moritz november 2006
nr. 59
das greifswalder studentenmagazin studentisches Wohnen
in Greifswald
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Höchstverehrte Leser! Wir alle wohnen in Greifswald oder höchstens in der näheren Umgebung. Wir müssen unsere Wohnungsmiete zahlen und uns zum Studienanfang oder zur Befriedigung unserer persönlichen Wohnpräferenzen das eine oder andere Mal auf Wohnungssuche begeben. Aufgrund des von uns vermuteten,von Semester zu Semester gestiegenen Interesses an Informationen über den völlig überstrapazierten Wohnungsmarkt, haben wir uns im Titelthema dieser Ausgabe all den Dingen gewidmet, die einem während des Wohnens in Greifswald passieren können oder die eine gewisse Relevanz für Euch haben dürften. Des Weiteren haben wir uns um die Rektorenwahl gekümmert, einen Außenkorrespondenten zu den Internationalen Hofer Filmtagen geschickt und uns das Theaterstück zu Heinrich Rubenow angeschaut. Ihr seht, wir kümmern uns um Euch. Wir freuen uns kindisch, wenn wir glauben, etwas Lesenswertes fabriziert zu haben. Wir versuchen, Euren Wünschen vorzubeugen, indem wir uns ständig Gedanken über sinnvolle Neuerungen im Magazin machen. Es klappt nicht immer, das wissen wir. Darum sind wir immer froh und dankbar, wenn sich jemand mit konstruktiver Kritik an uns wendet. Bitte, gebt uns Euren Senf!
Wenn bei dem ersten Sturm Deutschland nicht wieder auseinanderfallen soll, wenn die Reichsfeinde nach einer oder zwei gewonnenen Schlachten vom Rhein nicht wieder bis Wien und Berlin ungestraft sollen marschieren dürfen, so muß uns eine geistige Kraft gegeben werden, ein Stolz auf eine edle Freiheit und eine Zuversicht auf Gesetz und Recht, welche die Menschen freudig in den heiligen Tod fürs Vaterland treibt. [zitiert nach: E.M. Arndt: „Geist der Zeit“, 4. Teil, Leipzig o.Jg., 2. Kapitel, Seite 57]
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Arndt des Monats
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lieber moritz
leserbriefe
Mit Rainer Vernunft zum Rektor geworden?!? Oktober. Die Zeit im Jahr, in der sich eigentlich alles ändert: der Baum trennt sich von seinen Blättern um eine Überlebenschance im kalten Winter zu haben. Die Zugvögel, die dieser Zeit nicht gewappnet sind, ziehen gen Süden. Nur hier hat der Senat jüngst Professor Rainer Westermann erneut zum Rektor gemacht. Nun gut, man muss vielleicht sagen, dass sich nicht der ganze Senat an dieser Misere beteiligt hat, sondern lediglich 19 von 36 Senatoren. Davon wiederum nur insgesamt 16, die auch im ersten Wahlgang, in welchem Herr Professor Westermann kläglich scheiterte, zu ihm standen und weitere drei, die sich - aus welchen Gründen auch immer - im zweiten Wahlgang an seine Seite schlängelten. Bravo! Was für ein triumphaler Tag! Ein Tag, der mit dem schlechtesten Wahlergebnis seit 1990 endete. Ich hätte gerne bei jenen 19 Mandatsträgern nachgefragt, welche Gründe genau sie zu jener Abstimmung veranlassten. War es Mitleid? Angst vor dem Unbekannten? Ein seltsames Bedürfnis nach Abschaffung unserer Volluniversität? Man weiß es nicht. Wie kann man einen Mann zum Rektor machen, der weder genug Kenntnisse über die vielen Vorteile, noch über die mannigfachen Missstände an unserer Universität hat? So war es nicht Herr Westermann, der die hervorragenden Wissenschaftler aller Fakultäten und die besonderen Qualitäten ihrer Studierenden auf dem Festakt lobend hervorhob, sondern unser Bundespräsident. Auch mutet es seltsam an, dass Magnifizenz erst kürzlich davon gehört hat, „dass Studenten in einer Vorlesung draußen auf dem Flur Platz nehmen mussten“. In einer einzigen Vorlesung? Es mag einfach zu viel Stress sein, eine Universität zu regieren, wichtige Entscheidungen treffen zu müssen, da kann man schon mal solche Kleinigkeiten wie die Situation der Mitarbeiter und Studierenden in manchen Fachbereichen, vornehmlich in denen der Philosophischen Fakultät, aus
den Augen verlieren. Man kann sich ja nicht um alles kümmern. Da muss man zwangsläufig irgendwo etwas streichen. Es wäre nur allzu menschlich gewesen, Herrn Westermann endgültig von diesen Strapazen zu befreien. Hatte er es sich doch im vergangenen Dezember angesichts der Rektoratsbesetzung noch selbst so gewünscht. Damals schien ihm nichts lieber zu sein, als wieder zu unterrichten. Auch mir und vielen anderen war und ist nichts lieber, als dass sich Herr Professor Westermann endlich dazu entscheidet, seine Lehrtätigkeit in vollem Umfang wieder aufzunehmen. Dann könnten alle glücklich sein. Aber nein: Magnifizenz wollte eine zweite Chance, uns zu beweisen, dass er es besser machen kann. Aus immer noch unerklärlichen Gründen gelang es ihm dann auch, sich diese zu ertrotzen. Jetzt bleibt nur noch zu hoffen, dass Herr Westermann die Weisheit besitzt einzusehen, dass „besser machen“ in seinem Fall bedeutet alles ganz anders zu machen, ausnahmsweise hinter allen Fakultäten zu stehen, hinter allen Mitarbeitern und hinter allen Studierenden! Auf diesem Weg wird Herr Westermann beobachtet, von 17 Senatoren, die sich nicht dazu durchringen konnten, ihn zu wählen, von allen Mitarbeitern, die für abkömmlich gehalten werden und von so unbequemen Studierenden wie mir, die sich nicht mit faulen Lösungen abfinden können. Catharina Frehoff, Stellv. StuPa-Präsidentin
Fährnis, Fairness, Vergangenes Der amtierende Rektor geht in die nächste Runde, bestätigt durch knappe Wahl. Fast die gesamte zurückliegende Amtszeit stand er in der Kritik der Zu-Kurz-Gekommenen und Gekürzten, allen Protestierenden voran: die Studierendenschaft – wie konnte sie anders? Es ist naseweis und dennoch erlaubt,aufgrund der studentischen Kritik am Hochschulleiter, an dessen Politik, an der Art seiner Amtsführung, wegen all der berechtigten und unberechtigten
An- und Übergriffe gegen seine Person, daran zu erinnern, dass ihn die Vertreter der Studierenden im Jahr 2003 wählten. Aus der Erfahrung der letzten und in Erwartung der kommenden „moritz“Kommentarjahre, sei hier die einstige Wahlentscheidung dargestellt. Gewusst oder mindestens geahnt haben die Studierenden vorher, dass da ein „Durchzieher“ kommt, der von vornherein nichts versprechen wollte. Es stand die studentische Entscheidung und der Wunsch, auf die Schweriner Kürzungsfrage eine eindeutige Antwort zu erteilen. Nicht länger sollte die Lösung eines drängenden Problems auf die lange Bank geschoben werden. In Kauf genommen wurde, dass der zu wählende Kandidat schon damals nicht als Anwalt der Studierenden galt, dass es mühsam werden würde, eigene Ideen auf dem Reißbrett des Rektors unterzubringen und dass er schlichtweg kein Konzept für den Stellenabbau mitbrachte, das er vorab verraten wollte. Das einzige was für Rainer Westermann sprach, war der Eindruck seiner Kompetenz als Dekan. Hinzu trat der studentische Wille, den anderen Herausforderer zu hindern. Wunschkandidaten der Studierenden standen nicht zur Verfügung. Die Wahlentscheidung war deshalb kein Fehler. Man vertraute auf die eigene Stärke der Studierendenschaft gegenüber einem autoritären Rektorat. Erfolge gab es dann für beide Seiten. Es besteht kein Grund, nach Beobachtung der letzten vier Jahre und aller wechselseitig ausgeführten (Tief)schläge, sich in Mitleid für eine Seite zu gefallen. In beiden Ecken stehen um Fährnis und Unbeständigkeiten Erfahrene. Professor Westermann hat sich auf die Rolle eingelassen, er hat sein Konzept gemeinsam mit einer Mehrheit durchgeboxt und soll sogar zurück in den Ring steigen. Die kommenden Leistungen werden das nächste Mal in sechs Jahren verglichen. Eine harte Runde ist zu erwarten und es stünde allen Parteien und der gesamten Universität gut zu Gesicht, wenn es auch eine faire würde. Robert Tremmel
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inhalt
„Die Lage wird sich zuspitzen“
t i t e l t he m a
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moritz sprach mit Dirk Barfknecht, Jurist und Geschäftsführer des Mieterbundes vor Ort, über die Wohnsituation in der Stadt.
t i t e l t he m a Mietspiegel Deutschland Wohngeschichten WG-Suche Mietvertrag ABC Interview: Mieterverein Umfrage: Studentisches Wohnen
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ho c h sc hu l p o li t i k ho c h sc hu l p o li t i k
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Im Interview mit moritz sprach der wiedergewählte Rektor Rainer Westermann über Demokratieverständnis an der Hochschule, Studiengebühren und die Internationalisierung der Lehre.
ju b il äu m
Als Greifswald wieder schwedisch wurde
22, 23
ju b il äu m Kommentar: Die schwedische Königin 22 22 Der Festakt 25 Reiseführer Greifswald 26 Innenansicht Festmusik 27 Ein Theaterstück über Rubenow
Beobachtung des Festaktes am 17. Oktober
f e u ill e t o n
ju b il äu m
Die zwei Seelen im Dr. Pyl
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Zur Aufführung des Heinrich-Rubenow-Stückes
Bericht: Tanztendenzen Interview: Sabrina Sadowska Workshops bei Tanztendenzen 40. Hofer Filmfestspiele CD: Zucchero Bücher: Nick Hornby, Kenneth Anger Kino: Departed, Goyas Geister, Little Miss Sunshine Theater: Tosca, Hörmalzu DVDs: Knallhart, Ask the Dust, Haze Internationale Autorentagung
fe u ille t o n
Film- & Fastfoodkultur in Bayern 33, 34 moritz sucht nach den besten Filmen und Bieren aus 40 Jahren Hofer Filmtage
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u ni ve r su m Reisebericht: Ukraine polenmARkT 2006 Studentische Nachhilfe Forschung in Greifswald: bacillus subtilis „Gruschel Dich selbst!“ Greifzelmännchen: Forstmeister Wolfgang von Diest
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s pie l u nd s p a ß u ni ve r su m
„Gruschel Dich selbst!“ Das StudiVerzeichnis expandiert. moritz fragt sich, seit wann und warum?
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Bartholomä: Diplomatie, baby! Gewinner Wusstet Ihr schon???
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Editorial / Arndt des Monats Leserbriefe AStA, StuPa, Neuigkeiten Impressum
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inhalt
„Wir müssen besser werden“
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Immatrikulationsansprache Interview: Rektor Westermann Ertappt! Interview: Barbara Unger Der AStA in Stettin Kathrin Berger zur Gremienwahl „Ihr habt die Wahl“, HoPo-Lexikon Die „Front Deutscher Äpfel“
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kurznachrichten
AStA
Allgemeiner Studierendenausschuss Domstraße 12. Telefon: 03834/861750 oder 561751 • Fax: 03834/861752 E-Mail: asta@uni-greifswald.de Internet: www.asta-greifswald.de Vorsitzende/r: Alexander Gerberding vorsitz@asta-greifswald.de Co-Referent/in für Partnerkontakte, Presseund Öffentlichkeitsarbeit: Anja Goritzka presse@asta-greifswald.de Co-Referent/in für Internet und Technik: Michael Krause internet@asta-greifswald.de Referent/in für Hochschulpolitik: Justus Richter hopo@asta-greifswald.de Referent/in für Fachschaften und Gremien: Thomas Schattschneider fachschaften@asta-greifswald.de Referent/in für Finanzen: Martin Hackober finanzen@asta-greifswald.de Co-Referent/in für Buchung und Beschaffung: Eric Kibler buchung@asta-greifswald.de Co-Referentin für Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit: Christian Bätz asta@uni-greifswald.de Referent/in für Soziales, Wohnen und Gleichstellung: Alexander Schulz-Klingauf soziales@asta-greifswald.de Co-Referentin für BAföG und Studienfinanzierung: Mirko Wahlen bafoeg@asta-greifswald.de Referent/in für Studium und Lehre: Kristina Kühn studium@asta-greifswald.de Co-Referent/in für Studierendenaustausch und Internationalisierung: Moniika Peiz austausch@asta-greifswald.de Co-Referent/in für Evaluation und Hochschulentwicklung: André Kaminski evaluation@asta-greifswald.de Referent/in für Kultur und Erstsemesterwoche: Franziska Lenk erstsemester@asta-greifswald.de Co-Referentin für das Universitätsjubiläum: Stefanie Hennig jubilaeum@asta-greifswald.de Autonome/r Referent/in für S., L. und andere sexuelle Ausrichtungen (queer): Patrick Leithold queer@asta-greifswald.de
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Autonome/r Referent/in für Studierende mit Behinderungen und chronischen Krankheiten: Moritz von der Wense behinderte@asta-greifswald.de
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Autonome/r Referent/in für Ausländerfragen: Robert Wollenberg auslaenderreferat@asta-greifswald.de
StuPa
Studierendenparlament der EMAU Präsidentin: Kathrin Berger Stellvertreter: Philipp Kohlbecher, Catharina Frehoff E-Mail: stupa@uni-greifswald.de Internet: stupa.uni-greifswald.de
Wahlhelfer gesucht! Die studentische Selbstverwaltung sucht zum nächstmöglichen Zeitpunkt eine Wahlleiterin oder Wahlleiter und eine Stellvertretung zur Planung, Organisation und Durchführung der im Januar 2007 stattfindenden Wahlen zum Studierendenparlament (StuPa). Die Wahlleiterin und ihre Stellvertretung sind selber nicht in das neue StuPa wählbar. Voraussetzung für die Tätigkeit ist die Immatrikulation an der Greifswalder Universität sowie die Bereitschaft zur eigenverantwortlichen Arbeit. „Zu den Aufgaben einer Wahlleiterin gehören insbesondere die hochschulöffentliche Wahlbekanntmachung, die Konzeption und Erstellung der Wahlvorschläge, das Erstellung einer endgültigen Wahlliste und Wahlzetteln, die Bekanntgabe der Kandidatinnen sowie die Bewerbung der Wahl“, erklärt StuPa-Präsidentin, Kathrin Berger. Weiterhin sorgen beide für die technische Bereitstellung der Wahlurnen und sind für die Akquirierung und Einweisung der Wahlhelfer zuständig. Die Wahlleiterin muss zudem die Fristen einhalten und den ordnungsgemäßen Ablauf der Wahl überwachen. „Nach der Wahl informiert sie die gewählten und nichtgewählten Kandidatinnen über ihre Wahl bzw. Nichtwahl, legt den Sitzungstermin der konstituierenden StuPa-Sitzung fest, bereitet diese vor und leitet sie bis zur Wahl einer neuen Präsidentin“, berichtet Kathrin Berger weiter. Daneben sollten sie zuverlässig mit dem Referenten für Fachschaften und Gremien des Allgemeinen Studierendenausschuss zusammen arbeiten. Auf Grund der hohen Verantwortung werden beiden zusammen 200 Euro ausbezahlt.
Interessierte Studierende können sich ab sofort bei der derzeitigen StuPaPräsidentin, Kathrin Berger, unter stupa@uni-greifswald.de melden. Bewerbungen können auch unter dieser Adresse eingereicht werden: Kathrin Berger, Präsidentin des Studierendenparlamentes, Domstr. 12, 17487 Greifswald.
Keine Vorschläge zur Verbesserung der Hochschulsituation AStA Greifswald Koalitionsvertrag
kritisiert
Nach dem Erscheinen des Koalitionsvertrages zwischen SPD und CDU in Mecklenburg-Vorpommern beschäftigte sich auch der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) der Universität Greifswald kritisch mit dem hochschulpolitischen Teil des Koalitionsvertrages. „Unserer Meinung nach sind im Koalitionsvertrag keine Vorschläge zur Verbesserung der Situation an den Hochschulen enthalten“, bedauert der hochschulpolitische Referent des AStA, Justus Richter. Der AStA als Interessenvertretung der Studierendenschaft kritisiert vor allem die unklaren und verallgemeinertenAussagen in Bezug auf die Finanzausstattung und die Hochschulautonomie. „Es handelt sich hier augenscheinlich um Phrasen, die der Bedeutung der Hochschulen für die Wettbewerbsfähigkeit dieses Landes nicht gerecht werden“, resümiert der Greifswalder Referent für Hochschulpolitik. Durch „Erschließung zusätzlicher Finanzmittel“, wie es im Koalitionsvertrag heißt, scheint sich das Land seiner finanziellen Verantwortung für die Hochschulen weiter entziehen zu wollen. Es kann nicht einmal ausgeschlossen werden, dass mittel- oder langfristig die Koalitionäre SPD und CDU die Einführung von Studiengebühren oder versteckte Gebühren in Form von Studienkonten zu einem Thema machen. Hinsichtlich der Personalie des neuen Bildungsministers zeigt sich der Greifswalder AStA ebenfalls skeptisch. Hier scheint eine deutliche Fokussierung der Landesregierung auf Bereiche der Schulpolitik zulasten des Hochschulbereichs vorzuliegen. Dabei ist die Notwendigkeit nach Reformen hinsichtlich der Finanzausstattung und der Hochschulautonomie nach wie vor groß. „Wir würden es begrüßen, wenn sich der neue Bildungsminister auch mal zu der katastrophalen Situation an den Hochschulen äußert“, erklärt Justus Richter abschließend.
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titelthema
mietspiegel
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privat/ vermieter
Mein erstes Mal Wohnen Der Abschied vom „Hotel Mama“ Zweitausendsechs, das Jahr des Hundes, der Fußballweltmeisterschaft und der Beginn meines selbstständigen Lebens. Der Abiball liegt noch schwer in den
verändern sollte. Mir war klar, dass ich auf jeden Fall dem guten Ruf der Uni Greifswald folgen würde und ich hatte mich bereits in den Osterferien auf Greifswald festgelegt. Danach startete die mühselige Suchaktion mittels Internet und Zeitungsannoncen. Denn meine Ansprüche waren hoch: keine WG, kein Wohnheim, kein Plattenbau, nah an der Fakultät. Das Internet war keine große Hilfe, also musste ich extra die Ostsee-Zeitung abonnieren. Zack, gleich der erste Treffer. Eine minimale Anzeige bot des Beste vom Besten: Apartment in einer renovierten Stadtvilla, 29 Quadratmeter, Erstbezug, in Altstadtlage, provisionsfrei, 260 Euro warm!
Quelle: ring
Knochen und erst jetzt meinen einige Leute, sich Gedanken über ihre Zukunft machen zu müssen. Da ich schon früh genug wusste, wohin es mich verschlägt, machte ich mir weniger Sorgen. Das verschaffte mir einen Vorsprung bei der Wohnungssuchaktion. Ein Jahr zuvor machte ich mehrere Ausflüge nach Greifswald. Alsbald musste ich eine Entscheidung treffen, die mein Leben
Obwohl der erste Anruf vielversprechend war, ließ der Besichtigungstermin einen ganzen Monat auf sich warten. Ich sah den Traum schon platzen und suchte nach anderen Wohnmöglichkeiten. Selbst den Gedanken an eine WG zog ich jetzt in Erwägung. Aber zum Glück hatten meine Eltern und ich den Besichtigungstermin Mitte Juni. Als wir dann frühmorgens, nach zwei Stunden Fahrt aus Brandenburg,
endlich angekommen waren, ging es Schlag auf Schlag. Wohnung besichtigt, fünf Sekunden überlegt und unterschrieben. Kurz zuvor machte ich noch schnell die Abiprüfungen und gleich darauf halte ich meinen ersten Mietvertrag in den Händen. Der Abiball konnte in Ruhe vonstatten gehen und auch die Ausräumaktion meines ehemaligen Kinderzimmers verlief über den Zeitraum des Sommers. Es war sogar so viel Zeit übrig, dass ich noch zwei Wochen in Frankreich verbringen konnte. Dann kam der Auszug aus meiner Heimat und der Einzug in mein neues Leben. Weg vom „Hotel Mama“, rein in ein Heim, das man aufräumen kann, wann man will. Wo man aufstehen kann, wann man will, einkaufen kann, was man will und endlos Party machen. Aber ich stelle fest, dass die erste eigene Wohnung kein Zuckerschlecken ist. Man freut sich doch darauf, nach Hause zu kommen und sich bemuttern zu lassen. Ich bin froh, dass ich so früh wie möglich gesucht habe und ich gleich beim ersten Mal die Traumwohnung gefunden habe. Jetzt kann ich in Ruhe meine Zeit hier in Greifswald genießen. ar
Alter Verwalter!
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Anmerkungen zum Greifswalder Wohnungsmarkt
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Man sollte meinen, die Privatsphäre eines Menschen darf nicht mit Füßen getreten werden. Mein damaliger Vermieter sah das nicht so eng. Zunächst monatlich, dann in kürzeren Intervallen schickte er kurzerhand eine Putzkolonne, die in unserer Wohnung Küche, Bad und Flur sauber machen sollte. Bevorzugte Uhrzeit: Sieben Uhr morgens. Bevorzugte Lautstärke: zu laut, um weiterzuschlafen. Bevorzugte Reaktion meinerseits: Rausschmiss. Unangekündigt aus dem Bett vertrieben zu werden, obwohl man normalerweise erst um halb zehn aufstehen müsste, grenzt an Frechheit. Auch meine fünf Mitbewohner wurden unsanft aus dem Schlaf gerissen. Vorbereitet konnten wir nicht sein, denn der Vermieter händigte der Putzfirma ohne Absprache mit uns
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die Schlüssel aus. Selbst im Hotel wird man als Gast besser behandelt – dort wird morgens zwischen Acht und Zehn das Zimmer gereinigt. Und wohlgemerkt: der Flur und die Küche waren bei weitem nicht so dreckig, dass eine hausexterne Firma hätte kommen müssen. Als wir uns dann eine Zweiraumwohnung suchten, wussten wir noch nicht, dass wir es mit Leuten zu tun bekommen würden, die den Greifswalder Wohnungsmarkt zu beherrschen scheinen. Auf dem schwarzen Brett der Uni fanden wir eine Wohnung in der Fleischervorstadt. Bald war der Deal mit der Vormieterin und dem Vermieter gemacht und die alte Wohnung gekündigt. Da kam ein Anruf von einem Makler, der uns weismachen wollte, dass er von uns eine dreistellige Maklercourtage
für die Vermittlung der Wohnung bekäme. Klärende Gespräche mit dem Vermieter scheiterten entweder an seiner Unerreichbarkeit oder an dessen angeblicher Ahnungslosigkeit. Als wir uns weigerten, eine dreistellige Provision für nicht erbrachte Leistungen zu zahlen, zuckte der Makler nur mit den Schultern und sagte, die Wohnung laufe nur über ihn oder gar nicht. Da schon zuviel Zeit ins Land gestrichen war und wir bereits gekündigt hatten, mussten wir wohl oder übel zusagen. Zusätzlich zu der Maklergebühr kam selbstredend noch die Kaution in Höhe von drei Kaltmieten. Dafür gab es zwar ein Eins-A-Übergabeprotokoll, aber der fahle Geschmack, abgezockt worden zu sein, blieb. kats
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casting show
„Suchen neue Mitbewohner für nette WG in der Innenstadt“ Oktober eine sanierte Altbauwohnung auf 145 Quadratmetern. Und? Bis jetzt ist alles gut. Die Wohnung ist toll. Jeder hat sein eigenes Zimmer, plus moderner Küche, Gemeinschafts-, („Raucher“)-Raum, einem riesengroßen Flur, auf dem wir Bowling- Abende veranstalten könnten und - und das ist der einzige Makel - ein kleines Bad. Aber auch dies ist bis jetzt kein Problem. Wir sprechen uns ab und die „Waschzeiten“ werden eingehalten. Ein Stundenplan, der zeigt, wann wer wo in welcher Vorlesung ist, hilft dabei, auszuhandeln, wann wir zum Beispiel gemeinsam essen können. Die Miete, die jeder zahlt, befindet sich noch im Rahmen des Erträglichen. So zahlt jeder, abhängig von der Quadratmeterzahl des Zimmers (15- 25 Quadratmetern), zwischen 180 und 220 Euro, warm. Leider lief die Wohnung über einen Makler, so dass jeder noch mal rund 140 Euro Courtage und 250 Euro Kaution zahlen musste. Aber das ist schnell vergessen. Und? Die Mitbewohner, drei Mädels und zwei Jungs, sind (bis jetzt) auch toll. In einer Art WG-Sitzung haben wir als erstes einen Termin für eine Einweihungsparty beschlossen, in einem
zweiten Schritt, dass jeder das putzt, was ihm am meisten „Spaß macht“. Einer fegt, der andere wäscht ab, die andere putzt das Bad. Große Streitigkeiten sind diesbezüglich noch nicht ausgebrochen. Noch befinden wir uns, wenn man das Leben auch als Show ansehen möchte, in der Start- oder auch Schnupperphase. Es ist schon interessant, wenn verschiedene Charaktere unterschiedlichen Alters aufeinander treffen und sich viel zu erzählen haben. Party gegen Lernstress? Treffpunkt ist die Mitte. Gelernt wird in den Zimmern, in denen es relativ ruhig ist, gefeiert in der Küche. Mindestens einmal in der Woche essen wir gemeinsam (heute gibt es SenfEi) und unternehmen einen Ausflug in bekannte Clubs. Beim Feiern lernen wir uns dann noch viel besser kennen. Noch nervt der tägliche Trubel, das Spektakel jedoch nicht, noch macht das Leben in der „Kommune“ Spaß. Denn dies ist erst der Anfang. Unser Ziel: die Fortsetzung eines guten WG-Lebens. Immer über alles reden und erst gar keinen Frust aufkommen lassen. In diesem Sinne: weiter geht es in der ik WG-Show!
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Willkommen in der CastingShow! Greifswald sucht den SuperMitbewohner! Du wirst genau beobachtet, ausgefragt und bewertet. Was sind Deine Aufgaben?! Gut rüber kommen, natürlich wirken, nicht gestellt bewegen. Und trotzdem kommt die Absage des selbsternannten Masters: „Nein, Du bekommst das Zimmer nicht.Wir haben uns für jemand anderen entschieden.“ „Na, toll. Und wo soll ich im nächsten Monat schlafen? “, denkst Du Dir dann und schaust auf der Uni-Pinnwand wieder nach weiteren Wohnungsangeboten. Damit bist Du auf Level Zwei des Spektakels - gut drauf bleiben, trotz Niederlage. Oder doch einmal den Spieß umdrehen: schnell eine Wohnung mieten und schon beginnt die eigene Show. Das kann natürlich auch in einer Art sozialen Stress enden: 20 Bewerber auf ein Zimmer an einem Tag, puhh. Da kann man schon mal den Überblick verlieren und mit den Informationen diverser Lebensläufe übersättigt sein. Letztendlich hat es geklappt: Nach mehreren Anläufen steht nun die Fünfer-WG in der Gützkower Straße. Drei Erstsemester und zwei Studenten im siebten Semester teilen sich seit
Quelle: Björn Hinze
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rechtliches
Mietvertrag ABC Neu in der Stadt? Ja, warum? Na, hast du schon eine neue Bude? Ja, aber irgendwie hatte ich bei dem Vermieter ein ungutes Gefühl. Warum? Hat er gleich am Anfang das halbe BAföG von Dir kassiert? Mhh, leider ja...war das nicht korrekt? Einmaleins rund um den Mietvertrag. Was ist Miete und warum zahle ich überhaupt fast mein ganzes BAföG dafür? Die meisten Menschen denken bei Miete gleich an Ihre eigene Wohnraummiete, aber es gibt verschieden Arten von Mieten. Hier soll näher auf die Miete von Wohnräumen eingegangen werden. Mit der Mietrechtsreform vom 01. September 2001 hat sich einiges geändert. Jedoch meistens zu Gunsten der Mieter, da der Gesetzgeber die Mieter mehr als die Vermieter bzw. Eigentümer von Wohnraum schützt. Wo ist das Mietrecht geregelt? Das Mietrecht ist in den §§ 535 – 580 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) geregelt und bestimmt die Rechtsbeziehung zwischen Mieter und Vermieter. Was ist im Mietvertrag zu beachten? Der Mietvertrag ist die vertragliche Vereinbarung zwischen dem Vermieter und dem Mieter. Ein Mietvertrag unterliegt grundsätzlich keiner Form. Ist das Mietverhältnis jedoch länger als ein Jahr angesetzt, so gilt es laut § 550 BGB auf unbestimmte Zeit und muss schriftlich erfolgen.
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Was sollte mindestens Mietvertrag verankert sein?
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alles
im
Zunächst einmal sind dieVertragsparteien, Mieter und Vermieter, aufzuführen. Danach wird der Mietgegenstand beschrieben. Das heißt, hier muss alles aufgeführt werden was der Mieter laut Vertrag mietet. In der Regel ist es nur der Wohnraum, aber auch Einbauküchen oder Stellplätze können mitgemietet werden. Hinweis: Sollte einmal ein Küchengerät z. B. der Kühlschrank einer gemieteten Einbauküche defekt sein, so rennt bitte nicht zum Hausmeister oder kauft diesen gar selbst. In solch einem
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Fall sollte der Vermieter (Eigentümer oder die eingesetzte Hausverwaltung) angeschrieben und der Vorfall gemeldet werden. Daraufhin ist der Vermieter verpflichtet zu reagieren, da die Mietsache nicht mehr im vertragsgemäßen Zustand ist. Liegt kein schadhaftes vorsätzliches Handeln beim Mieter, so hat der Vermieter das Gerät anstandslos zu ersetzen. Des Weiteren ist wie bereits gesagt die Art des Mietverhältnisses zu benennen. Entweder auf bestimmte oder unbestimmte Zeit. Dabei ist der Beginn des Mietverhältnisses mit dem Datum festzuhalten. Hinweis: Es kann mit dem Vermieter eine mietfreie Zeit vereinbart werden (nur bei Angebotsüberhang an Wohnungen durchsetzbar) bzw. aus umzugstechnischen Gründen eine frühere Schlüsselübergabe arrangiert werden. Wann kann kündigen?
ich
meine Wohnung
Wichtig für das Praktikumssemester! Grundsätzlich ist der schriftlich zu kündigen!
Mietvertrag
Ordentliche Kündigung: Die Kündigung ist am dritten Werktag eines Monats zum Ablauf des übernächsten Monats zulässig. Das heißt, dass man zum Beispiel spätestens am 03.12.06 sein Kündigungsschreiben bei der jeweiligen Hausverwaltung beziehungsweise Vermieter versendet hat. Das Mietverhältnis besteht danach noch im ganzen Monat Dezember und Januar. Warum sich hier der Gesetzgeber wieder seiner Beamtensprache hingibt, bleibt uns wohl verschlossen. Der Vermieter hingegen kann den Mietvertrag ordentlich kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse vorweisen kann. Ein berechtigtes Interesse liegt vor wenn, 1. der Mieter seine vertraglichen Pflichten schuldhaft in erheblichen Maße verletzt hat, 2. der Vermieter die Wohnung für sich oder einen seiner Familienangehörigen überlassen möchte, 3. der Vermieter bei Fortsetzung des
Mietverhältnisses einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden erleidet (zum Beispiel das bebaute Grundstück nicht mehr anderweitig nutzen kann). Außerordentliche fristlose Kündigung: Der Mieter und der Vermieter können aus wichtigem Grund fristlos kündigen. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn 1. dem Vermieter die Mietsache nicht vertragsgemäß rechtzeitig gewährt wird beziehungsweise nicht rechtzeitig oder überhaupt nicht mehr gewährt wird. Das heißt, wenn der Vermieter seinen Pflichten nicht nach kommt und die Mietsache dem Mieter nicht rechtzeitig oder gar nicht mehr zur Verfügung steht, 2. der Mieter die Rechte des Vermieters im erheblichen Maße verletzt oder die Mietsache unbefugt einen Dritten überlässt, 3. der Mieter für zwei aufeinander folgende Monate keine Miete zahlt beziehungsweise mit einem nicht unerheblichen Teil der Miete im Rückstand ist. Achtung: Besteht ein wichtiger Grund aus nur einer verletzten Pflicht des Mietvertrages, muss zunächst eine Abmahnung erfolgen beziehungsweise eine angemessene Frist zur Beseitigung des Mangels gesetzt werden. WICHTIG: Bevor man allerdings auf die harten Geschütze der Paragraphen im BGB zurückgreift, sollte man nicht vergessen, dass hinter einer Hausverwaltung oder einem Eigentümer auch nur Menschen und natürlich wirtschaftliche Interessen stehen. Also, ist das BAföG mal wieder für wichtige Bauteile am Golf IV oder bei Douglas draufgegangen, so wirkt ein einfacher Anruf manchmal Wunder. Im Mietverhältnis sollte stets eine gute Kommunikation zwischen beiden Parteien bestehen und so kommt es in der Praxis auch oft zu Kompromissen auf beiden Seiten. In diesem Sinne: einmal öfter anrufen wenn es brennt. Das bedeutet auch schöneres und stressfreieres Wohnen. Von André Bruchmann
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mietverein
„Greifswald nimmt eine Sonderstellung ein“ Cornelia Barenhoff, Dirk Barfknecht und Brigitte Wagner vom Mieterbund Quelle: rh
moritz: Herr Barfknecht, ein paar Worte zum Mieterbund. Barfknecht: Der Deutsche Mieterbund ist formalrechtlich gesehen ein Interessenverband und hat schon eine längere Tradition in der Bundesrepublik. In Ostdeutschland gibt es ihn freilich erst seit 1990. Unsere wichtigste Aufgabe ist sicherlich die Rechtsberatung in Fragen des Mietrechts. moritz: Andere Funktionen gibt es auch? Barfknecht: Richtig, allerdings sind diese eher mittelbar und die Mieter sehen davon wenig. Zum Beispiel versuchen wir im Interesse der Mieter Einfluss auf die Wohnpolitik des Landes zu nehmen. Dasselbe versuchen wir auch bei den Vermietern. Außerdem erstellen wir regelmäßig einen Mietspiegel für Greifswald, zuletzt im Jahr 2003. moritz: Wie sieht die Arbeit des Mieterbundes aus? Barfknecht: Es gibt nur einen hauptamtlichen Angestellten, das heißt vieles von dem, was an Hilfe geschieht, ist ehrenamtliche Arbeit der anderen Mitglieder. Einige von Ihnen sind übrigens Studenten. Unser Einzugsgebiet ist sehr groß. Neben Greifswald kommen die Landkreise Demmin und Ostvorpommern dazu. Das bedeutet natürlich viel Arbeit. moritz: Mit welchen Problemen kommen die Leute zu Ihnen? Barfknecht: Oft sind es einfache Dinge, wie Lärmbelästigungen durch andere Mieter. Aber auch Probleme mit den Vermietern kommen vor. Mal stimmt ein Wohnungsübergabeprotokoll nicht, mal werden vom Vermieter die Nebenkosten nicht korrekt abgerechnet.
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Wegen diesen kommen die Leute übrigens immer häufiger zu uns. Der Grund dafür ist die Kostenexplosion bei Strom und Gas, was bereits jetzt besorgniserregende Folgen hat. Manch einer ist am Rande der Zahlungsfähigkeit. Gegen die Preissteigerung kommt man nur politisch an, eben auf dem Wege der Einflussnahme auf die Wohnpolitik. Das ist aber sehr schwierig. moritz: Wächst der Andrang angesichts der Probleme? Barfknecht: Das nicht. Aber er wird auch nicht geringer. Außerdem werden die Fälle aus den genannten Gründen immer anspruchsvoller. moritz: Gibt es Schwierigkeiten mit den Wohnungsgesellschaften wie der WVG? Barfknecht: Ja, wenn auch keine speziell die WVG betreffenden Probleme. Was wir als Mieterbund jedoch anprangern, ist die so genannte Eigenkapitalverzinsung bei der WVG. moritz: Was heißt das genau? Barfknecht: Die WVG gehört der Stadt Greifswald und muss an diese einen Teil ihrer Einnahmen abtreten. Allerdings stehen hierfür auch die Mieter gerade, da sie die Kosten in Form hoher Mieten mittragen. Das ist quasi eine Sondersteuer. moritz: Wie schätzen Sie den Greifswalder Wohnungsmarkt im Vergleich zu anderen ein? Barfknecht: Wirft man einen Blick in die Statistiken, stellt man fest, dass die Stadt eine Sonderstellung einnimmt. Greifswald gehört zu den teuersten Städten und zwar nicht nur in Ostdeutschland, sondern auch im bundesweiten Vergleich. moritz: Wie kommt das? Barfknecht: Nach der Wende kam es relativ schnell zu Sanierungsmaßnahmen in der Stadt. Ein Beispiel ist die FranzMehring-Straße, deren Häuser schon seit Mitte der 90er Jahre überwiegend keine Kohlebeheizung mehr haben. Der technische Zustand des Greifswalder
Wohnraums kann sich auch insgesamt sehen lassen. Allerdings macht sich dies natürlich auch bei den Mieten bemerkbar. Verschärfend kommt hinzu, dass der Leerstand von Wohnungen im Vergleich gering und der Bedarf entsprechend hoch ist. moritz: Weil immer mehr Studenten nach Greifswald kommen. Barfknecht: Genau. Aber nicht allein deshalb.Nach derWende befürchtete man wie in anderen Städten der ehemaligen DDR einen Bevölkerungsrückgang in der Stadt und baute langsam zurück, zum Beispiel im Ostseeviertel. Aber bald trat eine gegenläufige Entwicklung ein, mit der niemand gerechnet hatte. Die Einwohnerzahl fiel nicht so stark, wie zunächst angenommen. In anderen ostdeutschen Städten lief dies teilweise völlig anders. Wie gesagt, Greifswald nimmt eine Sonderstellung ein. moritz: Was denken Sie über den Rückbau von Plattenbauten in Schönwalde? Barfknecht: Ganz im Gegensatz zu den Maßnahmen im Ostseeviertel, die durchaus sinnvoll waren, sehe ich die Aktivitäten in Schönwalde kritisch. Im Ostseeviertel hatte man in den 90er Jahren neben der Reduzierung der Wohnungszahl schließlich auch eine Aufwertung der Umgebung im Sinn. Doch in Schönwalde sieht es anders aus. Da wird ohne Konzept die Abrissbirne eingesetzt. Ich finde das schlichtweg nicht nachvollziehbar. moritz: Gibt es einen Trend für die Zukunft? Barfknecht: Das ist schwer zu sagen. Es gibt viele Faktoren. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann beispielsweise niemand verlässliche Aussagen über die Auswirkungen des EU-Beitritts von Polen auf den Wohnungsmarkt machen. Meine Meinung ist, dass die Situation sich vermutlich weiter zuspitzen wird.
titelthema
Damit es auf dem Wohnungsmarkt mit rechten Dingen zugeht, gibt es viele Vereinigungen, die den Mietern zur Seite stehen. In Greifswald übernimmt diese Aufgabe der Deutsche Mieterbund. moritz sprach mit Dirk Barfknecht, Jurist und Geschäftsführer des Mieterbundes vor Ort, über die Wohnsituation in der Stadt.
moritz: Herr Barfknecht, vielen Dank für das Gespräch. Das Gespräch führte Robert Heinze.
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immatrikulation
Nicht allein für Erstis Aus der Rede des AStA-Vorsitzenden Alexander Gerberding zur Feierlichen Immatrikulation am 23. Oktober 2006 in der Größenordnung von etwa 200 Stellen auf die Greifswalder alma mater zukommen. Hier haben die Kurzsichtigkeit der Landesregierung der gerade zu Ende gegangenen Legislatur dazu geführt, dass etliche Studiengänge und -angebote weggefallen sind oder wegfallen werden, wie faktisch das Lehramt und mehrere Fächer der Philosophischen Fakultät. Auch eine sich nicht gerade aktiv widersetzende Hochschulleitung hat ihr Übriges dazu getan. Hoffen wir gemeinsam, dass in den kommenden Jahren die Hochschulpolitik den Rang zugewiesen Eine gute Entscheidung bekommt, der ihr angemessen ist und die Hochschulen dieses Landes die Mittel Die vom AStA organisierte zur Verfügung gestellt bekommen, die sie Erstsemesterwoche hat Euch, liebe Erstis, für Lehre und Forschung, aber auch für schon viele Möglichkeiten aufgezeigt. Bewirtschaftungskosten benötigen. Und vielleicht habt Ihr die Universität und die Stadt schon etwas kennen Verantwortung übernehmen und schätzen gelernt. Möglicherweise habt Ihr in der zurückliegenden ersten Auch aus persönlicher Erfahrung möchte Studienwoche auch erkannt, dass es eine ich empfehlen, ohne Scheuklappen zu gute Entscheidung war, das Studium hier studieren und sich auch einmal links in Greifswald aufzunehmen. und rechts des eingeschlagenen Weges umzusehen: Das kann innerhalb der Gewaltiger Ansturm Universität und des Studiums der Besuch fachfremder Lehrveranstaltungen Auch in den vorherigen Jahren haben oder die Teilnahme an Sport- und viele junge Menschen sich bewusst Sprachkursen sein. Das kann aber auch für Greifswald entschieden. Denn die heißen, sich als aktives Mitglied der Ernst-Moritz-Arndt-Universität ist nicht Gesellschaft politisch oder ehrenamtlich nur eine traditionsreiche Hochschule. zu betätigen: Übernehmt Verantwortung Laut der Rede des AStA-Vorsitzenden für euch selbst, für eure Kommilitonen, Alexander Gerberding zur Feierlichen in der Universität und ganz allgemein Immatrikulation am 23. Oktober 2006 für die Gesellschaft. Arbeitet nicht locken innovative Studiengänge wie einfach das Pflichtprogramm ab, sondern Biomathematik oder die Konzeption versucht euch an der Beteiligung des Bachelor of Arts viele Studierende wissenschaftlicher oder künstlerischer sowie Dozentinnen und Dozenten Projektarbeiten oder Wettbewerbe. hierher. Trotz des gewaltigen Ansturms Engagiert euch auch in den Gremien in den vergangenen Jahren und den in der akademischen und studentischen vielen Fächern bereits ausgeschöpften Selbstverwaltung und gestaltet die Kapazitäten – mittlerweile haben fast alle Entwicklung der Hochschule mit. Fächer einen numerus clausus – steht Bringt euch ein mit Ideenreichtum und die Universität nach wie vor für kurze jugendlicher Unbekümmertheit. Seid Wege und einen persönlichen Kontakt selbstbewusste, selbstständig denkende, zwischen Lehrenden und Forschenden fragende und kritische Studierende! auf der einen und Studierenden auf der anderen Seite. Einer für alle Langfristiger Wegfall Auch gesellschaftliche und vor allem politische Entwicklungen gehen an Universitäten nicht vorbei. So wird in den nächsten elf Jahren ein Stellenabbau
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Der Allgemeine Studierendenausschuss AStA, eine Art Gewerkschaft der Studierenden, besteht derzeit aus einem 16-köpfigen Team, dass mit und für euch kämpft – gegen Kürzungen, für ein qualitativ hochwertiges Studium
und derzeit und demnächst gegen die Einführung von Studiengebühren, die offensichtlich in diesem Bundesland auch von den Sozialdemokraten in Erwägung gezogen werden. Wir vom AStA bieten euch Hilfe und Unterstützung zu BAföG und Jobs, bei Fragen zum Wohngeld, zur GEZ und suchen mit euch nach Lösungen bei Studienproblemen. Daneben vertreten wir die hochschulpolitischen Interessen aller Studierenden innerhalb der Universität und gegenüber der Landesregierung. Darum engagiert euch aktiv in der universitären Selbstverwaltung. Mitte Januar finden die Wahlen der studentischen Vertreter in den akademischen Gremien und die Wahl zum Studierendenparlament statt. Nicht ohne Dank Wenn ich vom Engagement in der studentischen Selbstverwaltung spreche,
möchte ich noch einen Dank aussprechen: Mein Dank gilt den AStA-Referenten, vor allem unserer Erstsemesterreferentin Franziska Lenk, für die Organisation der Erstsemesterwoche und dieser Veranstaltung, und ebenso den anderen Beteiligten, die dabei geholfen haben. Sie alle haben zum wiederholten Erfolg der Erstsemesterwoche beigetragen und euch, liebe Erstis, zusammen mit euren Tutorinnen und Tutoren mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Ohne dieses ehrenamtliche Engagement wäre die Woche nicht möglich gewesen. Auch zu euch, liebe Erstis, zum Schluss noch ein paar kurze Sätze: Entdeckt und genießt diesen neuen Lebensabschnitt, einen zweiten dieser Art gibt es wahrscheinlich nicht! Ich wünsche euch ein erfolgreiches Studium an dieser feinen Universität in dieser schönen Stadt Greifswald. In diesem Sinne: Alles Gute für eure Zeit an unserer Universität.
hochschulpolitik
Noch vor einigen Monaten war unklar, ob diese traditionelle Veranstaltung im Jubiläumsjahr der Greifswalder Universität überhaupt stattfinden würde. Die Universitätsleitung hatte die Feierliche Immatrikulation wegen der Jubiläumsfeierlichkeiten zum 550. Geburtstag leider ausgeplant und so hat sich der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) der Organisation gewidmet und führt heute dank eines Beschlusses des Senats mit Anwesenheit von Senat und Rektorat die feierliche Veranstaltung durch.
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Ein Interview mit Rektor Rainer Westermann über seine Wiederwahl, Studiengebühren und die Zukunft der Universität Greifswald
hochschulpolitik
hochschulleitung
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moritz (m): Magnifizenz, herzlichen Glückwunsch zur Wiederwahl. Im Vorfeld sagten Sie, nur für eine Amtszeit würden Sie zur Verfügung stehen. Was hat Sie bewogen, erneut zu kandidieren? Rainer Westermann (RW): Ich hatte den Plan, nach den harten vier Jahren wieder in die Wissenschaft zurück zu kehren. Von Kollegen, die ich von ihrem fachlichen wie auch hochschulpoltischen Engagement her sehr schätze, bin ich überzeugt worden. Dann kommt man in eine Situation, wo man es sich noch einmal überlegt. Zusammen mit meiner Frau habe ich es mir sehr lange und gründlich überlegt. m: Welche Bilanz ziehen Sie aus Ihrer bisherigen ersten Amtszeit, die im Februar 2007 enden wird? RW: Wir hatten am Anfang eine extrem schwierige Situation. Wir mußten ganz schnell mit einer gewissen Erblast fertig werden. Das bezieht sich auf die massiven Kürzungen von Finanz- und Personalmitteln aus dem Jahre 2001. Zudem sind die weiteren Stellenkürzungen hinzugekommen. Wir haben dies nicht dadurch bewältigt, dass wir flächendeckend mit dem Rasenmäher gekürzt haben, sondern haben den Mut und die Kraft gehabt, unsere geringen Mittel etwas besser zu konzentrieren. m: Wofür möchten Sie Ihren bisherigen
Prorektoren danken? RW: Das ist ein Team, was es in der bisherigen Zusammensetzung nicht noch einmal gibt. Es war eine ganz tolle Zusammenarbeit. Wir haben sehr viel zusammen überlegt, diskutiert und sind dabei kritisch miteinander umgegangen. Nicht immer waren wir der gleichen Meinung. Natürlich nicht. Aber wir haben immer zu einer gemeinsamen Linie gefunden. m: Thema Studiengebühren. Wie stehen sie Ihnen gegenüber? Welche Möglichkeiten oder andere Formen der Studienfinanzierung könnten Sie sich vorstellen? RW: Die Art wie Studiengebühren bisher eingeführt worden sind, halte ich für wenig zielführend. Einfach 500 Euro einzukassieren und irgendetwas damit zu machen, halte ich für eine primitive Lösung. Wenn man Geld zusätzlich in den Hochschulbereich bringen will, was notwendig ist, dann sollte dies lieber über eine Art Akademikersteuer geschehen. m: Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) gab kürzlich einen Vorschlag heraus. Sie vertritt das Konzept der Studiengelder. Voraussetzung dafür ist eine Zielvereinbarung zwischen Land und Universität. Was halten Sie davon? RW: Das ist ein anderer Punkt. Dort wird darü-
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hochschulleitung
„Wir müssen besser werden“
m: Das Wintersemester hat begonnen. 11.007 Studierende hat jetzt die Greifswalder Alma mater. Freut es Sie, dass es so viele Studierende nach Greifswald zieht? RW: Natürlich. Ich sehe es dennoch mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Denn seit Jahren stand Greifswald für eine kleine Universität. Dieser Vorteil besteht schon lange nicht mehr. Innerhalb der letzten zehn Jahre haben sich die Studierendenzahlen verdoppelt. Und ich verfolge die wachsende Zahl von überfüllten Veranstaltungen mit Sorge. m: Bleiben wir im studentischen Bereich. Vor und während Ihrer Kandidatur haben sich die hochschulpolitischen Vertreter der Studierendenschaft gegen ihren Antritt und ihre Wiederwahl ausgesprochen. Wie soll die künftige Zusammenarbeit nun aussehen? RW: Sich gegen jemanden auszusprechen ist in einer Demokratie völlig legitim. m: Sie sind erst im zweiten Wahlgang bestätigt worden und auch nur mit einer Zweidrittelmehrheit. Da es keinen Gegenkandidaten gab, erwartet man doch eher einen anderen Ausgang. RW: Natürlich hätte es im ersten Wahlgang geschehen können. Aber es waren halt nicht genug Stimmen dafür da. Das ist auch normal in einer Demokratie. Das ist gerade dann normal, wenn es nur einen Kandidaten gibt, weil man sich eigentlich sicher ist, dass der gewählt wird. Man kann dann die verschiedenen Wahlgänge für eine Meinungsäußerung nutzen. Schwieriger ist es da bei zwei Kandidaten.
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m: Welche Potentiale sehen Sie für Greifswald? Welche Entwicklungsmöglichkeiten hat ihrer Meinung nach die Ernst-Moritz-Arndt-Universität? RW: In dem, was wir tun, sind wir gut. Dennoch müssen wir besser werden, so dass man es auch von außen sieht und wir nicht immer auf den letzten Plätzen stehen. m: Sie wollen künftig enger mit der Wirtschaft zusammen arbeiten.Inwiefern gibt es Synergieeffekte mit Siemens und Fielmann? RW: Bei Baumspenden von Fielmann zum Universitätsjubiläum sind keine großen Synergieeffekte zu erwarten. Das ist Sponsoring. Das nehmen wir dankbar entgegen. Bei Siemens sieht es ganz anders aus. Wir sind da eine strategischen Partnerschaft eingegangen. m: Stichwort Stettin. Wie soll der Kontakt nach Polen künftig aussehen? Wie wird sich ihrer Meinung nach die Zusammenarbeit entwickeln? RW: Der Kontakt und die Zusammenarbeit muß noch stärker aus den Fächern heraus wachsen. Es reicht nicht allein aus, als Rektor nach Stettin zu fahren und Absichten zu bekunden. Die Zusammenarbeit in Forschung und Lehre ist steigerungsfähig. m: Stichwort Internationalisierung. RW: Hier gibt es ganz verschiedene Aspekte. Wir möchten möglichst gute Studierende aus dem Ausland für unsere Universität gewinnen. Sehr gut läuft die Zusammenarbeit mit Hanoi. Das ist nicht beliebig, sondern hat historischen Gründe. Vielleicht noch ein anderer wichtiger Aspekt. Wissenschaft ist international. In immer mehr Fächern muss man heute in internationalen Fachzeitschriften publizieren, um überhaupt wahrgenommen zu werden. m: Der Festakt der Universität liegt hinter uns. Wie haben Sie diesen Tag erlebt? RW: Es war anstrengend und aufregend. Einiges ist schief gegangen, was uns sehr verunsichert hat. Aber insgesamt ist er ganz toll gelaufen. Die im Anschluss geäußerten und vielen positiven Rückmeldungen freuen mich sehr.
m: Warum hielt die schwedische Königin bitte keine Rede? RW: Das war eine Festlegung des schwedischen Königshofes, auf die wir überhaupt keinen Einfluss nehmen konnten. m: Die gewählten Prorektoren Joecks und North gelten ja als studierendenfreundlich. Wie wird sich ihre Zusammenarbeit gestalten? RW: Wir sind alle studierendenfreundlich, ansonsten würden wir unsere Arbeit nicht machen. m: Der Rostocker Rektor Wendel wurde in diesem Jahr vom Senat abgewählt. Er hat sich gegen die Kürzung des Landes an seiner Universität massiv gewehrt. Fühlen Sie sich in Ihrer Politik gegenüber der Landesregierung in Schwerin bestätigt? RW: Herr Wendel ist nicht abgewählt, sondern nicht wiedergewählt worden. Wenn man wie ich wiedergewählt wird, dann wird dadurch auch die eigene Politik bestätigt. m: Inwieweit ist der Rektor der Landesregierung gegenüber verpflichtet? RW: Der Rektor ist kein ausführendes Organ der Landesregierung. Der Landtag beschließt die Gesetze, die Landesregierung macht eine Reihe von Vorgaben. Der Rektor kann sich nicht darüber hinwegsetzen, er ist aber kein Erfüllungsbeamter. m: Abschließende Frage: Freuen Sie sich immer noch auf Weihnachten? Am Anfang des Jahres bemerkten Sie dies einmal. RW: Jetzt freue ich mich gar nicht so sehr auf Weihnachten. Damals war es eine spontane Reaktion auf die Tatsache, dass die Zeit bis Weihnachten eine anstrengende sein würde. Jetzt bin ich froh, dass wir das Jubiläum mit der Hilfe von ganz vielen Leuten so gut gemeistert haben.
hochschulpolitik
ber nachgedacht, wie man das Geld, das man noch nicht hat, konkret im Land aufteilt. Wir müssen uns erst einmal darüber Gedanken machen, wann man die Beiträge eigentlich kassiert. Ich halte es nicht für richtig, dies von den aktiven Studierenden zu verlangen. Denn man kann es hin und her wenden wie man möchte: Für viele Studierende hat dies eine abschreckende Wirkung. Damit erreichen wir genau das Gegenteil, was wir seit Jahrzehnten wollten, nämlich möglichst viele Studierende aus allen Schichten.
m: Vielen Dank für das Gespräch. Das Gespräch führten Uwe Roßner und Ulrike Ide Das vollständige Interview findet Ihr bei Moritz TV unter: www.moritztv.de!
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stilkopie
Im Vergleich zum Blumenstrauß vom Joecks ist meiner aber ziemlich mickrig.
Ertappt!
Sogar der vom North macht mehr her als meiner.
hochschulpolitik
Och man, das ist ungerecht. Die mögen mich hier einfach nicht.
Das frisch gewählte Rektorat Rainer Westermann, Michael North und Wolfgang Joecks am Rande der Senatssitzung am 18. Oktober 2006.
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Interpretation: ring Quellen: ring
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travestie
„Die Zukunft ist ungewiß“
m:Wie hätte Ihre Zusammenarbeit mit der Studierendenschaft als Rektorin ausgesehen? BU:
m: Wie bewerten Sie das Wahlprozedere? BU:
m: Wenn es mit Ihrer Person keine Kürzungen in der Lehre gegeben hätte, wie sähe dann die Politik von Prof. med. habil. Dr. rer. nat. Barbara Unger aus? BU:
m: ...Sie möchten also niemals Bildungsministerin werden? BU: m: Befürchten Sie die Einführung von Studiengebühren für das Erststudium, obwohl im Koalitionsvertrag der beiden Regierungsparteien gegenteiliges festgehalten wurde? BU:
m: Rechnen Sie in der nahen Zukunft mit einer Frau an der Spitze der Hochschule? BU:
m: Kann die Greifswalder Universität den politischen Interessen in Schwerin Paroli bieten und ihre Interessen von Wissenschaft und Forschung adäquat artikulieren? BU:
m: Was erwarten Sie von Herrn Westermanns zweiter Amtszeit? BU:
m: Zurück zur Wahl: Haben Sie mit solch einer knappen Abstimmung bei der Rektorenwahl am 18. Oktober gerechnet? BU:
m: Sie sind traurig nicht gewählt worden zu sein? BU: m: ...also haben Sie trotz der Befürwortung geisteswissenschaftlicher Forschung und Lehre an der Ernst-MoritzArndt-Universität auch Stimmen aus der MathematikNaturwissenschaftlichen und Ihrer eigenen Fakultät erhalten? BU:
m: Freuen Sie sich auf Weihnachten? BU:
m: Frau Unger, vielen Dank für das Gespräch. Das Gespräch führten Anne Regling und Björn Buß
hochschulpolitik
m: Warum traten Sie gegen den bisherigen Rektor Prof. Rainer Westermann an? BU:
m: Auf den Wahlausgang besaß Ihr biologisches Geschlecht keinen Einfluss? BU:
moritz sprach mit Prof. Barbara Unger über ihre Kandidatur für den Posten der Rektorin an der Greifswalder Hochschule, die neue Landesregierung in Schwerin und die Zukunft der Alma Mater
moritz (m): Wie geht es Ihnen? Barbara Unger (BU):
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gremien
As a result ... AStA vertieft Kontakt zu Stettiner Studierendenschaften Die Kontakte der Greifswalder Studierendenschaft sind gut. Lettland, Estland, Frankreich, Spanien, Schweden, Litauen, Österreich, Irland, Serbien und Weissrussland gehören zu der Liste der europäischen Studierendenschaften, zu denen AStA-Referentin Monika Peiz den Kontakt hält und pflegt. Polen nimmt dabei eine besondere Rolle ein. „Die polnischen Studierenden bilden die größte Gruppe der ausländischen Studierenden in Greifswald“, so Monika Peiz.
50 Greifswalder Studenten folgten damals der Anfrage. Man lernte sich kennen und beschloss, den Kontakt auszubauen. Im Sommer erfolgte dann der Gegenbesuch. Die Struktur polnischer und deutscher Universitäten, soziale Belange der Studierenden, der aktuelle Stand der Hochschulpolitik sowie kulturelle Belange standen auf der Agenda. „Die Einladung nach Greifswald erfolgte, um einfach ein paar weitere Dinge zu besprechen“, so Monika Peiz.
Ausgebaut
Vertieft
Anfang Mai 2006 erreichte den hiesigen AStA eine Anfrage aus Stettin. „Wir wurden zum Festival Stettin Juwenalia eingeladen“, so die Referentin für Studierendenaustausch und Internationalisierung.
Doch dabei blieb es nicht. Am 28. und 29. Oktober trafen sich die Vertreter beider Seiten in Stettin zu vertiefenden Beratungen. „Wir wollten jetzt weitere Projekte für die Zukunft planen, eine
Zusammenarbeit fokusieren und weitere kleine Fragen zu einzelnen Bereichen klären“, so die AStA-Referentin. Sehr interessant seien die Diskussionen in den kleinen Gruppen gewesen. „Es hat mich sehr gefreut die Leute wieder zu sehen, neue kennen zu lernen und die Zeit mit dem umfangreichen Begleitprogramm zu erleben.“ „Der fruchtbare Austausch führte zu der gemeinsamen Ideen des Letter of Intend“, fasst Thomas Schattschneider, AStAReferent für Fachschaften und Gremien, die Gespräche zusammen. Dieser soll von den einzelnen Studierendenschaften beider Seiten unterzeichnet werden und bekräftigt ihren Willen zur Zusammenarbeit. Spannend wird dann die erste gemeinsame Radtour im April. von Greifswald nach Stettin. ur
Engagement lohnt sich! Ein Aufruf der Präsidentin des Studierendenparlaments Kathrin Berger
hochschulpolitik
Liebe Kommilitoninnen und Kommilitonen,
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erstmals in der Geschichte der EMAU ist die Zahl der Studierenden auf über 11000 gestiegen. Dies ist ein Grund zur Freude, denn diese Zahl zeigt, wie attraktiv die Alma Mater Gryphiswaldensis für wissbegierige junge Menschen ist. Die Studierenden bilden damit die größte Gruppe innerhalb der Universität Kathrin Berger Quelle: ur – einerseits eine heterogene Gruppe an fünf Fakultäten, mit unterschiedlichen Zielen, Interessen und Wünschen. Andererseits verbindet uns auch etwas: Das gemeinsame Ziel, wunderschöne Jahre an der Uni zu verbringen, gut ausgebildet zu werden und einen erfolgreichen Abschluss zu erzielen. Daneben gibt es etliche Studierende, deren gemeinsames Ziel es ist, die Entwicklungen in der Universität auch mitzubestimmen. Diese unsere Kommilitonen und Kommilitoninnen engagieren sich in den studentischen und akademischen Gremien: in den Fachschaftsräten, den Fakultätsräten,
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im Studierendenparlament (StuPa), dem Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) sowie dem Akademischen Senat. Die gemeinsame und verbindende Aufgabe aller Studierender in den Gremien ist das Ver antwortungsbewusstsein, als Studierende für Studierende zu arbeiten und zu versuchen, gemeinsame Interessen zu vertreten, die Studienbedingungen zu verbessern und die studentischen Positionen der personell stärksten Gruppe an der Universität klar zu artikulieren und zu vertreten. Der AStA steht Euch Studierenden darüber hinaus bei den unterschiedlichsten Fragen jederzeit zur Verfügung, egal, ob Ihr Probleme mit dem BAföG habt, Euren Stundenplan allein nicht zusammen stellen könnt, Euch zu aktuellen Kulturangeboten informieren möchtet oder plant, ein Semester ins Ausland zu gehen – alle diese Fragen und noch viele mehr können Euch die AStA-Referenten und Referentinnen beantworten. Sie nehmen sich neben ihrem eigenem Studium Zeit für Euch. Der AStA wird gewählt durch das StuPa, das die Legislative der verfassten Studierendenschaft ist und von allen Studierenden nach den freiheitlich-demokratischen Grundsätzen gewählt wird. Es legt die Rahmenbedingungen fest, beschließt den Haushalt der Studierendenschaft (in den von jeder und jedem von uns ein Teil des Semesterbeitrages fließt) und befasst sich mit allen grundsätzlichen Entscheidungen. Ganz aktuell ist dabei die Positionierung
gegen Studiengebühren. Das StuPa wie auch die anderen erwähnten Gremien benötigen eine demokratische Legitimation. Deshalb ist es wichtig, dass wir Euch erklären, was wir in den Gremien machen und wofür wir uns einsetzen. Ebenso wichtig ist es, dass Ihr Euch für diese Arbeit interessiert und auch mal „mitmachen“ und die Studierendenschaft vertreten wollt – ganz egal, ob im StuPa, im Fakultätsrat oder im Akademischen Senat. Außerdem sollten viele von Euch wählen gehen und den Vertretern eine gute Ausgangslage für ihre Arbeit mit auf den Weg geben. Da die studentischen Vertreter der universitären Gremien im Januar 2007 neu gewählt werden, planen wir für Euch ein hochschulpolitisches Wochenende am 2.-3. Dezember. Wir möchten Euch über die Arbeit und Zuständigkeiten der Gremien informieren, die hochschulpolitische Lage vorstellen und Euch für die Beteilung in den Gremien begeistern. Interessenten können sich dazu bis 27. November 2006 beim AStAReferenten für Fachschaften und Gremien, Thomas Schattschneider anmelden. Kontakt: gremien@asta-greifswald.de Bitte nehmt Eure Möglichkeiten der Partizipation an der Universität wahr. Engagement lohnt sich! Weitere Informationen unter: stupa.uni-greifswald. de und www.asta-greifswald.de
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gremien
Ihr habt die Wahl! Für die Zukunft der Universität Greifswald: Justus Richter, neuer AStA-Referent für Hochschulpolitik Das Referat für Hochschulpolitik ist von zentraler Bedeutung, denn politische Entscheidungen betreffen uns alle. Wir leben in einer Gesellschaft, die wir selbst mitgestalten können. Das gilt für Prozesse auf jeder politischen Ebene. Gerade die Zukunft der Universität Greifswald sollten Studierende aufs Nachhaltigste entscheiden. Seit dem .(?).. bin ich als Referent für Hochschulpolitik des Allgemeinen Studierenden Ausschuss (AStA) tätig. Die Entwicklung der Landespolitik im Bereich der Hochschulen verfolge ich schon seit langem kritisch und habe mich daher entschlossen, die Belange der Studierendenschaft sie darin zu repräsentieren, zu vertreten und an der Meinungsbildung mitzuwirken. Gerade bei der Auseinandersetzung mit politischen Themen, die die Interessen der Studierendenschaft in besonderer Weise beeinflussen ist es wichtig, sich zu positionieren und ihre Meinung zu artikulieren. Wichtig bleibt dennoch: für Studierende lohnt es sich immer, sich in die studentischen Belange der Hochschulpolitik der Ersnst-Moritz-Arndt Universität einzubringen.
Der Widerstand gegen die Einführung von Studiengebühren bleibt weiterhin zentrales Thema für künftige Diskussionen. Die Koalitionsverhandlungen zwischen
SPD und CDU in MV haben ergeben, dass Gebühren für die Einführung von Studiengebühren für das Erst- und Zweitstudium vorerst nicht vorgesehen sei. Das Landeshochschulgesetz (LHG) soll demnach in der jetzigen Form bestehen bleiben. Jedoch können weitere
Veränderungen nicht ausgeschlossen werden. Das Studierendenparlament (StuPa) lehnt dies strikt ab. Die Gremienwahlen finden im Januar statt. Hierfür sollte eine höhere Wahlbeteilung erreichbar sein. 12 Prozent in diesem Jahr sind ein denkbar guter Anfang im Vergleich zu früheren Urnengängen. Dennoch hängt davon die politische Legitimation in erster Linie von der Beteiligung ab. Nutzt euer Wahlrecht! Ins Auge sticht zudem der dringende Re n o v i e r u n g s b e d a r f vieler Universitätsgebäude. Ein langfristiges Projekt beinhaltet die thematische Auseinandersetzung mit der NPD. Dazu werden in enger Abstimmung mit den AStA – Referaten eine Reihe Veranstaltungen und Aktionen stattfinden. Protest werden vielleicht auch nicht ausbleiben. Die Aushöhlung der Hochschulautonomie darf nicht forschreiten. Der Vernachlässigung studentischer Belange im Bereich der Hochschulpolitik des Rektorats und des Landes muss Einhalt geboten werden! Justus Richter
Zuweilen herrscht in unserer Gesellschaft der so genannte Aküfi – der „Abkürzungsfimmel“. Ständig ist von „mfg“, „hdl“ usw. die Rede. Dass der Aküfi auch in der Hochschulpolitik zuschlägt, verwundert kaum. So reden erfahrene Hochschulpolitiker gerne von FSK-Sitzungen oder Treffen der LKS, an denen sie teilgenommen hätten. Heute soll an dieser Stelle Licht ins Dunkel gebracht werden und diesen Kurzformen der Status der Geheimsprache genommen werden. Was verbirgt sich also hinter der FSK? Findet man diese drei Buchstaben auf DVDHüllen, sollte man darauf achten, ob der Film auch für den kleinen Bruder geeignet ist, legt die „Freiwillige Selbstkontrolle“ doch das Mindestalter fest, ab dem ein Film für den jungen Zuschauer geeignet ist. Ganz ohne Kontrolle kommt hingegen die „Fachschaftskonferenz“ aus. Hierbei handelt es sich um ein Treffen aller Fachschaftsräte, das während der Vorlesungszeit einmal pro Monat stattfindet. Hier koordinieren die Fachschaftsräte der einzelnen Institute ihre Arbeit und tauschen sich aus. Schließlich soll ein Mediziner auch mitbekommen, was bei den Germanisten läuft. Geleitet werden die Treffen von der FSK-Vorsitzenden und ihrer Stellvertreterin. Doch was ist eigentlich ein Fachschaftsrat? Hierbei handelt es sich um eine Art Betriebsrat eines einzelnen Instituts. Jährlich werden
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von den Studierenden einer bestimmten Fachrichtung (z.B. Medizin) Kommilitonen gewählt, die die Studierendeninteressen gegenüber der Institutsleitung vertreten. Der Fachschaftsrat hat also in etwa dieselbe Funktion wie der Klassensprecher in der Schule. Seine Funktionen sind jedoch erweitert, entscheidet er doch auch über die Verwendung der Gelder aus dem Semesterbeitrag, die proportional zur Studierendenzahl jedem Institut zugewiesen werden. Hiermit kann Sinnvolles wie ErstiFrühstücke oder Institutspartys finanziert werden. Wann an eurem Institut die nächste Wahl zum Fachschaftsrat stattfinden wird, erfahrt ihr rechtzeitig. Macht auf jeden Fall von eurem Wahlrecht Gebrauch oder kandidiert doch selbst. Und was ist nun die
LKS? Übersetzt heißt sie „Landeskonferenz der Studierendenschaften“. Bei diesem Wortungetüm wird schnell klar, warum man auf eine Abkürzung ausgewichen ist. Die LKS arbeitet hochschulübergreifend. Hier treffen sich delegierte Studierende aller Hochschulen eines Landes (in Mecklenburg-Vorpommern sind das fünf) um über Angelegenheiten zu beraten, die alle Universitäten und Fachhochschulen betreffen. Schließlich ist man gemeinsam häufig stärker. Besonders turbulent ging es bei der LKS im vergangenen Jahr zu als über die Kürzungspläne der Landesregierung gesprochen wurde, denn bei aller Liebe zu Abkürzungen – Mittelkürzungen mag auch der eingefleischteste Hochschulpolitiker nic ht. ring
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moritz’ hochschulpolitisches Lexikon Teil II: Fachschaftsrat, FSK und LKS
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Mit Äpfeln gegen Nazis
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„Was gibt der deutschen Jugend Kraft? Apfelsaft!“ Sie tragen schwarze Anzüge und am linken Arm eine rote Armbinde mit weißem Kreis, in dem ein schwarzer Apfel prangt. Die Kostümierung erinnert stark an die Nazi-Zeit und das ist auch so gewollt. Die „Front Deutscher Äpfel“ versteht sich als Kunstprojekt, welches vor zwei Jahren in Leipzig von Alf Thum, der im eigentlichen Leben Kunst- und Kulturprojekte organisiert, gegründet wurde. Holger Apfel war zu jener Zeit NPD-Spitzenkandidat in Sachsen und befand sich im Wahlkampf. Thum und andere hatten die spontane Idee, gegen die NPD-Aufmärsche eine Aktion durchzuführen. Dies sollte keine der üblichen Gegendemos sein und so schlug
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Jabbusch, der an der Uni Greifswald Politikwissenschaft studiert. Während des Jugendevents „Prora 06“ auf Rügen traf er AlfThum und seineApfelfront und beschloss, in Greifswald auch eine Apfelfront-Zelle zu gründen. Neue Mitglieder schlossen sich dem „Gauleiter“, wie Jabbusch genannt wird, schnell an. „Angefangen habe ich mit ein paar Freunden.“ Mittlerweile zähle die Gruppe in Greifswald rund 20 Mitglieder. „Gerade im Wahlkampf wollten wir etwas gegen die NPD tun“, erklärt Sebastian Jabbusch seine Motivation, mit der Apfelfront aktiv zu werden. Der Kern ihrer Aktionen ist ein ironisch-satirischer Auftritt. „Wir vertreten eine absonderliche Meinung, die die Menschen veranlassen soll, selbst nachzudenken.“ Die klassische Aufklärungsarbeit erreiche heute nur noch diejenigen, die ohnehin demokratische Parteien wählen,ist der Politikwissenschaftler „So überzeugt. absurd wie unsere Forderungen ist auch die NPD“, sagt er. „Wenn die Menschen unsere Ziele ablehnen, haben wir unser erreicht, was wir uns vorgenommen haben.“ Eine Methode, die bei den Bürgern durchaus auf Verwunderung 10.000 Reichsmark überreicht Obstmajor Sebastian Jabbusch dem stößt. Manch einer Rektor Rainer Westermann Quellen: ring versteht die Ironie schlichtweg nicht. Fraglich ist, ob gerade der potentielle NPDdie Geburtsstunde der „Apfelfront“. Die Front Deutscher Äpfel wehrt sich laut Wähler zu dieser Art des Wahlkampfes Programm „gegen faul herumlungerndes überhaupt einen Zugang findet. Zur Fallobst“ und überhaupt gegen exotisches Praktikabilität einer solchen Aktion im Obst. Es wird klar, dass es sich bei der Kampf gegen Rechts befragt, wollte sich Apfelfront um harte Satire handelt, die der Greifswalder Politikwissenschaftler nicht immer auf Anhieb zu verstehen ist. Hubertus Buchstein dem moritz gegenüber Der Verwechslungseffekt wird durch die nicht äußern. Verkleidung und die Symbolik regelrecht In jedem Fall war die Resonanz nach der ersten Aktion im Juli, als sieben herausgefordert. Apfelfrontler durch die Greifswalder Innenstadt marschierten, groß. Es folgten Apfelfront stürmt Greifswald Aktionen in Anklam, wo die Gruppe um Seit Juli dieses Jahres hat die Apfelbewegung den „Gauleiter“ als Gegenaktion zum auch Greifswald erreicht. „Ich fand die Wahlkampfauftakt der NPD tanzte, sowie Idee schon länger gut“, sagt Sebastian in Schwerin. Hinterher war selbst auf
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www.npd-mv.de von der Apfelfront die Rede, deren Mitglieder dort zwar abfällig als „verwirrte Gestalten“ bezeichnet wurden. Jedoch: „die NPD hat uns wahrgenommen“, freut sich Sebastian Jabbusch. Allerdings konnte auch das Engagement der Greifswalder den Einzug der NPD in den Schweriner Landtag nicht verhindern. „Wir hatten es gehofft, doch nicht fest damit gerechnet“, sagt der 23-jährige. Nach der Wahl haben sich die Ziele erweitert. Nun stünden auch rechtsgerichtete Burschenschaften im Fokus des Interesses des Apfeltrupps. So wurde kurz vor Semesterstart eine eigene Burschenschaft mit dem Namen „Malumia Grypsvaldensis“ gegründet. An die Öffentlichkeit trat diese erstmals während der Erstsemesterwoche auf dem Markt der Möglichkeiten, wo die Mitglieder sich einen Fechtkampf mit Holzschwertern lieferten, was auf offensichtliche Verwirrung und Ablehnungen bei den Erstis stieß. Genau mit dieser Täuschung oder Verwirrung provoziert die Gruppe. Ein weiteres Mal trat die Malumia zwei Wochen später auf. Im Rahmen des Festaktes zum Universitätsjubiläum war im Hauptgebäude eine Tafel enthüllt worden, auf der Spender genannt sind, die eine besonders große Summe Geldes für die Restauration des Rubenowdenkmals bereitstellten. Unter diesen befand sich auch die Burschenschaft Markomannia.„Die Uni darf kein Geld von Rechtsextremen annehmen“, ist Jabbusch überzeugt und so zogen er und seine Mitstreiter zum Hauptgebäude, im Gepäck einen Scheck über zehntausend Reichsmark sowie eine eigene Ehrentafel. Beides wollten sie Rektor Rainer Westermann übergeben, der sich nach kurzem Zögern auch mit dem „Obstmajor“ Jabbusch traf. „Es ist ein Skandal, dass die Uni nicht überprüft, wer das Geld spendet“, attestierte dieser dem Rektor, der seinerseits einräumte, dass Fehler gemacht worden seien. „Wir werden diesen Vorfall prüfen“, versprach er. Inzwischen wurde die Spendertafel entfernt. „Wir haben mit der Markomannia gesprochen“, ist von der Fundraiserin der Universität, Sabine Große-Aust, zu erfahren. „Wahrscheinlich wird nun ein Einzelspender auf der Tafel genannt.“ Ein Vorgang, der aus Sicht der Markomannia alles andere als geklärt ist. „Aus unserer
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möglichen Konsequenzen hat er nicht. „Ich gehe inzwischen etwas anders mit meiner Privatsphäre um“, gibt Sebastian zwar zu, doch bedroht worden sei er noch nicht. „Einige von uns sind jedoch ausgestiegen, weil sie im Fernsehen gewesen sind.“ Allgemein wachsen Zustimmung und Mitgliederzahl jedoch stetig. So haben sich auch in Rostock und Schwerin Ableger der Apfelfront gegründet. Die zunächst in Heimarbeit entstandenen Fahnen und Armbinden werden inzwischen zentral in Bayern hergestellt. „Die Sache gewinnt eine gewisse Eigendynamik“, sagt der Student etwas nachdenklich. Einige mahnen bereits
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vor einem „Welle“-Effekt, benannt nach einem Roman, in dem ein Schulprojekt zur Nazizeit schließlich außer Kontrolle gerät. Diese Gefahr sieht Jabbusch jedoch nicht. Viel größer seien die Möglichkeiten. „Noch können wir uns offen gegen Rechts wenden. Wenn wir nichts tun, geht das in zehn Jahren vielleicht nicht mehr.“ Maria-Silva Villbrandt, ring
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Sicht ist das zurzeit in der Schwebe“, sagt Reno Basner, Öffentlichkeitsbeauftragter der Markomannen. Für ihn besteht kein Grund, den Namen der Burschenschaft von der Tafel zu entfernen. „Im Zweifelsfall werden wir das Geld zurückfordern.“ Freude herrscht nur bei der Malumia respektive Apfelfront. „Dass der Name entfernt wurde, ist für uns ein großer Erfolg“, so Sebastian Jabbusch. Den Burschenschaften kündigt er einen heißen Winter an. „Wir wollen die rechtsextreme Szene aus der Deckung holen.“ Jedoch wolle man nicht losziehen und jeden Tag Stunk machen. Angst vor
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festakt Kommentar:
Glänzend! Was war das für ein Glanz in der Hütte! Es kommt wahrlich nicht häufig vor, dass sich gleich zwei Staatsoberhäupter in die Greifswalder Provinz verirren und so war der Besuch von Königin Silvia von Schweden und Bundespräsident Horst Köhler schon in dieser Hinsicht ein echtes Highlight. Schön, dass es sich viele Greifswalder auch nicht nehmen ließen, die beiden hohen Gäste persönlich zu begrüßen. Noch schöner, dass sich Königin und Bundespräsident volksnah gaben und sogar die eine oder andere Hand schüttelten. Und selbst die Sonne zeigte sich von ihrer besten Seite und blitzte aus allen Knopflöchern. Glänzend eben! Kein Wunder, dass bei all dieser Herrlichkeit manch einen die Nervosität überkam. Dieser war es wohl geschuldet, dass Rektor Rainer Westermann in seiner Rede im Dom vergaß, der Jubiläumskommission für ihre Arbeit zu danken und deren Vorsitzender KarlHeinz Spieß seine Begrüßung schlicht mit „Hochansehnliche Festversammlung“ begann. Kürzer als eigentlich beabsichtigt. Horst Köhler hat schon Recht, wenn er von einer kleinen Hochschule mit viel Potenzial und hoher Attraktivität spricht. Das bringt auch mit sich, dass man hier etwas provinzieller lebt. Das dachte er sich wohl auch, als er bei der Sektverteilung im Dom nicht als erstes oder zweites bedacht wurde, sondern sein Glas erst viel später erhielt. Ein kleiner Fauxpas.
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Doch der glanzvolle Tag konnte ebenso wenig getrübt werden, wie der mürrische Gesichtsausdruck von Ministerpräsident Harald Ringstorff, der im Smalltalk nach der Aulaeröffnung von nahezu jedem ignoriert wurde. Glücklicherweise fand auch er sein Lächeln beim folgenden Festmahl wieder.
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Als Greifswald sich mal s
Ein Bericht über den Festakt zum Unijubiläum am Sie kamen spät, doch dafür gemeinsam. Um kurz nach zehn bogen am 17.Oktober die schwarzen Limousinen von Königin Silvia von Schweden, Bundespräsident Horst Köhler und Ministerpräsident Harald Ringstorff in die Domstraße ein – zwanzig Minuten später als eigentlich vom Protokoll vorgesehen.Unbestätigten Gerüchten zufolge soll Köhler, dessen Helikopter am Universitätsklinikum landete, länger gebraucht haben als geplant und auch der Tross aus Polizei und Personenschützern hat wohl nicht den direkten Weg zum Hauptgebäude genommen. Erwartet wurden die hohen Gäste dort von Rektor Rainer Westermann sowie Oberbürgermeister Arthur König, die nach einer herzlichen Begrüßung gemeinsam mit ihren Gästen kurz im Hauptgebäude verschwanden, von wo sich um 10.15 Uhr der Festzug, angeführt von Zeremonienmeisterin Stefanie Hennig, zum Dom in Bewegung setzte. Königin Silvia schien hier ein Heimspiel zu haben, waren doch viele blau-gelbe Fahnen am Straßenrand zu sehen. Die Verbindung zum skandinavischen Nachbarn ist eben eng. Kurz vor halb elf betraten die Königin, der Bundespräsident und seine Frau, gefolgt von Harald Ringstorff, Rektor Rainer Westermann, den Dekanen und weiteren Ehrengästen den Dom und schritten den Mittelgang entlang in Richtung Hochaltar. Gegen 10.30 Uhr begrüßte der Rektor die Gäste und dankte in seiner Rede allen, die die Feierlichkeiten zum Jubiläum möglich gemacht hatten.
Der Rektor bestärkte in seiner Rede den hochschulpolitischen Kurs in Richtung einer Fächerkonzentration und sprach sich gegen den Rückzug des Bundes aus der Mitverantwortung für die Hochschulen aus. Begeisterter Bundespräsident In der anschließenden Ansprache Horst Köhlers ging es nicht nur um die Bedeutung einer so traditionsreichen Universität wie der Greifswalder Alma Mater, sondern auch um das besondere Flair Greifswalds mit seinen Studenten, das diese Stadt erst lebenswert mache. Der Bundespräsident zeigte sich begeistert über die hervorragenden Studienbedingungen und die praxisnahe Ausbildung. „Ich weiß um die schwierige Kassenlage der Länder“, so der Bundespräsident. Umso mehr befürworte er die „Bündelung der Ressourcen“ und die Profilbildung, wie sie in Greifswald geschehe. Gegen 10.45 Uhr stimmte das Universitäts-Sinfonie-Orchester unter der Leitung von Harald Braun „Gloria“ aus Mozarts Krönungsmesse an. Eine besondere Würdigung erhielt im Anschluss Prof. Dr. Dr. h.c. Bertold Beitz von der Medizinischen Fakultät.Anlässlich seiner herausragenden Verdienste um die Universität Greifswald wurde sein Ehrendoktorgrad von 1983 erneuert. Sein beachtenswerter Lebenslauf umfasst unter anderem das Engagement für Juden während des Zweiten Weltkrieges, den Aufstieg im KruppKonzern, die enge Zusammenarbeit
Selbst das Problem der Überbelegung der Sitzplätze im Dom, das durch eine Planungsspanne entstanden war, verschwand kurz vor Einzug der Ehrengäste wie von Geisterhand. Glänzende Arbeit! Kein Wunder, dass das wohlwollende Rauschen im deutschen Blätterwald am Tag danach laut ausfiel. Ob nun FAZ, Süddeutsche oder Ostseezeitung – jeder hatte nur Gutes zu berichten über eine kleine Uni an der Ostsee, die als Leuchtturm in der Provinz strahlt. Sympathisch hanseatisch eben. Kai Döring, Katarina Sass
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mal schwedisch fühlte
iläum am 17. Oktober mit Willy Brandt und auf regionaler Ebene die Errichtung des Alfried-Krupp Wissenschaftskollegs in Greifswald, die Einweihung der Universitätsklinik für Hämatologie und Onkologie und weitere Projekte. Um ihren Mäzen gebührend zu ehren, ließ die Universität eine Jubiläumsmedaille aus Gold anfertigen, die ihm im Rahmen des Festakts überreicht wurde. Einen geschichtsträchtigen Blick in die vergangenen Festakte warf der Jubiläumsbeauftragte Professor Spieß in seiner anschließenden Rede. Dabei ging er bis zum AltenTestament zurück, wo die Wurzeln der Gedenktagsfeiern liegen. Unterhaltsam schilderte Spieß die Höhen und Tiefen, die die Universität Greifswald in 550 Jahren durchlaufen hatte, und erläuterte die Entwicklung der Hochschule von der ersten Stunde an bis zu ihrem heutigen Dasein. Resümierend endete er mit dem Satz: „Von den Wogen der Zeit geschüttelt, wird die Universität Greifswald doch nicht untergehen“. Gott war dabei
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Gegen 11.25 Uhr begann der ökumenische Gottesdienst, der von Erzbischof Georg Kardinal Sterzinsky eröffnet und gemeinsam mit Bischof Hans-Jürgen Abromeit abgehalten wurde. Kirchenmusikdirektor Professor Jochen A. Modeß begleitete den Gottesdienst musikalisch. Universitätsprediger Michael Herbst las aus dem Lukas-Evangelium, Vaterunser und Segen beendeten den Gottesdienst um zehn nach zwölf. Die Anwesenden erhoben sich, und die Ehrengäste schritten den Mittelgang entlang aus dem Dom in Richtung Aula.
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festakt Ein weiterer Höhepunkt Dort ging es festlich weiter, war die Wiedereröffnung der barocken Aula im frisch renovierten Haupt-gebäude doch einer der Höhepunkte des diesjährigen Jubiläums. Erstmals wurde sie an diesem Tag der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Zur feierlichen Übergabe sprach Rektor Rainer Westermann über den skandinavischen Schwerpunkt der Uni und die Verbundenheit mit Schweden. Leider übernahm Königin Silvia nicht wie geplant das Wort, und so stieß der Rektor mit der Königin, dem Bundespräsidenten und dem Ministerpräsidenten auf die neu eröffnete Aula an. Anschließend fanden in lockerer Runde Gespräche statt. Viel Zeit blieb jedoch nicht, stand doch als nächstes das Festessen im „Le Croy“ auf dem Programm. 100 geladenen Ehrengäste, unter ihnen die Rektoren verschiedener Partneruniversitäten, die Ehrendektoren der Greifswalder Hochschule Michael Otto und Berthold Beitz, die Botschafter Schwedens und Lettlands sowie Erbprinz Rudolph von Croy hatten sich im Lichthof des Pommerschen Landesmuseums eingefunden, um sich von Sternekoch Stefan Frank verwöhnen zu lassen. Dieser hatte in die regionale Küche geschaut und so wurden Boddenzander mit Flusskrebsen auf geschmortem Fenchel und Krustentierjus und Pommerscher Rehrücken auf Petersilienwurzel serviert. Zum Nachtisch gab es Tarte und Sorbet von der Gartenzwetschge auf Mandel Vanillesauce. Um den Hungrigen das Warten nicht allzu lang zu machen, schränkte sich Ministerpräsident Harald Ringstorff in seiner Tischrede ein und stieß auf das Wohl der Universität sowohl auf schwedisch als auch auf deutsch an: „Skål und zum Wohl!“
Rektor und schon befanden sich die beiden Staatoberhäupter auf dem Weg zu ihren Limousinen. Draußen wartete die Menge, doch so schnell wie sie gekommen waren, verschwanden Silvia und Köhler auch wieder. Fast so, als wären sie niemals da gewesen. Hat sie jemand in Greifswald gesehen? kats, ring
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Nach dem Essen stand um 15 Uhr der letzte Punkt auf dem offiziellen Programm. Königin und Bundespräsident trugen sich nacheinander ins Goldene
Buch der Stadt Greifswald ein. Dieses wurde aufgund der hohen Gäste extra ins Museum in der Rakower Straße gebracht. „Silvia“ stand da bescheidenschüchtern auf der großen weißen Seite und auch Horst Köhler hinterließ nicht mehr als seine Signatur. Noch ein kurzes Händeschütteln mit Bürgermeister und
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bisher einmalig
Eine sachliche Liebeserklärung Studenten schreiben Reiseführer
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andere Ungenauigkeit oder das Fehlen des einen oder anderen kleinen Lokals werden mit der nächsten Auflage ausgebügelt. Selbst der Serviceteil glänzt durch annähernde Vollständigkeit und unterhaltsame Kurzbeschreibungen der Lokalitäten und Clubs.Was wünscht man sich also mehr von einem Reiseführer? Gar nichts! kos Der „Reiseführer Universitäts- und Hansestadt Greifswald“ ist beim Hinstorff-Verlag erschienen und kostet 7,90 Euro.
torischen Zusammenhang erkennen. Bei diesen Stadtrundgängen sticht einer ganz besonders hervor: „Der rote Himmel: Backsteingotik in 180 Minuten“. Informativ und konsequent werden die Höhepunkte der Greifswalder Backsteinarchitektur vorgestellt, viele aus den reichen Zeiten der Hanse. Sogar unveröffentlichte wissenschaftliche Erkenntnisse flossen in diesen Teil mit ein. Wer sich für Architektur nicht so sehr begeistern kann, wird mindestens beim Rundgang „In 120 Minuten zu den malerischsten Sehenswürdigkeiten“ glücklich. Ganz nebenbei lernt der Reisende Greifswald dabei so kennen, wie es jemand sieht, der zumindest eine Zeit lang hier gelebt hat. Beim dritten und letzten Rundgang „Von Anatom bis Zypresse: Universitätsrundgang in 180 Minuten“ gibt es selbst für Langzeitstudenten vieles von ihrer Universität zu erkunden, von dessen Existenz sie bis dahin garantiert nichts gewusst haben. Man muss nach der Lektüre des Reiseführers nicht lange überlegen, was ihm noch fehlt. Man weiß, dass es nicht viel sein kann. Die eine oder
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Es begab sich zu einer Zeit, in der es keine professionellen Reiseführer über Greifswald gab, dass Christin Drühl und Robert Tremmel von diesem misslichen Umstand Kenntnis nahmen. Sie waren Studenten an der Universität Greifswald, liebten die Stadt am Bodden sehr und wollten das Fehlen eines Reiseführers nicht länger hinnehmen. Zu viele Orte hier hielten sie für sehenswert, zu viele Lokale für besuchenswert und zu viele Panoramen für bewundernswert. Christin Drühl wollte diese ablichten, Robert Tremmel sie umschreiben. Und so kam es, dass Greifswald nach einem guten Jahr des Recherchierens, Interviewens, Fotografierens, Schreibens und Layoutens seinen ersten richtigen Reiseführer erhielt, seit 1973. Das Werk an sich ist dabei sehr gelungen. Ein schönes Coverfoto mit der St. Marienkirche und dem Dom lockt den Reisenden ins Innere. Eine kurze, kompromisslose Einführung setzt ihm hier realistisch auseinander, welche lokalen Besonderheiten es gibt. Probleme wie Rechtsextremismus, Arbeitslosigkeit und große Plattenbauviertel bekommen ebenso genug Aufmerksamkeit wie angenehmere Aspekte: Koeppen, Plattdeutsch, Sanddorn. Anschließend findet man neben den üblichen Reiseführerseiten „Geschichtlicher Abriss“, „Sehenswürdigkeiten“ und „Gastronomie“ eine kleine, feine Palette, die diesen Reiseführer vom gewöhnlichen Reiseführer abhebt. Garniert sind die Texte mit wunderbaren Fotos Greifswalds. Man wünschte sich zwar bei vielen Motiven einen größeren Druck, damit sie besser zur Geltung kämen. Da das Format des Büchleins dies mit seinen 112 Seiten jedoch nicht zulässt, sieht man gerne darüber hinweg. Denn: Wo andere für sich in Anspruch nehmen, die Geheimsten aller Geheimtipps zu kennen, lächelt einem hier persönliche und bodenständige Ortskenntnis entgegen. In entspanntem Erzählton, man könnte sagen in studentischer Vertraulichkeit, breitet der Autor Greifswald behutsam vor einem aus. Er wird dabei aber nicht unsachlich. Drei thematische Rundgänge durch die Stadt lassen den Leser beim Besuch typischer Orte Greifswalds einen his-
Die Autoren: Christin Drühl (Fotos) studierte Kommunikationswissenschaft und Kunstgeschichte an der Uni Greifswald. Robert Tremmel (Texte) ist Student am Instut für Deutsche Philologie.
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erklungen
Das Fernsehen kommt! Festmusik aus Sicht eines Chormitglieds Montag, 16. 10. 2006, abends gegen zehn. Der Universitäts-Chor stand seit Stunden im unbeheizten Dom, probte, frierte, lutschte exzessiv Hustenbonbons, stand sich die Beine in den Bauch, sang sich die Stimmbänder wund. Dennoch schien es einfach nicht voran gehen zu wollen. Es war die Generalprobe zum Jubiläumskonzert. Laut unserem Chorleiter würde dies ein sehr wichtiger Tag für den Chor werden. Alles musste stimmen, schließlich würden wir uns einer breiten Öffentlichkeit präsentieren.
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Proben als Passion Die Chorproben begannen in den Semesterferien, als man eigentlich gerne noch ein paar Tage weggefahren wäre. Aber was tut man nicht alles für die gute Sache. Und wir hatten viel zu tun. Zum einen musste die über die Semesterferien wieder eingerostete Krönungsmesse von Mozart aufgefrischt werden. Zum anderen musste ein neu komponiertes Stück, die Croy-Cantate vom Kirchenmusikdirektor, Herrn Jochen M. Modeß, einstudiert werden. Das schien zunächst eine interessante Sache zu werden. In diesem Stück wurde der universitätseigene Croy-Teppich quasi vertont. Die Noten hatten wir am Ende des letzten Semesters erhalten. Das Stück war damals noch gar nicht vollendet. Wir mussten als erste Aufgabe bei den Proben alle unsere Noten mit dem fertigen Stück abgleichen. Aufgrund der hohen Zahl der Mitwirkenden, der Solisten, dem Philharmonischen Orchester Vorpommern, dem DomChor und uns, war das nicht einfach. Meist herrschte nur allgemeine Verwirrung. Wo sind wir jetzt? Wann kommt der Einsatz? Und wie wird sich das später wohl anhören? Zusammenfassend kann man sagen: Es waren sehr kreative Proben, denn jede Woche wurden wir über die neuesten Änderungen am Stück in Kenntnis gesetzt. Und es waren verdammt viele Proben.Aber die Aussicht auf den großen Tag schien alles zu rechtfertigen. Die heiße Phase
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Schon in den Ferien war ein jeder von
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unserem Chorleiter, Universitätsmusikdirektor Harald Braun gebeten worden, seine persönlichen Daten wie Name und Geburtstag ans BKA zu mailen. Für Sicherheitskontrollen während des festlichen Empfangs am Dienstagmorgen. Schließlich galt höchste Sicherheitsstufe. Greifswald erwartet ja auch nicht jedenTag so hohen Besuch. Der Bundespräsident und sogar die schwedische Königin hatten sich angesagt! Schon da hat man sich ziemlich wichtig gefühlt. Dass das Fernsehen ebenfalls erwartet wurde und das Ganze sogar live übertragen werden sollte potenzierte dieses Gefühl nur noch. Welches Ausmaß an Sicherheitsvorkehrungen ein jeder von uns über sich würde ergehen lassen müssen, drang aber erst kurz vor dem tatsächlichen Ereignis in unser Bewusstsein. Zuerst erhielten wir am Ende der Generalprobe alle einen Organisationsteam-Ausweis. Und dann erklärte uns Harald Braun den Zeitplan für den Empfang. Da es schon um zehn losging, sollten wir alle spätestens gegen acht Uhr am Dom sein.Ausweiskontrolle, Taschenkontrolle,Bodycheck,Spürhunde, das ganze Programm. Wir sollten Zeit mitbringen. Für zehn Sekunden Das taten wir dann auch. Frühzeitiges Aufstehen um sechs, duschen, frisieren, stylen, dreimal vorm Spiegel drehen und los. Es war sogar zu früh, um sich irgendwo einen Kaffee zu kaufen! Aber: Es lohnt sich ja! Das Fernsehen kommt! Und die schwedische Königin! Da möchte man ja dabei sein. Also schnell zum Dom, den tollen Ausweis griffbereit, doch... den wollte niemand sehen! Unsere Taschen wurden nicht gefilzt und abgetastet wurde auch niemand. Nach zweistündigem Einsingen und Warten hinter der Bühne ging‘s dann los: Das Orchester begann zu spielen, alle erhoben sich, die Köpfe drehten sich erwartungsvoll zur Tür und da kamen sie dann. Die ganzen wichtigen Persönlichkeiten: Ihre Majestät Königin Sylvia, Bundespräsident Horst Köhler, unser Rektor Magnifizenz Westermann,
der Kardinal, der Bischof und ganz viele andere. Als der Chor dann einsetzte, zwischen zwei Reden das Gloria schmetternd, schwenkten die Kameras für zehn Sekunden über den Chor, aus weiter Ferne. Wofür hatte man sich nochmal so fein gemacht? Warum sagte Sylvia denn die ganze Zeit nichts und überhaupt! Aber zum Ärgern blieb gar keine Zeit. Letzte Änderungen Schnell fernsehfein zu den wichtigsten Vorlesungen eilen, was durchaus befremdete Blicke seitens der Kommilitonen hervorrief, was essen, noch die neue Aula besichtigen (aufgemalter Stuck...) und dann schon wieder fix zum Dom. Das so wichtige, repräsentative Konzert nahte! Konzentriertes Einsingen, Noten zurecht suchen, den letzten Anti-HalsschmerzTee austrinken. Kurz vor Konzertbeginn teilte uns der Komponist Modeß noch die letzten, ultimativen, finalen Änderungen in der Cantate mit. Aber bevor man sich so richtig aufregen konnte, hatte das Konzert auch schon begonnen. Die Brahmsche Ouvertüre und die Mozartsche Messe gelangen erwartungsgemäß gut. Nun kam die Probe aufs Exempel: Die Uraufführung der Croy-Cantate. Alles bezog Position, es sollte nämlich die räumliche Aufteilung des Teppichs dargestellt werden. Der Uni-Chor stand um das Publikum herum, als Teppichrand. Wir waren quasi die Troddeln. Was zur Folge hatte, dass man den Zuhörern direkt ins Ohr sang. Die Armen. Jeder zählte eifrig Takte, versuchte, die Einsätze und die Töne zu treffen, deutlich zu artikulieren und den Takt zu halten. Es gab dennoch kleine Patzer, aber mit der entsprechenden Überzeugungskraft gesungen passte das ins Stück. Moderne Musik. Am Ende wurde viel applaudiert und Erleichterung machte sich breit. Wir hatten es geschafft! Das Konzert war vorbei. Man durfte die schmerzenden Beine wieder bewegen und Zufriedenheit durchströmte einen. 550 Jahre Uni Greifswald! Und wir waren dabei! Im Fernsehen! Und als Teppichtroddeln! Is dat schön! amg
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Beide Seelen müssen in der Brust des Greifswalder Geschichtsforschers Karl Theodor Pyl (1825 – 1904) gelebt haben. Schon als Absolvent des Gymnasiums hält der junge Greifswalder eine Rede über den Mann, von dem er die kommenden Jahrzehnte nicht mehr los kommen soll, Universitätsmitbegründer Heinrich Rubenow. Nach seinem Studium der Geschichte, der Kunstgeschichte, der klassischen Philologien, der Archäologie und der griechischen Mythologie kehrte Pyl als junger Doktorand in seinen Geburtsort zurück und beschäftigte sich als Ziehsohn Kosegartens mit der lokalen Geschichte der Stadt und ihrer Universität, wenngleich er sich lieber als Versesetzer verdient gemacht hätte. Als Historiker gab es für ihn kein Unhinkommen um die Gestalt Rubenows, der es zum großen Teil zu verdanken war, dass inmitten der preußischen Provinz Vorpommern eine 400jährige Universität emporragte, immerhin eine der ältesten deutschen überhaupt. Hinzu kam der spektakuläre Lebenswandel dieses Greifswalder Mittelalterbürgers. Foto: Uni-Archiv Greifswald
Fast auf den Tag genau, zum 550. Greifswalder Universitätsjubiläum, bringt das Theater Vorpommern ein historisches Drama aus dem 19. Jahrhundert auf die Bühne, das vom tragischen Leben des Mitbegründers der Hochschule, von Heinrich Rubenow, handelt. In der sehr respektablen Inszenierungsleistung eröffnen sich dem Theatergast die Umstände der spätmittelalterlichen Hochschulgründung, inbegriffen eine blutige Intrige. Was als Originalstück in der ursprünglichen Fassung von 1853/64 als unspielbar gilt, gelingt erstaunlicherweise in der Neufassung unter der Regie von Konstantin Ostheim - Dzerowycz in Form einer szenischen Lesung mit einem besonderen Coup: Der Autor Theodor Pyl wird post mortem in das Ensemble seiner selbsterschaffenen, jedoch nach dem historischen Vorbild geformten Theaterfiguren einbezogen und gibt der Inszenierung somit einen Hintergrund, der einen uralten Konflikt austrägt: den Streit des Historikers mit dem Dichter. Wissenschaft und Kunst ringen um Vorherrschaft.
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Auf der Höhe seiner Macht - als Rektor der Alma mater, Bürgermeister und extrem wohlhabender und angesehener Patrizier - wird er von zwei gedungenen Handwerkern mit einer Axt heimtückisch erschlagen. Auf den Rubenowforscher und künstlerisch fein ausgebildeten Pyl hat diese Figur umso mehr Faszination ausgeübt, je länger er sich mit ihr befasste. Rubenow erwuchs ihm zu einem mittelalterlichen Vorbild bürgerlicher Tugenden, ein allgemein populäres Paradigma des 19. Jahrhunderts. Die von Pyl 1853 beendete Dichtung des Dramas um seinen Helden war nur einer der vielen Verehrungsakte, die sich, parallel zum Verlauf seiner historischen Bemühungen, noch ins Hagiographische steigern sollten. So ist in Memoiren der Zeitzeugen überliefert, dass sich Pyl über das 1856 vor dem Hauptgebäude entstandene Universitätsdenkmal ereiferte, weil sich die winzige, nur reliefhafte Abbildung des Spiritus Rector der Hochschulbegründung viel zu unbedeutend ausnahm gegen die plastische Darstellung der ebenfalls am Monument gewürdigten Herzöge, Könige und Gelehrten. Rubenow allein hätte den Platz auf dem Denkmal verdient. Die Pyl’sche Konstruktion des mittelalterlichen „Bürger-Heiligen“ trieb im Laufe der Jahrzehnte noch andere, sonderbare Blüten. In seinem Wohnhaus hatte der Geschichtsdozent in einem Fenster ein Rubenowbild aufgestellt, das, sichtbar zum Trottoir, allabendlich durch Kerzenschein illuminiert werden konnte.
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„..schon bald nach Erscheinen meines Drama[s] Rubenow [hatte ich] über eine Möglichkeit einer Aufführung desselben verhandelt [...], aber weder von Seiten der Universität noch der Stadt wurde die geringste Aufmerksamkeit auf meine Arbeit gelenkt. [...] Daß Rubenows Name so wenig gefeiert wurde, war mir [...] als deshalb betrübend, weil nach meiner Meinung darin eine große Undankbarkeit gegen den edlen Charakter desselben lag.“ Theodor Pyl
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Dem Mythos Rubenow, der Geschichte vom tugendhaft und Schirmherr der Hochschulbegründung, gestorben war. Überragenden und fast im Alleingang wirkenden Uni- Die beiden herzoglichen Söhne suchten in den Städten Begründer, wurde durch Pyls maßgebliche Zuarbeit ein solides Vorpommerns nach Verbündeten, ihre Macht gegenüber dem Fundament geschaffen, auf welches in Zeiten marketing- und anderen Erben zu stärken. öffentlichkeitswirksamer Komplexitätsreduzierung gerne auf- So scheint es historisch verbürgt, dass Teile der Greifswalder gebaut wird in Greifswald, z.B. in Form von monumentalen Ratsherren, Kirchenleute und Universitätsprofessoren, sie Plakatwänden, einer Ehrenmedaille und dem vorliegenden alle kann man unter der Bezeichnung einer „Opposition“ zu Theaterstück. Zum Namenspatronat der Uni reichte die Heinrich Rubenows Seil- und Regentschaften fassen, sich mit Würdigung seines Verdienstes aber nicht aus und auch kleine Erich II. verbündeten. Als dieser heißspornige Herzogsohn von Rubenow in Angelegenheit verletzter Vermögensrechte Rubenow-Tonfigürchen gab es nur zum Jubiläum 1856. Es ist verständlich, dass Theodor Pyl durch derlei vollbrachte gemaßregelt wurde, ging die innerstädtische Opposition Merkwürdigkeiten im Alter zu den Greifswalder Originalen auf die „Barrikaden“ und schürte die Stimmung gegen den gezählt wurde. Lässt sich hier ein deutliches Bild des wun- Bürgermeister und Rektor. Beide Ämter waren vereint in der derlichen Professors zeichnen, so steht es ebenso an, dem Person Heinrich Rubenows und dieser setzte sich fluchtarLokalhistoriker Pyl hohen Respekt für seine Forschungen zu tig nach Stralsund ab, verlor vorerst all seine Posten. Doch zollen.Was man heute über Greifswalds historische Kunst- wenige Monate später kehrte er unter dem Jubel seiner und Bauwerke, Kirchen, einstige Klöster und Menschen die Greifswalder Anhängerschaft in die alten Machtpositionen darin wirkten, weiß, zuvorderst über Heinrich Rubenow selbst, zurück und war mit der Bestrafung der Aufrührer, so damals verdankt man zu einem erheblichen Teil der akribischen Arbeit die Sitte, nicht zimperlich. Decollandus est - Rübe ab - hieß es des gewissenhaften Gelehrten. Er musste sich sogar den für Dietrich von Dörpten, immerhin stammend aus einflussVorwurf der Kollegen gefallen lassen, reicher Kaufmannsfamilie und selbst amtierender dass seine pedantischen Ausführungen Bürgermeister. Aber die Ruhe in der Stadt und an zur vorpommerschen Vergangenheit der Universität blieb nur für einige Jahre wiederzwar der Wissenschaft nützten, dem hergestellt. Herzog Erich II. zürnte Rubenow noch gesellschaftlichen Geschichtsinteresse immer und die restliche Gegnerschaft wartete auf durch übermäßige Mitteilsamkeit von eine nächste Gelegenheit gegen den nach uneinFakten und Fäktchen aber zuwiderliegeschränkter Macht Strebenden. fen. Pyls wissenschaftliche Fußnoten In der Silvesternacht zum Jahr 1463 wurde könnten dem Leser schon mal den Heinrich Rubenow von zwei Handwerkern auf Spaß am Historischen vergehen lassen. der Ratsschreiberei in der arglosen Ausübung So jedenfalls urteilte Pyls Kollege, der seines Bürgermeisteramtes mit der Axt erschlaStettiner Geschichtsprofessor Martin gen. In gleicher Stunde rissen Rubenows Gegner, Wehrmann, in einer nicht lange nach die Bürgermeister Nicolaus von der Osten und Pyls Tod veröffentlichten Würdigung. Dietrich Lange die Macht in der Stadt an sich und Nebenbei wird darin ebenso deutließen die Mörder, die sie selbst gedungen haben lich, dass die Geschichtswissenschaft sollen, entkommen. Rubenows Sippschaft und an einem Wendepunkt anlangte: seine übrigen Parteigänger mussten tatenlos zuseWeg von der Faktenstückelei des 19. hen, da sie um ihr eigen Leib und Leben zu fürchJahrhunderts, hin zur (modernen) Schmale und hohe Brauen markieren ten hatten. Eine Unterstützung des Landesherren Darstellung weitläufiger, historischer den Typus des geistig Versierten, Erich II. in der Verurteilung des Verbrechens Zusammenhänge. dessen Spiel um die Mundwinkel schien ihnen aussichtslos, da er offen den neuen Sperrige Anmerkungen und mitunter auch den moderaten Spaß-Versteher Stadtoberen den Rücken stärkte. Als aber die die Unfähigkeit, historische Fakten zu Rubenow ahnen lässt. (1732) verräterischen Lange und von der Osten sogar nachvollziehbarer Geschichtsschreiden Axt-Mördern die Rückkehr nach Greifswald bung zu formen, ließen nicht nur Pyls akademische Arbeit erlauben wollten, ergriff den nachgebliebenen Rubenow-Clan ein Studierzimmer schwierigen Zugangs bleiben. Die gleichen zugleich Furcht und Zornesbrand. Man stürmte in der Nacht Probleme stellten sich ihm bei der Abfassung des Dramas. die beiden Häuser der Bürgermeister, tötete sie auf der Bemüht um die Beibehaltung der historischen Vielschichtigkeit, Stelle und hielt hernach über ihre Leichen Gericht, wobei die gelang es Pyl, dem Poeten, nicht nachdrücklich genug, sich Legitimation der Rächer anerkannt und das Verbrechen am des Faktenforschers Pyl zu entledigen, wenngleich seine „ersten Pflanzer der Universität“ gesühnt war. Dies ist der Bemühungen enorm und die Fertigkeit der dichterischen grobe Ablauf der Geschehnisse wie er aus den historischen Fügungskunst beachtlich sind. Quellen und auch in Theodor Pyls Drama ersichtlich wird. Nun ist die Lage der historischen Fakten durch lückenhafte In dem Drama „Heinrich Rubenow oder die Stiftung der Überlieferung und kakophones Stimmengewirr der nachfolgenHochschule zu Greifswald“, und darin folgt die Inszenierung den Geschichtsschreibung in einigen entscheidenden Punkten von 2006 dem Charakter des Urtextes, ist eine Vielzahl von recht unübersichtlich oder unklar. So wissen Historiker z.B. historischen Figuren zu erleben, verknüpft durch Sippschaft bis heute nicht, worum im Einzelfall sich Rubenow und seine und Freundschaft, widerläufige Machtinteressen, Missgunst Gegner in Rat, Kirche und Universität gestritten hatten und was letztlich einer derartigen Todfeindschaft Vorschub leistete. und Todfeindschaft, die geschichtlich verbrieft sind. Urkunden und Dokumente der Rubenow-Zeit überliefern In den Fokus der forschenden Überlegung rückt Rubenows der Nachwelt einen Eindruck episodenhaften Konkurrenz- Person selbst. Jemand, der sich derart unter den Zeitgenossen und Kompetenzgerangels unter den führenden Greifswalder gleicher sozialer Stellung in Bildung, Unternehmergeist, Ratsherren, die allesamt aus reichen und machtbewussten Machtfülle und der dazugehörigen Portion Selbstbewusstsein Kaufmannsfamilien stammten. Auch an der Universität bro- und Eitelkeit hervorhob, blieb vermutlich nicht ohne Neider delte es im Kollegium. Konfliktverschärfend trat im Jahr und Kritiker. 1457 der Kampf um die Landesherrschaft im Herzogtum Da die genauen Umstände der Intrigen aber im Trüben weilen, Pommern-Wolgast hinzu, nach dem Wartislaw IX., Herzog musste der Dichter Pyl die Stränge durch eigene Erfindung
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Nicht weit entfernt vom Wunderling und Greifswalder Original langt diese Meldung an. Selbst wenn sich heutzutage ein derart sperriges Stück nur noch als Absurdität vermarkten lässt, so tut man dem in seiner Begeisterung für Rubenow rauschenden Autor und noch mehr dem verdienten Wissenschaftler ein klein wenig unrecht. Einen Abwesenden verletzt, wer mit einem Trunkenen hadert. Pyl selbst mühte sich nach seiner missglückten Erstfassung fast ein Jahrzehnt später um einen Neu-Entwurf. Die zweite Version kürzte er auf die Hälfte, versah sie aber im Anhang – da blieb Pyl der alte – mit einer Auswahl historischer Dokumente zur Universitätsgründung und Ausführungen Heinrich Rubenow unter Freunden. Das Gruppenbild ist um 1460 im Auftrag zu historischen Kunstgegenständen(!). Diesem Rubenows entstanden und zeigt ihn (links außen) mit Gelehrten, die ihm Anhang ist es übrigens zu danken, dass das Stück akademische Mitstreiter bzw. Mentoren waren. Die sogenannte Rubenowtafel im Jubiläumsjahr 2006 überhaupt in Erwägung ist im Greifswalder Dom ausgestellt. Foto: Christin Drühl gezogen wurde. Der Greifswalder Leiter des Universitätsarchivs Dirk Alvermann nahm Kenntnis von den kompilierten Dokumenten zusammenführen. Er machte dies nicht ungeschickt und fügte am Ende dieser zweiten Druckfassung von 1864, als er über hier eine Erzfeindschaft zwischen politischen Kontrahenten, die kleinen Universitätsszepter, die mit der Uni 1456 gestiftet dort eine unerfüllte Liebe unter den Kindern der Verfeindeten wurden, recherchierte. Pyl hätte den daraus entstandenen in Anklang Veroneser Verhältnisse, wobei der Liebhaber sich Aufsatz sicherlich mit Freude und Genugtuung gelesen. sodann ins Unglück stürzt, als er seine Julia – die hier Clara Einige Zeit später war Alvermann Mitglied der universitären heißt - vergeblich aus dem Kloster zu reißen versucht (Luther Jubiläumskommission und erinnerte sich der fünf Aufzüge, im Glück des 100-Jahre-Spätergeborenen grüßt um die Ecke), die er mit Pyls kunsthistorischen Beigaben vorgefunden hatte und Romeos Vergehen, den das Personenregister jedoch als und die seines Wissens bis dato noch unaufgeführt geblieben Raphael führt, wird durch den Spruch seines Oheims, den waren. Zur Weltpremiere konnte am 15. Oktober 2006 aber Heinrich Rubenow Kraft seiner Amtskette fällen muss, mit nicht mehr geladen werden, denn wie sich rechtzeitig herausdem Tode bestraft, was Rubenow nach einigem Zaudern stellte, gab es weiland 1860 und 1927 Inszenierungen. natürlich zu Wege bringt. (Wehe, dem nicht vor Heinrich graut.) Zeitgleich schwelt im Hintergrund eine Intrige unter der Geistlichkeit (diabolisch auftrumpfend: Jan Bernhardt als Priester Kock), ebenfalls eine verbaute Vorbotschaft der Reformation, und schließlich lauert vor der Stadt noch der verschlagene Herzogsohn Erich, dessen schändliche Taten den eigenen Vater ins Grab graulen. Durch einen Teleskopkniff verdichtet der Autor Pyl den mehrjährigen, historischen Prozess der Ereignisse auf das Jahr der Hochschulgründung und lässt den Titelhelden am Tag der feierlichen Universitäts-Stiftung sterben. So weit, so dramatisch. Die Vielschichtigkeit der historischen Fakten und Umstände spiegelte sich 1853 in dem 300druckseitigen Manuskript wieder. Hier war der Dichter Pyl dem Historiker Pyl klar unterlegen. Zu viel und zu Kompliziertes gelangte in die fünf Aufzüge, mit Konsequenzen für die Spielbarkeit des Stückes. Nach Urtext wären etwa 100 Statisten zum Einsatz gekommen. Die zeitgenössische Literaturkritik gab sich reserviert bis vernichtend, wenn sie vom Rubenow überhaupt Notiz nahm. Man stelle sich die Verbitterung des Dilettanten Pyls vor, der das Drama im Hinblick auf die Jubiläumsfeierlichkeiten der Universität im Jahr 1856 geschrieben hatte, als er Gewahr nehmen musste, dass statt seiner Dichtung wieder einmal ein Händel-Oratorium gegeben wurde, das aber den Zuhörern gleichfalls mehrere Stunden Konzentration aufnötigte. Oder um es mit der Genauigkeit Pyls wiederzugeben: Sechs Stunden dauerte „Josua“, wie der Gekränkte in seinen Erinnerungen klagt. Allerdings schneidet der Dichter auch im Jubeljahr 2006 im Urteil einer Presseankündigung des Theater Vorpommerns wenig gewürdigt ab: „Anlässlich des 550. Universitätsjubiläums wird das Theater Vorpommern Pyls Gründungsgeschichte in einer szenischen Lesung lebendig werden lassen und zugleich zeigen, was alles passieren kann, wenn einem Autor vor Begeisterung die historischen Pferde dramatisch durchgehen.“
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jubiläum
r. n m
heinrich rubenow
19th cent. boy: Wangenknochen der Humorlosigkeit, linkes Auge mit der Stärke des Willens, rechtes mit der Weitsicht des Visionärs, im Anflug von Standesbewusstsein hochgezogene, rechte Braue, geschlossene Lippen deuten auf Eloquenz eines Tatmenschen. Lithographie aus Pyls erster Druckfassung des Dramas (1853).
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heinrich rubenow Rubenow 2006 zeigt sich aufgrund vieler guter Regie-Ideen unerwartet aufgeräumt, locker und launig. Vor allem aufgrund des Eingangs erwähnten Coups: Es tritt die neue Theaterfigur Theodor Pyl (Andreas Dobberkau) auf die Bühne und nimmt Platz im Sessel des Erzählers. Zu deren Seiten bauen sich die alten Figuren des Dramas auf. Eine szenische Lesung ist anberaumt. Kostümpflicht scheint nicht vorgegeben zu sein. Rubenow (Christian Holm) in schwarzem Mantel, recht steif und zugeknöpft, auch im Schauspiel, wie es das Pyl’sche Tugendideal gebietet. Ratsherr Dörpten (Markus Voigt), sein Widersacher, im Anzug mit Krawatte. Einige andere erscheinen nur in der Andeutung ihrer Rolle oder gar im Ornat der Normalsterblichkeit des 21. Jahrhunderts. Eine kluge Abstimmung zwischen Kostümierung und Regie. Die Botschaft von der Bühne in Richtung Saalparkett ist unzweideutig: Hier geht es nicht um großes Theater. Auch wenn die Theaterfigur Pyl einen anderen Anspruch, und zwar den eigenen, im Anfang des Theaterstückes formuliert:
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Zeitgeschmack verpflichtet. Dem Zuschauerraum eröffnet sich eine merkwürdig starre Welt des Mittelalters mit Charakteren, geschnitzt wie aus dem Holz der Weltenesche. Das Schauspielerensemble macht sich den eigenen Witz darauf und eifert dem 19. Jahrhundert mit einigen fröhlich übertreibenden Ohnmachtsanfällen nach. Und dazwischen und vor allem: Theodor. Pyl erzählt – Rubenow plant, Pyl zählt auf – Rubenow wird intrigiert, Pyl zählt nach – Rubenow gründet, Rubenow wird gestolpert und gemordet – Pyl zählt ihn aus und als Pyl dann auch noch anhebt fortzufahren, sind die Schauspieler müde und gehen nach Hause. Vorhang runter. Wer hätte so viel Theater von einer szenischen Lesung erwartet, eine gelungene Überraschung im Großen Haus der Greifswalder Bühne. Fast vergisst der Theatergast darüber, dass die Veranstaltung ins Programm des Universitätsjubiläums hinein gehört. Aber nur beinahe entfällt es ihm, weil eine Leinwand nebst Projektion im Bühnenhintergrund zwischen den vier Akten für die dem Anlass geschuldete Einbettung sorgt. Der nach Aufmerksamkeit heischende Teleprompter liefert die historischen Kerndaten zur Universitätsgründung, scheinbar als Zusatzangebot für den Zuschauer zur Selbstvergewisserung und Faktizität der Geschichte. Bedauerlicherweise wird der Theaterbesucher dabei aus seiner Illusion, Unterhaltung und dem Handlungsverlauf herausgerissen. Das Schattenspiel der Leinwand bleibt mehr verwirrend als die Absicht des Nützens erfüllend, weil der Handlung schon ohne eingeblendeten Fußnoten recht schwer zu folgen ist. Allerdings(!): Die unfreiwillige Pointe dieser Konfrontation zwischen Leinwand und Schauspiel folgt auf den Fuß. Sie ist die aktualisierte Wiederkehr des Pyl’schen Grundproblems, des Seelenzwistes des Wissenschaftlers und Künstlers. Grandios, wenn es so angelegt und bis ins Letzte durchinszeniert gewesen wäre. Dafür ist die Figur Pyl im Stück aber zu monoton aufgestellt. Nur der glänzend gespielte Erzähler und Rubenow-Jünger erhält Auftritt, der Historiker bleibt dem Publikum mimisch und gestisch verborgen. Andererseits, zum Teufel, so Heinrich Rubenow von Christian Holm maßvoll in der Agilität einer deutschen Eiche weltenzusammenhaltend muss es auch gar nicht dargestellt. So wollte es der Dichter Pyl. Foto: Vincent Leifer, Theater Vorpommern gezwungen sein. (Letzte Vorstellung: 13.Nov.)
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„Von Jugend auf in der Begeisterung der Persönlichkeit und der Großtaten Heinrich Rubenows aufgewachsen, trug ich schon seit Jahren den Gedanken in mir, seinen Namen durch ein Denkmal der Kunst zu verherrlichen. [...] und ich wählte dazu die vollkommenste und am meisten zugänglichste Kunstgattung, die Form des Drama.“ Die Sätze zitieren die Vorrede der gedruckten Erstausgabe. (Der historische Roman hatte in der Mitte des 19. Jahrhunderts seinen Siegeszug erst noch anzutreten.) In diesem hübschen Gegensatz, zwischen bildungsbürgerlichen Anspruch und schwank-ähnlichem Spiel der Darsteller, geht es die folgenden zwei Stunden immer so fort. Dem Stück tut das gut. Egal wie kompliziert die Handlungen und Motive der Kontrahenten auch sein mögen, ungeachtet, wie selbstgerecht und weltvergessen sich Titelheld und Erzähler die Hauptrollen zuschanzen, ein ironischer Augenroller, eine kecke Flapsigkeit oder eine oft übertriebene Affektiertheit der Schauspieler erden das Stück wieder beim Zuschauer. Bravo, bravissimo. Den Dichter gerichtet, die Vorstellung gerettet. Bei aller Vielfalt und Dichte der Verwicklungen um Rubenow bleibt das Stück seinem Autor und dem provinziellen
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Besetzung der Rollen: Karl Theodor Pyl, Erzähler Andreas Dobberkau Wartislaw IX., Herzog von Pommern Jörg F. Krüger Erich II., sein Sohn Konstantin Ostheim-Dzerowycz Swantibor, sein Enkel Heide Kalisch Dr. Heinrich Rubenow, Bürgermeister Katharina Rubenow, seine Gattin Henning Hennings, Ratsherr, sein Schwager Raphael Leistenitz, sein Neffe
Christian Holm Gabriele M. Püttner Hannes Rittig Florian Anderer
Henning Iven, Bischof von Kammin Bernhard Bodeker, Professor aus Rostock Dietrich Dörpten, 2. Bürgermeister Ludolf Dörpten, sein Sohn Clara Dörpten, seine Tochter Nikolaus von der Osten, Ratsherr Hermann Kock, Priester aus Mecklenburg
Rainer Harder Lutz Jesse Markus Voigt Hannes Rittig Anke Neubauer Hans-Jörg Fichtner Jan Bernhardt
Bühne: Sabine Lindner, Kostüme: Christine Becke,Video-Projektionen: Lutz Rüdiger, Dramaturgie: Catrin Reinicke
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tanzspitzen
Neugier erwünscht! Tanztendenzen gehen neue Wege
Einmalig Begeisterung lösten die beiden Deutschlandpremieren „Us-Band“ und „404“ aus. Vor allem bei „Us-Bands“, das auf den Film „Husbands“ („Ehemänner“) von 1971 basiert, übertrug sich die energiegeladene Stimmung unmittelbar auf das Publikum. Immer wieder gab es lautstarke Zwischenrufe und zustimmendes Klatschen. Mit anstachelnden Pfiffen reagierten die Zuschauer bei besonders gelungenen Einlagen. In Samuel Mathieus „Us-Band“ thematisieren vier Männer in ihre Freundschaft; testen aus, wer wen dominiert. Das gelingt ihnen, denn das tänzerisch ausdrucksstarke Stück findet mit seinen teilweise humorvollen Einschüben großen Anklang beim Publikum. Es geht um die Überwältigung des anderen, Abhängigkeit, Gruppenbildung – protziges Gebaren bis zur totalen Erschöpfung. Im spielerischen Zweikampf wird die Freude an körperlicher Auseinandersetzung deutlich. Gegenseitiges Kennenlernen, Beschnuppern, Kräftemessen, Grenzen ausloten, Überwinden, Kampf und Kraft: das mitreißende Theaterstück führt die Tänzer an ihre körperlichen Grenzen. Gleichartig sind sie gekleidet: weiße Shirts, dunkle Hosen. Hemd, Muskelshirt, Kurz- und Langarmshirt deuten auf Individualität. Claude Bardouil, Jerôme Brabant, Christophe Le Goff und Choreograph Samuel Mathieu persönlich überraschen die Zuschauer immer wieder neu. Der Flirt mit dem Publikum bringt scheinbar endlosen Applaus. Willi Dorners folgendes Gegenstück „404“ beginnt mit bedrohlicher Gitarrenmusik. 404 ist im Internet die
häufigste Fehlermeldung und bedeutet, dass eine gewünschte Webseite nicht aufrufbar ist. Der Choreograph beschreibt sein Stück als leeren Raum, der von den Tänzern zum Schauplatz gemacht wird: „Der Popsoundtrack lässt uns die Fiktion des Tanzes als Teil jenes emotionalen Raums wahrnehmen, den wir subjektiv als lebensweltlich relevant nachempfinden können.“ Szenerien voller Aggression, Gewalt, Hilflosigkeit, münden in ekstatische Sequenzen, begleitet von anscheinend endloser Musik. Streit, Konflikt, lauernde Stellung, Hin und Her untereinander münden in einen Kampf mit sich selbst. Es gibt kein „Happy End“. Die sieben Tänzer werden von einem Gitarristen auf der Bühne musikalisch begleitet. Sie betreten die Bühne durch den Zuschauerraum und verlassen sie nach und nach, erschöpft und verschwitzt. Nichts und niemand bleibt zurück, als auch der Musiker geht. Seine warmen Klänge verhallen im Publikum. Ohne Frage bildeten beide Stücke das Highlight der Tanztendenzen. Begleitet wurden sie durch eine ganze Reihe weiterer Aufführungen. Verunsichertes Publikum Das aus unterschiedlichen Sequenzen bestehende „Imprint“ überzeugte durch kraftvolle, harmonische Musik, immer wieder rhythmisch - die sieben Performance-Künstler zeigen auf der Bühne Abwechslungsreiches. Mit tänzerischem Können bewegt sich eine Darstellerin erstaunlich gewandt und leichtfüßig zu den abgewandelten Klängen von Kraftwerks „Model“. Ein Lichtarbeiter verfolgt sie mit dem Scheinwerfer, bewegt sich ihr angepasst, während sie im Scheinwerferlicht aufzublühen scheint. Die anscheinend klare Rollenverteilung kippt kaum merkbar, schließlich verfolgt die nach Applaus heischende Tänzerin den Scheinwerfer, läuft ihm nach, ringt um Aufmerksamkeit, will sie um keinen Preis mehr verlieren. Den Besuchern des Premierestückes
„Les Chemins de Traverse IV“ bot sich am Donnerstag ein besonderes Bild: in rot-gelbes Licht getaucht wird die wieder eröffnete barocke Aula zur Bühne für Modernes aus Kanada. Drei junge Tänzerinnen bewegen sich mal wild, dann wieder zurückhaltend zu asiatischen, an den Nerven zerrenden Klängen. Sonst übliche Distanzen zwischen Publikum und Künstlern werden aufgehoben, auch die Musiker sind direkt ins Geschehen eingebunden – sie „umspielen“ die Tänzerinnen, die Tänzerinnen umkreisen die Musiker. Nach gespendetem Beifall – der körperlichen und musikalischen Leistung gebührt Respekt – liegt noch Ratlosigkeit in der Luft. Nach dem Abgang der Künstler verlässt niemand den Saal in der Annahme, es würde noch mehr zu sehen geben. Erst der Hinweis „Meine Damen und Herren, das war die Performance, das Stück ist vorbei“ bringt Bewegung in die Reihen, man rüstet sich für den Heimweg. Vereinzelt klingt verlegenes Lachen durchs Haus. Unverständlich, aber faszinierend „Neu war in diesem Jahr, dass Stücke von Live-Musik begleitet wurden“, sagt Sabrina Sadowska. Die Ballettmeisterin und stellvertretende Ballettdirektorin des Theaters Vorpommern ist zusätzlich für die Organisationsleitung der Tanztendenzen verantwortlich. Auch gab es mehr Gruppenstücke als Einzeldarbietungen und die Qualität habe sich deutlich gesteigert, berichtet Sadowska. „Es ist schön, wenn die Stücke etwas bewirken, man kann sie nicht immer verstehen, ist aber oft fasziniert und sie hinterlassen einen bleibenden Eindruck“, betont sie. Fünf Tage Tanz, Workshops und Videoprojekte zeigten die Bandbreite des zeitgenössischen und experimentellen Tanzes an unterschiedlichen Spielstätten wie der Universitätsaula, dem Theater auf der Probebühne (TaP), dem St. Spiritus und im großen Theatersaal - und hinterließen ein begeistertes Publikum. ui, juk
Quellen: ur, Theater Vorpommern
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feuilleton
Die 14. Tanztendenzen fanden Ende Oktober in Greifswald statt. In insgesamt zehn Stücken und zwei Workshops wurden fünf Abende mit künstlerischer Klangbewegung angereichert. Im Dialog mit Raum, Klang und Musik suchten die Künstler aus Israel, Kanada, Frankreich und Österreich ihre Identität, wechselten zwischen Anpassung und Individualität.
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tanzspitzen
Zu Gast bei Tanztendenzen In der Kantine des Theaters auf der Probebühne (TaP) traf moritz Sabrina Sadowska, stellvertretende Ballettdirektorin. moritz: Tanztendenzen kurz umrissen? Sabrina Sadowska: Tanztendenzen sind ein knapp einwöchiges Festival für zeitgenössischen Tanz. Etwa 20 junge, oft internationale Künstler werden vom Kuratorium der Tanztendenzen eingeladen und treten in Greifswald auf. Das Programm beinhaltet Tanz und Performance, Videoinstallationen, Workshops und einen Vortrag zu den aktuellen Tendenzen im zeitgenössischen Tanz.
Jahr u.a. vom Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes MV, vom städtischen Kulturamt, der EMAU, der LAG Soziokultur, dem Nationalen Performance Netz, der Kanadischen Botschaft, dem Institut Français Rostock und einigen Sponsoren mehr. Ein weiterer Anreiz nach Greifswald zu kommen ist der, sich als junger Künstler so oft wie möglich zu präsentieren. Tanztendenzen sind im Nordosten des Landes das einzige Festival dieser Art.
Wer leitet die Workshops, wer geht hin? Die Workshops werden von den Künstlern selbst geleitet, die hier auftreten. In diesem Jahr etwa von Jenny Haack und Karmit Burian. Teilnehmen kann jeder interessierte Greifswalder, unabhängig davon, ob er schon Erfahrungen mit Tanz hat oder nicht.
Wo befinden sich solche Festivals noch? Hauptsächlich in den großen bis mittelgroßen Städten. Unter anderem in Berlin, Leipzig, Düsseldorf und Bielefeld.
Welchen Anreiz haben Künstler, nach Greifswald zu kommen? Wer zahlt dafür? Finanziert werden Tanztendenzen von unterschiedlichen Seiten. In diesem
Warum sollte man die Veranstaltungen von Tanztendenzen wahrnehmen? Wer sich für Tanz interessiert, kann hier die Tendenzen in der internationalen modernen Tanzszene erleben. Manche der Künstler, die Gäste unseres Festivals waren, sind wenige Jahre später sehr bekannt geworden. Auch haben wir
immer wieder Deutschland-Premieren im Programm. Welche Tendenzen ließen sich in den letzten 14 Jahren erkennen? Während in den 90ern der Inhalt nicht im Vordergrund stand, eher Dekonstruktion und die Auseinandersetzung mehr mit Bewegung, Raum, Medien und zunehmender Digitalisierung stattfand, ist seit ungefähr 2000 ein zunehmendes Interesse an der Verarbeitung literarischer Stoffe zu erkennen. Auch wird mittlerweile vermehrt mit Live-Musik gearbeitet. Zudem ist allgemein das Niveau gestiegen. Die freie Szene hat sich etabliert, die Künstler müssen sich anstrengen, um in die Szene zu kommen und finanzielle Zuschüsse zu erhalten. Auch in Greifswald erleben wir das. Immer wieder haben wir richtige Perlen im Programm. Frau Sadowska, danke für das Gespräch. Das Gespräch führte Uta-Cäcilia Nabert
Ein Tänzchen für sich
feuilleton
Jenny Haack und Karmit Burian bei den Workshops
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Donnerstag, 26.10.: Im Ballettsaal des Theaters Vorpommern findet ein Workshop zum modernen Tanz statt. Geleitet wird er von Jenny Haack, Tänzerin, Choreografin, Videokünstlerin aus Deutschland. In dem großen verspiegelten Raum finden sich Studentinnen, drei Tänzerinnen des Ballettes Mecklenburg-Vorpommern und manche ehemalige Studierende ein, insgesamt 13 Teilnehmer. Jenny ist klein und zierlich, sie macht einen sehr freundlichen Eindruck. Zunächst heißt es nicht viel tun, nur fühlen: die Sitzposition, die Atmosphäre, sich bewusst werden, wo man sich befindet. Draußen wird es langsam dunkel, während das, was spirituell anmutend losgeht, schneller und sportlicher wird. Die Teilnehmer spielen mit Rhythmen, Bewegungen, rennen, laufen, gehen. Am Anfang sind die Aufgaben klar und eingegrenzt, später darf improvisiert werden. Unter anderem wird zu zweit tänzerisch kommuniziert.
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Mit Musik arbeitet Jenny gar nicht, in einer Übung sollen die Teilnehmer jedoch selbst Laute erzeugen, nach denen sie ihre Bewegungen ausrichten. Die Gruppe hat Spaß, die Atmosphäre ist gut. Profis arbeiten mit Laien, die Teams bilden sich spontan und immer wieder neu. Zwei Stunden sind im Flug vorbei. Der Freitags-Workshop ist etwas anspruchsvoller. Karmit ist Tänzerin aus Israel, die Verständigung findet auf Englisch statt. Sie ist unglaublich lebhaft. Wo hat sie bloß all ihre Energie her? Ihr Programm erinnert an den Sportunterricht, den man aus der Schule kennt. Am Anfang heißt es rennen, bloß nicht stehen bleiben. Dann gymnastische Übungen, die nicht allen leicht fallen. Bewegung durch den Saal ist angesagt. Mal sollen sich die Teilnehmer gegenseitig beim Fallen auffangen, mal gegenseitig auf den Boden ziehen. Mal sollen sie sich auf allen Vieren, mal sitzend fortbewegen, egal, Hauptsache
spontan. Heute wird auch mit Musik gearbeitet. Karmit hetzt die Teilnehmer zwei Stunden durch die Halle, doch die Belohnung lässt nicht lange auf sich warten: der knackige Tänzer in der Saalecke, der mindestens eine Stunde lang beim Aufwärmen zu beobachten ist? Ja, nein, auch. Zum Runterkommen am Ende heißt es gegenseitige Massage. Dann ist Schluss, denn die Profis kommen und brauchen den Platz zum Trainieren. Alles in allem sind die Workshops bei den Besuchern gut angekommen. So etwas miterlebt zu haben, bedeutet, die Leistungen von Tänzern on stage besser einschätzen zu können. ilia Möglichkeiten des Modern Dancing: Hochschulsport: Contact Improvisation bei Ralf Lammertz, 0179-549 68 62 Privat eine Tanzgruppe aufzubauen? Unter moritz@uni-greifswald.de, Betreff Tanztendenzen, vermitteln wir gerne weiter.
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leinwand
Film- und Fastfoodkultur in Bayern In der ZEIT hieß es, die Hofer Filmtage seien ein Stammesritual des deutschen Films. Traditionsreich, nostalgisch und exzessiv. Wim Wenders habe im Namen der Stadt einst die Abkürzung von „Home of Films“ erkannt. Weil hier jedes Jahr viel versprechende Abschlussarbeiten der Filmhochschulen gespielt werden, ließe sich auf diesem Festival angeblich das Stimmungsbild des deutschen Kinos einfangen. Wenn die Sache mit dem Stimmungsbild wahr ist, dann wird der deutsche Film gerade von einem Haufen pessimistischer Jungregisseure überrannt. Kapitalismuskritik und menschliche Dramen in Kurz- und Langfilmen. Denn die werden zusammen hier gezeigt, ein langer Film folgt einem kurzen. Und die Kurzfilme stechen die Langfilme regelmäßig aus. Die beiden Hits fallen in die Sparte Kapitalismuskritik: „Fairtrade“ und „Die unsichtbare Hand“. Zwei Kurzfilme, die einen nachhaltig nachdenklich im Kino zurück lassen. „Fairtrade“ handelt vom Handel zwischen dem Dritte-Welt-Land Marokko und dem reichen Westeuropa. Die marokkanische Seite tauscht dabei Kinder im Säuglingsalter gegen EuroDevisen. Leider scheitert der Transport an der plötzlich auftauchenden spanischen Küstenwache, die „Beweise“ müssen über Bord, die deutsche Kundin wird sich wohl einen neues Kleinkind aussuchen müssen. Etwas weniger drastisch, aber dafür mit Thorsten Merten (der Radiomoderator aus „Halbe Treppe“) und Fritz Roth (der dümmliche Assistent aus „Muxmäuschenstill“) grandios besetzt, ist „Die unsichtbare Hand“. Der Name ist eine Anspielung auf den schottischen Ökonom Adam Smith, der die Koordination chaotischer Wirtschaftssubjekte mit der unsichtbaren Hand des Marktes erklärte. Im Film sieht man viel der trostlosen brandenburger Provinz und ein Auto mit „Testkäufern“. Das vierköpfige Team führt Verkaufspersonal in Versuchung, sich auf Kosten der jeweiligen Arbeitgeber zu bereichern. Als tatsächlich eine Verkäuferin ins Netz geht, stellt sich heraus, dass es für die veruntreuende Verkäuferin und die Testkäufer einen
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viel vorteilhafteren Deal als die Anzeige diesem Jahr heißt er „40 Jahre Hof – eine beim Arbeitgeber gibt... Retrospektive“. Zu sehen sind Filme, mit Herausragende Spielfilme in der denen deutschen Regisseuren in Hof Klasse menschliche Dramen sind: „Die der Durchbruch gelang, beispielsweise österreichische Methode“, „Verfolgt“ „Jeder für sich und Gott gegen alle“ von und „Auftauchen“. „Die österreichi- Werner Herzog, „Nach fünf im Urwald“ sche Methode“ fällt auf, da es sich von Hans-Christian Schmid und „Terror um einen Episodenfilm handelt. Fünf 2000 – Intensivstation Deutschland“ Geschichten werden parallel von fünf von Christoph Schlingensief. Bei dieser Regisseuren erzählt, alle ereignen sich Vorstellung zeigt sich, dass seine Filme in 24 Stunden und in jeder Geschichte noch deutlich abgefuckter sind als seine schwingt Verzweiflung, Wahnsinn und Theaterproduktionen. Ein Heidenspaß Selbsttötung mit. Die schönsten Bilder und eine Hölle aus Ketchupblut. Noch sind lange, ruhige Einstellungen der urba- spaßiger allerdings waren Einführung und nen Industrielandschaft in Nordrhein- Abschlussdebatte mit Herrn Schlingensief. Westfalen. Zerbrechliche Menschen, Selbstsicher, unterhaltsam und inforumgeben von Beton und Plastikbergen, mativ wurde das bierselige Publikum die Fortschritt verheißen. „Verfolgt“ ist der Mitternachtsvorstellung gleicherauf seine Art und Weise radikal. Im maßen über die kunsttheoretischen Film wird eine langsam aufkeimende Implikationen des Kaprow-Effektes und und abrupt scheiternde sado-maso- die abstruse Filmförderungspraxis der erotische Beziehung zwischen einem öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten jugendlichen Straftäter und seiner aufgeklärt. Bewährungshelferin dargestellt. Der Film Auch sonst stecken die Hofer Filmtage ist in schwarz-weiß, was die verregnete voller witziger Features. Hof ist weder Kulisse Hamburgs noch grauer erschei- ein besonders großes noch ein besonders nen lässt. „Auftauchen“ schließlich ist ein beeindruckendes Städtchen. Beschaulich sehr energetischer Film. Wieder steht ist wohl eine treffende Bezeichnung. das Scheitern einer Liebesbeziehung Deswegen wirken sie irgendwie deplaim Vordergrund. Auf der einen Seite die exzessive, kompromisslose und etwas burschikose Kunststudentin Nadja. Auf der anderen Seite der noch taumelnde Zivi Darius. Am Anfang stürmische Extase, am Ende Abgründe und dazwischen jede Menge Sex in langen Bildern. Die Alltäglichkeit der Beziehung und die Spuren ihrer Auflösung werden dabei so genau festgehalten, dass es oft schmerzhaft ist. Nach solchen Filmen stellt man sich die Frage, warum Menschen überhaupt noch Beziehungen führen. Zum Glück hat das Festival aber einen thematischen Schwerpunkt, mit dem man sich von Quelle: Hendrik Ertel all dem Elend in der Festivalleiter Heinz Badewitz Welt ablenken kann. In
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Die 40. Internationalen Filmfestspiele in Hof
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leinwand, bücher, cd ziert, die eher urbanen Festivalgäste mit ihren Cordsakkos, Wollschals und Nickelbrillen. Sie wollen sich nicht recht einfügen in die brave bayerische Provinzbevölkerung. Und doch gibt es einen wichtigen Berührungspunkt beider Gruppen: die besondere Affinität zu Bier und Wurst. Im Schaufenster einer lokalen Fleischerei hängen lange Wurstketten in stiller Eintracht neben gerahmten Bildern von Tom Tykwer und Christian Petzold aus längst vergangener Zeit. Und vor der wichtigeren der beiden Spielstätten – die Stadt verfügt nur über zwei Kinos – steht die mobile Grillstation der „Metzgerei Schimmel“. Hier bilden sich zwischen den einzelnen Vorstellungen gigantische Schlangen, um fränkische Bratwürste zu erhaschen. Oder die Frisur des Festivalchefs Heinz Badewitz. Obwohl man annehmen muss, dass dieser die 60 bereits hinter sich gelassen hat, trägt er immer noch eine Beatnik-Frisur, als ob sich seit den Anfängen des Festivals 1966 nichts verändert hätte. Ein schönes Festival. Und das einzige Festival – das muss zum Schluss
Ganz beiläufig
feuilleton
Zuccheros „Fly“
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Zu singen, was nötig ist, bedarf einer Stimme. Wenn darin eine leichte aufrichtige Prise Wehmut liegt, so verliert in der Musik zuweilen Geradliniges seine Süße nicht, sondern vermag sogar noch einiges dazu zu gewinnen. Dem bärtigen Italiener mit der Sonnenbrille und dem Hut mag man dies nicht absprechen. Seit 35 Jahren bewegt sich Adelmo Fornaciari alias Zucchero im Musikgeschäft. Nach der Zusammenarbeit mit beispielsweise Miles Davis, B. B. King oder Paul Young drängt sich seit „Zu & Co“ die Frage auf, warum der Durchbruch in den USA noch aussteht. Mit dem schillernden Produzenten Don Was und interessanten Gästen hinter dem Mikrofon sieht der Erfolg des Neulings „Fly“, wenn auch sorgfältig vorbereitet, für ihn mehr als günstig aus. In „Quanti anni ho“ und „È delicato“ glänzt Zuccheros stimmlicher Schmelz. Nicht als toskanischer Don Qujiote endete der Italiener in aller Abgeschiedenheit vor seiner Windmühle, sondern meldet sich vielmehr als geistreicher Spaßvogel aus dem Tonstudio von Los Angeles zurück. Ein kleiner, feiner italienischer Satz prangt in der Hülle unter der Silberscheibe: Wie kann man fliegen, wenn man von Idioten umringt ist? Ist das nicht süß? Bedarf es der Worte mehr? ur
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noch gesagt werden – wo man sich einen Fußballfilm angucken kann, ohne vom Brechreiz überfallen zu werden. Allerdings keinen deutschen. Und auch keinen „richtigen“ Fußballfilm. Es geht zwar schon um die WM 2006 in Deutschland, irgendwie, aber in so einer Art Paralleluniversum. Und in diesem besseren Universum zockt Norwegen
die Deutschen im Endspiel 2:1 ab. Und das haben die Norweger eigentlich sechs sympathischen Trunkenbolden aus einer Autowerkstatt in einem Vorort von Oslo zu verdanken. Schlussempfehlung für die Freunde des skandinavischen Humors: „Lange Flate Ballær“. dL
Der Bierkasten: Als gesunde bayerische Mittelstadt verfügt Hof selbstverständlich über einige Brauereien. Obwohl es schwer ist, vergleichbare Bedingungen zu schaffen – das dritte Bier schmeckt nun mal besser als das erste – ist hoffentlich eine faire Wertung gelungen: Ahornberger Landbier: eher malzig als herb-frisch; dadurch aber süffig und trotz der leichten Süße schön im Abgang. Wird in bauchigen 0,5 Liter-Plop-Verschluß-Flaschen verkauft, was schön aussieht und im Kino zu lustigen Soundeffekten führt. Scherdel Pils: ein solides Pils, aber nicht ganz so herb wie vergleichbare norddeutsche Produkte. Haben ein Hofer Filmtage Festbier in einer hippen, leicht bläulichen 0,3 l-Flasche aufgelegt, was mir als eher konservativem Biertrinker übel aufstößt. Falter Pils: das bisher herbste der Lokalbiere. Geht trotzdem gut runter. Ich würde qualitativ sogar den Vergleich mit Flens nicht scheuen. Lecker. Flaschen-Design mit schön viel Understatement – oder die Brauerei hat daran wirklich seit 50 Jahren nichts geändert, man weiß es nicht so genau... Zelt Pils: Ein Bier zum runterlaufen lassen und angenehm bierselig werden. Da gibt es wirklich nichts mehr zu sagen. Ein Highlight bayerischer Braukunst. dL
Sinnlos
Nick Hornbys „A long way down“ Vier Menschen beschließen in einer Silvesternacht, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Zufällig treffen sie auf dem Dach eines Hochhauses aufeinander. Das als sinnlos empfundene Dasein ist ihre einzige Gemeinsamkeit, denn unterschiedlicher könnten die Protagonisten gar nicht sein. Martin, JJ, Maureen und Jess hangeln sich von einer Hoffnung zur nächsten und vereinbaren den Valentinstag, um endgültig über einen finalen Sprung zu entscheiden. Alle Personen entwickeln sich weiter. Es ist zwar interessant, dies mitzuverfolgen, aber es bleibt auch nicht hängen. Die Handlung ist geprägt durch die unterschiedliche Erzählweise der Protagonisten. Durch die Augen der Handelnden macht Hornby die Geschichte vierfach erfahrbar. Manche Passagen stimmen für die Dauer des Lesens nachdenklich, aber nicht darüber hinaus. Interessant ist es, wie die verschiedenen Charaktere ihre Krise überwinden oder möglicherweise auch nicht. Da mit zahlreichen Klischees gespielt wird, lässt sich ein Vergleich mit frühabendlicher Fernsehunterhaltung nicht vermeiden. Unterhaltsam ist die Story allemal. juk
Erkenntnisreich Kenneth Angers „Hollywood Babylon“
Die US-amerikanische Filmgeschichte begann glorreich. Millionen Zuschauer strömten jede Woche in die Kinotheater. Die 1920er Jahre gelten als das „Goldene Zeitalter“ von Hollywood und Beginn des Studiosystems. Die Schauspieler waren Götter. Angehimmelt von ihren Fans und beschützt von den Filmmogulen. Doch dann kommt der unanhängige Künstler und Autor Kenneth Anger und erinnert in seinem Blick hinter die Fassade des Filmgeschäfts an menschliche Abgründe und Tragödien. Die detailreichen Ausführungen - Ähnlichkeiten mit der Schreibweise von Tabloid-Blättern sind beabsichtigt - und unzähligen Fotos zeigen Hollywood ohne die alles blendenden Scheinwerfer. Die Auflistung von Drogeneskapaden, sexuellen Umtrieben aller Art und die Verlogenheit der Moral im Film, vernichtet den Glamour Hollywoods. Angers Verdienst ist zwar nur die ausführliche Auflistung aufgrund seiner Recherche. Doch kann so gängige filmgeschichtliche Auseinandersetzung mit dieser Zeit ergänzt werden. Die Neuauflage des vor über 30 Jahren erstmals auf deutsch erschienenen Werkes vereint zwei Bände mit den Traum zerstörenden Anekdoten. Im Filmgeschäft arbeiten halt auch nur Menschen. bb
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kino
Konkurrierende Machenschaften Martin Scorseses „Departed – Unter Feinden“ Ein Katz-und-Maus-Spiel. Massachusetts State Police gegen die Irische Mafia in Boston. Beide Institutionen schleusen verdeckt einen Mann aus ihren Reihen in die der Gegenseite ein.Wissensvorsprung ist das Ziel. Polizist Billy Cosgan und Mafiosi Colin Sullivan sind die Diener. Die Geschichte ist nicht neu. Schon Andrew Lau und Alan Mak erzählten in „Infernal Affairs“ die Geschichte einer wechselseitigen Infiltration. Regisseur Martin Scorcese betont, keine Remake gemacht, sondern den Stoff neu interpretiert zu haben. Verwestlicht trifft es eher. Beide Seiten bemerken die undichte Stelle in ihren Reihen. Die Flüsterer werden deshalb aufeinander angesetzt. Je näher sie ihrem Feind kommen, desto größer ist der innere Druck, der durch das gefährliche Doppelleben entsteht. Die Frage der
Im Zeitalter der Unvernunft
Milos Formans „Goyas Geister“ Wenn man ein Historiengemälde schafft, besteht die Leistung weniger darin, nüchtern die Faktenlage zu dokumentieren, sondern zu versuchen, die einmalige „Aura“ der Geschichte einzufangen. Dies ist Milos Forman bereits 1984 mit „Amadeus“ gelungen. In „Goyas Geitser“ ist das Künstlergenie jedoch nicht Mittelpunkt, sondern vielmehr Chronist des Geschehens. Wir sehen also weniger Francisco de Goya (Stellan Skarsgård), sondern das, was er selbst wahrnahm. Der lebensfrohe Maler, der zunächst seine künstlerische Freiheiten am spätbarocken Königshof
eigenen Identität und einem unabhängigen Leben beschäftigt beide Infiltranten. Der Kinofilm verzichtet bis auf den abschließenden Kampf auf imposante Gewaltszenen. Quelle: Warner Bros. Scorcese treibt die Liegestütze als Strafe. Glück gehabt. Handlung und somit das psychologische Spiel beider Parteien Scorceses deutscher Stammkameramann voran. Dies erfordert ein aufmerksames Michael Ballhaus gelingt eine visuelle Publikum. Auch darf sich der Thriller Umsetzung, die dem Original in nichts an einem schauspielerischen All-Star- nachsteht. Für einen US-amerikanischen Ensemble erfreuen. Authentisch füllen Unterhaltungsfilm ist das Ende DiCaprio, Damon, Nicholson, Wahlberg, ungewöhnlich. Doch stammt diese Idee Sheen und Baldwin ihre Rollen aus. Die aus dem fernen Osten und wurde in Verbrecher sind halt brutal, deren Jäger zwei weiteren Filmen aufgegriffen. Dreht treten glücklicherweise ohne das übliche Scorcese wohl möglich bald seine erste Heldengebahren auf. Fortsetzung? lil in Spanien durch eine überraschende 180°-Wendung mit „FreiheitGleichheit-Brüderlichkeit“-Parolen als deren Hauptankläger zurück. Als tragische Gestalt tritt Goyas Muse Inés zutage, die unschuldig nach Folter und Kerkerhaft im Irrenhaus landet. Natalie Portman versteht es in ihrer Doppelrolle, sowohl die unschuldig gequälte Psyche der Inés Wer? Javier Bardem! Quelle: TOBIS Film als auch die kalkuliert eingesetzten ausleben kann, ohne jedoch seine Augen Reize der Prostituierten Alicia eindringvor den sozialen Missständen zu ver- lich darzustellen. schließen, wandelt sich in Zeiten von Durch die präzise Kostümwahl und den Besatzung und Bürgerkrieg. Seiner Dreh an spanischen Originalschauplätze moralischen Aufrichtigkeit steht der sowie die dezente Farbgebung und schmierige Wendehals Lorenzo (Javier Ausleuchtung ist ein Historiendrama Bardem) gegenüber. Zunächst als ein mit fast greifbaren Bildern entstanden. Hauptverfechter der allgegenwärtigen Zudem trägt die Darstellung vermeintliInquisition tätig, kehrt er nach dem cher „Befreiungsarmeen“ erschreckend aha Einmarsch der napoleonischen Truppen aktuelle Züge.
Eine Familie am Rande des Nervenzusammenbruchs Familie kann man das nicht wirklich nennen. Der Opa (Alan Arkin) kifft ständig und fliegt deshalb aus dem Altersheim. Der Sohn (Paul Dano) trotzt der Welt seit einem halben Jahr schweigend. Der Schwager (Steve Carell) überlebt einen Selbstmordversuch und muß nun rundum betreut werden. Die Hauptfigur Richard Hoover (Greg Kinnear) verspricht in Motivationskursen lebensverbessernden Erfolg. Dafür müssen Teilnehmer nur neun Stufen erklimmen. Sein eigenes und das familiäre Leben scheinen nicht verbesserungsfähig. Einzig die sieben-
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jährige, etwas pummelige Tochter Olive (wunderbar: Abigail Breslin) strahlt Optimismus aus. Positiv wirkt ihr Traum, am jährlichen Schönheitswettbewerb „Little Miss Sunshine“ teilzunehmen. Sie erhält eine Einladung und die ganze Familie – die keine mehr ist – macht sich auf den Weg nach Kalifornien. Große und kleine Katastrophen während der Fahrt stellen die Figuren auf eine harte Probe. Doch Olives kindlicher Optimismus darf nicht erschüttert werden, denn der Wettbewerb steht über den individuellen Interessen der Fahrgemeinschaft.
Kämpferisch lösen die Einzelgänger ihre familiären Probleme und eine alte neue Gemeinschaft ist geschaffen. In ihrem Regiedebüt verzichten Jonathan Dayton und Valerie Faris auf große Emotionen. Leise Töne, kleine Gesten und wachsendes Vertrauen machen die Familie aus. Schonungslos stellt sich der Alltag der Hoovers dar und trotz der Einfachheit der filmischen Mittel überzeugt der Film. Die generationenübergreifend großartigen Darsteller sind das Aushängeschild dieser US-amerikanischen IndependentProduktion. lil
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Jonathan Dayton und Valerie Faris‘ „Little Miss Sunshine“
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theater
Für die Knirpse Sterben für die Liebe Kekse, Kakao und viele Kissen zum Einkuscheln: dies ist nicht eben die übliche Ausstaffierung einer Buchlesung. Diese Veranstaltung ist aber besonderer Art und nicht – jedenfalls nicht vornehmlich – für erwachsene Literaturfans, sondern für Kinder gedacht. Die Rede ist von der Reihe “Hörmalzu”, die am 22. Oktober im Theater auf der Probebühne begann. Bis März des nächsten Jahres wird einmal im Monat immer sonntags ein Mitarbeiter des Theater Vorpommens Kindergeschichten vortragen. Die Idee dazu hatte die Theaterpädagogin Petra Weimann. “Wir wollen einfach auch Familien mit jüngeren und jüngsten Kindern ein Angebot machen”, sagt Weimann. Besonders jetzt, in der dunklen Jahreszeit, wenn das Wetter kaum noch zu Aktivitäten draußen einlädt, hoffe man, Eltern und ihrem Nachwuchs eine Alternative zu bieten. Zum Auftakt der Reihe war die Resonanz allerdings noch gering, wofür laut Weimann die nicht optimal angelaufene Werbung verantwortlich ist. Dennoch: zehn kleine Hörer fanden sich mit ihren Eltern im TaP ein, um in gemütlicher Atmosphäre gespannt Julia Lammertz, Pressesprecherin am Theater Greifswald, zu lauschen. Noch einmal ein Kind sein können... . rh
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Das Theater Vorpommern zeigt Puccinis “Tosca” Wenn Zwei sich streiten, dann freut sich bekanntlich der Dritte. In der italienischen Oper wird niemand glücklich und es endet alles in einem Blutbad.
als Mörderin beschuldigt. Sie sieht keine andere Möglichkeit, als Selbstmord zu begehen. Trotz dieser Todsünde wirkt der Suizid wenig spektakulär und zu unbeholfen.
Im Stück geht es um die Rivalität zwischen Cavaradossi (Michael Renier) und Scarpia (Anatolij Orel). Beide kämpfen um Tosca (Dagmar Žaludková), die gleichzeitig der Oper ihren Namen gibt. Spielort ist das umkämpfte Rom, Anfang des 19. Jahrhunderts, zur Zeit Napoleons. Dieser Zeit sind daher auch Kleidung und Frisur glaubhaft angepasst. Einerseits ist es schwierig, der Handlung zu folgen ohne die Vorgeschichte zu kennen. Zudem ist die Übersetzung nicht synchron mit dem italienisch gesungenen Text, was das Verständnis noch Beherzt: Tosca und Cavaradossi schwieriger macht. Quellen: Theater Vorpommern Tosca und Cavaradossi sind ein Liebespaar und können dank Mimik und Gestik ihre Leidenschaft sehr überzeugend darstellen. Jedoch wird ihr Glück durch den machtbesessenen Scarpia getrübt. Im Stück foltert er Cavaradossi physisch und damit Tosca psychisch. Jedoch wirkt der Darsteller Scarpias zu steif in der Rolle des Sadisten. Tosca muss das unmoralische Angebot Scarpias annehmen, um ihren Geliebten zu retten. Sie kann Scarpia aber während des nicht ganz vollzogenen Aktes töten, das Blut an ihren Kleidungsstücken und Händen ist deutlich erkennbar. Zunächst scheint es auch, dass Tosca Cavarandossi retten kann. Doch obwohl sie Scarpias Betrug erkennt, wird Cavaradossi erschossen. Kurz darauf entdeckt man Scarpias Leiche und Tosca wird sofort
Die Uraufführung Giacomo von Puccinis fünfter Oper hat in Rom vor über 100 Jahren stattgefunden. Das Publikum war sowohl damals in Rom als auch heute im Theater Vo r p o m m e r n begeistert. Jedoch trieb es den Beifall hier auf die Spitze. Jeder Akt wurde beendet wie ein Höhepunkt und auch Arien wurden mittendrin bejubelt. Die Atmosphäre im Theater Vo r p o m m e r n kann man nicht mit der Berliner Staatsoper vergleichen. Unabhängig vom Ort ist doch Aussage der Oper klar und deutlich. Man muss für die Liebe kämpfen, notfalls auch dafür sterben.Aber auch andere Themen werden angesprochen, wie die Verfolgung politisch anders Denkender. Die begleitende Musik, dirigiert von Prof. Mathias Husmann, sowie die Bühnengestaltung unterstreichen das Gesamtkonzept. Die Oper ist für Romantiker mit einem Hang zur Tragik besonders zu empfehlen. Aber auch Freunde der Oper werden auf ihre Kosten kommen. Wer sich ein eigenes Bild davon machen möchte, kann am 17. November im Großen Saal des Theater Vorpommern vorbeischauen.
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Rütli lässt grüßen
Detlev Bucks „Knallhart“
Jugend forscht falsch verstanden. ganz eigenen Handschrift griffig umzusetzen. Wenig plausibel erscheint lediglich Michaels allzu beiläufige Berufung in die türkische Unterwelt. Wirklich sehenswert machen „Knallhart“ Bucks subtile Inszenierung kurioser Kleinigkeiten und die liebevoll gezeichneten Nebenfiguren. Herrlich
Verstaubt
Dem Glamour der westamerikanischen Metropole Los Angeles entzieht sich der Lyriker Arturo Bandini gekonnt. Eine billige Absteige dient als Bleibe. Übermotiviert, aber arrogant möchte Bandini ein Werk schaffen, welches das Überleben menschlicher Existenzen in der Stadt der Engel der 1930er Jahre aufnimmt. Problematisch wirkt sich aber die Unerfahrenheit des Schriftstellers aus. Bandini muss sich entscheiden: entweder lebend Erfahrungen sammeln oder geistige Vorstellungen des Daseins tippen. Meist träumerisch und höflich, aber im Fall der mexikanischen Serviererin Camille Lopez provozierend und aggresiv, ist des Protagonistens weiblicher Umgang. Robert Towne verantwortete die Realisation der Verfilmung des John Fante-Romans „Ask the Dust“. Beide Künstler hatten mit Problemen zu kämpfen: Fante mit seiner italienischen Abstammung und der mangelnden Akzeptanz als Amerikaner und vor allem CineExtra im CineStar Greifswald jeden Mittwoch um 17.15 Uhr und 20.15 Uhr für nur 4,50 Euro
Quellen: Universum Film
widerwärtig fallen dabei die Auftritte von Christian Ulmen und Jan Hendrik „Mux“ Stahlberg als überkandidelte Yuppie-Wichte aus. Über das übliche Beiwerk hinaus bietet die DVD wenig Spektakuläres. Durchaus launig ist allerdings der nordisch-nonchalante AudioKommentar von „Regievogel“ Buck. jk
Bedrückend
Robert Townes „Ask the Dust“
Shinya Tsukamotos „Haze“
als Schriftsteller. Die Figur des Bandini ist Fantes Alter Ego. 30 Jahre lang kämpfte der „Chinatown“-Drehbuchautor um die filmische Umsetzung des Romans. Erst im Rentenalter begannen die Dreharbeiten in Südafrika. Das Land doubelt das Amerika der Depressionszeit. Ein deutscher Medienfonds stemmte das Budget und der neue United Artists-Mitbesitzer Tom Cruise produzierte. Die Konstellation wird vor der Kamera durch den Iren Colin Farrell und die Mexikanerin Salma Hayek komplettiert. Die Internationalität der Produktion kann die amerikanische Geschichte jedoch nicht genügend aufnehmen. Unverständlich wirken die Beweggründe der Akteure vor der Kamera. Ansprechend ist dagegen die Kameraführung Caleb Deschanels. Mit der Ausstattung der deutschen DVD kann sich nicht geschmückt werden: ein kurzweiliges Making-of und der nicht untertitelte Audiokommentar lohnen nicht. bb
Beklemmende Enge. Allumfassende Dunkelheit.Tief unter der Erde befindet sich ein namenloser Mann (Kaori Fujii) eingeschränkt in seinen Bewegungen wieder. Fragend und frustrierend stellt sich er sich der Herausforderung, Antworten und einen Ausweg aus seinem Gefängnis zu finden. Die erste Hälfte des japanischen Kurzfilms ist der Protagonist sowohl Absender als auch Empfänger seines eigenen Leides. Auf dem Weg zum interpretationswürdigen Ende wird eine „Mitspielerin“ getroffen... . Multitalent und Filmallrounder Tsukamoto verschleppt den Zuschauer in einen Höllentrip. Nahe und nächste Kameraaufnahmen machen das Elend der Figuren spürbar. Die simple Handlungsbasis läßt US-amerikanische Vorbilder erahnen, geht über diese aber sowohl filmisch als auch existenzial hinaus. Zelluloide Intelligenz ist gefordert. Dank der DVD-Extras ergeben sich Aufschlüsse über den Krieg gegen die eigene Unkenntnis. bb
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Seit Filmen wie „Karniggels“ und „Männerpension“ könnte man Regisseur Detlev Buck mit seinem Händchen für filmische Skurrilitäten als eine Art Tarantino des norddeutschen Flachlands bezeichnen. Sein neuester Film, das Sozialdrama „Knallhart“, beschreitet nur scheinbar neue Wege. Der fünfzehnjährige Protagonist Michael findet sich nach dem abrupten sozialen Absturz seiner Mutter, eines in die Jahre gekommenen High-Society-Luders (sich scheinbar selbst spielend: Jenny Elvers), unversehens mitten im hauptstädtischen sozialen Brennpunkt Neukölln wieder. Schnell bekommt er zu spüren, was es heißt, selbst ein deutscher „Migrant“ im Reich der türkischen Minderheit zu sein. Vom Strudel der Gewalt erfasst, treibt es Michael in die Fänge der wohlwollenden Unterweltgröße Hamal, der ihm einen scheinbaren Ausweg aus seinem „Opferdasein“ aufzeigt. Atmosphärisch und inhaltlich irgendwo zwischen Akins Kiezdrama „Kurz und Schmerzlos“ und De Niros „Straßen der Bronx“ wird viel Altbekanntes serviert. Dennoch schafft es Buck zumeist, die ärgsten Klischees zu umschiffen und den von ihm bisher nicht bekannten gesellschaftskritischen Ansatz mit seiner
15.11 Geheime Staatsaffären 22.11. Emmas Glück 29.11. Volver - Zurückkehren 6.12. Der freie Wille 13.12 Thank you for Smoking
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wortspiele
Spur der Seiten
Internationale Autorentagung „Junge Literatur in Europa“ der Hans Werner Richter-Stiftung
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Fricke noch schreibt und der den vorläufigen Titel „Durst ist schlimmer als Heimweh“ trägt. Ein junges Mädchen von etwa 16 Jahren wird in einer WG, man könnte fast Heilanstalt sagen, aufgenommen. Sie ist ebenso distanziert wie die „Drachentochter“, lebt aber in einer ganz anderen Zeit. Mit einer Leichtigkeit, welche fast einer Kamerafahrt gleicht, beschreibt die junge Autorin das Leben Judiths, die eben jenes wieder auf die Reihe zu bekommen versucht. Ein flaues Gefühl stellt sich ein, wenn die junge Protagonistin dem Leser das normale Leben madig macht - und doch fühlt man mit, leidet und will wissen, wie es ausgeht. Schade, dass wir noch wenigstens zwei Jahre warten müssen, bevor der Roman in den Verkaufsregalen landet. Bei der Frage, warum sie selbst genau diese Geschichte schrieb, zog Lucy Fricke dann doch die Augenbrauen hoch, suchte nach Antworten in den Reihen ihrer Kollegen, wurde nervös und sagte, „dass manches eben geschrieben werden muss.“ Insgesamt waren es 14 Autoren, welche an diesen drei Tagen ihre Werke vorstellten und vielleicht ist es eben genau das, was die junge Literatur so reizvoll macht: die Autoren suchen im Kleinen nach Identität, haben Gefühle, die aufgeschrieben werden müssen, an denen wir im Kleinen teil haben dürfen und uns dann selbst die Frage stellen können, wer wir sind, und was wir leisten - im 21. Jahrhundert? ch
Quelle: ch
Zum Beispiel die Generation derer, die in der DDR aufgewachsen sind, die Wende im Sturm ihrer eigenen Jugend erlebten und sich danach zurecht finden mussten. Sie wollten nicht, sie mussten und müssen eben jene Worte erzählen. Und die Worte sind es auch, welche im Vordergrund stehen, nicht der Autor. Seine Aussage, seine Botschaft, eben das, was geschrieben werden musste. So war es auch bei Kerstin Mlynkec. Sie machte sich zunächst einen Namen als Fotografin und Filmschaffende. Doch das schien ihr nicht zu reichen. In ihrem Buch „Drachentochter“, eine Ich-Erzählung, ein Entwicklungsroman oder auch ein Sparten- oder Randgruppenwerk, geht es um ein junges sorbisches Mädchen, welches wie durch eine Kamera in eine Welt sieht, in ein System, das, wie die Autorin sagt „sich selbst freilegte“. Bevor sie die Frage beantwortete, warum ich als Nicht-Sorbe dieses Buch lesen sollte, runzelte Kerstin Mlynkec die Stirn, fand aber doch schnell eine prägnante Antwort: „Ich habe eine Tochter, die einst in der Schule beauftragt wurde, herauszufinden, wir ihre Eltern die DDR erlebten. Doch was wissen Kinder schon über dieses Leben ihrer Eltern mehr, als jene romantischen Erinnerungen die noch übrig sind? Dieses Buch stellt eben jenes Leben so nackt und klar dar, wie es war.“ - Und nackt und klar ist auch ihr Stil, der manchmal mehr mit dem Wie, als dem Was spielt. Um eine andere Identität geht es wiederum in dem Roman, an dem Lucy
Gernot Wolfram, Kerstin Mlynkec
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Wie groß würde es wohl werden, wenn es heißt „Junge Literatur in Europa“? Wie groß, wenn diese im Internationalen Begegnungszentrum statt fände? Wie groß, wenn dort Autoren lesen, welche schon fast jeden Literatur-Preis gewonnen haben, den es zu gewinnen gilt? Und schließlich, ganz naiv, warum macht man das? In der Bahnhofstraße 2/3 gibt es einen Raum, der durch nichts abzulenken versucht, etwas Stuck, der schon immer da war, kahle weiße Wände, zwei moderne eintönige Kunstwerke und eine Hand voll roter Stühle auf grauem Boden. Kaum mehr als 50 Besucher konnten so Platz finden und nicht jeder Stuhl wurde besetzt. Man war sparsam mit der Werbung umgegangen und wollte vielleicht auch gar nicht, dass die Welt an diesen drei Tagen genauer hinsieht. Wer aber mitbekam, dass Anfang November die Internationale Autorentagung statt fand, hatte eine einmalige Gelegenheit, auf Augenhöhe, manchmal Schulter an Schulter und Bein an Bein neben denen zu sitzen, welche die Welt – ihre Welt – nein, ihre Sicht in Büchern beschreiben und festzuhalten versuchen. Und das nicht nur mit Erfolg, sondern auch auf eine Weise, der man gern zuhört, der man gern lauscht, von der man mehr will. Clemens Meyer, Gernot Wolfram oder Rein Raud sind Namen, die nicht jedem etwas sagen, vielleicht noch nicht. Es ist eine junge Literatur, die noch sucht, die eine ganz andere Generation anspricht.
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unterwegs
Gehört die Ukraine zu Europa? Ein Reisebericht von Christian Willy Bülow
Die Ukraine ist ein Land, das sich an der Gabelung des europäischen und russischen Weges befindet. Einerseits sind in den letzten Jahren grundlegende Schritte zur Herausbildung einer demokratischen Struktur unternommen worden, andererseits ist der russische Einfluß auf die Politik und Wirtschaft des Landes nach wie vor wesentlich.
Ländlicher Raum Diese Unterschiede wurden deutlich, als wir die Grenze von Polen in die Ukraine mit unserem Kleinbus passierten. Der Mercedes Sprinter wurde
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durch die etlichen Schlaglöcher in den Landstraßen durcheinander geschüttelt. Im Übrigen gibt es in der Ukraine keine Autobahnen. Die ständigen teilweise heftigen Erschütterungen und das dröhnende Geräusch des vibrierenden Busses machten die Fahrt zu einer anstrengenden Angelegenheit. Die Dörfer, durch die uns unsere Reise bis Kiew führte, waren malerisch und archaisch. Die Grundstücke an den Wegesrändern waren meistens von landwirtschaftlichen Elementen geprägt. Obstbäume, Gemüsebeete, Hühner oder Rinder alles war in so unterschiedlichen Formen zu finden. Die Häuser hatten einen alten, aber nicht heruntergekommenden Charakter. An diesem warmen Juliabend erblickten wir ebenfalls viele ältere Menschen an diesen Straßenrändern, die sich mit ihren Nachbarn unterhielten oder ihre Kühe ausführten. Den größten Teil der Busfahrt durchquerten wir jedoch die ewigen Weiten der Wolynischen Tiefebene. Die Abendsonne ließ die an sich unspektakuläre Landschaft trotzdem in einem anziehenden Licht erscheinen.
Die Ukraine ist aber nicht nur ein Land von Bauern. Wie in fast allen Ländern der Erde war der Unterschied zwischen Land und Stadt gewaltig. Goldenes Antlitz Die Haupstadt der Ukraine ist Kiew. Obwohl es keine Wolkenkratzer in der Stadt gibt, glänzt das 2,5 Mio. Einwohner Zentrum am Dnjepr durchaus mit einem einzigartigen Metropolcharakter. Das imposante Bahnhofsgebäude strahlte nachts mit einem runden grünen Schriftzug „вокзал“ („Bahnhof“) eine sommerliche Wärme aus. Das Gebäude ist über 200 Meter lang und beeindruckt durch seine Ockerfarben. Die unzähligen Kirchen der Stadt sind weder von gotischen noch barocken Zügen geprägt. Die in Osteuropa weit verbreiteten Kirchen verfügen über ein spektakuläres Antlitz. Die Grundmauern sind meistens in hellblauen Farben gehalten, wobei monumentale weiße Säulen mit eingearbeitet sind. Die Kuppeln erheben sich in metallischem Gold und sind einfach einzigartig und schön.
universum
Als Nachfolgestaat der Sowjetunion wurde die Ukraine 1991 unabhängig. Es hatte bis dahin noch nie ein ukrainischer Staat in diesen Grenzen existiert. Eine Nationalbewegung wurde in der Geschichte immer wieder durch diverse Fremdherrschaften unterdrückt. Auch durch den Fakt, dass es erst 1996 gelang, eine Verfassung zu verabschieden die ein sehr präsidentielles System vorsah, gestaltete sich der Transformationsprozess durchaus länger und schwieriger, als in den meisten anderen post-kommunistischen Ländern. Die wirtschaftliche Rückständigkeit ist nach wie vor immens, da das Land 2004 nur etwa 60 Prozent des Bruttosozialproduktes von 1989 verzeichnen konnte. Das Bruttoinlandsprodukt der gesamten Ukraine ist etwa so groß wie das der Hansestadt Hamburg.
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unterwegs
universum
Im Osten was Neues ?
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Der Maidan („Revolutionsplatz“) in Kiew war zu dieser Zeit besonders eindrucksvoll. Gegen Ende des Jahres 2004 hatten auf diesem Platz zehntausende für freie Präsidentschaftswahlen in der Ukraine demonstriert. Die EU und die OECD erkannten die Wahl am 22. November 2004 als nicht demokratisch an. Der russische Präsident Putin deckte und unterstützte den vermeintlichen Wahlsieger Wiktor Janukowitsch. Jedoch wurde durch das Oberste Gericht der Ukraine eine Wiederholung der Wahl für den 26. Dezember 2004 angesetzt. Aus dieser ging der pro-westliche Kandidat Wiktor Juschtschenko als Sieger hervor. Dieser fiel im Vorfeld der Wahlen einem Giftanschlag zum Opfer. Seinen Siegeszug konnte der Reformer nur mit einem vernarbten und sichtlich gezeichneten Gesicht feiern. Juschtschenko verkündete das Ziel einer NATO- und EU-Mitgliedschaft und steuerte, im Gegensatz zu seinem Vorgänger Leonid Kutschma, einen radikaleren, westlichen außenpolitschen Kurs an. Doch nicht mal ein Jahr nach dem Erfolg der „Orangenen Revolution“ zerbrach die Koalition im Spätsommer 2005 und die schöne Ministerpräsidentin Julia Timoschenko, welche als Markenzeichen einen geflochtenen Rosenkranzzopf trug, schied wegen Differenzen mit dem Präsidenten aus der Exekutive aus. Die Parlamentswahlen im März 2006 brachten keine Bestätigung mehr für das „Orangene Lager“. Die Partei des Präsidenten „Unsere Ukraine“ verzeichnete rapide Stimmenverluste und konnte mit aller Mühe nur noch etwa zwölf Prozent auf sich vereinen. Die stärkste Fraktion stellte nun der pro-russische Block der „Partei der Regionen“, welchem der alte Widersacher Juschtschenkos, Janukowitsch, als Parteivorsitzender vorstand. Dieser war somit zurück im politischen Geschäft. Bis zu unserer Reise im Juli war immer noch keine Regierung gebildet worden. Eine mögliche Koalition des Blocks Julia Timoschenkos, „Unsere Ukraine“, und den Sozialisten war Mitte Juni schon vereinbart. Plötzlich sprengten die Sozialisten jedoch dieses Bündnis. Die letzten Alternativen waren eine Neuwahl oder eine Koaltion der alten Reformer und der Partei der Regionen, wobei Juschtschenko seinen alten Widersacher Janukowitsch hätte ins Amt des Ministerpräsidenten verhelfen müssen. Mitte Juli störte Julia Timoschenko eine Parlamentssitzung mit einem Megaphon und protestierte
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gegen eine „Große Koaliton“. In dieser unklaren Situation besuchten wir nun Kiew und den Platz, der eine freie und gleiche Wahl überhaupt erst möglich machte. Der „Maidan“ ist ein quadratförmiger, etwa zwei Hektar großer Platz. Unzählige Zelte und Informationsstände der unterschiedlichsten Parteien säumten diesen Platz. Europaflaggen und Russlandfahnen wehten im Schatten einer über 100 Meter hohen Säule. Die Spitze dieser Säule krönte eine große weibliche Statue, die einen goldenen Zweig über ihren Kopf hält, der die beiden nach oben ausgestreckte Arme verbindet. Der „Maidan“ ist ein historischer und symbolischer Ort. Die politische Polarisierung der Gesellschaft zwischen dem europäischen und dem russischen Weg trat hier einmal mehr offensiv zu Tage. Trotzdem gibt es eine Region, in der die Spaltung der Gesellschaft zwischen Traditionalismus und Moderne noch deutlicher wird: Die Krim. Bier, Islam, Gebirge Die Schwarzmeerhalbinsel Krim hat etwa zwei Millionen Einwohner und ist größer als Brandenburg und MecklenburgVorpommern zusammen. Im Norden breitet sich eine große Tiefebene aus, die eine unspektakuläre Steppenlandschaft beherbergt. An der südlichen Spitze zieht sich das Krimgebirge direkt an der Küste entlang. Als Teil der kaukasischen Gebirgsbildung erreichen die Berge über 1200 Meter Höhe und gönnten uns einen wunderschönen Blick vom höchsten Gipfel nahezu direkt hinab zum Meer, das sich in ewigen Weiten verliert.
Bis heute steht die Krim unter islamischem Einfluß. Die Krimtataren wurden 1944 durch Stalin nach Sibirien deportiert. Seit den 1980er Jahren pilgert diese muslimische Minderheit wieder zurück zu ihrer alten Wirkungsstätte. Heute sind - mit steigender Tendenz - über zehn Prozent der Einwohner auf der Krim muslimisch. Das Zentrum für diese ist der sehr alte Ort Bachthisaraij. Unsere Unterkunft war ebenfalls in dieser Stadt, die sehr provinziell wirkte. Die sengende Hitze und die flachen und spartanischen Gebäude erinnerten uns bei unserer Ankunft an ein mediterranes Dorf. Es gab keine Supermärkte, sondern nur immer kleinere „Tante-EmmaLäden“. Der osteuropäische Charakter zeigt sich am deutlichsten darin, dass das Straßenbild zur Hälfte von alten Ladas geprägt ist. Auch Taxis und Polizeiautos rekrutierten sich aus diesen, welche sicherlich noch aus Sowjetzeiten stammen. In Bachthisaraij sollte der Hauptteil der Reise beginnen, auch weil wir zu diesem Zeitpunkt mit russischen Studenten aus St. Petersburg zusammentrafen. Sie wohnten größtenteils in unserem „Hotel“. Nahezu jeden Abend saßen wir im interkulturellen Austausch zusammen, tranken Bier oder spielten Gitarre. Gemeinsam unternahmen wir diverse Wanderungen und informierten uns über die wichtigsten Industrieprodukte der Krim, - Wein und Lavendel- in Produktionsfabriken. Mit dem Bus fuhren wir entlang der gebirgigen Südküste. Die steilen Straßen und Serpentinen hinauf und hinab der Berge führten uns durch eine wunderschöne Landschaft, die teilweise völlig unberührt wirkte. Nach mehreren Stops erreichten wir unser Tagesziel: Jalta.
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unterwegs
Im Livadija Palast, westlich des Stadtkerns, hatten die Allierten im Februar 1945 die Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen beschlossen. Der Garten dieses Palastes war äußerst gepflegt. Unzählige Blumenbeete beherbergten eine Farbenvielfalt, die sehr exotisch wirkte. Der erhöhte Blick über das Schwarze Meer, die präzise angeordneten Palmen und die andauernde Hitze verursachten eine Assoziation mit der Karibik an diesem historischen Ort. Das Krimgebirge verhindert den Einfluss von kalten Luftmassen aus dem Norden, so dass in Jalta ein sehr mittelmeertypisches Klima herrscht. Eine Leninstatue durfte auch in Jalta natürlich nicht fehlen, da es in jeder Kleinstadt eine Statue des alten Revolutionärs gibt. Mit der rechten Hand nach unten gerichtet, eine Papierolle haltend und mit dem linken Arm seinen Mantel fassend, posiert das eindrucksvolle Denkmal. Die sich erhebenden Berge im Hintergrund hinterließen einen denkwürdigen Eindruck. Unweit davon befindet sich eine McDonalds Filiale direkt in der Hafenbucht. Es war die erste, die wir seit Kiew ausmachen konnten. Irgendwie passte dieser Kontrast zwischen Moderne und Geschichte zusammen. Auch deswegen weil viele Touristen entlang der Hafenmole flanierten, um dem Ausblick auf das Meer zu fröhnen.
patriotischer Fahne in der Hand angriff. Diese Zeitschrift war natürlich eine radikale Stimmungsmache, jedoch spiegelte es die Ablehnung der meisten Ukrainer gegen eine westliche Einbindung des Landes wider. Sewastopol bildet hierbei die Schnittstelle für die Konfliktlinien zwischen russischen und westlichen Interessen. Daher bleibt die Situation angespannt. Europa oder Russland? In den Medien und auch zur Wahl 2004 wurde die allgemeine politische und wirtschaftliche Teilung der Ukraine in Ost und West propagiert. Es ist richtig, dass sich der östliche Teil traditionell zum russischen Nachbarn hingezogen fühlt. Ebenso richtig ist, dass sich der Westen tendenziell europäisch orientiert. Die Wahlergebnisse sprechen hier deutlich dafür. Jedoch ist die Situation wesentlich komplexer: zum einen ist das von manchen Geographen definierte Mitteleuropa (Deutschland, Österreich, Schweiz, die Benelux Länder und Dänemark) noch nicht einmal so groß wie die Ukraine. Folglich ist dieses weit zersiedelte 44 Millionen-Volk nicht so leicht kategorisierbar. Zum anderen ist die Krim eine Art ukrainischer Mikrokosmos. Über 70 Prozent der Einwohner sind Russen. Die sonst in den Werbetafeln und in den Menschen verwurzelte ukrainische Sprache und Kultur findet sich auf der Schwarzmeerhalbinsel kaum wieder.
Hitlervergleich - ein Flugblatt, alle Fotos: Kevin Neitzel
universum
Mediterranes Feeling
Hafenstadt Sewastopol die russische Militärparade beobachteten, die einmal im Jahr stattfindet. Die Stadt war überflutet von russischen Bürgern und Militärangehörigen, so dass wir dachten, wir wären in Russland und nicht in der Ukraine. Russland hat in Sewastopol nämlich immer noch einen wichtigen Flottenstützpunkt etabliert, der einer ukrainischen NATO-Mitgliedschaft im Weg stehen könnte. Wir standen inmitten von Menschen, die allesamt auf die Bucht der Stadt schauten. Im Hafen lagen vier große Panzerkreuzer direkt in einer Reihe hintereinander. Auf der anderen Seite des Ufers wurden regelmäßig Gewehrsalven abgefeuert. Eine beeindruckende Tribüne zog sich an der Küste über 200 Meter entlang und beherbergte unzählig viele Menschen. Ein U-Boot fuhr durch den Hafen und Flugzeuge warfen Fallschirmspringer in das Szenario. Diese zeigten ukrainische, vor allem aber auch russische Fahnen, die an ihren Füßen angebracht waren. Unser Sichtpunkt war eine dichtgedrängte, abschüssige Grasebene. Eine alte füllige Babuschka mit Kopftuch brüllte unverständliche Parolen und verteilte ein Propagandablatt. Auf der Titelseite waren zwei Karikaturen, die eindeutig eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine demagogisierten. Die erste Karikatur verglich das westliche Militärbündnis mit einer Hitlerfigur. Die zweite zeigte einen NATO-Soldaten, der in sehr aggressiver Art und Weise mit einem Messer bewaffnet einen russischen Jüngling mit
Gespaltene Gesellschaft Der traditionelle Einfluß wurde am deutlichsten, als wir in der
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unterwegs Nur ein paar Tage nach unserer Abreise ereignete sich eine größere gewalttätige Auseinandersetzung zwischen muslimischen Tataren und russischen Händlern auf einem Markt in Bachthisaraij. Dies zeigt, dass die ethnischen Konflikte keineswegs gelöst sind. Am Tag unserer Ankunft in Deutschland wurde der pro-russische Wiktor Janukowitsch zum Ministerpräsidenten gewählt. Der immer noch amtierende pro-westliche Präsident Juschtschenko war nach langen Auseinandersetzungen dazu gezwungen, dies zu akzeptieren. Damit befindet sich das Land in einem politschen Patt, das in den nächsten Jahren eine deutliche Festlegung auf einen Weg, Europa oder Russland, verhindern wird. Zusammenfassend kann man sagen, dass der Kultur- und Wissensaustausch auf der Krim und vor allem auch mit den russischen Studenten für uns Deutsche
eine große Bereicherung war. Die Kultur dieses jungen Nationalstaates ist eine einzigartige Mischung aus muslimischen, europäischen und russischen Einflüssen. Ob die Ukraine nun zu Europa gehört oder nicht lässt sich nicht präzise feststellen. Einerseits sind die historischen Gemeinsamkeiten nicht negierbar. Andererseits wacht Russland immer noch wie ein großer Bruder über das Land (siehe Militärstandort Sewastopol). Wenn man aber berücksichtigt, dass die Türkei in die EU aufgenommen werden soll, dann darf man der Ukraine mittelfristig nicht die Tür vor der Nase zuschlagen. Die Ukraine hat auf jeden Fall noch einen weiten Weg vor sich, bis man wirtschaftlich und politisch zu Europa gehört. Trotzdem gibt es seit 2004 endlich freie Wahlen, was eine große Errungenschaft darstellt. Die Ukraine ist unterwegs, aber der Zug hat Verspätung.
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Das Geographische Institut zeigt am 22. November um 20 Uhr im Geokeller eine Dokumentation der Exkursion. Interessierte sind herzlich willkommen.
„Maidan“-
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festival, nachhilfe
Kein Kartoffelbrei
polenmARkT: 17. - 27. November in Greifswald Zehn Tage weht in der Stadt die weiß-rote-Flagge. 22 Veranstaltungen bieten die Möglichkeit, Polen kulturell und politisch kennenzulernen. moritz sprach mit dem Vorstandsmitglied des polenmARkT e.V., Dr. Ulrich Rose. moritz: Erstsemester fragen sich sicher, was der polenmARkT ist. Dr. Ulrich Rose: Der Verein polenmARkT e.V. veranstaltet in Greifswald ein polnisches Kulturfestival für Deutsche. Zum nunmehr neunten Mal wird die Kultur des östlichen Nachbarn durch den anarchischen Charakter eines Marktes wiedergegeben. Der polenmARkT besitzt kein starres Konzept, denn jeder Veranstaltungsor t zielt als „Marktstand“ auf sein eigenes Publikum ab. In den verschiedenen Angeboten, seien es die Lesungen, Filmvorführungen oder Konzerte spiegelt sich dies wieder. Somit kann sich jede Altersgruppe angesprochen fühlen. Stechen Programmperlen hervor? Zum einen ist die Podiumsdiskussion zwischen deutschen und polnischen Journalisten zu nennen. Sehr verschiedene und kritische Beiträge gegenüber dem Verhältnis zwischen den beiden Staaten sind
zu erwarten. Zum anderen beehrt uns der polnische Schriftsteller Andrzej Stasiuk. In seinen Büchern nimmt dieser eine kritische Distanz gegenüber seinem Heimatland ein. Stasiuk ist in seinem Land so bekannt und viel diskutiert wie jeweils Paul Auster oder Günter Grass. Auch in diesem Jahr wird wieder im Rahmen des polenmARkTs der „Förderpreis für deutschpolnische Zusammenarbeit an der Universität Greifswald“ verliehen. Die Preisträgerin ist Franziska Tanneberg vom Botanischen Institut. Sie untersuchte grenzübergreifend die Vogelart des Seggenrohrsängers.
wir von Lehrenden und Studenten. Diese kommen vor allem aus dem Historischen Institut, vor allem natürlich vom Lehrstuhl für osteuropäische Geschichte, aber auch aus der Slawistik.
Wer unterstützt den polenmARkT? Erstmalig steht das Kulturfestival unter der Schirmherrschaft der Polnischen Botschaft. Sobald die Botschaft in Berlin endgültig reorganisiert ist, wird wahrscheinlich der Botschafter persönlich Schirmherr. Wie in den letzten Jahren werden wir außerdem durch die Stadtverwaltung der Hansestadt, der Universität Greifswald, der Sparkasse Vorpommern, dem AStA, anderen Institutionen und privaten Sponsoren gefördert.
Mit welcher Zuschauerresonanz rechnen Sie in diesem Jahr? Um die 1000 Zuschauer kamen in den letzten Jahren zu den verschiedenen Veranstaltungen. Das Ziel in diesem Jahr sind 1100.
Wie verläuft die Zusammenarbeit des polenmARkTs mit der Universität? Personelle Unterstützung erhalten
Welchen Einfluß haben mögliche Kürzungen in der Hochschule? Reduziert sich die Universität auf ihre medizinischen und juristischen Fächer, leidet das kulturelle Leben in der Hansestadt. Der polenmARkT lebt von der Geisteswissenschaft. Vor allem von den sprach-, literaturund geschichtswissenschaftlichen Studiengängen.
Wo sind die Karten erhältlich und gibt es einen Festivalpass? An den jeweiligen Veranstaltungsorten. Auf einen Pass verzichten wir, da dies dem Marktcharakter widerspricht und die Veranstaltungen sehr unterschiedliche Zuschauergruppen ansprechen. Das Gespräch führte Björn Buß
Braucht das Genie Anstöße? Einfach anfangen. Dieser Slogan ist unübersehbar präsent in Greifswald. Existenzgründung ist das Schlagwort. Zwei Greifswalder Studenten haben angefangen. Christoph Neumann (22) und Robert Bialowons (27) sind die Gründer der Personengesellschaft Genius. Die angehenden Betriebswirte bieten seit dem 1. Oktober in ihrem Unternehmen Lernkurse für Studenten aller Fachrichtungen an. Entweder aus sehr guten Studenten oder aus wissenschaftlichen Mitarbeitern rekrutieren sich die Lehrenden. „Die Umstellung zwischen der Schule und der Universität gelingt nicht jedem Studierenden“, bedauert Christoph Neumann. Seine Erfahrungen als BWLTutor bestärkten ihn, dass Bedarf an
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außeruniversitären Lernangeboten besteht. Die Genius-Kurse sollen nicht nur schlechte Leistungen verbessern helfen, sondern neben der traditionellen Nachhilfe auch zur Kontrolle der eigenen Fähigkeiten dienen. Herrscht Bedarf an einem bestimmten Fach, beispielsweise zum Bestehen der Rechtprüfung für das BWL-Vordiplom, kümmern sich die beiden Gründer um einen geeigneten Lehrenden. Ein Erfolg kann - wie bei jeder Nachhilfe - nicht garantiert werden. Immerhin gehört ja das Selbststudium zum Studentendasein dazu. Lerngruppen, egal ob privat oder institutionell organisiert können aber förderlich sein. Nicht nur für die Prüfungen. bb Informationen: www.genius-lernen.de
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Nachhilfe für universitäre Erfolgsmeldungen
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reingeschaut
Wie Bazillen Spielgefährten werden ... Europäische Forschung in Greifswald Man könnte sie als Kinder bezeichnen, die in den Laboren von Prof. Michael Hecker forschen. Der angesehene Wissenschaftler ist dann wohl ihr Peter Pan. Kinder sind Naturwissenschaftler in persona. „Sie ZEIGEN auf alles!“, betreiben „elementare Physik“, indem sie einfach lernen, zu leben, berichtete die Expertin für Bildung in frühen Jahren, Dr. Donata Elschenbroich, in einem Interview mit dem Deutschen Jugendinstitut im Jahre 2005. Zuerst fragen sie neugierig immer nur Warum, dann kommt plötzlich Mathematik hinzu. Und wenn sie das verstanden haben, müssen sie die plötzlich auch noch in den unterschiedlichsten naturwissenschaftlichen Disziplinen in Schule und eventuell auch Studium anwenden. Da brauchen sie einen langen Atem und den besitzen nicht viele – die wenigsten von ihnen finden sich dann tatsächlich beruflich in einem Labor wieder.
Wer allerdings bei Michael Hecker – im Institut für Mikrobiologie der ErnstMoritz-Arndt-Universität – vorbeischaut, dann ist man plötzlich mitten unter ihnen – den groß gewordenen Kindern, die noch immer eine der grundlegendsten Fragen antreibt: Wie funktioniert das Leben? Dieser Frage widmet sich auch der Biochemie-Student Jan Muntel in seiner Diplomarbeit. Er gehört zu einem über fünfzigköpfigen Team von Wissenschaftlern der Arbeitsgruppe um Prof. Hecker, die unter anderem den Modellorganismus „Bacillus subtilis“ untersucht. Dabei konzentriert er sich auf fünf Proteine, den so genannten „Spielern des Lebens“ (1), und deren Interaktionen innerhalb von Bacillus subtilis. „Ziel war es, durch das Auffinden von Interaktionspartnern Hinweise auf die Funktionsweise zu finden. Bei einem Protein konnte ich eine Interaktion
mit dem Ribosomen nachweisen“, erzählte er. Welche Auswirkungen das auf das Funktionieren des gesamten Organismus hat, davon hat er allerdings noch keine Vorstellung. Dafür hat man dank ihm nun eine Ahnung, welche Aufgaben dieses Protein erfüllen könnte. Muntels Forschung ergänzt unter anderem weitere Experimente, bei denen Zellen durch Alkoholzugabe gestresst werden, um festzustellen welche Proteine in diesem Fall besonders aktiv sind, damit das Überleben gesichert ist. Das merkt man besonders bei Mutanten, in denen bestimmte Proteine ausgeschaltet wurden. Der Mutant ist dann unter Stressbedingungen nicht mehr lebensfähig. Durch Vergleiche mit normal wachsenden Zellen und gestressten Zellen werden so Hinweise auf Proteine gefunden, die unter Stressbedingungen lebenswichtig sind. Diese Proteine sind von
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Bacillus subtilis
Legende
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(1) Aussage von Prof. Michael Hecker über die Proteine
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Protein
Protease
Kampfprotein
beschädigtes Protein
nicht benötigtes Protein
Grafik: keh
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reingeschaut besonderem Interesse, da ihre genaue Funktion und Funktionsweise größtenteils noch unbekannt ist. Es muss also erst Licht gebracht werden ins dunkle Leben der Proteine. Wir waschen mit Bacillus.
Mehr Geld für Forschung Grundlagenforschung scheint die Basis des Fortschritts zu sein. Diese Auffassung vertritt offensichtlich auch die Bundesregierung Deutschland. Unverkennbar wurde besonders die Projektförderung für naturwissenschaftliche Grundlagenforschung im Gegensatz zum vergangen Jahr um fast 30 Prozent angehoben. Damit liegt sie deutlich vor allen anderen Bereichen, obwohl sie
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Jungchemiker bei DNA-Vervielfältigung
bei den Gesamtausgaben mit gerade einmal 93,6 Millionen Euro nur Platz fünf von insgesamt sechs belegt. An oberster Spitze steht noch immer die „Innovation durch neue Technologien“ mit 554,104 Millionen Euro. Das macht beinahe ein Viertel der gesamten Gelder aus, die für Forschungsprojekte aufgebracht werden. Neben dem üblichen Etat für das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), der sich dieses Jahr um 5,6 Prozent erhöht hat, stellt die Regierung zusätzlich sechs Milliarden Euro zur Verfügung. Und davon soll auch die „Grundlagenforschung profitieren“, wie Bundesministerin Annette Schavan in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung im Januar diesen Jahres mitteilte. Vielleicht liegt es aber nicht nur an ihr, dass die Regierung zunehmend auf Innovation setzt. Bereits Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte in ihrer ersten Regierungserklärung, dass die „Reform des Arbeitsmarktes“ am besten durch „Bildung und Innovation“ realisiert werden könne. Sie selbst, die mit ihrer Doktorarbeit im Bereich „Theoretische Chemie“ Grundlagenforschung betrieb, weiß um die Bedeutung von Arbeitsgruppen wie der um Prof. Hecker.
wichtige Begriffe Grundlagenforschung: wissenschaftliche Aufstellung, Nachprüfung und Diskussion der Prinzipien einerWissenschaft; legt die Grundlagen für weitergehende Forschung Interaktion: wechselseitiges aufeinander Einwirken von Akteuren oder Systemen Mikrobiologie: Teilgebiet der Biologie, Wissenschaft und Lehre von Lebewesen, die als Individuen nicht mit bloßem Auge erkannt werden können, u.a. Bakterien und Viren. Modellorganismen: Pilze, Pflanzen oder Tiere, die mit einfachen Methoden gezüchtet und untersucht werden können und deshalb von großer Bedeutung für die Forschung sind
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Tatsächlich ist nur von zwei Dritteln der Proteine von Bacillus subtilis die Funktion bekannt und das, obwohl schon seit neun Jahren die 4,2 Millionen Bausteine durch ein europäisches Forschungsnetzwerk offen gelegt wurden. Der Organismus selbst wurde bereits in den 70er Jahren benutzt. In Waschmitteln beseitigen die mit ihm produzierten Proteasen Proteinflecken wie Ei. Überhaupt schneiden enzymhaltige Waschmittel laut einer Studie des „Bayrischen Instituts für Angewandte Umweltforschung & -technik“ (2004) in nahezu allen Wirkungskategorien deutlich besser ab als traditionelle, phosphathaltige Waschsubstanzen. Sie sind nicht nur schonend zur Umwelt, sondern verringern auch die benötigte Menge pro Waschgang. Heutzutage lädt man circa 100 Gramm in die Maschine, vor dreißig Jahren war es beinahe das Dreifache. Mit beeindruckend wertvollen Maschinen wird in den Räumen des Instituts für Mikrobiologie gearbeitet. Sechs Massenspektrometer, die die Zusammensetzung der Proteine aufschlüsseln, verhelfen den Studenten zu neuen Erkenntnissen. So leisteten sie auch Jan Muntel treue Dienste und er konnte ein Protein, welches beschädigte Proteine erkennt und die Konzentration in der Zelle von Clp-Proteasen reguliert, genauer untersuchen. Jene Clp-Proteasen bauen unbenutzte und zerstörte Proteine ab und sind damit ein wichtiger Bestandteil des Organismus. Nicht nur in Greifwald forscht man intensiv an „Bacillus subtilis“. In vielen Teilen Europas, aber auch in Japan wird er intensiv untersucht. Weltweite Datenbank wie Protecs vernetzen die Forscher und informieren sie über die neuesten Entwicklungen.
Protease: bauen unbenutzte und beschädigte Proteine ab Proteine (auch Eiweiße genannt): aus zig Tausenden Bausteinen bestehendes Molekül, das zu den Grundbausteinen aller Zellen gehört; Proteine geben der Zelle die Struktur Quelle: Wikipedia
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reingeschaut Der Unbesiegbare - Staphylococcus aureus -
Chemikalien
Die dunklen Punkte sind Proteine, die auf die Veränderung reagierten Links: microbio1.biologie.uni-greifswald.de Homepage des Mikrobiologie-Instituts der Universität Greifswald sfb-transregio-19.de Sonderforschungsbereich Transregio
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von
microbio1.biologie.uni-greifswald.de/ csp/bio/login.csp Bazillus subtilis - Datenbank Protecs
Auf kurze Sicht ist allerdings nicht zu erwarten, dass das Wesen von „Staphylococcus“ aber auch „Bacillus subtilis“ gänzlich aufgeklärt sein wird, handelt es sich hier doch eindeutig um Langzeitforschung. „Ich gehe nicht davon aus, dass ich es noch erleben werde, dass man „Staphylococcus“ vollständig versteht“, schließt der Humanbiologe ab. Es ist nur zu hoffen, dass er und all die anderen jungen Wissenschaftler dennoch ihre kindliche Begeisterung und Neugier behalten und mehr Klarheit in die Grundfragen des Lebens bringen werden.
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pubmedcentral.nih.gov freies, digitalas Archiv von biomedizinischen Artikeln des U.S. National Instituts of Health
Zu einer Untergruppe dieser Arbeitsgruppe gehört ebenso Stephan Fuchs. Er beschäftigt sich mit einem besonders interessanten Krankheitserreger, der neben Wundinfektionen auch Blutvergiftung hervorrufen kann – dem Bakterium „Staphylococcus aureus“, das als erstes gegen sämtliche Antibiotika resistent geworden ist. Und das war durchaus absehbar. Gerade in der Massentierhaltung werden Antibiotika missbraucht und selbst beim kleinsten Schnupfen verschreiben Ärzte oft jene Medikamente, obwohl Erkältungen meist virusbedingt sind. „Wir befinden uns also fast in präantibiotischen Zeiten“, umschreibt es der junge Doktorand. Somit liegt ein enormer Druck auf der Pharmaindustrie und damit auch Mikrobiologie. Aufgabe der Forschungsgruppe ist es nun, auch neue Ziele in dem Organismus zu finden, die angreifbar sind, woraus die Pharmaindustrie wiederum Schlussfolgerungen für die Entwicklung neuer Arzneien ziehen kann. „An sich stehen wir mit unserem Verständnis dafür noch weit am Anfang“, fährt Stephan Fuchs fort. Das liegt sicher auch daran, dass sein Forschungsprojekt erst Anfang dieses Jahres bewilligt wurde. Nun ist es Teil eines Sonderforschungsbereiches namens Transregio, welches ein deutsches Forschungsnetzwerk aufgebaut hat. Neben der hiesigen Universität beschäftigen sich auch Tübingen und zahlreiche Einrichtungen in Berlin mit „Staphylococcus aureus“. Bis zum Jahr 2010 sind so Millionen
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Züchtung von Staphylococcus aureus
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Euro sicher, um den Mikroorganismus weiter zu untersuchen. Das BMBF, die Europäische Union aber auch die Deutsche Forschergemeinschaft haben kräftig investiert, um neue Wege gegen den Krankheitserreger zu finden. Dabei hilft vor allem auch die Arbeit von Wissenschaftlern wie Jan Muntel, denn als Schablone dient oft der „Bacillus subtilis“. Durch die große Ähnlichkeit zwischen dem gut untersuchten Modellorganismus und „Staphylococcus aureus“ lassen sich viele Erkenntnisse ableiten und übertragen. Natürlich können Unterschiede auftreten, leben die beiden Mikroorganismen doch unter vollkommen verschiedenen Bedingungen. So findet man „Bacillus subtilis“ in nahezu allen Böden unserer Breiten, muss man im Gegensatz dazu den Krankheitserreger Staphylococcus in den Nasenschleimhäuten und der Haut des Menschen suchen. Letztendlich trägt jeder „Staphylococcus“ in sich, zum Ausbruch einer Krankheit muss es aber zwangsläufig nicht kommen. Als kleine Kolonie kann er sich sogar innerhalb der Zelle mit Nahrungsmitteln versorgen und gleichzeitig alles ausschalten, was auf seine Anwesenheit hinweisen könnte. So kann er als krankheitserregender Keim Jahrzehnte im Körper nisten und dann erst zum Krieg gegen den Organismus ansetzen. Und oft wappnet er seine Waffen im Krankenhaus. „Wir arbeiten auch mit den Kliniken zusammen, von denen wir frische Bakterienstämme direkt aus den Patienten bekommen“, erzählt Stephan Fuchs. So ist ihm und seinen fast zwanzig Mitstreitern ein Vergleich zwischen den Klinikstämmen und jenen, die sich an das Laborleben angepasst haben, möglich. Tatsächlich ist „Staphylococcus aureus“ in der Lage, ohne Sauerstoff zu leben, was für bestimmte Krankheitsbilder äußerst wichtig ist.
Quelle aller Bilder: keh
keh
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ansteckend
„Gruschel dich selbst!“ Wer dieser Tage durch die Bibliothek schlendert, um sich selbst vom allzu eifrigen Studieren abzuhalten, und dabei den Blick über diverse Laptops und Bibliotheksrechner schweifen lässt, wird zwangsläufig bemerken, dass zahlreiche Kommilitonen einem merkwürdigen neuen Fieber zu erliegen scheinen. Von immer mehr Bildschirmen flackert einem das rot-weiße Layout des neuesten Phänomens der studentischen Netzkultur entgegen: dem „StudiVZ“. „Das Studiverzeichnis“, für welches die Kurzform steht, ist der Marktführer unter einer ganzen Riege von neuen Internetplattformen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, speziell studentische Netzwerke jenseits universeller Websites wie „MySpace“ zu errichten. Als Vorbild diente augenscheinlich das US-amerikanische S t u d e n t e n n e t z we r k „Facebook“, das neben weitgehend identischen Funktionen auch erkennen lässt, dass die Begründer des deutschen Pendants den Grundsatz „Never change a running system“ mehr als nur verinnerlicht haben. Abgesehen von der Grundfarbe Schon drin? (Rot statt Blau) wurde das Seitenkonzept eins zu eins übernommen. Nach Angaben der studentischen Betreiber haben sich seit der Gründung im Oktober 2005 über 700.000 aktive Nutzer kostenlos angemeldet. Diese haben die Möglichkeit, eigene Profilseiten anzulegen, auf denen Platz für Fotoalben, Lebensläufe, die Nennung von Vorlieben und den ganz persönlichen Seelenstriptease ist. Selbstredend verfügt das Netzwerk über einen eigenen Message-Dienst, der als kommunikatives Mittel dient und durch das „Gruscheln“, einer Art virtuellem Stups, ergänzt wird. Die „Studis“ können sich darüber hinaus in Themen-Gruppen zusammenschließen, eine Möglichkeit, von der auch Greifswalder VZ-User rege
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Gebrauch machen. So können sich etwa Vereinigungen wie „Greifswald braucht ´ne Pommesbude“ oder „Freunde des Greifswalder Nobellokals ,Treffpunkt’“ eines stetigen Zustroms Gleichgesinnter erfreuen. Den eigentlichen Reiz der Seite macht allerdings die Freundschaftsfunktion aus, bei der es durch schlichten Antrag und darauf folgende Bestätigung zu einer Vernetzung zweier Profile kommt. Der auf diese Art hinzugefügte „Freund“ wird fortan in der an exponierter Stelle befindlichen Freundesliste des Profilinhabers aufgeführt. Diese verkündet zugleich die Anzahl der Freunde an der eigenen und an anderen Universitäten. Wie von selbst erwächst dabei die Ahnung, dumpfe dass eine möglichst hohe Anzahl von eingetragenen Freunden dem eigenen sozialen Prestige zuträglich sein könnte. Beinahe instinktiv wird daraufhin bei manch einem Seitennutzer der verborgene Jäger und Sammler reaktiviert, der alles daran setzt, möglichst viele Bekanntschaften zusammenzutragen. Quelle: ur Immer darauf bauend, dass schon niemand so garstig sein wird, einen entsprechenden Antrag abzulehnen, werden da schon mal „Freundschaften“ aufgefrischt, die über ein frühkindliches Gebrabbel im elterlichen Sandkasten oder den vagen Ansatz des Sich-Kennen-Lernens in der Erstsemesterwoche eigentlich nie hinaus kamen. Nicht gern gesehen sind Nutzerprofile, die keine sind. So wurde auch ein Kunst-Profil, welches sich als das eines hierzulande nicht ganz unbekannten Dichters und Namensgebers unserer Universitätt ausgab, kurzerhand gelöscht. Vermutlich wurde es durch die hauseigene Denunziations-Funktion des „StudiVZ“ (Nutzer „melden“!) !) entlarvt. Zuvor kündete dieses noch von „Interessen“ Interessen“
des Betreffenden: „Demagogieren und Franzosen verhaun.“ Andere Fake-Profile, wie etwa der lokale „gläserne Student“, nutzen die Plattform des „StudiVZ“, um ihre Kommilitonen auf die Gefahren aufmerksam zu machen, die solch eine digitale Anhäufung persönlicher Belanglosigkeiten mit sich bringen könnte. Zwar existiert eine Funktion, die den Zugang zum Profil nur den jeweiligen „Freunden“ erlaubt, von dieser wird aber kaum Gebrauch gemacht. Nicht zuletzt wohl auch, weil sie dem zu Grunde liegenden Drang, sich zu präsentieren, zuwider läuft. Sie ändert zudem nichts daran, dass zumindest den Betreibern des „StudiVZ“ ein unbegrenzter Zugriff auf die Daten möglich bleibt. Auch langfristig bleibt dieser Aspekt spannend, denn die Frage der wirtschaftlichen Ausgestaltung des Verzeichnisses ist noch nicht abschließend geklärt. Bisher noch werbefrei und scheinbar dem reinen Selbstzweck dienend, könnte das kleine Start-UpUnternehmen von den vorhandenen mittelgroßen Investoren, die es derzeit stützen, schon bald zur Erwirtschaftung von Renditen gedrängt werden.Auch eine Übernahme durch einen finanzkräftigen Medienkonzern wie in den Fällen von „YouTube“ und „MySpace“ ist nicht undenkbar und könnte das „StudiVZ“ ebenfalls auf gewinnorientiertere Bahnen lenken. Vorbild „Facebook“ ist einen solchen Weg bereits gegangen. Und was läge neben dem Schalten von Werbeanzeigen dann näher, als die verfügbaren gebündelten Informationen bezüglich einer einzelnen konkreten Zielgruppe lukrativ auszuschlachten. Derweil wird fleißig ins europäische Umland expandiert. Mittlerweile sind ähnliche Konzepte des “StudiVZ” auch in Frankreich, Italien und Polen online. Ob das Verzeichnis nicht vielleicht dennoch wieder im Dunst der Netzgeschichte verschwinden wird, bleibt abzuwarten. Jedenfalls stellen sich auch bei dem geneigten Nutzer mitunter Ermüdungserscheinungen ein und man fragt sich, warum man seine Kontakte nicht einfach wieder per E-Mail pflegt. Immerhin: das „StudiVZ“ bietet einen virtuellen Abguss sozialer Netzwerke – nicht weniger, aber eben auch nicht wirklich mehr. jk
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Die Plattform zur Selbstdarstellung wächst und wächst: StudiVZ
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im Dienst
Greifzelmännchen - ein Leben für den Wald er gerade noch fünf Prozent seiner Zeit im Wald. Zu vielfältig sind die Aufgaben geworden, mit denen sich der 45-jährige befassen muss: er erstellt Abschusspläne für die Jagdsaison, plant, wie viele Bäume gefällt und wo sie wieder aufgeforstet werden, beobachtet den Holzmarkt, und und und. „Ich versuche, sowohl die Ökonomie als auch Ökologie im Blick zu behalten“, fasst der Forstmeister seine Aufgaben selbst zusammen. Das Forsthandwerk wurde dem gebürtigen Lüneburger bereits in die Wiege gelegt. Schon sein Vater war Revierförster im Emsland und so verschlug es den Sohn nach dem Abitur zum Studium nach Göttingen. Nachdem er fünf Jahre für die Treuhand in Berlin gearbeitet hatte, erfuhr er von der Stellenausschreibung der Universität. „Ich kannte Greifswald vorher nur touristisch. Mit meiner Familie hatte ich mal Urlaub in Lubmin gemacht“, berichtet von Diest von seinem ersten Kontakt mit der Hansestadt. Der Familie gefiel es am Bodden und so zog man her. „Der Zufall hat es gut mit uns gemeint“, sagt
Wolfgang von Diest mit Quax
Quelle: ring
von Diest zurückblickend. 2002 gab es dann sogar noch Familienzuwachs. Dackelrüde Quax zog bei den von Diests ein. Seitdem sind Herr und Hund unzertrennlich. Arbeitet das Herrchen im Büro, macht es sich Quax in seinem Körbchen bequem, doch sobald es in den Wald geht, ist der Vierjährige hellwach. „Einmal haben wir eine verwundete Sau über mehr als vier Kilometer verfolgt“, berichtet von Diest. „Ohne Quax hätte ich sie nie gefunden.“ Wenn er so erzählt, gerät Wolfgang von Diest ins Schwärmen. Der Wald ist sein Leben und das färbt ab. „Mein Sohn hat schon gesagt, dass er auch Forstmann werden möchte. Er ist dreizehn.“ ring
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Die Universität Greifswald hat etwas, das außer ihr nur die Hochschulen in München und Würzburg vorweisen können: einen Universitäts-forstmeister. In Greifswald heißt dieser Wolfgang von Diest und ist für all das verantwortlich, was im Zusammenhang mit dem Universitätsforst steht. Zu ihrem Wald kam die Alma mater bereits im 16. Jahrhundert, als ihr der Pommernherzog Bogislaw XIV. eine große Menge Landes vermachte. Diesen kostbaren Besitz zu pflegen und in angemessenem Maße zu nutzen, ist seit 1998 die Aufgabe von Diests. Am zweiten Mai hatte er seinen ersten Arbeitstag in der Hansestadt, an den sich der studierte Forstwissenschaftler noch gut erinnern kann: „Zu Anfang gab es hier nichts außer ein paar Aktenordnern.“ Zunächst musste eine Miniverwaltung aufgebaut und zwei Revierförster eingestellt werden um das 3200 Hektar große Gebiet zu kontrollieren. In den ersten Jahren verbrachte von Diest selbst etwa sechzig Prozent seiner Arbeitszeit „draußen“. „Das war meine schönste Zeit“, sagt er. Heute verbringt
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Gewonnen! Julika Ulrike Hoffmann (PoWi/ Germanistik) Anne Beier (BWL) Marcus Vollmer (Mathematik) Herzlichen Glückwunsch zu den Kinokarten! Bitte meldet Euch unter: moritz@uni-greifswald.de
Wußtet ihr schon??? ... dass „nakhur“ das persische Wort für ein Kamel ist, das keine Milch gibt, wenn man es nicht an den Nüstern kitzelt? ...ein leckender Wasserhahn ca. 6.500 Liter Wasser im Jahr verschwendet? Eine defekte Toilette übrigens gleich 100.000 Liter. ...dass der Planet Venus zwar aus der Ferne der Schönste ist, es aber in sich hat? Man kann auf ihm gleichzeitig ersticken, zerquetscht und erschlagen werden. ...dass laut einer britischen Studie in kinderreichen Familien der IQ vom ersten bis zum jüngsten Kind durchweg abnimmt? Die Begründung: ältere Geschwister müssen häufig für die jüngeren die Verantwortung übernehmen und ihnen eine Menge Dinge erklären, während die Jüngsten alles „vorgekaut“ bekommen. ...dass sich alleine 2004 alleine in Deutschland 114 meldepflichtige Störfälle in Atomkraftwerken ereignet haben? ...dass Oscar Wilde auf dem Sterbebett gesagt haben soll: „Entweder geht diese scheußliche Tapete - oder ich.”
moritz – Studentische Medien Greifswald
spielundspaß
Redaktion & Geschäftsführung Wollweberstraße 4, 17489 Greifswald Tel: 03834/861759, Fax: 03834/861756 E-Mail: moritz@uni-greifswald.de Geschäftsführer: Christin Kieppler Stellvertreter: Carsten Mielsch
Anzeigen: Christin Kieppler, Carsten Mielsch Chefredakteur (V.i.S.d.P.): Uwe Roßner Stellvertreter: Stephan Kosa
Freie Mitarbeit: Christian Willy Bülow, Janine Otto, Philip Rusche (dL), Robert Tremmel Gestaltung: Björn Buß, Maximilian Fleischmann, Anke Harnisch, Robert Heinze, Stephan Kosa, Judith Küther, Uwe Roßner, Robert Tremmel
Herausgeber: Studierendenschaft der Universität Greifswald (vertreten durch das Studierendenparlament, Domstraße 12, 17487 Greifswald) Druck: Druckhaus Panzig, 17489 Greifswald
moritz erscheint während des Semesters monatlich in einer Auflage von derzeit 3.000 Exemplaren. Redaktionsschluß der nächsten Ausgabe ist der 1. Dezember; Die nächste Ausgabe erscheint am 18. Dezember.
IMPRESSUM Hochschulpolitik: n.n. Feuilleton: Björn Buß Universum: n.n.
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Küther (juk), Cornelia Leinhos (cole), Verena Lilge (lil), Uta-Caecilia Nabert (ilia), Sophia Penther (so), Grit Preibisch (grip), Anne Regling (ar), Uwe Roßner (ur), Katarina Sass (kats), Christoph Schuchardt (ch), Marlene Sülberg (ms), Maria-Silva Villbrandt, Sebastian Vogt (sv)
Redakteure: Björn Buß (bb), Kai Doering (ring), Antonia Garitz (amg), Arvid Hansmann (aha), Anke Harnisch (keh), Robert Heinze (rh), Ulrike Ide (ui), Stephan Kosa (kos), Ina Kubbe (ik), Johannes Kühl (jk), Judith
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Titelbild: Kai Doering, Maximilian Fleischmann, Stefan Horn, Robert Tremmel Tapir: Kai-Uwe Makowski
Dank an: Wolfgang von Diest, Björn Hinze, Ulrich Rose, Barbara Unger
Nachdruck und Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion. Die Redaktion behält sich vor, eingereichte Texte und Leserbriefe redaktionell zu bearbeiten. Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die in Artikeln und Werbeanzeigen geäußerten Meinungen stimmen nicht in jedem Fall mit der Meinung des Herausgebers überein. Alle Angaben sind ohne Gewähr.
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