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moritz oktober oktober 2006 2006

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das greifswalder greifswalder studentenmagazin studentenmagazin das

HeiĂ&#x;er Herbst Erstsemesterwoche WS 06/07 Die Alma Mater und Arndt 550.GrĂźndungstag



Hallo, Ihr Leser - vor allem aber:

Willkommen, liebe Erstis! Wir begrüßen jeden, der neu in Greifswald ist und sich erst mehr oder weniger gut hier zurechtgefunden hat. Wehmütig denken wir an die Zeit zurück, als sich das kleine, feine Universum Greifswald das erste Mal für uns auftat und wir sie langsam erkundeten. Wir wünschen Euch viel Spaß, Glück und interessante Bekanntschaften in Eurer neuen Heimat. Unter welchen Umständen nur müssen unsere lieben neuen Kommilitonen hier anfangen? Mecklenburg Vorpommern hat gewählt, und das Ergebnis schmeckt zu schal. Nazis im Landtag und eine große Koalition im Kleinen, die wie ihr bundesdeutsches Vorbild eine Koalition winziger Kompromisse zu werden verspricht. Bundespolitiker geben sich geschockt, Landespolitiker wirken hilflos und die Presse begibt sich auf erschrockene Recherchetour. Was machen wir vom moritz? Erst einmal nicht viel. Ein altkluges „haben wir doch schon lange gewusst“ sparen wir uns jetzt, eine weitere Beobachtung der Vorgänge im Land jedoch nicht. Wir widmen uns in diesem Heft der Ersti-Woche und bieten zum letzten Mal einen Überblick über die Ereignisse während des Universitätsjubiläums. Neben interessanten Artikeln aus der Hochschulpolitik ist dieses Heft also hauptsächlich und ausnahmsweise auf leichtere Unterhaltsamkeit ausgerichtet als sonst. Für einen Wiedereinstieg ins neue Semester scheint uns das angemessen.

Foto: ring

Die Redaktion wünscht Euch allen viel Spaß beim Lesen! Grüsse,

„Die Juden als Juden passen nicht in diese Welt und in diese Staaten hinein, und darum will ich nicht, daß sie auf eine ungebührliche Weise in Deutschland vermehrt werden. Ich will es aber auch deswegen nicht, weil sie ein durchaus fremdes Volk sind und weil ich den germanischen Stamm so sehr als möglich von fremdartigen Bestandteilen rein zu erhalten wünsche.“ [zitiert nach: „Weltgeschichte im Aufriß“, Bd. 2, Verlag Diesterweg, Frankfurt/Main 1978, Seite 191]

editorial

Arndt des Monats

Ernst Moritz Arndt Bildquelle: Katalog der Ausstellung „Bland oss - Unter uns“

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leserbriefe Lieber Moritz, zuerst einmal meine Glückwünsche für die vielfach gut recherchierten Beiträge der letzten Ausgabe (Nr. 57). Offensichtlich hat ja die Kritik am zunehmend vulgärer werdenden AntifaJargon beim entsprechenden Redakteur Früchte getragen. Allerdings sind mir auch dieses Mal Aussagen aufgefallen, die man hinsichtlich des hierin geäußerten Demokratieverständnisses nicht unkommentiert stehen lassen kann.

leserbriefe / asta

Abgesehen von der Tatsache, dass mit dem Abdruck einer Karikatur der VVNBdA für eine Organisation geworben wurde, deren Vorsitzender als IM „Heiner“ (alias Heinrich Fink) über Jahrzehnte hinweg seine Studenten für die Staatssicherheit bespitzelt hat und die vom Verfassungsschutz bis heute als „linksextremistisch beeinflusst“ bewertet wird, habe ich mir lange den Kopf über den Sinn der beiden Kurzkommentare von Robert Heinze zerbrochen.

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Verfassung verankern oder aber - noch besser - den Straßenkampf suchen? Ich dachte eigentlich immer, dass Extremismus jeder Form durch ein couragiertes Handeln von bzw. in der Gesellschaft selbst bekämpft werden muss und nicht etwa durch ein Diktum von Oben. Wer aber nur über DIEDAOBEN schimpft, hat meiner Meinung das Grundwesen einer Demokratie nicht verstanden. Tatsächlich drückt sich hier eher eine Untertanenmentalität aus, die wohl besser in den Staat passt, der den Antifaschismus zwar per Verfassung festschrieb, dessen Staatspartei allerdings mehr Nazis in ihren Reihen zählte, als jede andere deutsche Partei nach 1945. Dirk Mellies

Ein Veteran verlässt das Feld

Welche Eigenschaften braucht ein studentischer Hochschulpolitiker um erfolgreich zu sein? Meiner Erfahrung nach sind Da beklagt dieser also, dass die dies, neben Fachwissen und Interesse Wahlprogramme mit 21-76 Seiten an komplexen politischen Prozessen, Länge „einer Körperverletzung gleich Beständigkeit, Ehrgeiz, Motivationskämen“. Komisch, da hatte ich mir fähigkeit, ein großes Lungenvolumen für immer gedacht, dass es eigentlich zum Trillerpfeifen sowie stets ein offenes Ohr Wesen einer Demokratie gehört, für die Probleme seiner Kommilitonen. dass man sich mit einem halbwegs ausgereiften Regierungsprogramm zur Diese Eigenschaften vereinigt Simon Wahl stellt. Wenn nun Heinze will, dass Sieweke auf bemerkenswerte Weise. ein Vierjahresprogramm zur Regierung Zum 4. Oktober 2006 verließ er nach eines Bundeslandes auf ein bis zwei beeindruckendem Jura-Examen die Seiten gepresst werden soll, so kann hochschulpolitische Bühne Greifwalds, er das natürlich fordern. Wäre es aber um seine wissenschaftliche Karriere an wünschenswert in einem solchen Land der Universität Münster zu beginnen. zu leben? Als Weggefährte habe ich seinen vierjährigen hochschulpolitischen Lebenslauf zu Dann wird sich auch noch darüber einem großen Teil begleitet und Höhen beschwert, dass die „demokratischen und Tiefen seiner Hochschulpolitik Kräfte“ viel zu wenig gegen den in Greifswald und MecklenburgRechtsextremismus tun würden. Was Vorpommern miterlebt: Angefangen diese denn zusätzlich machen sollen, im Jahr 2002 mit seinem politischen bleibt uns der Kommentator allerdings Stelldichein als Nachrücker in das schuldig. Sollen DIEDAOBEN vielleicht Studierendenparlament folgten führenpro forma den Antifaschismus in der de Funktionen in der studentischen

Selbstverwaltung wie AStA-Vorsitzender, Referent für Hochschulpolitik und Präsident des Studierendenparlaments. Mit seinem juristischen Sachverstand, der stets präsent war, bescherte er der studentischen Selbstverwaltung nicht nur mehr Bürokratie, sondern auch eine Vielzahl von rechtlichen Expertisen, die zu Klagen - unter anderem gegen die Rückmeldegebühr - führten. Mit ihm kandidierte erstmalig ein studentisches Senatsmitglied für das Amt des Senatsvorsitzenden und eines der beiden Prorektoren, was bei vielen nichtstudentischen Senatsmitgliedern auf Ablehnung stieß und letztlich auch in einer Niederlagen endete. Dennoch gebührt ihm, der vom moritz des Öfteren mit einem zwinkernden Auge als „studentischer Berufshochschulpolitiker“ bezeichnet wurde, Anerkennung für diese nicht unumstrittenen und zum Teil aussichtlosen Kandidaturen. Denn mit diesen wurden heutige und künftige studentische Ansprüche formuliert. Ich bin überzeugt, dass die Früchte dieser Vorstöße Studentenvertreter der nachfolgenden Generation ernten werden. Auch wenn wir während der gemeinsamen Jahre im AStA nicht nur einmal uneinig über den zu beschreitenden Weg waren, sahen wir uns in den Zielen stets geeint, denn Demokratie lebt von Meinungsvielfalt! Ich schreibe hier stellvertretend für viele andere, wenn ich Simon Sieweke für sein hochschulpolitisches Engagement für die Studierendenschaft und die Universität Greifswald danke und ihm viel Erfolg an der Universität Münster wünsche. Mit ihm verlässt nun der wohl bekannteste studentische Interessenvertreter die hochschulpolitische Bühne Greifswalds. Ich bin gespannt auf eine neue Generation. T. Schattschneider, stellv. Senatsvorsitzender


Vorbereitet?

t i t e l t he m a

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Ersti sein ist nicht schwer, Ersti-Referent umso mehr. Über die Geschichte, die Vorbereitungen und das exotische Motto der Erstsemesterwoche 06/07.

t i t e l t he m a Umfrage Interview „Sehr viel los“ Erstsemester überall

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ho c h sc hu l p o li t i k ho c h sc hu l p o li t i k

Nach der Sommerpause 14/15

Hochschulpolitisches Lexikon 12 Umzug des AStA‘s 13 Interview „Nach der Sommerpause“ 14/15 Evaluierung der Greifswalder Lehre 16

Ein heißer Herbst steht bevor. Im Doppelinterview ziehen StuPa-Präsidentin Kathrin Berger und AStA-Vorsitzender Alexander Gerberding Bilanz und sprechen über die Arbeit des Rektorates und die baldige Immatrikulationsfeier.

ju b il äu m

Kreuz gemacht?

ho c h sc hu l p o li t i k

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Die Evaluation der Lehre an der Universität Greifswald ist wichtig. Studierende sollten von ihrem gesetzlich verankerten Recht Gebrauch machen.

Fataler Patron?

ju b il äu m

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Die Ernst-Moritz-Arndt-Universität und ihre Schwierigkeiten mit der Realität. Ein Essay.

Rad parat?

u ni ve r su m

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Die Zahlen des Diebstahls sinken. Die Aufklärung verbessert sich. Dennoch gilt: wer sein Fahrrad liebt, der schließt es lieber an. Oder lässt es Codieren. Tipps für umsichtige Drahteselbesitzer.

17 Sicherheit geht vor ... 18 Festschrift 19 Pleiten, Pech und Pannen 19 Kommentar ‚Ein dreifaches ‚„Hoch!“ auf das Unijubiläum!‘ 20 Alter Schwede -Ausstellung 21 - 27 Essay: Arndt-Diskussion

f e u ill e t o n Rätsel Jubeliar Dmitri Schostakowitsch Popkomm-Bericht CDs Kino DVD Bücher Theater Wörterbuch: Baetke digital Kolumne „Das bist Du!“

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Zusammenbruch notwendig?

u ni ve r su m

Sportgeräte verrotten. Sporthallen werden verkauft. Die Folgen mit der Schließung des Institus für Sportwissenschaft zeichnen sich ab.

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Polemik: Schokocroissant Erfüllter Erstwunsch radio 98eins: Freies Staunen Hörsaal Kiste Hochschulsport: Zusammenbruch? Fahrraddiebstahl m.trifft .... Voker H. Altwasser Tapir Editorial / Arndt des Monats Leserbriefe AStA, StuPa, Neuigkeiten Impressum

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inhalt

u ni ve r su m

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AStA

Allgemeiner Studierendenausschuss Die Namen der Referenten lagen zu Redaktionsschluß noch nicht vor. Nachfolgend findet ihr die E-Mail-Adressen, unter denen ihr die vom StuPa neu gewählten Referent/innen erreicht. Ihr findet den AStA in der Domstraße 12. Telefon: 03834/861750 oder 561751 • Fax: 03834/861752 E-Mail: asta@uni-greifswald.de Internet: www.asta-greifswald.de Vorsitzende/r: vorsitz@asta-greifswald.de Co-Referent/in für Partnerkontakte, Presseund Öffentlichkeitsarbeit: presse@asta-greifswald.de Co-Referent/in für Internet und Technik: internet@asta-greifswald.de Referent/in für Hochschulpolitik: hopo@asta-greifswald.de Referent/in für Fachschaften und Gremien: fachschaften@asta-greifswald.de Referent/in für Finanzen: finanzen@asta-greifswald.de Co-Referent/in für Buchung und Beschaffung: buchung@asta-greifswald.de Co-Referentin für Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit: asta@uni-greifswald.de Referent/in für Soziales, Wohnen und Gleichstellung: soziales@asta-greifswald.de Co-Referentin für BAföG und Studienfinanzierung: bafoeg@asta-greifswald.de Referent/in für Studium und Lehre: studium@asta-greifswald.de Co-Referent/in für Studierendenaustausch und Internationalisierung: austausch@asta-greifswald.de Co-Referent/in für Evaluation und Hochschulentwicklung: evaluation@asta-greifswald.de Referent/in für Kultur und Erstsemesterwoche: erstsemester@asta-greifswald.de Co-Referentin für das Universitätsjubiläum: jubilaeum@asta-greifswald.de Autonome/r Referent/in für Queer: slreferat@asta-greifswald.de Autonome/r Referent/in für Studierende mit Behinderungen und chronischen Krankheiten: behinderte@asta-greifswald.de Autonome/r Referent/in für Ausländerfragen: auslaenderreferat@asta-greifswald.de

StuPa

Studierendenparlament der EMAU

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Präsidentin: Kathrin Berger Stellvertreter: Philipp Kohlbecher E-Mail: stupa@uni-greifswald.de Internet: stupa.uni-greifswald.de

Gegen Studiengebühren Kaum haben die Koalitionsgespräche zur Bildung einer neuen Landesregierung für Mecklenburg-Vorpommern begonnen, lanciert der scheidende Bildungsminister Metelmann (parteilos, für SPD) Studiengebühren. Aus Parteikreisen verlautet, dass dieses Thema bereits diesen Freitag in Schwerin auf den Verhandlungstisch kommen soll. „Die SPD sollte den Forderungen aus den eigenen Reihen – und aus denen der Union – eine deutliche Absage erteilen“, sagt der AStA-Vorsitzende Alexander Gerberding. „Erhobene Gebühren bleiben zudem, wie die bisherige Erfahrung in den anderen Bundesländern zeigt, nicht an den Hochschulen, sondern versickern im Landeshaushalt oder kompensieren Mittel, die den Hochschulen in den vergangen Jahren gekürzt wurden.“ Auch gegen mögliche Gebühren für Langzeitstudenten spricht er sich aus. Damit würde nur die soziale Selektion im Bildungswesen vorangetrieben, „Sollte sich die SPD in den Koalitionsverhandlungen nicht mit einem klaren „Nein“ zu Studiengebühren durchsetzen können, würde sie nicht nur ein vor der Wahl gegebenes Versprechen brechen, sondern sozialdemokratische Grundwerte wie soziale Gerechtigkeit mit Füßen treten.“ Lesestipendium Seit über 30 Jahren haben Studierende mit einem Lesestipendium die Möglichkeit, eine Tageszeitung wie beispielsweise das Handelsblatt, die Süddeutsche Zeitung, Die Welt oder die Neue Züricher Zeitung für ein oder zwei Jahre ins Haus geschickt zu bekommen. Bei dieser von der Wirtschaft unterstützten Aktion entstehen weder Kosten noch Verpflichtungen. Bewerbungen und weitere Informationen finden sich unter: www.lesestipendium.de. Mitstreiter willkommen Unter UMD Harald Braun studiert der Greifswalder Universitätschor im Wintersemester „Ein deutsches Requiem“ von Johannes Brahms ein. Die Proben finden mittwochs um 19 Uhr im Lutherhof (Martin-Luther-Str.) statt. Das Universitätsorchester studiert Werke von Camille Saint-Saens, Edvard Grieg und für die Uraufführung von Werken Rostocker Kompositionsstudenten ein. In der Waldorfschule (Hans-Beimler-Str. 79) finden immer donnerstags ab 19 Uhr die Proben statt. Achtung: Der Eingang befindet sich hier auf der Rückseite des Gebäudes. Wer Lust hat, sollte ein-

mal vorbeischauen und mitmachen! Für Fragen steht Harald Braun unter 03834 – 86 35 07 oder harald.braun@unigreifswald.de gern zur Verfügung. 8,5 Milliarden für Bildung Prozent der Gesamtausgaben des Bundes sind im Haushalt 2007 für Bildung und Forschung vorgesehen. Dies geht aus dem Entwurf von Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) hervor, der Anfang September in erster Lesung im Bundestag behandelt wurde. Die Bereitstellung von 8,5 Milliarden Euro bedeutet einen Zuwachs von 6,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. 182,5 Millionen Euro sollen der so genannten Exzellenzinitiative zur Förderung von Spitzenuniversitäten zu Gute kommen. Fast 2.000 Erstis Auch im 550. Gründungsjahr ist die Greifswalder Universität beliebt. 1.998 Neuimmatrikulationen verzeichnete das Studentensekretariat bis zum sechsten Oktober. 1.894 davon sind Studienanfänger, die übrigen Hochschulwechsler oder ausländische Studierende. Zum Beginn der Erstsemesterwoche waren damit 10.941 Studierende an der EMAU eingeschrieben. Alte Mensa in neuem Glanz Pünktlich zum Beginn des Wintersemesters präsentiert sich die Mensa am Schießwall mit einem neuen Erscheinungsbild. Im kleinen Saal der Mensa wurde eine neue Kinderecke eingebaut. Die moderne, farbenfrohe und kindgerechte Möblierung sowie neue Spielmaterialien und Bücher laden die Kinder von Studierenden und Gästen zum Verweilen ein. Drei neue kindgerechte Essstühle wurden ebenfalls für den Mensa-Bereich angeschafft. Mit der Neugestaltung der Kinderecke trägt das Studentenwerk dazu bei, ein Studium mit Kind(ern) in Greifswald noch angenehmer zu machen. Der Eingangsbereich der Cafeteria erhielt eine neue, helle Farbgebung. Die Gäste der Cafeteria erwartet zudem eine freundliche, moderne Innenausstattung. Wenn die Umbaumaßnahmen beendet sind, wird der gesamte Gastbereich der Mensa rauchfrei. Neben dem großen und dem kleinen Saal der Mensa, in denen bereits seit langem nicht geraucht wird, werden nun auch das Foyer und der Eingangsbereich der Cafeteria zu Nichtraucherbereichen.


Katja Gäbler, Deutsch/ Geschichte (Mitglied im FSR Germanistik): „Ja, wir hatten 535 Erstis im letzten Jahr. Das war eine Aufgabe für uns. Zum Glück hatten wir viele Helfer und so hat alles gut geklappt. Ich selbst hatte eine sehr schöne Erstsemesterwoche als ich hier angefangen habe. Die meisten Leute, mit denen ich heute noch Kontakt habe, kenne ich von damals.“ Thomas Maier, Kommunikationswissenschaft/Philosophie: „Als Mitglied des Fachschaftsrats habe ich im letzten Jahr die Ersti-Woche von der anderen Seite aus miterlebt. Wir mussten vorher viel organisieren, doch es war eine tolle Belohnung, wenn man den Neuen bei ihren tausend Fragen weiterhelfen konnte.“

„Den Neuen unter die Arme greifen.“ Wie „alte Uni-Hasen“ ihre Ersti-Woche erlebt haben Fotos und Umfrage: ring

Susanne Thom, Geographie: „Meine Ersti-Woche war sehr schön. Als ich vor drei Jahren nach Greifswald kam, kannte ich noch niemanden, doch das hat sich durch die Woche schnell geändert. Die Geographen und der AStA haben einiges organisiert und auch beim Bau des Stundenplans geholfen. Damit war der Einstieg leichter und das hat mich auch dazu bewogen, ein Jahr später selbst Tutorin zu werden und den Neuen unter die Arme zu greifen.“

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Robin Bartsch, Betriebswirtschaftslehre: „Ich habe von meiner Erstsemesterwoche damals nur einen Tag mitgemacht und bin trotzdem gut zurecht gekommen. Das einzige, was ich im Nachhinein vermisst habe, sind die Partys, die angeblich ein Knaller gewesen sein sollen.“

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Sehr viel los Franziska Lenk sprach mit moritz über die Organisation der diesjährigen Erstsemsterwoche. Das Interview führte Uwe Roßner. Welche Aufgaben kommen bei der Übernahme des Referats auf einem zu? Als Refe-rentin für die Erstsemesterwoche ist man für die Koordination sowie Organisa-tion von verschiedensten Veranstaltungen verantwortlich. Warum hast Du Dich für das Referat interessiert? Zum einen war ich als Ersti sehr dankbar für die Erstiwoche. Später war ich dann Tutor und bin so zur Referatsarbeit gekommen.

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Welche Absichten werden mit der Ersti-Woche realisiert? Die Ersti-Woche soll den neuen Studierenden vor allem den Start ins Franziska Lenk Quelle: ur Studium erleichtern und die Angst nehmen. Außerdem sollen Sie sich in ihrer neuen Heimat willkommen fühlen.

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Wie war Deine Ersti-Woche? Gab es Anregungen für die jetzige? Meine Erstiwoche war sehr anstrengend. Ich habe an so vielen Veranstaltungen wie möglich teilgenommen und musste auch noch meinen Stundenplan erstellen. Was ich von meinen Erfahrungen in die Planung übernommen habe, ist, so wenig wie möglich Veranstaltungen parallel laufen zu lassen, damit die Erstis auch die Chance haben, alles, was sie interessiert, zu besuchen. Wann begannen die ersten Vorbereitungen? Sie haben bereits zu Anfang des letzten Semesters begonnen, dass meiste habe ich jedoch in den Semesterferien getan. Macht es Spaß, die Ersti-Woche zu organisieren? Ja. Man kann dadurch vielen Leuten helfen und das motiviert. Klar gibt es auch Tage, an denen gar nichts funktioniert

und man frustriert ist, aber im Großen und Ganzen macht es schon Spaß. Was ist in den Ersti-Beuteln? Vor allem Infomaterial von lokalen Institutionen und Gewerben. Wir bemühen uns aber auch jedes Mal ein paar besondere Highlights zu organisieren. Warum gibt es in diesem Jahr ein exotisches Motto? Ist Greifswald so heiß? Warum wird es heiß? Das Motto lautet in diesem Jahr ‚Aloha in HGWaii: Jetzt wird’s heiß!’. Die neuen Studis sollen damit auf die besondere Lage Greifswald direkt an der Ostsee und deren Vorteile aufmerksam gemacht werden. ‚Jetzt wird’s heiß’ bezieht sich auf die heiße Phase des Studienbeginns. Es gibt in diesem Jahr ein Programmheft und kein Faltblatt allein. Wie kommt ́s? Für die Erstiwochen der Wintersemester gab es auch schon in den letzten Jahren immer Programmhefte. In diesen werden die Veranstaltungen näher erläutert und außerdem können sich studentische Organisationen darin vorstellen. Was für Probleme gab es mit der Immatrikulationsfeier? Die Feierliche Immatrikulation wird in diesem Jahr zum ersten Mal von der Studierendenschaft organisiert. Der AStA hat sich dazu entschlossen, nachdem bekannt wurde, dass die Universitätsleitung es aufgrund des Universitätsjubiläums nicht tun würde. Vor allem der Termin war ein Problem, da wegen der Feierlichkeit zum Jubiläum der übliche erste Montag im Semester nicht durchführbar war. Deshalb findet sie jetzt am 23. Oktober statt. Dabei ist auch schade, dass es keinen dies academicus geben wird und somit einige Erstsemester vielleicht nicht zur Veranstaltung kommen können. Außerdem waren Landtagswahlen, was die Einladung eines Gastredners aus der Landesregierung verkompliziert hat. Wie sehen nach der entscheidenden Senatssitzung die Unterstützung des Rektorats aus? Das Rektorat, besonders Herr Berner, stand mir jederzeit mit Rat zur Seite. Wie steht der Senat zu seiner Entscheidung? Das wird sich bei der Feierlichkeit zei-

gen. Was bedeutet die Organisation für Dich? Vor allem mehr Arbeit und bedeutend mehr Verantwortung. Wir wollen die Veranstaltung genauso wie in den letzten Jahren auch durchführen. Da wird einem schon sehr auf die Finger geschaut und man darf sich keine Patzer erlauben. Welche Highlights hat die Erstiwoche in diesem Jahr? Was ist neu? Was ist anders? Die besonderen Highlights sind neben den Ausflügen am Wochenende vor allem das Segeln und Segelfliegen. Weiterhin wird es erstmalig eine Radtour und eine Aufführung des Studententheaters in der Erstiwoche geben. Außerdem sind diesmal auch zwei Konzerte geplant. Was verbirgt sich hinter dem Markt der Möglichkeiten? Warum ist er wichtig? Der Markt der Möglichkeiten ist eine Veranstaltung, bei der sich Greifswalder Vereine, Institutionen und Gewerbe vorstellen können. Die neuen Studierenden können dabei einen Eindruck davon gewinnen, welche Möglichkeiten ihnen Greifswald neben dem Studium noch bietet. Wie bringt sich der AStA noch in der ErstiWoche mit ein? Es werden Vorträge von verschiedenen Referenten gehalten. Das Büro wird täglich von 9 bis 17 Uhr geöffnet, um sich um die Anliegen der Erstis zu kümmern. Wie halfen Fachschaften und Ersti-Tutoren bisher? Die Fachschaften und Tutoren sind wichtige Träger der Erstiwoche. Sie organisieren den Kneipenbummel und die Fachschaftsfrühstücke. In diesem Jahr gibt es zum ersten Mal auch ein Grillen bei den Fachschaften. Wie war die Zusammenarbeit mit den Clubs? Die Clubs waren alle toll und engagiert und haben sich aktiv in die Planung eingebracht. Es hat wirklich Spaß gemacht, mit ihnen zu arbeiten. Wie sieht Dein Alltag kurz vor und während der Ersti-Woche aus? Vor und während der Woche ist es sehr stressig, es gibt immer was zu tun. Ich bin die meiste Zeit im Büro oder habe


ABC für Uni-Einsteiger

Lässt es sich im Büro so kurz vor Semesterbeginn gut arbeiten? Zu dieser Zeit ist im Büro immer sehr viel los. Vor allem die ZVS-Opfer sind kurz vor Semesterbeginn auf Wohnungssuche. Da muss man schon mal unters Dach umziehen, um in Ruhe arbeiten zu können.

AStA: Allgemeiner Studierendenausschuss: Vertretung der gesamten Studierendenschaft. Der AStA ist in der Domstr. 11 zu finden (Gebäude, in dem auch Radio 98eins ist). Bahnhof: irgendwann wird er unwichtig, da man gar nicht wieder weg will aus Greifswald. Wirklich! Computer: einen eigenen braucht man nicht unbedingt. Es gibt an der Uni mindestens vier PC-Pools, z.B. das Rechenzentrum bei der UB, das unter der Woche jeden Tag von 8 bis 22 Uhr geöffnet hat. Auch zu empfehlen: PC-Pool im Gebäude der Wirtschaftswissenschaften. Hat unter der Woche von 12 bis 20 Uhr geöffnet und ist gleich neben der Mensa. In den Pools hat man Internet, Drucker, Word, usw. . Das geht auch ohne... Kopierkarte, z.B. im AstA für nur 3 Cent die Kopie. Einzug beim Kopierer: praktisch, wenn man mehr als ein Blatt kopieren will. Einfach die Blätter oben beim Kopiererdeckel in den Einzug legen, den Rest macht das Gerät durch einfaches Starten automatisch. Fragen: Bitte allen stellen, die es wissen müssten: Fachschaften, Asta, älteren Semestern, Dozenten, Studienberatung. Es gibt keine dummen Fragen und auch die Profs kochen nur mit Wasser. Egal, ob fachlich oder organisatorisch, dafür sind die Sprechzeiten der Lehrenden da und zusätzlich beantworten sie Eure E-Mails. Gut, dass es die Fachschaftsräte (FSRs) gibt: sie vertreten die Studenten der jeweiligen Fachschaft gegenüber den Lehrenden und organisieren die eine oder andere Party. Außerdem helfen sie Euch bei Fragen zum Fach. Hausarbeiten: müssen in manchen Studiengängen geschrieben werden. Wer noch keine Erfahrung damit hat, kann sich eine Musterhausarbeit beim FSR Germanistik zur Ansicht kopieren. (Achtung: jede Fachrichtung hat z.T. unterschiedliche Ansprüche an die Form. Am besten beim jeweiligen Dozenten informieren.) Internet: unter kulturmodul.de kann man sehen, was in Greifswald so geht. Ob Partys, Theater, Studentenveranstaltungen, hier steht alles drin. Jobs: gibt ́s auch in Greifswald. Die bestbezahlten sind die HiWi-Stellen (ca. 7€/Std.). Kopierkarten: gibt es nur gegen passende Geldscheine bei den Automaten in der UB, alten

Welchen Rat gibst Du jeden Ersti für seine Zeit in Greifswald mit? Probiert so viel wie möglich aus und nutzt die Chancen, die sich euch bieten. Studieren ist nicht alles. Wird man als Ersti-Referent zum Aushängeschild für den AStA? Ich glaube eher nicht. Die meisten Leute wissen gar nicht, wer ich bin. Wie sind die Erstis, mit denen Du bisher zu tun hattest? Welche Fragen haben sie? Gab es ein oder zwei lustige Geschichten? Die meisten Erstis, die ins Büro kommen, suchen noch eine Wohnung oder haben generelle Fragen zum Studium. Wir versuchen dann, ihnen so gut es geht weiter zu helfen. Welche drei Eigenschaften sollte ein ErstiReferent mitbringen? Man sollte stressresistent und geduldig sein und Eigeninitiative entwickeln können. Ist es eine Frauen-Domäne? Es scheint zumindest so, bisher gab es nur einen Mann in dem Amt. Bekommt die Ersti-Woche genügend Aufmerksamkeit? Ja. Vor allem die Zielgruppe ist gut informiert. Dank den netten Damen und Herren des Studierendensekretariats bekommen sie die Programme zusammen mit ihrer Immatrikulationsbescheinigung.

Bibliothek (gegenüber Audimax), Bibliothek der Rechtswissenschaften (neben Mensa). Karte: 5 €, Guthaben zusätzlich zu laden ab 5 €. Leporello: bekommt ihr vor dem neuen Semester per Post, wenn ihr die 50,50 € Semesterbeitrag überwiesen habt. Enthält Matrikelnummer, Studienbescheinigung, Studierendenausweis etc. . Musterklausuren: stellen die Fachschaften evtl. für Euch bereit. Nachfragen lohnt sich. Auch Lernhilfen (Zusammenfassungen, Übersichten etc.) sind erhältlich. Nacht: wenn man nicht gerade feiern muss, hat man die Möglichkeit, sich die Bücher der Fachbibliotheken über Nacht auszuleihen oder über das Wochenende. Ausleihen über Tag/ mehrere Tage geht nur bei Büchern der UB. OPAC: nur einer von vielen elektronischen Katalogen der Bibliothek. In ihm sind längst nicht alle vorhandenen Bücher verzeichnet! Es gibt noch andere Kataloge auf der UB-Page (z.B. Zettelkatalog) und es ist sinnvoll, direkt in den Regalen neben bereits gefundenen Büchern zum Thema zu suchen. Praktika: bei Interesse: auch bei Moritz print/TV und Radio 98eins kann man eines absolvieren. Quelle: Man sollte sich daran gewöhnen, dass man immer wissen sollte, wer die Weisheiten von sich gegeben hat, die man lernen soll. Das ist wichtig für wissenschaftliche Diskussionen und Klausuren. Rad: Heiß begehrt und stark gefährdet in Greifswald. Immer anschließen. Im Foyer der Mensa kann man es polizeilich registrieren lassen. Stundenplan: die Fachschaftsräte helfen beim Zusammenstellen. Telefonische Notenabfrage: 03834-863 818. Wenn nach der PIN gefragt wird, Geburtsdatum eingeben: tt/mm/jj (ohne /) Universitätsbibliothek (UB): Unter der Woche bis 22 Uhr, Samstag bis 17 Uhr offen. Hier kann man die Bücher auch länger entleihen. Vorlesungsverzeichnis: gibt es in den Büchereien, in den FakultätsSekretariaten und im Internet zum Runterladen. Wahlen: auch an der Uni gibt es sie und sie sind wichtig. Ob AStA- oder Senatsmitglieder. Ihr bestimmt, wer mitbestimmt. X-Mas: wieder ein Grund zu feiern: Weihnachtsbälle, Weihnachtsfeiern... . Ypsilon Zur Ryck nach Greifswald will man immer.

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Termine. Viel Schlaf bekommt man in dieser Zeit auch nicht.

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Maastricht – here we come! Dieses Motto der diesjährigen INKOM (so heißt hier die Einführungswoche) kann man durchaus als Drohung auffassen. Denn wenn eine Horde Erstis aus aller Welt plus angetrunkener Tutoren Ende August (das Studium beginnt hier im September) die Maastrichter Innenstadt unsicher machen, kann es schon mal etwas chaotisch zugehen. Organisiert von den Dutzenden Studentenverbindungen, die es hier gibt, hat die INKOM relativ wenig bis gar nichts mit der Universität zu tun und ist eigentlich nur ein Vorwand, um eine Woche lang die Stadt in eine Partyzone zu verwandeln und sich möglichst nahe an die Alkoholvergiftung zu trinken (die Holländer sind darin wesentlich besser als die Deutschen übrigens). Bands

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Organisation ist alles

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Meine Erstsemesterwoche in Greifswald war schön, doch viel schöner war meine „Orientation Week“ im schwedischen Örebro. Das Abenteuer Auslandssemester begann für mich vor knapp zwei Monaten. Auf meinem Weg nach Mittelschweden begleiteten mich viele Wünsche und Hoffnungen. All meine Erwartungen wurden nicht enttäuscht. Die „Orientation Week“ war der Beginn einer unvergesslichen Zeit. Seit dem ersten Tag habe ich mich im Land der Elche und langen Winter wohl gefühlt. Zeit für Heimweh blieb dank dem durchorganisierten Programmablauf, im dem jeder Tag etwas Neues bot, kaum. Das unglaubliche Organisationstalent der schwedischen Verantwortlichen machte es jedem der rund 300 Austauschstudenten leicht, sich schnell in Örebro einzuleben. Am ersten Tag der „Orientation Week“ fand eine Eröffnungsveranstaltung statt, gefolgt von einer Führung über den Campus und einem gemeinsamen Mensabesuch.

spielen auf dem Marktplatz, alle Kneipen sind überfüllt und in den großen Hallen wird zu dem, was die Holländer Musik nennen (einer Art seltsamem Techno) bis frühmorgens getanzt. Die eigentliche Einführung ins Studienfach wird dann an einem Tag, dem Freitag vor Studienbeginn, abgehandelt, ist dann allerdings eine sehr viel offiziellere Affäre. Für uns European Studies Studenten gab es einen Empfang, komplett mit Sekt und Schnittchen, jeder Menge wichtiger Reden und einem noblen Mittagessen. Da weiß man doch, für was man die Studiengebühren bezahlt. Jede Menge wichtiger Infos, die man so schnell gar nicht verdauen konnte, gab es auch, aber zumindest das nervige Stundenplanbasteln entfällt hier, da das Studium sehr verschult ist, so dass sich die Einführung auf „Seit dann und dann

an diesem oder jenen Ort“ beschränkt. Auch mal sehr angenehm, sich nicht drüber ärgern zu müssen, dass sich alle interessanten Veranstaltungen überschneiden. Nach einer kurzen Stadtführung zu allen wichtigen Punkten (sprich Bibliothek und Mensa), waren wir dann entlassen und hatten das Wochenende bis zum eigentlichen Studienbeginn Zeit, schon mal die gesetzten Texte für die nächste Woche zu lesen. Eine ruhige erste Woche wie in Deutschland gibt es hier nicht, alles beginnt sofort und gleich (genauso wenig übrigens wie Semesterferien im Frühjahr, studiert wird hier ohne größere Unterbrechungen bis Ende Juni) Wen das trotzdem nicht abschreckt, nähere Infos über die Uni Maastricht und ihre Studiengänge (die meisten sind übrigens in Englisch) gibt es unter: www.unimaas.nl Sarah Rieser

Eine Stadtführung und ein Pastaessen am Abend ließen den Tag ausklingen. In den nächsten Tagen folgten zahlreiche weitere Veranstaltungen. Ein Bowlingabend sorgte für Abwechslung, während eine IKEA-Shoppingtour vor allem für den Einkauf von Decken, Lampen, Klobürsten und Handtüchern genutzt wurde. An einem Sportnachmittag wurden neben Fußball und Volleyball auch das schwedische „Kubb“ und „Brännboll“ gespielt. Bei „Kubb“ musste man Geschick im Treffen von Holzklötzen beweisen. Viel Gelächter gab es beim Brennballspiel, das auf rutschigem Rasen für viele Grasflecken auf bis dahin sauberen Hosen sorgte. Nichtsdestotrotz wurde bis in die Dunkelheit hinein gemeinsam gespielt. Ein frühes Wiedersehen am nächsten Morgen folgte, um gemeinsam das Örebroer Schloss und ein städtisches Freilichtmuseum zu besuchen. Das kulturelle Tagesprogramm wurde durch einen Grillabend abgeschlossen. Ein Ende der Erstsemesterwoche war jedoch noch lang nicht erreicht. Der nächste Programmpunkt sah einen zweitägigen

Ausflug vor, der alle Austauschstudenten an einen wunderschönen See führte. Auch dort wurde es nicht langweilig. Ein Wettbewerb sowie ein Grillabend und das Schwimmen im See versprachen viel Spaß. Den Abschluss dieser ereignisreichen Erstsemesterwoche bildete schließlich ein festliches Dinner, auf dem wir den Veranstaltern, den „fadders“, gar nicht genug danken konnten. Die „fadders“, immer engagiert und hilfsbereit, haben mir und allen anderen Austauschstudenten den Beginn in Örebro und die Umstellung auf schwedisches WG-Leben, Blaubärsuppe, süßes Brot und viele andere skandinavische Eigenheiten so leicht wie möglich gemacht. Genauso stelle ich mir eine gelungene Erstsemesterwoche vor: abwechslungsreich, spannend, lustig und unvergesslich. Nach all diesen Erlebnissen ist Schweden für mich nun nicht mehr nur das Land der Elche und günstigen Möbelhersteller, sondern auch ein Land toller Organisation und vorbildlicher Erstsemesterwochenplanung. grip


Erstsemester überall

Fresher’s Week an der University upon Tyne/ Great Britain Die Erstewoche hier an der University upon Tyne in Nordwesten Englands startete mehr oder weniger mit Pauken und Trompeten. Bereits Wochen vorher haben alle Studenten in ihren Informationsunterlagen über die Uni einen Flyer gehabt, auf dem das große Event zu Beginn des Studiums angekündigt wurde. Einziger Haken an der Sache ist: Man muss für die Teilnahme £ 45 (ca. 70 €) bezahlen. Nach anfänglichem Zögern habe ich mein Geld auch in eins der pinkfarbenen Armbänder investiert und muss sagen, dass ich es nicht bereut habe. Die internationalen Studenten hatten ihre Einführung bereits eine Woche vorher, aber viele der Leute, die ich bisher kennen gelernt habe, haben sich den Spaß nicht entgehen lassen. Fresher’s Week an britischen Unis bedeutet eine Woche lang Partys feiern und jede Menge Spaß haben. Das hiesige Studentenmagazin brachte extra zur Fresher’s Week eine Sonderausgabe heraus, der Folgendes zu entnehmen ist: The Guardian call us “the best Fresher’s Week in the country“. Zwar habe ich keine Vergleichsmöglichkeiten, kann aber mit Sicherheit sagen, dass sie auf jeden Fall besser als die in Greifswald ist/war. Die Mitglieder der Student Union und an die 300 freiwilligen Helfer waren von Samstag bis Donnerstag auf den Beinen, um den Neulingen den Unieinstieg so angenehm wie möglich zu machen. Damit alles mehr oder weniger reibungslos verläuft, wurden die Helfer

in unterschiedliche Teams eingeteilt, die man anhand ihre Shirts erkennen konnte. Da gab es die Crew, die Crew Supervisor, die Float Supervisor, die Driver, die Chief Drivers, die Officers und die Organizers. Der Start der Fresher’s Week war eine Beachparty im Gebäude des Student Union, der jeden Abend eine Party unter anderem Motto folgte. Während des Tages wurde den Studenten eine Menge an Aktivitäten angeboten, sodass man gar nicht alles machen konnte. Unter anderem konnte man Go-Kart fahren, Paintball spielen, eine City Sightseeing Bus Tour mit den berühmten Doppeldeckerbussen machen, ins größte Spaßbad von Nordengland fahren, Surfen gehen, das Blue Reef Aquarium besichtigen, Schlittschuh laufen, sich in Pole Dancing und Klettern ausprobieren, Bowlen oder Skifahren. Alle Aktivitäten aufzuzählen würde an dieser Stelle den Rahmen sprengen. Sehr beliebt waren auch die Pub Crawls, bei denen die älteren Studenten den Frischlingen die Pubs hier in Newcastle und sogar in Durham zeigten. Denn Newcastle ist neben Glasgow als eine der Partystätte im Norden Großbritanniens bekannt und mit unter auch berüchtigt. Die meisten Tagesaktivitäten fanden mehrmals am Tag statt. Man musste sich nur rechtzeitig in einer der Teilnehmerlisten eintragen und schon war man mittendrin und nicht nur dabei. Da vieles außerhalb des Stadtzentrums lag, wurden die Gruppen mit angemieteten Kleinbussen zu den Orten gefahren. Fahrer waren die ältere Studenten mit den hellblauen Shirts. Was besonders

toll war, war, dass jede Gruppe von mindestens zwei Crewmitgliedern (orangene Shirts) begleitet wurden. Natürlich wollten sie ebenfall für umsonst an den Aktivitäten teilnehmen, aber im Vordergrund stand die Betreuung der neuen Studenten. Auch holten die Crewmitglieder die Studenten aus ihren Unterkünften ab und organisierten auch die Heimfahrten weit nach Mitternacht. Wer bis dahin noch niemanden kannte, lernte in der ersten Woche schnell neue Leute kennen und allein blieb keiner lange. Ebenso wie bei uns in Greifswald stellten sich auch sämtliche Student Societies der Uni vor und warben um neue Mitglieder. Überall konnte man sich in Mailinglisten eintragen und an Fresher Tastings Sessions teilnehmen. Zum Langeweile-haben hatte in dieser Woche keiner Zeit. Und wenn doch, war man selbst Schuld. Allerdings muss ich sagen, dass die Fresher’s Week natürlich eher für die Erstis organisiert wurde, die in England mit 18/19 Jahre an der Uni starten. Aber wir Internationals hatten dennoch unseren Spaß und haben die erste (noch) vorlesungsfreie Uniwoche sehr genossen und neue Freundschaften geschlossen. Und wiederum ist dem Studentenmagazin zu entnehmen: „Your parents are wondering why they haven’t heard from you in days ... Enjoy your Fresher’s Week – it’ll be the only one you have!“ moritz-Redakteurin Verena Lilge absolviert derzeit ein Auslandssemester an der englischen University upon Tyne.

titelthema

Greifswalder Studenten an europäischen Unis

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moritz’ hochschulpolitisches Lexikon Teil I – AStA und StuPa Die Hochschulpolitik steckt voller Missverständnisse. Es geht schon los mit den verschiedenen Abkürzungen, mit denen bestimmte Gremien bezeichnet werden. An dieser Stelle soll eine Frage ein für allemal beantwortet werden: Welches Geschlecht hat der AStA? Da sich hinter diesem Kürzel der „Allgemeine Studierendenausschuss“ verbirgt, ist er natürlich männlich, auch wenn sehr viele Studentinnen dort arbeiten. „Die AStA“ ist also falsch, auch wenn dieser Ausdruck an eine hübsche Blume erinnert (die Aster). Doch was macht der AStA? Nun, man könnte sagen, er ist so eine Art Bundesregierung auf Ebene unserer Universität – allerdings nur für die knapp 11 000 Studierenden, die sich nach dem Landeshochschulgesetz selbst

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verwalten dürfen. Die Bundeskanzlerin heißt bei uns AStA-Vorsitzende und die einzelnen Minister sind Referenten (etwa für Hochschulpolitik, Finanzen oder Soziales), denen in bestimmten Bereichen Co-Referenten unter die Arme greifen. Neben dem Vorsitzenden (zurzeit ist das Alexander Gerberding) besteht der AStA aus sechs Hauptreferenten, denen acht Co-Referenten zuarbeiten. Für besondere Fragen (z.B. der geschlechtlichen Ausrichtung) gibt es noch drei „autonome Referenten“, was nicht etwa heißt, dass diese stets Steine schmeißen. Sie sind in ihrer Arbeit lediglich freier und direkt dem Studierendenparlament (StuPa) Rechenschaft schuldig. Doch was ist das nun wieder? Bleiben wir beim Vergleich mit der Bundespolitik, handelt es sich beim StuPa, das übrigens sächlich, wenn auch nicht immer

sachlich ist, um den Bundestag. Hier sitzen 21 „Abgeordnete“, die so genannten StuPisten, vierzehntäglich dienstags zusammen um über aktuelle Fragen der Hochschulpolitik und Anträge zu beraten. Besonders häufig sind Finanzanträge, die von jedem Studierenden der EMAU gestellt werden können. Überhaupt spielt Geld eine wichtige Rolle, denn das StuPa entscheidet auch darüber, wie die acht Euro, die jeder Studierende pro Semester zahlt, eingesetzt werden. Daneben wählt das Parlament, das von einem dreiköpfigen Präsidium geleitet wird, den AStA und kontrolliert dessen Mitglieder, die die Beschlüsse des StuPa umsetzen müssen. Beide Gremien freuen sich übrigens sehr über Besuch, sowohl in der realen als auch in der virtuellen Welt: http://www.asta-greifswald.de/ ring


Die Sanierung stand vor der Tür, der Umzug war schon seit längeren anvisiert. Im August verließ der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) sein altes Domizil in der Rubenowstr. 1 und zog in die Domstr.12 um. „Wir haben jetzt eine größere Fläche zur Verfügung“, so AStA-Vorsitzender Alexander Gerberding. „Es ist nicht mehr so eng wie in den alten Büros. Man steht sich nicht mehr auf den Füßen.“ Die nahegelegene Augenklinik stand zur Diskussion. Im Dachgeschoss sollten dort ursprünglich die Büros eingerichtet werden. Dann stellte sich heraus, das Dachgeschoss sei nicht nutzbar. Da bereits vor einem halben Jahr ein Teil derAStA-Referenten in das Dachgeschoss der Domstraße 12 umsiedelten, zeichnete sich daraufhin ein weiterer Nachzug ab. Neben dem AstA hat auch das StuPa-Präsidium und die Vorsitzenden der Fachschaftsratskonferenz (FSK) ihren neuen Platz in der Domstraße 12 gefunden. Ab 2008 steht dem AStA möglicherweise das gesamte Haus zur Verfügung. Zur Zeit befindet sich ja noch die Abteilung für Technik in der ersten Etage des Hauses. Mehr Arbeitsfläche „Wir haben den Umzug an einem Augustwochenende gemacht.“ Alle Referenten, die vor Ort waren, packten mit an. Nicht die Strecke von 50 Metern zwischen der Rubenowstraße 1 zur Domstraße 12 sei ein Problem gewesen. „Das Schwierigste war das Auseinanderbauen der Möbel“, so Alexander Gerberding. „Die Räume sind hier ganz anders aufgeteilt“, sagt der AstA-Vorsitzende. „Früher waren sie

auch höher.“ Jetzt kann das Mobiliar ganz gestellt werden. Ein paar Schreibtische sind dazu gekommen. Ansonsten zog die komplette Einrichtung und Technik mit. Eine Teeküche gibt es allerdings im Vergleich zu früher bisher noch nicht. Bessere Beratung Für den Publikumsverkehr ist es günstiger geworden. Die Referenten begrüssen die Fragenden von der neuenTheke aus, die Räume sind frisch gestrichen, Informationsmaterial liegt gut sichtbar aus. „Hier können wir auch besser beraten“, meint Alexander Gerberding. Eine Sache sieht er mit einem etwas weinenden Auge: „Früher waren wir im Audimax und damit dichter an den dortigen Studierenden.“ Zwar war der Weg für sie kürzer zum AstA-Büro, dennoch gibt er zu Bedenken: „Wir konnten damals nicht Studierende aller Fachrichtungen erreichen.“ Aber das lag und liegt eher an der Lage des Büros und der Verteilung der Institute quer über das Stadtgebiet. Ein unschlagbarer Vorteil ist unabhängig davon der neue Beratungsraum. Dank des separaten Eingangs können dann alle anstehenden Fragen zu beispielsweise Studium, BaföG und Wohnen in Ruhe geklärt werden. „Das verbessert die Atmosphäre“, so Alexander Gerberding. Wer sich von all dem gern selbst überzeugen möchte, sollte einmal in der Domstraße 12 oder am Tag der offenen Tür vorbeischauen. Der findet am10. November statt. ur

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Nach der Sommerpause

Ein Doppelinterview mit Kathrin Berger,Präsidentin des Studentenparlaments (StuPa) und Alexander Gerberding, Vorsitzenden des Allgemeinen Studentenausschusses (AStA) über Greifswalder Hochschulpolitik, die baldige Immatrikulationsfeier und Gremienwahlen.

moritz: Wie sieht die Bilanz der bisherigen Amtszeit aus? Alexander Gerberding (AG): Summa summarum positiv. Kathrin Berger (KB): Das StuPa hat sich im April konstituiert und wir haben seither neunmal getagt, das StuPa war also fleißig. Wir haben alle wichtigen Entscheidungen getroffen, die zu Beginn einer Legislatur zu treffen sind. AG: Hochschulpolitisch ist es seit der Zielvereinbarung im Land ruhiger geworden. Projekte wie die Klage gegen die Rückmeldegebühr und die Verhandlungen zur Umzugskostenbeihilfe laufen natürlich weiter. In diesen Wochen werden wir versuchen uns in den laufenden Ko a l i t i o n s ve r h a n d l u n g e n Gehör zu verschaffen, dabei geht es vor allem um eine von uns angestrebte Änderung des Landeshochschulgesetzes für mehr Hochschulautonomie und die Verhinderung der Einführung von Studiengebühren. Welche Ziele und Pläne gibt es für die kommende Zeit nach der Sommerpause? Fotos: ur AG: In Stichworten: Fortführung des Projektes „gemeinsame Kita“ mit Uni, Studentenwerk und Klinikum, Mitgestaltung der Pläne für einen Neubau der Mensa, Beeinflussung der Koalitionsverhandlungen in Schwerin, die Durchführung der Wahlen und der traditionellen 24-Stunden-Vorlesung Mitte Januar, Intensivierung des Austauschs zu den Studierenden in Stettin, Etablierung der regelmäßigen Evaluation der Lehre an der ganzen Uni und die Bereicherung des kulturellen Lebens der Stadt und der Uni. KB: Die Aufstellung des Haushalts ist für die Zeit bis Weihnachten wichtig. Ich denke, das StuPa sollte dafür möglichst eine eigene Sitzung einplanen, um darüber zu beraten und beschliessen zu können. Es geht ja doch um eine ganze Menge Geld.

hochschulpolitik

Alexander Gerberding

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Wie sind die Arbeitsbedingungen seit dem Umzug in die Domstraße 12? AG: Das neue Büro ist größer. Es sind

mehr Arbeitsplätze vorhanden. Es ist mehr Platz zum Arbeiten. KB: Übrigens: Die StuPa-Sitzungen finden dennoch wie bisher 14-täglich dienstags im Hörsaal 1 in der Rubenowstraße (Audimax) statt. Was ist bitte aus der Anfrage des StuPaPräsidiums beim Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages geworden? Gab es eine Antwort? KB: Der AStA hatte, ursprünglich ausgearbeitet vom BAFöG-Referenten Mirko, einen Beschluss gefasst, das BAFöG an die jährliche Inflationsrate anzupassen. Dieser wurde ins StuPa eingebracht. Das StuPa hat darüber entschieden und wir als Präsidium (Philipp Kohlbecher und ich) haben beschlossen, in dieser Frage den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages zu ersuchen.Wir haben eine Antwort erhalten, worin uns mitgeteilt wurde, dass nach einer Stellungnahme aus dem Bundesministerium für Bildung und Forschung dieses Begehren als erledigt abgetan wird. Es hatte also keine Aussicht auf Erfolg. Wir prüfen gerade, ob wir dagegen Widerspruch einlegen. Wir als Präsidium müssen darüber in Ruhe entscheiden und vielleicht muss dazu auch das StuPa noch einmal gehört werden. Gibt es eine Diskussion über die Beteiligung von AStA-Referenten bei der diesjährigen Landtagswahl in MecklenburgVorpommern? AG: Es kann nicht sein, dass AStAReferenten sich nicht an hochschulpolitischen Aktionen beteiligen, weil sie dann durch ein Arbeitsverhältnis mit einer Partei befangen wären. Das gilt es zu klären, für die Vergangenheit und für die Zukunft. KB: Ja, im letzten Sommer vor der vorgezogenen Bundestagswahl, kam dieses Thema auch schon mal hoch, weil dort einige Referenten im AStA Wahlkampf gemacht haben. Das StuPa hatte dann nach Antrag im Oktober letzten Jahres angefangen, darüber zu beraten. Es hat leider erst in der letzten Sitzung der letzten Legislatur einen Beschluß dazu gefällt. Die Gültigkeit beschränkte sich aber nur auf die endende Legislatur. Damit wurde er mit der Neukonstituierung des StuPa im April unwirksam. Das heißt, dass AStA-Referenten jetzt Wahlkampf machen oder jetzt Wahlkampf auf der

Landtagswahl machen, ist bei der jetzigen Beschlusslage durchaus möglich. Das ist nicht verboten. Andererseits muss man sich natürlich im Einzelfall fragen, inwieweit diese Personen loyal gegenüber der Studierendenschaft sind. Ich würde mir wünschen, dass das Studierendenparlament diesmal einen etwas grundsätzlicheren Entschluss fasst und dabei zügig zu einem Ergebnis kommt. AG: Meines Erachtens muss es eine Diskussion darüber geben. Das Studierendenparlament ist dafür der richtige Ort. Wie bewertest ihr die Verschiebung der Immatrikulationsfeier durch das Rektorat? KB: Durch das Unijubiläum in der Festwoche vom 16.Oktober an ist es dem Rektorat persönlich nicht möglich, die Immatrikulationsfeier am ersten Tag des Semesters, also am 16. Oktober, zu organisieren. Es gab Bestrebungen das Ganze während der Verleihung der akademischen Grade im November abzuhalten. Dazu gab es dann seitens der Studierendenschaft Proteste. Nun organisiert der AStA mit Zustimmung des Senats der Uni Greifswald die Feierlichkeit. AG: Es handelt sich nicht um eine Verschiebung, sondern die Universitätsleitung wollte die Veranstaltung erst gar nicht durchführen. Das ist eine Schande. Vor allem dann, wenn man in der Ostsee-Zeitung liest, das läge am durch das Jubiläum ausgeschöpften Budget. Vielmehr wurde uns erklärt, es seinen keine personellen Kapazitäten für die Planung einer weiteren großen Feier frei. Zumindest aufrichtig könnte die Uni-Leitung sein. KB: In einer Sitzung des Senats im August brachten der AStA und auch vom Senat mit der studentischen Senatorin, die Feierstunde am 23. Oktober stattfinden zu lassen. Die Organisation übernimmt nun der AStA. Das Rektorat ist von der Idee begeistert, übernimmt auch die Miete, bekundete dennoch keine personelle Unterstützung bei der Vorbereitung. In Senatssitzung im September gab es die Bestätigung, dass sowohl der Senat als das Rektorat gemäß der bisherigen Tradition bei der Immatrikualtionsfeier einziehen werden. Also am 23. Oktober um 14 Uhr. Es bleibt aber zu hoffen, dass dies ob des Unijubiläums ein Einzelfall


Wie gestaltete sich bisher die Zusammenarbeit mit dem Rektorat? KB: Den Rektor sehe ich in den Senatssitzungen. Zum Rektoratsbericht darf ich Fragen stellen. Ich bin da als StuPa-Präsidentin rede- und antragsberechtigt. Mehr habe ich mit dem Rektor eigentlich nicht zu tun. AG: Freundlich. Die Rektoratsmitglieder, insbesondere der Kanzler, haben ein offenes Ohr, wenn es um studentische Interessen geht. Leider ist es nicht die optimale Zusammenarbeit, wenn die Studierendenschaft mancherlei Entwicklung erst sehr oder gar zu spät seitens des Rektorats erfährt. KB: Nach dem Landeshochschulgesetz (LHG) übt das Rektorat die Rechtsaufsicht über das StuPa aus. Das heißt, die genehmigungspflichtigen Änderungen in unserer Satzung und Finanzordnung legen wir dem Rektorat zur Genehmigung vor. Das einziges Manko daran ist, dass es so lange dauert. In der letzten Legislatur haben wir neun Monate darauf gewartet, dass Satzungen genehmigt wurden, und in diesem Jahr hat es bei einer unbedeutenden Änderung in den Finanzordnungen über zwei Monate gedauert. Wir arbeiten ja auch damit. Wenn das so lange dauert, ist das nicht möglich. Es ist schade, wenn unsere Arbeit solch eine niedrige Priorität genießt. Das StuPa hat sich im Übrigen gegen eine Wiederwahl Professor Westermanns als Rektor ausgesprochen. AG: Der AStA hat eine Position zu einer möglichen Wiederwahl Westermanns und diese hat sich auch nicht geändert. Nachdem die Befragung des Kandidaten im Juli für wenig Interesse gesorgt hat, bleibt uns nur, unsere Bedenken bezüglich der vergangenen Amtshandlungen und das daraus entstandene enttäuschte Vertrauensverhältnis weiter zu artikulieren und unsere Bedenken den Senatoren zur Kenntnis zu geben. Sind Greifswalder Studenten politikmüde? AG: In den letzten Jahren haben viele Studierende unserer Universität gekämpft. Vor allem gegen die jährlichen Kürzungsrunden. Das macht müde. KB: Das möchte ich ganz klar verneinen. Wir haben in allen Gremien (in den Fachschaften, im AStA, im StuPa, in den Fakultätsräten etc.) Vertreter der Studierendenschaft sitzen. Das heißt, es gibt viele engagierte Studierende. AG: Politikmüdigkeit ist dennoch eine bundesweite Erscheinung. Solange nicht ein zeitnahes Thema auf der Agenda steht, das die Mehrheit der Studierenden betrifft, rühren sich nur Wenige. Vieles, was in der Landespolitik oder innerhalb

der Universität passiert, ist nicht hinreichend protestwürdig und den Wenigsten zu vermitteln. KB: Wir können das nicht pauschalisieren. Ja, es gibt Studierende, die sich dafür nicht interessieren und die wir auch nicht erreichen. Das muss man auch hinnehmen. Man kann sich dann aber weder zurücklehnen und noch die Flinte ins Korn werfen. Wie sieht eine mögliche Zukunft der hiesigen studentischen Hochschulpolitik aus? KB: Ja, was wird die Zukunft bringen? Wir müssen unsere Arbeit fortsetzen, am Ball bleiben, also Öffentlichkeitsarbeit immer aktiv weiter betreiben, die unsere Tätigkeiten publik machen. Gleichzeitig sollten wir uns im StuPa hin und wieder einmal an die eigene Nase fassen: Wir haben in jeder Sitzung Gäste, die immer willkommen sind. Da muss es - bei aller Berechtigung zu längeren konstruktiven Diskussionen - auch möglich sein, effektiv zu arbeiten und ein gewisses Diskussionsniveau zu halten. Die Gäste sollen ja schließlich wieder kommen und vielleicht sogar selbst einmal im StuPa sitzen. AG: Die zukünftigen Aufgaben der Greifswalder Hochschulpolitik liegen in der Sicherung und dem Ausbau der Hochschulautonomie ohne Schwächung der universitären Gremien, im Kampf um eine gerechte Mittelverteilung zwischen den Hochschulen in M-V und innerhalb der Universität und der stetigen und umfassenden Berücksichtigung studentischer Interessen. Trotzdem steht Bachelorund Masterstudenten nicht mehr soviel Zeit für Dinge neben dem Studium zur Verfügung. KB: Das ist richtig und eine Herausforderung. Magisterstudierende haben zwar mitunter ein bisschen mehr Zeit, sich zu engagieren. Aber ich denke, wenn wir deutlich machen, was wir tun, wird sich sicher die eine oder der andere dafür entscheiden. Wir müssen einfach am Ball bleiben. Welches Fazit zieht ihr aus der Vollversammlung? KB: Die Vollversammlung Anfang Juli war leider nicht beschlussfähig, man kann jetzt nach Gründen suchen. Ich möchte sie nicht nur in der gleichzeitig stattfindenden Fußball-WM finden. AG: Trotz der sehr geringen Beteiligung war es unser Anliegen und unsere Pflicht, über das Thema Mensaneubau zu informieren und eine entsprechende Legitimation der Studierenden zu herbeizuführen. Das Feedback auf der Versammlung hat uns indes bestärkt, das Projekt weiter aktiv mitzugestalten.

Welche Ziele gibt es für die Wahlen im Januar? KB: Die Senatssitzung im August hat ergeben, dass die Wahlen der universitären Gremien Mitte Januar stattfinden werden. In diesem Jahr haben wir die Wahlen des Studierendenparlaments in den gleichen Zeitraum gelegt. Das StuPa täte gut daran, sich wieder dafür zu entscheiden. Ich würde das auch gerne so vorschlagen. Dann könnten wir nämlich parallel dazu unsere Werbung für Wahlen der studentischen Gremien machen – sprich die Fakultätsräte, den Senat und das StuPa. AG: Eine deutlich zweistellige Wahlbeteiligung ist unser Ziel. Es wäre gut, wenn jeder Fünfte wählen ginge. Das möchten wir durch eine enge Zusammenarbeit mit den studentischen Medien und durch unsere neuen Broschüren zu den beiden studentischen Selbstverwaltungen (AStA, Kathrin Berger StuPa), die in unserem Büro ausliegen, erreichen. KB: Dank der zusammengelegten Termine für alle Gremien lag die Beteiligung bei den letzten Wahlen bei über 12%. Das klingt vielleicht wenig, ist aber immer noch mehr als in den Vorjahren. Dort blieb sie immer unter 10 Prozent. Welche Stellen suchen noch einen Kandidaten? AG: Das Referat für Hochschulpolitik und das autonome Referat für Studierende mit Behinderungen und chronischen Krankheiten sind ab sofort und ab 1. November das autonome Referat für Ausländerfragen zu besetzen. KB: Gleichzeitig sucht das Studentenwerk Greifswald ein studentisches Mitglied im Vorstand und eine Vertretung. Bei den studentischen Medien wird eine Chefredaktion für den Webbereich und eine neue Geschäftsführung gesucht. Diese ganzen Stellen sind nicht besetzt und werden auch weiter ausgeschrieben. Dafür werben wir auch. Was passiert am Tag der offen Tür? Wann findet er statt? AG: Unser Tag der offenen Tür findet am Freitag, den 10. November in unseren Räumlichkeiten der Domstraße 12 statt. Es wird neben Essen, Getränken und Musik vom radio 98eins Infos zur studentischen Selbstverwaltung und unseren Projekten geben. Außerdem wird es eine historische Führung durch das Haus in der Domstraße 12, übrigens das älteste Haus der Universität, und eine Versteigerung von AStA-Referenten für einen guten Zweck geben. ur

hochschulpolitik

bleiben wird.

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Bewertung erwünscht!

Foto: ur

hochschulpolitik

Die Evaluation der Lehre an der Greifswalder Universität

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Evaluationen dienen der Analyse und Bewertung des Bildungswesens. Rückblickend sollen die Leistungen nach vorher festgelegten Gütekriterien eingeschätzt werden. Natürlich sind Lehrevaluationen aufwendig, aber auch nowendig um im Konkurrenzkampf der Hochschulen zu bestehen. Das Bundesland MecklenburgVorpommern verankerte diese im Landeshochschulgesetz (§§ 33, 93/ Grundordnung §2, Abs. 6). Die Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald reagierte auf den Entscheid des Landesparlaments in Schwerin und erließ im April 2005 eine für die Hochschule am Ryck geltende Evaluationsordnung. Eine institutionell betriebene Bewertung der Lehre an der Alma mater wird darin gefordert und die Grundsätze und das Verfahren der Bewertung der Lehrqualität werden dargestellt. Die gesetzlich geregelte Möglichkeit der Evaluierung der besuchten Veranstaltungen sollten die Studierenden nutzen. Zwar kann man dem Dozenten auch außerhalb der Universität seine Meinung sagen – klein genug ist ja die Hansestadt Greifswald um sich privat über den Weg zu laufen. Doch der Aufwand der direkten Bewertung lohnt sich auch für den Einzelnen. Mittel- und langfristig reagiert die Hochschule auf die Ergebnisse der Auswertung. Wenig erbaulich Wer von sich behaupten kann, seinen Dozenten und dessen Lehrveranstaltung bewerten zu dürfen und können, darf sich glücklich schätzen. Vor allem die Medizinische Fakultät bedient sich dieser Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung der Lehre. In einem Pilotprojekt wurden Medizinstudenten mit Mobiltelefonen ausgestattet und gaben per SMS nach Ende einer Vorlesung ihr Urteil ab. Das Studiendekanat des Faches Humanmedizin befürwortet die Feedback-Möglichkeit der angehenden

Ärzte sehr und reagiert auf das schlechte Abschneiden einzelner Veranstaltungen zügig. Das Gleiche gilt für die Rechtsund Staatswissenschaftlichen Fakultät. Auch in der Philosophischen Fakultät sitzen Verfechter der Lehrevaluation. Doch wenig erbaulich sind die während der Bachelor- und MasterAkkreditierungsgutachten entdeckten mangelhaften Evaluationsbemühungen in jener Fakultät. Abhilfe Mit dem System InstEval der Universität Mannheim möchte die Universität Greifswald deshalb Abhilfe schaffen. Auf einer Internetseite bewerten die Teilnehmer einer Lehrveranstaltung diese nach unterschiedlichen Kriterien. Der Online-Fragebogen betrachtet zuerst die Veranstaltung und den Dozenten im gesamten, bevor beide genauer benotet werden können. In die Bewertung fließen auch die Rahmenbedingungen wie zum Beispiel Raumtemperatur, die Beurteilung der Referate und der selbstkritische Blick auf die eigene Leistung in der jeweiligen universitären Veranstaltung ein. Um die Daten schnell auswerten zu können, stehen als Antwortmöglichkeiten die Schulnoten eins bis sechs zur Verfügung. Die bewertenden Studenten brauchen sich keine Sorgen um den Datenschutz machen und ihre Angaben werden anonym ausgewertet. So fordert es auch die Greifswalder Evaluationsordnung. Online? Der Rektor empfiehlt InstEval, denn diese Evaluationsmöglichkeit ist „testtheoretisch optimiert“, wertet die Daten automatisch aus und liefert sogleich die entsprechenden Ergebnisse. Alles dazu noch völlig kostenlos für die Greifswalder Hochschule. Kritiker von Online-Befragungen weisen auf die niedrigere Beteiligungsrate an solchen Umfragen hin. Während einer

Lehrveranstaltung sei der Rücklauf an ausgefüllten Evaluationsbögen gemessen an der gesamten Teilnehmerzahl höher. Die Eingabe der durch die schriftliche Befragung erhobenen Daten in InstEval ist außerdem zeitaufwendig. Als weiteres Argument gegen eine Umfrage über das Internet wird die Möglichkeit der Face-to-Face-Kommunikation zwischen Lernenden und Lehrenden über die Schwachstellen in der Lehre angebracht. Natürlich kann ein Dozent genauso dem Studierenden Feedback über dessen Leistung nahe bringen. Den Kritikern kann mit den Nutzungsgewohnheiten der Studierenden entgegnet werden: sowohl zum privaten Vergnügen, als auch zur Recherche, Online-Bestellung von Büchern, Kommunikation mit Dozenten, ... - also für die universitäre Arbeit – wird das Internet genutzt. Warum sollten die technikaffinen Greifswalder Studenten nicht auch noch die Lehre ihrer Institute online bewerten? Endeffekt Die Lehrevaluation läßt sich auch durch andere technisch ausgereifte Lösungen bewältigen. Beispielhaft sind Hochleistungs-Dokumentenscanner mit angeschlossener Software zu nennen. Diese unterstützen die Eingabe schriftlicher Fragebögen. Die Software wertet diese danach aus und weist ebenfalls auf Stärken und Schwächen der Lehre hin. Diese Scanner können auch anderweitig benutzt werden. Der Rektor der Ernst-Moritz-ArndtUniversität, Prof. Rainer Westermann, bevorzugt aber lieber die InstEvalLösung. Egal ob die Lehre online oder auf Papier bewertet wurde. Egal wie die Auswertung stattgefunden hat; Hauptsache die Lehrqualität verbessert sich. bb, ur Informationen zu InstEval der Universität Mannheim: www.sowi.uni-mannheim. de/insteval/info.php


Sicherheit geht vor ...

Die Uni feiert ihr 550-Jubiläum und hoher Besuch hat sich angekündigt Am 17. Oktober ist es endlich soweit und Ihre Majestät, die Königin von Schweden Sylvia, und der Bundespräsident, Horst Köhler, werden freudig erwartet. „Ich finde es eine tolle Sache und große Ehre, dass der Bundespräsident sofort zugesagt hat, als ich ihn letztes Jahr eingeladen habe“, erklärt der Rektor, Prof. Dr. Rainer Westermann begeistert, „ich freue mich wirklich sehr über den Besuch des Bundespräsidenten. Die Universitäten sind ja Landessache und, dass der Ministerpräsident kommt, ist schon fast selbstverständlich.“ Aufgeregt ist er jedoch nicht, der Rektor der Greifswalder Hochschule. Nach fest vorgeschriebenem Protokoll wird er um 9.40 Uhr vor dem Universitätshauptgebäude die Ehrengäste in Empfang nehmen. Das erste, was er sagen wird? „Guten Tag“, denn zum Glück ist Ihre Majestät gebürtige Deutsche. Seit eineinhalb Jahren laufen die

Vorbereitungen und großer Aufwand war nötig. Mit dem Bundespräsidialamt, der Staatskanzlei, der Deutschen und der Schwedischen Botschaft musste Kontakt

vorbereitet. Das Jubiläum soll auch das Bild der Alma mater als funktionierenden Wissenschafts- und Technologiestandort vermitteln und stellt sich damit auch dem knallharten Wettbewerb und besonders an einem solchen Feiertag. Image ist halt wichtig. Zusätzlich muss der Personenschutz gewährleistet sein. „Die Sicherheitsauflagen sind angesichts der momentanen Weltlage enorm“, stellt Frau Steinke fest: „Ein Staatsbesuch ist nicht alltäglich.“ Jedenfalls nicht in Greifswald. Die Jubiläumsgäste der Ernst-Moritz-ArndtUniversität werden als hochgradig gefährdet eingestuft, deshalb werden durch alle Veranstaltungsorte Spürhunde geführt und viele Polizisten, vor allem Zivilkräfte, im Einsatz sein.

Fotos: ring,Archiv

aufgenommen werden. Das Protokoll musste erstellt und Einladungen veschickt werden. „War früher ein Jubiläum nur ein feierlicher Anlass, geht es heute weit darüber hinaus. Heute ist es eine Imageoffensive“, weiß Constanze Steinke, die mit ihrer Agentur seit über einem Jahr die ausstehenden Feierlichkeiten

Zur weiteren Sicherheit werden alle anwesenden Journalisten durch das Bundeskriminalamt gecheckt und die Einladungen gelten nur zusammen mit dem Personalausweis. Auch Rektor Prof. Dr. Westermann hat eine Einladung bekommen und stellt sich nun die Frage: „Was passiert, wenn ich am Dienstag meinen Personalausweis vergesse?“ cole


Im Glanze ihrer selbst Die Universität feiert sich mit einer Festschrift Am 6. Juli war es endlich soweit. Mit Stolz geschwellter Brust präsentierten Prof. Dr. Karl-Heinz Spieß und Dr. Dirk Alvermann den erwartungsvoll gespannten Journalisten die zweibändige Festschrift der Universität Greifswald. Vor 10 Jahren beauftragte der damalige Rektor Jürgen Kohler den Professor für mittelalterliche Geschichte - Prof. Spieß mit der Leitung und Koordination einer Festschrift anlässlich des Jubiläums 2006. So auch geschehen. Fortan recherchierten und befassten sich rund 30 Autoren mit der Geschichte und Entwicklung unserer alma mater. Das Ergebnis sind über 900 Seiten geballte Greifswalder Universitätsgeschichte. Zielstellung des monumentalen Werkes war, die Bedeutung der Universität im

jubiläum

Die stolzen Herausgeber der Festschrift

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Kontext politischer, gesellschaftlicher und sozialer Umbrüche herauszustellen. Aus diesem Grund beschäftigt sich Band 1 zunächst mit der Geschichte der Fakultäten im 19. und 20. Jahrhundert und anschließend wird in Band 2 die Universität in Stadt, Region und Gesellschaft untersucht. Sehr aufschlussreich, weil immer wieder erschreckend, sind die Vorgänge an der Universität zur Zeit des Dritten Reiches. Unverhohlen berichtet der Autor dieses Kapitels, Thomas StammKuhlmann, Professor am Historischen Institut, wie Universitätsangehörige dank der NSDAP aufgestiegen sind und wie der gesamte Lehrbetrieb nach und nach auf nationalsozialistische Ideale umge-

stellt wurde. Ja sogar, dass sich die Uni und speziell die Juristische Fakultät, „nicht durch besonderen Protest oder Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime auszeichnete“. Ab 1933 wurde der Hitlergruß für jeden verbindlich und es folgten Vorlesungen zur „Allgemeinen Vererbungslehre“ und zur „Rassenhygiene“. Die Universität bildete auch keine Ausnahme, als es um den Ausschluss nichtarischer Studenten und Lehrkörper aus dem Universitätsbetrieb ging. Die schwelende Diskussion um den Namenspatron Ernst Moritz Arndt hat in diesen Jahren seinen Anfang und dessen Namensgebung findet in diesem Kapitel ebenfalls Gehör. Der Name ging 1933 von der Hochschulgruppe des Frontkämpferverbandes „Stahlhelm“ aus, also von der Universität selbst. Ernst Moritz Arndt prägte auch den Begriff des „Greifswalder Schlafes“ – seine Bezeichnung für faule Studenten, mittelmäßige Professoren und die provinzielle Rückständigkeit der Universität. Ebenso lesenswert ist der Aufstieg und Untergang der Arbeiter-und-BauernFakultät, kurz ABF, von 1946 bis 1969. Im sozialistischen Sinne sollten hier die Kinder der Arbeiter und Bauern die Zugangsmöglichkeit zur höheren Bildung erhalten. Betont wird auch der Einfluss der SED, die in ihrem Sinne die Studenten Foto: kats zum Sozialismus erziehen wollte. Beide Bände der Festschrift verdeutlichen, wie sich Parteien im Laufe des 550-jährigen Bestehens der Hochschule immer wieder der „Erziehungsanstalt Universität“ zur Durchsetzung eigener Interessen bedient haben. Auch auf diesem Aspekt liegt also die Bedeutung der Universität. Welchen maßgeblichen Einfluss die Universität auch vor dem 19. und 20. Jahrhundert hatte, schildern die Autoren besonders in Band 2. Darin spielt nicht nur die Universität als Gutsherrin und Kirchenpatronin eine Rolle, sondern auch ihr Einfluss in der juristischen Rechtssprechung und ihre Wirkung zur Zeit der schwedischen Besetzung wird

beschrieben. Auch Ehrensenatoren und Ehrendoktoren finden in einem eigenen Kapitel Platz. Außen vor bleibt dagegen die gegenwärtige Diskussion um Ernst Moritz Arndt und seine Rolle als repräsentativer Namensgeber der Hochschule. Zwar wird im geschichtlichen Rahmen der Philosophischen Fakultät der Hergang der Namensgebung geschildert. Aber nirgends finden sich kritische Anmerkungen zum Wirken Arndts. Auch der in diesem Zusammenhang stehende Nationalist Hermann Schwarz spielt nur am Rande eine Rolle. Der Philosoph und kurzzeitige Rektor war Verfechter des national-deutschen Gedankenguts, trat bereits 1923 in die NSDAP ein und nutzte den Namen Arndts zur Abgrenzung der Universität gegen die französische Fremdherrschaft. Vielleicht verzichtete man bewusst auf ein erneutes Entfachen dieser Diskussion, handelt es sich doch immerhin um eine Festschrift, die als Hommage an die Universität gedacht ist. Würde man weitergehen, könnte man auch hinterfragen, weshalb auf dem Umschlag der Festschrift nicht der offizielle Name Ernst-Moritz-Arndt Universität auftaucht. Im mattgrauen Layout ist dort von der „Festschrift zur 550-Jahrfeier der Universität Greifswald“ zu lesen. Nur links davon sitzt ein nachdenklich gestimmter Ernst Moritz Arndt in Form der Seitenfigur des Rubenow-Denkmals. Dabei ginge es bei der Beschäftigung mit dem Thema nicht um eine Stellungnahme, sondern lediglich um eine selbstkritische Reflexion und eine sensible Aufklärung. Denn schließlich zählen der Namenszusatz und dessen Entstehung zu einem der wichtigsten politischen, sozialen und gesellschaftlichen Umbrüche seiner Zeit. Denn vor allem der Name gibt nach außen hin Aufschluss über die Identität einer Hochschule, über den sie sich auch von anderen Hochschulen abgrenzt. Alles in allem bietet die Festschrift jedoch mit ihrem breiten Spektrum an Artikeln und den zahlreichen Abbildungen einen komprimierten Gesamtüberblick über zweifellos beeindruckende 550 Jahre Universität Greifswald. Und die Herausgeber sowie Autoren und alle Beteiligten können sich zu Recht über eine gelungene Aufbereitung freuen. kats


Pleiten, Pech und Pannen

Die Einladepraxis zum Festakt sorgt für Unmut

Am 17. Oktober wird die gesamte Universität im Dom ihren 550. Geburtstag feiern. Die gesamte Uni? Nein, eine bestimmte Gruppe wird nur wenig vertreten sein, wenn der Bundespräsident und die schwedische Königin Greifswald ihren Besuch abstatten - und das, obwohl sie ein wichtiger Bestandteil des „Universums“ ist, ja, die „Alma mater“ ein ums andere Mal am Leben erhalten hat: die Studierenden. Kathrin Berger ist sauer. Vor einigen Wochen musste die Präsidentin des Studierendenparlaments ihren Abgeordneten mitteilen, dass diese nur alleine am Festakt im Dom teilnehmen könnten und nicht in Begleitung, wie es vorher in der Einladung des Jubiläumsbüros geheißen hatte. „Ich kann es nicht nachvollziehen, dass da erst Leute ein- und später wieder ausgeladen werden“, zeigt sich Kathrin Berger enttäuscht. „Der Dom ist einfach schon knackevoll“, versucht Constanze Steinke zu erklären. Ihre Rostocker Agentur hat während des Jubiläums die PR-Arbeit der Universität übernommen. „Mit so vielen Interessenten haben wir nicht gerechnet“, gibt sie zu. Allein der NDR werde als Medienpartner mit 85 Angestellten im Dom vertreten sein. „Mehr als 1200 Gäste bekommen wir da nicht unter.“ Planungsfehler im Jubiläumsbüro könne

sie jedoch nicht ausmachen. Der dort für den Festakt Ve r a n t w o r t l i c h e , Boris Spix, wollte sich zur Einladepraxis nicht äußern. Auch auf eine andere Frage gibt es keine Antwort. Unbestätigten Gerüchten zufolge sollen die Partneruniversitäten der Ernt-MoritzA r n d t - U n i ve r s i t ä t zunächst zu den Jubiläumsfeierlichkeiten eingeladen worden sein, doch als das Organisationsbüro die finanziellen Mittel hierfür nicht auftreiben konnte, kurzerhand eine Ausladung erhalten haben. „Einige Posten wie zum Beispiel die hohen Sicherheitsmaßnahmen sind teurer geworden als wir zunächst gedacht haben“, berichtet Constanze Steinke.

Dies habe zu gewissen Sparmaßnahmen geführt. Eine Verbindung zu einer möglichen Ausladung sieht sie jedoch nicht. Doch auch so ist diese „Sparmaßnahme“ eher ein blamables Ereignis für die Außendarstellung der Universität. Ein anderer Punkt am Rande des Festakts scheiterte am Desinteresse der Studierenden. So hatte Bernd Eckloff in seiner Eigenschaft als Fahrer des Rektors im September zehn Studenten gesucht, die während des Festakts prominente Gäste im Audi A8 durch Greifswald chauffieren sollten. Der Autobauer wollte der Uni die Fahrzeuge kostenlos zur Verfügung stellen, doch leider meldeten sich nur zwei Studenten, das Angebot verfiel. Nun werden die Promis im Bus durch Greifswald fahren. Königin Silvia und Bundespräsident Köhler werden allerdings nicht auf die öffentlichen Verkehrsmittel ausweichen müssen, wie Bernd Eckloff versichert: „Sie werden ihre eigenen Fahrer mitbringen.“ ring

kommentar

War das ein Jahr! Was haben wir unsere Uni lieb gehabt, jeden Tag aufs Neue! Man wird halt nur einmal 550, und wir haben gefeiert wie die Irren. Wir hatten die Zeichen richtig gedeutet. Die enthusiastischen Studenten, die das ganze letzte Jahr damit zugebracht hatten, das Universitätsjubiläum vorzubereiten, haben es schon damals erahnen lassen: dieses Jahr musste ein ganz Besonderes werden. Vergessen war der Druck, dem Studenten durch die neuen Studiengänge Bachelor und Master ausgesetzt werden. Ignoriert die Folgen, die ein wenig ehrenamtliche Arbeit für den Einzelnen haben muss, wenn er eigentlich in seiner Regelstudienzeit fertig werden will. Die Uni rief zur Aktions- und Aktivitätsoffensive und Tausende folgten dem Ruf. Schon bald gab es kein Amt mehr, das nicht vergeben war, keine Idee,

die noch niemand eingebracht hatte. Das Jubiläum sollte ein Erfolg werden, nach Innen wie nach Außen. Das wirkliche Ausmaß der Festlichkeiten dürfte trotzdem jeden überrascht haben. Weder werden wir vergessen, wie eintausend Studenten das Rubenowdenkmal bei seiner Enthüllung mit Blumen bewarfen. Noch werden die Bilder in unseren Köpfen verblassen, auf denen Rektor Westermann mit Studenten Arm in Arm vor dem Hauptgebäude tanzt und singt, während er eine Fachtagung schwänzt. Und jeder Einzelne wird seinen Enkeln genüsslich davon erzählen, wie der Universität Greifswald und ihren Studenten Tag für Tag und in der ganzen Stadt von Greifswalder Bürgern gehuldigt wurde, wegen der Kaufkraft, der Arbeitsplätze und dem kulturellen Anstrich, den eine Stadt durch eine

Universität erhält. Rosen und Kamelle gab’s, und hin und wieder sogar den Kuss einer norddeutschen Schönheit. Viele fragen sich immer noch, wie es zu den Massenkopulationen auf dem Marktplatz kommen konnte, doch können wir diese Frage hier nicht erschöpfend behandeln. Fest steht: So gebührlich wie zu diesem Universitätsjubiläum wurde die Uni Greifswald in ihrer ganzen Geschichte noch nicht gefeiert. Es wurden Stimmen laut, die behaupteten, einigen Studenten sei das Universitätsjubiläum egal gewesen. Es gab sogar das Gerücht, der Universitätsleitung selbst wäre dieses Jubiläum nicht sehr wichtig gewesen. Solche Gedanken sind infame Lügen! Wer so etwas behauptet betreibt Feindpropaganda und sollte mit Fastfood zwangsgemästet werden! Unser Jubiläum war schön, und zwar für jeden! kos

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Ein dreifaches „Hoch!“ auf das Unijubiläum!

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Alter Schwede „Bland oss - Unter uns“ gibt der schwedisch-deutschen Geschichte ein Gesicht

Carl Gustav Wrangel - Schwedischer Generalgouverneur von Pommern

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Quelle: Katalog der Ausstellung

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„Welche Rolle spielt Pommern im heutigen schwedischen Bewusstsein?“ – Dies war eine der Fragen, die am 1. Oktober in einer Podiumsdiskussion im Pommerschen Landesmuseum an die Runde aus Sprach- und Kulturwissenschaftlern, Botschaftsangehörigen und Historikern gestellt wurde. Die nüchterne Antwort des schwedischen Germanisten Prof. Helmut Müssener lautete: „Eigentlich keine.“ Zwar hätte man den GeorgeW.-Bush-Besuch in Stralsund wahrgenommen und auch der Wahlerfolg der NPD in MV löste einige Diskussionen aus, aber das mit diesem Landstrich „jenseits der Ostsee“ einst eine enge historische Verbindung bestand, kommt kaum einem in den Sinn. Und so würde auch der hierzulande so beliebte Begriff der „Südschweden“ dort nur zu Irritationen mit der Landschaft Schonen führen, die sich historisch wiederum mit Dänemark verbunden fühlt. Doch woher kommt dann umgekehrt im heutigen Vorpommern das Bewusstsein, das nach der Wende kurzzeitig zu dem Bestreben führte, anstatt zur Bundesrepublik lieber zu Schweden gehören zu wollen – auch wenn es de facto nur ironisch gemeint war? Was bewegte Caspar David Friedrich, in seinem Spätwerk „Die Lebensstufen“

(um 1835) den beiden Kindern in der kompositorischen Mitte des Bildes ein blau-gelbes Fähnchen in die Hände zu geben? Es ist die bis heute präsente Vorstellung von der „guten alten Schwedenzeit“ – einer Zeit, die in ihrer Gegenwart eigentlich nicht als solche existiert hat was ja generell ein Problem der „historischen Nachbetrachtung“ ist, wobei hier das aktuellere Exempel der „Ostalgie“ zu nennen wäre. Dies unterstrich auch der Historiker Prof. Herbert J. Langer, denn der erste intensivere Kontakt, der sich zwischen Schweden und Pommern durch die Landung Gustavs II. Adolf in Peenemünde 1630 und infolge des Westfälischen Friedens 1648 ergab, war der einer Invasions- und Besatzungsmacht. Das Bild des „Schweden“ wurde also durch die Soldaten geprägt, die häufig gar keine Schweden waren, sondern als Söldner „international“ zusammengekauft wurden. Pommern wurde bis ins 18. Jahrhundert hinein zum Aufmarschgebiet für die schwedischen Expansionspläne, die häufig jedoch nur dazu führten, dass der Krieg ins Land geholt wurde. Nach dem Ende der schwedischen Großmachtzeit 1720 wurden die vorpommerschen Besitzungen auf den Bereich nordwestlich des Peenestroms reduziert. Dieses Gebiet war auch weiterhin verpflichtet, Abgaben an die schwedische Krone zu leisten. Erst mit Beginn des 19. Jahrhundert wurden einige Reformen durchgeführt, die unter anderem Ernst Moritz Arndt animierten, ein äußerst positives Bild dieses nordischen Königreichs zu zeichnen. Doch war dieses in gewisser Weise nur ein „Schwanengesang“, denn durch die häufig wechselnden Machtverhältnisse im Zuge der napoleonischen Kriege kam auch das nördliche Vorpommern nach dem Wiener Kongress 1815 an Preußen. Die territoriale Beziehung zu Schweden war nun Geschichte. Im 20. Jahrhundert sollte Schweden aufgrund eines anderen Phänomens weit über Pommern hinaus in den Fokus kommen. Die sozialpolitischen Umbrüche im Zuge des 1. Weltkrieges und der russischen Oktoberrevolution stürzten das Land im Gegensatz zu anderen Nationen nicht in eine Krise, sondern formten das Bild eines

Gesellschaftssystems, das bis in unsere Tage Präsenz zeigt: der Wohlfahrtsstaat. Die soziale Absicherung aller Bürger war auch ein Diskussionspunkt, der die Beziehungen zur DDR prägte, wobei beide Seiten mit einem, vielleicht etwas verblümten Blick auf die jeweiligen Vorteile schauten. So hatte man auf der einen Seite beispielsweise das schwedische Schulsystem teilweise an dem des sozialistischen Staates orientiert, während man auf der anderen Seite der Ostsee im Saßnitzer Fährhafen allerlei überhöhten Träumen nachsah, die täglich hinter der Stubbenkammer am Horizont verschwanden. Dass diese heile Welt des „Volksheims“ im globalisierten Zeitalter nicht mehr aufrecht zu erhalten ist, bietet (paradoxerweise) für unsere „strukturschwache Region“ neue Chancen. So hat sich beispielsweise das Greifswalder „Schwedenkontor“ auf die Vermittlung von Arbeitsplätzen ins skandinavische Nachbarland spezialisiert. Um den Kontakt auch auf kultureller Ebene weiter voranzutreiben, wurde im Jahr 2000 das Projekt „Schwedenstraße“ ins Leben gerufen, durch das auch die aktuelle Ausstellung „Bland oss – Unter uns“ Unterstützung fand, die noch bis zum 31. Oktober im Pommerschen Landesmuseum zu sehen ist. Der Charakter dieser Ausstellung ähnelt mehr einer Rauminstallation, die es sich zum Ziel gesetzt hat, den Jahrhunderten schwedisch-deutscher Geschichte konkrete Persönlichkeiten zuzuordnen, dem Abstraktum der Historie also ein „Gesicht“ zu geben. So ist hier der spätmittelalterliche skandinavische Unionskönig Erich von Pommern ebenso zugegen wie der schwedische Generalgouverneur Carl Gustav Wrangel. Als farblicher Akzent wurde - aus aktuellem Anlass - Heinrich Rubenow hervorgehoben. Den fast lebensgroßen Abbildungen wurde bewusst kein Name beigefügt, um sie möglichst unvoreingenommen als ein „Gegenüber“ zu betrachten. Mitten unter ihnen steht ein großer Spiegel. In ihm sollen wir erkennen, dass auch wir Teil dieser Geschichte sind und in der alten pommerschen Universitätsund Hansestadt die schwedische Königin ebenso willkommen heißen wie den deutschen Bundespräsidenten. aha


Die Ernst-Moritz-Arndt-Universität und ihre Schwierigkeiten mit der Realität Pünktlich zum Beginn des Jubiläumsjahres 2006 hat die Uni- dezu ein Gütezeichen der Bundesrepublik. Das ist durchaus versität ihr traditionelles Siegel in ein internet-kompatibles nicht ironisch gemeint. Dennoch war und ist es naturgemäß Logo umgewandelt, im April wurde das aufwändig restau- sehr schwierig, von einem authentischen politischen Selbrierte Rubenowdenkmal eingeweiht, Mitte Oktober wird die stverständnis zu sprechen. Trotz oder gerade wegen der von schwedische Königin die frisch renovierte Aula wiedereröffnen. der Moderne vollbrachten Säkularisierung ist die Frage nach Eigentlich eine ganze Reihe symbolträchtiger Gesten, allein der einem Sinn der Existenz dadurch nicht beendet; sondern problematische Namensgeber der Universität veranlasste nie- dieses existentielle Bedürfnis macht vor keiner menschlichen manden zu einer kritischen öffentlichen Reflexion. Nun hat die Gemeinschaft halt. Letztere wartet nicht auf die WissenRealität die symbolischen Handlungen eingeholt und seit der schaftler sondern legt sich selbst aus – besonders dann, wenn Landtagswahl beanspruchen unangenehme Repräsentanten die Wissenschaftler dem Gegenstand mit einer unangemesdie Wirksamkeit dieser Symbole. Daher hat dieser Artikel, den senen Methode begegnen. ich vor rund fünf Jahren in Reaktion auf ein Kolloquium zum Vergleicht man die deutschen Ergebnisse der revolutionären Namen dieser Universität schrieb, Entwicklungen im 20. Jahrhundert wieder unerwartete Relevanz. Es mit den englischen, amerikanischen hat nach der Wiedervereinigung und französischen, kann man daraus elf Jahre gedauert, bis man sich folgern, dass in Deutschland, einem überhaupt mit Ernst Moritz Arndt Land mit schwacher institutioneller auseinander setzte – und das auch Tradition, zum ersten Mal der ökonnur, weil die „ZEIT“ Ende 1998 omische Materialismus, rassistische einen kritischen Artikel über den Biologie, eine korrupte Psychologie „fatalen Patron“ veröffentlicht und technologische Rücksichtslosighatte. Nach zweieinhalb Jahren keit – kurz: ungebändigter Modernerst hitziger und dann verdrängter ismus voll zum Tragen kam. Diskussion wagte die Universität Lange Jahre waren die Deutschen ein öffentliches Kolloquium zu dem daher nach dem Zweiten Weltkrieg brisanten Gegenstand – und ließ es an solchen Fragen nicht interessidabei bis heute bewenden. Angeert. Sie verließen sich lieber auf sichts der Jubiläumsfeierlichkeiten die Erfolge ihrer Wirtschaft und dieser Universität, die bisher ohne waren lange der Ansicht, dass diese geisteswissenschaftliche Begleitung Ernennung Adenauers zum ersten Bundeskanzler: als Legitimationsbeschaffer verdienverliefen, will ich mit diesem Auf- „Negative Identität“ als Gütezeichen der Bundes- stlich genug wäre. Die „streitbare satz einen ersten Beitrag zu einer republik. Demokratie“, die den Deutschen solchen wissenschaftlichen Aufarvon den Alliierten verpasst wurde, beitung liefern. sorgte dafür, dass NS-Gedankengut sanktioniert oder unter Namensgebungsstreitigkeiten hat es in Westdeutschland Strafe gestellt wurde und auf diese Weise an den Rand schon des öfteren gegeben, bei denen die politisch Verant- gedrängt wurde. Aber mit der politischen Kultur rechtslastiger wortlichen keineswegs immer eine besonders rühmliche Parteien hat man sich bis zum heutigen Tag nur sehr tentativ Rolle spielten – es sei erinnert an die Auseinandersetzungen auseinander gesetzt. Dennoch sind eine Menge neuer Mythen um die Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg und die in der Bundesrepublik West kreiert worden – man denke Heinrich Heine-Universität Düsseldorf. Die Namen stehen beispielsweise an den Mythos von der Reinheit der deutfür ein deutsches Problem: Wie kann eine politische Identität schen Armeen während des Vernichtungskriegs in Osteuropa symbolisch dargestellt werden kann, sodass sie in Form eines und Russland. Namens repräsentativ zum Ausdruck bringt, was Menschen an Aber es zeigte sich in Deutschland immer wieder, dass es dieser Universität und darüber hinaus in der Region gemein- jenseits pragmatischer Entscheidungen, die zumeist darin sam verbindet? Es wird also unterstellt, dass Namen mit einer bestanden, das Problem in irgendeiner Form zu ignorieren, symbolischen Aussage zu tun haben, die unter Umständen sehr schwierig war, hier zu einem Konsens zu kommen. Das politische Bedeutung haben kann und dass Symbole spirituell- ging so bis Ende der 70-er Jahre. Dann setzte die große emotionale Identifikationsbedürfnisse zum Ausdruck bringen Medienkampagne in Sachen NS-Vergangenheit ein. Es folgte können, die schon deswegen symbolisch, ja sogar sakral sind die Wiedervereinigung und damit die Frage nach einem (De Nominibus Divinis), weil sie dem tagtäglichen Streit repräsentativen Gemeinschaftsverständnis dieser Gesellschaft entzogen sind. von Neuem. Das ist in Deutschland allemal schwierig gewesen. Da in Und hier liegt gerade das Problem. Was für Westdeutschland Deutschland politische Regime und Verfassungen im 20. Jahr- galt, gilt erst recht für Ostdeutschland – oder besser gesagt hundert mehrmals wechselten und vor allem das deutsche für die neue Bundesrepublik, die Berliner Republik, deren Spezialabenteuer zwischen 1933 und 1945 (mit seinem spezi- Vertreter sich schon schwer tun, jenseits der Wohlfahrtsstaatfischen Anhang bis 1989) sich besonderer Aufmerksamkeit in sökonomie und des Rechtsstaates authentische politische der Welt erfreut. Ist doch eine Art „negativer“ Identität gera- Symbole zu finden.

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Von Walter Rothholz

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Das alles ist nun nach der Wiedervereinigung radikalisiert Auch die Universität Greifswald hat in den letzten sechzehn worden, nicht nur weil das Wirtschaftswunder in der bun- Jahren ständig versucht, Traditionen zu schaffen und damit desrepublikanischen Form nicht wiederholbar war. Sondern auch Mythen zu kreieren. Man erinnere sich an die Ausstellung auch weil es nach dem geistigen und ökonomischen Zusam- des Croy-Teppichs, an solche Dinge wie den Rektormantel menbruch der DDR manchem Verantwortlichen dämmerte, und vor allem an den Mythos von der Selbstreinigung der wenn auch nicht gerade vielen, dass eine Gesellschaft mehr Universität nach der Wende. All das und noch viel mehr hat ist als eine Firma, die man gelegentlich für rechtsstaatliche mit der politischen Legitimation dieser Institution zu tun, es Verfahren benutzen kann. Eine Gesellschaft repräsentiert schafft einen Legitimationsfundus für das Handeln einer geismehr als nur eine sozial fixierbare Existenz. Das haben doch tigen Institution. der Nationalsozialismus und die DDR zu Genüge unter Diese Problematik gilt auch für den Namen Ernst Moritz Beweis gestellt. Das gilt auch für die Bundesrepublik und erst Arndt. recht für die Berliner Republik. Zu meinen, in Ostdeutschland Dass mit dem Problem der Namensgebung auch das Selbentschieden sich die Menschen traditionslos – davon dürften stverständnis dieser Universität auf dem Spiel stehen könnte, wohl inzwischen die hartgesottensten Modernisten unter scheint nur den wenigsten in die Helle des Bewusstseins den Wahlforschern in Westdeutschland abgerückt sein. Wenn gerückt zu sein. Ja man kann sich des Eindrucks nicht erweauch politische Mythen in Deutschland bezeichnenderweise hren, dass den Beteiligten bis heute die Brisanz der Fragesteleine immer kürzere Lebensdauer gehabt haben, eben weil ihr lung nicht einsichtig geworden ist. Insofern spiegelte die Teilmanipulativer Charakter zu offensichtlich war, so kann doch nahme an jenem Kolloquium vor nunmehr fünf Jahren einen festgestellt werden, dass ohne politische Mythen, die eine repräsentativen Querschnitt der Gesellschaft wieder, die an bestimmte sakrale Rolle inne haben, dieser Universität den Ton angibt. keine Gesellschaft auskommen kann. Wofür steht also der Name des Und wenn keine vorhanden sind, dann Ernst Moritz Arndt: Heimatliebe, werden welche gemacht. Mythen Heimatdichter, Protestant, pommer(„wahre Lügen“, Platon) müssen sche Identität, Vormärz, Deutschland plausibel und vernünftig sein, damit als Nationalstaat, Befürworter der man an sie glauben kann. Sie müssen Abschaffung der Leibeigenschaft, Antijudaismus und vieles mehr. Das sich in öffentlichen Sprachsymbolen ist alles schwer zu entscheiden. Vor niederschlagen, die repräsentativen allem aber: Das Spannungsfeld von Charakter haben. Diesen erhalten sie Ordnung und Unordnung in Bezug schon, wie Platon bereits feststellte, auf Ernst Moritz Arndt war nicht im Kindergarten, in der Phase der Gegenstand der Diskussion, nicht das, noch primären Sozialisation. Insofwas bisher als „modern“ galt, wurde ern sollte es sich eine Regierung einer kritischen Revision unterworoder eine Universitätsleitung sehr fen. Sondern der Gegenstand wurde wohl angelegen sein lassen, politisch zu repräsentieren, also Visionen zu einem in einer leicht altväterlichen entwickeln, die das, was gut sein Form dargebracht: Kann Ernst Moritz soll, für alle sichtbar werden lässt. Arndt der akademischen Jugend von Vernachlässigt sie das oder verfällt heute als Vorbild dienen? Es sollte also sie in einen unkritischen Moderniseine wissenschaftliche Information mus, werden andere Repräsentanten darüber geboten werden, inwieweit (unter Umständen unangenehme) in diese Universität den Namen von die Bresche springen und diese Leer- Schillernde Figur Ernst Moritz Arndt: Soll sich jeder Ernst Moritz Arndt zu Recht oder stelle besetzen. Einen politischen selbst eine Meinung bilden? zu Unrecht trägt. Nach den sechs bis Repräsentanten erkennt man an acht Vorträgen des Tages sollte sich seiner metaphysischen Begabung. jedermann selber eine entsprechende Meinung bilden. Damit aber wäre ich beim Problem der politischen Kultur im Die Vorträge waren ein Sammelsurium „wissenschaftlicher“ Zusammenhang mit der politischen Repräsentation. Informationen, die am Rande der Apologie entlangschlitGesellschaftliche Ordnung oder Unordnung hängt immer terten. Jedermann verbarg seine „Weltanschauung“ so gut mit der temporalen und spirituellen Gesamtexistenz des es ging, Arndt wurde historisch zerdehnt. Niemand erkanMenschen zusammen. Man sollte dabei allerdings nicht über- nte die Dynamik einer sich abspielenden typisch deutschen sehen, dass in manchen historischen Situationen aus Gründen Symptomatik politischer Kultur: Ihre sogenannte Wissenmangelnder Einsichtsfähigkeit eine sinnvolle Ordnung nicht schaftlichkeit. In guter alter deutscher Manier á la Max Weber möglich ist. Denn politische Kultur bedeutet immer auch bevorzugte man dessen „wertbeziehende Methode“. Eine ein Auffinden der gemeinsamen Lebenswelt. Das aber setzt solche Methode führt das Problem mit sich, dass – wenn man die Entwicklung von bestimmten Qualitäten oder Tugenden Glück hat – zwar über Werte gesprochen wird, aber doch so, voraus, die getragen werden von der Einsicht in die potentielle dass sie einer begrifflichen Wissenschaftlichkeit unterworfen Gleichheit der Menschen und vor allem auch in ihre aktuelle werden, die sich jenseits aller Hinterfragbarkeit verhält. Man Ungleichheit. „versteht“ dann vielleicht die Werte, man erfährt sie aber Politische Ordnung ist ein ständiger krisenhafter Prozess. Es nicht authentisch. müssen daher geistige Institutionen vorhanden sein, die vor Dies aber objektiviert die Bewertungen des Wissenschaftlers in allem jungen Menschen die Möglichkeit geben, Krisen auszu- der Weise, dass sie die Form einer ästhetischen Setzung annehmen. Dadurch aber wird verhindert, dass der Wissenschaftler halten und vor allem zu meistern. Diese Präliminarien bringen mich zurück auf jenes bemerken- wirklich das sagt, was er denkt. Es handelt sich hier um eine swerte Kolloquium im Sommer 2001 und zu der Frage, was Form von intellektuellem Schwindel, der darin besteht, dass dieses Kolloquium mit den hier angerissenen Fragen zu tun eine angebliche Meinungsvielfalt entstünde, aus der heraus das haben könnte. autonome Subjekt sich seine objektive Meinung bilden könne.


um Ernst Moritz Arndt auch das geistige Problem Ostdeutschlands mitschwingt, für das das neue universitäre Establishment in den letzten zehn Jahren so herzlich wenig Sensibilität mitgebracht hat. Die emotionalen Defizite dieses Landes sind nach 40-jähriger Unterdrückung von einer umfassenden Art. Die schlimmste Form kultureller Depravation besteht in der Unfähigkeit, Freundschaft zu schließen. Politische Freundschaft zu schließen war an der Universität der DDR immer vom Ideologieverdacht überschattet. Daher kann getrost gesagt werden, dass zumindest auf dem Gebiet der „Geisteswissenschaft“ die spirituelle Substanz dieser Universität auf lange Sicht schweren Schaden genommen hat und damit auch die Fähigkeit, Autorität aufzubauen und sie auch weiterzugeben – solange dieses Problem nicht erkannt wird. Die Verbindung zwischen Bürgertum und Universität ist in der DDR-Zeit restlos zerstört worden. Aber, was ebenso unverzeihlich ist: Diese Unfähigkeit Freundschaft zu schließen hat die Wende überlebt und ist von einer Professorenschaft, die sich dem sozialliberalen Wohlfahrtsstaat verpflichtet fühlt und selbstverständlich dem Grundgesetz, das ja alles und alle unter sich eint, einfach weitergeführt worden in einer Weise, dass eine Gruppe von kleinbürgerlichen Universitätskadern des Arbeiter- und Bauernkollektivs aus dem Osten sich durch ein solches Verhalten legitimiert fühlen konnte. Es geht hier nicht um Mitleid, sondern um das klassische Problem der „Rettung der Verfassung“ dieser Gesellschaft – meinetwegen im aristotelischen Sinne – und um die Herstellung von Öffentlichkeit. Um die II Freiheit muss tagtäglich gerungen werden, sie Was verbirgt sich hinter einer kann sich nicht auf wohlsolchen Diskussion? Vor allem fahrtsstaatliche Verteilungnicht Meinungsvielfalt, sondern sakte beschränken, die vielmehr liberales Gesinnung- Protestierende vor dem Hauptgebäude 1991: Innere Anarchie noch dazu den Eindruck swirrwarr und fühlbarer Ord- und äußere Anpassung. des Verdrängungswettbewnungsverlust und vor allem erbs und vor allem den keine Spur von zwischenmenschlichem Common Sense. An fatalen Eindruck erwecken, derlei kindliche Phantasien seien der inzwischen wieder verdrängten Auseinandersetzung um mit Politik gleichzusetzen. diesen Namen zeigt es sich, dass die Universität nicht in der Übrig bleibt innere Anarchie und äußere Anpassung. Dieses Lage oder nicht willens ist, den mit diesem Namen zusam- Muster ist in Deutschland sehr bekannt und dennoch kommenhängenden Problemen auf den Grund zu gehen, also die men wir offensichtlich ohne es nicht aus. Seit gut 200 Jahren alte deutsche Misere der Trennung von Staat und Gesellschaft analysieren wir die Modernität der inneren Anarchie der zu transzendieren und politisch Stellung zu beziehen. Das Gefühle – sie wird sich nicht in private Idyllen auflösen, verwundert nicht. Denn die liberalen Intellektuellen, die die sondern sie hat in Deutschland die Tradition, sich von Zeit zu geisteswissenschaftlichen Lehrstühle in Ostdeutschland bev- Zeit in der Öffentlichkeit zu etablieren. ölkern – sofern sie überhaupt „politisch“ denken – haben nach Daher läge die einzige Chance dieser Universität darin, sich dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der DDR ernstli- vor allem möglichst eingehend mit ihrer eigenen Vergangenche Schwierigkeiten mit ihrem spirituellen Selbstverständnis: heit zu beschäftigen, nicht mit ihrer Zukunft – zunächst nicht. Sie sind nicht in der Lage, die religiöse Faszination des Totalita- Das darf freilich nicht missverstanden werden: Nur durch Verrismus zu begreifen und sie sind daher auch nicht in der Lage, ankerung in der geistigen Tradition zeigt sich die Fähigkeit der dessen Unterdrückungsmechanismen und deren verheerende Gesellschaft, Reformen durchzuführen und damit die Zukunft spirituelle Folgen angemessen einzuschätzen. zu meistern. Eine solche Fähigkeit zeigt sich keinesfalls in einer Daher sind auch noch zehn Jahre nach der Wende die geistigen irgendwie gearteten Fähigkeit, Institutionen zu organisieren Institutionen dieses Landes nichts als soziale Reflexe neuerli- – von Ordnungsvorschlägen dieser Art haben wir genug. cher Besitzstandswahrung und Formen einer zu kurzzeitiger Hier fangen natürlich die Probleme an: Denn auf welche TradiRenaissance aufgelaufener Professorenherrlichkeit. Abstel- tion soll man sich in Deutschland eigentlich berufen? Erscheint lkammern ästhetischer Phantasien, finanziell gut abgesichert etwa Ernst Moritz Arndt in der DDR als Lichtgestalt der bis ans Lebensende. Freiheit? Gibt es nicht andere bedenkenswerte Vorbilder an Es verwundert daher nicht, dass in der Auseinandersetzung dieser Universität?

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Das ist die typische Verhaltensform von Intellektuellen, die der Gesinnungsethik frönen, sich aber als liberal ausgeben, ihre Prämissen jedoch hinter einem Schleier der Unverbindlichkeit verborgen halten und sich weigern, den Dingen auf den Grund zu gehen. Max Weber, der übrigens nicht von Werten sprach sondern von Sinneswelten, die Werte bedingen, wusste noch, dass sich alle politische Kultur aus höchsten Ideen ableitet und er verwechselte – im Gegensatz zu den meisten seiner professoralen Nachfolger – dieses Problem nicht mit einer arbiträr entstandenen traditionellen Frage der Metaphysik. Es war daher kein Wunder. dass bei jenem Kolloquium die Linksund Rechtsemphatiker mit ihren Bekenntnissen zu den jeweiligen Weltanschauungen in der Politik unweigerlich aufeinander stießen. Die akademische Jugend bildete dabei keine Ausnahme. Abgesehen von den ahnungslosen Angepassten und offensichtlich Verführbaren, die in Ergriffenheit den Vorträgen lauschten, war ein Punkt offensichtlich, was die junge Generation betrifft, sofern sie aus Ostdeutschland stammt: Sie haben ihr Bewusstsein mit einer Art Lackfirnis überzogen und haben nach und nach die Dosis Modernisierung, die sie in den letzten zehn Jahren mitbekommen haben, geschluckt und internalisiert. Sie scheinen nicht in der Lage oder bereit zu sein, der eigentlichen Verletzung, die ihnen per privater und staatlicher Erziehung durch die DDR in Form von Märchenerzählungen zugefügt worden ist, auf den Grund zu gehen. Sie müssten sich dann noch einmal Schmerz zufügen und eine wirkliche Wahl treffen.

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Leicht lässt sich dabei feststellen, dass zwischen Ernst Moritz physische Begründung in einer Zeit geistigen Substanzverlusts Arndt und sehr vielen liberalen Intellektuellen kein so grosser nicht mehr zulässig sind (Da bleiben nur noch transzendenUnterschied besteht, wie manche zu ihrer Entlastung anneh- tallogisch begründete „Normen“). Auch die Forderung der men – außer vielleicht dem, dass Arndt sich nicht auf das Gewaltenteilung – oft für ein Kernstück des liberalen VerfasGrundgesetz berufen konnte. Das ist der große Vorteil von sungsprogramms gehalten – ist zweideutig. liberalen Intellektuellen! Betrachtet man aber die Verankerung Ein Verfassungsmodell, das offenbar historisch kontingent von liberalen Intellektuellen sowie die von Ernst Moritz Arndt ist, muss unvermeidlich zu Schwierigkeiten führen, wenn es in religiösen, ethischen und philosophischen Prinzipien, dann weltanschaulich dogmatisiert wird und seine Elemente zu wird man feststellen, dass Liberale dieses Thema zumeist hint- Glaubensartikeln erhoben werden. Vor allem aber führt das er einem „Schleier des Nichtwissens“ oder hinter ominösen Missverständnis der Grund- und Freiheitsrechte als Privileg humanitären Formeln verbergen, während sich Arndt auf die zur ideologischen Zerstörung von Ordnung in Gesellschaften apokalyptische Form des Christentums in seiner säkularis- ohne gewachsene politische Tradition, also tatsächlich zur tischen Variante beziehen konnte. Beides ist in einem Punkt Zerstörung des Geistes öffentlicher Ordnung: Nicht Gesellsjederzeit auswechselbar: Gemeinsam ist beiden eine spir- chaften werden durch liberale Verfassungen frei, sondern freie ituelle Leere, die empfänglich ist für den Zeitgeist. Spirituelle Gesellschaften bringen liberale Verfassungen hervor. Was tut Leere aber wird niemanden von seiner libidinösen Haltung, die Universität dafür? die zumeist mit Freiheit verwechselt wird, abbringen oder ihn Weiterhin ist die Überholung der anti-religiösen Haltung des dazu bringen, eine Gesellschaft jenseits davon zu gründen.Aber Liberalismus durch die Geschichte der letzten 100 Jahre so bleiben die politischen Werte von Studierenden unangetastet, wohlbekannt, dass es kaum es weiteren Kommentars bedarf: weil sie jenseits der Wissenschaft liegen, dann erstrecken sich Wenn man den Menschen erfolgreich das Christentum ausdiese Werte nicht auf politische Prinzipien und man wird jene treibt, wie in der DDR, dann werden sie nicht rationale Liberale der Studenten nicht formen können. Aber haben wir nicht sondern Ideologen. An die Stelle des Christentums tritt nicht die Erfahrung gemacht, der Liberalismus sondern dass diese Art von Freiheit, die eine oder andere die auf einer sogenannten emotional ebenso inten„Gesinnungsethik“ beruht sive Ideologie. Das scheint und ihre Begründung in sich mir die gegenwärtige Situselber trägt ohne Rücksicht ation an den Universitäten Ostdeutschlands sehr auf die Folgen, nicht selten gut wiederzugeben. Der dämonisch ist, eben weil religiösen Situation am sie „gesinnungsethischen“ nächsten steht die wissenund nicht „verantworschaftliche: Durch die Beztungsethischen“ Charakter haben? ugnahme der SozialwissenDer Liberalismus lässt vorschaften auf die durch den dergründig sehr viele Typen Zeitgeist geprägte Setzung von Intellektuellen zu: als einziger Gültigkeit von Quietisten, Normativisten, Werten wird sie zerstört. Fortschrittsgläubige, konStellt man sich außerhalb servativ-liberale Modernisdes Zeitgeistes, gilt man ten, der Humanität verpfli- Nationalstaats-Vordenker Fichte, Humboldt: Apokalyptische Struktur und als subjektiv. Versucht man chtete und viele mehr. Die Syndrom der Innerlichkeit. also objektive Gründe für Aufzählung wäre Legion. Sie Urteile zu einer sozialen wird gern als Beweis demokratisch-pluraler Freiheit darg- Ordnung zu finden, ist man subjektiv, schließt man sich dem estellt. Sieht man genauer hin, so wird man schnell bemerken, Zeitgeist an, ist man objektiv. Mit anderen Worten: Der dass diese Gruppe durch einen gemeinsamen Nenner ver- Gewinn an Freiheit wird durch solche sie vermittelnde Perbunden ist: durch voluntaristische Konstruktion und Erlösung sonen zerstört, weil sie es unmöglich machen, Freiheit zu der Welt. authentifizieren. Selbstverständlich wendet sich der Liberalismus gegen Offen- Schließlich soll noch angemerkt werden, dass der liberale barung und Dogma als Wahrheitsquellen; er stößt die geistige Intellektuelle mit Ernst Moritz Arndt das irrationale EleSubstanz ab und wird säkularistisch-ideologisch. Neuerdings ment eines eschatologischen Endzustandes einer Gesellschaft interessiert er sich wieder für die Religion. Ihr Kern ist die gemeinsam hat, die durch ihr rationales Verfahren einen Annahme einer Autonomie der menschlichen, innerweltlichen Friedenszustand ohne Störungen herbeiführen will. Ein solVernunft als Quelle der Erkenntnis. Daher sprechen Liberale cher ist freilich nicht herstellbar. immer von „freier Forschung“ im Sinne der Lösung von Kann nun etwa gesagt werden, dass der Liberalismus, wie er Autoritäten, wobei unter Autoritäten wieder Offenbarung sich heute an der Universität Greifswald zeigt, nur ein späteres und Dogmatik zu verstehen sind, selbstverständlich auch die Substrat der Gedankenwelt Ernst Moritz Arndts darstellt? klassische Philosophie. Da dürfte sich ein Sturm der Entrüstung erheben! Es soll Die größte Schwäche aber des politischen Liberalismus ist bemerkt werden, ein Sturm im Wasserglas. sein Glaube an den Heilswert eines Verfassungsmodells. Aber auch da muss etwas Salz gestreut werden: Die berühmten Forderungen der Grund- und Freiheitsrechte beispielsweise III haben aber keinen systematischen oder prinzipiellen Charakter sondern sind historisch-kontingent zusammengeraten. Im Folgenden einige deutsche Traditionsproblematiken Ernst Die Grund- und Freiheitsrechte sind das positivrechtlich Moritz Arndt betreffend: gewordene Sediment des alten ius divinum et naturale, dem Charakteristisch für Ernst Moritz Arndt ist eine gewisse spürKatalog von Herrscherpflichten, deren religiöse oder meta- bare Aufgeregtheit, die in der Wissenschaft gemeinhin


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als apokalyptisch umschrieben wird. Diese apokalyptischen Voraussetzung überhaupt denkbar. Ausbrüche sind in seinem ganzem Leben am deutlichsten Eine der wesentlichsten Fragen in Bezug auf den Kardinalfunspürbar gewesen in den Jahren zwischen 1805 und circa 1813. dort in Fragen der Apokalypse – der Offenbarung Johannes Das ist nicht erstaunlich, wenn man bedenkt, dass in diese im Neuen Testament – besteht im Problem, dass der Visionär Periode der Befreiung Deutschlands von der imperialen Politik den Zustand der absoluten Fülle als unmittelbar bevorstehend Napoleons in Reaktion auf die französische Revolution auch erwartet. Die Erfahrungen von Leid, Schmerz, Elend und Tod die entscheidenden Entwürfe zur Bildung eines deutschen sind starke Motive, einen Zustand herbeizuwünschen, in dem Nationalbewusstseins und -staates fallen: Fichtes geschloss- diese negativen Bedingungen abgeschafft sind. Leid, Tod und ener Handelsstaat oder seine „Reden an die deutsche Nation“ Schmerz sind schon immer als die Unvollkommenheit, wenn (1806) sowie Wilhelm von Humboldts „Von den wahren nicht als Fluch der menschlichen Existenz erfahren worden, Grenzen der Wirksamkeit des Staates in Beziehung auf seine weswegen aber nicht zwangsläufig daraus die Erwartung Mitglieder“ (1793) bilden zwei Pole in einer bezeichnenden erwuchs, dieser Zustand würde in naher Zukunft aufgehoben Spannung. Letzteres Werk hat sicherlich keine klassisch apoka- werden können. Es gibt hier jedoch noch ein Motiv der lyptische Struktur – beim ersten bin ich mir ziemlich sicher. apokalyptischen Naherwartung: Die Adressaten der ProphAber, Wilhelm von Humboldts Erziehungs- und Bildungsschrif- ezeiung werden von ihrem gesellschaftlichen Umfeld verfolgt ten repräsentieren eine Seite dieser Spannung, die man als – sie sind der Macht eines Verfolgers unterworfen – und das Syndrom deutscher Innerlichkeit und als Kultivierung des dementsprechend wird erwartet, dass dem Verfolger die individuellen „inneren Daseins“ in einem perfekt durchorgan- Macht genommen wird und für immer den Unterdrückten überantwortet werden wird. Wenn isierten Erziehungssystem bezeichnen der Visionär erwartet, dass das Leid kann. Hier gibt es eine Beziehungslinie dieser Welt in unmittelbarer Zukunft zum politischen Denken des Bürgerbeseitigt werde und durch einen tums. Dieses Erziehungssystem war Zustand der Vollkommenheit ersetzt auf die Universität als der krönenden würde, so bedeutet dies, dass er die Institution der apolitischen „innerSpannung zwischen Defizienz und en Daseinsgestaltung“ ausgerichtet. Fülle besonders stark empfindet Dieses Syndrom der Innerlichkeit ist und sie eine zeitliche Abfolge bringt. jedoch zugleich die spezifisch deutDer Heilige Augustin hielt die Spansche Form einer geistig-politischen nung zwischen Defizienz und Fülle Öffentlichkeit, die auf die Bildung in diesem Leben für unauflösbar. Die des Individuums unter Beibehaltung Aufhebung einer solchen Spannung einer apolitischen Untertanenexistenz würde dem Versuch gleichkommen abzielte. Einiges davon scheint sich die menschliche Natur zu ändern. auch noch erhalten zu haben: Äußere Nimmt man diese augustinische ForAnpassung und innere Anarchie ist mulierung zum Ausgangspunkt einer das Muster, das sich vor allem an den Diskussion von Säkularisierung im ostdeutschen Universitäten auch nach Sinne eines allmählichen Verschwindder Wende und Wiedervereinigung ens von Religion, wie das in den unangefochten weiter fortgesetzt hat. meisten sich deterministisch geriMan muss sich wirklich fragen, ob das erenden Sozialwissenschaften der eine Folge des propagierten liberalen Fall ist, wird einem klar, wie wenig Weltbildes nach der Wende ist. empirisch dieser Ansatz für die ModZunächst einmal einige Charakteriserne ist. Der Begriff der Säkulartika der Apokalypse. Apokalypse hat mit der Geschichte zu Darstellung der Apokalypse bei Albrecht Dürer: isierung ist das größte Hindernis tun. Sie deutet Geschichte in beson- Das Leid der Welt wird durch einen Zustand der für die Erforschung von Religiosität und ihrer politischen Implikationen derer Weise und setzt daher Bewusst- Vollkommenheit ersetzt. – auch die von Ernst Moritz Arndt. sein von Geschichte voraus. Diese Vorstellung von Geschichte verfestigte sich im Laufe der Zeit Die Erfahrung von gesellschaftlicher Defizienz allein genügt zu einer Geschichtsauffassung, die man „heilsgeschichtlich“ freilich noch nicht um solche apokalyptischen Auslegungen nennt. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass das vom entstehen zu lassen, es bedarf dazu noch eines bestimmten Christentum aufgegriffene heilsgeschichtliche Verständnis als historischen Kontextes. In jedem Fall erfährt die Geschichte eine der Quellen des modernen Geschichtsbewusstseins eine entscheidende Bewertung und es gibt eine lange Tradigelten kann – auch wenn diese These bestritten wird. Auch tion, „Defizienz und Fülle“ mit „Geschichte“ und „Zeit“ in wenn die christlichen Erlösungssymbole sich substantiell Verbindung zu bringen. Darauf kann hier nicht weiter eingeverflüchtigt haben und der Geschichtsbegriff sich seit dem gangen werden. Nur so viel: 18. Jahrhundert auf die Gattung Mensch ausgedehnt hat, die Eine Differenzierung ein zwischen dem defizienten Geschehen Strukturen sind noch immer äquivalent. Und zwar aus ganz innerhalb des Kosmos und der Fülle jenseits des Kosmos ist anderen Gründen als sich hartgesottene Historisten und die entscheidende Reaktion im Judentum und im Christentum. Normativisten das vorzustellen vermögen, die allesamt von Die Fülle kann zwar in den Kosmos hineinreichen, das aber Schablonen der Aufklärung verblendet sind und sich nicht geschieht nur in ganz seltenen singulären Fällen. Als „historische“ Ereignisse werden Offenbarungsereignisse natürlich kritisch mit Sinngebilden auseinander setzen. Jedenfalls sind die Spannungen zur heilsgeschichtlichen Auf- immer wieder von anderen Ereignissen des intrakosmischen fassung von Geschichte ein dauerndes Moment der Apoka- Zeitverlaufs überschattet. Die vorübergehende Erfahrung der lypse. Das apokalyptische Geschichtsdenken setzt einerseits Fülle kann daher unter dem Eindruck der fortbestehenden die Annahme voraus, die Geschichte habe einen „Sinn“ und Defizienz der Existenz im Kosmos als Verheißung auf erneute, andererseits sind die apokalyptischen Reaktionen auf die noch größere Fülle ausgelegt werden: Geschichte wird unter Erfahrung, dass Geschichte keinen Sinn habe, nur unter dieser Umständen auch „eschatologisiert“.

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Offenbarungsereignisse sind spirituelle Ereignisse, die IV Auswirkungen auf die gesellschaftliche Ordnung haben können. In einer ernst zunehmenden Wissenschaft wird das nicht Das ist das spirituelle Ambiente in das Ernst Moritz Arndt mehr bestritten. Diese Ereignisse gehorchen der Erfahrung hineingestellt ist. Der Befund des Liberalismus und der Apokaund nicht den Gesetzen der Logik. lyptik Ernst Moritz Arndts bringt mich gewissermaßen auf das Auch moderne Texte weisen natürlich apokalyptische Merk- Gebiet des unpolitischen Politischen: Die Rolle der Apokalypmale auf und sie beziehen sich auf krisenhafte historische tik bei der Geburt des deutschen Nationalstaates ist augenfälSituationen. lig und Ernst Moritz Arndt spielte dabei eine wesentliche geisErnst Moritz Arndt legte die imperiale Machtentfaltung Napo- tige Rolle. Wie ein Schwamm hat er die neuen Ideen seiner leons und die Besetzung Deutschlands als apokalyptisches Zeit aufgegriffen. Er kannte Schelling und Hegel, er übernahm Szenarium aus, also welthistorisch. Die damals gegenwärtige die Vorstellung von der Geschichte als fortschreitende OffenKrise war für ihn der Wendepunkt der Weltgeschiche. Diese barung Gottes. Diese Dinge lassen sich vor allem in Arndts Haltung, die auf unmittelbare Vorläufer im Pietismus wie etwa Abhandlung über den „Geist der Zeit“ nachlesen. Oettinger, Bengel und Jung-Stilling zurückgreifen kann, teilt Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts gibt es kein deutsches er mit Fichte, ja überhaupt mit der Gruppe von deutschen Nationalbewusstsein in einem dezidiert politischen Sinn. Das „Revolutionären des Geistes“ von Kant bis Hegel und Marx. Zusammengehörigkeitsgefühl und Einheitsbewusstsein der Das „Reich Gottes“ ist die zentrale Chiffre für diese Art Deutschen gründete primär auf der gemeinsamen Sprache, innerer Revolution: Die Erfindung des Idealismus. Der Spir- der Dichtung und Kultur – also ein vollkommen unpoliitualismus eines Descartes und eines Jacob Böhmes hatte die tisches Gefühl. Der territorialstaatliche Patriotismus und das Kommunikation von Mensch zu Mensch dem Werden geop- kulturelle Einheitsgefühl wurde von den Intellektuellen dem fert. Rousseaus kindlicher Narzissmus buhlte um Anerken- Ideal der universalen Menschenbildung, einem Weltbürgertum nung. Aus dem aufwühlenduntergeordnet. Das berühen Erlebnis des Ich als der mteste Zeugnis dafür lässt letzten verfügbaren Einheit sich in den Xenien von in einem sinnlosen Chaos Goethe und Schiller aus erklärt sich auch der Inhalt dem Jahre 1797 nachlesen: der Heilssehnsucht: Ein vol„Deutscher Nationalcharlendeter, heiler Mensch, in akter. Zur Nation euch zu dem die Entfremdung von bilden, ihr hoffet es DeutGott, der Welt, der Gesellssche, vergebens; Bildet, chaft und der Geschichte ihr könnt es, dafür freier aufgehoben wird. Nach zu Menschen euch aus“. und mit Kant verarbeiten In die gleiche Kerbe haut die Denker der deutschen Arndt 1805: „Es ist schön, Revolution, Hegel, Fichte, sein Vaterland lieben und Herder, Schiller, Novalis, die alles für dasselbe tun, aber Gebrüder Schlegel, Humschöner doch, unendlich, ein boldt bis hin zu Eichendorff, Mensch sein und alles MenArndt, Heine und Marx alle schliche höher achten, als im gesamteuropäischen das Vaterländische ...“. Die Raum präsenten Symbolik- Versammlung der deutschen Revolutionäre in der Frankfurter Paulskirche Verbindung von Nationalen und Philosopheme unter 1848: Verbindung von Nationalismus und Apokalypse. ismus und Apokalypse hat dem Horizont des Wissens in Deutschland ihr eigenes der Zeit zu Existenzentwürfen von gleichbleibender Struktur: Gepräge, das ist der entscheidende Punkt. Er erklärt alles, Diese wird bestimmt durch eine Geschichtsapokalypse, in der auch Arndts Antisemitismus oder Antijudaismus, von dem die Welt vom gegenwärtigen Zustand absoluter Korruption zu immer so viel die Rede ist. Arndts Antisemitismus ist nur aus einem der Fülle transformiert wird, in einer spekulativen Tat dieser apokalyptischen Struktur heraus erklärbar. der Selbsterlösung des Denkers, die zumeist als Divinisierung Über die traditionelle Methode, eine bestimmte Situation des Ich oder Bewusstseins phantasiert wird.Wie schon Camus apokalyptisch zu deuten, ist bereits einiges gesagt worden, schrieb: „Wird Gott in der Tat aus dieser geschichtlichen Welt also über jene Bezugnahme, bestimmte apokalyptische Stelvertrieben, so entsteht die deutsche Ideologie, in der die Tat len der Bibel fundamentalistisch auf eine Situation zu bezienicht mehr Vervollkommnung ist, sondern reine Eroberung, hen, deren „Sinn“ man sich versichern will. Hier sticht vor d. h. Tyrannei ...“. allem Johann Heinrich Jung-Stilling hervor. Arndt selber war „Die Revolution des Geistes“ endet in der metaphysischen äußerst bibelfest. In Schweden kam er in enge Beziehung mit Revolutionierung des Seins. Diese Konsequenz wird während fundamentalistischen Deutungen des Zeitgeschehens. Gustav des 19. Jahrhunderts noch verdeckt durch die Tatsache der IV. Adolf war ein Anhänger Jung-Stillings. Arndt selber war vorläufigen Domestizierung des Idealismus durch die Traditio- in seinen Auslegungen außerordentlich authentisch, das ist nen der überkommenen Gesittung und durch die Konzentra- unbezweifelbar. Aber seine Symbolsprache unterscheidet sich tion auf den Aufbau einer industriellen Zivilisation. Erst unter von der „klassischen“ apokalyptischen Auslegung: An Stelle den Voraussetzungen der Auflösung der alten Strukturen von von Gott oder Christus, die den Antichrist nach herkömmliStaat und Gesellschaft konnte die „Revolution des Geistes“ chen Glauben besiegen werden, verwendet Arndt ständig im totalitären Experiment ihren wahren Charakter histor- Umschreibungen wie „unendliches Wesen“, „Schicksal“ oder isch belegen. Im Gespür für diesen Charakter unterscheidet „Vorsehung“, vor allem aber spricht er sehr oft vom „Geist“, sich jedoch die deutsche Literatur nicht unwesentlich von vom „richtenden Geist, der durch die Geschichte wandelt“, der deutschen Bildung und der deutschen Philosophie: Ihre vom „Riesengeist ... der durch Zeit dahinfährt“. Diesen Geist Repräsentanten leben von den irrationalen Quellen des setzt er mit dem deutschen Volk in Beziehung: „... Diese Zeit schwärmerischen Untergrundes. ist deine Zeit, ihr Gott und ihr Geist sind dein Gott und dein


welcher Lexik sie sich ausdrückt. Aber gerade dieser Hamann war es, der die Analogie des menschlichen Körpers mit dem Volkskörper formulierte. Für Herder war dann Sprache nicht nur der Ausdruck von Seele, sondern sie besitzt eine Seele oder, wie er auch sagt, einen „Geist“. Er sah Sprache als eine aktive geistige Kraft, die die Realität formt. Mit anderen Worten, hier haben wir es wiederum mit einer Verdinglichung des Heiligen Geistes zu tun. Arndt schnürte dann dieses Bündel zum apokalyptischen Nationalismus. Dass die apokalyptische Erfahrungsauslegung im Volksgeist eine Gestalt mit ganz besonderen Eigenschaften werden konnte, setzte ein bestimmtes Sozialfeld des Bewusstseins voraus. Solche Sozialfelder des Bewusstseins werden dadurch konstituiert, dass Gruppen von Menschen oder ganze Gesellschaften die symbolischen Sinndeutungen und Ordnungsentwürfe einzelner Menschen als die ihren akzeptieren und habitualisieren. Dieser Volksgeist der Deutschen war natürlich auch revolutionär – im sozialen Sinne: Arndt kritisierte wiederholt und mit Schärfe die Charakterlosigkeit und Feigheit der Fürsten. Unter „Volk“ verstand er primär die „Gemeinen“, Bürger und Bauern. Sie hielt er für den dynamischen Teil der Gesellschaft. Aber diese Dinge, die dann in der DDR entsprechend ausgeschlachtet wurden, blieben allemal Makulatur oder hinter dieser sogenannten Revolutionarität verbarg sich der eigentliche Kern der Sache, was in solchen Strukturen eine häufige Erscheinung darstellt. Wenn daher das politische Nationalbewusstsein vom apokalyptischen Volksgeist beherrscht wird, wird jeder politisch zu nennende Widerstand in Erlösungsszenarien aufgelöst. Zur politischen Verfassung und inneren Strukturierung der neuen nationalen Einheit gab es keine Ideen. Politische Artikulation hat es mit Ideen und Visionen zu tun. Die Visionen der DDR-Machthaber aber waren in ihren Grundpositionen von ähnlicher Art wie die von Arndt. Wirkliche politische Konsensfindung aber besteht nicht aus einer Willensmetaphysik, sondern aus respektablen Meinungen, die vor allem eines eint: Sie müssen von einer Idee der richtigen Lebensführung erfüllt sein. Sonst kann keine Demokratie funktionieren. Daher war auch das „konservative Sozialmilieu“ den Anfechtungen der Nationalsozialisten hilflos ausgeliefert, operierten doch die letzteren mit einem äquivalenten symbolischen Hintergrund. Das wird nirgends besser klar als in den Romanen Uwe Johnsons. Soweit also eine Analyse der spirituellen Unordnung, die an dieser Universität vorherrscht, in ihren Grundzügen. Sie ließe sich jederzeit verbreitern. Hat diese Universität eine Zukunft? Nur unter der Bedingung, dass sie sich von diesen analysierten Traditionen befreit und sich den wirklichen Aufgaben zuwendet. Diese wären zunächst im Inneren zu finden: Die Vermittlung der Qualitäten, die das Zusammenleben in der Gesellschaft erträglicher machen – das wäre eine soziale und politische Integrationsleistung, die dieser Institution gut zu Gesicht stünde. Nach Außen hin sollte sie sich endlich dem Ostseeraum öffnen – ihre einzige Chance. Und wenn die Universität einmal wirklich etwas Gutes tun will, dann möge sie sich „Ostsee-Universität Greifswald“ nennen. Das wäre wirklich einmal eine realitätsadäquate Tat.

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Geist, und du wirst den leuchtenden Reigen des beginnenden Jahrhunderts anführen ...“. Sind nun der Geist Gottes und der Geist des deutschen Volkes identisch? Wie dem auch immer sei, der Glaube an den göttlichen Geist scheint sich auf das Volk zu übertragen: „Ein Volk zu sein, ein Gefühl zu haben für eine Sache, mit dem blutigen Schwert der Rache zusammen zulaufen, das ist die Religion unserer Zeit: Durch diesen Glauben müsst ihr einträchtig und stark sein, durch diesen den Teufel und die Hölle überwinden...“. Der apokalyptische Geist, aus dem ein sakraler Glaube lebt, erhält bei Arndt eine neue Qualität. Der Terminus „Geist“ ist einer der vielschichtigsten Begriffe der deutschen Sprache. Im Grimmschen Wörterbuch füllt er ganze 118 Spalten. Es wäre völlig falsch, ihn begrifflich zu präzisieren. Diese Verwissenschaftlichung lässt ihn als Symbol verschwinden. Der „Heilige Geist“ ist dogmatisch eng mit der Offenbarung Christi verknüpft, „Geist“ ist das Symbol für die Offenbarung des verborgenen Gottes im Fleisch, der Konsekration. Geist konstituiert die Trinitätssymbolik. Ich erwähnte bereits die Geschichtsspekulationen pietistischer Theologen. In deren Kontext entstanden die folgenschweren Versuche, über den Geist sprachlich freier zu spekulieren. Der Geist Gottes wurde immer mehr zu einem Hilfsmittel für das menschliche Tugendstreben und das menschliche Seligkeitsverlangen. Hand in Hand ging damit auch die Ablösung der Offenbarung von der Person Christi und deren Übertragung auf die Geschichte. Auf diese intrikaten Probleme im Zusammenhang mit der Mystik Jakob Böhmes kann hier nicht eingegangen werden. Die Phantasien Friedrich Christoph Oettingers sind ein beredtes Zeugnis für eine entsprechende Entwicklung, die zeigt, dass sich das Säkularisierte, Sinnentleerte von neuem sakralisiert: „Das Geistige ist in dem irdischen Wesen verborgen; es gewinnt aber die Oberhand ...“. Die „Entwicklung“ des Geistes ist bei Oettinger zum eigentlichen Erlösungsvorgang geworden: „... Nemlich die wahre Wissenschaft ist ein Inbegriff göttlicher Dinge, welcher im Geist seinen Siz, und hernach in die Vernunft ausfliest. Gott hat sie dem Geist eingesenkt, die Vernunft muss sie mit dem Geist vereinbaren, und der Geist muss sich dadurch mit Gott vereinen ...“. Die Verdinglichung des Geistes im Begriff des Absoluten und die Definition der Geschichte als Verwirklichungsprozess des Geistes machen es möglich, den Geist nun auch noch in Teilrealisationen aufzuspalten, wie etwa Hegel es tat: Der Geist realisiert sich im Gang seiner Selbstverwirklichung in einzelnen „Volksgeistern“. Diese Versöhnung des Geistlichen mit dem Weltlichen bildete die Grundkonzeption der Bildungsidee wie sie Humboldt in seinem bereits angeführten Traktat „Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen“ formulierte: „Der wahre Zweck des Menschen ... ist die höchste und proponirlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen ...“. Der Bildungsprozess ist demnach ein Element eines umfassenden Prozesses, der die Menschheit zur Vollendung führen soll. Es ist daher kein Wunder, dass ein solcher Bildungsbegriff mit Geschichtsspekulationen in Verbindung gebracht wurde. Ein Ziel der Bildung ist Einheit, das andere ist Freiheit. Ich glaube, dass nun über die apokalyptische Struktur dieses Innerlichkeitswahns hinreichend Klarheit besteht. Dass dann die deutsche Bildungsidee mit dem Nationalbewusstsein per Spekulation über die Natur der Sprache verschmolz, ist eigentlich Gemeingut ernst zunehmender Wissenschaft. Führend in diesem Zusammenhang war Johann Georg Hamann. Hamann hielt zwar an der philosophischen Einsicht fest, dass es eine Natur des Menschen gebe und dass die Sprache ein grundsätzliches Charakteristikum der menschlichen Natur sei. Aber sein Beharren darauf, dass es Ähnlichkeiten geben müsse, verrät die Beunruhigung über die Unterschiede. Denn an sich ist es für den Ausweis der Sprache gleichgültig in

Der Autor Professor Walter Rothholz, Jahrgang 1943, lehrt Politische Theorie in Greifswald und Berlin. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Politische Kultur sowie Religion und Politik. Er kam bereits 1991 nach Greifswald und wirkte maßgeblich an der Neugründung des Instituts für Politikwissenschaft mit.

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moritz erscheint während des Semesters monatlich in einer Auflage von derzeit 3.000 Exemplaren. Redaktionsschluß der nächsten Ausgabe ist der 3. November; Die nächste Ausgabe erscheint am 15. November. Nachdruck und Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion. Die Redaktion behält sich vor, eingereichte Texte und Leserbriefe redaktionell zu bearbeiten. Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die in Artikeln und Werbeanzeigen geäußerten Meinungen stimmen nicht in jedem Fall mit der Meinung des Herausgebers überein. Alle Angaben sind ohne Gewähr.

IMPRESSUM Herausgeber: Studierendenschaft der Universität Greifswald (vertreten durch das Studierendenparlament, Domstraße 12, 17487 Greifswald) Gestaltung: Uwe Roßner, Björn Buß, Maximilian Fleischmann, Anke Harnisch, Judith Küthner

Dank an: Walter Rothholz, Ekkehard Ochs, radio 98eins, Volker H. Altwasser

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Titelbild: Maximilian Fleischmann, Anke Harnisch


Staatskomponist oder Dissident? Jubiläen und Gedenktage können lästig sein, haben aber auch ihr Gutes. Nicht selten bieten erst sie Anlass, auf Spezielles zu verweisen, Versäumtes nachzuholen oder gar neue Erkenntnisse zu präsentieren. Für die Musik sind sie willkommene Gelegenheit, die beklagenswerte Reduzierung eines eigentlich riesigen kompositorischen Fundus auf weniges Bekannte und sogenanntes „Beliebtes“ zu durchbrechen und damit, die meist höchst unvollständigen, schiefen und nicht selten falschen Bilder von Musik, ihrer Geschichte und ihrer Protagonisten angemessen zu korrigieren. Für das Jahr 2006 betrifft das neben Mozart, Schumann und anderen vor allem den 100. Geburtstag des sowjetrussischen Komponisten Dmitri Schostakowitsch (19061975). Nicht, dass man ihn – übrigens weltweit - je zu wenig gespielt oder seinem Werk die verdiente publizistische, wie wissenschaftliche Aufmerksamkeit versagt hätte: Das Problem lag und liegt teils noch in der jahrzehntelang aus politischen und ästhetischen Gründen konträr geführten Diskussion darüber, wie persönliches Verhalten und Musik des Sowjetbürgers Schostakowitsch denn eigentlich zu werten seien. Für den damaligen Osten war die Einordnung zumindest offiziell ebenso klar, wie seinerzeit für den Westen: hier der bewusst und freiwillig sich an neuen gesellschaftlichen Idealen orientierende sozialistische Künstler und Staatsbürger, dort der, vor der Macht eingeknickte, ihr dienende und damit sich selbst und die wahre zeitgenössische (also westliche) Kunst verratende Staatskomponist. Eines war so falsch wie das andere. Dabei ist unumstritten, dass sich Schostakowitsch immer als ein politisch denkender und handelnder Mensch verstand. Sein Verhältnis zu Staat, Gesellschaft und Funktion von Kunst war allerdings immer bestimmt von den ästhetischen und ethischen Prinzipien unverhandelbarer humanistischer Gesinnung. Und dies auch in jenen Zeiten, als die diktatorischen Verhältnisse

in der Sowjetunion Stalins und danach zu scheinbar kompromisslerischer Überlebenshaltung zwagen und damit Anlass zu gravierende Verunsicherungen hinsichtlich seiner wahren persönlichen und künstlerischen Haltung gaben. Der schwierige Weg Schostakowitsch begann mental und kompositorisch in der Tradition der großen russischen Musik des 19.

Quelle: blueyonder.co.uk

Jahrhunderts. Seine ersten, schon unverkennbar genialen Kompositionen reflektierten diese nationale Bindung – und deren Aufgehen in einer neuen, sich nach der Revolution von 1917 schnell etablierenden und in der 1. Sinfonie (1923/25) erstmals auf sehr individuelle Weise umgesetzten modernen Tonsprache. Ungeachtet vieler

schwierigen persönlichen Verhältnisse folgte er nun fast radikal, immer aber mit dem Blick auf ein neues, revolutionäres Publikum, einer seinerzeit offensichtlich schlüssigen und von großer vaterländischer Begeisterung getragenen proletarischen Kunstbewegung. 1926 entsteht die umstürzlerische und ursprünglich „Revolution“ betitelte 1. Klaviersonate, 1927 die 2. („SinfonischeWidmung an den Oktober“) und 1929 die 3 Sinfonie („1. Mai-Sinfonie“),Werke von eindeutig politisch intendierter Haltung. Dazwischen liegt die Komposition der beißendenGesellschaftssatire „Die Nase“, eine Oper nach Gogol. Die Ende der 20er Jahre verstärkt einsetzende parteistaatliche Reglementierung und die dann mit aller Härte durchgesetzte Kanalisierung auf den vehement von allen Künstlern geforderten „Sozialistischen Realismus“ machte Schostakowitsch das weitere Verfolgen dieses an unkonventionelle neue kompositorische Techniken und Ausdrucksmittel gebundenen Weges allerdings unmöglich. Die Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ (nach Leskow) wurde nach ersten großen öffentlichen Erfolgen ein Opfer ideologischer Engstirnigkeit und verboten, die gewaltige 4. Sinfonie („mein Credo“, 1936) gar nicht erst aufgeführt. Härteste offizielle Kritik an seinem insgesamt vorgeblich zu wenig „volksverbundenen“ Schaffen, vor allem aber der lebensgefährliche und für Schostakowitschs Berufsleben nicht folgenlose Vorwurf formalistischer, volksfeindlicher Gesinnung, veranlassten den weiterhin außerordentlich produktiven Komponisten nun zu einer Musiksprache, deren scheinbar so vordergründige wie pointiert und mit bewusster Ambivalenz in Frage gestellte Nachgiebigkeit („Einsicht“!) – siehe oben – die eine Seite zu höchsten Ehrungen mit Staatspreisen veranlasste, die andere aber vom politisch motivierten und damit würdelosen Rückfall in stilistisch längst überholte Epochen sprechen ließ. 5. Sinfonie (1937), 1. Streichquartett (1938) und Klavierquintett (1940) sind dafür beredte – und konträr eingeschätzte Belege. Der Große Vaterländische

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Dmitri Schostakowitsch zum 100. Geburtstag

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Krieg veränderte die Situation. Für die 7. Sinfonie („Leningrader“, 1941) erhielt Schostakowitsch einen seiner vielen Stalinpreise – und weltweite Anerkennung. Die 8. Sinfonie (auch „Stalingrader“ genannt, 1943), machte weniger Furore und wurde dann, wie auch die nach dem Krieg entstandene 9. Sinfonie (1945) von höchster Stelle aus heftig kritisiert. Stalins Angst vor einer durch den Krieg „aufgeweichten“ Haltung gegenüber den westlichen Koalitionspartnern entlud sich dann zwischen 1946 und 1948 in den beispiellosen Kampagnen gegen nahezu alle Künstlerverbände und namhaften Künstler aller Genres. Schostakowitsch

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Schostakowitsch war unantastbar, auch wenn das Verständnis für seine Musik höheren Orts mangelhaft blieb. Neue Erkenntnisse – neue Sichten

Das Rätsel Schostakowitsch – von vielen lange gar nicht als solches wahrgenommen und nur von wenigen mehr erahnt, als wirklich entschlüsselt – beginnt sich erst allmählich aufzuklären. Dokumente unterschiedlichster Provenienz und Gewichtigkeit gestatten heute, nach der Perestroika und ihren Folgejahren, viele teils völlig neue Sichten auf Schostakowitsch, sein Leben und sein Werk. Übertreibungen, Eitelkeiten mancher Autoren sowie diverse Fahrlässigkeiten im Umgang mit Fakten abgerechnet, ist das gegenwärtige SchostakowitschBild mit früheren, vor allem östlichen, nicht mehr vergleichbar; aber auch westliche Autoren dürften sich hinsichtlich einer natürlich anders gearteten, aber nicht weniger eindimensionalen Sicht zu gravierenden Korrekturen veranlasst gesehen haben. Auslöser war für beide Seiten das Erscheinen der von Schostakowitsch - ein immer noch ungelöstes Rätsel? Solomon Wolkow Quelle: www.filmreference.com besorgten „Memoiren“ Schostakowitschs (London wurde erneut zum „Volksfeind“ gestem- 1979, Hamburg 1979). Das Buch stellte pelt und als ein dem l ́art pour l den bisherigen Kenntnisstand völlig auf ́art - Verhalten des Westens verfallener den Kopf. Die einen hielten es für eine „Formalist“ gebrandmarkt. Er „reha- komplette Fälschung, andere schwobilitierte“ sich ambivalent, wie schon ren auf seinen Wahrheitsgehalt. Der 1936 etwa mit dem Oratorium „Das Streit ist bis heute nicht endgültig entLied von den Wäldern“ (1950) und schieden, zumal sich der Herausgeber diversen patriotischen Filmmusiken hinsichtlich vieler Fragen, etwa auch (Stalinpreise!). Nach Stalins Tod ent- der eines Originalmanuskripts, bislang spannte sich auch für Künstler die kul- bedeckt hält. In russische Sprache ist turpolitische Lage, ohne dass etwa für das Buch übrigens noch immer nicht Schostakowitsch die grundsätzlichen erschienen. Diverse Recherchen, seriProbleme seiner Positionierung im sow- öse wissenschaftliche Untersuchungen jetischen Musikleben entfallen wären: und Hinzuziehen weiteren dokumentaOffizielle dogmatische Sichten haben rischen Materials (Erinnerungsliteratur) ihm etwa mit der 13. („Babi Jar“, nach lassen die Schlussfolgerung wahrscheinJewtuschenko, 1962) und 14. Sinfonie lich erscheinen, dass vieles von dem, was („Sinfonie des Todes“, 1969) noch lange im Buch steht, so gewesen sein bezieSchwierigkeiten gemacht. Andererseits hungsweise der Komponist so gesagt musste er sich nun für das, was er haben könnte; das Ganze als authentikomponierte und wie er komponierte sches Dokument zu betrachten, dazu nicht mehr rechtfertigen. Der späte aber fehle die schlüssige Veranlassung.

Bleibt also die Musik selbst und die Erkenntnis, nur in ihr die entscheidenden Schlüssel zum Verständnis finden zu können. Verpflichtendes Vermächtnis Unter solchen Gesichtspunkten ist Schostakowitschs Gesamtwerk mit seinen diversen Orchesterstücken, 15 Sinfonien, 15 Streichquartetten, vielen weiteren Kammermusik- Klavier-, Chor -und Liedkompositionen, Kantaten, einem Oratorium, sechs Solokonzerten, Balletten,Opern,einer Operette,Musiken zu Schauspielen und über 40 Filmen ein nicht nur musikalisch eindrucksvolles und oft sehr bewegendes Zeitdokument, sondern es avancierte zwangsläufig auch - und nun erst wirklich umfassend - zum Gegenstand weiterer, sehr differenzierter Reflexion über Gestalt und Werden dieses in vielerlei Hinsicht außerordentlichen künstlerischen Vermächtnisses. Dazu gehört die Akzeptanz der Tatsache, dass eben dieses seine so originären wie individuellen Besonderheiten aus der gegebenen schwierigen gesellschaftspolitischen Situation bezog, Wer solcherart Erschließung für ein leichtes, weil nun dokumentarisch weitgehend gestütztes Unternehmen hielte, liefe schnell in die Irre. Die Semantik der Tonsprache Schostakowitschs ist so eindeutig nicht. Und so bleibt mancher Interpretationsspielraum und manche wohl nie eindeutig zu klärende Frage. Musik als klassenkämpferische Waffe, Sinfonik als öffentliches Plakat, und Kammermusik als Rückzugsgebiet ins Dissidentisch-Subjektive? Doppelbödige Funktionsbestimmungen von Satire, Ironie und Groteske? Was ist mit der vorgeblichen „Grandiosomanie“ der 4., der „sozialistischen Prägung“ der 5., der lange für gesichert geltenden programmatischen Eindeutigkeit der 7. („Leningrader“) und den Revolutionsprogrammen der 11. und 12. Sinfonie? Was bedeuteten dem Atheisten Schostakowitsch Religiosität, das Jüdische oder – speziell kompositionstechnisch – die Zwölftontechnik? Wie hielt er es mit literarischen Vorlagen und musikalischen Traditionen? Was bedeuteten ihm Gesellschaft, politische Ansichten, ethische und ästhetische Normen, Freunde und Bekannte? Warum schrieb er, der sich jeglichem Kommentar zu seinen eigenen Kompositionen verweigerte, überhaupt und so leidenschaftlich Musik? Und für wen? Solche und ähnliche Fragen sind lange nicht gestellt worden. Die weitere Suche nach Antworten ist mehr als lohnend. Das Jubiläumsjahr 2006 hat dazu bereits wichtige Beiträge geleistet. Ekkehard Ochs


How to promote Bringo Klud? Der Popkomm-Bericht Ein Besucher der Popkomm Vom 20. bis zum 22.September gaben sich auf der Popkomm in Berlin Musiker, Manager und wer sonst noch alles, im entferntesten Sinne, was mit Musik zu tun hat, die Klinke in die Hand. Ein Berliner Radiosender verloste Tickets, die sonst satte 145 Euro kosten, an Musiker, die vorhaben ihre Demotapes unter die Leute zu bringen. Mit ein wenig Glück ist es also geschehen, Bringo Klud, der Hobbymusiker schlechthin, und ich als Pseudomanagerin, sind also auf die Popkomm gekommen. Mit tollem „Trade Visitor“-Bändchen gehörten wir nun dazu. Dazugehören heißt in diesem Falle,

man bekommt eine Tasche umsonst, die man sich mit Samplern aus aller Welt voll packen kann, man kann sich überall in die modernsten Sitzgelegenheiten setzen, so viel Bier und Softdrinks trinken, wie man nur kann und überhaupt die ganze Zeit total cool und lässig dabei aussehen. Wem das alles nicht reicht, der kann sich diverse Kongressdiskussionen anhören, warum zum Beispiel die Arctic Monkeys so erfolgreich sind und das, obwohl sie nicht zusammengecastet sind. Man kann es nehmen, wie man will, wir haben unsere selbst zusammengebastelten Bringo-Demotapes unter

Foto: M.-S. Viilbrandt

die Leute gebracht und somit war die Mission erfolgreich. Viel interessanter als die ganze Wichtigtuerei und das Business war das Festival-Programm am Abend und dank des tollen Bändchens standen uns alle Türen der Clubs und Konzertsäle offen. Rockmiezen aus den Niederlanden, Heavy Metal, Jazz, Pop, Electro und das alles in einer Nacht. Hat sich also doch gelohnt, wer weiß, möglicherweise verhandelt Bringo Klud nächstes Jahr mit den Toplabels um einen Vertrag, wobei er natürlich total lässig aussieht, versteht sich ja von selbst. Maria-Silva Villbrandt

Infos über Bringo: www.n-music.com

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Rasumowsky-Quartett

Are You a Dreamer?

Schostakowitsch - Complete String Quartets Oehms Classics

Denison Witmer Bad Taste (Soulfood Music)

Die Streichquartette besitzen im Schaffen Dmitri Schostakowitsch (1906 – 1975) eine eigene Aura. Ähnlich wie Beethoven lenkte der sowjetrussische Komponisten erst in späteren Jahren sein Augenmerk auf dieses exquisite Feld der Kammermusik. Ob sich damit gleich ein Rückzug in Private oder gar ein Wunsch nach universaler Aussage in persönlich schweren Zeiten ablesen läßt, darüber mag geforscht werden. Ein schönes Gedenken ermöglicht in erster Linie die Aufführung seiner Musik. Dafür ist reichlich gesorgt. Mit der Unterstützung von Schostakowitschs Sohn Maxim korrigierte das Rasumowsky-Quartett einige Druckfehler der Autographen und bietet mit überdachter Wahl die fünfzehn Quartette des Vater in ihrer Gesamteinspielung mit neuen ur Tempi dar. Sagt die Musik dann nicht genug?

Denison Witmer ist ein klassischer Singer-Songwriter. Er schreibt Lieder und singt diese dann auch. Meistens ruhiger, manchmal poppig, manchmal allein, manchmal mit anderen. Auf dieser Platte ist er ruhiger, aber nicht alleine. „Are You a Dreamer?“ hat er mit vielen seiner Musikfreunden aufgenommen. Aber ganz langsam, Denison Witmer stammt aus Philadelphia und wird von Kindesalter an von Größen wie Graham Nash, Jackson Browne und auch Rainer Maria Rilke inspiriert. Er versucht Musik zu machen, die anderen Menschen hilft und vielleicht auch sich selbst. Deshalb hat Witmer musikalisch eigentlich schon viel versucht. Mit 16 vertont er zunächst sentimentale Stücke aus seinem Tagebuch, dann mit 20 sein erstes Album, EPs, Coveralbum und danach gründet er eine Band, nur aus dem Interesse heraus, zu testen, ob er sich auch in einer Band einordnen kann. „Are You a Dreamer?“ ist jetzt wieder solo, aber dennoch ein wenig anders als seine vorherigen Alben. Es ist ein Album mit Konzept. Es geht im Großen und Ganzen ums Schlafen, ums Träumen, um das geliebte Bett, um das Teilen von Betten und die Leere, wenn der Partner dann nicht mehr neben einem schläft. Getragen von süßen Melodien machen sich die Texte auf den Weg, den Hörer zu umspielen und ihn zu entspannen. Ideal für einen herbstlichen Abend mit Kerzen und Tee, aber auch für Stunden auf der Couch allein oder mit Freunden. Das Album ist dabei aber nie langweilig, die Songs haben alle ihren ganz eigenen Charme, allerdings eignet es sich auch hervorragend dazu, einfach mal die Augen zu schließen und zu träumen. Der Selbstversuch klappte wunderbar, vor allem wegen der beruhigenden Stimme von Denison Witmer. Nachmachen und verzaubern lassen lohnt sich also, denn wer ist nicht gern ein Träumer?

Flimmern

feuilleton

Klez.e Loob Musik (Universal)

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Es ist komisch, da liegt man wach und kann nicht anders, als sich einen Schreibblock zu nehmen. Man will es einfach, diese Zeilen müssen einfach niedergeschrieben werden. Eigentlich hatte man ja in alten Liebesbriefen geblättert und nur ein wenig Musik nebenbei gehört. Doch dann trifft einem dieses Album „Flimmern“ von Klez.e mitten in der Bewältigung seiner Vergangenheit, da, wo man es am wenigsten erwartet habe. Man fängt sich so sehr in diesen Stücken Musik, dass man es nicht mehr lassen kann. Da sind sie, die ehrlichen, direkten Stücke mit ganz viel Energie und Leidenschaft, die man seid Jahren gesucht hat. Es ist ein wunderbares zweites Album der Berliner um Tobias Sieber, der scheinbar in der letzten Zeit zu einem der aktivsten Menschen im Berliner Musikbiz geworden ist. Immerhin hat er Bands wie Delbo, Hund am Strand,Virginia Jetzt, Samba oder Tchi produziert, aufgenommen und/oder sogar in ihnen mitgespielt. „Flimmern“ ist dabei aber doch einfach, schlicht und ergreifend. Eine Kiste voller Schätze und guter Gedanken. Das Album ist voller fabelhaften Perlen. Textlich verspielt und leicht verschlüsselt verbergen sie kleine Wahrheiten über Leben, Gesellschaft und die schlichte Liebe. Ach ja und wann war es doch gleich, als ich das Gefühl hatte, nicht mehr genug bekommen zu können? Hm, ja, in den Liebesbriefennächten, voll mit Schwärmerei und Fantum und der offenkundigen Hingabe zu etwas, dass ich nicht erklären kann, besser gesagt nicht erklären will! Meine Leidenschaft. Josef Lewe

Esther MüllerReichenwallner


Die Blutsbande ist die direkteste, langlebigste und verlässlichste Verbindung der zwischenmenschlichen Existenz. Deren Aufbrechen in Zeiten steigender Scheidungs- und sinkender Geburtenraten in modernen Industriegesellschaften führt zum Vertrauensverlust in Beziehungen. Das Einzelgängerdasein wird toleriert. Der neuseeländische Kinofilm „No. 2” thematisiert dieses Problem. Nanna Maria ist das weibliche Oberhaupt einer von den Fidschiinseln stammenden Familie. Die Matriarchin erahnt zu Beginn des 94 Minuten langen Werkes ihrem bevorstehenden Tod. Ein Wunsch, besser ein Befehl wird deshalb ausgesprochen: ihre sechs Enkel sollen an diesem Tag zu

An der Schmerzgrenze

Foto: Paramount Pictures

Die beiden Flugzeuge lassen sich nur für einen Sekundenbruchteil erahnen – als Schatten auf einer Hochhauswand. Dann versinkt alles in einem ohrenbetäubenden Beben. Es ist eine der unheimlichsten und beklemmensten Szenen des Films. Was dann folgt, lässt sich nur schwer beschreiben, denn jeder weiß, was die beiden Polizisten John McLoughlin (Nicholas Cage) und Will Jimeno (Michael Peña) noch nicht einmal

Verfehlt John Cameron Mitchell nennt sich der für „Shortbus“ verantwortliche Réalisateur. „Frisch, frech, anrührend, provozieren – wenn möglich auch noch richtig lustig“ sollte der IndependentFilm nach seiner Definition daherkommen. Und was macht Monsieur Mitchell neuestes Werk? Eine Aneinanderreihung pornographischerAkte unterschiedlicherAkteure läutet den Beginn ein. Beziehungsprobleme jeglicher Art soll eine Paartherapeutin kurieren. Da sie aber selbst noch nie den Gipfel des körperlichen Glücks bestieg, folgt rasch die Einladung in den titelgebenden Club. Dort treffen sich alle freien, ungezwungenen, individuellen und liberalen Gestalten des Big Apple. Wenn nicht gerade in allen sexuellen

einem Familienfest zusammen kommen. Im Haus mit der titelgebenden Nummer 2 soll gegessen, getrunken und getanzt, eben gefeiert werden. Am Ende des

Tages bestimmt die Großmutter dann ihren Nachfolger. Dieser Tag stellt die gesamte Familie vor große Probleme. Das zu grillende Schwein lebt noch, einige Familienmitglieder haben seit Jahren nicht mehr miteinander gesprochen,

andere möchten ihre Zeit angenehmer verbringen. Es wird gestritten, gelacht und geweint. Ein Feuer muss gelöscht werden. Fäuste fliegen. Bis die Familie glücklich vereint ist, erlebt der Zuschauer deren kleinen Dramen des Lebens und träumt von dem perfekten Zusammenleben. Regisseur Toa Fraser debütierte mit der Verfilmung seines eigenenTheaterstückes auf der Leinwand. „No. 2“ ist ein Plädoyer auf die Werte der Familie. Das Anliegen, die guten und schlechten Seiten/ Zeiten einer Sippe darzustellen, ist ihm gelungen. Jeder Charakter ist vortrefflich besetzt. Die Vorstadt Aucklands ist als gewählte Kulisse aber ersetzbar, da die Handlung überall geschehen könnte. Fraser verknüpfte die eigenen Wurzeln in eine universale Liebeserklärung auf die familiäre Bande. bb

ahnen. Regisseur Oliver Stone versucht es trotzdem – und zeigt, wie es im World Trade Center ausgesehen haben muss. Das Licht sei der Schlüssel zum Film, berichtete Oliver Stone in einem Interview. Tatsächlich ist man fast erleichtert, als die Kamera endlich aus den engen Betontrümmern hinaufgleitet. Zwei Drittel des Streifens zeigen klaustrophische Enge, die andere Zeit besteht aus staubigem Grau, das Hoffen Familienangegöriger auf ein Lebenszeichen und schließlich der Moment des bis dahin in den Vereinigten Staaten von Amerika völligen unbekannten Gefühls der Solidarität. Der Kinofilm, der auch chronologisch abgedreht wurde, ist ein Film über Menschen, gewürzt mit einer Prise Patriotismus. Zwar ist dessen Ende bekannt, doch erschrecken die

ohrenbetäubenden Explosionen immer wieder, wenn sie die Kinoleinwand schier zerreißen. Beklemmende Enge und das Gefangensein in Staub und Beton, den nicht einmal Stunden später Rettungskräfte mit professionellen Schneidegeräten entfernen können, führen die menschliche Hilflosigkeit doppeldeutig vor Augen. Nicolas Cage wirkt in der Rolle als Sergeant McLoughlin anfangs fehlbesetzt, in den Szenen der Verschüttung jedoch entpuppt sich seine einschläfernde Spielweise jedoch als ausdrucksstark und macht die unerträgliche Unbewegtheit zugleich schmerzlich bewusst. Mit seinem Film über den weltweit zu Tode politisierten 11. September möchte Regisseur Oliver Stone daran erinnern, was jene Männer durchgemacht haben. Das gelingt ihm. Mit langer Nachwirkung. juk

Hausfrau.

Foto: ARSENAL Film

Spielarten miteinander kopuliert wird, Lachmuskeln. Eher lächerlich wirken die geben sich die Besucher dem Gesang, darstellenden Amateure. Mit sexuellen Tanz und monothematischen Gespräch Akten und Themen allein provozieren hin. zu wollen, zeigt zudem einzig und allein Glücklicherweise unterbrechen Ani- eine schnöde Ignoranz des Regisseurs mations-Inserts die unamüsierenden gegenüber seinen Zuschauer. Akte. Einen optisch anspruchsvol- Weder ein hausgemachter Skandalfilm len Eindruck bieten die immer wie- noch ein Kunstwerk ist „Shortbus“. Eher der eingeschobenen, fast einminütigen ein einschläfender Aufschrei für das zahKamerafahrten über ein Modell von lende Publikum und zudem noch misslungen! bb Gotham City. Der Animator John Bair verantwortet diese interessanten Großstadtaufnahmen. Schon bei JCMs letztem Film „Hedwig and the Angry Inch“, einer Geschichte eines transsexuellen Sängers aus der DDR, arbeiteten beide zusammen. Leider kann „Shortbus“ mit diesem Vorgänger nicht mithalten. Zu selten reizen delikate Situationen die Wer hat Angst vorm weißen Mann? (Senator Film)

feuilleton

A History of Family

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Stelle läuft im Hintergrund der Szenen permanent ein Sekundärmedium. In Form der uns gut bekannten Tagesschau und Ein strahlendschöner Tag. Im AKW Radionachrichten werden permanent Grafenrheinfeld hat es einen schweren die aktuellsten Fakten zur Katastrophe Unfall gegeben. Die in der Nähe lebende geliefert in Kontrast zu den satten 16-jährige Hannah (Paula Kalenberg) Farben einer Teenie-Komödie. steht ganz alleine da. Einen Vater gibt es Anlässlich des Tschernobyl-Jahrestages nicht, die Mutter hat sich leider in der verfilmte Gregor Schnitzler Gudrun Nähe des Atomkraftwerkes aufgehalten. Pausewangs Buch „Die Wolke“. Vieles Vom gerade gewonnenen Freund muss wurde nach der Vorlage umgesetzt, sie sich im Chaos zunächst trennen. manches anders. Das im Film gemeinte Gemeinsam mit ihrem kleinen Bruder AKW aber wird so auch schon von flieht sie nach Bad Hersfeld, von wo aus Pausewang genannt und bezieht sich sie evakuiert werden soll. auf ein bayerisches Kraftwerk. Der Weg ist beschwerlich und das Ziel Das hier ist die abgedrehte beinahe erreicht, da verliert Hannah Inszenierung des Tages X in der BRD. das einzige, was ihr noch geblieben ist: Chaos, Flucht, Grauen und Tod - 2006 den Bruder. Für sie ist alles vorbei. Die in Deutschland. Es ist ein verdammt Wolke kommt. Kraftlos setzt sie sich gutes Gefühl, nach dem Abspann Jung, verliebt, verstrahlt - so könnt´s in einem dem todbringenden Regen aus. „aufzuwachen“ und zu wissen, dass Foto: Concorde Film alles gut ist – noch. Schnitt. Es wird dunkel. Der Film könnte Land mit AKWs gehen. ilia

Halbwertzeit des Menschen

All American Guy

feuilleton

Napoleon Dynamite ist ein Geek. Ein Außenseiter par excellence. An jeder Schule ist solch eine Person anzutreffen. Schon der Name der Hauptfigur ist außergewöhnlich desintegrierend. Assoziationen sind aber fehl am Platz. Der Schüler hat es nicht leicht im Leben: sein Bruder kann nichts, hält sich aber für etwas Besseres. Sein Onkel ist ein schmieriger Vertretertyp und trampelt auf seinem Neffen herum. Bis auf den mexikanischen Mitschüler Pedro hat Napoleon keine Freunde. Auch das XXGeschlecht ist ihm unfreundlich gesinnt. Was kann dieser Junge eigentlich? Nicht viel: Napoleon beherrscht die Zeichensprache, ist Mitglied im Verband der zukünftigen Bauern Amerikas und spielt Swingball. Mit seinem

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Gossenhaftes

Foto: Pandora Film

Henry „Hank” Chinaski säuft, raucht, wettet, fickt, schreibt. Schriftsteller nennt er sich. Natürlich kann sich ein Wesen mit diesen Hobbys nicht mit Kunst über Wasser halten. Er ist Mädchen für alles: Lastwagenfahrer, Fließbandarbeiter in einer Essiggurkenfabrik, im Ersatzteillager

zu Ende sein. Doch Hannah überlebt und als Elmar (Franz Dinda), ihr verlorener Freund, sie ausfindig macht, kann ein neues Leben beginnen. Aber nichts ist mehr, wie es war. Deutschland im Ausnahmezustand. Dritte Welt im Herzen Europas. Das Packende des Filmes ist auch dem Umstand zu verdanken, dass Musik meist sparsam verwendet wird. An ihrer

unkontrolliert krausem Haarschopf, ein kurzes Making-Of, der Trailer und braunem Anzug und offenem Mund geschnittene Szenen sind vorhanden. kann Napoleon Dynamite nur belächelt Als Schmankerl für Filmgeeks sollte der werden. Die Eigenschaft, seine Sicht der Abspann geschaut werden. Bis zum Ende Welt, manche mögen unberechtigter des Kinofilms ist für gute Laune und Weise behaupten, er lügt, auszusprechen, ungewöhnlichen Schwank gesorgt. bb macht die Figur sympathisch. Insgesamt 91 Minuten lang werden episodenhaft die Abenteuer des Napoleon Dynamite auf DVD gezeigt. Zwei Jahre nach der Uraufführung ist der US-amerikanische Kinofilm endlich in Deutschland zu bestaunen.Was Director Jared Hess mit so geringem Budget auf die Beine stellte, ist erstaunlich. Die unzähligen Ideen und grandiosen Figuren, die überall auftauchenden Ausstattungsperlen im Vorder- und Hintergrund lassen von einer glorreichen Zukunft des Filmemachers träumen. Das Bonusmaterial der deutschen DVDVeröffentlichung ist üblicher Bestandteil: Damenwahl? Foto: Paramount Pictures eines Fahrradladens und Putzmann. Kein Job ist von langer Dauer. Lieber geht Hank einen trinken. Dabei lernt der Protagonist Frauen kennen, aber nicht lieben. Mit diesen kann die Zeit angenehm vorüberziehen. Denn die gleichen Interessen wirken sehr positiv auf Chinaskis zwischenmenschliche Interaktionen. Glaubhaft übernimmt Matt Dillon die Hauptrolle in der Verfilmung des Romans „Factotum” des amerikanischen Autors Charles Bukowski. Mitleid möchte die Figur nicht, verdient hat er sie auch nicht. Einfach nur in Ruhe gelassen zu werden, ist das Ziel. Sobald Stress im Anflug ist, sei es am Arbeitsplatz, im Bett oder im elterlichen Zuhause, verzieht sich Hank, sucht und findet den nächsten Drink. Die Romanvorlage Bukowskis enthält Autobiographisches: Er war ebenfalls

Trinker, Ficker und Schreiber und nach langen Jahren des Oxidierens kam endlich der Erfolg, aber auch der Tod. Sich an diesen Autoren heranzuwagen, braucht Kraft, die heftigen Vokabularien auszuhalten. Die bewegten Bilder aus Chinaskis Leben sind schwächer als die gedruckten Wörter. Die Inszenierung ist solide und auch der Stimmung entsprechende Musik wählte der norwegische Regisseur Bent Hamer gut aus. Der den Kinofilm durchziehende Humor lockert auf. Doch drastisch genug ist das Endergebnis nicht. Mit der DVD-Veröffentlichung kann man zufrieden sein. Ein langes Interview mit dem Hauptdarsteller, Trailer und geschnittene Szenen sind als Bonus enthalten. Pandora-Film gelang ein guter Einstand in das DVD-Geschäft. bb


Kathleen McGowan

(Lübbe) Rote Haare. Maureen Paschal der Name. Von der ersten Seite an ist die Relevanz der Historikerin und Journalistin für die Geschichte klar. Ein Ring prägt ihre Zukunft und ermöglicht die Identifizierung als Nachkomme von ... . Die Antwort darf und kann hier nicht geliefert, sondern muss erlesen werden. Man kann es auch lassen. Eigene Erfahrungen, Erlebnisse und Krisen verarbeite die amerikanische Autorin Kathleen McGowan in ihrem Erstlingswerk. Warum können Debütanten ihre eigene Biographie nicht vergessen? McGowan konstruiert eine Geschichte um den Marien-Kult. Dabei fallen auf den 540 Seiten des Buches soviele Namen von historischen Personen, dass man glaubt: Wir sind alle Geschwister. Eingebettet in einen unspektakulären Spannungsbogen ergeben die Recherchen von McGowan zwar einen Bestseller. Doch das Material und die Verarbeitung hätte man lieber einem anderen anvertrauen sollen. Die Schriftstellerin hat ihren Glauben an Gott verloren, wiedergefunden und quält nun die Welt mit der „Wahrheit“ über Jesus, seine Mutter, seine Jünger und wer sonst noch alles vor über 2000 Jahren in einer römischen Provinz herum oxidierte. Als Geschichtskonstrukeurin eifert McGowan dem Vorbild Dan Brown nach und schickt ihre Hauptfigur schon in die nächste Schlacht. Wer kauft sich solche Bücher eigentlich? bb Robert A. Dahl

Politische Gleichheit ein Ideal? (Hamburger Edition) Der alte Mann und die Demokratie. Robert A. Dahl beschäftigte sich sein wissenschaftliches Leben lang damit argumentativ Gründe für die Legitimation der besten Staatsform zu formulieren. Minimalbedingungen kennzeichnen die Demokratie: Wirksame und gleichberechtigte Teilnahme, Aufklärung, Kontrolle und Einbeziehung des Volk (demos) und die Garantie von Grundrechten, wie dem Wahlrecht. Da dies aber nur Idealbedingungen sind, etablierte Dahl den von Aristoteles gebrauchten Begriff der Polyarchie wieder in der Politischen Wissenschaft ein und versah ihn mit neuer Bedeutung. Die USamerikanische repräsentative Demokratie ist sein Vorreiter polyarchischer Staaten: Eckpfeiler darin sind Partizipation und Wettbewerb in einem politischen System. Dahls nicht hoch genug zu lobende Errungenschaft war die Etablierung dieser Kriterien. Der Finne Tatu Vanhanen ist nur einer der unzähligen Politikwissenschaftler die eigene Forschungen auf Dahls Konzeption aufbauten und diese weiterentwickelten. Dahls neuestes in deutsch erschienenes 141 Seiten dünnes Werk geht zurück zu seinen wissenschaftlichen Anfängen. Der eremitierte Politikprofessor stellt darin die Frage, sind politische Gleichheit und Demokratie zwei von einander untrennbare Seiten einer Medaille. Dahl bejaht die Frage - egal ob man von beiden als Ziel oder Ideal spricht. Sowohl die der Gleichheit förderlichen menschlichen Neigungen, als auch dieser entgegengesetzte Aspekte versteht der Autor kurz und prägnant darzustellen. Abschließend zeichnet Dahl zwei Zukunftsmodelle für die amerikanische Gesellschaft auf: Eine pessimistisches Bild in dem die Ungleichheit zunimmt und eine Vision der sinkenden politischen Ungleichheit durch kulturellen Wandel. Welche sich durchsetzen wird, Dahl verweigert in dieser anschaulichen Schrift die Antwort. Zur ausführlichere Beschäftigung mit dessen Werk regt es an, wer dieses schon rezeptierte vermag neue Aspekte feststellen. bb

Zum 60. Mal jährte sich in diesem Jahr am 1. Oktober die Urteilsverkündung des Internationalen Militärtribunals (IMT) bei den Nürnberger Prozessen gegen 24 Angeklagte. In der Geschichte hatten sich Politiker, Militärs und führende Personen der Wirtschaft erstmalig persönlich für das Planen und Führen eines Angriffskrieges und den Massenmord in Konzentrations- und Vernichtungslagern zu verantworten. Einigkeit herrschte zwischen den Alliierten und den vom Zweiten Weltkrieg betroffenen Ländern, eine Vergeltung, wie sie in den vergangenen Jahrhunderten praktiziert wurde, nicht zu vollziehen. Dafür sollten die Verhandlungen nach dem Vorbild der amerikanischen Strafprozesse durch ein eigens eingerichteten Ad-hoc-Gericht durchgeführt werden. Nürnberg erwies sich dabei aus mehreren Gründen als günstiger Prozessort. Anders als in Berlin befand sich hier ein weitesgehend unbeschädigt gebliebener Justitzpalast und ein dazugehöriges Gefängnis. Zudem besaß Nürnberg als Stadt der Reichsparteitage einen symbolisch nicht unerheblichen Wert. Von Beginn an erregten die Verhandlungen internationales Interesse. Rundfunk- und Zeitungsberichterstatter hielten die Welt auf dem Laufenden. Alfred Döblin, Willy Brandt, Erich Kästner, Erika Mann und Markus Wolf wurden beispielsweise eingeladen, um den Prozess beizuwohnen und als Augenzeugen Eindrücke vom Inhalt und Verlauf zu gewinnen. Die Verhandlungsprotokolle wurden nach Abschluss des Prozesses in einer zuverlässigen Textfassung publiziert. Bis heute gelten sie als eine der wichtigste Quellen über die NS-Geschichte. Doch dem nicht genug. Das Festhalten der Verhandlungen beschränkte sich nicht allein darauf. Eine neue Dimension der Beschäftigung mit der Neuesten Geschichte ermöglicht die in einer Produktion von Ulirch Lampe herausgegebenen Tondokumente der Verhöre in Nürnberg. Durch Sendungen des SWR und des MDR wurden die sich in den National Archives von Washington befindlichen Orginial-Tondokumente nun hierzulande bekannt. Trotz des unmittelbaren Eindrucks der Verhandlungen aus den Vernehmungen der Angeklagten und Zeugen lagert dieses Stück Zeitgeschichte bruchstückweise gesichtet in unüberschaubarer Dichte in den National Archives. Anders als bei den Verschriftlichung beziehungsweise den Protokollen, ist es nun in der in Form von acht thematisch geordneten Box möglich, die öffentliche Konfrontation der bewußt ausgewählten Verantwortlichen in Echtzeit hörend zu begleiten. Die Originalmittschnitte führen die Entwickung der juristischen Aufklärung von Zeitgeschichte, ihrer faktischen Präsentation und der Verarbeitung der Beklagten vor Augen. ur

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Das Magdalena-Evangelium

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Realitätsflucht

Foto: Theater Vorpommern

Dieses Stück ist nicht zum Lachen. Das Eingangsstatement des Schauspielers Karl Maslo ist ernst gemeint. Trotzdem wird geschmunzelt, vereinzelt gelacht, aber auch betroffen geschwiegen. Maslo stellt im Ein-Mann-Stück „Süchtig“ einen Abhängigen dar – sowohl nach gesetzlich legalen als auch illegalen Stoffen. Mark Lundholm schrieb das Stück über einen Kranken und dessen Lebensweg. Parallel wird auf abstrakter Ebene über Süchtige, Nicht- und Co-Süchtige gesprochen. Der Darsteller bezieht das Publikum mit kritischen Fragen ein und zeigt mit dem Finger wahllos auf Zuschauer. Jeder ist süchtig. Dies wurde durch die Aufführung des Theaterstücks in der Präventionswoche der Hansestadt Greifswald klar. Den Kampf darf man nicht aufgeben: Karl Maslo hat ihn selbst bestritten. Zahlreiche Entgiftungen und Entziehungskuren durchlebte der Hauptdarsteller. „Insgesamt 35 Prozent der Geschichte habe ich selbst erlebt.“ bb

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Pssst! Schon gehört? Die neue Konzertsaison hat begonnen. Und wie! Im neu bestuhlten Saale erfreute das Philharmonische Orchester des Theater Vorpommerns zum Auftakt. Die Sinfonia concertante für Violine, Viola und Orchester von Wolfgang A. Mozart (KV 364) und die Große Sinfonie in C-Dur von Franz Schubert gerieten unter dem schlichten Fingerzeig der norwegischen Dirigentin Anne Randine Øverby zu einem, ja bewegenden Ohrenschmaus. Doch welcher Bogen wird in dieser Spielzeit gespannt? Generalmusikdirektor Prof. Mathias Husmann bezeichnet sein Konzept „Mozart und -“ und stellt dabei die pikante Frage: „Könnte das Konzertprogramm anders lauten?“ Doch nicht allein die Kompositionen des gebürtigen Salzburgers machen den Reiz aus, sondern die Darbietung der musikalischen Verbindung zu Lehrern, Mentoren, Nachfolgern und der Tonsprache am Anfang des 20. Jahrhunderts. So stellt sich die Frage nach der Aktualität des Wunderkindes vielleicht am Schärfsten. ur CineExtra im CineStar Greifswald jeden Mittwoch um 17.15 Uhr und 20.15 Uhr für nur 4,50 Euro

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Mein ist die Rache Dass „etwas faul ist im Staate Dänemark“, wusste William Shakespeare schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts als er sein Stück „Hamlet“ schrieb. Vierhundert Jahre später gewann der Ausspruch durch den Streit um Mohammedkritische Karikaturen, veröffentlicht in einer dänischen Tageszeitung, ungewollte Aktualität. Doch die Fassung des an sich zeitlosen Stoffs, die das Theater Vorpommern auf die Bühne bringt, ist auf andere Weise zeitgemäß. Betont wird das Thema Rache, genauer blutige Rache, die Vergeltung von Gleichem mit Gleichem, Mord mit Mord. Hamlet, Prinz von Dänemark, muss mit ansehen, wie seine Mutter Claudius, den Bruder ihres gerade erst verstorbenen Mannes, heiratet und dieser zum König gekrönt wird. Doch es kommt noch schlimmer: Kurz darauf erfährt er, dass sein Vater von Claudius ermordet wurde um selbst dessen Nachfolge anzutreten. Vom Geist seines Vaters angestiftet, sinnt Hamlet auf Rache und merkt gar nicht, dass er damit sich selbst und kurz darauf auch sein Land ins Unglück stürzt.

Schon der Auftakt erinnert an die Gegenwart. Wir sehen ein Land in nervösem Alarmzustand, der Krieg liegt in der Luft, es herrscht ein Klima von Angst und Misstrauen. Da werden Gedanken an eine der Terrorgefahr ausgelieferte Gesellschaft wach. Dass Regisseur und Kostümbildner Matthias Nagatis die Schauspieler in Anzüge und Abendkleider steckt, erleichtert dem Zuschauer diese moderne Perspektive. Ansonsten bleibt die Inszenierung jedoch sehr nah am Werk, auch der Text scheint nahezu ungekürzt. Dies lässt das Stück allerdings auf gute drei Stunden Spiellänge anschwellen, was die Aufmerksamkeit des Publikums zum Ende hin auf eine harte Probe stellt. Doch wer durchhält, wird mit dem als modernen Fechtkampf inszenierten blutigen Showdown zwischen Hamlet und Claudius’ Handlanger Laertes belohnt, der zum Tod (fast) aller führt. Schließlich überwindet also die Rache doch dieVernunft. Der Rest ist Schweigen – und der lang anhaltende Beifall des Premierenpublikums. ring

25.10. Malen oder Lieben 1.11. Lemming 08.11. Man muss mich nicht lieben 15.11. Geheime Staatsaffären 22.11. Emmas Glück


Baetke digital Greifswalder Projekt ermöglicht elektronische Recherche in Standardwerk zur Altnordistik

Prof. Fix-Bonner zeigt die Titelseite des digitalen Wörterbuchs

„Das hätte sich Herr Baetke sicher nicht träumen lassen“, sagt Prof. Hans Fix-Bonner mit einem Blick auf seinen Laptop, „dass wir heute so in seinem Buch recherchieren. Mit einem Klick auf die Seitenzahl kann man das gesuchte Wort sofort finden und sich anzeigen lassen.“ Korrigiert und erweitert Fast zwei Jahre lang haben Fix-Bonner und seine Mitarbeiter am Lehrstuhl für Nordische Philologie des Mittelalters und Historische Sprachwissenschaft an der digitalen Ausgabe des altnordischen Wörterbuchs gearbeitet. Das Ergebnis ist nicht nur ein komplettes Faksimile des von 1965 bis 1968 in Berlin erschienenen Werkes, sondern vor allem ein fast 300 Seiten starker Index. Hier befindet sich neben einem Verzeichnis zu korrigierender Fehler und einer Reihe von Literaturhinweisen die interaktive Komponente des Wörterbuchs: ein vollständiges Stichwortverzeichnis mit 23.521 Einträgen, das beim Anklicken auf die Seitenzahl zur entsprechenden Stelle im gedrucken Werk wechselt und das gesuchte Wort anzeigt. Der Clou: Während Baetke seine Einträge streng semantisch ordnete und flektierte Wörter so unter der jeweiligen Grundform erscheinen mussten (im Altisländischen ergeben sich dadurch häufig starke Verschiebungen im Alphabet), sind hier alle Stichworte alphabetisch sortiert. So können beson-

ders Sprachlerner und Interessierte ohne umfangreiche Grammatikkenntnisse leichter die gesuchten Wörter auffinden. Den neuen Erscheinungsort seines überarbeiteten Wörterbuchs kannte Baetke gut: Von 1930-1935 war er Mitglied des Akademischen Prüfungsamtes und 1933-1934 Lehrbeauftragter für Germanische Religionsgeschichte an der Uni Greifswald, bevor er nach Leipzig wechselte und dort an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften ab 1952 am ‚Wörterbuch zur altisländischen Prosaliteratur’ arbeitete. Aus Leipzig kam daher auch die Genehmigung für die Internetpublikation auf der Seite der Universitätsbibliothek.

Fix-Bonner, auch eine Steigerung der Attraktivität des Fachs. „Ich denk, dass auch aus anderen Ländern bald Zugriffe auf die Seite erfolgen werden“, fügt er hinzu, „denn zur Zeit ist das Buch in Deutschland nur für beträchtliches Geld erhältlich. Nach unserer Onlinepublikation hingegen steht das Nachschlagewerk allen Interessierten uneingeschränkt zur Verfügung.“ Text und Fotos: ms Addresse des e.books (elektronischen Buchs): www.emedien.ub.uni-greifswald.de/ ebooks./baetke-digital/altnord-wb

Das digitale Wörterbuch ist nur eines von mehreren linguistischen Projekten, die mit denen sich die Altnordisten aktuell befassen. Im Gesamtprojekt zur altisländischen Morphologie, für das das Alfried-Krupp-Wissenschaftskolleg Software und Arbeitsplätze zur Verfügung stellte, entstehen bis Anfang 2007 ein altnordisches morphologisches Wörterbuch, in dem die Kompositionselemente eines Wortes aufgeschlüsselt werden sowie ein rückläufiges altnordisches Wörterbuch, das alle Wörter von der Endung her auflistet. In das morphologische Wörterbuch mit 300.000 Lemmata (Schlagwörtern) fließt auch der Wortschatz des Wörterbuchs von Walter Baetke ein.

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Pünktlich zu Semesterbeginn schaltet die Universitätsbibliothek auf ihrer Internetseite ein Grundlagenwerk zur Nordischen Philologie frei: Ab dem 16. Oktober kann das ‚Wörterbuch zur altnordischen Prosaliteratur‘ von Walter Baetke kostenfrei heruntergeladen werden.

Weltweit erreichbar Für seine Studenten, aber auch für die mit Deutschkenntnissen anderer Skandinavistischer Institute im In- und Ausland bedeutet die Digitalisierung nicht nur eine enorme Erleichterung beim Nachschlagen der altisländischen Wortformen, sondern, so hofft

Walter Baetke (1884 - 1978)

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„Das bist Du!“ Über die digitale Identität

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Nach dem theatralischen Abschied im letzten Heft werden viele Leser verwundert zur Kenntnis nehmen, dass ich hier schon wieder eine ganze Seite mit meinen Gedanken fülle. Da bin ich meinem Ziel, „etwas kürzer treten zu wollen“, mal wieder nicht gerecht geworden. Allen „Erstis“ sei gesagt, dass hier ein Relikt des Magisterstudiums am Werk ist, das die ihm dadurch gegebenen Freiheiten der universitas literarum im Laufe der Semester (mehr oder weniger) intensiv genutzt hat. – So, nun in medias res.

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„Arvid hat keine Freunde an der Uni Greifswald.“ – Diese nüchterne Aussage sprang mir als Erstes entgegen, als ich mich beim StudiVZ „einloggte“. Doch kaum eine Stunde später bekam ich die erste „Freundschafts-Einladung“. Die mit ihr verbundene Nachricht sah wie folgt aus: „Ich wusste gar nicht, dass du Zeit für so was hast.“ – Ja, eigentlich hatte ich die Zeit auch nicht, aber ich habe sie mir genommen. Es war einer der letzten heißen Tage im Juli - „bevor es dunkel wurde; vor dem August“ (um mal diesen Sommer zu charakterisieren) - und eigentlich wollte ich mich ja um meine Arbeit kümmern, was aber faktisch oft so aussah, dass man nur auf den blinkenden Cursor starrte, während „The End“ von den „Doors“ erklang und der Rettungshubschrauber überm Dach zum Landen ansetzte. Und so war ich gerne geneigt, mich „kurzweiligeren“ Dingen hinzugeben. Bereits wenige Tage später war die Zahl der „Freunde“ zweistellig und es wurde zur täglichen Gewohnheit, einen Blick auf diese Seiten zu werfen, auch wenn man keine E-Mail mit „Neue Nachricht“ bekam – wobei es dann doch etwas nervig wurde, wenn es hieß „Arvid Sowieso hat eine Nachricht in der Gruppe ‚Alle Arvids’ hinterlassen“. Auf „das wohl größte und am schnellsten wachsende Studenten-Netzwerk Europas“, wie es sich offiziell bezeichnet, aufmerksam gemacht wurde ich übrigens durch ein anderes Phänomen, das sich in diesem Sommer nicht nur bei

Politikern großer Beliebtheit erfreute und das aufgrund seiner „eher physischen Ausrichtung“ der Jahreszeit eigentlich eher angepasst war: der Drachenbootsport. Um meine subjektive Befangenheit über das, faktisch utopische, Ideal des „objektiven Journalisten“ stellen, möchte ich hier explizit das Wettkampfteam „Hell-Fisk“ nennen, dem ich mich als dokumentierender Begleiter sehr verbunden fühlte. Doch hier zeigt sich wieder einmal die temporäre Gebundenheit, die der Enthusiasmus mit sich bringt. Hauptintention vieler, die sich in die Gruppe „Hell-Fisk“ einschrieben, war es sicher, das Phänomen des „Teamgeistes“ in die digitale Welt zu übertragen, also ein lebendiges Forum für all die Anliegen zu schaffen, die diese Gruppe definiert. Doch die anfängliche Begeisterung für diese Lebendigkeit wurde bald transformiert – zu einer akribischen Systematisierung und Archivierung von Fakten. Was ich in der JuniKolumne noch selbstmitleidig angeprangert hatte, ist nun zur Profession geworden: In den „Fotoalben“ kann man eine Welt aufbauen, die sich jenseits des Bildschirms oder platonisch gesprochen „hinter einem“ verbirgt. Doch über die „Privatandacht“ hinaus ist es die „soziale Repräsentation“, die hier eine immense Aufwertung erfährt. Es entwickelt sich fast zu einer Art Politikum, ob man einen „Freund“ ablehnt oder bestätigt – wobei ich bisher noch niemanden abgelehnt habe und hier niemandem vor den Kopf stoßen möchte, aber als neulich anstatt 30 nur noch 29 Freunde da waren, kam mir spontan nicht in den Sinn, wer fehlen könne, bis ich erfuhr, dass es sich um „Stadt Greifswald“ handelte – „Stadts Freunde“ waren zuletzt über 200. Die Kündigung der

Freundschaft kommt also einer damnatio memoriae gleich. Eine derartige Entwicklung ist einem solchen System sicher zwangsläufig inhärent, doch fragt man sich, inwieweit eine derartige Detailfülle zur jeweiligen Person von Nöten ist. Vielleicht ist es ein zu „investigativer“ Drang meinerseits, der mich bereitwillig derartigen Informationen (wie z.B. der schulischen Vergangenheit) nachgehen lässt. Aber andererseits besteht offenbar auch der Wille, entsprechend viel „über sich“ zu sagen. Welche Folgen die Angabe des Geburtsdatums hat, ist vielen sicher anfänglich nicht bewusst. Olfaktotrische Hasenjagd Als Unterstützung „realer“ sozialer Kontakte mag das System ja durchaus angebracht sein, jedoch stellt sich die Frage, ob hier nicht Welten aufgebaut werden, die mitunter den Anspruch erheben wollen, sich über diese Realität hinweg zu setzen – Welten, die Hierarchien neu definieren wollen, die Beziehungen entstehen lassen, denen letztendlich – wie man schweHerzens ren erkennt - die Basis fehlt. Denn auch wenn die digitale Technik mittlerweile schon bestrebt ist, eine Hasenjagd in einem Lavendelfeld nicht nur audiovisuell, sondern auch olfaktorisch zu adaptieren, ist es doch immer noch die Welt „dort draußen“, in der wir uns begegnen müssen – denn was ist schon ein durchkalkulierter Generalstabsplan gegen die unbekümmerte Spontanität eines Lächelns ... . aha


Schokocroissant rettet Universitätsbibliothek Bäckerei verwechselt Spendenbüchse mit Werbetrommel. Eine Polemik und „Glaubwürdigkeit“. So ist die Kampagne für die Stadtbäckerei nicht nur günstig, sondern sogar profitabel, da die eigentliche Zehn-Cent-Spende als Aufschlag voll auf den Kunden umgeschlagen wird. Im ersten Aktionszeitraum von Mai bis Ende Juli kam die teure SchokoVerführung trotzdem gut an. Die elf beteiligten Filialen verkauften nach Angabe Marketingchefs Herrn Hofrichter 9000 Croissants. Zur Vorstellung: Aufeinander getürmt, erreichen sie die schwindelerregende Höhe von 486 Metern und würde locker das ehemalige World Trade Center überragen. Zur feierlichen Stunde rundete man die Spende auf 1000 Euro auf und übergab sie medienund werbewirksam in der Greifswalder Verkaufsstelle dem Bibliotheksdirektor. Seine Stellvertreterin Frau Sigrid Hornei erklärte gegenüber moritz, dass sie die Aktion prima fände. Man werde jetzt zehn Bücher davon kaufen. Ein großer Aufkleber der Bäckerei auf der ersten Innenseite natürlich inklusive. Erstaunlich ist das Bündnis trotzdem: immerhin sind jegliche Lebensmittel – inzwischen auch Wasser – in der Bibliothek verboten. Das einzige Gute an der Kampagne

ist, dass sie eindringlich verdeutlicht, wie groß die Not der Bibliothek sowie der Universität insgesamt bereits ist. Offenbar ist man inzwischen im Fundraising- und Alumnibüro bereit, für ein paar hundert Euro die Seele und den Namen der Universität für jeden Marketing-Ramsch zu verkaufen. Die nächste Studentendemonstration steht wohlmöglich unter dem Motto: „Unsere Bildung ist auf Hörnchen gebaut“. Vielleicht kann die Initiative auch andere anstiften, aktiv zu werden: Kindergärten stricken Buchumschläge, Aldi sammelt für die Stromrechnung, und für jeden verkauften Volkswagen in Harrys Autohaus wird ein neues Buch der UB geschenkt. Wie wäre es mit der AOL-Universität für 20 kostenlose Bücher pro Jahr? Schöne neue Welt! Wer wirklich will, dass neue Bücher in der Bibliothek angeschafft werden, der sollte einfach fünf Titel ausleihen und sie nur eine Woche verspätet zurückbringen. Das kostet über zwölf Euro und entspricht bereits 120 Croissants. Denn das Geld aus Verspätungen fließt direkt dem Kauf neuer Bücher zu, ohne den Umweg durch Bäckerkassen. sj

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Kann so unsere chronisch unterfinanzierte Universitätsbibliothek gerettet werden? Jeder, der in der Stadtbäckerei Junge ein Schokocroissant für 95 Cent kauft, spendet davon zehn Cent der Universitätsbibliothek. Was auf den ersten Blick kreativ und wohltätig aussieht, ist auf den zweiten Blick nicht mal ein Tropfen auf den heißen Stein. Überlegt man sich, dass ein normales Lehrbuch im Schnitt 100 Euro kostet, braucht man mindestens 1000 verkaufte Schokocroissants, um damit ein einziges Buch zu finanzieren. Um sich diese Menge mal vor Augen zu führen: 1000 Croissants hintereinander gelegt ergibt eine Strecke von 184 Metern. Diese könnte man locker um die gesamte Universitätsbibliothek legen. Wer glaubt, er tut der Bibliothek mit dem Kauf dieses Gebäcks etwas Gutes, der irrt fatal. In erster Linie profitiert die gute Stadtbäckerei davon. Sie erhöht den Umsatz der teuren Schokocroissants und kann sich gleichzeitig „ortsverbunden“ und „großzügig“ geben. Denn mit über 140 Filialen und, laut eigenen Angaben, „führender Marktstellung im Norden Deutschlands“ braucht die Bäckerkette diese „lokale Verankerung“

Hat der Sicherheitsingenieur Achim Maletzke wohl diesen Gegenstand hier genehmigt? Foto: ring

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Erfüllter Erstwunsch Auswahlverfahren für das Medizinstudium in Greifswald Foto: Alexander Laske

Die Zentrale Stelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) im nordrheinwestfälischen Dortmund wurde totgesagt. Sie hätte ausgedient. Dies ist nicht der Fall. Natürlich besitzt die Institution ein Interesse am Selbsterhalt. Allerdings war sie für Universitäten stets ein Dienstleister. In der Sonnenstraße 171 laufen alle Bewerbungen auf Studienplätze an bundesdeutschen Universitäten in den Fächern Biologie, Tier-, Human und Zahnmedizin, Pharmazie und Psychologie zusammen. In diesen Fächern gibt es mehr Studienwillige, als zur Verfügung stehende Plätze. Noch vor Jahren vergab die ZVS die Studienplätze in zulassungsbeschränkten Fächern nur nach dem Abiturnotendurchschnitt und der Anzahl an Wartesemestern. Eine Mitsprache der Hoch-schulen bei der Auswahl ihrer Studenten war nicht möglich. In der Verordnung über die zentrale Vergabe von Studienplätzen des Landes Mecklenburg-Vorpommern vom 7. April 2006 wurde den Hochschulen die Möglichkeit der eigenen Auswahl von Studierenden in den Numerus clausus-Fächern gegeben. Auf den gleichlautenden Staatsvertrag von 1999 und den darauf folgenden Gesetzen aus den Jahren 2000 und 2005 wurde Bezug genommen. Insgesamt können die jeweiligen Fakultäten und Institute bis zu 60 Prozent ihrer Studienplätze durch eigene Auswahlverfahren vergeben. Bis vor einem Jahr waren es nur 24 Prozent.(siehe moritz 44)

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Begehrt

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Im Fach Humanmedizin nahmen zum Wintersemester 2006/07 die Hälfte der 34 Medizinischen Fakultäten in Deutschland die Auswahl eines Teils ihrer Studienplätze für angehende Ärzte selbst vor. In Greifswald wird dieses Mitspracherecht ebenfalls wahrgenommen. „Jedesmal, wenn der Gesetzgeber uns die Möglichkeit gab, nutzten wir diese“, sagt Petra Meinhardt vom Studiendekanat der Medizinschen Fakultät. So auch in diesem Semester. Insgesamt stehen an der Greifswalder Universität 193 Studienplätze zur Verfügung. Für Sanitätsoffiziere der Bundeswehr, ausländische Staatsangehörige, Bewerber mit besonderer Hochschulzugangsbere chtigung, Härtefälle und Studenten eines

Zweitstudiums muss die Universität Studienkapazitäten frei halten. Die restlichen Plätze werden zu 20 Prozent nach der Abiturbestennote und weiteren 20 Prozent nach der Anzahl an Wartesemester von der ZVS vergeben. Für die Auswahl der restlichen 60 Prozent ist die Universität am Ryck selbstverantwortlich. „In diesem Semester konnten wir 100 Studienplätze über unsere internen Auswahlkriterien vergeben“, so Meinhardt. Erste Hürde ist eine nicht schlechtere Abiturnote als 2,5 und die Angabe der Ortspräferenz Greifswald an erster oder zweiter Stelle bei der Bewerbung über die ZVS. Insgesamt 4.804 Bewerber gaben bei dieser die Ernst-Moritz-Arndt-Universität als eine der beiden ersten Wunschstudienorte an. Danach wurden Punkte für die Belegung der Leistungskurse – naturwissenschaftliche Fächer bekommen eine höhere Bewertung - in der Oberstufe, berufspraktische Erfahrungen und Praktika vergeben. Nach diesen Kriterien wurde eine Rangliste gebildet und 60 Prozent der rund 100 Plätze vergeben. Über Auswahlgespräche vergab die Universität die restlichen freien Studienplätze. Fünf Auswahlkommissionen mit jeweils zwei Professoren – einem aus dem vorklinischen, der andere aus dem klinischen Bereich – der Medizinischen Fakultät führten die insgesamt 121 Gespräche. Diese dauerten mindestens 20 Minuten. Auf diese Gespräche konnten sich die Bewerber vorbereiten: Sie mussten einen handschriftlichen Lebenslauf verfassen und die Ge-sprächsthemen waren bekannt. Kreativität, Fähigkeit zur Kommunikation und Belastbarkeit spielten eine Rolle. Natürlich auch die Motivation zum Medizinstudium. „Ich möchte den Menschen helfen“ wollten die Kommissionen aber nicht hören – mit dieser Erwartung muss schließlich jeder Mediziner leben. Die beiden Professoren verteilten Punkte für die einzelnen Bereiche

und somit eine Empfehlung über die Zulassung zum Medizinstudium an der Universität Greifswald. „Wir waren mit den Auswahlgesprächen zufrieden“, meint Meinhardt weiter. „Für die Zukunft kann ich mir schon vorstellen, dass wir alle Studienplätze selbst vergeben.“ Der bürokratische Aufwand wird in Kauf genommen. Der freie Wille Dass die Universität Greifswald eine sehr gute Medizinische Fakultät besitzt, zeigt das große Interesse an den hiesigen Studienplätzen. Dies war aber nicht immer so. Viele Studienwillige kamen unfreiwillig in die Hansestadt, da „die ZVS mich nach Greifswald verbannt hat“. Die Folge waren schnelle Ortswechsel während der ersten Semester. Diese Abwanderungsbewegungen haben sich aber gelegt. Die Qualität der Lehre verbesserte sich, die Medizinstudenten sammeln ab ihrem 1. Semester praktische Erfahrungen im Universitätsklinikum. „Comunity Medicine“ ist das Schlagwort. Außerdem ist das Betreuungsverhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden gut. Das nicht alles Gold ist, was glänzt, zeigen dagegen die negativen Bewertungen einzelner Seminare und Blockpraktika durch die Medizinstudenten. Auch wird die Betreuung von Doktoranden nicht in allen Instituten ebenbürtig gehandthabt. „Wir beobachten aber die Ergebnisse

Quelle: ZVS

der Evaluation um gegebenenfalls kurzfristig Einfluß zu nehmen“, meint Meinhardt. Die Qualität der medizinischen Ausbildung in Greifswald darf sich schließlich nicht verschlechern. Ansonsten war das sehr hohe Interesse am hießigen Studienort in diesem Jahr eine Eintagsfliege und die ZVS wirkt wieder verbannend. bb


Freies Staunen 98eins - Ein Radiosender für Greifswald und Umgebung in der Domstraße 12 Wortsendungen auf radio 98eins einen hohen Stellenwert. Geistreich Kreative Köpfe stecken hinter allen Sendungen. Im „Kulturbeutel“ wird ein Thema konzeptionell bearbeitet. Während der „Nacht am Meer“ sitzen entspannte und lustige Moderatoren mit einem Gast vor dem Studiomikrofon. Das Interesse an Sendungen, die den Geist fördern, wird in der von europäischer Politik geprägten „Sternstunde“ und der „Philomathie“ gestillt. Dort kann man mal seinem Professor außerhalb der Hochschule lauschen und feststellen: dieser ist auch nur ein Mensch! Das tägliche Programm beginnt ab November mit einem neuen, tagesaktuellen Konzept. Noch ist der Name geheim, doch soviel sei gesagt: gut recherchierte Nachrichten und Beiträge aus Greifswald meets aus-

gewählte Musik. Alles ganz im Sinne des Bürgerfunks. Den freien und nicht-kommerziellen Radiosender zu hören, mag zur Mitarbeit anregen, was definitiv erwünscht ist. „Wo sonst kann man sich ausprobieren, wenn nicht bei radio 98eins“, fragt Markus Fischer. Es gibt zwar kein Geld, aber schon jetzt engagieren sich 68 Freiwillige und sammeln Erfahrungen. „Wir wollen kein Chaos, sondern Radio machen“, so Fischer weiter. Natürlich kommt der Spaß nicht zu kurz. Neugierige, die sich als Moderatoren, Reporter, Techniker, Netzwerkadministratoren, ... versuchen wollen, sind willkommen. Wer technisches und journalistisches Verständnis erworben hat, kann sich seine Mitarbeit als Praktikum anerkennen lassen. bb Schon gehört? Infos unter: www.98eins.de

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Radio hören ist Entspannung und Unterhaltung. Radio machen dagegen ist Arbeit.Vor allem, wenn der Betrieb einer Radiostation nur nebenbei bewerkstelligt wird: man ist Student und möchte sich ausprobieren. Sich nicht nur in der Universität aufhalten. Praktisch arbeiten, Erfahrungen sammeln und die Menschen am Radiogerät angenehm unterhalten. Diesen Anspruch haben die freiwilligen Mitarbeiter beim Greifswalder radio 98eins. Von Montag bis Freitag zwischen 19 und 23 Uhr wird auf der Frequenz 98.1 eine Alternative zu anderen Radiosendern in Mecklenburg Vorpommern geboten. Jede Musikrichtung wird bedient. „Von Alternative-Rock, Elektro über Ska, Reggae bis hin zur Schlagermusik geht unsere musikalische Bandbreite“, ist Chefredakteur Markus Fischer stolz. Neben der liebevoll ausgewählten Musik besitzen die

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Foto: ring

Ein Band für die Kiste Die Neugestaltung rund um den Hörsaal steht kurz vor dem Abschluss Sie gehört zum Greifswalder Studentenleben wie Mensa oderAudimax: die „Kiste“ in der Makarenkostraße. Nachdem 2004 schon das Gebäude selbst komplett saniert und umgebaut wurde, bekommt nun auch das Außengelände ein neues Gesicht.

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„Unser Konzept umfasst drei Ebenen“, erklärt Olaf Petters die Pläne, die sein Architekturbüro in einjähriger Vorbereitung erarbeitet hat. „Mit zwei Senkgärten und einer erhöhten Liegewiese wollen wir etwas Spannung ins Gelände bringen.“ Auf den rechteckigen Baukörper der Kiste soll mit geometrischen Formen geantwortet werden. „Auch für Bäume und Büsche wird es noch genügend Platz geben“, beruhigt der Landschaftsarchitekt. Die Natur solle nicht Parkplätzen weichen. Zwölf davon sind zwar in Petters’ Konzept vorgesehen,

allerdings werden sie an der Längsseite kaum auffallen. Natürlich wird auch für den studentischen Drahtesel gesorgt. „280 Fahrradständer werden wir noch installieren“, verspricht Petters. Doch damit das Gelände rund um die „Kiste“ nicht allzu statisch daherkommt, haben sich der Stralsunder und seine drei Mitarbeiter etwas Besonderes einfallen lassen: das so genannte Band der Begegnung. „Es soll die drei Funktionen betonen, die die Kiste erfüllt“, erläutert Petters die Idee und meint damit den Hörsaal, den Studentenclub und die Moschee, die alle unter einem Dach Platz finden. Das Band, das sich in Form von bunten Keramikplatten, Metallkreisen, lackierten Baumstämmen und Scheinwerfern in Schlangenlinien über das Gelände ziehen wird, soll vom Eingang der Moschee zum Studentenclub führen.

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Quelle: Architektenbüro Petters

Mit raffinierten Ideen haben Petters und seine Mitarbeiter Erfahrung. Sie planten bereits die Neugestaltung der Pappelallee, die vom Rosengarten an der Universitätsbibliothek vorbei bis zum Freizeitbad führt. Auch die Außenanlagen des Uniklinikums wurden von ihnen entworfen. Und nun also das Gelände, das die Kiste umgibt. Die Schönheitsmaßnahme rund um den klobigen Bau aus der DDR-Zeit lassen sich die drei Bauherren einiges kosten. 350 000 Euro bringen die Universität, die Stadt Greifswald sowie die ILG als Betreiberin des angrenzenden Studentenwohnheims gemeinsam auf. Doch das Geld ist gut angelegt, ist sich Christine Gust sicher. „Ich finde das eine Supermaßnahme“, lobt die Wohnheimleiterin. Sie habe die Idee sofort begrüßt, als die Universität damit auf sie zukam. Allerdings musste sie in ihrem Büro einiges aushalten, denn bevor es ans Umgestalten ging, mussten geteerte Flächen aufgebrochen und teilweise ganze Fundamente beseitigt werden. Der Lärm des Presslufthammers war für Wochen Gusts ständiger Begleiter und verfolgte auch manchen Studenten bis in die Vorlesung, die in der Kiste stattfanden, während draußen gearbeitet wurde. Dass es mit der Gestaltung bereits seit dem zweiten Mai voran geht, dafür ist der „Galabaubetrieb GuD Siedenbüssow“ aus der Nähe von Demmin verantwortlich. Regelmäßig sieht Bauleiter Falko Barke nach dem Rechten, damit seine Leute bis Anfang November fertig werden. Olaf Petters ist sich sicher, dass sie es in der eingeplanten Zeit schaffen werden. „Die Zusammenarbeit klappt sehr gut“, lobt er. „Diese Baustelle macht richtig Spaß.“ ring


Hochschulsport: kontrollierter Zusammenbruch? Die Folgen der Schließung des Instituts für Sportwissenschaft zeigen sich bereits: Sporthallen werden verkauft, Sportgeräte verrotten.

Problemfeld 1 – Gebäude Die Schließung der Sporthalle in der Stralsunder Straße erwartet Schielke für Ende 2007. Das Gebäude in der Falladastraße 20 soll auf jeden Fall verkauft werden. Über das Hauptgebäude der Sportwissenschaft wurde noch nicht entschieden. Für den dahinter liegenden Sportplatz, so heißt es in der Stadtverwaltung, gibt es bereits Interessenten, die dort Einfamilienhäuser errichten wollen. Das im Winter nicht beheizbare Ruderhaus müsste für die Holzboote dringend aufgerüstet werden. Auch die Judo-Halle ist in einem desolaten Zustand. „Was Schwerin direkt überweist, reicht gerade aus, um die Mieten für externe Sporthallen zu zahlen, da wir viel zu wenig eigene Räume haben“, meint Schielke. Müssten in Zukunft alle Räume angemietet werden, würde dies sowohl die Kurskosten explodieren lassen, als auch das Angebot verkleinern. Erste Anzeichen gibt es bereits: gerade erst wurde der letzte Hausmeister versetzt. Wer nun die Sporträume verschließt, Bälle kontrolliert und den technischen Service leistet ist noch völlig unklar. Problemfeld 2 – fehlende Sportstudenten Stolz weißt Eckard Schielke auf die Statistik: im vergangen Semester waren

über 3.000 Studenten und Mitarbeiter im Hochschulsport aktiv – so viel wie nie zuvor. Die über 120 Honorarkräfte, die die vielen Kurse leiteten waren bisher jedoch zu 20 bis 25 Prozent Sportstudenten, die sehr flexibel einsetzbar gewesen sind. In der Zukunft muss daher mehr in die Anwerbung von Kursleitern investiert werden. Problemfeld 3 – Sportgeräte verschleißen „Bekenntnis zum Hochschulsport ist das eine, die materielle Basis das andere“. Der Hochschulsport lebt und arbeitet seit Gründung 1990 nicht nur mit den Studenten und Gebäuden des Sportinstituts, sondern auch mit deren Sportgeräten. Schon jetzt wurde der Etat für Neuanschaffungen von Sportgeräten auf 6.000 Euro reduziert. Und es ist unmöglich, davon den Bestand an Fußbällen, Turnmatten, geschweige denn an Ruder- und Segelbooten zu erhalten. Doch auch dieser kleine Etat droht mit der Schließung der Sportwissenschaft ersatzlos wegzubrechen. Der Hochschulsport wäre dann von Schenkungen abhängig.

Talente werben, „so wie das in Amerika gang und gebe ist“. Den Hochschulsport will er in ein „Sport- und Gesundheitszentrum“ umbauen, dass allen Instituten etwas anbieten kann, Zusatzqualifizierungsangebote, z.B. für Theologen und Lehrämter, die mit jungen Menschen zu tun haben. Mediziner könnten gesundheitsfördernde Angebote entwickeln, Psychologen eine Gesundheitswoche zur Stressbewältigung konzipieren. Angehende Betriebswirte vermarkten Touristen in den Semesterferien Angebote für Sporthallen und Segelboote der Universität und erarbeiten Strategien für Sponsoring und Marketing. „Wir könnten viele Drittmittel einwerben“, meint der Hochschulsport-Beauftragte. Das Team des Hochschulsports hat noch viele Ideen, wartet jedoch zunächst darauf, was die Universitätsleitung vom aktuellen Bestand überhaupt erhalten will.

Problemfeld 4 – Visionen ausgeträumt Am meisten fehlt im Moment Planungssicherheit. Solange die nicht herrscht, können Projekte und Ideen erst gar nicht angegangen werden. Dr. Eckard Schielke will nicht nur den Status Quo retten, sondern hat ambitionierte Pläne: er will die Universität Greifswald zur „Partnerhochschule des Leistungssport“ ausbauen und damit bundesweit für

Der Unisport trägt viel zur Außenwirkung bei, ist man sich hier sicher. Auf der Website des Sportinstituts zählte man 79.539 Zugriffe aus Deutschland. Die restlichen 6.000 kamen aus 82 anderen Staaten rund um den Globus. Eckhard Schielke: „Stellen Sie sich vor, es gäbe hier am Meer nicht die Möglichkeit, segeln zu lernen. – Was wäre das für eine Universität?“ sj

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Was wird eigentlich aus dem Hochschulsport, wenn das Sportinstitut endgültig schließt? Das in den dynamischen Prozessen unserer Universität nicht mit einer klaren Antwort zu rechnen war, überrascht nicht. Dass aber bisher offenbar noch niemand diese Frage gestellt hat, jedoch schon. Faktisch ist der Hochschulsport nämlich ein integrierter Teil des seit 2003 vorläufig geschlossenen Sportinstituts. Wenn im Wintersemester 07/08 der letzte Sportstudent die Universität verlässt, geht nach dem jetzigen Stand auch im Hochschulsport das Licht aus. Veränderung ist also nötig. Jedoch: „Bisher hat mich noch nicht mal jemand zu einem Gespräch eingeladen“, sagt Dr. Eckard Schielke, Beauftragter für den Hochschulsport. Die formale Veränderung des Hochschulsports in eine eigenständige Einrichtung ist jedoch das geringste Problem. Vieles andere steht derzeit auf dem Spiel.

Dr. Eckard Schielke Fotos: ring

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Gut gesichert?! Kampf dem Diebstahl von Fahrrädern Wird nach dem preisgünstigsten und umweltfreundlichsten Nahverkehrsmittel gefragt, führt das Fahrrad die Rangliste der Antworten an. Jedenfalls in einer von der Einwohnerzahl kleinen Stadt wie Greifswald. Die öffentlichen Verkehrsmittel sind in Taktfrequenz, dem Preis-Leistungs-Verhältnis und der Geschwindigkeit nach verbesserungswürdig. Im Berufsverkehr gewinnt der Radfahrer das Rennen gegen den Busfahrer. Nicht nur Studenten der Ernst-Moritz-Arndt-Universität schätzen diese Vorteile. Auch Dozenten treten in die Pedalen. Die Suche nach einem Parkplatz für das eigene Auto entfällt, ein Stellplatz ist schnell gefunden. Doch Obacht: nicht überall darf man sein Velo hinstellen bzw. anlehnen! Sicherung

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Der Besuch einer Lehrveranstaltung, abendliche Aktivitäten, ... – Gründe gibt es genug sich in Greifswald fortzubewegen. Hat man sich nun per Radel von A nach B bewegt und dieses barrierefrei abgestellt, gilt dennoch: vorbeugend abschließen! „Das Fahrrad sollte am besten an einen festen Gegenstand, wie einem Laternenmast oder Fahrradständer, angeschlossen werden“, sagt Kriminalhauptmeister Roland Käding von der Polizeiinspektion

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einen Gegenstand anschliesst, kann dies trotzdem entwendet werden. „Jeder Fahrradbesitzer sollte sich die wichtigsten Informationen wie Rahmennummer, Farbe und Model notieren“, sagt Käding. Diese Informationen sind bei der Aufklärung sehr hilfreich. „Wir finden viele Fahrräder, die wir aber der Anzeige nach nicht genau zuordnen können“, bedauert Käding. Da Bestohlene nicht alle zur genauen Identifikation nötigen Informationen wissen, tritt dieses Problem auf. Wer kann schon nach der Auskunft „Mir wurde ein blaues Damenrad gestohlen” den Sachverhalt aufklären? Heute schon codiert? Besonders hilfreich ist neben der vorhandenen Rahmennummer für die Wiedererkennung eine zusätzliche Codierung am Fahrradrahmen. Der Präventionsrat der Hansestadt Greifswald ermöglicht die kostenlose Anbringung der Codiernummer. Dies dauert nur etwa fünf Minuten und ist im Foyer der Mensa von Montag bis Donnerstag in der Zeit von 9 bis 17 Uhr möglich. Mitzubringen sind der Eigentumsnachweis über den rechtmäßigen Besitz und der Personalausweis. Über diese Kennzeichnung ist die Wohnanschrift des Eigentümers erkenntlich. Der Code besteht aus dem örtlichen Kraftfahrzeugkennzeichen, dem Gemeinde- und Straßenschlüssel, der Hausnummer und den Initialen des Besitzers. „Codierte Fahrräder werden seltener gestohlen als Uncodierte und können auch leichert identifiziert werden”, freut sich Käding. Auch der Greifswalder Fahrradfachhandel führt die diebstahlabschreckende Kennzeichnung durch. Eigentumsübertragung

Montags bis donnerstags werden im Foto: bb Mensafoyer Fahrräder codiert. Greifswald. Ungeeignet zur Sicherung seines Eigentums sind Schlösser, die lediglich die Räder blockieren und dünne Kabel- sowie Bügelschlösser. Für Diebe stellen diese kein Hindernis dar. Obwohl man sein zweirädiges Gefährt mit einem guten Fahrradschloss an

Bei Routinekontrollen entdeckt die Polizei regelmäßig als gestohlen gemeldete Drahtesel. Werden die Fahrer befragt, beteuern diese der Eigentümer des Rades zu sein. Sie hätten es für wenig Geld von einem Bekannten erworben. In diesem Moment glaubhaft nachzuweisen, ein Käufer und kein Dieb zu sein, ist am besten durch einen Kaufvertrag möglich. Dieser muss auf jeden Fall den

Namen des Verkäufers enthalten und über dessen Eigentumsnachweis sollte sich vergewissert werden. Am besten, man läßt sich den Personalausweis zeigen. „Mit einem Kaufvertrag ist man auf der sicheren Seite”, sagt Käding. Statistisch Im Jahr 2004 wurden insgesamt 1433 Fahrräder bei der örtlichen Polizei als gestohlen gemeldet. Es gibt ungefähr 40.000 Velos in der Stadt am Ryck. Die meisten Diebstähle ereignen sich in der Greifswalder Innenstadt. Vor allem in der Nähe der Dompassage in der Langen Straße und an der Mensa am Schießwall werden Fahrräder entwendet. „Die Diebstähle an der Universitätsbibliothek am BertholdBeitz-Platz sind dagegen in den letzten Jahren zurückgegangen“, berichtet Käding weiter. Ende der Neunziger Jahre war die Hansestadt Greifswald im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern die Hochburg des Fahrraddiebstahls. Im Spitzenjahr 1997 wurden 2772 Fahrräder gestohlen. Die Aufklärungsquote lag da allerdings nur bei 1,8 Prozent. Seitdem steht der Kampf gegen den Diebstahl von Drahteseln auf der Prioritätenliste der Polizei ganz oben. Die nun intensiveren Bemühungen, wie vermehrte Kontrollen, zeigen seit dem Jahr 2000 ihre Wirkung: Die Anzahl der angezeigten Verbrechen sank stark und die Aufklärungsquote stieg auf über zehn Prozent. „Leider herrscht bei Fahrraddiebstählen ein geringes Unrechtsbewusstsein“, entnimmt Käding den Gesprächen mit gefassten Dieben. Fahrraddiebstahl ist aber kein Kavaliersdelikt und wird durch das Strafgesetzbuch in den Paragraphen 242 und 243 geregelt. „Fahrraddiebstahl ist Teil der Beschaffungskriminalität für Drogen und Konsumgüter“, erinnert Käding. In diesem Jahr stellt die Greifswalder Polizei schon 66 Velos sicher, die eindeutig einer Straftat zuzuordnen sind, da bei der Anzeige des Diebstahls die Rahmennummer bekannt war. Aber auch in anderen deutschen Städten werden Drahtesel gefunden, die in Greifswald als gestohlen gemeldet wurden. bb


m.trifft ... Volker H. Altwasser, gebürtiger Greifswalder, wuchs im Ostseeviertel auf und debütierte 2003 mit „Wie ich vom Ausschneiden loskam“. Das zweite Werk ist in Vorbereitung.

Alter: 36 Jahre Geburtstag: 31. Dezember, der Tag, an dem die ganze Welt feiert und mich regelmäßig Anrufe erreichen, man schaffe es zu meiner Geburtstagsfeier gerade nicht mehr. Größe: 186 cm / Gewicht: 74 kg Berufsbezeichnung: Schriftsteller Schriftsteller kann sich jeder nennen und dies auf unterschiedlichem Wege erreichen. Wie kamen Sie dazu? Aus purer Not heraus. Ich borgte mir schon als Kind wöchentlich Bücher aus, mit 17, 18 Jahren beschloß ich dann, selbst Welten zu erfinden. Nebenher arbeitete ich als Elektronikfacharbeiter, Heizer, Bürokaufmann, Montagearbeiter, Matrose, doch ich lebte da schon lange in meinen Welten. Die Realität, denke ich, ist lange nicht die beste aller Möglichkeiten, gerade auch, wenn sie einem permanent die Beine weghaut. – Die Sau, die! Wie haben Sie ihre literarischen Fähigkeiten entwickelt? Am Deutschen Literaturinstitut zu Leipzig studierte ich drei Jahre lang und darf mich jetzt Diplom-Schriftsteller nennen. Mein Hauptfach war Lyrik, Prosa und Drama meine Nebenfächer. Der wichtigste Teil war aber das praktische Schreiben und das fundierte Kritisieren. Wie wählen Sie die Themen Ihrer Texte aus? Heute entwerfe ich zuerst Konzepte, Exposés. Zu einem Anfangsthema kommen so häufig andere Themen dazu. Da bin ich wohl Lyriker geblieben. Ich verbinde, verdichte und betrachte alles aus verschiedenen Sichtweisen. Beim ersten Buch habe ich zum Beispiel mit den Augen eines Westdeutschen auf meine Kindheit geschaut. Es erfordert aber viel Zeit, mit den Augen eines Fremden sehen zu können. Dieser Fremde taucht dann aber nicht mehr auf. Das Buch, an dem ich jetzt arbeite, braucht die Blickwinkel eines Hochseefischers, einer Hubschrauberpilotin, eines Studenten und einer asiatischen Piratin. Nicht leicht,

das eigene Leben soweit zu vergessen, es macht aber süchtig. Wie ist Ihr Arbeitsalltag? Gegen acht Uhr stehe ich auf, esse etwas und setze mich für zwei bis drei Stunden an den Computer und schreibe. Dann ist die Kreativität weg und ich habe so fünf Seiten herausgeholt. Nachmittags bis abends lektoriere ich dann, verbessere, und permanent grübele ich. Wie viele Bücher möchten Sie schreiben? Weiß ich nicht. Auf jeden Fall genau drei für mich wichtige. Vermutlich das erste, eins in der Mitte und das letzte. – Die dazwischen sollen „nur“ Geld bringen. Was machen Sie, wenn Sie nicht am schreiben sind? Spazieren gehen und grübeln. In der Mensa essen und grübeln. Fahrrad fahren und grübeln. Als Call-Agent arbeiten und grübeln. Am liebsten bin ich in Lubmin, da grübelt die See für mich und schenkt mir laufend Antworten. Welches Laster haben Sie? Die Einsamkeit, nach ihr bin ich süchtig. Immer häufiger muß ich mich nach ganz normalen Gesprächen wie diesen erstmal ausruhen. – Kommunizieren strengt ja so an! Allein das Nonverbale. Welche Bedeutung hat Vorpommern für Sie? Die Frage nach der vorpommerschen Identität beschäftigt mich sehr. Ich bin in Greifswald geboren, damals noch im Bezirk Rostock,habe dieWende miterlebt und danach Station in Leipzig, der Schweiz und Berlin gemacht. Währenddessen stellte ich mir immer die Fragen: Was sind und wie denken Vorpommern? Was ist Heimat für einen Vorpommer? Aufgrund der jahrhundertelangen Fremdherrschaft Schwedens,Dänemarks, Polens, Russlands, Brandenburgs und Mecklenburs über diesen Teil der jetzigen Bundesrepublik sind die Vorpommern für mich die (wirklich) ersten Europäer. Die Idee von der EU, das waren wir doch! Dem Vorpommer ist das Regieren egal geworden. Nach dem Motto, je weiter weg, um so besser. Der Europäer von morgen ist der Vorpommer von heute, kein Witz. – Darum geht’s auch in

Foto: bb

meinem ersten Buch. Wie sieht Ihr Verhältnis zur Ernst-MoritzArndt Universität aus? Auch für mich zwiegespalten. Für mich ist die Universität zu autark. Greifswald trägt seit diesem Jahr den Zusatz `Universitätsstadt ́. Warum ändert nicht endlich auch dieser Wissenschaftsbetrieb seinen Namen in Universität Greifswald um? Es wird Zeit, daß die Uni der Stadt den Rücken stärkt, sonst fehlt ihr eines Tages der Standort. Bspw. auch das internationale Studentenfestival, warum gab’s da keine Veranstaltungen für die Kinder Greifswalds? Es gibt wohl knapp zehntausend Hartz-IV-Empfänger und elftausend Studenten, also ich schlage Patenschaften vor. Im Kleinen, nicht immer im Großen, das Große ist uns eh egal. So würde die Verbundenheit mit dem Heimatort klarer sein und der Name von Arndt verschwinden. Ausgerechnet in der Stadt, in der niemand weiß, was Heimat ist, gibt’s eine Uni mit dem Namen eines Freiheitskämpfers. Worüber lachen Sie? Tja, über Fragen wie diese. Und über unsere vorpommersche Bauernschläue, die man auf dem platten Land findet. Regelmäßig werden die neusten Herren dort abserviert, ohne daß sie es merken. – Otto von Bamberg mußte damals auch zweimal kommen, um zu christianisieren. Das erste Mal hatte er sein Schwert nicht dabei.

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Name: Volker Harry Altwasser

Lebensmotto? Das Leben findet täglich statt. Was liegt auf Ihrem Nachttisch? Ich habe keinen. Ich schalte das Licht aus und verschwinde sofort aus dieser Schwere. Immer wieder gerne. – So, ich muß, tut mir leid! Gespräch: Björn Buß

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