kämpft je nach Laune. Die anderen alten Hasen wie Jens Jeremies, Dietmar Haman und Carsten Ramelow haben ihrerseits gerade Formtiefs. Da sehnt man sich doch einen Matthäus, Sammer oder Effenberg herbei.
Ladehemmung: Kevin Kuranyi. 45
neue bücher John Updike Wie war’s wirklich rowohlt Erinnerungen sind eine tückische Angelegenheit: Kaleidoskopartig wechseln sie bei jeder neuerlichen Betrachtung ihre Farbe, Form und Schärfe, allein preisgegeben dem Blickpunkt des subjektiven inneren Auges. Verlässt man diese Position, versucht sich gar in "Weißt-dunoch-damals"-Gesprächen ist’s um die paradiesische Ruhe des Gestern geschehen; das harmlose Memory-
Spielchen wird zum Kampfplatz um die eigene Wahrheit, "Wie war’s wirklich" zur alles entscheidenden Frage. An einer Antwort versucht sich nun John Updike mit seinem neuesten Erzählband, 12 Geschichtchen dick und schwer an Erinnerungen. Die Protagonisten der Retroreflexionen sind allesamt lonesome boys, von Beruf wahlweise Banjospieler,
feuilleton John Updike: Meister der Altherrenphantasie. 46
Schriftsteller oder Sohn. Sie eint eine Vergangenheit des promisken Bäumchen-wechsel-dich, der rauchigen Barabende und Unermesslichkeit amerikanischer Landen. Klingt klischeehaft, ist auch so. Da hilft kein Versuch, den, durch unerwartete Wiedersehen Verflossener aufflammenden, Altherrenphantasien einen ironischen Anstrich zu verleihen. Eine Geschichte des "Meisters der short story" (Klappentext) funktioniert etwa so: Mann Anfang 60, in belangloser erster oder zweiter Ehe trifft auf Klassentreffen/im Supermarkt/bei einer Lesung auf die Frau, die ihn um den Verstand gebracht/die er nie haben konnte/die seine Muse war. Er reagiert bestürzt/wehmütig/stolz und seufzt der alten, immer auch guten Zeit hinterher. Zwar gibt es vier Erzählungen, die aus dem Schema der sich selbst beglückwünschenden Eroberermanier herausfallen, allein den Ton der unangenehmen, weil alles bestimmenden Rückwärtsgewandtheit nicht abzuschütteln vermögen. Man sollte meinen, jemand wie Updike sollte vor platter Nostalgie gefeit sein, und wenn er sich ihrer schon bedient, dann mit einer ironischen Distanz, die aus einer unreflektierten Erinnerung lesenswerte Schnappschüsse der Vergangenheit macht. Wohl taugen manche der Ideen zur literarischen Verarbeitung: Die Geschichte des sich schönheitsoperierenden Mannes, der am Ende ein asiatisches Gesicht (mit blauen Augen) gleich dem seiner angebeteten Ärztin hat, ist potentiell skurril, gelesen aber fade und nichtssagend. Updike zerredet seine Einfälle zwischen "Ich hatte mein Leben praktisch noch vor mir"- und "Wahrlich, die Zeit vergeht"Plattitüden. Mir als Leser sind diese Einsichten herzlich egal, das Buch wirkt verkrampft und seltsam lieblos in seiner Anspruchslosigkeit etwas aus sich zu machen. Vielleicht sollte der Verlag den Buchverkauf nur an bestimmte Gruppen erlauben: Freigegeben ab 60, Gebrauch ausschließlich in zeitkeimfreien Räumen. Britta Voß moritz
rowohlt Man lebt in den Tag, macht das, was man machen muss, trifft Menschen und erlebt skurrile Dinge. Die ganzen Ereignisse, die von Tag zu Tag passieren, sind wie Puzzleteile, die einzeln nichts Besonderes sind, doch als gepuzzeltes Bild das ganze Leben zeichnen. Der im Jahre 2003 verstorbene Adolf Frisé versucht, in seiner Autobiographie die Puzzleteile zu einem Gefüge zusammen zusetzen und stellt fest "Wir leben immer mehrere Leben". Aufgewachsen ist Adolf Frisé im Rheinland in eher bescheidenen Verhältnissen. Der vermeintliche Vater stellt sich eines Tages als Stiefvater heraus und aus dem kleiner Adolf Altengarten wird Adolf Frisé. Nachforschungen über seinen Vater verheißen ihm ein großes Erbe. Das könnte Frisé gut gebrauchen, denn die Realität sieht anders aus. Als mittelloser Student erarbeitet er sich mit dem Schreiben von Zeitungsartikeln das Existenzminimum. Frisés Studium der Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte beginnt in München, verläuft über Heidelberg und endet in Berlin. Adolf Frisé beschreibt viele Begegnungen mit bekannten Persönlichkeiten. Dabei verschweigt er auch nicht seine Treffen mit NSGrößen. Den Aufstieg des Dritten Reichs bemerkt der unpolitische Frisé kaum. So erzählt er diese Zeit aus einem sehr ungewohnten Blickwinkel und schildert, wie er sich in dieser Zeit als Journalist durchschlagen musste. Er flüchtet sich in die Berge oder ans Meer und bekommt so von den Dingen, die ringsherum passierten, nicht viel mit. Es scheint, als versuche er mit dem Schreiben zu verstehen, was er damals nicht erkannte: "Nahm ich wahr, was vorging?" Frisé passte mai 2004
Stewart O'Nan Halloween
neue bücher Freunde stellt er minutiös jenen Schicksalstag nach. Am Ende will er Kyle auf eine Todesfahrt mitnehmen, die an "ihrem" Baum enden soll. Doch Brooks, der Polizist, der die fünf damals verfolgt hatte und seitdem unter schweren Schuldgefühlen leidet, ahnt das. Unbedingt will er das Drama verhindern. Was die Kontrahenten nicht wissen: Sie werden beobachtet. Die Geister von Danielle, Marco und Toe sind aus der Zwischenwelt zurückgekehrt, um den Ausgang des Fernduells mitzuerleben.
rowohlt Stewart O'Nan ist ein bekennender Vielschreiber. Seit dem Debütroman "Engel im Schnee" (1992) ist der Autor aus Avon, Connecticut, seinem Anspruch, jedes Jahr ein Buch zu veröffentlichen, gerecht geworden. Nun hat er noch eine Schippe draufgelegt: Bereits wenige Wochen nach "Ganz alltägliche Leute" (siehe moritz 41), erscheint mit "Halloween" schon der nächste Streich. Und langsam muss die Frage erlaubt sein, ob O'Nan seine Bücher nicht zu schnell herunterschreibt. Denn "Halloween" ist, ebenso wie "Ganz alltägliche Leute", ein gutes Buch – aber auch nicht mehr. Verglichen mit seinem atemlosen Zweitling "Die Speed Queen" (1993) mangelt es dem neuen Werk schlicht an Tempo. Dabei beginnt alles mit einer Verfolgungsjagd. Und manchmal endet auch alles damit. Avon, Connecticut: Es ist Halloween, die Nacht der Geister und der Toten. Fünf Jugendliche brettern mit dem Auto durch die Nacht, die Smashing Pumpkins im Recorder, ein Joint kreist, ein Polizist nimmt die Verfolgung auf, ein Baum, Endstation. Marco, Toe und Danielle sind sofort tot. Kyle trägt einen Hirnschaden davon, er wird sein Leben fortan auf dem geistigen Niveau eines Kleinkindes verbringen. Nur Danielles Freund Tim bleibt unverletzt. Äußerlich. Halloween, ein Jahr später. Tim hat lange an seinem Plan gefeilt und nun soll nichts schiefgehen. Als makabere Ehrerbietung an seine toten
Stewart O’Nan. Das wird alles recht gefällig erzählt. O'Nan ist versiert genug, bei der Schilderung der nächtlichen Landschaften Stimmung zu erzeugen. Die Traurigkeit, die das Buch durchzieht, ist nicht kitschig oder kindisch, sondern sehr realistisch. Das Problem: Sämtliche Personen sind entweder tot oder bereits "innerlich gestorben" und das bekommt dem Handlungsfluss gar nicht. Klar, Depressive oder Todessehnsüchtige strahlen naturgemäß wenig Lebensfreude aus und darauf zielt die Geschichte auch nicht ab. Doch zumindest die Geister hätten alles ein wenig auflockern können. Stattdessen schleppen sich Untote wie Tote durch die Deadlands von Avon und warten ebenso wie der Leser darauf, dass endlich etwas passiert. Norman Gorek
feuilleton
Adolf Frisé Wir leben immer mehrere Leben!
sich zwar an, aber sucht sich seine eigenen Nischen. Bei der Wehrmacht, wo er endlich regelmäßig Gehalt bekommt, wird Frisé Nachrichtenoffizier. Diese Berichte sind aber fern von typischen Kriegsberichten – das Thema wird sehr oberflächlich gehalten. Lediglich die Beschreibungen über eine Massenerschießung sind ausführlicher. Alles in allem ein interessantes Buch, das aber dem Leser durch die sprunghaften Gedanken des Autors und die vielen Begegnungen, die er beschreibt, volle Konzentration beim Lesen abverlangt. Katja Neichel
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Der König des Surrealen Salvador Dalí wäre am 11. Mai einhundert Jahre alt geworden / Von Melchior Jordan und Arvid Hansmann Seine Phantasien über Melonen und Krückstöcke werden bereits in der 7. Klasse diskutiert. Die zerfließenden Uhren der „Beständigkeit der Erinnerungen“ hängen überdimensioniert in jeder Postersammlung. Salvador Dalí gehört zu den bekanntesten Künstlern des 20. Jahrhunderts. Salvador Dalí y Domènech wurde am 11. Mai 1904 in Figueras bei Gerona in Katalonien als Sohn eines Notars geboren. Dieser erkannte zwar früh seine künstlerische Begabung, wollte sie aber in konservative Bahnen lenken. So begann Salvador, sich der autoritären Art seines Vaters zu widersetzen und dies für
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men des Kubismus, Purismus, oder der „Pittura Metafisica“, aber auch im (später zu Unrecht als rückwärtsgewandt kritisierten) Neoklassizismus. Seine eigentliche Berufung sollte er jedoch ab 1927 in der aufstrebenden Bewegung des Surrealismus finden. Hier war es von vornherein Dalís Zielstellung, nicht nur „Mitwirkender“ sondern prägende Gestalt zu sein. Entscheidend dafür war seine intensive Rezeption der Schriften Sigmund Freuds. Die Thematik der Psychoanalyse, die Welt der unterbewussten Träume und sexuellen Phantasien entwickelte sich nun noch stärker als zuvor zur Grundlage seines Schaffens. Sein erstes Werk innerhalb der Gruppe der Surrealisten war jedoch kein Bild, sondern ein Film. Zusammen mit Luis Brunel drehte er 1929 „Ein andalusischer Hund“. Die groteske Folge von Bildern der Verwesung und der Pervertierung katholischer Frömmigkeit, gekrönt von dem zerschnittenen Auge, hat noch heute eine bedrükkende Wirkung. In den folgenden Zwischen Genie und Wahnsinn: Salvador Dalí Jahren entwickelte seine künstlerischen Ausdruckser seine Methode, die er „kritisch – weisen zu nutzen. Dennoch studierparanoisch“ nannte – eine spontane te er ab 1922 auf Wunsch des Vaters Methode intuitiven Wissens basiean der „gediegenen“ Kunstakademie rend auf wahnhaften Assoziationen in Madrid. Seine Versuche, sich und Interpretationen. Die vertraute neuen Wegen der Kunst zuzuwenunreine Welt steht im Gegensatz zu den stießen bei den Lehrenden auf einer reinen Welt. Im SpannungsKritik. 1926 wurde er wegen seines feld dieser Wahrnehmungen entfalprovokanten Verhaltens exmatrikuten wahnhafte Züge, die durch die liert. Kombination von Objekten, DeforIn dieser Zeit setzte er sich intensiv mationen, Zersplitterungen und mit den verschiedenen Strömungen Verwandlungen symbolisiert werder europäischen „Moderne“ ausden. Als Stilmittel dienen Dalí die einander. Er versuchte sich in ForErzeugung einer Raumillusion mit 48
Hilfe starker Verkleinerung und die Nutzung verschiedener Perspektiven. Die Symbole üben auf den Betrachter einen undurchdringlichen Zauber aus, dessen Wirkung ambivalent und dennoch präzise ist. Dalí benutzte mit Vorliebe Deformierungen, Mischwesen und rätselhafte Gebilde, die befremdend und furchteinflößend wirken. Die Farben sind teilweise unangenehm, geradezu aufdringlich. Seine exzentrische Art ließ ihn auch politisch in die Extreme gleiten. So begann er sich für die FrancoDiktatur einzusetzen und analysierte das „Phänomen Hitler“. Dies führte letztendlich dazu, dass er aus der eher linksgerichteten Gruppe der Surrealisten ausgeschlossen wurde. 1940 ging er in die USA. Hier arbeitete er als Bühnenbildner bei Theater und Film (unter anderem mit Alfred Hitchcock und Walt Disney). Zunehmend trat er nun durch seine exzentrischen Eskapaden ins öffentliche Bewusstsein. Dies änderte sich auch nicht, als er 1948 wieder in seinen Heimatort Figueres zog. Auch wenn er offiziell in seiner Malerei dieser Zeit von einem „klassizistischen“ Stil sprach, sind die Motive immer noch von einer starken und provokanten Symbolhaftigkeit durchzogen. 1980 erkrankte Dalí an der Parkinsonschen Krankheit und litt unter einer Muskelatrophie. Diese erzwungene Passivität und der Tod seiner Frau Gala 1982 ließen ihn in Depressionen verfallen. Er starb 1989 in seinem eigenen Museum. Nur eine Frage bleibt noch unbeantwortet: War Salvador Dalí verrückt? Der Psychoanalytiker und Autor Luis Salvador Lopez Herrero sagt, dass sich Dalí dessen bewusst war, doch dank seiner Frau wurde dieser Zustand nicht offensichtlich. Erst nach ihrem Tod zeigte „der Wahn sein verborgenes Antlitz“. Aber vielleicht ist es gerade dieses Zusammenspiel von Genie und Wahnsinn, das Dalís Werk so faszinierend erscheinen lässt. So kann man Dalí als das zweite Ich bezeichnen, das jeder Mensch auf gewisse Weise bewusst verdrängt. Und weil gerade das Dalí-Jahr ist, sollte der mediengeplagte Mensch wieder den „heiligen Quell“ der Mythologie und der Inspiration zurück erobern und die „symbolische“ Glocke der Unabhängigkeit der eigenen Phantasie läuten. moritz
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Fliegende Händler: “Port Royale II“
mai 2004
kombiniert. Selbst Plantagen und Betriebe lassen sich errichten. Um aber in fremden Städten bauen zu dürfen, sollte man sich ein entsprechendes Ansehen durch Handel und Missionen erworben haben, und nicht zuletzt eine teure Baulizenz sein Eigen nennen. Abenteurer kommen bei Port Royale II auch nicht zu kurz. In Kneipen lassen sich so manche Auftraggeber finden, die das eine oder andere Problem gern durch die Hilfe Dritter lösen möchen. Aufgabe kann es zum Beispiel sein, eine Ladung Luxuswaren zu besorgen, den Verbleib vermisster Personen zu klären oder mit einer obskuren Karte den Schatz eines längst verwesten Piraten zu heben. Diese kleinen Aufgaben sorgen nicht nur für Kurzweil, sondern fördern auch das Ansehen und nicht zuletzt den Inhalt des eigenen Geldbeutels. Schwieriger wird es, wenn Gouverneure und Vizekönige an das alter ego herantreten. Diese Missionen sollte man besser erst im späteren Verlauf des Spieles annehmen. Lukrativ sind sie selten, doch dienen sie vor allem dazu, das eigene Ansehen zu steigern, um an die wirklich großen Herausforderungen heranzukommen. Ein weiterer Aspekt des Spiels sind die Seeschlachten. Sie sind nicht nur nett anzuschauen, sondern stellen auch eine nicht zu unterschätzende Notwendigkeit dar. Interessant ist ebenso der Fechtmodus. Alles in allem hat Port Royale II viel Stil. Die ansprechende Graphik und eine stimmige Klangkulisse sorgen für Atmosphäre. Auch wenn der Vorgänger das Plus an Innovation vorweisen konnte, ist Port Royale II mehr als ein aufwendiges Ad-On. Fazit: Komplex mit umfassender Handlungsfreiheit. Wahrscheinlich AB die beste WiSim des Jahres.
...und hier die Meldungen: Gereist: Radio 98eins reiste nach Lund/Schweden. Ergebnis: ein Sendeaustausch mit dem dortigen Studentensender Radio AF. Demnächst also wieder Schwedisch in Greifswald. Gemacht: Der aktuelle Sendeplan steht wie immer im Netz, unter anderem mit der neuen Sendung „Sternstunde – Magazin für Europäische Politik“. Ferner fand wieder ein KoWi-Seminar statt und Mitte Juni wird es einen Workshop mit FSJlern geben. Geplant: Im Terminplan steht des weiteren ein Treffen, um den Betrieb der Frequenz 98,1 MHz gemeinsam mit dem Offenen Kanal Neubrandenburg zu besprechen. Auf diesem Weg könnten wir schon im Herbst OnAir gehen. Geworden: Wir sind nun endlich auch ein eigenständiger Verein und nennen uns raffinierterweise „Radio 98eins e.V.“.
feuilleton
Port Royale II vom Entwickler Ascaron ist ein würdiger Nachfolger der 2001 erschienenen WiSim Port Royale. Die Karibik des 17. Jahrhunderts ist der Schauplatz dieser umfassenden Wirtschaftssimulation. Man beginnt als holländischer, englischer, spanischer oder französischer Geschäftsmann mit einem kleinen Schiff und einer entsprechenden Barschaft. Nun liegt es an einem selbst, welchen Weg man beschreitet: den als ehrbarer Kaufmann und Händler oder den des ruchlosen Piraten. Allerdings sollte man sich diesen Schritt genau überlegen, da der vermeintlich einfachere Weg des unehrlichen Gewerbes nicht so lukrativ ist, wie es scheint. Angehenden BWL’ern wird die Komplexität der Wirtschaftskreisläufe sehr entgegenkommen. Regionale Faktoren wie Produktivität, Angebot und Nachfrage bestimmen die Preise ebenso wie politische Gegebenheiten und die eigenen Handlungen. So ist es zum Beispiel möglich, durch die Unterbindung des Warenzuflusses die Preise in einer Stadt in die Höhe zu treiben, beziehungsweise die betreffende Stadt auszuhungern, um sie später leichter übernehmen zu können. Im Gegensatz zu Port Royale kann man im zweiten Teil mehrere Städte unter seine Kontrolle zu bringen und so den Verlauf der Spielwelt entscheidend beeinflussen. Besonders hilfreich ist die vereinfachte Steuerung, die es ermöglicht, mit weniger Menüs Handelsplätze auszukundschaften und entsprechende Handelsrouten festzulegen. Trotzdem kann der Experte jedes Detail auch selbst bestimmen und so den Gewinn zwar mit größerem Aufwand, aber auch höherem Ertrag maximieren. Die Geschäftstätigkeit lässt sich noch auf die Spitze treiben, indem man Handel und Manufakturei
Gebaut: Unser Funkhaus in der Domstr. 12 ist renoviert und jetzt gemütlicher und professioneller. Gesucht: Webmaster, Graphiker, Technikinteressierte und Bastler, Öffentlichkeitsarbeitmenschen... Wir bieten die Möglichkeit, beim Aufbau eines hochwertigen Radiobetriebes mitzuwirken, sich neue Kompetenzen anzueignen und Verantwortung zu übernehmen.
Kontakt: Radio 98eins, Domstr. 12, 17489 Greifswald www.98eins.de 49
Londons Furcht vor Damenhandtaschen Über die Terrorangst in der britischen Hauptstadt Von Sebastian Jabbusch Im März hatte ich für ein paar Tage meinen alten Schulfreund besucht, der in London seinen Zivildienst leistet. Dank der vereinigten europäischen Union, offenen Grenzen und offenen Gesellschaften kann er seinen Ersatzdienst gleich als Sprachkurs nutzen und in London ein paar interessante Kontakte in alle Welt knüpfen. Und dank des freien Wettbewerbs konnte ich mit dem Billigflieger günstig hin- und zurückfliegen. Doch hier endet meine EU-phorie. Denn genau diese Freiheit scheint heute – drei Jahre nachdem „der Terrorismus der westlichen Welt den Krieg erklärt hat“ – zum Problem geworden zu sein. Es beginnt bereits mit den Passagierkontrollen an dem Flughafen, die penibler sind als eine Unter-
suchung beim Urologen. Die Sicherheitskontrollen durchleuchten das Handgepäck, eine elektrische Sprengstoffnase untersucht verdächtige Kleinteile. Film- und Fotoverbot auch für Journalisten. Richtig unangenehm wird es, wenn man sich damit konfrontiert sieht, Schuhe und Gürtel auszuziehen und ebenfalls scannen zu lassen. Spätestens jetzt fühlt man sich den strengen Blicken der Sicherheitskräfte völlig ausgeliefert. Genervt müssen hier gebrechliche Damen ihre persönliche Fingernagelschere aus der Handtasche kramen, während neben mir ein kräftiger Mann sitzt, der das Flugzeug wohl auch allein mit seiner körperlicher Kraft unter seine Kontrolle bringen könnte. Doch all das wird bei weitem noch von dem übertroffen, was zum
Foto: SJ
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Alltag auf den britischen Inseln gehört. Bereits auf der Busfahrt ins Zentrum erkennt man die Maßnahmen der neuen „Sicherheitspolitik“. Vor allem vor großen touristischen Attraktionen patrouillieren schwer bewaffnete Spezialeinheiten der Polizei, die ihren Kollegen in Bagdad in nichts nachstehen. Für einen Moment lang überlege ich, was passieren würde, wenn diese Wachmannschaften tatsächlich einen Terroristen in dem Meer der Touristen entdeckten. Wollen sie mit ihren Schnellfeuerwaffen in die Menge schießen? Eine wilde Verfolgungsjagd ist mit dieser Ausrüstung jedenfalls unmöglich. Die Waffe „solange“ liegen zu lassen, scheint mir angesichts der vielen Kinder ebenso unmöglich. Wozu also diese Aufrüstung? Möchte man Sicherheit suggerieren? Politischer Aktionismus? Oder will man gar bewusst Angst schüren? Die Gefahr des „internationalen Terrorismus“ als anonyme, diffuse Bedrohung aufbauen und als nachträgliche Kriegsrechtfertigung missbrauchen? Sicherlich übertrieben. Aber bis an die Zähne bewaffnete Militärs mit vollautomatischen Schnellfeuerwaffen an öffentlichen Plätzen ebenso. Richtige Urlaubsstimmung will so nicht bei mir aufkommen. Auch die unzähligen Kameras erinnern jeden Besucher daran, dass hier offenbar ständig Gefahr herrscht und jeder Diese Plakate hängen in fast jeder U-Bahn Station. Falls eine „verdächtige Tasche“ gefun- Mensch ein potentieller Foto: SJ Attentäter ist. Sie überden wird, soll sofort die Polizei angerufen werden. 50
moritz
mai 2004
feuilleton
wachen rund um die Uhr alle groplötzlich auf halber ßen Plätze, wichtige VerkehrsStrecke unvermittelt knoten, Brücken und natürlich die stoppt. Nach zwei U-Bahnen. Wie gut dieses System irritierenden Minufunktioniert, wird mir aber erst beten gibt der Zugfühwusst, als ich mich in einer milden rer schließlich durch, Nacht zu Sonntag auf der Millendass in Victoria Stanium-Brigde niederlasse, um einem tion ein “suspect bag“ gefunden wurde, die Saxophon-Spieler zu lauschen und Fahrt aber gleich weidie eindrucksvolle Kulisse Londons ter geht. Ich fragte zu genießen. Es dauerte keine fünf mich spätestens jetzt, Minuten bis mich plötzlich ein ob wirklich alles in Sicherheitsbeamter aufforderte, Ordnung ist, wenn doch wo anders zu betteln. Als er die gesamte Metrosich runterbeugt und etwas gepole bei jeder liegen schockt erkennt, dass ich gar nicht gelassenen Damenbettele, entschuldigt er sich und verHandtasche in Angst schwindet wieder in die Nacht. verfällt und kollektiv Leicht perplex rufe ich noch „I am den Atem anhält. just a tourist!“ hinterher. Als ich Wer der Subwaymich umschaue, entdecke ich eine Hysterie entgehen auf mich ausgerichtete Kamera am will und auf den Bus Ende der Brücke. umsteigt, hat Pech Die zweite große Kampagne läuft in gehabt. Auch in den der Londoner U-Bahn. Auf großen Busstation und sogar Plakaten (siehe links) werde ich aufin den Bussen hängen gefordert, mich am “war against terrorism“ zu beteiligen. „Wem Terrorismus-Plakate. gehört diese Tasche?“ soll sich der „Terrorists need plaaufmerksame U-Bahn-Fahrer fraces to live and to gen. Und falls er niemanden findet, make plans… they sofort die Polizei alarmieren. need vehicles, and Schlechte Zeiten für Taschen-Diebe people to help them. oder effektive Terrorismus-PräIf you have any vention? Als Tourist steht mir hier suspicions about terkein Urteil zu. Fakt aber ist, dass rorist activity… „Frieden“ fordert die Fahne der Dauer-Mahnwache „Selbstmordattentäter“ schon per DON’T HESITATE… vor dem Britischen Parlament. Foto: SJ definitionem gerne ihre Sprengsätze CALL: 0800 789 321 bis zum Schluss begleiten. – the confidential Terrorismus-Bekämpfung werden Dafür hat diese PlakatierungsmaßAnti-Terrorist-Hotline.“ Ich ermit unzähligen kleinen Anti-Kriegs schaudere immer wieder, wenn ich nahme ganz andere Folgen. Denn in Aufklebern konfrontiert. “No more das Plakat sehe. Es kommt mir vor, einem U-Bahn-System, das täglich lies – no more war“ oder “Attack wie aus einer anderen Wirklichkeit rund eine Million Fahrgäste nutzen, Iraq? - No!“. Sie kleben zu tausen– erweckt es wird trotz größter den auf Mülleimern, Telefonzellen doch bei mir Aufmerksamkeit “Always mind your und sogar an Verkehrsschildern. den Eindruck hin und wieder ein belongings – forgotten Vor dem British Parliament hat sich einer hochkaGepäckstück liegen zudem eine Anti-Kriegs-Mahngelassen. Einfach luggage can cause hazard rätigen Gefahr, police alert and mass wache häuslich eingerichtet. Sie foreines echten vergessen! Was früdert nicht mehr als “humanity“ ein Krieges. her kein Problem panic.“ und deklariert Bush und Blair zum Welches Ziel war, hat jetzt fatale “murdering pair“. Die zunehmende Begrüßungsschild im Bahnhof hat diese KamFolgen. Das LonBedrohungssituation wird vor allem „Victoria Station“ pagne? Warum doner U-Bahn-Sysdem Irak-Krieg angelastet. Die weckt es bei tem ist so sehr inDemonstranten kritisieren auch die mir Erinnerungen an Propagandaeinander verzahnt, dass auch nur Art der Terrorbekämpfung, die vor Plakate aus dem Zweiten Weltkrieg, kleine Verzögerungen das kompletallem die Bürgerrechte wie Pridie ich nur aus dem Geschichtste System zum Einsturz bringen vatsphäre oder Datenschutz einunterricht kenne? können. Findet sich also irgendwo schränkt: „Wer die Freiheit einDie meisten Briten gehen mit dem irgendeine Tasche, muss das komschränkt, um Sicherheit zu gewinvirtuellen Damoklesschwert geplette U-Bahn-System eingefroren nen, wird am Ende beides verlielassen um. Sie lesen wie eh und je in werden, bis „die Gefahr“ gebannt ren.“ der U-Bahn ihre Zeitung und die ist. Für eine Stadt wie London Alles in allem eine beunruhigende Penner schlafen in den Stationen. kommt das jedes Mal einem HerzReise am Beginn eines beunruhiEine verdammt beruhigende Sache! infarkt gleich. Und es ist schon ein genden Zeitalters. Und die großflächigen Plakate der seltsames Gefühl, wenn die U-Bahn 51
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hochschulpolitik
StuPa: Auf ein Neues
Fakultäten: Politik-Institut überfüllt? Erstsemester: Bilanz Europa: Was sich mit der Osterweiterung ändert und einiges mehr ... Proteste im Vorfeld der Fakultätsratssitzung der PhilFak am 28.4. vor dem Eingang der Universitätsbibliothek Foto: UK mai 2004
politik
Interview: Prof. Bornewasser, der neue Dekan der Philosophischen Fakultät
kurznachrichten Anglistik-Amerikanistik-Institut kommt Dozentin abhanden Der Fachschaftsrat staunte nicht schlecht, als die Dozentin Christiane Kollenberg nach der ersten Semesterwoche nicht mehr erschien. Nach Auskunft der Institutsleitung habe es am Geld gelegen: Die vom Institut ausgeschriebene Stelle sei mit 10 € weniger pro Stunde genehmigt worden. „Faktisch hätte sie Professorenaufgaben übernommen und damit das Geld „verdient“, auch wenn sie nicht habilitiert ist“, ärgert man sich. Frau Kollenberg reise extra aus Oldenburg an, da könne man ihr die Fahrtkosten doch erstatten. Durch zwei Gastprofessuren sei der Unterricht vorerst abgedeckt. Dennoch bleiben die Studenten auf ihren 30 € Literaturkosten für das Kollenberg-Seminar sitzen. Derweil schlug das Dekanat Frau Kollenberg wegen ihrer ausgezeichneten Promotionsarbeit für den Promotionspreis des Uni-Fördervereins vor.
politik
Personalien: Viele Neubesetzungen Eher unrühmlich verlief die Wahl des neuen Kanzlers der Universität, Dr. Thomas Behrens, am 18. Februar (siehe unten). Er tritt am 1. Juni sein 8 Jahre dauerndes Amt an. Mit Beginn des Monats März begann Prof. Dr. Manfred Bornewasser an der Philosophischen Fakultät seine Tätigkeit als neuer Dekan (siehe Interview auf Seite 60). Die Dekane der anderen Fakultäten wurden jeweils im Amt bestätigt. Seit Anfang April leitet Harald Braun den Greifswalder Universitätschor und das Sinfonieorchester. Er löst damit seinen Vorgänger Ekkehard Ochs nach 34 Jahren ab. Sport-Entscheidung erneut verschoben/Rektor bittet um Vertraulichkeit Eine endgültiger Beschluss zur Schließung des Instituts für Sportwissenschaft wurde auf der Fakultätsratssitzung der PhilFak am 28.4. erneut verschoben. Dekan Bornewasser hatte noch am 24. März verkündet, eine Entscheidung werde in der kommenden Sitzung gefällt. Jetzt will Bornewasser im Juni eine 54
AStA
Allgemeiner
Studierendenausschuss
außerordentliche Fakultätsratssitzung einberufen, die sich rein mit dem Thema Sport beschäftigt. Endgültig vom Tisch haben will er das Thema in einer darauffolgenden Sitzung im Juli. Ferner mahnte Bornewasser im Namen des Rektors mehr Diskretion gegenüber der Presse an. Rektor Westermann sei der Ansicht, dass vertrauliche Details nicht nach außen dringen dürften. Uni-intern hatten sowohl der Bericht über die Kanzler-Wahl („Uni-Senat ließ Kanzler im zweiten Wahlgang durchrauschen”, OZ vom 19.02.) als auch mehrere Interviews zum Thema Sportwissenschaft Aufsehen erregt. Kommission für Kreditvergabe eingerichtet Wegen der großen Nachfrage der Studenten nach zinslosen Krediten hat das Studentenwerk eine Kommission eingerichtet. Angenommen werden nur noch die Härtefälle und es gibt keinerlei Rechtsanspruch. BAföG-Bezieher werden gesondert beurteilt. Wer einen Antrag stellt, kann für einen oder mehrere Monate jeweils 260 € erhalten, die dann binnen drei Monaten zurückzuzahlen sind. Nähere Informationen bei Frau Biba vom Studentenwerk oder beim Sozialreferat des AStA. Neue(r) StuPa-Präsident(en) Auf der StuPa-Sitzung am 19.5. wurde Philipp Kohlbecher zum StuPa-Präsidenten gewählt und Alexander Gerberding zu seinem Stellvertreter – ein Amt, das gerade zuvor geschaffen wurde, um den gestiegenen Arbeitsaufwand besser zu verteilen. Philipp Kohlbecher war über seine Nominierung sichtlich überrascht. Er kann zwar nicht so viel hochschulpolitische Erfahrung vorweisen, wie sein Gegenkandidat Jakob Schmidt-Hieber, wurde aber dennoch von den StuPisten als kompetent eingeschätzt. moritz gratuliert und wünscht viel UK Erfolg im neuen Amt.
Der AStA und die StuPa-Beauftragten werden voraussichtlich in der StuPa-Sitzung am 25.5. neu gewählt. Schaut am besten im AStA-Büro rein oder wendet euch per E-Mail an die Referenten.
Ihr findet den AStA im Audimax in der Rubenowstraße 1, Raum 13a. Telefon: 0 38 34 / 86 17 50 -51 Fax: 0 38 34 / 86 17 52 E-Mail: asta@uni-greifswald.de
Vorsitz vorsitz@asta-greifswald.de Referat für Ausländerfragen: auslaenderreferat@asta-greifswald.de Referat für BAföG und Studienfinanzierung: bafoeg@asta-greifswald.de Referat für Erstsemesterarbeit: erstsemester@asta-greifswald.de Referat für Finanzen: finanzen@asta-greifswald.de Referat für Hochschulpolitik: (z. Z. noch keine Kandidaten) Referat für Soziales: soziales@asta-greifswald.de Referat für Studium und Lehre: studium@asta-greifswald.de Referentin für Umwelt: umwelt@asta-greifswald.de Präsident des Studierendenparlamentes: Philipp Kohlbecher stupa@uni-greifswald.de Gleichstellungsbeauftragte(r): gleichstellung-hgw@gmx.de Beauftragte(r) für Schwule und Lesben: SL.beauftragte@asta-greifswald.de Beauftragte(r) für Internetpräsenz: (keine E-Mail-Adresse) moritz
Fotoquelle: Biederstedt, Rudolf u.a.: Greifswald. Rostock 1973
Aus Alt mach Neu
politik
Das obere Bild zeigt die „Kiste“ in der Makarenkostraße in den siebziger Jahren. Im Laufe der Zeit beherbergte sie verschiedene Einrichtungen wie das Studententheater oder einen Gebetsraum. Natürlich darf auch der Club nicht vergessen werden. Nach einer umfangreichen Renovierung finden seit Anfang des Semesters 460 Studenten im nunmehr größten Hörsaal der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Platz (unteres Foto). ring
Foto: ring mai 2004
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Auf ein Neues Die StuPa-Wahlen wurden annulliert und die Senatswahl erfolglos angefochten. Jetzt wurde das StuPa neu gewählt / Von Ulrich Kötter
Zunächst sah alles gut aus: Die Wahl zum „ersten StuPa“ ging mit der Senats- und Fakultätsratswahl in der dritten Januarwoche über die Bühne. Am 16. Januar zählten die Mitglieder des Wahlausschusses die Stimmen aus und Wahlleiter Christian Hanke gab eine Wahlbeteiligung von 7,2 % bekannt. Wie in den Vorjahren hatten die Theologen die höchste Wahlbeteiligung vorzuweisen, während an der Philosophischen Fakultät etwas mehr als 1/20 der Wahlberechtigten tatsächlich gewählt hatte. Es wurde fraglich, ob man noch von demokratischer Legitimität sprechen kann, wenn ein Kandidat nur knapp 40 Stimmen braucht, um ins StuPa einzuziehen. Das entspricht noch nicht mal einem halben Prozent der Studierendenschaft. Zunächst wurde die Wahlmüdigkeit von Seiten des AStA auf die unzureichende Arbeit des Wahlleiters abgewälzt und murrend toleriert. Das neue StuPa trat am 27. Januar unter der Leitung des Wahlleiters zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen, ab 23.00 Uhr leitete der neue alte Präsident Maik Harfmann die Sitzung. Am Ende der Sitzung
beschloss das StuPa, dem Wahlleiter wegen seiner scheinbar unzureichenden Arbeit die Aufwandsentschädigung von 200 Euro auf 75 Euro zu kürzen.
Die Wahl ist ungültig Zwei Tage später stellte der Wahlprüfungsausschuss fest, dass die StuPa-Wahl ungültig war. Das Hauptaugenmerk lag nun auf dem Wahlmoritz, in dem sich augenscheinlich inhaltliche Fehler befänden. Der Wahlprüfungsausschuss monierte weiter das Fehlen von Wahlkabinen als Verletzung der Geheimhaltung der Wahl sowie einen Verstoß gegen die Allgemeinheit der Wahl, weil Wahllokale nicht wie angekündigt geöffnet gewesen wären. Man munkelt, eines der Fakultätswahllokale habe eine Viertelstunde zu spät geöffnet gehabt. „Irgendwie kam einfach alles zusammen und ich hatte das Gefühl, so könne es nicht weiter gehen“, sagt einer, der die Wahl angefochten hat. Das sei zwar alles nichts Neues und auch in den vergangenen Jahren schon vorgekommen, aber auch angesichts der mehr
als mageren Wahlbeteiligung müsse man endlich umdenken. Rein rechtlich gesehen ist das ganze zumindest von Seiten des moritz kein Problem: Der Wahlmoritz wird in der Wahlordnung des Studierendenparlaments nicht erwähnt und ist somit kein offizieller Teil der Wahl. Es gilt aus Redaktionssicht scharf zu trennen zwischen den Wahlzetteln als offizielle Auflistung der zur Wahl stehenden und dem Wahlmoritz als reinem Informations- und Serviceblatt. Der moritz hat – außer bei den Namen der Kandidaten – keinerlei Möglichkeit, die Wahrheit der Selbstdarstellungen zu prüfen. Rein theoretisch könnte jemand sogar ein falsches oder nachbearbeitetes Bild abgeben. Vielleicht ist an dem gern breitgetretenen Vorurteil, die Bilder sprächen vor den Texten, ja doch etwas dran. StuPa-Veteran Dietmar Schmidt widerspricht teilweise: „Die Leute wählen schon die Kandidaten, die sie vom Sehen kennen, ansonsten aber vor allem diejenigen, die dasselbe Fach studieren oder an derselben Fakultät sind.“ Der zuständige moritz-Redakteur Alexander Böber resümiert: „Ich bin
politik Nie zu früh die Sektkorken knallen lassen: (vermeintliche) StuPa-Abschiedsfeier am 14. Januar 2004. 56
Fotos: UK
moritz
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Apropos Anwesenheit: Der Vorschlag für ein StuPa-Sitzungsgeld stand im Raum und könnte in der nächsten Legislaturperiode wieder aufgegriffen werden. Nachdem StuPa-Präsident Maik Harfmann seine frisch gewählte Truppe noch am 29. Januar per EMail von der Wahlungültigkeit informiert hatte, gab es zunächst Unklarheiten, was passieren würde. Wegen der Einmaligkeit des Vorganges holte sich AStA-Chef Simon Sieweke Rat im Rektorat. Prorektor Classen griff auf die Uni-Wahlordnung zurück, weil in der StuPaWahlordnung keine rechtlichen Folgen einer ungültigen Wahl genannt werden. Laut Classen bleiben alle Handlungen des neu gewählten StuPa bis zur Wahlungültigkeitserklärung rechtskräftig. Danach sei davon auszugehen, „dass das alte Gremium bis zur Konstituierung des neu gewählten Parlaments ins Amt zurück kommt, um eine parlamentsfreie Zeit zu verhindern.“ Den Status der AStA-Referenten legte Siewecke als normal fest – und nicht, wie gefordert, als kommissarisch. Er verwies in einer E-Mail an die StuPisten auf das Grundgesetz, nach dem die Regierung so lange wie das Parlament im Amt bleibe. „In dieser unklaren Phase ist eine Verlagerung der Entscheidungen aus dem StuPa in den AStA zu beobachten.“ monierte StuPa-Mitglied Jan Ehlers auf der Sitzung am 20. April. Er machte dies fest an einem Brief des AStAChefs, den dieser am 29. März an diverse Landespolitiker geschickt hatte. Sieweke droht bei Aufgabe des Hochschulkorridors mit Einmischung in den Kommunalwahlkampf. „Das geht“, so Ehlers, „über sein hochschulpolitisches Mandat als AStA-Vorsitzender hinaus und hätte wenigstens einer Abstimmung im StuPa bedurft.“ Doch woher das StuPa nehmen, wenn es nicht da ist? Am 6. April wurde die StuPaSitzung wegen Beschlussunfähigkeit kurzerhand zur AStA-Sitzung unter Anwesenheit der StuPisten umgewandelt.
Neuwahl in der ersten Maiwoche Der neue (bei der ersten Wahl stellvertretende) Wahlleiter Alexander Gerberding sah es mit Blick auf die
Wahlergebnisse StuPa-Neuwahl (vorläufiges Endergebnis vom 7.5.04, 18.40 Uhr)
Gewählte und Stimmen 1. Tobias Linke 165 2. Toralf Stark 149 3. Rosemarie Gaupp 125 4. Simon Sieweke 118 5. Josephine Schwebler 118 6. Alexander Böber 110 7. Svenja Winter 110 8. René Friedland 109 9. Ireen Jordan 109 10.Christina Bennewitz 105 11. Gerd Martin Rappen 92 12. Robert Waldheim 85 13. Julia Heydel 85 14. Felix Matthias Prokoph 84 15. Stefanie Hennig 81 16. Thomas Schattschneider 80 17. Philipp Kohlbecher 79 18. Maik Harfmann 72 19. Eric Kibler 63 20. Georg Bauer 63 21. Ulrike Brunnckow 58 Bei Stimmengleichheit entschied das Los. Nachrücker sind: Philipp Christian Wichter Kerstin Zuber Sandra Suckel Simon Hefer Daniel Horstmann Dominik Kolm Jürgen Hofmann Ingmar Scholtz Rüdiger Kunde Arnd Knoblauch Dirk Ohlert Karsten Schlegel Ralf Rafoth
politik
richtig stolz darauf, dass wir es einmal geschafft haben, zumindest alle StuPa-Kandidaten mit Bild und Text darzustellen.“ Zum Problem wurde nach Meinung des Wahlprüfungsausschusses, dass der Wahlmoritz – wie auch in den Vorjahren üblich – bei den Wahlen direkt neben den Wahlurnen auslag und somit eben doch richtiger Wahlbestandteil war. Ganz anders entschied in dieser Sache der Wahlprüfungsausschuss der parallel gelaufenen Senatswahl, die ebenfalls angefochten wurde. Hier lag der Wahlmoritz sogar in den (vorhandenen) Wahlkabinen aus. Eine Kandidatin bemängelte das Fehlen ihres Fotos und der Wahlziele im Wahlmoritz, die erst ein paar Tage nach Drucklegung im moritz-Büro auftauchten. Das Problem mit fehlenden Fotos oder dem „hat der moritz-Redaktion keine Wahlziele eingereicht“ ist keineswegs neu, wenn man einmal durch die Wahlmoritze der vergangen Jahre blättert. Wer auch immer die Unterlagen verschlampt (oder tatsächlich nicht eingereicht) hat – den Fall der Wahlanfechtung aus diesem Grund hat es bisher noch nicht gegeben. Der Wahlprüfungsausschuss für die Senatswahlen beschloss in seiner Sitzung vom 19. Februar, eine Wahlanfechtung aus diesem Grund abzulehnen. Für Josefa Peter, selber Senatskandidatin mit Foto ohne Text, ist das ganze zu einer Schlammschlacht ausgeartet. Sie hat mit ihrem Wahlergebnis nicht gerechnet, auch wenn sie den Einzug in den Senat nicht geschafft hat: „Ich habe etwa 170 Stimmen erhalten, das sind ungefähr so viele Leute, wie ich kenne.“ Nicht erst StuPa-Mitglied Göran Witt hat erkannt, dass die Gremienwahlen einer Überarbeitung bedürfen. Sein Vorschlag zu einer Einrichtung einer „Arbeitsgemeinschaft Gremienwahlen 2004“ wurde im StuPa am 18. November letzten Jahres zurückgewiesen. Seine Hauptforderung war ein Rechenschaftsbericht der StuPisten über die abgelaufene Legislaturperiode sowie eine organisatorisch besser durchgeführte Wahl. Rechenschaftsberichte – zumindest des StuPa-Präsidenten – haben eigentlich im moritz Tradition und auch Schaubilder über die Anwesenheit der StuPisten hat es schon gegeben.
Wahlbeteiligung Die Wahlbeteiligung lag insgesamt bei 10,83 Prozent, davon entfielen: RuS Fakultät 13,76% Philosophische Fakultät 11,72% Math-Nat Fakultät 9,47% Theologische Fakultät 8,89% Medizinische Fakultät 7,70% moritz gratuliert den Gewinnern! 57
plakate aufhängten sowie Flyer verteilten. Das vergangene Jahr war für die Hochschulgruppen eher weniger rühmlich. Zum Beispiel gingen sämtliche Mitglieder der damaligen Juso-HSG entweder ins StuPa oder betätigten sich anderweitig hochschulpolitisch, so dass am Ende niemand mehr übrig blieb, der gemein-
„Hoch gesteckt”: Die Wahlziele 10 Mandate ... ... gegen Studiengebühren Der Zusammenhang zwischen Studierendenzahlen und StuPa-Wahlbeteiligungen ist unverkennbar. Die StuPa-Wahlbeteiligungen aus den Jahren 2001 und 2003 sind Schätzwerte.
Vorgänge im Januar als seine vordringlichste Aufgabe an, für einen organisatorisch reibungslosen Ablauf der zweiten Wahl zu sorgen und Formfehler zu vermeiden. „Zunächst einmal werde ich die Selbstdarstellungen alle abtippen und der moritz-Redaktion lediglich zum Layouten übergeben“, führt er aus. „Wir wollen den Wahlmoritz so früh wie möglich rausbringen und dann bei der Wahl komplett einsammeln, sprich: weit weg halten von den
Was kommt auf uns zu?
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Lassen wir an dieser Stelle Dietmar Schmidt und Jakob Schmidt-Hieber, beide mit längerer hochschulpolitischer Erfahrung, zu Wort kommen. Auf die Frage, warum die Wahlbeteiligung denn bei der Januar-Wahl so niedrig gewesen sei, gibt es ihrer Meinung nach eine eindeutige Antwort, nämlich die hohen Studierendenzahlen. Es gelte in Zukunft, die Faustformel „mehr Studenten = niedrigere Wahlbeteiligung“ aufzubrechen. Wo liegt das Problem? Nach Dietmar und Jakob im Wahlsystem, das einfach für fast 10.000 Studenten nicht mehr geschaffen sei. Damit sei man auch wieder beim Wahlmoritz, der insofern die einzige Informationsquelle bleibe, als dass er die Kandidaten einzeln mit ihren Wahlzielen Alt-Stupisten Schmidt, Schmidt-Hieber (v.l.): „Wir vorstelle. „Der einbrauchen die Listenwahl!“ Foto: UK zelne Student“, so Dietmar, „fährt doch Wahlurnen.“ Tatsächlich erschien keine Wahlkampagne, das wäre ja der Wahlmoritz bereits am 28. April geradezu lächerlich.“ Die Lösung – also 5 Tage (inklusive Wochensehen die beiden im Listenwahlende allerdings) vor Beginn der system und damit in den HochWahl. Nur die Sache mit dem schulgruppen, die - wie jetzt bei der Verschwinden lassen hat nicht ganz Grünen HSG, der Juso-HSG oder geklappt - man sah auch während auch dem RCDS geschehen - ein der Wahlwoche den Wahlmoritz Kandidatenteam mit mehr oder überall rumliegen, auch in „gefährweniger gemeinsamen Wahlzielen licher Nähe“ zum Wahllokal. aufstellten und auch gezielt Wahl58
9 Mandate ... ... für eine bessere Öffentlichkeitsarbeit des StuPa und der hochschulpolitischen Gremien Je 7 Mandate ... ... für eine konstruktivere und ergebnisorientiertere StuPa-Arbeit Je 4 Mandate: - für ein Nachwuchskonzept und die Stärkung des hochschulpolitischen Interes ses der Studierenden - für mehr Umweltbewusstsein Je 3 Mandate: - für die Einführung von Listenwahl und die Stärkung hochschulpolitischer Gruppen - für ein Energiesparkonzept - für studierendenfreundlichere Entscheidungen des StuPa - für die Gleichberechtigung aller Studierenden - für einen sinnvollen Umgang mit dem Geld der Studierendenschaft Je 2 Mandate: - gegen Bildungsabbau - für die Gründung einer Universitätsstiftung zur finanziellen Unterstützung der Lehre und der Unibibliothek - für bessere Studienbedingungen in überlaufenen Fächern - für den Erhalt des Magisters Diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
moritz
Kommentar Harren wir der Dinge, die da kommen mögen! Mal ganz ehrlich, gelesen habe ich den Wahlmoritz auch nicht. Vielleicht liegt es daran, dass man „seine Hochschulpolitiker“ inzwischen kennt und nach anderen Kriterien wählt. Ist das etwas Schlimmes? Ein Blick in die Wahlziele der 21 Gewinner fördert mitunter Kurioses zutage. Da verlangt ein Kandidat, dass im StuPa „mehr studentische Belange“ vertreten werden sollten oder eine Kandidatin gibt als Ziel ihrer StuPaArbeit „Weltfrieden“ an. Bei letzterem wurde wohl etwas die Kompetenz des Parlaments überschätzt und bei ersterem bleibt die Frage offen, was für Belange es denn sonst sein sollen, die das StuPa verhandelt. Leider haben nur wenige der neuen Kandidaten im Vorfeld mal an einer der StuPa-Sitzungen der abgelaufenen Legislaturperiode teilgenommen, so dass im Wahlmoritz viel floskel- und leerformelhaftes formuliert wurde. Einer besseren Öffentlichkeitsarbeit des StuPa und auch der anderen studentischen Gremien bedarf es mit Sicherheit und wir wollen hof-
fen, dass sich die 9 Mandatsträger auch tatkräftig dafür einsetzen. Gegen Studiengebühren zu plädieren, mag zwar wählerwirksam sein, ist aber – wenn man Simon Sieweke glauben darf – etwas verfrüht, denn vor der Landtagswahl 2007 ist so etwas mit der PDS wohl nicht zu machen. Genauso verschwommen ist es, sich für eine „konstruktivere und ergebnisorientiertere StuPaArbeit“ einzusetzen. Wie das gehen soll, schreibt keiner. Zum Beispiel durch Ausschüsse, die Entscheidungen vorweg ausdiskutieren und als fertige Vorlage einbringen. Protokollkorrekturen könnten im Vorfeld per E-Mail abgeklärt und lediglich abgenickt werden – das würde die erste Viertel- bis halbe Stunde einsparen. Viel zu tun also - insbesondere die Hochschulpolitik für Interessierte attraktiver zu machen und ihnen zum Beispiel die Möglichkeit geben, kurzfristig an Projekten wie der Protestgruppe voll mitzuarbeiten. Ach übrigens: Am besten gefallen hat mir das Wahlziel von Georg Bauer, die StuPisten und AStAMitglieder gelegentlich an ihre Wähler, aber vor allem an ihre Nichtwähler zu erinnern. Er selber zog jedenfalls mit 63 Stimmen als 20. ins StuPa ein. Ulrich Kötter
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same Treffen organisierte oder die gemeinsame inhaltliche Arbeit vorantrieb. Auch wenn es dieses Jahr besser wird, ein grundsätzliches Problem bleibt: Die Listenwahl ist im Landeshochschulgesetz nicht vorgesehen und wäre damit nur rechtswidrig durchführbar. Inwieweit das Rostocker System der personalisierten Verhältniswahl auf Greifswald zu übertragen sei, mag Jakob Schmidt-Hieber nicht sagen: „Das Problem ist dann, wie wir die Listen aufstellen.“ Ist das Listenwahlsystem denn wirklich der Retter für schlechte StuPa-Politik? Jakob und Dietmar sind unschlüssig. Zum einen sei durch Fraktionen und Koalitionen eine bessere gegenseitige Kontrolle möglich und auch die mediale Berichterstattung würde durch weniger Meinungsvielfalt erheblich vereinfacht. Schnelle StuPa-Entscheidungen seien möglich. Zum anderen müsse man davon ausgehen, dass sich das StuPa-AStAVerhältnis sehr verändere. Es müßten nicht nur (sehr wahrscheinlich) Koalitionsverträge geschlossen werden, um die AStA-Referenten zu stellen - auch die explizit externe Kontrolle durch das StuPa funktioniere dann nicht mehr so gut wie jetzt.
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„Wir müssen uns vernetzen“ Prof. Bornewasser, der neue Dekan der Philosophischen Fakultät, im moritz-Gespräch
Professor Dr. Manfred Bornewasser (55) ist seit 1995 in Greifswald. Der gebürtige Bonner studierte Psychologie, Philosophie und Erziehungswissenschaften in Köln, Hamburg und Düsseldorf, promovierte 1977 an der soziologischen Fakultät in Bielefeld und habilitierte 1990 in Münster. Vor 9 Jahren folgte er dem Ruf auf die Professur Sozialpsychologie/Arbeits- und Organisationspsychologie am Institut für Psychologie der Universität Greifswald. Am 30. Januar wurde Professor Bornewasser zum Dekan der Philosophischen Fakultät gewählt.
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moritz: Wie verschlägt es jemanden aus Münster nach Greifswald? Prof. Bornewasser: Ich überlegte damals, was dafür oder dagegen spricht, dass ich mich in eine solche Stelle hineinbegebe oder was mich in Münster hält. Es gibt Universitäten, die können bei weitem nicht so viel bieten wie Greifswald. Greifswald ist eine attraktive Universität und gerade in der Psychologie durch sehr viel Kollegialität geprägt. Das schafft günstige Arbeitsvorraussetzungen, insbesondere für gemeinsame Projekte. So etwas kann einen durchaus bewegen, auch aus einer größeren nordrhein-westfälischen Stadt nach Greifswald zu gehen.
beiden eine Mehrheit. Deshalb wurde die Entscheidung vom Rektorat getroffen. Daraus leiten nun einige Personen ab, dass niemals eine Entscheidung gefallen ist, den Sport oder die Romanistik zu schließen. Nach meiner Einschätzung können wir für beide Institute und für eine Vielzahl anderer Institute und Lehrstühle keine Bestandsschutzgarantie mehr geben. Ist seinerzeit im Rektorat eine Entscheidung zu den Schließungen gefallen? Ja und wir haben auf Fakultätsebene daraufhin beschlossen, dass sich niemand mehr in Sportwissen-
Prof. Bornewasser: „Schreiben Sie, dass ich voller Tatendrang bin!“ Foto: UK
Welche Altlasten oder Probleme haben Sie als neuer Dekan von ihrem Vorgänger übernommen? Was mir aus der vergangenen Periode nachhängt, ist im Wesentlichen die Entscheidung über die Sportwissenschaft und die Romanistik. Zu diesem Thema ist auf einer sehr eindrucksvollen Sitzung der Beschluss gefasst worden, dass man eines der Institute möglicherweise schließen sollte. Dann ist einzeln abgestimmt worden, welches man nehmen sollte, und im Einzelfall fand sich für keines der 60
schaft einschreiben kann. Wohl aber sind wir verpflichtet, die immatrikulierten Studenten zu einem vernünftigen Abschluss zu bringen. Auch das ist eine Belastung, die wir jetzt tragen müssen. Nun ist aktuell in der Sportwissenschaft eine Lehrstuhlvertretung von Ihnen nicht bestätigt worden, so dass Studenten faktisch ihr Studium nicht ordnungsgemäß fortsetzen können. Das sportwissenschaftliche Institut
wurde deshalb seinerzeit auserkoren, weil die Möglichkeit bot, eine Vielzahl an Stellen aufzubringen. Wie es der Zufall wollte, gingen gerade drei Kollegen in den Ruhestand. So wollten wir lieber ein ganzes Institut schließen, als an den vielen kleinen einzelne Stellen zu streichen. Wir haben es geschafft, Herrn Hossner als geschäftsführenden Direktor zu erhalten, dem jetzt obliegt, die eingeschriebenen Studenten zu einem ordentlichen Abschluss zu bringen. Eine weitere Lehrstuhlvertretung steht auch auf längere Sicht nicht in Aussicht. Generell gilt: Wenn ich Stellen habe, muß ich als Dekan sehr gründlich überlegen, wo sie einzubringen sind, denn es gibt durchaus andere zukunftsweisende Bereiche – nehmen Sie die Politikwissenschaft oder auch die Kommunikationswissenschaft – , in denen Zustände herrschen, die keineswegs ruffördernd sind. Wir haben es dort mit wenig Deputat und großen Studentenzahlen zu tun und das wird uns auf Dauer ein großes Problem schaffen. Sie haben nun ein Konzept vorgelegt, in welchem Sie betonen, dass die Zusammenarbeit mit der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät wichtig wird. Unter anderem werfen Sie das bisherige YModell über den Haufen. Nun ja, die Kürzungen gehen weiter – so jedenfalls ist die Einschätzung der augenblicklichen Lage. Wir müssen uns deshalb auf unsere Stärken konzentrieren und uns vernetzen, um das Überleben der Fakultät zu sichern. Mir geht es darum, die fakultätsübergreifende Studienfachwahl zu erhalten und attraktivere Studiengänge zu schaffen. Im Moment hält die mathematisch-naturwissenschaftliche Fakultät an ihren recht umfangreichen Diplomstudiengängen fest, doch spätestens mit dem Wegfall des Magisters auf unserer Seite wird das bei der Lehrerausbildung zum moritz
Es muss also eine gute Kooperation geben zwischen den einzelnen Fakultäten und Instituten. Wir müssen endlich erkennen, dass wir über die bestehenden Grenzen hinwegdenken müssen. Diese Grenzen im alten System gelten zum Teil schon für Lehrstühle. Der Hochschullehrer der Philosophischen Fakultät denkt oft nur in Lehrstuhlkategorien. Wir müssen Lehrstuhlgrenzen überwinden, mit den Kollegen im eigenen Institut zusammenarbeiten und auch Institutsgrenzen überwinden. Es macht keinen Sinn, einen Schwerpunkt Nordosteuropa zu haben, der alleine von den Nordisten betrieben wird. Und dann müssen wir auch über Fakultätsgrenzen hinausgehen. Man kann den Leuten zum Beispiel nicht nur rein sprachwissenschaftlich das Finnische beibringen. Wir müssen auch rechtswissenschaftliche Aspekte beleuchten oder betriebswirtschaftliche. Ich würde auch die Naturwissenschaftler dazu holen, zum Beispiel die Geologen. Nur soweit ist die Philosophische Fakultät noch nicht. Wir sind sehr beschränkt und auf unser Eigenes bedacht. Wir müssen uns attraktiv machen für die Anderen. Wir sind zwar ein Stück weit auf sie angewiesen, müssen aber auch zeigen, dass wir ihnen etwas anzubieten haben. Sie haben gesagt, die Philosophische Fakultät müsse mehr Spitzen bringen als in die Breite gehen. Die Philosophischen Fakultäten in der Bundesrepublik sind oftmals sehr große Fakultäten. Sie sind geprägt durch eine Vielzahl von Instituten, die alle nebeneinander leben, in dem Sinne, wie ich es eben andeutete: Jeder macht sein Eigenes. Diese Breite ist meiner Ansicht etwas, was uns hier in Greifswald langfristig nicht überleben lässt. Was wir machen müssen, ist ein mai 2004
Profil zu bilden. Wir müssen aufzeigen, wo man aus vielen kleinen Instituten Zentren bilden kann. Es gibt an der PhilFak zwei Standbeine: Das eine ist die Lehrerausbildung mit den klassischen Fächern, das andere ist der Nordosteuropaschwerpunkt. Wir sind in Mecklenburg-Vorpommern die einzige Universität, die Fächer wie Slawistik und Nordistik anzubieten hat. Aber: Eine Ausbildung, die nur auf Spracherwerb und Literatur abzielt, ist der falsche Weg. Wir müssen für den normalen Studenten aufzeigen, was es mit sich bringt, nach Polen zu gehen und auf dem dortigen Arbeitsmarkt beschäftigt zu werden. Er muss dort in einem Unternehmen einer bestimmten Branche arbeiten. Sprache allein ist da ziemlich uninteressant. Sprache plus Kulturfeld, Medienfeld, das ökonomische Feld und so weiter muss ihm von uns in der Ausbildung mit auf den Weg gegeben werden. Ansonsten kommt
man nicht weit. Das ist auch ihr Konzept, um von den „schwächelnden Orchideenfächern“ wegzukommen. Unsere Attraktivität in diesem Bereich ist nicht sehr hoch. Nach der Studentenstatistik haben wir sehr wenig Studierende in diesem Bereich. Wagen wir einen zweiten Gedanken: Wie attraktiv muss so ein Studiengang sein, wenn die Studenten ihn bezahlen müssten? Ich könnte mir außerdem vorstellen, dass wir Weiterbildungskurse für Leute aus der Wirtschaft anbieten, die wir dann zu interdisziplinären Spezialisten ausbilden. Wenn wir keine gute Forschung in diesem Bereich anbieten und keine Studenten ziehen, sind wir langfristig mit dem Nordosteuropaschwerpunkt nicht überlebensfähig. Vielen Dank für das Gespräch. Interview: Ulrich Kötter
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Problem. Somit müssen wir das bisherige Bachelor-Master-Konzept weitaus stoffintensiver gestalten, um der Vergleichbarkeit mit naturwissenschaftlichen Fächern gerecht zu werden. Wir müssen mit denen bei der Lehrerausbildung in ein Boot kommen. Bei uns sind etwa die Hälfte der Studenten Lehramtsstudenten, bei den Naturwissenschaftlern ist es etwa ein Drittel.
Keine Bestandsschutzgarantie beim neuen Wildhüter Bornewasser? Karikatur: Kristin Kowalewski
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„In der Breite erhalten” Neuer Dekan, alte Probleme? – Felix Matthias Prokoph, Mitglied im Fakultätsrat der PhilFak, im moritz-Gespräch moritz: Warum ist Professor Bornewasser Dekan geworden? Felix Matthias Prokoph: Zunächst einmal ist das alte Dekanat komplett zurückgetreten. Professor Bornewasser hat sich zusammen mit Professor Wolf im Dezember in einem Brief den Kollegen vorgestellt – die Studierenden wussten davon offiziell bis ein paar Tage vor der Sitzung nichts. Einen Gegenkandidaten gab es nicht. Ich hatte fast den Eindruck, dass man froh war, dass es überhaupt jemand macht. Die Fakultät ist sowieso schwer zu führen und gerade in schwierigen Zeiten wie jetzt noch schwerer.
wieder eröffnet sehen würden. Was ist aus dem Nordosteuropaschwerpunkt geworden? Das Einrichten dieses Schwerpunktes an der PhilFak hatte sich damals angeboten, weil die Fächer hier so vertreten waren. Es gab ein paar Forschungs- und Lehrkooperationen. Das Projekt ist jedoch aufgrund eines fehlenden Gesamtkonzeptes gescheitert. Die Fakultät hat daraufhin bei der Krupp-Stiftung einen „neuen“ Antrag gestellt, einen Forschungsschwerpunkt Nordosteuropa einzurichten.
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Ist die Sportwissenschaft abzuwickeln? Der Rektor hat seine Entscheidung gegen den Sport vor einem Jahr vor den Senat gebracht, der diese bestätigte – allerdings mit der Auflage, im Frühjahr 2005 einen Bericht vorzulegen, wie sich die Schließung des Studienfaches auf Fakultät und Universität ausgewirkt haben. Das Fakultätsratsmitglied Prokoph: „Zukünftige Proheißt, die Affäre Sport ist zesse aktiv mitgestalten!“ Foto: UK im Moment eine Affäre Auch der Dekan? des Senats und des Rektors. Dekan Bornewasser sieht die Wieso mischt sich Dekan Fakultät in zwei Schwerpunkten: Bornewasser dann ein? Das eine ist Nordosteuropa und das Er fühlt sich von Mitgliedern der andere die Lehrerbildung. Das Fakultät und der außeruniversitäsehen wir als studentische Vertreter ren Öffentlichkeit unter Druck anders. Wir glauben, dass die gesetzt. Man wirft ihm vor, der Fakultät in ihrer Breite erhalten Sport sei ja nicht geschlossen, also werden sollte und auch erhalten müsse er auch in den weiteren werden kann, wenn die kleineren Konzeptionen zur Zukunft der Fächer in größere Einheiten – vielFakultät vorkommen. Für ihn ist der leicht in Fachbereiche – integriert Sport de facto geschlossen und er werden. Wir brauchen die kleinen möchte das gerne noch einmal Fächer gerade in der Lehrerbildung, bestätigt haben. um gegenüber Rostock durch ein Wir als studentische Vertreter gut vernetztes Angebot konkurrenzhaben dem Fakultätsrat ein Konzept fähig zu bleiben. Gerade bei Drittvorgelegt, in dem wir die Sportmittelgebern gibt es heute die Tenwissenschaft im Bereich Gesunddenz, Projekte zu fördern, bei denen heitswissenschaften/Life Sciences mehrere Fächer gekoppelt sind. 62
Muss die Philosophische Fakultät mit der mathematischnaturwissenschaftlichen Fakultät bei der Lehrerbildung in ein Boot kommen? Natürlich müssen wir eine Lösung finden, dass Studierende ein Lehramtsfach der Math-Nat mit einem Lehramtsfach der PhilFak ohne weiteres studieren können. Dennoch muss es so sein, dass die PhilFak als zentrale Fakultät in der Lehrerbildung führend ist und von sich aus versucht, Lösungen mit den anderen Fakultäten zu finden. Das ganze muss ein gemeinsamer Prozess sein, sonst haben wir am Ende in der PhilFak noch Studenten, die der eigenen Fakultät fremd werden. Was steht denn eigentlich den Magisterstudenten bevor, wenn nur noch Bachelor/Master-Studenten an der PhilFak immatrikuliert sind? Ich denke, dass den Magisterstudenten ein Szenario blühen wird, wie es die B.A.-Studenten am Anfang erlebt haben. Dass hieß damals, die Bachelor-Studenten mussten sich ihre Module aus Magister- und Lehramtsveranstaltungen zusammensuchen. Für die Magisterstudenten wird es in Zukunft sehr schwierig werden, sich aus den dann tatsächlich als Modul konzipierten Lehrveranstaltungen ihre Stundenpläne zusammenzubasteln. Die Einschreibezahlen zum Sommersemester zeigen deutlich, dass die Studenten nach wie vor den alten Studiengängen vertrauen. Es gibt keinen Studenten im M.A. of Arts und keinen im M.A. of Education und das sind die Studiengänge, mit denen die Fakultät perspektivisch plant. Ist das ganze denn noch rückgängig zu machen, wie bei der Vollversammlung im letzten November gefordert? Für Rufe nach Erhalt des Magisters ist es zu spät. Wir müssen jetzt den Prozess der Einrichtung der neuen Studiengänge aktiv begleiten. Wir haben die Möglichkeit, das Konzept genau auf unsere Fakultät zuzuschneiden und müssen aufpassen, dass uns keinerlei externe Forderungen wie zum Beispiel aus der MathNat beeinflussen. Vielen Dank für das Gespräch. Interview: Ulrich Kötter moritz
Das Institut für Politikwissenschaft – ein überrollter Schwan*? Von Sarah Rieser und Katja Staack
mai 2004
der Bachelor (80%) übrig, dies entzerrt aber gerade im Grundstudium nicht die Lage, da in den ersten Semestern die wenigsten ihr Studium abbrechen. Zudem gibt es seit dem vergangenen Wintersemester deutlich mehr Studienanfänger als Absolventen. Auch der NC zum Wintersemester 04/05, der für ein ganzes Jahr die Erstsemester-Aufnahme auf 80 bis 100 Studenten beschränken soll, wird hier nur ein Tropfen auf den mittlerweile rot glühenden Stein sein.
Früher gab es hier mehr Geld: Das politikwissenschaftliche Institut in der Baderstraße. Foto: sari Zustände wie in der klassischen Archäologie oder der Sportwissenschaft wünscht sich niemand, am wenigsten die Institutsleitung und das Dekanat, das die Lage am Institut für Politikwissenschaft mit den Worten „keineswegs Ruf fördernd“ umreißt. Auch dem geschäftsführenden Direktor des Instituts für Politikwissenschaft, Prof. Dr. Hubertus Buchstein, ist bewusst, dass den Studierenden „zur Zeit kein ordnungsgemäßes Studium garantiert“ werden kann. Er lobt die Arbeit des FSR, macht aber darauf aufmerksam, dass dessen Vorschläge aus verschiedenen Gründen bedauerlicherweise nicht umgesetzt werden können. Semi-
nare mit mehr als 40 Teilnehmern gingen zu Lasten der Qualität und seien nicht förderlich, weil eine produktive Diskussion in einem größeren Rahmen schlichtweg nicht möglich sei. Au-ßerdem sei es aufgrund des Standortnachteils, der Greifswald zurzeit noch anhafte, schwierig, qualifiziertes Lehrpersonal einzuwerben. Auf der einen Seite lohne es sich für einen Pendler finanziell und zeitlich nicht, hier einen Lehrauftrag anzunehmen, auf der anderen Seite wolle man kein unqualifiziertes Personal sich „an Studenten ausprobieren lassen“. Und die derzeit am Institut tätigen, qualifizierten Mitarbeiter aus Drittmittelprojekten gingen zwar einer Lehrtätigkeit nach, täten dies aber aus freien Stücken und Entgegenkommen gegenüber dem Institut. Sie könnten aufgrund ihrer Forschungsverpflichtungen nicht weiter belastet werden. Prof. Buchstein glaubt, dass sich die Lage des Institutes spätestens zum Herbst verbessern wird. Beim Dekanat renne man in dieser Frage „offene Türen“ ein. Wenn sich allerdings nicht bald etwas ändere, so fürchtet er, würden gerade gute, engagierte und zielstrebige Studenten Greifswald verlassen. Das allerdings kann in Niemandes Interesse sein. Alles in allem ist die Lage zwar schwierig, aber nicht hoffnungslos. Erste Maßnahmen sind bereits getroffen. Doch um langfristig etwas zu erreichen, müssen alle an einem Strang ziehen. Denn nur indem alle 587 (!) ihre Unzufriedenheit bekunden und damit Druck auf die Verantwortlichen ausüben, werden sie bewirken, dass man sie wahrnimmt und reagiert. Der Schwan scheint nicht rettungslos verloren…
politik
Die Veranstaltung hat bereits begonnen, doch der Hörsaal ist nur halbvoll. Etwa 90 Politikstudenten scheinen sich in den Reihen zu verlieren. Reichten noch einen Tag zuvor in den Vorlesungen die Sitzplatzkapazitäten kaum aus, bietet sich jetzt ein vermeintlich idyllisches Bild aus längst vergangenen Zeiten – also etwa von 2002, als die Seminare und Vorlesungen des In-stitutes für Politikwissenschaft noch Raum zur physischen und geistigen Entfaltung boten. Was ist geschehen? Es ist Mittwoch, der 21. April 2004, 20:00 Uhr. Bei dieser Veranstaltung handelt es sich „nur“ um eine Vollversammlung, auf der es um die Zukunft des Institutes mit dem inoffiziellen Symbol des Popperschen Schwans geht. Anwesenheitspflicht herrscht hier nicht, und 497 Studenten haben offenbar etwas Wichtigeres vor. Dennoch liegt ein Hauch von Krisensitzung in der Luft: Steil ansteigende Studierendenzahlen, überfüllte Seminare und trotz bewilligter Mittel nicht besetzte Lehraufträge sind nicht wegzudiskutierende Fakten. Der sonst nie um Ideen verlegene Fachschaftsrat ist ratlos. Wiederholte Gespräche mit Institutsleitung und Dekanat haben ihm nicht den Eindruck vermittelt, dass sich etwas bewegt. Die Liste seiner Lösungsvorschläge – Block- und Wochenendseminare, Aufstockung der Teilnehmerzahl in den Seminaren von 40 auf 60 oder die Kooperation mit anderen Instituten – ist lang, doch sie stieß bei den verantwortlichen Stellen auf taube Ohren. Auch den anwesenden Studenten fällt kein Ausweg ein, die Meinungen über die besten Maßnahmen gehen auseinander. Auf den natürlichen Schwund, der in den Sozialwissenschaften traditionell hoch ist, kann sich jedenfalls niemand verlassen. Nach der Regelstudienzeit bleiben zwar nur noch gut die Hälfte der Magister (56%) und drei Viertel
*ein sehr wichtiges Tier für jeden PoWi-Studenten, der die Geheimnisse seines Faches ergründen will, und deshalb das inoffizielle Maskottchen des Instituts. 63
Zurück in die Schule Politik-Studenten machen Schüler für die Kommunalwahl fit Von Kai Doering Als Student hat man es geschafft: Nach dem Abitur geht es zur Uni und die Schule wird nie wieder betreten. Eine Handvoll Politik-Studenten wagt sich jedoch zurück: „Studenten in die Schulen“ heißt ein Projekt, das nicht etwa das Ziel hat, Verpasstes nachzuholen, sondern Schülern die Kommunalwahl näher zu bringen.
„Die Politikverdrossenheit soll aus den Köpfen der Jugendlichen verschwinden.“
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„Mit dem Projekt verfolgen wir mehrere Ziele“, berichtet Chrisian Bäz, Leiter der Aktion auf Seite der Studenten, „Wir wollen die Politikverdrossenheit aus den Köpfen der Jugendlichen bekommen, ihnen zeigen, dass Politiker eigentlich auch nur ganz normale Menschen sind, die sich eben in ihrer Freizeit für ihre Mitmenschen einsetzen.“ Auf die Idee gekommen ist der gebürtige Greifswalder bei einer Klausurtagung zum Thema „Rechtsextremismus“, bei der er mit der Leiterin des Präventionsrates, Christine Dembski sowie der Leiterin der Max-Planck-Realschule ins Gespräch gekommen war. „Bei den Humanbiologen gibt es bereits eine ähnliche Zusammenarbeit, in deren Rahmen Studenten in den BioUnterricht gehen. Daran knüpfen wir jetzt an.“ Nach dem ersten Schritt tat sich Christian mit Svenja Winter, die ebenfalls Politik studiert, zusammen und sie machten sich gemeinsam mit der AG Schulen des Bürgerforums „Freitagsrunde“, dem „mobilen Beratungsteam“ sowie der „Civitas Netzwerkstelle“ an die Ausarbeitung der Ideen. Zusammen entwickelten sie ein Konzept zur anschaulichen Vermittlung der 64
Kommunalpolitik. „Unser Plan umfasst drei Stufen“, erzählt Christian. „In der ersten wollen wir die Grundinformationen vermitteln: Wer wird gewählt? Was sind die Aufgaben der Bürgerschaft? Wie ist sie aufgebaut? Danach sollen die Schüler Gruppen bilden, in denen sie selbst kleine Wahlprogramme entwerfen. Zum Abschluss werden sie dann eine eigene Bürgerschaft im Mini-Format wählen, in der dann richtig verhandelt werden soll.“ Sechzehn Studenten aus dem politikwissenschaftlichen Institut haben sich bereit erklärt, im Mai an die sieben teilnehmenden Schulen, die von der Hauptschule bis zum Gymnasium reichen, zu gehen und dort in Zweier-Gruppen das Projekt durchzuführen. „Unser Team ist bunt gemischt. Wir haben sowohl Zweitsemester als auch Leute, die schon seit einigen Jahren studieren.“ Als Anreiz diente neben dem Spaß, der die Studenten sicher
erwartet, auch eine Praktikumsbescheinigung des Instituts. Vorher wurden sie noch in einem Methoden-Seminar auf ihre Aufgabe vorbereitet.
Einige Studenten kandidieren selbst für die Bürgerschaft Bei der Gestaltung der Stunde besitzen die Studenten große Freiheiten. Ein Streitthema sei jedoch die mögliche parteipolitische Beeinflussung der Schüler gewesen, da einige der Studenten auch selbst bei der Kommunalwahl antreten. „Großen Einfluss werden sie aber kaum ausüben können, denn schließlich ist immer ein Lehrer dabei“, beruhigt Christian. „Ich denke eher, diese Sache ist für alle ein Highlight: Für die Schüler, weil sie mal ins Rathaus kommen und für uns, weil wir noch mal die Schulbank drücken können.“
Gehen nochmal in die Schule: Politikstudenten, die Erstwählern das System der Kommunalwahl erklären. Foto: ring moritz
Die Erstsemesterwoche: Eine eher unbefriedigende Bilanz ... Erstsemesterreferentin Conny Kampe neigt gelegentlich zu überschwenglichen Gefühlsausbrüchen. So kamen ihr im Herbst fast die Tränen der Verzweiflung, als sie am Begrüßungstag aus der Mensa heraus auf ein nicht enden wollendes Meer aus Erstis blickte. Tränen etwas anderer Art hätte die inzwischen geübte Organisatorin beinahe bei der Ersti-Begrüßung zum Sommersemester vergossen. „Es ist zwar alles gut gelaufen“, sagt Conny, „aber die Erstis waren nicht da.“ Von den gut 800 Neu-Immatrikulierten habe sie nur knapp 200 bei der Erstsemesterwoche gesehen.
Vielleicht habe es an dem ungünstigen Termin gelegen, schließlich begann die Erstsemesterwoche schon am 29. März und dauerte ganze 5 Tage. Oder an dem Markt der Möglichkeiten, der aus organisatorischen Gründen ausfiel. „Das schafft kein einzelner Referent“, erläutert Conny und führt weiter aus: „An der Organisation kann es nicht gelegen haben – wir haben genauso Plakate aufgehängt und Auslagen gemacht wie im letzten Semester und das komplette Programm war im Internet.“ Dennoch muss die Situation zumindest aus AStA-Sicht voraussehbar
gewesen sein: „Über die Ferien war bei uns im Büro so wenig los wie noch nie – im letzten Sommer haben die uns die Bude eingerannt.“ Langfristig müsse der AStA dennoch das Konzept der Ersti-Wochen überarbeiten, denn in den nächsten Jahren sei mit noch einem größeren Ansturm an Erstis zu rechnen. Conny resümiert: „Mein größter Dank gilt den Tutoren, denn die haben echt hervorragende Arbeit geleistet. Nur den Lehramt-Erstis erging es nicht so gut – da fanden sich aufgrund der vielen KombiUK nationen zu wenig Tutoren.“
Foto: ring
... und ein guter Start ins Studentenleben
mai 2004
habe? “Es war etwas schwierig, aber ich habe schließlich doch noch etwas zur Untermiete bekommen.” Inzwischen ist es vor der Mensa voller geworden. Tutoren in orangenen T-Shirts müssen immer wieder vertrösten. “Es dauert noch ein paar Minuten, tut mir leid.” Der zwanzigjährige Christian kennt die Prozedur schon. “Ich bin eigentlich kein richtiger Ersti”, gibt er zu. Er hat bereits vor einem halben Jahr hier gestanden, damals noch als angehender Betriebswirt. “Ich hatte mir unter BWL aber etwas ganz Anderes vorgestellt. Mit der vielen Mathematik war mir das dann doch zu trocken.” Nun hat er sich für Anglistik und Amerikanistik entschieden. Dasselbe Fach hat auch Wie-bke gewählt. “Ich habe allerdings zusätzlich noch Kommunikationswissenschaft und BWL als Nebenfächer”, erzählt die Zwanzigjährige, die es aus Hamburg nun in eine andere Hansestadt verschlagen hat. “Ich wollte auch gerne an eine kleine Uni, denn die Großstadt kenne ich ja schon,” erklärt sie .
Eigentlich sollte die Begrüßung um halb vier beginnen, inzwischen ist es viertel vor vier. “Da drin muss noch ein O2-Stand aufgebaut werden”, erklärt einer der Tutoren die Verspätung. Auch der neunzehnjährige Arne sieht etwas ungeduldig aus. “Ich bin von der ZVS nach Greifswald geschickt worden”, erzählt er. Eigentlich kommt der angehende Pharmazie-Student aus Hannover. “Als Wessi schreckt man ja erst ein wenig zurück, wenn man hört, dass man in den Osten soll.” Greifswald habe jedoch mit auf seiner Wunschliste gestanden – neben Münster und Kiel. “Ich wollte schon ganz gerne an die Küste.” Dann ist es endlich soweit. Erstsemesterreferentin Conny Kampe öffnet die Mensa-Türen und die Neu-Studenten erklimmen die Stufen zum Speisesaal, wo sie bereits von ihren Tutoren erwartet werden, die sie mit Ersti-T-Shirt und -Beutel in Empfang nehmen. Das stressige Studentenleben hat ring begonnen. Viel Spaß dabei!
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Der Frühling hat in Greifswald Einzug gehalten, als am letzten Tag im März die Erstsemester zum Sommersemester 2004 vor der Mensa stehen und ungeduldig darauf warten, endlich hereingelassen zu werden. Viele der frischgebackenen Studenten wissen noch nicht so genau, was auf sie zukommt. “Im Faltblatt stand etwas von Begrüßung und Einführung”, sagt die zwanzigjährige Steffi, die in Greifswald ihr Pharmaziestudium beginnen möchte. Die Stadt kennt sie bereits gut, denn sie lebte bisher auf Rügen. Auch für Tine ist die Stadt kein Neuland mehr. “Ich bin in Greifswald geboren”, berichtet die Zwanzigjährige. Was läge da näher als auch in der Heimatstadt zu studieren. Anglistik und Amerikanistik sollen es bei ihr sein. Beim Warten hat sie die gleichaltrige Saskia aus Berlin getroffen, die sogar dasselbe Fach studieren möchte. “Mir ist Greifswald von Freunden empfohlen worden”, erzählt sie. Ob sie gleich eine Unterkunft gefunden
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Zwischen Tradition und Wandel Universitätsbibliothek feiert 400-jähriges Jubiläum / Von Yvonne Mathei
Uni-Bibliothek damals ...
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Seit 1604 hat die Universität Greifswald eine eigene Bibliothek, heute, 400 Jahre später, beherbergt die Greifswalder Universitätsbibliothek wahre Schätze an alten Büchern. Das wohl älteste ist eine Gutenberg-Bibel – mehr als 535 Jahre alt. Bereits vor 1604 gab es für Studenten an der seit 1456 existierenden Universität in Greifswald Nachschlagewerke, Bücher und Verzeichnisse, allerdings nicht in den uns bekannten Ausmaßen. Laut Bibliotheksdirektor Dr. rer. nat. Hans-Armin Knöppel gab es vor 1600 ca. 100 Bibeln beziehungsweise Verzeichnisse. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich die wenigen vorhandenen Bücher bei den Professoren, die in einem Haus lebten, lehrten und forschten. Den Anstoß zu einer gemeinsamen Bibliothek für alle Fakultäten gab eine am 17. April 1604 aufgegebene Bücherbestellung des Greifswalder Theologieprofessors Friedrich Runge bei Samuel Selfisch, einem berühmten Buchhändler und Verleger aus Wittenberg. Es wurden damals über 500 Bücher im Wert von 2000 Gulden von der Universitätsbibliothek erworben. Das Besondere an diesem Vertrag ist der optimistische Blick Friedrich Runges in die Zukunft, denn 66
die letzte Rate für die wissenschaftliche Literatur wurde erst im Jahr 1699 gezahlt. Das Vertrauen von Runges in den Universitäts-standort Greifswald hat sich gelohnt, denn trotz des 30-jährigen Krieges mit all seinen Krisen konnte sich Greifswald behaupten. Die stetige Zunahme des Buchbestandes erforderte mehr Platz. Die Bibliothek zog in die Rubenowstraße 4 um, wo auch die Spezialsammlungen „Altes Buch“ und
... und heute.
„Pomeranica“ zu finden sind. Aufgrund der großen Kapazitätsprobleme in der Rubenowstraße und der ungenügenden Arbeitsmöglichkeiten für Studenten zog die Bibliothek 2001 in das neue Gebäude am Berthold-Beitz-Platz um. Aber wie sieht die Zukunft unserer Bibliothek aus? Darauf gibt es nach Aussage von Dr. Knöppel keine eindeutige Antwort. Niemand kann im Moment sagen, inwieweit Bücher durch elektronische Medien ersetzt werden. Im großen strukturellen Wandel der Medienlandschaft werden Informationen zu einem immer begehrteren Gut, die wirklich hohen Kosten könnten bei einer zunehmend elektronischen Weitergabe in den Lizenzkosten liegen. Der Bibliothek könnte zunehmend die Aufgabe eines Vermittlers zukommen, der uns hilft, an das benötigte Fachwissen zu gelangen. Befragt nach seinen Wünschen für die Zukunft der Bibliothek nennt Dr. Knöppel die Entstehung einer großen gemeinschaftlichen Bibliothek für die gesamtem Geisteswissenschaften und eine gute Bewältigung des strukturellen Wandels.
Fotos: ring
moritz
Neue Wege der Evaluation Mediziner bewerten ihre Profs per SMS / Von Yvonne Mathei
mai 2004
lichen Bewertungen von “A” für voll Universität in Wien hat bereits ihr bis “D” für überhaupt nicht zutrefInteresse an dieser interessanten fend, wurde die SMS dann an die Innovation bekundet. Telekom gesendet. Dort wurden die Bernd Kordaß sieht in Handys eine empfangenen SMS in E-Mails mögliche universale Kommunikaumgesetzt und schnell standen die tionsplattform für Universitäten in Bewertungen dem Dekanat zur naher Zukunft, denn die KommuniVerfügung. Zur besseren Überschaubarkeit und Auswertung erscheinen die Angaben für “trifft voll zu” und “trifft eher zu” als grüne Balken, alle Aussagen für Möglichkeit “C”, trifft eher nicht zu, oder “D”, trifft überhaupt nicht zu, waren als rote Balken erkennbar. Mit der Software kann für jede Lehrveranstaltung an jedem Tag eine detaillierte Übersicht erstellt werden und mögliche Änderungen in der Bewertung sind sofort anhand der Balken zu erkennen. Nach Aussage von Projektleiter Bernd Kordaß bewegte sich im Großen und Ganzen die Mehrheit der Angaben von den 1600 eingegangenen E-Mails im grünen Bereich. Die Akzeptanz war soBeschreitet neue Wege der Evaluation: Prof. Dr. wohl bei den Studenten Foto: yvo Bernd Kordaß. als auch bei den Dozenten positiv, die durchschnittliche Beteiligung an den kation kann nicht nur einseitig in Votings lag bei 48 Studenten. Als der Evaluation per SMS stattfinden. kleinen Anreiz, sich häufig zu beteiStudenten könnten auch schnell ligen, erhielten die vier häufigsten über mögliche Veränderungen bei Voter am Ende ein Handy mit einer den Lehrveranstaltungen, Parties Prepaid-Karte im Wert von 30 Euro. oder Versammlungen benachrichDa ab dem Wintersemester alle tigt werden. Medizinstudenten die Möglichkeit Belohnt werden sie dann zwar nicht zur Evaluation per Handy bekommit Handys, sondern “nur” mit men sollen, stellt sich die Frage der schnellen Verbesserungen bei VorZukunftsfähigkeit für die gesamte lesungen und Seminaren, aber das Universität Greifswald. Auch die sollte es uns wert sein, oder?
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Welcher Student kennt das Ritual nicht: das Semester neigt sich dem Ende zu und es ist wieder die Zeit der Evaluierungsbögen. Die Probleme dieser Methode sind offensichtlich: Eine zeitnahe Auswertung ist schwierig und aufwendig, Konsequenzen sind frühestens im nächsten Semester spürbar. An der Medizinischen Fakultät wurde in einer halbjährigen Testphase ein neuer Weg in der Evaluation beschritten, der bis jetzt in Deutschland einmalig ist – die Bewertung der Dozenten und Lehrveranstaltungen per SMS. Initiator und Projektleiter Bernd Kordaß nennt die Neuerungen der Approbationsordnung vor knapp zwei Jahren als Hauptgrund für den Entschluss, neue Wege in der Evaluation zu suchen. Diese Neuerungen schreiben unter anderem vor, dass sich die Dozenten der Bewertung der Studenten stellen und diese Ergebnisse veröffentlich werden. Damit eventuelle Schwachstellen oder Probleme im neuen Konzept schnellstmöglich erkannt werden, mussten die Studenten zeitnah nach den Lehrveranstaltungen eine Bewertung abgeben können. Eine Evaluation per Handy stellte sich aufgrund von Schnelligkeit und überschaubaren Kosten als beste Idee heraus. Die Modellphase wurde zunächst von T-Mobile mit Handys und Prepaid-Karten unterstützt. So konnten 60 Medizinstudenten im 5. Semester gut gerüstet zur Tat schreiten. Nach jeder Lehrveranstaltung hatten sie die Möglichkeit, per SMS ihre Bewertung abzugeben. Dabei standen acht Aussagen zur Verfügung. Bei den Aussagen handelt es sich um Angaben wie “Der Lehrstoff wurde in angemessenem Tempo vermittelt” oder “Der Lehrstoff wurde verständlich vermittelt”. In Kombination mit der Vorlesungsnummer und den jeweils vier mög-
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Diplomatie für Fortgeschrittene Greifswalder Studenten nahmen an UN-Simulation teil Von Sarah Rieser
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Das Hilton, New York, USA, Anfang April. 3200 Studenten aus 60 Ländern der Erde simulieren eine Woche lang in verschiedensten Komitees die Arbeit der UN. Unter ihnen auch eine 18-köpfige Delegation aus Greifswald. Nach einem Semester Vorbereitung war es endlich soweit: NMUN, die Model United Nations in New York. Angefangen hatte alles im November 2003, als wir erfuhren welches Land wir in New York vertreten würden. Mit Kolumbien hatten wir ein interessantes, aber auch schwieriges Land zugeteilt bekommen. Eine Herausforderung, die wir aber alle gerne annahmen. Die nächsten Wochen waren, unterstützt durch einen sehr interessanten Vortrag von Prof. Wolf damit gefüllt, sich über das Land zu informieren, seine Geschichte, seine Probleme, und seine Menschen kennen zu lernen (und wer jetzt bei Kolumbien nur an Kaffee und Drogen denkt, hat viel über diese vielseitige Republik zu lernen). Im Dezember simulierten wir das erste Mal einen ganzen Tag lang die Generalversammlung. Der Seminarraum des Politikinstituts wurde zum Plenarsaal umfunktioniert, in dem die USA und der Sudan miteinander stritten, Resolutionen geschrieben und verabschiedet wurden. 20 Studenten saßen freiwillig am Wochenende in Anzug und Kostüm in der Uni und diskutieren ernsthaft. Spaß gemacht hat es allen. Ein weiterer wichtiger Schritt auf unserem Weg nach New York war unser Besuch bei der kolumbianischen Botschaft und dem Auswärtigen Amt in Berlin Mitte Januar echte Diplomatenluft schnuppern, sozusagen. Und es lohnte sich: In der kolumbianischen Botschaft wurden wir freundlich empfangen und man nahm sich - trotz des bevorstehenden Besuches des Präsidenten Uribe in Berlin - jede Menge Zeit, all unsere Fragen zu 68
beantworten. Im Auswärtigen Amt erfuhren wir dann durch den Referatsleiter für Lateinamerika noch viel Interessantes und durften - was auch nicht zu verachten ist - mit dem letzten Paternoster Berlins fahren. Nach effektiver Vorbereitung stand Ende Februar unsere Generalprobe in Weimar an: das German Model United Nations (GerMUN). Im Unterschied zum noch bevorstehenden NMUN in New York hatte jeder Teilnehmer ein eigenes Land zugewiesen bekommen. Vier Tage und Nächte lang versuchten wir, die Interessen unseres Landes effektiv zu vertreten und arbeiteten an dem Entwurf zahlreicher Resolutionen mit. Müde, aber dennoch zufrieden konnten wir uns nach der Zeit in Weimar getrost Richtung New York wagen. Denn wenn wir Eines beherrschten, so war es das rigorose (oder doch lieber strenge?) Regelwerk der NMUN. Dann war es endlich soweit: NMUN war da. New York war, nach Weimar, noch einmal eine Steigerung. Jetzt mussten wir uns nicht nur gegen andere deutsche Unis behaupten, für die Englisch genauso eine Fremdsprache war wie
für uns, sondern gegen viele amerikanische Studenten. Außerdem galt es natürlich, die Interessen Kolumbiens so realistisch wie möglich zu vertreten. Für fünf Tage waren wir keine Studenten, sondern Diplomaten aus den verschiedensten Ländern, die miteinander diskutierten, stritten und Kompromisse schlossen. In allen Komitees herrschte eine realistische Arbeitsatmosphäre und wir bekamen eine Ahnung davon, wie stimulierend und spannend, aber auch anstrengend die Arbeit eines echten Diplomaten ist. “Belohnt” wurden unsere Anstrengungen, als die von uns verfassten Resolutionen verabschiedet wurden. Schade, dass die Woche so schnell vorbeiging, es war ein faszinierender Einblick in die Arbeit einer Weltorganisation, den wohl keiner so schnell vergessen wird. Möglich war dieser Einblick, der leider auch Geld kostet, nur mit der Hilfe vieler Sponsoren: dem Auswärtigen Amt, dem DAAD, der Dräger Stiftung, der Haniel Stiftung und den Fachschaftsräten für Politikwissenschaft und Jura. Danke für eine einmalige Erfahrung.
Die „kolumbianische Delegation aus Greifswald“ im Hilton.
Foto: E. Kibler
moritz
Familienzuwachs Was sich durch die EU-Osterweiterung ändert Von Kai Doering
mai 2004
Einwohnerzahl und Landmasse viel deutlicher als es nun die zehn östlichen Länder tun. Trotzdem bedarf es weit reichender Reformen in der Gemeinschaft, damit die Erweiterung zu einem Erfolg wird. Bereits im Dezember 2000 einigten sich die Spitzenpolitiker Europas in Nizza auf Erneuerungen, welche die EU auch nach der Aufnahme zehn
Europäische und deutsche Flagge in Berlin. Foto: ring weiterer Staaten handlungsfähig machen sollten. Kurz darauf kam man zwar zu der Einsicht, dass eine gemeinsame europäische Verfassung diese Aufgabe noch viel besser erfüllen könne, doch derzeit wird der Vertrag von Nizza umgesetzt – teilweise unter heftigen Auseinandersetzungen. Gleichzeitig arbeitet ein Konvent unter dem ehemaligen französischen Präsidenten Valéry Giscard d’Estaing an einem Verfassungsentwurf. Der Vertrag von Nizza sieht vor, dass die Europäische Kommission, der das Vorschlagsrecht für Gesetzesinitia-tiven zusteht und die damit eine Art europäische Regierung ist, von zwanzig auf 25 Kommissare an-wächst. Jedes Land hat also in Zukunft einen Kommissar in Brüs-sel – bisher standen den “Großen” zwei Posten zu. Auch dem gesetzgebenden
Organ, dem Allgemeinen Rat, in dem Minister aus den jeweiligen Staatsregierungen sitzen, stehen Änderungen bevor. So werden bisher die Stimmen der Länder je nach ihrer Größe unterschiedlich gewichtet. Ab 2009 ist damit Schluss. Als Mehrheit gilt dann, wenn sich eine Mehrheit der Mitgliedstaaten für ein Ja entscheidet und diese Mehrheit der Staaten drei Fünfteln der EU-Bevölkerung entspricht. Dies ist die so genannte “doppelte Mehrheit”. Auch das Mitspracherecht des Europäischen Parlaments – derzeit sitzen dort 626 gewählte Abgeordnete, in Zukunft werden es 732 sein – wird durch den Nizza-Vertrag ausgeweitet. Die nächste Europa-Wahl findet am 13. Juni dieses Jahres statt Rechtlich hat sich nach dem ersten Mai ebenfalls einiges geändert. So werden nationale Polizei- und Justizbehörden in Zukunft noch enger zusammenarbeiten. Ab 2006 wird es ein vernetztes Visa-Informationssystem geben, das es erlaubt, Fingerabdruck, Foto und persönliche Daten auf einem Chip zu speichern. Zusätzlich wird das Strafrecht zunehmend vereinheitlicht. Ab diesem Jahr sollen bei 32 Delikten Kriminelle in allen Mitgliedsländern verhaftet und ohne großen bürokratischen Aufwand ausgeliefert werden. Vorsicht auch in Zukunft beim Falschparken im Urlaub: Mit dem “Euro-Knöllchen” werden Falschparker und Temposünder nun auch über die Landesgrenze hinweg verfolgt. Bei allen Vorbehalten sollte Europa als Chance begriffen werden. Kulturell wächst sowieso “zusammen, was zusammen gehört”. Das Europa der 25 bleibt ja auch nicht lange für sich. 2007 sollen Rumänien und Bulgarien hinzukommen und dann ist da ja auch noch die Türkei…
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Einen geschichtsträchtigeren Ort hätten sie kaum wählen können. Am 16. April 2003 besiegelten 15 alte und 10 neue Regierungschefs auf dem antiken Marktplatz Athens, der Agora, die größte Erweiterung in der 50-jährigen Geschichte der EU. Am 1. Mai ist die Gemeinschaft nun um 75 Millionen Menschen gewachsen. Nach der Aufnahme von Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, der Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern grenzt die EU künftig an Russland, Weißrussland und die Ukraine - und mit Zypern auch an den Nahen Osten. Begleitet wird die Staaten-Anbindung von ebenso vielen Hoffnungen wie Ängsten, denn auch wenn Erweiterungskommissar Günther Verheugen das Ereignis als die “am besten vorbereitete Erweiterung” in der Geschichte der EU bezeichnet hat, haben viele Menschen Vorbehalte. Wie wird sich die wirtschaftliche Kluft zwischen Neulingen und Altmitgliedern schließen lassen? Wird es nicht in Zukunft zu Verteilungskämpfen um Subventionen kommen? Muss mit einem Ansturm an billigen Arbeitskräften gerechnet werden? Kann die EU zehn neue Staaten überhaupt bürokratisch bewältigen? Wird die Organisation gar zu einem blockierten Riesen? Auch wenn viele Fragen erst im Laufe der Geschichte beantwortet werden können, so muss man doch sagen, dass die Europäische Union stetig gewachsen ist – zuletzt 1995 mit der Aufnahme Finnlands, Österreichs und Schwedens. Die Erweiterung zum Mai dieses Jahres war lediglich spektakulär was die Zahl der beitretenden Staaten angeht. Der Zugang Spaniens, Portugals und Griechenlands in den achtziger Jahren vergrößerte die Gemeinschaft nämlich hinsichtlich
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„Die Menschen motivieren, wieder essen zu gehen.“
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Alles läuft auf den 24. Juni 2004 hinaus. Am längsten Tag des Jahres werden die Werke präsentiert, die zum diesjährigen Wettbewerb eingereicht wurden. Beteiligen können sich alle eingeschriebenen Studenten des Caspar-David-Friedrich-Instituts.
politik
I N S O M NA L E 2 0 0 4 4. Wettbewerbspreis des Caspar-David-Friedrich-Instituts
Greifswalder Studenten vermarkten Restaurantgutscheinheft „Ideen hat man nur, wenn nehmen-Effekt“ dazu, wodurch sich man was erlebt.“ Das wusste die Zielgruppe etwas ausweitet. Es schon Loriot, der Altmeister des spielten zwar nicht alle Restaurants deutschen Humors. Wenn man mit und einige verlangten Kathleen Schluricke, Projektleiterin Sonderkonditionen, aber diejenivon start.vorpommern, zuhört, gen, die dabei sind, waren von mag man glauben, Greifswalder Anfang an begeistert von der Idee, Studenten würden nichts erleben. versichern die drei UnternehmensIm ersten Jahr des auf zweieinhalb gründer. Herausgekommen ist ein Jahre ausgelegten Existenzgründerungewohnter und bunter Resprojekts für Studenten, wofür extra taurantmix mit Exoten wie dem ein eigenes Büro in der Loeff„Malaysia Restaurant Kuala Lumlerstraße eingerichtet wurde, kamen pur“ in der Pappelallee oder auch lediglich sechs Studenten und etwa 15 akademische Mitarbeiter mit Ideen vorbei, um diese mit Hilfe in die Tat umzusetzen. Seit Januar dennoch dabei und hoffentlich erfolgreich: die Greifswalder Studenten Pierre Freyber, Nicolai Kuhn und Göran Witt. Am 29.4. stellten sie ihr Projekt der Öffent- Pressekonferenz für den Schlemmerpass am 29. Foto: UK lichkeit vor. Ihre April. Links die 3 Unternehmensgründer. Idee: ein Restaurantgutscheinheft. In Greifswald ein dem Hotel Seebrücke in Lubmin. Novum, wenn man Petra Hilger, Aber auch das „Café Caspar“ oder Geschäftsführerin der Greifswald das „Fellini“ am Fischmarkt haben Information, glauben darf. Euphomitgemacht. „Es sind alles eher die risch lobt sie das Projekt und beweniger bekannten aber oftmals scheinigt Greifswald gastronomisehr guten Restaurants auch außerschen Nachholbedarf. Marianne halb“, erzählt Göran Witt: „Die freuBethge, Besitzerin des Hotels en sich über eine Chance, ihr Kronprinz, pflichtet bei: „Wir müsGeschäft wieder etwas anzukursen die Menschen motivieren, wiebeln.“ Gerade in Anbetracht des der essen zu gehen!“ Sommers mögen die Projektler Wie funktioniert das Ganze? Man recht haben, die die Greifswalder kauft sich das Gutscheinheft für 19 Restaurantszene als wichtigen Teil Euro an einer der Verkaufsstellen, des Wirtschaftslebens einschätzen. zum Beispiel der Greifswald Bei den 1700 RestaurantgutscheiInformation am Markt. Dann geht nen wollen es die Gründer nicht man in eines der 17 beteiligten belassen. Mit juristischer Hilfe von Restaurants und bestellt ein start.vorpommern gründeten sie im Hauptgericht und bekommt ein März die Campus Marketing GreifsGericht gratis dazu. Zu dem Essen wald GbR und denken zumindest an gehen an sich kommt noch der „icheine Neuauflage des Heftes, wenn es UK kann-ja-mal-wieder-jemanden-mitgut läuft. moritz
playmoritz
Studentinnen: Unsere H端bschesten Reime: Ein Bildungsausflug
Kreuzmoritsel Friedhelm
mai 2004
playmoritz
m. trifft: Egon K端hl
Holla die Waldfee! In der März-Ausgabe des guten alten Playboy konnte man die „10 schönsten Studentinnen Deutschlands“ bewundern. Scheinbar hat der Playboy nicht ordentlich recherchiert. Wie kann es sein, dass in einer solchen Studie keine Studentin aus Greifswald auftaucht? moritz gibt Hugh Hefner hiermit etwas Nachhilfeunterricht. Fotos: Julia Kindt und Eric Wallis
Maike 21 Jahre, aus Brandenburg studiert Geographie im 5. Semester
Laura playmoritz
22 Jahre, aus Berlin studiert Politikwissenschaft, Öffentliches Recht und Kommunikationswissenschaft
Anja 23 Jahre, aus Buxtehude studiert Medizin im 6. Semester 72
moritz
Katja
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21 Jahre, aus Greifswald
mai 2004
Diana
Katja
23 Jahre geboren in Frankfurt/Oder, aufgewachsen in Greifswald Studium der BWL abgeschlossen, Promotionsstudentin
23 Jahre geboren in Finnland, ab dem 4. Lebensjahr in Greifswald studiert Jura im 10. Semester, lernt gerade f端r ihr 1. Staatsexamen 73
Ein Bildungsausflug Von Eric Wallis
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Die hohen Herren im Bundestag sind schon ein toller Haufen. Ich persönlich ginge gern mit denen einen Saufen.
Kurz vor 12 wolln alle los, nur Schäuble pennt schon wieder. Nach dem Kotzen geht’s dann doch. Die Roth singt deutsche Lieder.
Auf dem Klo bricht Claudia Roth ins Männerpissoir. Westerwelle der fragt rum nach nem Reservoir.
Ich spendier sogar den Bus der fährt sie dann nach hier. Und während der Nachtfahrt schon reichte ich den hohen Herren Bier.
Vor der Mensa ist was los, da ist ne lange Schlange, leider kotzt nun Schröder auch ner Blonden an die Wange.
So ein älterer Student, der wusste, was er wollte, treibt’s im Busch am Einganstor kurz mit Claudia Nolte.
Ankunft Dienstag Abend dann, gleich ab in den "Klub Neun", da kostet Becks 1,50 nur das wird Hans Eichel freun.
Drinnen ist die Stimmung toll der Westerwelle macht jeden Barmann zweimal an wobei er sachte lacht.
Da vorne torkelt irgendwer mit ordentlich ein im Tee, wohl ein unbekannter Typ aus der SPD.
Bald trinkt er schon das sechste Becks und den dritten Kurzen. Vom Bohneneintopf kurz vor 8 müssen alle furzen.
Bier kaputt. So rekelt sich als die Hippies pogen, die Merkel (hat es kalt erwischt – Die Frontfrau liegt am Boden).
Müntefering der rockt ab mit MC Riester Walter. Check it out und sech ma hey sech ma ho min Alter.
Doch das ist nicht weiter wild das macht man ja beim Tanzen. Jürgen Trittin, der raucht hinten um die Ecke Pflanzen.
Doch sie steht auf, weil unten da hat es schlecht gerochen, Daran ist der Schäuble schuld, denn der hat hin gebrochen.
Chef vom moritz Norman G trinkt noch einen Schluck. Danach wandert er zum Treffer und zwar mit Peter Struck.
Kanzler Schröder ist gut bei er kriegt was ausgegeben und solang die Grünen zahlen tut er mächtig heben.
Stoiber angelt sich ne Braune haut ihr auf den Arsch. Was ein rechter Bayer ist, dem bläst man gern den Marsch.
Dieser ist ganz böse voll und redet von Raketen, Beate Uhse, Haschischtod und von den Diäten.
Claudia Roth die Grüne Sau sucht das Frauenbad. ist hier nicht – hier ist gemischt wie im Bundestag.
Schlägerei mit Walter Riester der prügelt mit Studenten. Im Gespräch ging es um Fraun und um sichre Renten
Sonnabend im Mensa Klub gibt’s noch mal Bier und Klare und Sonntag früh verteile ich die Einschreibformulare.
Mittwoch da ist Movie Night auf Englisch leider nur. Da geht auch nur der Gysi hin, denn der hat Abitur.
Claudia Roth wird abgeschleppt von meinem Kumpel Jens. Der nimmt sie mit zu sich nach Haus dort gibt’s noch Wurst und Flens.
Ja, Greifswald, freu dich! Denn du hast nun wieder neue Kinder. Sie kommen aus dem Bundestag und sind so klug wie Rinder.
Donnerstag ist Mensa dran. Doch schon ab um 8, wird bei mir lustig vorgeglüht bis die Schwarte kracht.
Ne Jacke fehlt, wurd wohl geklaut. Das war dem Clement seine. Er ist betrübt, ich sag was solls, klau dir doch wieder eine
moritz
m. trifft... Egon Kühl, Wachmann in der Dompassage Alter: 52. Größe: 176 cm.
Krieg als Heizer bei der Bahn gearbeitet und das fand ich toll.
Gewicht: 88,3 kg Kampfgewicht.
Berufsbezeichnung: Separat-Wachmann. Lieblingsessen: Eisbein und Grützwurst. Lieblingsbuch: Kein Bestimmtes. Alles von Konsalik ist super. Lieblings-CD: Ich bin mit den Puhdys aufgewachsen und die finde ich immer noch richtig gut. Lieblings-Film: Habe ich nicht. Am liebsten sehe ich Action-Filme und Krimis. Wie lässt sich Ihre Tätitkeit in drei Sätzen beschreiben? In meinem Beruf erlebe ich jeden Tag etwas Neues. Meistens ist es in der Dompassage sehr interessant. Man lernt hier nämlich viele Menschen kennen. Welches Handwerk würden Sie gerne beherrschen? Ich bin mir nicht sicher, ob man das als Handwerk bezeichnen kann, aber ich würde sehr gerne Segeln können. Wie sah als Kind Ihr Traumberuf aus? Als Kinder wollten wir alle Lokführer werden. Die Gleise führten direkt hinter unserem Haus entlang und da hörten wir die Züge immer. Außerdem hat mein Vater nach dem
Was verabscheuen Sie am meisten? Die Gleichgültigkeit zwischen den Menschen. Heute ist sich doch jeder selbst der Nächste. Das fängt ja schon in der Hausgemein- Sorgt in der Dompassage für Ordnung: Egon Kühl. Foto: ring schaft an. Da kennt man sich für Medizin entscheiden. doch kaum noch. Vor der Wende war das auf jeden Fall anders. Dazu Ihr Lieblingstier ist… kommt die hohe Arbeitslosigkeit. Zu Hause. Es ist unser kleiner Chihuahua „Billy“, den ich meiner Welche Menschen unserer Zeit Frau geschenkt habe. Er ist inzwioder der Geschichte bewunschen schon fünf. dern Sie am meisten? Na ja, ich war ja selbst zwölf Jahre Worauf schauen Sie bei einem Soldat und da bewundert man naMenschen als erstes? türlich schon so gewisse Helden des Auf jeden Fall ins Gesicht und da Zweiten Weltkriegs. Dies sind nicht besonders in die Augen. nur unbedingt die sowjetischen, sondern auch Männer wie zum Was ist Ihr persönlicher JungBeispiel Rommel. Wichtig ist, dass brunnen? man beide Seiten sieht. In erster Linie die viele Bewegung bei meiner Arbeit hier in der DomWo würden Sie gerne leben? passage. Im Sommer fahre ich aber Auf jeden Fall in Greifswald – schon auch viel Fahrrad. Ich denke, die wegen meiner Frau. Wir reisen zwar gute frische Luft hält automatisch beide sehr gerne und haben schon jung. viele Länder kennen gelernt, aber es zieht uns doch immer wieder hierHaben Sie einen Lieblingsplatz her zurück. in Greifswald? Ich denke, das ist die Pappelallee. Welches Fach würden Sie in Da gehen meine Frau und ich sehr Greifswald studieren? gerne gemeinsam spazieren. Mich interessiert immer der Mensch und ich helfe gerne Menjazzy/ring schen. Deshalb würde ich mich wohl
playmoritz
Sternzeichen: Skorpion.
75 mai 2004
kreuzmoritsel
Pack die Badehose ein Von Vera Doering Die Tage sind wieder länger, die Temperaturen höher und die Hosen kürzer. Der Sommer ist da. Auch im Kreuzmoritsel geht es diesmal um die schönste Jahreszeit. Es gilt Begriffe zu finden, die (manchmal etwas entfernt) mit dem Sommer zu tun haben. Viel Spaß beim Knobeln! Waagerecht: 1. Vorspeise im Restaurant 4. Skatbegriff 5. KFZ-Kennzeichen von Helmstedt 6. Hiervon sind wir im Sommer meist nicht so begeistert 9. Kurzform von Maria 10. Vogelprodukt 12. KFZ-Kennzeichen von München 13. Präposition 15. Die einzigen Erhebungen an der See 17. unerlässliches Utensil beim
Angeln 20.Wovor sollte man sich am Strand schützen? 23. KFZ-Kennzeichen des Emslands 25. sollte man in den Ferien vermeiden 26.ein nicht gänzlich von Wasser umspültes Stück Land
Senkrecht: 1. Hier zu baden macht mehr Spaß als „überdacht“ 2. Sitzgelegenheit am Strand
3. Augenblick 7. Was Ihr alle möchtet 8. KFZ-Kennzeichen vom Landkreis Eichstätt 11. französisch: Sommer 14. KFZ-Kennzeichen von Ostholstein 16. KFZ-Kennzeichen von Hildesheim 18. Spielkarte 19. scheues Waldtier 22. für das Hairstyling benötigtes Hilfsmittel 23. französischer männlicher Artikel
Gewinner! Beim letzten Mal lautete das Lösungswort:
PROTEST 15 (!) kluge Leute meldeten es an uns weiter. Das Los entschied und moritz schuldet nun
KATRIN RABE, Pharmazie und
playmoritz
THOMAS MAIER, Polonistik einen mit ihm höchstpersönlich bedruckten Kaffeebecher. Der wartet im Redaktionsbüro.
Lösungen bitte bis Mitte Juni an moritz@uni-greifswald.de, Stichwort: kreuzmoritsel. Oder in die Briefkästen in Mensa und Audimax. 76
moritz
Greifswald von unten
Hasch mich! Von Friedhelm (mit Manuela Wiese)
Stunden, und da kann ich mich nicht blauäugig darauf verlassen, dass die Hündin meiner Träume zur selben Zeit mit ihren Menschen unterwegs ist wie ich. Ein leichter Luftzug durchfährt mein bronzefarbenes Fell. Fröhlich streune ich durch die Büsche, während sich mein Frauchen angeregt mit einem sympatischen Mann unterhält. Das dort drüben riecht doch sehr nach einem Weibchen! Wollige Vorfreude breitet sich in meinen Gliedern aus. Das ist eindeutig der Duft dieser rassigen Schäferhündin, mit der ich letztes Jahr einen SuperSommer am Strand hatte. Leider war sie mit ihrem Besitzer für ein halbes Jahr in Timbuktu, um das Paarungsverhalten der rotbäuchigen Wiesenfledermaus zu untersuchen. Jedenfalls hat sie mir das
erzählt, aber wir alle wissen ja, daß Schäferhündinnen ab einem gewissen Alter (sie ist 7) zu Übertreibungen neigen. Auch ich bin schon viel rumgekommen auf der guten, alten Erde. Zum Beispiel in die Masuren. Ein schönes Fleckchen Erde. Ideal für mich. Überall kann man seine großen und kleinen Nachrichten hinterlassen, und weil dort alles so wahnsinnig groß und weit ist, und wahrscheinlich nie ein anderer Hund sie lesen wird, konnte ich dort mal die ganz tiefen Gedanken ausdrücken, die so auf meiner Seele lasteten. Ist fast wie Tagebuch schreiben. Hund-im-Himmel, jetzt bin ich aber abgeschweift. Bin ganz durch den Wind wegen der vielen verwirrenden Gefühle. Nächstes Mal also wieder mehr über Hochschulpolitik.
playmoritz
Tief und genüsslich atme ich die warme Brise des aufkommenden Sommers in meine Hundenase. Ja, der Winter, der alte Schurke, hat das Feld geräumt. Und ich muss mir nicht mehr dauernd diese blöden Sprüche vom Hundewetter anhören. Doch wenn ich es mir recht überlege: Es ist schon was dran. Wenn es in Greifswald regnet, fällt es mir doch wesentlich leichter als Frauchen, nach draußen zu gehen. Ihr müsst wissen, ich bekomme immer so schöne Locken vom Regen, und da stehen die Weibchen drauf. Jetzt, wo alles, was auf der Erde kreucht und fleucht, auf Paarung und Fortpflanzung aus ist, kann so ein kleiner Zusatzbonus bei den Damen nicht schaden. Also mache ich mich mit Frauchen auf den Weg zum Wall. Die schöne, grüne Hundeflaniermeile im Herzen von Greifswald ist neben Frauchens Küche mein Lieblingsplatz. Wenn man in der Küche durch clevere Platzwahl maximale Aufmerksamkeit erregt (indem man zum Beispiel Besuchern den Weg zum Klo versperrt), so geht es auf dem Wall um Sehen-und-gesehen-werden. Mit großer Zielsicherheit hinterlasse ich also an meinen Lieblingsbäumen das „Eau de Friedhelm“. Das ist so ähnlich, wie wenn ihr Menschen auf Kontaktanzeigen antwortet. Schließlich kann ich den Erhalt meiner genetischen Linie nicht dem Zufall überlassen. Der Tag hat 24
Fußball ist langweilig? Die EM geht 6 Wochen? Wir haben die Filmeuropameister! Wenn sich Ihre Männer zu Hause die Fußball-EM ansehen, kommen Sie doch einfach mit allen „FußballOpfern“ ins Kino. Im CineStar Greifswald sehen Sie die Europameister des Films für nur 5,00 € pro Film. Ein Glas Sekt ist auch im Preis enthalten. 2.Juni: „Kalender Girls“ / 9.Juni: „Nòi Albinòi“ / 16. Juni: „Die Rückkehr“ / 21.Juni: „Montags in der Sonne“ / 28.Juni: „Gegen die Wand“ / 7.Juli: „Monsieur Ibrahim und die Blume des Koran“ mai 2004
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Arvids Kolumne
Das neue Mittelalter, Vol. 1 Prophezeiungen – Kostenlos oder für umsonst? Von Arvid Hansmann
arvids kolumne
Als ich vor einiger Zeit eine der bunt bestückten Sonntagszeitungen durchblätterte, fiel mir ein kompakter Artikel ins Auge. „Meine Träume sind wieder die meinen ...“ war er betitelt. „Bildfasten als Seelenhygiene“ war das Schlagwort auf das der Autor, ein Pastor aus der Region, seine Argumentation aufbaute. Ich konnte mich vielem von dem anschließen: Die Überschüttung mit „Bildermüll“ und die dadurch zunehmend erstickte Welt der eigenen Phantasien und Visionen war Grundlage seiner Kritik. Auch der große Umberto Eco hat sich mit dem Überangebot an Informationen auseinandergesetzt. Am 20. September 2001 schrieb er über das italienische Fernsehangebot: „Wenn die Kanäle sich zu rasch vermehren und immer komplizierter werden, wird auch die Suche nach Inhalten oft nur künstlich und entspricht keiner realen Notwendigkeit mehr.“ Das Problem der Inhaltslosigkeit könnte ich nun ausführlichst darlegen, aber sehr viel Neues würde ich damit nicht verkünden. Stattdessen möchte ich auf formale Aspekte der Medienwelt aufmerksam machen. In unserer Zeit verliert das einzelne Bild zum einen zunehmend an Bedeutung, zum anderen wird ihm wieder eine große Bedeutung zukommen. Bilder sind heute die Hauptträger von Bedeutung – so wie sie es lange nicht mehr waren. Über Jahrhunderte hinweg war das geschriebene Wort die Grundlage geistiger Kommunikation. Es besitzt zwar heute noch eine entscheidende Position in unserem Leben, aber zunehmend bekommt es den Charakter, „verbildlicht“ zu werden. Ein Zauberwort ist hier „PowerPoint“. Während man bei einem Vortag traditionell auf das achtet, was der Referent sagt und er nur das nüchtern notiert, was äußerst markant, oder verbal uneindeutig ist, wird nun in schneller Folge seine gesamte Argumentationsstruktur (häufig
noch mehr) angezeigt und durch entsprechende Schrifttypen und Hintergründe „visualisiert“. Das Phänomen der sich immer weiter steigernden Bildfolge zeigt sich am deutlichsten im Kinofilm. Die Anzahl der Schnitte, der Wechsel von Perspektiven und Handlungsorten ist von einer zunehmend übersteigerten Dynamik geprägt. Der Charakter der Films wandelt sich von einer „Nachhaltigkeit“ zu einer „Gegenwärtigkeit“. Nicht mehr die geistige Verarbeitung im Nachhinein, sondern nur noch die Wirkung im Moment zählt. – „That’s entertainment.“ Diesem Prinzip sind jedoch Grenzen gesetzt. Wenn die Bildfolge sich soweit steigert, dass die Bedeutung für den Bertachter nicht mehr greifbar wird, verliert er im günstigsten Fall das Interesse – im schlimmsten Fall auch die Nerven. Man kann diese Kunst („für alle und keinen“) nur „häppchenweise“ verarbeiten – Trailer und Video-Clips entwickeln sich zu einer grundlegenden Rezeptionsweise von Unterhaltung. Dass dies (hin und wieder) durchaus positiv genutzt werden kann, zeigt sich beispielsweise im Kurzfilm „True“ von Tom Tykwer
(hoffnungsvoller als manches „christlich“ deklarierte Werk. Der dortige Bilderrausch wirkt faszinierend und nicht abschreckend – man hat zwei Protagonisten auf die man sich konzentrieren kann. Viele Szenen hat man beim Verlassen des Kinos vergessen, aber dennoch sind es markante Bilder, die zurückbleiben. Dies basiert teilweise auf einem weiteren Faktor, der dem Chaos der Bildüberfrachtung entgegenwirken soll: der Wiederholung. Was in diesem Film die Wiederkehr markanter Schauplätze (wie zum Beispiel eine Pariser U-Bahn-Station mit dem Namen „Stalingrad“) ist, wird in der Werbung genutzt, um über die Konfusion aus schwedischen Einrichtungsvorgaben, profanisierten Kreuzen („Ein + verbindet“), oder ethisch fragwürdigen Heimwerkertipps hinwegzuhelfen. Dieses Prinzip wird jedoch nicht im Bereich der bewegten Bilder aufrechtzuerhalten sein, sondern lediglich das einzelne Bild wird zur Orientierung dienen. Nicht nur die Reduktion auf einzelne Dinge, sondern direkt auf bestimmte Bilder von ihnen ist es, die unsere zukünftige Wahrnehmung bestimmen wird. Das Bild wird also zum einen inflationär, zum anderen wird es zunehmend zum maßgeblichen Bedeutungsträger. Wir bewegen uns in eine „post-postmoderne“ Welt hinein, für die man einen neuen Epochenbegriff prägen müsste – bei den historischen Parallelen geschah dies retrospektiv: „Mittelalter“. – Ein nicht unbedeutender Unterschied war jedoch, dass man damals den Bildern Glauben schenkte ...
Wenn Blinde Orientierungslose führen, hat dies selten ein Happy End. Pieter Breughel (d. Ä.), Das Gleichnis von den Blinden (1568). Öl auf Leinwand.
78 moritz
5,-