moritz das greifswalder studentenmagazin No. 62 - M채rz 2007
Psychologische Beratung in Greifswald
StuPa R체ckblick 06/07 +++ Armes reiches Kongo +++ Richard Strauss +++ Peter Binder layout_moritz_62-mac1.indd 1
04.04.2007 13:56:37 Uhr
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Medien Frühstück
14. April - 10.00 Uhr mit moritz und „radio 98eins“ in der Wollweberstraße 4 Für alle, die schon immer mal zu den Medien wollten layout_moritz_62-mac1.indd 2
04.04.2007 13:56:51 Uhr
IMPRESSUM R Redaktion & Geschäftsführung: c/o AStA Greifswald Greifswald, Domstraße 12, 17487 Greifswald Tel: 03834/861759, Fax: 03834/861756 E-Mail: moritz@uni-greifswald.de www.moritz-magazin.de Geschäftsführer: Christin Kieppler Stellvertreter: Carsten Mielsch
EDITORIAL Willkommen zurück! Ihr freut Euch bestimmt so sehr wie wir, dass das Semester nun wieder beginnt. Vorlesungen, Seminare, der ganze Ramsch. Wunderbar. Nichtsdestotrotz waren wir schon in den Semesterferien fleißig für Euch.
Anzeigen: Christin Kieppler, Carsten Mielsch Chefredakteur (V.i.S.d.P.): Uwe Roßner Stellvertreter: Stephan Kosa H Hochschulpolitik: Maria Trixa Feuilleton: Björn Buß Un Judith Küther Universum: Redakt Redakteure: Björn Buß (bb), Sarah Bechimer (sb), Wiebke Brüggemann (wb), Kai Doering ((ring), Antonia Garitz (amg), Maximilian Fleischmann (mpf), Arvid Hansmann (aha), Anke Harnisch (keh), Robert Heinze (rh), Ulrike Ide (ui), Stephan Kosa (kos), Uli Kötter (uli), Ina Kubbe (ik), Johannes Kühl (jk), Frauke Kibscholl (keki), (ik) Judith Küther (juk) (juk), Verena Lilge (lil), Uta-Caecilia Nabert (ilia), Martina Pape (mp), Grit Preibisch (grip), Anne Regling (ar), Uwe Roßner (ur), Robert Tremmel (bert), Maria Trixa (matrix), Maria-Silva Villbrandt (msv) Freie Mitarbeit: Justina Jaskowiak, Carsten J Mielsch Neues Layout von: Kevin Suckert Gestaltung: Björn Buß, Judith Küther, Stephan Ko Kosa, Uwe Roßner, Kevin Suckert Titelbild: Kevin Suckert (Layout), Uwe Roßner (Foto) Tapir: Tapir Kai-Uwe Makowski
Ja, wir haben für Euch gelitten. Der Sommermoritz ist auf dem Weg, das neue Heft habt Ihr ja gerade schon in der Hand. Wenn wir ehrlich sind, sind dieser Umstand sowie das neue Heftlayout aber nicht allein unser Verdienst. Wir haben jetzt nämlich einen eigenen Praktikanten und nehmen so unsere nicht existierende Verantwortung für den Arbeitsmarkt wahr. Der ist schön fleißig und macht uns nicht nur Kaffee. Das neue Layout ist quasi und mehr oder weniger sein Werk gewesen. In diesem Zusammenhang würden uns einige Werturteile Eurerseits sehr freuen. Was erwartet Euch nun in dieser Ausgabe? Es gibt eine Seite Informationen über den diesjährigen G8-Gipfel in Heiligendamm bei Rostock. Weiterhin werdet Ihr ein neues Essay finden, dieses Mal zum Leben und Wirken von Richard Strauss. Die immer wichtiger werdende psychologische Beratung von Studenten haben wir unter die Lupe genommen, ein Auslandsbericht aus der Republik Kongo ist auch dabei, und wir berichten über den Aufsehen erregenden Verkauf von WVG-Anteilen. Unsere Kollegen von MoritzTV werden dieses Jahr übrigens ganze zehn (10) Jahre alt! Zu diesem Anlass haben sie einen kleinen Text in dieser Ausgabe veröffentlicht. Der Rest ist selbstredend mindestens genauso interessant. Freut Euch drauf! Übrigens: Über neue Gesichter freut sich nicht nur MoritzTV. Alle unserer Leser, die an den Medien Print, Fernsehen oder auch Web interessiert sind, sind jederzeit herzlich eingeladen, uns einen Besuch in der Wollweberstr. 4 abzustatten. Mit fröhlichen Grüßen an die Leserschaft,
Dank an: Prof. Walter Werbeck, Werbe Ralf Dörnen Herausgeber: Studierendenschaft der Universität Greifswald (vertreten durch das Studierendenparlament, Domstraße 12, 17487 Greifswald) Druck: Druckkaus Panzig, 17489 Greifswald moritz erscheint während des Semesters monatlich in einer Auflage von derzeit 3.000 Exemplaren. Redaktionsschluß der nächsten Ausgabe ist der 27. April 2007. Die nächste Ausgabe erscheint am 14. Mai 2007! Nachdruck und Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion. Die Redaktion behält sich vor, eingereichte Texte und Leserbriefe redaktionell zu bearbeiten. Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die in Artikeln und Werbeanzeigen geäußerten Meinungen stimmen nicht in jedem Fall mit der Meinung des Herausgebers überein. Alle Angaben sind ohne Gewähr!
Arndt des Monats So wetterte Ernst Moritz Arndt 1848 in seinen „Reden und Glossen“: „Juden und Judengenossen, getaufte und ungetaufte, arbeiten unermüdlich und auf allen äußersten radikalen Linken mitsitzend, an der Zersetzung und Auflösung dessen, worin uns Deutschen bisher unser menschliches und heiliges eingefaßt schien, an der Auflösung jeder Vaterlandsliebe und Gottesfurcht... Horcht und schaut, wohin diese giftige Judenhumanität mit uns fahren würde, wenn wir nichts eigentümliches, deutsches dagegenzusetzen hätten...“. Ortag, Peter: Jüdische Kultur und Geschichte. Ein Überblick., 5. aktualisierte Auflage, Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung, Potsdam, 2004, S. 100. Zitiert: „Reden und Glossen“, Ernst Moritz Arndt, 1948.
Es gibt in jeder Ausgabe des moritz den „Arndt des Monats“, in dem das jeweils angeführte Zitat Ernst Moritz Arndts einen kurzen, aber erschreckenden Einblick in die Gedankenwelt dieses Mannes geben soll.
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editorial
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INHALT
07
G8-Gipfel
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Der Fluch der goldenen Blume
20
16
Down in the Valley
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Die Möwe
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Hochschulpokitik G8-Gipfel in Heiligendamm Rückblick auf letzte StuPa-Legislatur Kommentar Nullrunde im BAföG Erkentnisse der letzen StuPa-Wahlen
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Feuilleton Harry Rowohlt Berlinale, ueber arbeiten Konzertbericht: Krach und The Toasters Kino: Number 23 Neues vom Wixxer Der Fluch der goldenen Blume DVD: Down in the Valley, Man muss mich nicht lieben Ralf Dörnen im Gespräch Schauspiel: Die Oberfläche Die Möve CDs: AIR, Polarkreis 18, Die letzte Instanz, Herbert Grönemeyer Bücher: Dreckskerl, Solaris
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INHALT
20
Richard Strauss
32
Armes reiches Kongo
35
Bürgerentscheid zum WVG-Verkauf
38
Kunsthistorikertagung
Essay Richard Strauß von Prof. Walter Werbeck
20
Universum Psychologische Beratung Armes reiches Kongo Projekt Ökosystemdynamik Medizinertagung Bürgerentscheid zum WVG-Verkauf Glosse: Der Senfladen Moritz TV feiert Jubiläum realCITY Kunsthistorikertagung Studentenwohnheim in Kopenhagen Kindertagesstätte für Studentennachkömmlinge m. trifft: Peter Binder
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Sonstiges Editorial, Arndt des Monats, Impressum AStA, StuPa, Kurznachrichten
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inhalt
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AStA
AStA
Allgemeiner Studierendenausschuss Domstraße 12. Telefon: 03834/861750 oder 561751 • Fax: 03834/861752 E-Mail: asta@uni-greifswald.de Internet: www.asta-greifswald.de
Vorsitzende/r: Alexander Gerberding vorsitz@asta-greifswald.de Co-Referent/in für Partnerkontakte, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit: Anja Goritzka presse@asta-greifswald.de Co-Referent/in für Internet und Technik: Eric Bernstein internet@asta-greifswald.de Referent/in für Hochschulpolitik: n.n. hopo@asta-greifswald.de Referent/in für Fachschaften und Gremien: Thomas Schattschneider fachschaften@asta-greifswald.de Referent/in für Finanzen: Martin Hackober finanzen@asta-greifswald.de Co-Referent/in für Buchung und Beschaffung: Eric Kibler buchung@asta-greifswald.de Co-Referentin für Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit: n.n. nachhaltig@uni-greifswald.de Referent/in für Soziales, Wohnen und Gleichstellung: Alexander Schulz-Klingauf soziales@asta-greifswald.de Co-Referentin für BAföG und Studienfinanzierung: Mirko Wahlen bafoeg@asta-greifswald.de Referent/in für Studium und Lehre: Kristina Kühn studium@asta-greifswald.de Co-Referent/in für Studierendenaustausch und Internationalisierung: Monika Peiz austausch@asta-greifswald.de Co-Referent/in für Evaluation und Hochschulentwicklung: André Kaminski evaluation@asta-greifswald.de Referent/in für Kultur und Erstsemesterwoche: Christian Bäz erstsemester@asta-greifswald.de Autonome/r Referent/in für S., L. und andere sexuelle Ausrichtungen (queer): Patrick Leithold queer@asta-greifswald.de Autonome/r Referent/in für Studierende mit Behinderungen und chronischen Krankheiten: Moritz von der Wense behindertenreferat@asta-greifswald.deAutonome/r Referent/in für Ausländerfragen: Ewelina Kierzkowska auslaenderreferat@asta-greifswald.de
StuPa
Studierendenparlament der EMAU Präsidentin: Kathrin Berger Stellvertreter: Philipp Kohlbecher, Catharina Frehoff E-Mail: stupa@uni-greifswald.de Internet: stupa.uni-greifswald.de
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KURZNACHRICHTEN Geschlossen
Getrauert
Die Philosophische Fakultät hat mit sofortiger Wirkung die Studiengänge Latinistik und Gräzistik geschlossen. Ab diesem Semester werden die Bachelorstudiengänge Latinistik und Gräzistik sowie Lehramt Latein nicht mehr angeboten. Das hat die Sitzung des Rates der Philosophischen Fakultät am 28. Februar 2007 entschieden. Im Zuge der Umsetzung der Zielvereinbarung war die Schließung zu 2008 beschlossene Sache. Die frühere Stilllegung wurde mit der geringen Auslastung der Fächer und der Überbelastung der anderen Studiengänge begründet. Die Fakultät müsse alle Stellenpotenziale voll ausschöpfen, das vorhandene Personal dürfe nicht nur so wenigen Studenten vorbehalten werden, erklärte Matthias Schneider, Dekan der Philosophischen Fakultät, die Entscheidung des Fakultätsrates. Die bereits in diesen Studiengängen immatrikulierten Studenten sollen von dieser Entscheidung aber nicht betroffen sein. Die Fakultät will die ordnungsgemäße Ausbildung zum Bakkalaureus Gräzistik und Latinistik sowie zum Lateinlehrer absichern.
Mit einem Trauermarsch verabschiedeten sich die von der Stillegung des 135 Jahre alten Hauses in der Stralsunder Straße 10 Betroffenen von ihrer traditionellen Unterkunft..
Gefördert Der am 22. Februar 2007 geschlossene Kooperationsvertrag zwischen dem Studentenwerk Greifswald, dem Studierendenwerk Hamburg und Campus Europe bietet eine weitere Möglichkeit der Förderung des Auslandsstudiums. Für Teilnehmer im Rahmen des Programmes von Campus Europe wurde damit ein neuartiges Stipendienprogramm gegründet. Dieses ermöglicht bedürftigen Studierenden eine finanzielle Unterstützung während ihres Auslandsaufenthaltes. Um die Förderung in Höhe von bis zu 500 Euro monatlich können sich bedürftige Studierende ab diesem Sommersemester bewerben.
Gewählt Der Rat der Philosophischen Fakultät hat zwei neue Prodekane gewählt. Nach dem Ausscheiden der bisherigen Amtsinhaber Prof. Michael North (Geschichte) und Prof. Udo Friedrich (Germanistik) entschieden die 22 Ratsmitglieder über die Nachfolge. Mit 19 bzw. 13 erhaltenen Stimmen übernehmen Prof. Christian Lübke (Geschichte) und Prof. Ulrike Jekutsch (Slawistik) die Aufgaben der Prodekane.
Erste Sitzung Das frisch gewählte Studierenden Parlament (StuPa) trifft sich am 17. April zu seiner ersten Sitzung. Es soll unter anderem über eine neue Geschäftsordnung entschieden und das neue Präsidium gewählt werden. Die bereits im Februar neu gewählten Studentenvertreter werden damit in ihr Amt eingeführt.
Begrüßt Am Samstag den 14. April veranstalten die moritz-Medien und Radio 98eins ab 10 Uhr ein Kennenlern-Frühstück. Alle Medieninteressierten und potenziellen Nachwuchsjournalisten sind herzlich eingeladen, sich in den Räumlichkeiten der Redaktionen von moritzTV, moritz web und dem moritzPrint in der Wollweberstraße 4 um zuschauen und Fragen zu stellen.
Besucht Vom 24. bis 26. April 2007 findet die internationale Firmenkontaktmesse connecticum in Berlin statt. Bei freiem Eintritt können sich Studierende und Diplomanden von 10 bis 16.30 Uhr bei insgesamt über 150 führenden Unternehmen aus Deutschland, Europa und Asien informieren. Zum Schwerpunkt Wirtschaft und Informatik präsentieren sie ihre Messestände und Firmenvorträge in den Campushallen der FHTW Berlin, Treskowallee 8.
Komissarisch Justus Richter führte bis zum Ende der Legislatur das Amt des hochschulpolitischen Referent im AStA kommissarisch aus. Im Januar war er von diesem Amt zurückgetreten.
Ganz nordisch Vom 4. bis zum 13. Mai findet in Greifswald der Nordische Klang 2007 statt. Unter der Schirmherrschaft des dänischen Kulturministers Brian Mikkelsen finden Kultur und Wissenschaft aus den Nordischen Ländern und dem Ostseeraum statt.
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G8
hochschulpolitik
Weltgipfel in der Provinz
Das diesjährige Treffen der G8 findet in Heiligendamm statt Die G8 (Gruppe der Acht) sind ein informeller Zusammenschluss der führenden Wirtschaftsmächte dieser Erde. Gegründet als G6 im Jahre 1975 lag die grundsätzliche Zielrichtung in der gemeinsamen Absprache wirtschaftlichen Vorgehens in „entspannter Runde“ unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die Gründungsstaaten waren Frankreich, Deutschland, Italien, Großbritannien, Japan und die USA. Damals ging es inhaltlich hauptsächlich um die erste große Ölkrise und die Währungspolitik. Anschließend traf man sich jährlich, um die großen Themen der Weltwirtschaft und später auch anstehende außenpolitische Fragen zu besprechen. Hierbei hat jedes Jahr ein anderes Mitglied den Vorsitz inne und fungiert gleichzeitig als Gastgeber des jeweiligen Gipfels. Auf Drängen der USA hin trat 1976 Kanada dem Forum bei. Von da an waren die regelmäßigen Treffen der G7 von einer Entwicklung hin zu öffentlichkeitswirksamem Auftreten geprägt. Das Treffen der Regierungschefs wurde somit handlungsunfähiger, die zu treffenden Entscheidungen kamen immer häufiger auf den die Gipfel einleitenden Konferenzen der Minister zustande. 1998 wurde Russland in die Runde aufgenommen, allerdings nicht als Vollmitglied. In diesem Jahr liegen die Diskussionsschwerpunkte bei der „Ausgestaltung der globalisierten Weltwirtschaft“ und der „Entwicklung Afrikas“. Klangvoll wird das Treffen auch „Wachstum und Verantwortung“ betitelt. Die G8 vereinen heute fast zwei Drittel der Bruttonationaleinkommen (BNE) weltweit auf sich. Dies steht einem Anteil an der Weltbevölkerung von 13,5 Prozent gegenüber. Hierin spiegelt sich das Missverhältnis dessen wider, was man gemeinhin als Gefälle zwischen der ersten, zweiten und dritten Welt versteht. Genau an dieser Stelle setzen G8-kritische Gruppen und Organisationen an. Sie werfen den Regierungschefs vor, unter sich die Fort- bzw. Unterentwicklung
des Restes der Welt zu entscheiden. Schuldenerlasse für die dritte Welt seien nicht mehr als eine Geste für die Presse, da nur winzige Teile der Schuldenberge erlassen würden. Weiterhin wird die Migrations- und Entwicklungshilfepolitik angegriffen. Diese seien ausgrenzend und verschlimmerten die Umstände in den betroffenen Ländern meist gewollt. Die radikalsten Kritiker sprechen in diesem Zusammenhang auch von Ausbeutung und Imperialismus. Mögen diese Äußerungen auch reißerisch sein, völlig von der Hand weisen lassen sich die einzelnen Punkte nur schwer. Viele G8-Gegner tragen wegen einer eingeschränkten öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Thema sowie wegen des ausschließenden Vorgehens hinsichtlich Demonstrationen durch die Sicherheitskräfte ihren Ärger auf die Straße. Die G8-Gipfel sind regelmäßig von gewaltsamen Ausschreitungen gekennzeichnet. Seinen Höhepunkt fand dieser Verlauf auf dem G8-Gipfel von 2001 in Genua. Hier wurde der 23-jährige Carlo Giuliani von einem Carabinieri erst angeschossen und danach überfahren. Der Tod des jungen Demonstranten steht bis heute als Symbol für Gewalteskalationen von Seiten der Ordnungskräfte. Auch in Heiligendamm ist die Sicherheit der Teilnehmer ein großes Thema. Das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern bewegt dort sprichwörtlich Berge, um den diesjährigen G8-Gipfel vorzubereiten. Insgesamt 100 Millionen Euro wird die Durchführung des Gipfeltreffens kosten, tragen wird die Kosten Mecklenburg-Vorpommern. Als Tagungsort wurde das Kempinski-Hotel am Ostseebad Heiligendamm auserkoren. Für die Sicherheit der Teilnehmer sollen 16.000 Polizeibeamte sorgen, ein Zaun für zwölf Millionen Euro umgibt bereits das Gelände des inneren Sicherheitsbereiches „Zone II“. Dieser darf nur noch von Anliegern betreten werden und untersteht der Polizei Mecklenburg-Vorpommern. Darin liegt die „Zone
I“, die sich um das Tagungshotel schließt. Hierfür wird das BKA zuständig sein. Kriegsschiffe der USA sowie Kampftaucher sollen an der Seeseite patrouillieren. Der größte Trubel ist jedoch eher am Zaun zu erwarten. Während Nichtregierungsorganisationen sowie Globalisierungskritiker wie attac Diskussionen und Alternativgipfel organisieren, hat sich die radikalere Linke am Zaun angekündigt. Dort sollen viele verschiedene Aktionen stattfinden, Ausschreitungen sind zu erwarten. Neu ist dieses Jahr die Ankündigung von Rechtsradikalen, den G8-Gipfel für eine Demonstration ihrer Kapitalismuskritik zu nutzen. Was passiert, wenn die Polizei hier den Überblick verliert, mag man sich nicht vorstellen. Doch wie ein Polizeibeamter im Interview mit Spiegel-Online sagte: „Wir werden hier so viel Polizei haben, wie Sie es noch nie gesehen haben.“ kos
Erste Proteste
Foto: Strandmuschel - www.Indymedia.org
BNE der G8
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hochschulpolitik
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ERINNERUNG hochschulpolitik
Weichenstellung
Ein persönlicher Rückblick der StuPa-Legislatur 2006/2007 Die Autorin Kathrin Berger Präsidentin des Studierendenparlamentes
Foto: Kai Doering
StuPa-Legislatur 06/07 in Zahlen: 19 Sitzungen 190 Tagesordnungen 154 Beschlüsse 70 Personen in die Ämter gewählt 80 Gäste verfolgten die Arbeit 21 gewählte Mitglieder 170.000 € Haushalt 16 positive Finanzanträge 37.500 € Fördergelder 14 Pressemitteilungen 3 Fernsehinterviews 1 Radiointerview
Auch in den moritz-Medien wurde – mitunter zu Recht – kritisch über unsere Arbeit berichtet.
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Das Studierendenparlament (StuPa) ist das wichtigste Organ der verfassten Studierendenschaft. In einer überaus sitzungs- und beschlussreichen Legislatur wurden in 19 Sitzungen über 190 Tagesordnungspunkte verhandelt, 154 Beschlüsse gefasst und etwa 70 Personen in die unterschiedlichsten Ämter gewählt, während gut 80 Gäste unsere hochschulöffentliche Arbeit verfolgten. Die 21 gewählten Mitglieder entscheiden in allen grundsätzlichen Angelegenheiten der Studierendenschaft und wählen die Vertreter in die Exekutive (den AStA) und in die moritz-Medien. Zu den wichtigstenThemen und Beschlüssen gehörten in der zurückliegenden Legislatur die Stellungnahme zur Rektorwahl ebenso wie die Auseinandersetzung mit den Wahlprogrammen der Landtagsparteien im Vorfeld der Wahlen im September letzten Jahres. Außerdem beschloss das StuPa über seinen 170.000 Euro umfassenden Haushalt. Weitere wichtige Beschlüsse waren die Entscheidung zur Trennung von Amt und Mandat ab der im April beginnenden Legislatur, die besagt, dass man entweder im StuPa oder im AStA oder in den Führungspositionen der moritz-Medien arbeiten darf. Doppelmitgliedschaften sind damit zukünftig ausgeschlossen. Auch das Universitätsjubiläum 2006 wurde vom StuPa unterstützt: Es richtete im April ein entsprechendes Co-Referat und eine weitere Mitarbeiterstelle ein, um die Veranstaltungen der studentischen Selbstverwaltung zu betreuen. Ein weiterer wichtiger Beschluss war die Zustimmung zum KiTa-Projekt, das uns seit gut zwei Jahren beschäftigt und im August umgesetzt werden soll: Eine gemeinsame KiTa mit der Universität, dem Klinikum und dem Studentenwerk Greifswald, die sich mit längeren Öffnungszeiten vor allem an Kinder für Studierende richtet. Bereits im Juni letzten Jahres nahm das StuPa außerdem Stellung zu der wiederholten Nichtanpassung des BAföG-Satzes und forderte dieVerbesserung der sozialen Situation der Studierenden. Eine entsprechende Petition liegt dem Petitionsausschuss der Deutschen Bundestages vor. Auch das
leibliche Wohl der Studierenden liegt dem StuPa am Herzen: Es hält die bestehenden Kapazitäten als auch die bauliche Situation und Ausstattung der Mensa für vollkommen unzureichend. Ein entsprechender Beschluss mit der Forderung, dass bis Ende 2006 Pläne entwickelt werden sollten, wie der Bedarf an Essensportionen gedeckt werden kann, wurde mehrfach in den Senatssitzungen angesprochen. Bislang jedoch ohne Erfolg. Insgesamt wurden 16 Finanzanträge positiv beschieden. Der Förderbetrag beläuft sich in Summe auf über 37.500 Euro. Über die gesamte Arbeit berichteten wir ausführlich auf unserer Homepage (www.stupa.uni-greifswald.de) mittels Vorankündigungen („Aktuelles“) und „Nachbetrachtungen“ sowie insgesamt 14 Pressemitteilungen, die z.T. überregionale Beachtung fanden und zu insgesamt 3 Fernsehinterviews und einem Radiointerview führten. Auch in den moritzMedien wurde – mitunter zu Recht kritisch – über unsere Arbeit berichtet. Ein Höhepunkt war im letzten Oktober die Teilnahme an dem Universitätsjubiläum und dem Festakt im Dom und in der Aula, was zu den Repräsentationspflichten ebenso gehört wie die regelmäßige Teilnahme an den wöchentlich stattfindenden AStAund den monatlich stattfindenden SenatsSitzungen. All das wäre niemals allein möglich gewesen. Präsidiumsarbeit ist Teamarbeit. Daher möchte ich mich sehr herzlich bei Catharina Frehoff, Philipp Kohlbecher und Christopher Trippe für ihre engagierte, zielorientierte und zuverlässige Arbeit im Präsidium bedanken. Außerdem danke ich dem AStAVorsitzenden Alexander Gerberding für die gute und harmonische Zusammenarbeit im letzten Jahr. Abschließend möchte ich auch denjenigen StuPistinnen danken, die trotz der mitunter langen Sitzungen regelmäßig zu ihrer ehrenamtlichen Arbeit erschienen sind und sehr lebhaft und ausdauernd diskutierten, immer mit dem Ziel, tragfähige und sinnvolle Beschlüsse zu erzielen. Kathrin Berger Präsidentin des Studierendenparlamentes
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KOMMENTAR / BAFÖG
hochschulpolitik
Parkinsons Gesetz Laut Cyril Northcote Parkinson werden in Diskussionsgremien jene Fragen am heftigsten diskutiert, zu welchen die Teilnehmer die meiste Ahnung (zu) haben (glauben). Daneben behauptet Parkinson, dass Beratungsgremien zunehmend ineffektiv werden, wenn sie über 5- 8 Mitglieder anwachsen. Das Studierendenparlament der vergangen Legislatur gab sich alle Mühe Parkinsons Gesetze zu bestätigen. Debatten dienten dem möglichst lauten Darstellen von Meinungen, statt einer zielgerichteten oder gar zielführenden Diskussion. Selten waren einzelne StuPisten bereit von vorgefertigten Meinungen abzuweichen und verharrten in starrer Verteidigungshaltung. Traurige Höhepunkte dieser Inszenierungen bildeten eine zehnminütige Diskussion über die korrekte Interpunktion innerhalb eines Antrages und der eher flehende als drohende Einsatz von Ordnungsrufen durch das Präsidium um besonders „enthusiastische“ Diskussionsteilnehmer an die zu wahrenden Umgangsformen zu gemahnen. Einige der gefassten Beschlüsse scheinen, im Nachhinein betrachtet denn auch eher durch erhitze Gemüter als durch kühle Köpfe verabschiedet worden zu sein, und bestehen sozusagen auf Abruf, bis sich neue Mehrheiten finden lassen. Zum Glück schien man sich mit Beginn des Wintersemesters im StuPa darauf zu besinnen, dass Parkinson seine Gesetzte eher humoristisch als ernst verstanden haben wollte. Die Mitglieder des Studierendenparlamentes zeigten, dass es anders geht und vor allem, dass sie selbst es auch anders können. Die Debatte zur Trennung von Amt und Mandat zeigte, wie es geht Probleme klar anzusprechen Lösungsvorschläge zu erarbeiten, sie rational gegeneinander abzuwiegen und zu einer Entscheidung zu finden. Hoffen wir, das die zurückliegende Legislatur ein Lehrjahr war und jene alten /neuen StuPisten welche am 17. April zusammentreten uns beweisen, dass Parkinsons Gesetz definitiv nicht gilt. Carsten Mielsch
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hochschulpolitik
BAföG
Wiederholte Nullrunde für Empfänger Seit Januar steht es fest. Der zweijährige BAföG-Bericht war zum 17. Mal fällig und so richtig überraschend kommt das Ergebnis wohl für niemanden. Nullrunde heißt es wieder einmal für die Studierenden. Auch die Freibeträge für die Eltern bleiben faul auf ihrem bisherigen Leistungsniveau sitzen. Für die Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) hat sich die Sache mit dem Beschluss des Bundeskabinetts wieder einmal schnell und glücklich erledigt. Für Studenten, die wahrscheinlich sowieso am Existenzminimum nagen, nicht. Seit 2001 zum letzten mal eine Anpassung der staatlichen Ausbildungsförderung erfolgte, steigen lediglich noch die Lebensunterhaltungskosten und die Bildung muss zugunsten des Staatshaushaltes immer wieder verzichten. Dabei weißt der BAföG-Beirat, der sich aus Auszubildenden, Lehrenden sowie Vertretern aus entsprechenden Behörden und dem Deutschen Studentenwerk (DSW) zusammensetzt, in seinem Bericht mit harten Fakten auf die Situation des durchschnittlichen, BAföG empfangenden Studenten hin. Im Punkt drei heißt es konkret: „Um im Jahr 2007 wieder das Förderniveau des Jahres 2002 und damit den Stand nach der letzen Anpassung zu erreichen, müssten die Freibeträge damit insgesamt um rund 8,7% oder etwa 125 Euro und die Bedarfssätze um rund 10,3 % , also etwa 48 Euro für Studierende bzw. 36 Euro für Schüler erhöht werden.“ Das kann nicht schön geredet, wohl aber von den durchgesetzten Reförmchen in die Beachtungslosigkeit gestürzt werden. Denn immerhin, Studierenden mit Kindern, ausländischen Studierenden und Deutschen mit Auslandsstudium wird eine gewisse Verbesserung gewährt, die im Nachhinein allerdings leider als geschicktes Täuschungsmanöver enttarnt wird. So bekommen Eltern im Studium zukünftig einen monatlichen Zuschuss von 113 Euro für Kinder unter zehn Jahren. Dumm nur: Der bisherige Rabatt bei der Rückzahlung entfällt. Die Förderung ausländischer Studierender wird nicht mehr davon abhängen, wie viele Jahre die Eltern in der Bundesrepublik gearbeitet haben. Sie müssen lediglich beabsichtigen dauerhaft im Land zu bleiben. Und auch die Deutschen können künftig eher Landflucht begehen. Jetzt soll ein Auslandsstudium auch ab dem ersten Semester und nicht erst nach einem ein-
jährigen deutschen Studium gefördert werden. Die Bildungsministerien erfreut sich an den neuen familienfreundlichen Regelungen. Und weißt Kritiker auf den Studienkredit hin. Warum nicht noch mehr Schulden machen? BAföG sei nie zur vollständigen Finanzierung des Lebensunterhaltes gedacht gewesen. Der Studienkredit allerdings auch nicht. Der wurde in den Ländern zuerst eingeführt, die begannen von ihren Studenten Studiengebühren zu fordern und war dazu gedacht, diese abzudecken. Das führt die wachsende Front der Kritiker unvermeidlich zu dem Argument der sozialen Gleichberechtigung. Bis auf die CDU und Teile der SPD sind das sämtliche Bundestagsparteien, die Bildungsgewerkschaft GEW und vorsichtig der Beirat für Ausbildungsförderung. Dem Ziel, mehr junge Leute zu einem Studium zu bewegen stehe die erneute Nullrunde kontraproduktiv gegenüber. Die Chancengleichheit werde durch ein weiteres Festfrieren der Förderbeträge ebenso wenig erhöht, wie die Motivation potentieller Studenten aus sozialschwächeren Familien. Schon jetzt erhalten fast die Hälfte von derzeit etwa 345.000 studentischen Geförderten den Höchstsatz von 585 Euro. Ein winziger Hoffnungsschimmer bleibt für die Optimistischen unter den Studenten: Bevor sich das BAföG noch bequemer auf dem aktuellen Leistungsniveau einnistet, soll es 2008 eine neue Diskussion geben. Das stellt Ulla Burchardt (SPD), Vorsitzende des Bildungsausschusses im Bundestag, in Aussicht. mt
BAföG-Antrag
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Gremienwahl hochschulpolitik
Nur 8,5% gaben ihre Stimme ab Beteiligung an StuPa-Wahl auf Tiefstand
Die Wahl der Mitglieder des Greifswalder Studierendenparlaments (StuPa) für die im April 2007 beginnede einjährige Legislaturperiode fanden im Januar statt. Insgesamt stellten sich 35 Kandidaten den 10.954 stimmberechtigten Studenten der ErnstMoritz-Arndt-Universität zur Wahl. Nach der erst im letzten Jahr beschlossenen Vergrößerung des StuPa von 21 auf 27 Mitglieder kommt theoretisch ein Mitglied des Parlaments auf 405,7 Studierende. Bezieht sich das Verhältnis aber nur auf die Wählenden, dann sinkt es auf 34,4 : 1. Denn die Wahlbeteiligung betrug nur 8,5 Prozent der Wahlberechtigten. Die Wahlen zum StuPa fallen nie durch eine hohe Wahlbeteiligung auf. Europa-, Bundes-, Länder- oder Kommunalwahlen veranlassen bedeutend mehr Wähler an die Urnen zu gehen als die jährlichen Wahlen des studentischen Gremiums. Und das Problem der geringen Beteiligung ist nicht nur an der Greifswalder Hochschule vorhanden. Deutschlandweit besitzen die Wahlen der Organe der studentischen Selbstverwaltung wenig Anziehungspotential zu partizipieren.
Hohe Wahlbeteiligung Viele Wähler gehen zu einer demokratischen Wahl: Denn seine Stimme abzugeben ist ein Wert an sich und die gewählten Organe sollen die Interessen der gesamten Wahlberechtigten vertreten. Nur eine hohe direkte Partizipation sorgt somit für Legitimation der Gewählten um die unterschiedlichen Interessen der Wähler artikulieren, repräsentieren und integrieren zu können. Die vorhandene Unzufriedenheit der Wahlberechtigten mit der Politik, den politischen Akteuren und dem gesamten System äußert sich in der Nichtbeteiligung. Studentische Gremien weisen keine hohe Wahlbeteiligung auf. In allen drei Bereichen liegen die Ursachen der Wahlenthaltung. Diese Unzufriedenheit herrscht sowohl bei den hochschulpolitischinteressierten Studenten, als auch den Desinteressierten. Studentischen Parlamenten fehlt somit die Legitimation. Nur viele Wählende erzeugen diese.
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Wenn die Anzahl der Wählenden drastisch sinkt - 30 Prozent weniger Abstimmende gegenüber der Wahl 2006 - ist die Mobilisierung der Studenten zur direkten hochschulpolitischen Teilnahme misslungen. Trennung von Amt und Mandat Christian Bäz erhielt 190 Stimmen. Gegenüber dem hochschulpolitische Veteranen erscheinen die 15 Kreuze für den Kandidaten Sören Sölter wenig. Doch durch die ebenfalls in der letzten Legislatur beschlossenen Trennung von Amt und Mandat könnten sogar alle Nachrücker im StuPa Platz nehmen. Denn um Interessenkonflikte zu vermeiden wurde beschlossen, dass diejenigen Mitglieder des studentischen Parlaments ihr Amt ruhen lassen, solange sie ein Amt im Allgemeinen Studierenden Ausschuss (AStA) inne haben. Allein acht Mitglieder des neuen StuPa waren in der letzten Legislatur AStA-Hauptoder Co-Referent. Dass alle Kandidaten der Nachrückerliste einmal als Stimmberechtigte Mitglieder im StuPa Platz nehmen dürfen ist durch die Rücktritte von studentischen Parlamentariern während der letzten Amtszeiten noch realistischer. Proforma scheint die Wahl in diesem Jahr stattgefunden zu haben. Denn der Wettbewerb zwischen den Kandidaten ist gleich Null, wenn alle Willigen auch in das Parlament kommen. Ursachenforschung Ist es Desinteresse an der Wahl zum Studierendenparlament oder Wissen über die Bedeutungslosigkeit des Gremiums? „Es ist ein Vermittlungsproblem der Bedeutung
StuPa-Wahlbeteiligung 2004-2007
Quelle: www.stupa.uni-greifswald.de
des StuPas“, meint Justus Richter, Hochschulpolitischer Sprecher des AStA. Nicht nur um Hochschulpolitik drehen sich die Diskussionen des Parlaments. Soziale und kulturelle Themen stehen ebenfalls auf der Tagesordnung. „Das nichts durch das StuPa bewegt wird, ist falsch“, so Richter. Die nächste Wahl „Der Wahlablauf muss besser organisert werden“, sagt der kommissarische AStA-Referent selbstkritisch. Flexiblere Öffnungszeiten der Wahllokale, eine höhere Anzahl selbiger und ein offensiveres Ansprechen der Studenten - auch durch die Kandidaten selbst - kann sich Richter vorstellen. Als Motivationshilfe findet er die in Hessen praktizierte Verknüfung des Haushalts des Studierendenschaft an eine mindestens erreichte Beteiligung bei Wahlen der studentischen Selbstverwaltung nicht: „Missbrauch wäre möglich.“ Die Legimationsschwäche durch die geringe Partizpation und den niedrigen Wettbewerb sollte aber begeget werden, bevor hessische Verhältnisse eintreten. bb
Niedrige Wahlbeteiligung Demokratische Wahlen sind nur ein Mittel zur Zuweisung politischer Macht. Egal, wieviele Wähler sich an die Urne begeben, die Arbeit der Parlamentarier scheitert daran nicht. Handlungsfähig sind diese auch bei einer niedrigen Wahlbeteiligung. Die Ergebnisse der Parlamentsarbeit sorgen für die Legitimation. Wählen zu gehen wird vom Wählenden außerdem nicht als Pflicht angesehen. Denn seine Stimme nicht abzugeben ist auch ein Wahllentscheid. Gerade die Wahlen der studentischen Gremien zeigen dies durch geringe direkte Partizipation. Problematisch ist es aber nicht: Als stillschweigendes Einverständnis mit der studentischen Selbsverwaltung kann die Wahlenthaltung gedeutet werden. Zu großen Teilen gehören die studentischen Nichtwähler zu den hochschulpolitischen wenig Interessierten. Gut für den einzelnen Wähler: Seine Stimme fällt bei niedriger Beteiligung stärker ins Gewicht.
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HARRY ROWOHLT
feuilleton
Über Pennerkreise hinaus Aus dem Schatten des Vaters herausgetreten
Mit der Pulle in der Hand ist er immer da, wo diskutiert wird oder was los ist. ... als Deutschlands bekanntester Obdachloser, denn wer kennt die „Lindenstraße“ nicht! In einem Interview auf die Frage, was sein Leben denn von seiner Fernsehrolle unterscheide, antwortete der 62-Jährige „Eine 6-Zimmer-Eigentumswohnung mit Zentralheizung, fließendem Warm- und Kaltwasser, Vor- und Hintergarten.“ Mehr scheint es wohl nicht zu sein, was sein wahres Leben von der Rolle unterscheidet. Denn nicht nur in der ARD, auch außerhalb der Fernsehkiste trifft man Rowohlt oft dort an, wo was los ist und der Alkohol nicht weit. Das sind dann meistens seine eigenen Lesungen. Eigentlich nämlich ist Rowohlt in seinem echten Leben Übersetzer und Schriftsteller und das ist es wohl vor allen Dingen, was ihn von der Fernsehrolle unterscheidet. Zumal er bei seiner Arbeit keinen einzigen Tropfen Alkohol trinkt, dafür aber literweise Tee.
Ausbildung im Suhrkamp-Verlag absolviert und danach tatsächlich im Unternehmen des Vaters angefangen. Gefallen hat es ihm dort aber nicht. Über den Verlag sagt er: „Ich kannte den ja damals vorher nicht. Da hab ich ihn dann kennen gelernt und gedacht: Womit habe ich dieses Straflager verdient? Ich hab doch niemanden umgebracht.“ Er berichtet von wilhelmischen Strukturen, dass Frauen keine Hosen tragen durften, nach oben gesiezt und nach unten geduzt wurden. Hätte er ja besser machen können als Nachfolger des Vaters. Oder auch nicht? Als Begründung dafür, dass er den Verlag nicht übernommen hat, gibt er an: „Mein Vater ist ja fünfmal Pleite gegangen mit seinem Scheißladen. Wenn ich den Rowohlt-Verlag übernommen hätte, wäre das die erste Tradition gewesen, die ich wieder hätte aufleben lassen.“ Zudem war ihm seine Freiheit wichtig. Er wollte niemandes Herr sein, aber auch niemanden über sich haben.
Die Last des Familiennames
Bärenstimme - Löwenmähne
Übersetzen, schreiben, schauspielern, Hörbücher sprechen, Lesungen halten. Der Mann ist ziemlich aktiv und hat in (P)Kennerkreisen dem Namen Rowohlt schon längst eine zweite Bedeutung gegeben. Dennoch, die Frage, ob er etwas mit dem gleichnamigen Verlag zu tun habe, wird immer wieder gestellt. Ja, der gebürtige Hamburger hat auch etwas mit dem RowohltVerlag zu tun. Wenn doch nur soviel wie „Bobby Fischer mit dem S. Fischer-Verlag“, wie er sagt. Als Sohn der Schauspielerin Maria Pierenkämper und dem Verlagsgründer Ernst Rowohlt hat er sich mit dem berühmten Namen wirklich etwas eingebrockt: einen Ruf, den man nie mehr los wird. Sicherlich aber war der bereits besetzte Name auch Ansporn, sich durch eigenes Talent und Auffallen vom Familienunternehmen abzugrenzen. Als sein Bruder „Die grüne Wolke“ von A.S. Neill für unübersetzbar erklärte, hat er sich prompt an die Übersetzung des Buches gemacht – mit Erfolg. Aber wie ist es überhaupt dazu gekommen, dass Rowohlt nicht in die Fußstapfen seines Vaters getreten ist, sondern Übersetzer wurde? Immerhin hat er in jungen Jahren eine
Nonkonformistisch mit üppiger Mähne und ungezähmtem Bart schreitet er durch die Welt. Paradoxerweise beschränkt aber genau das mitunter seine Freiheit. Durchaus ist es schon vorgekommen, dass ihn Taxifahrer nicht mitnehmen wollten – deswegen meidet er jetzt auch Mannheim. Auch zu seinen eigenen Lesungen wurde er schon zunächst nicht eingelassen. Was sich da wohl dann im Zuschauerraum abgespielt hat? Immerhin zahlt man nicht für nichts den Eintritt zu einer Lesung. Zumal es gar keine richtigen Lesungen sind, die Rowohlt da veranstaltet. Man wird sich also höchstwahrscheinlich sogar amüsieren können. Sich auf einen Abend mit Rowohlt junior einzulassen bedeutet, einen waschechten 68er zu erleben, der sich hinter Whiskeyflasche, Bier und Aschenbecher aufgebaut hat. Er selbst nennt seine Auftritte „Schausaufen mit Betonung“. Die Lesung selbst findet eigentlich immer nur drei bis vier Sätze lang statt. Soviel liest er nämlich immer ungefähr vor, bis ihm wieder irgendeine Anekdote aus seinem Leben oder ein Kommentar zu irgendetwas einfällt. Manchmal singt er auch eine Hymne. Gerne würde er auch die des jeweiligen Ortes zum Besten geben, doch die meisten Käffer,
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feuilleton
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über die er tingelt, haben leider keine, sagt er. Na, bleibt mehr Zeit, Witze zum Besten zu geben. Denn darüber kann er lachen, über die an die 2500 Witze, die er aus dem Stand erzählen könnte, wenn man ihn ließe. Man lässt ihn besser nicht, er hat ja schließlich noch mehr zu bieten. Aber man lässt ihn trinken, sonst müsste er`s vorher tun und das ist seiner Meinung nach „Beschiss am Publikum“. „Das Publikum hat ein Anrecht darauf mitzuerleben, wie der Referent sich zugrunde richtet.“ ilia
Fahndungsfoto
Werke 1996: Pooh‘s corner - Meinungen und Deinungen eines Bären von geringem Verstand 1997: John Rock oder der Teufel 1997: Pooh‘s Corner II - Neue Meinungen und Deinungen eines Bären von geringem Verstand. 1997: Ich, Kater Robinson (zusammen mit Peter Schössow) 2004: In Schlucken-zwei-Spechte (zusammen mit Ralf Sotscheck) 2005: Der Kampf geht weiter. Schönen Gruß, Gottes Segen und Rot Front. Nicht weggeschmissene Briefe.
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BERLINALE / UEBER ARBEITEN feuilleton
Auf Bärchenfang
Der Auftrag
„Der Blonde“ Clint Eastwood.
Fam. Bourne: Matt Damon, Franka Potente.
Samurai Ken Watanabe.
Von Mrs. Bourne verlassen: Tom Tykwer.
Von der Besetzungscouch: Nicole Viscius. Fotos: Arvid Hansmann
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Da bin ich ausnahmsweise wieder in Berlin und will ausspannen, da erfasst mich der Sog der Berlinale. Samstag gegen 13 Uhr gemütlich im Bett liegend und auf den Fernsehturm schauend, rufe ich einen Kumpel an, der, wie ich weiß, für private und „moritztechnische“ Zwecke zur Berlinale getingelt ist. Eine halbe Stunde später werden mir ‘ne Kinokarte in die Hand gedrückt und eine Mission aufgebürdet: „Hast du Handy, wegen Fotos machen? ...Goldblum und Kinski-Sohn ist da... abfangen... hier Autogramm in das Buch, wenn... hier hast du aktuellen moritz... Schauspieler in Hand drücken und Foto damit machen... wenn die vorne stehen, dann... nach der Premiere... rausrennen... abfangen...“ Alles klar?!? So bin ich, all’ meine Aufgaben sortierend, ausgestattet mit einer Tüte moritz-Ausgaben, Kugelschreiber, Kinski-Buch und Kinokarte zum Kino „International“ ohne zu wissen, welcher Film da überhaupt läuft. Aber das war dann auch egal, kein Celebrity da, niemand zum Abfangen, nichts. Da steht man nun in der Berliner Kälte mit des Kumpels Gedanken: „Die Kinokarte brauchst du nicht zu bezahlen, musst du dir abarbeiten“. Vor dem Kino roter Teppich, viele wichtige Leute, den anderen wichtigen Leuten Bussis geben, Kamerateams von ARD bis ZDF und Schaulustige, die mir nicht sagen können, wer eigentlich erwartet wird. Aha, Herr Lagerfeld wird erwartet, irgendein Film über ihn, oder mit oder von ihm? Egal, neue Idee: Fotos von Lagerfeld und eventuell moritz in die Hand drücken, dass mein Auftraggeber stolz auf mich sein kann. Klirrende Kälte, in einer Hand den moritz, in der anderen das Foto-Handy. Alle warten. Da kommt er, er wird gerufen „Herr Lagerfeld, hier her...“, er posiert auf dem roten Teppich, gibt Mini-Interviews, kommt mir immer näher. Ist wohl ganz fasziniert von meiner „normalen“ Erscheinung, denn er steht auf einmal genau vor mir. Ein Foto, knipps. Seine Erscheinung, ganz in schwarz mit seinem alpinaweißem Haar und mit perlen- oder diamantbesetzten Lederhandschuhen, macht mich etwas ängstlich, doch ich frage ihn trotzdem: „Könnte ich ein Foto von Ihnen und unserem Magazin machen?“ und reiche es ihm. Doch irgendwie war er angeekelt und wurde von seinen Begleitern weggezogen. Dann eben nicht, dann begnügt der moritz sich halt mit dem Berlinale-Bären, der hat sich nicht so. Jana Kretzschmar
Anregend „ueber arbeiten“
Vom 12. bis zum 28. April kommt das bundesweite Festival ueber arbeiten nach Greifswald. Mit elf Dokumentarfilmen tourt es seit November 2006 durch 80 Städte. Dabei stellt es die Zukunft und den Wert von Erwerbsarbeit zur Diskussion. Die Kernworte Arbeit, Wirtschaft und Globalisierung greift es aus Debatten um Reformdiskussionen gezielt heraus. Denn nicht allein in Expertenrunden oder in Talkshows allein soll über diese Themenfelder gesprochen werden. Der Gedankenaustausch soll durch die Vorführung der Filme anregt werden und die Debatte letztlich wieder in der Gesellschaft zurückholen. Das Filmfestival dient zudem als Plattform für die Teilnahme und Vernetzung von zivilgesellschaftlichen Organisationen und engagierten Menschen. Mit 15 bundesweit arbeitenden Verbänden und Organisationen sowie den zahlreichen regionalen Partern wirbt es dafür. Jeder der elf Dokumentarfilme wird von einer eigenen Organisation aus dem Bereich der Sozialverbände und Nicht-Regierungs-organisationen betreut. Dazu gehören beispielsweise Attac, Caritas, die Gesellschaft für bedrohte Völker und Transfer. Diskussionsabende, Veranstaltungen und Kampagnen sorgen rund um die Filmvorführung für weiteren Gesprächsstoff an den Spielstätten. Das Festival ueber arbeiten ist Teil des Gesellschafter-Projektes der Aktion Mensch. „Nicht die Frage, in was für einer Gesellschaft Menschen leben müssen oder sollen bestimmt die Zukunft des Zusammenlebens in einer Demokratie, sondern die Frage, in was für einer Gesellschaft sie gemeinsam leben wollen“, sagte Markus Schächter, Vorsitzender der Aktion Mensch, zum Auftakt des Gesellschafter-Projektes. ur
Black Gold
Foto: bfilm
Weitere Informationen unter www.ueber-arbeiten.de www.cinestar.de www.ikuwo.de
moritz #62 04.04.2007 13:57:56 Uhr
KONZERT
feuilleton
W(h)at a party!
Krach und The Toasters rockten die Mensa “Das ist Zirkusmusik! Damit werden Sie niemals Erfolg haben,” spottete ein New Yorker Label als Robert “Bucket” Hingley 1982 auszog mit seinem Bandprojekt “The Toasters” die Musikwelt des Ska zu erobern. Wenn damit gemeint war den eigenen guten Geschmack gegen einen Platz in den Charts von gängigen TV-Musikstationen einzutauschen, dann hatten die New Yorker wohl Recht. Ska-Liebhaber rund um den Globus sahen das anders und inzwischen feiert Bandleader und Songschreiber “Bucket” mit den Toasters 25-jähriges Bandjubiläum und über eineinhalb Millionen verkaufte Platten. Das führt sie anscheinend nicht in immer weniger größere sondern in immer mehr, nicht unbedingt große Städte. Glück für Greifswald. Am 16. März gab es den Debütauftritt in der Mensa. Dabei mussten sie zunächst an ihrer Vorband vorbei, die im Mensaclub Heimspiel feierte. Die “KRACHmacher” waren unterwegs. Das versprach die Aufschrift auf zahlreichen Shirts. KRACHSänger Tobias verkündete gut gelaunt und ganz in weiß wie froh die Band sei, endlich
wieder vor Publikum spielen zu dürfen. Das außerdem noch Songtexte mitsingen konnte. Obwohl, das Singen blieb Tobias vorbehalten. Die Konzertgänger zeigten ihre Begeisterung teils grölend, kreischend und ganz vorn durch wildes Herumhopsen. Eine gute Stunde spielten die sieben Greifswalder und ließen fast vergessen, dass die Hauptattraktion der Nacht noch gar nicht erschienen war. Als die dann kam, stellten sie ganz schnell klar, dass die Party noch lange nicht gelaufen war. Mit einem fulminanten amerikanischen “Hallo Greifswald” eroberten sie erste Sympathien. Die Pioneers of Ska, diesen Status haben sie in Amerika als eine von den fünf bekanntesten Bands ihres Genres in ihrem Land, sangen, rappten und zeigten knapp drei Stunden Bühnenpräsenz. Zugabe mit eingerechnet. Danach waren die sieben Toasters leider ganz schnell verschwunden. Am nächsten Tag sollte es nach Jena gehen. Netterweise zeigte sich Saxofonist Jeff Richey noch gesprächsbereit. Das Umziehen konnte auch nebenbei erledigt werden. Was er vom
Greifswalder Publikum hielt? “It`s a crazy crowd!” mt
Mensa-Action
The Toasters.
Krach-Sänger Tobias. Fotos: Henry Dramsch
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KINO
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Numerische Graphomanie „The Number 23“ von Joel Schuhmacher
Das Phänomen 23, keine gewöhnliche Zahl. Ihr wird schon seit der Antike eine geheimnisvoll dunkle Macht zugesprochen. Sie ist ein Fluch, weitergegeben von einer Generation zur nächsten. Walter Sparrow (Jim Carrey) ist Tierfänger und lebt glücklich, zusammen mit seiner Familie. Bis ihm seine Frau Agatha (Virginia Madsen) an seinem 32. Geburtstag ein Buch von einem gewissen Tobbsy Kretts (!) namens Number 23 schenkt. Walter findet immer mehr Parallelen zwischen sich und der Hauptfigur und fängt an, sich mit ihr zu identifizieren. Blöd nur, dass der Romanheld Fingerling (Jim Carrey) ein psychopatischer Frauenkiller ist, besessen und verfolgt von einer krankhaften Obsession. Fingerling ist Polizist, der seit seiner rätselhaften Begegnung mit der Selbstmordblondine deren Wahn übernimmt: Die 23, sie durchzieht sein Leben, wird sein Schicksal. Anfänglich nur angezogen von der zwingenden Beharrlichkeit des Zufalls, steigert sich Walter in ausgewachsene Paranoia hinein, die schließlich in düsteren Wahnvor-
stellungen gipfeln. Er glaubt, die Geschichte um Fingerling sei Realität und begibt sich auf die Suche nach dem Autor, dem unerkannten Frauenmörder. Regisseur Joel Schumacher baut zu Beginn seines Films eine fesselnde Spannung auf, die von der schönen Kameraführung und optischen Ästhetik abgerundet wird. Die hohen Erwartungen werden jedoch enttäuscht, denn der Spannungsbogen wird nicht gehalten. Jim Carrey überzeugt in seiner Doppelrolle durchweg unangefochten. Ganz im Gegensatz zu seiner Figur Walter, die anfangs noch gut durchdacht ist, sich jedoch allmählich in der Story verliert. Schumachers Geschichte füllt sich mit Ungereimtheiten und steuert schließlich unaufhaltsam und gnadenlos auf das auf Überraschung organisierte Ende zu. Sehenswert bleibt Number 23 auf jeden Fall wegen der ästhetisch inszenierten Parallelhandlung der Romanwelt und der überzeugend spannenden ersten Hälfte. Ein immerhin unterhaltsamer Thriller mit dem Resultat, sich nach dem Kinobesuch zu
überlegen auf welche Zahl sich der eigene Name aufschlüsseln lässt. sb
Fingerling
Foto: Warner Bros.
Auf die Tomate gekommen
„Neues vom Wixxer“ von Cyrill Boss und Philipp Stennert London hält den Atem an: Ein neuer Wixxer ist aufgetaucht. Und mit ihm eine Liste der nächsten Opfer. Die ungetrübte Stille der vergangenen drei Jahre bei Scotland Yard sind dahin. Die Ermittler Inspector Very Long und Chief Inspector Even Longer haben im zweiten Streifen der Edgar-WallaceParodie wieder alle Hände voll zu tun. Denn es bleibt nicht viel Zeit, dem grässlichen Schurken mit dem Hut, der Peitsche und dem knöchernen Schädel ins Handwerk zu pfuschen. Die ursprüngliche Krimiserie der RadioComedysendung „Das Früstyxradio“ findet in der Leinwandfortführung bald seinen Abschluss. Die als Triologie angelegte Enthüllung soll der Allgemeinheit erst im Kino die wahre Identität des Wixxers offenbaren. Im Radio funktionierte dies leider nicht. Die Fortsetzung der Hommage auf „Der Hexer“ oder „Der Mönch mit der Peitsche“ wurde in rund 40 Tagen in und um Prag herum abgedreht. Kostengründe sprachen wieder wie
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beim Erstlingswerk für die Wahl des Standortes. Die Filmorte London und München fielen allerdings weg. Oliver Kalkofe, Bastian Pastewka und Oliver Welke schrieben hierfür wieder das Drehbuch und standen vor der Kamera. Neben den bisherigen Darstellern kommen jene hinzu, die in Edgar-Wallace-Filmen mitgewirkt haben. Produzent Christian Becker präsentiert mit Joachim Fuchsberger eine Überraschung und Ronald McDonald sichert beim Kindergeburtstag in der Gerichtsmedizin für das nötige Product-Placement. Nicht allein in der Liebe zum Detail und guten Pointen erstreckt sich die Komödie „Neues vom Wixxer“. Christoph Maria Herbst steht, die cineastischen Produkte des vergangenen Jahres einmal mitbetrachtet, nicht allein in seiner Rolle als Dr. Alfons Hatler dar. Dennoch steht er als emsiger Klinikleiter und singender Franky Boy als gewiefter Kommentar großforma-
tig auf der Kinoleinwand. Es ist jedoch nur eine Spitze einer Reihe von Eisbergen, die der elegant britische Bilderfluss bereithält. Störend wirkt am Ende nur die prompte Werbung für Triple X, dem letzten Teil. Aber aller guten Dinge sind ja bekanntlich drei. Dann ist erst Schluss mit lustig. ur
Fesselnd
Foto: Constantin Film
moritz #62 04.04.2007 13:58:05 Uhr
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KINO
feuilleton
Chrysanthemenfest
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„Der Fluch der goldenen Blume“ von Zhang Yimou
Jede Stunde eine Weisheit, jede Stunde wird ein Geheimnis gereicht. Jede Stunde scheint es, trägt die Handlung voran, wie ein Uhrwerk auf die Stunde Null, in der sich alles entscheiden wird.... Überwältigend, tausend klopfende Füße der Untertanen: die gewöhnliche Zeremonie der Ankleidung hunderter Dienerinnen, der Königin beginnt, daneben die heran reitenden Kämpfer, in ihrer stolzen, prunkvollen Rüstung: sie kommen von der nördlichen Grenze ihres Landes, wo sie gegen Mongolen kämpften. Ein Herr an Untergebenen, baut sich vor dem Palast eines chinesischen Königs auf. Und plötzlich wird alles abgebrochen, alles was so eindrucksvoll begann, nimmt ein jähes Ende durch den Ruf der königlichen Boten, die den festlichen Empfang des königlichen Sohnes Prinz Jie somit beenden, wo er noch gar nicht begann. Doch es soll keine Erniedrigung des Sohnes bedeuten, eher wird er bei einem Empfang außerhalb des Palastes durch einen Kampf mit seinem Vater auf die Probe gestellt, ob er genügend Kampfähigkeiten im Kriegsgebiet erlangt hat. Ist er zum Regenten herangewachsen nach den drei Jahren Kampf - Erfahrung an den Verteidigungsgrenzen der Mongolei? Bizarr, als der Sohn in den königlichen Palast zurückkehrt, beginnt sich ein Weg aus Intrigen, Machtgier und Leidenschaft durch allerlei Andeutungen abzuzeichnen, alles hinter dem Deckmantel der höfischen Normalität der Tang-Dynastie, welche ihr goldenes Zeitalter in politischer Stabilität und Wohlstand hinter sich gelassen hat. Symbolik zieht sich durch den ganzen Film, wie ein zunächst ungesehener Faden in Form der goldenen Blume, doch die Fäden verwirren sich in der Handlung immer mehr zu einem explosiven Knoten. Bildgewaltig, monumental, das Gesamtkunstwerk aus Kampf und Leidenschaft, Liebe und Machtgier. Grundlage für den Film bietet das Drama Cau Yus „Das Gewitter“, welches in der ausklingenden Tang-Dynastie (923-936 n. Chr.) spielt. Es gibt zwar nicht die konkret existierende königliche Familie, sie steht stellvertretend für diese Zeit des Umbruches von „einer Zentralgewalt
in Wohlstand und Frieden“ herrschend, zu einer in sich durch rivalisierende Teilkönige und selbsternannte Gouverneure zerfallenden Großmacht. Wer chinesische Filme, Kultur und Kunst der Chinesen vergangen Tage mag, wird sich den Film, der in Chinesisch mit deutschen Untertiteln gezeigt wird, mit Genuss anschauen, wer mehr auf Action aus ist, kommt hier zu kurz, nur einige Kampfszenen und der entscheidende längere Kampf sind eher in der Handlung integriert, als das sie für sich allein stehen könnten. Zhang Yimou; Regisseur von „Hero“ schuf hier ein monumentalen Film, indem viele bekannte asiatische Schauspieler: Gong Li („Hero“) als Königin, Chow Yun Fat („Anna und der König“) als König, sowie der als Mandarinsänger bekannte Jay Chou, die Geschichte um Macht, Liebe und Hass abrunden. mp
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Fotos: TOBIS Film
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feuilleton
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DVD / BALLETTDIREKTOR feuilleton
Der Betoncowboy
„Down in the Valley“ von David Jacobson Kein Abschied wurde wohl je so zelebriert wie der des Westerns. De facto ist der Abgesang auf den wilden Westen ein bleibender Fixpunkt der Filmlandschaft geworden. Ob als eigenes Subgenre wie in Eastwoods „Erbarmungslos“ oder Siegels „The Shootist“, in stilistischen Reminiszenzen wie in „Enemy at the Gates“ und „Last Man Standing“, oder einfach in melancholischen Nuancen von „The Big Lebowsky“ oder gar „Ghost Rider“: Die Retrospektive ist allgegenwärtig und das Sterben des Western scheint den Filmschaffenden so ans Herz gewachsen zu sein, dass auch das Urgenre selbst wohl nie wirklich untergehen wird. Die antiquierte Haltung des Western mit ihrer zumeist klaren moralischen Einteilung in„Schwarz“ und „Weiß“ ist dabei Fluch und Segen zugleich. Obwohl auf gewisse Weise reaktionär banalisierend, fasziniert sie doch gerade durch diese beruhigende Schlichtheit. In eben diesem Spannungsfeld zwischen den klaren Positionen der Westernwelt und überfordernder Komplexität der Moderne bewegt sich Harlan, ein haltloser junger Mann mit unglaublich gefestigter CowboyAttitüde. Verkörpert von Edward Norton, der sonst eher für die Darstellung „innerer“ Zwiespälte bekannt sein dürfte („Fight Club“, „Zwielicht“), steht er im ständigen Konflikt zu der Welt, die ihn umgibt, in die er aber nicht gehört – oder vielleicht nicht gehören will. Harlan ist ein wandelnder Anachronismus. Und so führt sein von altmodischen Floskeln getragenes Werben um das Mädchen
seiner Träume (Rachel Evan Wood, „Dreizehn“) unweigerlich zum Konflikt mit deren Vater (David Morse). Während sich dieser an sich alltägliche Konflikt entfaltet, zieht sich der überforderte Harlan mehr und mehr auf die Rolle des „lone gunman“ zurück, bis es schließlich zum unausweichlichen Showdown kommt – metaphorisch in Szene gesetzt vor der Kulisse eines Western-Themenparks. Überhaupt überzeugt neben dem gewohnt beeindruckenden Spiel aller drei Hauptdarsteller vor allem die Bildkonzeption des Films, die das Westernmotiv gekonnt in Kontrast zu den Betonwelten L.A.’s setzt, so etwa, wenn Harlan auf seinem gestohlenen Schecken in voller Cowboy-Montur samt Stetson und Peacemaker einen oberirdischen Abwasserkanal durchschreitet als ritte er in den obligatorischen Sonnenuntergang. jk
Wild Wild West
Foto: Universum Film
Erstaunt Ralf Dörnen
moritz: Wie viel Arbeit steckt in einem Stück? Dörnen: Eine Minute auf der Bühne entspricht der Arbeit von einer Stunde im Ballettsaal. moritz: Was passiert nach einer Premiere? Dörnen: Wir arbeiten weiter, um ein Stück weiter lebendig zu halten. moritz: Was fasziniert sie an Prokofjew? Dörnen: Prokofjew war seiner Zeit weit voraus. Erstmalig gehen in „Romeo und Julia“ Tanz und Musik eine gleichberechtigte Partnerschaft ein. Zudem ist diese sinfonische Musik mit ihren Leitmotiven erstmals richtig durchkomponiert. moritz: Was überrascht Sie beim heutigen Publikum? Dörnen: Junge Leute suchen wieder nach Harmonie und Schönheit. Ich bin erstaunt, dass viele von ihnen eher in „Romeo und Julia“ als in die experimentelle Abende gehen. Ältere lassen sich in Greifswald lieber darauf ein. Normalerweise erwartet man das umgekehrt. moritz: Das Ballett feiert 2007 sein 10. Jahr innerhalb des Theater Vorpommerns. Dörnen: Ich fühle mich sehr wohl hier. Die Stadt steht hinter uns. Dennoch muss man aktiv bleiben und darf sich nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen. Denn die Erwartungen sind bei uns hoch. ur
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SCHAUSPIEL
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Dein Spiegelbild
„Die Oberläche“ feiert Uraufführung Wenn alle den Mund öffnen und reden, scheinbar einander zuhören, viel eher Monologe vor sich her sagen, dann ist die Verändigung gestört. Das Gehör funktioniert einwandfrei, doch der Kopf ist nicht in der Lage aus seiner subjektiven Weltsicht herauszutreten und sich im Umgang mit anderen Menschen Mühe zu geben. Das richtige Gespräch will halt gelernt sein. Viel schlimmer aber, wenn verlernt wurde sich an die Vorraussetzungen gelungener Kommunikation zu halten. Vom Zustand auszugehen, das die Figuren im Stück „Die Oberfläche“ noch nie funktionierende Konversation betrieben ganz zu schweigen. Die Personen, durchnumeriert, weil nicht benannt, stehen symbolisch für die gesamte gesellschaftlichen fehlerhafte Kommunikation. In Zeiten immer neuerer technischer Spielereien der Übermittlung von Gedanken, Interessen und Wünschen stellt der polnische Autor Szymon Wróblewski in seinem Schauspiel eine Familie in den Vordergrund, die aufgrund vom falschen Zuhören, Hineininter-
pretieren in die Aussagen anderer zu Grunde geht. Vater und Mutter unterbrechen sich regelmäßig. Inhaltlich interessieren sich beide ebenfalls nicht für einander. Die Tochter steht zwischen den Stühlen. Einmal von der Mutter falsch verstanden, fällt sogleich das Beil des Henkers über den Vater. Der Vorwurf lautet Missbrauch der eigenen Tochter. Dem Beobachter ist nicht klar, ob das nicht gesehene, sondern nur von den Figuren ausgesproche wahr ist. Vielleicht fehlt es einem selbst an der Fähigkeit zuhören, besser verstehen zu können. Dies ist durch den Autoren beabsichtigt. Ein Blick in den alltäglichen Spiegel der menschlichen Monologe scheint „Die Oberfläche“ zu sein. Nur das Timing der Darstellenden auf der Bühne lässt sich außerhalb der Bühne nicht finden. Um zu wissen, wann der Einsatz des eigenen Selbstgesprächs trotz Zuhörender beginnt und endet, dazwischengesprochen werden kann, ist nicht einfach auswendig lernbar. Die einzelnen Rollen müssen verkörpert werden. Und sind. bb
Face-to-Face
Mutter, Tochter, deren Lehrerin.
Tochter, Vater. Foto: Vincent Leifer
Eine liebevolle Nabelschau
Das Theater Vorpommern zeigt Tschechows „Die Möwe“ Das Schicksal der unerfüllten Liebe durchzieht die tragische Komödie Anton Tschechows wie ein roter Faden. Und am Ende bleiben alle einsam und ganz für sich allein. In dem 1896 uraufgeführten Stück langweilt sich die alternde, divahafte Schauspielerin Irinia (Sabine Kotzur) mit ihrer Gesellschaft in der russischen Provinz. Einzig ihr Sohn und angehender Schriftsteller Konstantin (Florian Anderer) belebt die Szenerie mit einem, von seiner Muse und Geliebeten Nina (Heide Kalisch) insperierten, Theaterstück. Doch die junge Schauspielerin verliebt sich in den Freund der Irina, den erfolgreichen Schriftsteller Trigorin (Christian Holm) und bricht mit ihrer Herkunft. Die von Konstantin erschossene und ausgestopfte Möwe dient als tragendes Element der gescheiterten Existenzen. Nach Jahren trifft sich die gleiche Gesellschaft wieder, unglücklich und einsam. Konstantin ist nun zwar erfolgreich, aber noch immer unglücklich verliebt. Und auch Nina, als nur mittelmäßige Schauspielerin und von Trigorin verraten und verlassen, ist tief verletzt. Gerade die beiden
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hoffnungsvollsten und ideelsten Figuren der verschrobenen Gesellschaft sind gescheitert. Das tiefgänige Werk Tschechows wird hervorragend von der Kulisse eines minimalistischen Birkenwaldes getragen, der den Zuschauer nicht von der Handlung ablenkt. Die Möwe nimmt unter den Werken Tschechows eine besondere Stellung ein und wirkt unter der Regie von Matthias Nagatis modern und überzeugend. Die engagierte Hingabe des Schauspielerensambles erklärt sich vor allem auch durch das Stück selbst, dass als eine Art Nabelschau der eigenen Zunft verstanden werden kann. Die Nebendarsteller verdeutlichen auf angenehme Weise, wie lustig und zugleich tragisch Tschechow sein kann. Und doch will der Tod Konstantins am Ende deutlich den Besucher zum nachdenken bewegen, ohne dabei belehrend zu wirken. Wer sich das Theaterstück nicht entgehen lassen will: Vorstellungen finden in Stralsund am 22. April, 16 Uhr und am 23. April, 10 Uhr statt. Die Premiere in Putbus läuft am 25. Mai 2007. sn
Liebestoll
Die alternde Irina und ihr Trigorin.
Einsames Unglück in satter Gesellschaft.
Foto: Vincent Leifer
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MUSIK feuilleton
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Hauptsache Garnitur „Pocket Symphony“ von AIR (Virgin France)
Voilà! AIR liefern mit ihrem vierten Studioalbum „Pocket Symphony“ die Sinfonie zum Mitnehmen. Nein, hier lauert nicht der Klassik-Pop. Hier lauert überhaupt sehr wenig. Denn die Maître des naiv-romantischen Softporno-Pop, Nicolas Godin und Jean-Benoît Dunckel, dirigieren den elektronischen Taktstock ein weiteres Mal über ihr Apperaten-Orchester, das einsetzt, designvollendete und warme Klangräume zu ummauern, die serienmäßig über dem Grundriss eines minimalistischen Klavier- oder Gitarrenmotivs entstehen. Das war es dann schon – grundöde Architektur des Nobelsounds. Von Sinfonie ist in den zwölf Nummern wenig zu hören. Vielleicht nur drei der Songs geben dem Wettstreit der musikalischen Einfälle Raum zur Entfaltung, wo Ideen das Grundschema erweitern, Zwischenwände eingezogen und Teile des Vorgegebenen abgerissen werden. Ein Titel wie „Left Bank“ liegt der melancholischen Spannung des Vermissens auf der Lauer, wenn männli-
cher und weiblicher Gesang getrennt und zusammen intonieren. „Waking and Sleeping“, der andere Höhepunkt, setzt die karge Stimme von Gastsänger Neil Hannon (The Divine Comedy) in Kontrast zur satten Klangsynthesewelt. Fast der ganze Rest ist orchestrale Auffüllung, Begleitmusik als belangloser Leitgedanke. Manchmal noch gewitzt, wenn mittels klanglicher Anspielung, wohlbekannte Synthesizersounds und Basslinien der „Moon Safari“ erneut erlegt werden. Lässt aber auch erkennen, dass AIR nur im Zusammentreffen von Klangvollendung und echten Song-Ideen im Ohr bleiben und insofern vielleicht sinfonisch sind. bert
Popgressiv
„Polarkreis 18“ von Polarkreis 18 (Motor) Das Beeindruckende dieser Musik ist ihre Frische. Ein Bündel aus Klängen treibt den Hörer in genau eine Richtung: vorwärts. Perlende Gitarren, giftige Synthesizerfragmente und entgiftende E-Pianos, melodramatisch ausgeführte Streicherpassagen und brilliante Pop-Rhythmen. Unverwechselbarkeit entsteht jedoch vor allem durch das Phänomen der Polarkreis-18-Stimme Felix Räuber, denn da kommt man ins Rätselraten: Ist’s Mann, Frau, Kind oder einprogrammierte Vokalhysterie? Das Songwriting und eine teilweise unkonventionelle Spurabmischung machen sich diese große Wandelbarkeit zunutze, setzten freundliche und träumerische Melodien gegen Passagen des emotionalen Ausbruchs. Eine stellenweise kindliche Aggressivität tritt in den Vordergrund, als gäbe es keine Grenze zwischen Unterbewusstsein und Kehlkopf, zwischen Bestürzung und Trotz. Und prompt überdeckt das dichte Netz kluger Arrangements die wieder in Traum
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gesunkene Stimme – alles muss vorwärts. Die zehn eigenständigen Songs geben erst nach und nach das Geheimnis preis, wo sie zusammengeräubert wurden. Mars Volta, Björk, Radiohead. Alles richtig, alles falsch. Entstanden ist diese Musik in Dresden in den letzten vier Jahren – und deshalb sei es erst am Ende verraten – in einer „Nachwuchsband“ starrsinniger Anfang-20Jähriger, die ihr Ding durchgezogen haben. Das Ding selbst produzierten. Das Ding zu einem Deal machten. Das Konzentrat des Albums lässt befürchten, dass das Ding jetzt ausgequetscht ist. Seine schöpferische Qualität lässt hoffen, dass es vorwärts geht. bert
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MUSIK/BÜCHER
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Ruhiger
Knutig
Faustdick
„Wir sind Gold“ von Letzte Instanz
„12“ von Herbert Grönemeyer(Groenland)
„Solaris“von S. Lem
(Drakkar)
Einst forderte Herbert Grönemeyer „Kinder an die Macht“. Kinderpsychologen rügten ihn in einer Gesprächsrunde vor laufender Kamera dafür. Im Sommer steht der derzeitige Wahl-Londoner zusammen mit Bono und U2 in Heiligendamm auf der Bühne. Der Erfolg seines neuen Albums „12“ lässt zudem den einstigen Rausschmiss seiner ersten Plattenfirma eher als schlechten Witz erscheinen. Heute ist es Herbert Grönemeyer, der als deutschsprachiger Künstler für seine Plattenfirma EMI im eigenen Land Erfolge einfährt. Bei den Longplayern führt „12“ die Spitze an und die Tour ist bestens nachgefragt. Herbert Grönemeyer ist nicht mehr ein Musiker, sondern ein Ereignis. Als Musiker und Texter zieht er sich hartnäckig auf die Differenz von Kunst und Leben zurückzieht und erteilt dem Muster des Klingeltonkomsums eine Absage. Mit wortgewandtem Pathos, üppigem Streichereinsatz und der Stille einer Pianoballade zieht Herbert Grönemeyer mit„12“ erhobenen Hauptes seinen Weg und schafft damit vor allem eins: Es ist genug für alle darin. ur
Nach längerer Krankheit starb Stamislaw Lem (1921 - 2006) am 27. März in Krakau an Herzversagen. Der Sohn einer polnischjüdischen Arztfamilie erwarb dank seiner utopischen Werke auf dem Gebiet der Science-Fiction-Literatur weltweiten Ruhm. Solaris (1961) steht dabei in einer Reihe von Werken dieser literarischen Gattung, die mit „Mensch vom Mars“ 1946 begann und bis hin zu „Fiasko“ (1987) führte. Dennoch ist die Verengung Lems auf einen Genreautor nicht angebracht. Ob als Philosoph oder Essayist begleitete er seine Zeit und die Wissenschaft kritisch. Viele zeitnahe Nachrufe auf den 84-jährigen stellten in Deutschland Solaris als literarisches Erzeugnis seines in 57 Sprachen übersetzten Oeuvres aus. Dessen gleichnamige Verfilmung durch Andrej Tarkowski (1971) und Steven Soderberg (2002) gefielen Lem nicht. Tarkowski zog er noch eher der Hollywood-Produktion mit George Clooney vor. Innerhalb der Tonträger fehlte bisher eine Hörspielbearbeitung des Entwicklungsromans. Die „Robotermärchen“, die „Sterntagebücher“, „Test“ oder „Die lyphatersche Formel“ lagen bisher vor. Diese Lücken schließt erstmalig der Deutsche Audio Verlag (DAV). In der Produktion des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) trifft die Besatzung der Forschungsstation Solaris auf den rätselhaften Planeten. Fragen nach intelligentem Leben im All, den Grenzen technischen Fortschritts und der zufälligen Existenz des Menschen im Universum leuchten innerhalb von 125 Minuten durch 20 Tracks hindurch auf. Mario Schneiders sphärisch-rhythmischen Klänge rahmen die zielführende Regie Peter Rothins. Auch das Sprecherensemble ist gut ausgesucht. Oliver Stokowski („Der Ermittler“) schlüpft in die Rolle Kelvins, Maria Simon („Luther“) in Hareys Zerstreutheiten und Hans Peter Hallwachs („So weit die Füße tragen“) in die des forschungsfanatischen Satorius. Erstmals erhält der Science-Fiction-Klassiker damit eine stimmgewaltige Fassung und bereichert als Ohrenschmaus auf zwei Silberscheiben. ur
Es ist kaum ein Jahr her, da erschien das Album “Ins Licht”. Im März sind sie schon mit einer neuen Scheibe auf dem Markt. “Wir sind Gold” finden die sieben Musiker von Letzte Instanz und feiern damit auch gleich eine Premiere. Zum ersten Mal in der Bandgeschichte, der immerhin seit 1996 bestehenden Truppe gab es nicht einen Wechsel in der Besetzung zwischen zwei Alben. Wurden die sächsisch-bayrischen Rocker mit ihrer ersten Scheibe “Brachialromantik” noch in einen Topf mit “Subway to Sally”, “Schandmaul” und anderen, die das Mittelalter rocken geworfen, so sind sie mit der aktuellen Platte wohl endlich dort angelangt wo sie sich selber noch am ehesten sehen: Beim Klassik-Rock. Im Vergleich zum letzten Album, dem ersten, welches mit dem inzwischen dritten Sänger Holly aufgenommen wurde, zeigt sich die Letzte Instanz hier von Anfang an wesentlicher ruhiger und tiefsinniger. Eben klassischer. Die altbewährten Streicher finden wieder angemessene Beachtung, zu Cello und Geige gesellt sich die Bratsche von Henriette Mittag. Für erste Ohrwurmqualitäten sorgt Song Nummer vier. Mit “Wir sind allein” erinnern sie nicht nur thematisch an “Das Stimmlein” vom Vorgängeralbum. Der Chor im Refrain vermittelt ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Einen Hauch Oper bringt Sopranistin Christiane Karg mit. Sie unterstreicht die markante Stimme des Sängers im Hintergrund. Ob es “Wir sind Gold” mit ihrem Vorgänger aufnehmen kann, wird wahrscheinlich Ansichtssache bleiben. Lohnend ist die Scheimt be mit ihren 16 Songs aber allemal.
Endlich
„Dreckskerl“ von Wojciech Kuczok (Suhrkamp) Es ist jenes Haus von Herrn K., in dem die Geschichte des 20. Jahrhunderts weitergeht. Auch wenn der Krieg scheinbar vorbei ist. Mit der Antibiographie „Dreckskerl“ kehrt W. K geistreich auf den Buchmarkt zurück. 2004 erschien es in Polen, erhielt den renommierten Literaturpreis Nike und löste heftige Debatten aus. Denn der Neuling behandelt mit atemberaubender Leichtigkeit und sicherem Witz die dramatischen Wendungen der deutschen und polnischen Geschichte. Bravo! ur
(DVA)
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Beliebt wie umstritten
Strauss: Komponist, Dirigent, Operndirektor und NS-Funktionär Der Komponist Richard Strauss 1864 - 1949 Komponist, Dirigent
1864 11. Juni: Richard Strauss wird als Sohn des Musikers Franz Strauss und dessen Frau Josephine (geb. Pschorr) in München geboren. ab 1882 Er studiert einige Semester Philosophie, Kunstgeschichte und Ästhetik an der Münchener Universität. Erste Kompositionen entstehen. 1885 Herzoglicher Meiningen.
Hofkapellmeister
in
1886 Strauss wird als dritter Kapellmeister an die Münchner Hofoper berufen. ab 1889 Hofkapellmeister in Weimar. Die symphonische Dichtung „Don Juan“ macht ihn zum wichtigsten jungen Komponisten in Deutschland. 1894 Auf einer Reise nach Ägypten komponiert Strauss seine erste Oper „Guntram“ mit eigenem Libretto. Heirat mit der Sängerin Paulina de Ahna. Rückkehr nach München als Erster Hofkapellmeister. 1895-1898 Die Vertonungen „Till Eulenspiegel“, „Also sprach Zarathustra“, „Don Quixote“ und „Ein Heldenleben“ entstehen. Europäische Konzertreisen als Dirigent. 1898 Berufung als Kapellmeister an die Berliner Hofoper. Strauss organisiert die „Genossenschaft deutscher Tonsetzer“. 1900 Bekanntschaft mit dem österreichi-
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Richard Strauss zählt zu den bedeutendsten Komponisten im späten 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sein langes Leben umspannt eine Vielzahl einschneidender politischer, sozialer und kultureller Ereignisse. Als Strauss am 11. Juni 1864 in München geboren wurde, war Ludwig II. gerade König von Bayern geworden, und als er über 85 Jahre später, am 8. September 1949 in Garmisch-Partenkirchen starb, gab es bereits die Bundesrepublik Deutschland und die Gründung der DDR stand kurz bevor. Strauss wurde groß im deutschen Kaiserreich und erreichte den Zenit seines Ruhmes mit der Dresdner Uraufführung seiner Oper Der Rosenkavalier Anfang 1911. Neben dem Rosenkavalier (zu dessen Aufführungen Sonderzüge von Berlin nach Dresden eingerichtet werden mussten!) erfreuen sich auch seine Opern Salome (1905) und Elektra (1909) bis heute weltweit höchster Wertschätzung. Alle drei Stücke zählen zu den ganz wenigen Werken des Musiktheaters aus dem 20. Jahrhundert, die sich dauerhaft im Repertoire etablieren konnten. Vor allem diesen Erfolgsopern, aber auch einigen seiner orchestralen Tondichtungen verdankte Strauss seinen Rang als angesehenster und einflußreichster deutscher Komponist seiner Zeit. Schaden nahm seine Reputation allerdings durch sein Amt als Präsident der nationalsozialistischen Reichsmusikkammer (Ende 1933 bis Mitte 1935). Strauss zu kritisieren fiel deshalb lange Jahre nicht schwer. Auch seine vermeintlich platte Programmmusik und seine bewußte Verweigerung einer atonalen Musiksprache wurden gerne gegen ihn ausgespielt. Ein großes Publikum jedoch hielt und hält ihm unbeirrt die Treue. In den letzten Jahrzehnten – genauer: seit Stanley Kubricks Film 2001: A Space Odyssey (1968) – hat Strauss eine weitere und äußerst einträgliche postume Karriere gemacht: Wenige Anfangstakte seiner Tondichtung Also sprach Zarathustra (1896) verleihen Filmen, vor allem aber Biermarken und anderen Produkten in der Werbung unentwegt den Eindruck überwältigender Größe und Bedeutung. Jugend und Meiningen
erste
Anstellung
in
Richard Strauss war das ältere von zwei
Kindern des Ehepaars Franz Joseph Strauss und Josepha Pschorr, einer Tochter des Münchner Brauereiunternehmers Georg Pschorr d. Ä. Vater Franz Strauss – übrigens nicht verwandt oder verschwägert mit der Wiener Operettendynastie Strauß –, Solohornist im Bayerischen Hoforchester und ein Bewunderer der Werke Haydns, Mozarts und Beethovens, übte auf die frühe musikalische Entwicklung des Sohnes großen Einfluß aus. Neben der Schule erhielt der junge Richard schon seit 1868 Klavierunterricht, dazu von 18721882 Violinunterricht und von 1875–1880 auch noch Unterricht in Musiktheorie, Orchestration und Komposition. Dank der Stellung und der Kontakte seines Vaters besuchte er seit den frühen 1870er Jahren er regelmäßig Aufführungen der Hofoper, Konzerte des Hoforchesters im Münchner Odeon sowie Kammermusik-Soireen. Als Sechsjähriger begann Strauss zu komponieren, und zwar zunächst für den Kreis der engeren und weiteren Familie: Lieder, Klavierstücke, Kammermusik. Allmählich kamen größere Besetzungen hinzu, die seit 1880 in einer Symphonie d-Moll und einem für den Vater geschriebenen Hornkonzert mündeten. Seit den frühen 1880er Jahren nahm die Münchner musikalische Öffentlichkeit von dem neuen Talent Notiz und die ersten Werke erschienen im Druck. Nach dem Abitur 1882 ging Strauss für zwei Semester an die Münchner Universität: Er hörte Ästhetik, Kulturgeschichte und Philosophie. Nebenher komponierte er, spielte Geige im Orchester seines Vaters und bekannte später, sich im Hörsaal gründlich gelangweilt zu haben. Mit aller Macht strebte er eine Musikerkarriere an. Einen ersten großen Schritt dorthin unternahm er im Winter 1883/84 in Berlin. Er stellte sich und seine Musik vor, erlernte das Skatspiel (das er bis an sein Lebensende liebte) und knüpfte zahlreiche Kontakte zu einflußreichen Personen, unter ihnen der berühmte Pianist und Dirigent Hans von Bülow, der sich zu einem wichtigen Förderer des jungen Münchners entwickeln sollte. Bülow, zunächst Schüler Franz Liszts und ein Bewunderer der Werke Wagners, hatte sich nach dem Skandal um die Trennung von seiner Frau Cosima, die Wagner geheiratet hatte, öffentlich ganz auf die Seite von Johannes Brahms geschlagen. Als Leiter
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Richard S Strauss wurde und blieb sein Leben lang überzeugter Wagnerianer.
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der Meininger Hofkapelle war er einer der ersten Stardirigenten seiner Zeit. Mit untrüglichem Spürsinn erkannte er sofort, welches Talent hier heranwuchs, und er wußte auch genau, daß für Strauss mit seinem Faible für das Orchester als Brotberuf nur der eines Dirigenten in Frage kam. Also verschaffte Bülow dem 21-Jährigen gegen starke Konkurrenz den Ruf auf die Stelle eines herzoglichen Musikdirektors nach Meiningen. Als Assistent Bülows, kurzzeitig sogar als dessen Nachfolger, arbeitete sich Strauss gründlich in die Werke von Brahms, Liszt und Wagner ein – die damals aktuellsten Opern- und Orchesterproduktionen – , er machte sich Bülows Interpretationsgrundsätze zu eigen und sammelte wichtige Erfahrungen in der administrativen wie künstlerischen Leitung eines Hofmusikapparates. Außerdem besuchte er, so oft er konnte, die Vorstellungen des Meininger Hoftheaters. Hier konnte er manches über moderne Regie lernen. Vor allem aber machte er in Meiningen die Bekanntschaft Alexander Ritters. Dieser erfolglose Komponist, aber fanatische und charismatische Wagnerianer wurde dem jungen Strauss ein neuer geistiger und musikalischer Mentor. Ritter überzeugte ihn, allein in der Nachfolge Wagners könne zukünftig ernsthaft noch Musik geschrieben werden. Von Stund an schätzte Strauss die Musik Wagners wie keine zweite. Er wurde und blieb sein Leben lang überzeugter Wagnerianer. Noch als alter Mann setzte er sich dafür ein, an deutschen Gymnasien zentrale Schriften Wagners zur Pflichtlektüre zu machen. Wie sein Vorbild Wagner war Strauss davon überzeugt, allein in der Verbindung mit dem Wort und der Szene, allein also im Musiktheater finde die Tonkunst noch ihre Berechtigung. Dagegen sei die reine Instrumentalmusik seit Beethoven mit seinen Symphonien, Klavierso naten und Streichquartetten historisch obsolet geworden, habe sich gewissermaßen erledigt. Folglich komponierte Strauss als Hauptwerke ausschließlich Opern. Die Anfänge seines dramatischen Schaffens sind freilich eng verquickt mit mehreren Tondichtungen: programmatischen Stücken für großes Orchester, mit denen sich Strauss musikalisch bzw. kompositionstechnisch auf die Karriere als
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Opernkomponist im Geiste Wagners vorzubereiten suchte. Von 1887 bis 1903 beschäftigte er sich gleichzeitig mit Konzepten für ühnenwerke und Orchesterstücke, konnte jedoch lediglich zwei Opern (Guntram und Feuersnot), aber acht Tondichtungen vollenden (eine neunte, die Alpensinfonie, sollte noch hinzukommen). Erst mit seiner dritten Oper Salome hatte sich Strauss als dramatischer Komponist definitiv freigeschwommen.
Richard Wagner
Als Hofkapellmeister in München und Berlin
Der Tod Ludwig van Beethovens hinterließ ein schweres Erbe. Das Spätwek des in Bonn geborenen Komponisten gab Interpreten und Forschern mehr Fragen auf als es Antworten lieferte. In der Überwindung des hohen künstlerischen Anspruchs sahen sich die nächsten Komponistengenertionen vor eine schwierige Hürde gestellt. Zu ihnen gehörten Franz Schubert, Robert Schumann, Felix Mendelssohn-Bartholdy, Franz Schubert und Richard Wagner. Wagner sah in der 9. Sinfonie Ludwig van Beethovens eine Vorbild für die weitere Entwicklung der Musik.Das betraf vor allem den vierten Satz mit Schlusschor und Friedrich Schillers verkomponierten „Ode an die Freude“. Nach dem Tod Wagners entbrannt ein Streit über den Umgang mit dessen Erbe. Zwar löste seine Opern einen breiten Zuspruch in Hörerkreisen aus, regten Schriftsteller wie James Joyce (Ulysses) und Thomas Mann in ihrem schriftstellerischen Schaffen an, erfuhren aber auch politische Instrumentalisierung.
Im Sommer 1886 wechselte Strauss von Meiningen nach München. Als Dritter Kapellmeister an der Hofoper hatte er mittelklassige Reper toirewerke einzustudieren, was ihn weit weniger erfreute als regelmäßige Diskussionen über musikästhetische Fragen, bei denen Ritter sein „Bekehrungswerk“ erfolgreich fortsetzte. Nach drei kompositorisch ertragreichen, beruflich hingegen eher frustrierenden Jahren war Strauss froh über eine Berufung ans Weimarer Hoftheater: Zwar nominell nur Zweiter Kapellmeister, konnte er hier bei der Musik seiner Favoriten, Wagner und Liszt, frei schalten und walten. Er studierte Opern Wagners ein – wobei er sich intensiv mit Cosima Wagner austauschte – und brachte Humperdincks wagnergeschwängerte Märchenoper Hänsel und Gretel zur Uraufführung. Außerdem nahm Strauss, so oft es ging, Engagements als Gastdirigent an, um als Interpret vor allem eigener Werke auf sich aufmerksam zu machen. Im Herbst 1894 ging er wieder nach München zurück, und zwei Jahre später hatte er in seiner Heimatstadt die Spitzenposition als Hofkapellmeister erobert. Außer für Wagner engagierte er sich vor allem für die Opern Mozarts, dessen Musik neben den Werken Wagners sein musikalisches Denken wesentlich geprägt hat. Außerdem knüpfte Strauss zahlreiche Kontakte zu anderen Komponisten sowie zu modernen Literaten wie Frank Wedekind, Otto Julius Bierbaum oder Richard Dehmel; für die Zeitschrift Jugend – die dem Jugendstil seinen Namen gab – lieferte er Lieder. Gesungen wurden sie vor allem von seiner Ehefrau, der Sängerin Pauline de Ahna, die Strauss im September
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schen Dichter Hugo von Hofmannsthal. 1905 Die Uraufführung seines bedeutendsten Bühnenwerkes, der Oper „Salomé“, in Dresden löst einen Skandal aus, da es vom Publikum für zu modern gehalten wird. ab 1906 In Zusammenarbeit mit Hofmannsthal als Librettisten entstehen zahlreiche Opern. 1908 Generalmusikdirektor in Berlin und Leiter der Konzerte der Hofkapelle. Vorsitzender des Allgemeinen Deutschen Musikvereins. 1909 25. Januar: Uraufführung der Tragödie „Elektra“. 1911 26. Januar: Uraufführung der Komödie „Der Rosenkavalier“ unter Max Reinhardts Regie in Dresden. 1912 25. Oktober: Uraufführung von „Ariadne auf Naxos“ in Stuttgart. Die Oper ist als gemeinsamer Dank von Komponist und Dichter an Reinhardt gedacht. 1917 Strauss und Hofmannsthal sind mit Reinhardt und Franz Schalk (18631931) an der Gründung der Salzburger Festspiele beteiligt. 1919 Strauss wird gemeinsam mit Schalk Direktor der Wiener Staatsoper. 1924 Er überläßt Schalk die Direktion der Wiener Oper und lebt als freischaffender Komponist und Dirigent teils in Wien, teils in Garmisch-Partenkirchen. 1929 Nach dem Tod von Hofmannsthal hat Strauss Schwierigkeiten, einen passenden Textdichter zu finden. 1933 Unter den Nationalsozialisten wird er Präsident der Reichsmusikkammer. 1934 Sein Eintreten für den jüdischen Schriftsteller Stefan Zweig, mit dem er eine Zusammenarbeit plant, bringt ihn in Schwierigkeiten mit den Machthabern. Er tritt von der Präsidentschaft der Reichsmusikkammer zurück.
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1894 geheiratet hatte. 1897 wurde der einzige Sohn Franz geboren. Weil seine eigenen Werke lediglich außerhalb Münchens immer größere Resonanz fanden und das Verhältnis zu seinen Vorgesetzten äußerst schwierig blieb, wechselte Strauss Ende 1898 als Hofkapellmeister nach Berlin. In der prosperierenden Reichshauptstadt stürzte er sich mit größtem Elan in seine Arbeit und trieb als Komponist die Moderne voran, ohne sich vom engstirnigen Kunst- und Musikgeschmack seines obersten Dienstherrn, Kaiser Wilhelms II., irritieren zu lassen. Auch neben seinem Beruf als Kapellmeister nahm Strauss am gesellschaftlichen Leben Berlins teil. Dem Ehrenpräsidium des Vereins zur Förderung der Kunst (zeitweise zusammen mit dem Dichter Gerhart Hauptmann) gehörte er ebenso an wie dem Präsidium der Deutschen Gesellschaft 1914 (in dem auch wirtschaftliche und politische Größen wie Albert Ballin oder Walther Rathenau vertreten waren). Er hielt Kontakte zu Malern
leben, durchkreuzte freilich der Ausbruch des 1. Weltkriegs 1914: Sein in London deponiertes Vermögen wurde beschlagnahmt und eingezogen. Künstlerischer Staatsoper
Leiter
der
Wiener
Noch vor Kriegsende bahnte Strauss Kontakte zur Hofoper in Wien an: Der wichtigsten und repräsentativsten Stelle, die in Europa damals zu gewinnen war. Seine Frau, bayerische Generalstochter, drängte es längst fort aus der verhaßten Preußenstadt, und in Wien lebten der Schriftsteller Hugo von Hofmannsthal, der inzwischen als Librettist und künstlerischer Berater für Strauss unverzichtbar geworden war, sowie der bedeutende Bühnenbildner Alfred Roller, mit dem Strauss ebenfalls schon eng zusammengearbeitet hatte. Ende 1919 trat Strauss sein neues Amt als künstlerischer Oberleiter der Staatsoper an. Für die administrativen Aufgaben war als Direktor
In der prosperierenden Reichshauptstadt stürzte er sich mit größtem Elan in seine Arbeit und trieb als Komponist die Moderne voran, ohne sich vom engstirnigen Kunst- und Musikgeschmack seines obersten Dienstherrn, Kaiser Wilhelms II., irritieren zu lassen. der Berliner Sezession ebenso wie zur Literatenszene und war sogar auf eigenem Gebiet publizistisch tätig: Mit einer Buchreihe Die Musik, für die er Freunde und Kollegen als Autoren gewann, suchte er seine Überzeugungen von moderner Musik zu verbreiten. Obwohl Strauss für den Kaiser einige Märsche komponierte, wurde er nicht in den Adelsstand erhoben, dafür aber 1903 in Heidelberg zum Dr. h.c. promoviert (zum 50. Geburtstag 1914 kam die Ehrendoktorwürde der Universität Oxford hinzu). 1909 folgte seine Aufnahme in die preußische Akademie der Künste und 1917 seine Berufung zum Senatsmitglied und zum Vorsteher einer Meisterklasse für Komposition. Solche Ehrungen und der wächselnde Erfolg als Komponist schlugen sich nicht nur in einem großzügig dotierten Vertrag, sondern auch in einer wachsenden Befreiung von seinen Dienstaufgaben nieder; 1911 verpflichtete sich Strauss nur noch zu mehreren Gastauftritten pro Spielzeit. Inzwischen hatte er mit seinen Werken bereits ein Vermögen verdient und sich in Garmisch eine repräsentative Villa als Refugium erbaut, in das er sich so oft wie möglich zu kompositorischer Arbeit zurückzog. Sein Ziel, finanziell unabhängig nur für die Familie und das Komponieren zu
der Dirigent Franz Schalk zuständig. Doch die Konstruktion einer Doppelspitze war zum Scheitern verurteilt. Strauss, meistens in Garmisch oder auf Reisen, warf Schalk die Missachtung seiner künstlerischen Richtlinien vor, Schalk, in Wien ständig vor Ort, kritisierte den mangelnden Pragmatismus seines Kollegen, dem aus seiner „Garmischer Vogelperspektive“ jedes Gespür dafür fehle, „unter welchen unsäglichen Schwierigkeiten wir hier arbeiten“ (so in einem Brief vom Oktober 1921). 1924 kulminierten die Streitigkeiten und Strauss trat von seinem Amt zurück. Fortan hat er sich nie mehr fest an ein Operntheater gebunden. Kritik zog Strauss in Wien aber vor allem durch seinen Spielplan auf sich: Konfrontiert mit ständigen Sparzwängen in einer durch Inflation geprägten Notzeit, zielte er nicht auf neue Stücke, weil er ihre Einstudierung für ein finanzielles Risiko hielt, sondern favorisierte die Pflege des „klassischen“ Repertoires, faktisch also die Umwandlung des Hauses in ein „Opernmuseum“, in dem vor allem die Werke Mozarts und Wagners gespielt werden sollten. Wurden Novitäten aufgeführt, so handelte sich – nicht zufällig – vor allem um solche des Komponisten Richard Strauss.
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Neben seinen Wiener Verpflichtungen hatte Strauss genügend Zeit, auch die Verhältnisse in Deutschland im Blick zu behalten. Genau beobachtete er die Spielpläne der Musiktheater und die Entwicklung der Konzertprogramme. Schließlich wollte er auch im Musikleben der Weimarer Republik mit seinen neuesten Werken präsent bleiben. Zwar selbst nur noch gelegentlich Dirigent in eigener Sache, hatte er in den jungen Nachwuchskapellmeistern Karl Böhm und Clemens Krauss überzeugte Anhänger seiner Kunst gefunden, die er virtuos für seine Zwecke einzuspannen wusste. Außerdem pflegte er eine umfangreiche Korrespondenz mit weiteren Dirigenten, warb unermüdlich für Aufführungen seiner Stücke und nutzte jede Möglichkeit, um auf die Besetzung leitender Posten durch ihm ergebene Personen Einfluß zu nehmen. Dabei wußte er seinen Rang als Künstler und berühmtester deutscher Komponist teils hinter, teils vor den Kulissen geschickt auszuspielen und entweder selbst oder durch Mittelsmänner zu agieren. Als beispielsweise Ende 1925 die Nachfolge seines Freundes Max von Schillings als Leiter der Berliner Staatsoper im Raum stand, schrieb Strauss an seinen Berliner Verleger Otto Fürstner: „Ich habe größtes Interesse, wer sein [Schillings’] Nachfolger wird. Nur nicht Paul Becker [einflußreicher Musikkritiker, der Strauss’ jüngsten Werken ablehnend gegenüberstand], der wäre eine Katastrophe für die Oper u. für mich! Tietjen [Heinz Tietjen, damals Opernintendant in Breslau] ist mir sehr ergeben: es ist nur zu befürchten, dass wenn er Intendant der Staatsoper wird, dass dann auch Br. Walter [Bruno Walter, bekannter Dirigent, den Strauss nicht leiden konnte] von Charlottenburg weggeht u. nach Wien, was mir ebenfalls nicht angenehm wäre [für Wien hatte Strauss als Nachfolge seines ehemaligen Direktionskollegen Schalk bereits Clemens Krauss vorgesehen]. Walter soll also jedenfalls in Charlottenburg gehalten werden[...]. Bitte also bei der Ihnen befreundeten Presse unauffällig in diesem Sinne wirken u. mich fortlaufend über den Stand der Dinge unterrichten.“ Tatsächlich wurde Heinz Tietjen Intendant der Staatsoper, und Strauss behielt dank seiner Kontakte zum preußischen Kultusminister Becker weiterhin Einfluß auf die Berliner Opernszene. Funktionär im NS-Staat Über Strauss’ Rolle im Nationalsozialismus ist in den letzten Jahren viel geschrieben
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und viel gestritten worden. Sie objektiv zu beschreiben scheint fast unmöglich zu sein. Ein Komponist seines Kalibers, der sich derart mit einem verbrecherischen, judenfeindlichen Regime einließ: Das konnte und kann auf den ersten Blick eigentlich nur verurteilt werden. Gewöhnlich pflegen zur näheren Begründung seines Engagements gleich noch weitere Untugenden angeführt zu werden: Strauss, der Nationalist, Strauss, der Antidemokrat und – am schlimmsten – Strauss, der Antisemitist. Gewiß, Strauss war Nationalist. An der Überlegenheit der deutschen Musik und Musikkultur gegenüber allen anderen Nationen ließ er nie einen Zweifel. Und bis zum Ersten Weltkrieg verband sich diese Überzeugung auch mit einer nationalen Hybris. Wer wie er beim Ausbruch des Krieges mit großem Pathos in seinen Schreibkalender die Worte eintrug: „Krieg und Sieg! Heil Deutschland! Noch werden sie uns nicht unterkriegen.“ – dessen Glaube an das deutsche Wesen, an dem die Welt genesen werde, war unerschütterlich. Doch Niederlage, Revolution und das Chaos von Bürgerkrieg und Inflation kurierten Strauss. Fortan ließ er an seinem Vaterland kein gutes Haar, zumal dann nicht, wenn er Kunst und Kultur in Gefahr sah. Und gefährlich für den Kulturbetrieb, in dem er aufgewachsen und sozialisiert worden war, schien ihm schon der Sturz der Monarchien, weil damit, so nicht nur Strauss’ Sorge, das System der zahlreichen Hoftheater und orchester zur Disposition stand. Mochten Herrscher wie der Kaiser noch so provinziell in Sachen Kunst denken – der von ihnen am Leben erhaltene Kulturbetrieb war für jemanden wie Strauss die Grundlage seiner Existenz, und zwar als Dirigent wie als Komponist. Lebensnotwendig brauchte er Theater, an denen er dirigierte und die seine Werke spielten. Der neuen Republik und mit ihr der neuen Demokratie stand Strauss – wie viele seiner Zeitgenossen – deshalb eher skeptisch gegenüber. Er brauchte sie nicht, hatte sie nie herbeigesehnt und sah deshalb, anders als der von ihm ungeliebte Thomas Mann, weder vor noch nach 1933 irgendeinen Grund zu ihrer Verteidigung. Selbst als die Hoftheater von der öffentlichen Hand weitergeführt wurden: Strauss blieb distanziert. Vor allem störte ihn die Demokratie, die er als Herrschaft der Mediokrität beargwöhnte. Auf das „blöde allgemeine Wahlrecht“ hatte er vor dem Weltkrieg sogar öffentlich geschimpft, und von jeglicher Form von Mitbestimmung zumal in künstlerischen
Thomas Mann
Der Musik fühlte sich Thomas Mann (1875 - 1955) Zeit seines Lebens verbunden. Durch den Gesang und das Klavierspiel der Mutter für sie interessiert. lernt er Violine. Sein technisches Können ist so weit entwickelt, dass er die Violinsonate Richard Strauss spielen konnte. Der spätere Träger des Literaturnobelpreises entschied sich für das Schreiben. Besonderen Eindruck auf sein Hören und Schaffen macht auf ihn die Musik Richard Wagners. Der Protest der Richard-Wagner-Stadt Münchengab ihm einen Anstoß für die schließlich 1938 erfolgte Emigration in die USA. Hier lehrt er in Princeton als Gastprofessor. In seinem Musikroman „Doktor Faustus“ (1947) setzt sich Mann mit dem Verhältnis bindung von Musik und Politik auseinander. Zwei Jahre nach der Erstveröffentlichung erscheint dazu der Selbstkommentar „Die Entstehung des Doktor Faustus“.
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1934-1945 Strauss ist als Gastdirigent an verschiedenen internationalen Opernbühnen engagiert. Während des Zweiten Weltkriegs arbeitet er in erster Linie als Dirigent in Bayreuth. 1935 Die Komische Oper „Die schweigsame Frau“ mit einem Libretto von Stefan Zweig entsteht. 1945 Nach Ende des Kriegs siedelt er in die Schweiz über. 1949 8. September: Richard Strauss stirbt in
Der Autor Prof. Dr. Walter Werbeck Professor für Musikwissenschaften mit dem Schwerpunkt in der Kirchenmusik
1952 in Bochum geboren studierte zunächst die Fächer Schulmusik für Gymnasien (1. Staatsexamen), Kirchenmusik (A-Prüfung) und Klavier (Staatl. Prüfung für Musiklehrer) an der Hochschule für Musik in Detmold, außerdem Geschichte an der Universität Bielefeld Nahm dann das Studium der Musikwissenschaft bei Arno Forchert am Musikwissenschaftlichen Seminar Detmold/Paderborn auf 1987 Disssertation „Studien zur deutschen Tonartenlehre in der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts“ wurde promoviert (die Arbeit erschien unter dem gleichen Titel 1989 im Bärenreiter-Verlag Kassel im Druck, als Band 1 der „Detmold-Paderborner Beiträge zur Musikwissenschaft“). 1995 Habilitation erfolgte ebenfalls an der Universität Paderborn; die Habilitationsschrift „Die Tondichtungen von Richard Strauss“ ist 1996 im Verlag Hans Schneider (Tutzing) erschienen (als Band 2 der „Dokumente und Studien zu Richard Strauss“).
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Dingen hielt er nichts. Schließlich war er es gewohnt, als Dirigent anzuordnen und Gehorsam zu erwarten. Im Übrigen ging Strauss mit allem Ideologischen eher pragmatisch um. Sein Nationalismus hinderte ihn nicht, enge Kontakte zu ausländischen Musikern zu pflegen und beispielsweise sein Vermögen in England zu deponieren. Den Sozialismus lehnte er ab, machte sich aber zugleich für die genossenschaftliche Organisation und soziale Absicherung der Komponisten stark. Auch ein dogmatischer Antisemitismus war ihm fremd. Seine in diesem Zusammenhang immer wieder zitierten Sprüche stammen meist aus frühen Jahren, als er Autoritäten wie Bülow, Ritter, seinem eigenen Vater oder Cosima Wagner nach dem Munde redete. Strauss pflegte eher einen weit verbreiteten Salonantisemitismus, der dann keine Rolle mehr spielte, wenn es um Kunstfragen ging. Einen Musiker abzulehnen, nur weil er Jude war, wäre ihm nicht eingefallen. Gefährlich wurde Strauss sein Hang zur Selbststilisierung: Als bedeutendster lebender deutscher Komponist, der er seit dem Rosenkavalier fraglos war, konnte er den Lockungen seiner Hofschranzen in den Feuilletons nicht immer widerstehen und maßte sich – mindestens zeitweilig – die Rolle eines „Führers“ der deutschen Musik an, der auf die Spielpläne wichtiger Operntheater Einfluß nehmen und die verabscheute Avantgarde möglichst wirkungslos halten wollte. Hier, auf dem Gebiet persönlicher Eitelkeit, war er verwundbar. Das sollte ihm 1933 zum Verhängnis werden. Anfang März dieses Jahres jagten die neuen Machthaber nacheinander den Leipziger Operndirektor Gustav Brecher (am 1.3.) und den Dresdner Generalmusikdirektor Fritz Busch (am 7.3.) gewaltsam aus ihren Ämtern. Strauss, der zu beiden gute Kontakte pflegte und bei beiden seine Werke in guten Händen wusste, unternahm nichts dagegen. Schlimmer noch, im März dirigierte er in Berlin an Stelle von Bruno Walter, der der neuen antijüdischen Gewalt hatte weichen müssen, zwei Konzerte der Philharmoniker. Schuldbewußtsein plagte ihn wiederum nicht, im Gegenteil: Nach Garmisch brachte er„große Eindrucke“ mit„und gute Hoffnung für die Zukunft der deutschen Kunst“ (Brief an Anton Kippenberg). In seiner grenzenlosen politischen Naivität, seinem blinden Optimismus und seinem Opportunismus sah Strauss eine Chance gekommen, die kulturellen Interessen der neuen Machthaber und deren Pläne einer grundlegenden
Neuorganisation des Musiklebens zur Verwirklichung eigener Vorstellungen von Kultur und Musik in Deutschland nutzen zu können. Deshalb biederte er sich – bewußt oder unbewußt – an, wo er nur konnte: Er gehörte zu den Mitunterzeichnern des öffentlichen „Protest[es] der RichardWagner-Stadt München“, der Thomas Mann ins Exil trieb, und nachdem Arturo Toscanini sein Erscheinen in Bayreuth aufgrund der Diskriminierungen jüdischer Musiker in Deutschland abgesagt hatte, sprang, wie selbstverständlich, Strauss ein und dirigierte während der Festspiele 1933 die Aufführungen von Parsifal. Dabei traf er sich mit Hitler und Goebbels und übergab ihnen ein Papier, in dem er seine Vorschläge zur Verbesserung der Musikkultur in Deutschland zusammengefaßt hatte. Vermutlich brachte er sich auch schon als möglichen „Führer“ der deutschen Musik ins Gespräch. Nur wenige Monate später, Mitte November 1933, war es soweit: Goebbels ernannte Strauss zum Präsidenten der Reichsmusikkammer und Strauss gründete in dieser Eigenschaft den Berufsstand der deutschen Komponisten, dem er ebenfalls vorstand. Der NSDAP ist er allerdings nie beigetreten. Obwohl nunmehr mächtigster Musikfunktionär Deutschlands, dachte Strauss gar nicht daran, seine Ämter zum Hauptberuf zu machen. Wie schon als Wiener Opernchef wollte er von Garmisch aus die große Linie bestimmen, während er die tägliche Arbeit in Berlin anderen überließ. Doch das funktionierte schon deshalb nicht, weil beide Seiten mit Strauss’ Engagement ganz unterschiedlichen Vorstellungen verbanden. Der Komponist, der seinen Rang überschätzte, glaubte allen Ernstes, in einem politikfreien Raum Gutes für die deutschen ernsten Komponisten und für die kulturelle Erneuerung des Landes tun zu können. Dagegen nahm Goebbels bzw. die Partei- und Staatsführung an, Strauss ließe sich für die macht- bzw. rassepolitischen Ziele des Regimes und damit für eine totale ideologische Vereinnahmung von Kultur und Musik einspannen. Natürlich erreichten beide Seiten ihre Ziele nicht. Strauss konnte die ihm verhasste, aber von den Massen geliebte Operette nicht zurückdrängen und lediglich die Modifizierung des Urheberrechts mit einer Verlängerung der Schutzfrist von 30 auf 50 Jahre als Erfolg seiner Arbeit verbuchen. Umgekehrt nahmen die Parteigenossen verärgert zur Kenntnis, daß der Präsident der Reichsmusikkammer in aller Regel eigenmächtig handelte und
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spezifisch ideologische Maßnahmen, etwa gegen jüdische Künstler, zwar nicht aktiv verhinderte, aber auch nicht vorantrieb. Bereits nach einem Jahr war die Enttäuschung auf beiden Seiten groß. Strauss hatte inzwischen gemerkt, daß mit den scheinbar so kunstsinnigen Machthabern nicht zu spaßen war und trug sich mit Rücktrittsgedanken, stellte sie jedoch zurück – wohl auch, weil er die Uraufführung seiner Oper Die schweigsame Frau nicht gefährden wollte, für die der jüdische Schriftsteller Stefan Zweig das Libretto verfasst hatte. Im Sommer 1935 kam es schließlich zum Eklat. Die Gestapo fing einen Brief von Strauss an Zweig ab, in dem der Komponist, verärgert über des dessen verständliche Weigerung, weiter mit ihm zusammenzuarbeiten, seine Verachtung jeder Form völkischer Rassepolitik ebenso
germaßen glimpflich. Ende 1945 gelang es Strauss sogar, mit seiner Frau in die Schweiz auszureisen: in ein „Asyl“, das das Ehepaar in Hotels verbrachte, immer in Angst, nicht die Rechnungen bezahlen zu können. Deshalb nahm Strauss im Oktober 1947 gerne an einem Festival zu seinen Ehren in London teil. Während seiner Abwesenheit lief in Garmisch und München 1947 ein Entnazifizierungsverfahren gegen ihn, das – wie meistens in vergleichbaren Fällen – mit einem Freispruch („nicht betroffen“) endete. Wenige Monate nach seiner Rückkehr nach Garmisch ist Richard Strauss in seinem Haus gestorben. Er hinterließ ein umfangreiches Œuvre, geprägt durch neun Tondichtungen und nicht weniger als 15 Opern, deren erste 1893 und deren letzte fast 50 Jahre später, 1941, vollendet wurde. Dazu kommen nahezu 200 Klavierlieder,
Dieser Musik war nicht zu entkommen; auch die Kritiker mussten einräumen, daß Strauss den musikalischen Nerv der Zeit getroffen hatte. ungeschminkt formulierte wie seine fraglos ehrlich gemeinte Überzeugung, sich doch nie politisch, sondern immer nur künstlerisch exponiert zu haben. Goebbels nutzte die Chance, den unbequem gewordenen Komponisten loszuwerden und zwang Strauss zum Rücktritt. Die Schweigsame Frau wurde nach nur vier Vorstellungen verboten. Isolation und letzte Jahre Dennoch: Strauss blieb der prominenteste deutsche Komponist. Er wurde weiterhin viel gespielt und stellte bis 1942 noch vier Opern fertig. Aufführungen seiner Stücke zu sichern (und weitere Verbote zu vermeiden) war eines der Motive, die Strauss auch nach 1935 immer wieder die Nähe zu den braunen Machthabern suchen ließ. Ein Zweites war die nach den Nürnberger Rassegesetzen vom September 1935 wachsende Sorge um seine jüdische Schwiegertochter und seine beiden Enkelsöhne. Weil umgekehrt das Regime nicht gänzlich auf das Aushängeschild Strauss verzichten wollte, lebten er und seine Familie zunächst weithin unbehelligt. Erst mit zunehmendem Kriegsverlauf verschärfte sich die Lage: Sohn und Schwiegertochter wurden Ende 1943 in Wien einige Tage interniert, und in Garmisch drohten Strauss Einquartierungen, die er durch Hilferufe an hohe Parteistellen weitgehend verhindern konnte. Das Kriegsende überstand er eini-
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Orchesterlieder, Chorwerke a cappella und mit Orchester, wenige weitere Stücke für große und kleinere Instrumentalensembles (darunter zwei Klavierkonzerte für die linke Hand) sowie Kammermusik. Richard Strauss: Komponist?
Ein
moderner
Repräsentierte der späte Strauss wie ein lebendes Fossil das musikalische 19. Jahrhundert im 20. Jahrhundert, so hatte der frühe Strauss bis zu seiner Oper Elektra an der Spitze der musikalischen Avantgarde gestanden. Mit unwiderstehlicher Gewalt faszinierten seine Tondichtungen das Konzertpublikum. Dieser Musik war nicht zu entkommen; auch die Kritiker mussten einräumen, daß Strauss den musikalischen Nerv der Zeit getroffen hatte. Wie ein klingender Brennpunkt fassten seine Partituren zusammen, was die musikalische Moderne der jungen Generation nach Brahms ausmachte. Neue Akkorde, neue Rhythmen, eine ins Unerhörte gesteigerte Komplexität seiner Partituren, die extreme Virtuosität, die jeden Spieler vor völlig neue Herausforderungen stellte, und in der Summe eine bislang nicht gehörte Brillanz des Orchesterklangs: Das war es, was die wachsende Zahl der Straussianer geradezu süchtig machte. Mit größter Spannung wurden die neuesten Kompositionen des Meisters erwartet; jeder Uraufführung folgten hitzige Diskussionen in der Presse. Was
Hans v. Bülow
Aus der Meiniger Hofkapelle machte Hans Guido Freiherr von Bülow (1830 - 1894) eine seinerzeit weltweit bekanntes Orchester. Von 1887 bis 1893 leit er als erster Chefdirigent dir Berliner Philharmoniker. Seine pianistische Ausbildung erhielt der in Dresden geborene bei Friedrich Wieck (Clara Schumanns Vater) und Franz Liszt. Die Ehe mit seiner LisztTochter Cosima wurde nach einem vierjährigen Verhältnis mit Richard Wagner 1867 geschieden. In der Folgezeit diszanzierte sich zunehmend von den Ideen Wagners und setzt sich nach diesem Bruch verstärkt für das Werk und die ästhetischen Ideen Johannes Brahms ein. Richard Strauss findet in Hans von Bülow einen seiner maßgeblichen Förderer. Der einstige Dirigierschüler Richard Wagners leitete die Uraufführung der Opern „Tristan und Isolde“ (1865) und „Die Meistersinger von Nürnberg“ (1868). Neben Liszt und Wagner setzte er sich als Dirigent beispielsweise für das Ouvre von Peter I. Tschaikowsky, Johannes Brahms, Antonin Dvoráks ein. Ebenso war er als Pianist berühmt. Dessen Dirigierstil läßt sich als express bezeichnenen. Dessen musikalisches Können und publikumswirksames Auftreten wichen von der bis dahin tradierten Aufführungskultur ab. Zu seinen Schülern zählen Karl Heinrich Barth, Arthur Rubinstein und Wilhelm Kempff. Ludwig van Beethovens Klavierwerke gab es heraus. Zu seinem kompositorischen Schaffen zählen Klavier- und Orchesterwerke. Ein Opermprojekt fand kein Abschluss. Die Sinfonische Dichtung „Nirwana“ entstand unter dem musikalischen Einfluss Franz Liszt. Insgesamt resultiert daraus sein Ruf als bedeutender deutscher Klaviervrituose, Dirigent und Kapellmeisters des 19. Jahrunderts.
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1982 bis 1992 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Musikwissenschaftlichen Seminar Detmold/Paderborn und lehrte anschließend in Bonn, Marburg, Basel, Detmold/Paderborn, Kiel und Greifswald. 1999 Professor für Musikwissenschaft mit einem Schwerpunkt in der Kirchenmusik am Institut für Kirchenmusik und Musikwissenschaft der Universität Greifswald. Werbecks Veröffentlichungen konzentrieren sich zum einen auf Editionen und Schriften zur deutschen Musik des frühen 17. Jahrhunderts. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang seine Arbeit als Herausgeber des „SchützJahrbuches“ sowie als Editionsleiter der „Neuen Schütz-Ausgabe“; in der Internationalen Heinrich-Schütz-Gesellschaft arbeitet er im Vorstand mit. Hinzu kommt seine Tätigkeit als Fachbeirat „Deutschland, 17. Jahrhundert“ für den Personenteil der Neuauflage der Enzyklopädie „Die Musik in Geschichte und Gegenwart“ (Stuttgart und Kassel). Einen weiteren Schwerpunkt der wissenschaftlichen Arbeit Werbecks bildet die Musik des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Insbesondere zu Leben und Werk von Richard Strauss hat er zahlreiche Beiträge publiziert. Erschienen sind schließlich in der letzten Zeit mehrere Beiträge zur Musica baltica. Zusammen mit Greifswalder Kollegen gibt Werbeck die „Greifswalder Beiträge zur Musikwissenschaft“ (Peter-Lang-Verlag Frankfurt/M. u. a.) heraus.
Strauss sagte und tat, wohin er reiste und wo er gerade lebte: All das war Gegenstand öffentlichen Interesses. Strauss genoß das sehr. Bis zu Elektra blickten auch die jüngeren Komponisten zu Strauss als ihrem Vorbild auf: Paul Hindemith, Béla Bartók und Igor Strawinsky – um nur einige der prominentesten zu nennen – haben sich in ihren frühen Jahren vom Strauss der Tondichtungen inspirieren lassen; und auch dem nur zehn Jahre jüngeren Arnold Schönberg gelang der Durchbruch zu einem eigenen Stil mit programmatischen Instrumentalstücken, die unüberhörbar an Strauss anknüpften. Mit den Dissonanzballungen in Salome und vor allem Elektra schien sich Strauss ebenso wie Schönberg oder wie Max Reger zielstrebig auf die Lösung von der Tonalität hinzubewegen. Doch zur Überraschung aller kehrte Strauss im Rosenkavalier scheinbar in den sicheren Schoß der Tradition zurück, und die nächsten Werke verstärkten noch den Eindruck, Strauss habe sich endgültig von der Avantgarde verabschiedet. Weil auch die großen Erfolge ausblieben, mehrten sich prompt kritische Stimmen. Paul Bekker gab 1919 die Parole aus: „Für die
Paul Hindemith, Béla Bartók und Igor Strawinsky – um nur einige der prominentesten zu nennen – haben sich in ihren frühen Jahren vom Strauss der Tondichtungen inspirieren lassen. Kunst ist er [Strauss] unfruchtbar geworden“, aus seiner Musik sei „nur das Gespenst einer leeren, abgelebten Vergangenheit erkennbar“. Damit brachte er eine Einschätzung auf den Punkt, die sich langfristig für die wissenschaftliche Strauss-Interpretation im 20. Jahrhundert geradezu verheerend auswirken sollte. Theodor W. Adorno hat Bekkers Urteil zuletzt 1964 noch einmal zementiert, und bis in die jüngste Gegenwart kann man lesen, Strauss habe im Grunde nach Elektra nichts Neues mehr geschrieben, seine ganzen späteren Opern seien zwar noch immer tadellos gemachte, geradezu kulinarische Meisterwerke der Kompositionskunst, aber doch historisch und ästhetisch wertlose Petrefakte einer längst obsoleten Musiksprache. Inzwischen haben sich die Vorstellungen über musikalische Modernität geändert. Wir leben in einer Zeit, in der tonal zu schreiben nicht mehr als Sündenfall gilt, sondern als eine unter vielen anderen Möglichkeiten, sich musikalisch mitzuteilen. Einen Alleinvertretungsanspruch auf Modernität gibt es nicht, und schon vor 100 Jahren zeichnete
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sich der Zerfall der musikalischen Sprache in eine Vielzahl persönlich gefärbter Stile ab. Die Musikwissenschaft hat sich inzwischen von der Hypostasierung Schönbergs und seiner Schule als Speerspitze der musikalischen Avantgarde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verabschiedet und den Anspruch, nur sie allein mit dem „Fortschritt“ gleichzusetzen, nur ihr allein wahrhaft historische Legitimität zuzusprechen, als eine Ideologie entlarvt, die auf die hegelianisch beeinflußte Musikästhetik der Neudeutschen Schule zurückgeht, der auch Wagner angehört und der sich auch der junge Strauss verschrieben hatte. Der Wagnerianer Strauss war allerdings viel zu intelligent, um in blinder Nachahmung seines großen Vorbildes zu verharren. Schon in seiner allerersten Oper Guntram (1893) distanzierte er sich von Wagners Erlösungsstoffen und damit von einer der einflußreichsten ästhetischen Konfessionen des 19. Jahrhunderts, Musik als Offenbarung des Absoluten, des Göttlichen. kurz: als „Kunstreligion“ zu verstehen. Dieser zutiefst romantischen Vorstellung setzte Strauss sein eigenes Credo entgegen, das um eher nüchterne Begriffe wie Familie, Arbeit und
Natur kreiste. So unbeirrt er an der romantischen Vorstellung, Musik, die etwas tauge, müsse etwas Unsagbares mitteilen, festhielt, so entschieden veränderte er die in Frage kommenden Sujets. Auch das scheinbar Banale, Alltägliche im Gewande drastischer Klangmalerei verschmähte er nicht. Strauss wagte es, in seiner Symphonia domestica (1903) die eigene Familie zum Gegenstand zu machen, und seine eigene Persönlichkeit wie die seiner Frau boten ihm reichste Möglichkeiten der Inspiration. Tatsächlich entwickelte er, unkonventionell wie kein zweiter, die eigene Biographie zu einer grundlegenden Kategorie seiner künstlerischen Produktion. Das Biographische durchzieht frühe Opernszenarien, hält sich in den Tondichtungen auf der Agenda und erlebt nach der Symphonia domestica einen weiteren Höhepunkt in der Oper Intermezzo (1924), deren Hauptfiguren, der Kapellmeister Robert Storch und seine Frau Christine, unverkennbar dem Kapellmeister Richard Strauss und seiner Frau Pauline nachgebildet waren. Freilich ging es Strauss bei alledem nie nur um krude Abbildung der Realität. Wie alle Gegenstände bei ihm
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wird auch das Biographische stets ironisch gebrochen behandelt; es wird zum ästhetischen Spiel. Nur vor diesem Hintergrund konnten Kategorien wie Subjektivität und Individualität ins Zentrum von Strauss’ künstlerischem Selbstverständnis rücken. Hier sah er Garanten für eigenwillige, moderne Werkkonzeptionen und Stoffe, deren psychologischem Gehalt allein die Musik mit ihrer Sprachgewalt gerecht werden konnte. Gerade also in ihrer Distanz zur „heiligen Tonkunst“ und ihrer vordergründigen Nüchternheit liegt das fundamental Neue der Straussischen Musik. Auch der Dirigent Strauss zeichnete sich – nachdem er die Hörner jugendlichen Feuers abgestoßen hatte –, durch größte Sachlichkeit in der Stabführung aus, und als Person war Strauss offenbar eine geradezu unkünstlerische Erscheinung: Dem Dirigenten Fritz Busch, aber auch anderen erschien er eher wie ein Bankdirektor. Schon früh hatte Strauss jede äußere Attitüde eines bedeutenden Künstlers abgelegt; sendungsbewußte Kollegen wie etwa Hans Pfitzner verabscheute er. Das trug ihm (bis heute) manche Vorurteile ein: das vom geldgierigen Industrieritter ist wohl unausrottbar. Mit dem Verzicht auf die Lösung von der Tonalität wurde Strauss’ Musik also keineswegs so unmodern, wie das manche Kritiker bis heute meinen. Einige Opern waren sogar regelrechte Trendsetter. Im Rosenkavalier etwa, vor allem aber in Ariadne auf Naxos (1912, zweite Fassung 1916) mit ihren Rezitativen und der Koloraturarie der Zerbinetta hat Strauss den Neoklassizismus späterer Zeiten vorweggenommen, und mit Intermezzo, einer „bürgerlichen Komödie“, in der telefoniert, Schlitten gefahren und der Scheidungsanwalt konsultiert wird, gelang Strauss bereits 1924 eine veritable Zeitoper, einige Jahre bevor Komponisten wie Weill, Krenek und Hindemith die Höhepunkte dieses Genres liefern sollten. Schematismus war Strauss fremd, und auch stilistisch pflegte er eine für seine Zeit ganz ungewöhnliche, geradezu avantgardistische Vielfalt. Seit den späten 20er Jahren, zumal nach dem Tod Hofmannsthals 1929, trat als zusätzliches Motiv für Strauss’ Komponieren ein dezidiert endzeitliches Denken in den Vordergrund. Der Komponist neigte dazu, seine Werke als Dokumente einer in ihm sich vollendenden Kulturgeschichte im allge-
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meinen und Musik- bzw. Operngeschichte im Besonderen zu verstehen. Das bewog ihn, sein eigenes Œuvre durch zuvor vernachlässigte Gattungstypen zu ergänzen und damit abzurunden. Arabella – die letzte Oper mit Hofmannsthal – ist zugleich Strauss’ Operette (und damit eine späte Verneigung vor seinem großen Wiener Namensvetter), seine Bearbeitung von Mozarts Idomeneo verstand er als seinen Beitrag zur zeitgemäßen Opera seria und mit der Schweigsamen Frau (1934) komponierte er ganz bewußt seine Opera buffa, mit einer entsprechend turbulenten Handlung und den passenden Versatzstücken: Verkleidungskomödien, Dialekt-Passagen, Tumultszenen und großen Ensembles. Später sollte mit Friedenstag (1936) seine erste und einzige historische Oper folgen; Daphne (1937) ist als Summe der Antikenopern zu verstehen, in der Liebe der Danae (1940) sind Elemente politischer Satire mit denen von Resignation und Abschied verknüpft und in Capriccio (1941) hat Strauss dem zentralen Element seines Opernkomponierens, dem Verhältnis von Musik und Wort, letzte Aspekte abgewonnen. Wagnerianer, Mozartfan und Antichrist Aber noch einmal zurück zu Strauss’ Distanzierung von der romantischen Kunstreligion. Eng damit verbunden ist seine Begeisterung für die Musik Mozarts. In ihm sah er das „Inkarnat des reinen Künstlers“, den er den ihm verhassten komponierenden „Bekenner(n) und Weltverbesserer(n)“ gegenüber stellte (so in einem Brief an Paul Bekker). Nicht, dass Strauss im Namen Mozarts zur „reinen“, absoluten Instrumentalmusik zurückkehrte. Wagners historisch-ästhetische Positionen blieben für ihn ebenso unverändert gültig wie die Vorstellung von der Musik als Sprache jenseits der Wortsprache. In diesem ästhetischen Koordinatensystem fungierte Mozarts Melodie als unübertroffenes Abbild der menschlichen Seele: Für Strauss, der gleichfalls immer wieder auf das Individuelle, aufs Menschliche zielte, ein bewundertes Vorbild. Auch als Dirigent setzte er sich nachdrücklich für Mozart ein, für manche seiner Opernfiguren standen Mozartsche Typen Pate, und Strauss’ Rückgriff auf die Nummernoper mit Rezitativen und Arien (vor allem in Ariadne auf Naxos und in Die Schweigsame Frau) bedeutet stets auch eine Huldigung an die Welt der Mozartoper. Sein Librettist Hugo von Hofmannsthal hat Strauss in der
Bruno Walter
Der österreichisch-US-amerikanischer Dirigent, Pianist und Komponist deutscher Herkunft zählt zu den bedeutendsten Dirigenten des 20. Jahrhunderts. Walter (1876 - 1962) war Kapellmeister des Leipziger Gewandhauses (1929-1933), Chefdirigent der New Yorker Philharmoniker (1947-1949) und ständiger Gastdirigent der Wiener Philharmoniker. Unter dem Eindruck von Hans von Bülow entscheidet er sich Anfang der 1890-iger Jahre für eine Dirigentenlaufbahn. 1901 folgte er Gustav Mahler an die Hofoper nach Wien. Nach dessen Tod setzt sich Walter als Dirgent für das Werk Mahlers. Zwei seiner bedeutendsten Spätwerke für er erstmals auf. Dabei handelt es sich um „Das Lied von der Erde“ (1911) und die 9. Sinfonie (1912). Als Musikalischer Direktor bleit er in der Richard-Wagner-Stadt München bis 1922. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland emegriert er in die USA und nimmt dort 1946 die Staatsbürgerschaft an. Von 1941 bis 1959 dirigiert er an der Metropolitian Opera in New York und arbeitet darüber hinaus mit den bedeutendsten Orchestern des Landes zusammen. 1957 kommt der Essayband „Von der Musik und vom Musizieren“ heraus. Darin bekennt sich der Sohn einer deutsch-jüdischen Familie zur Anthrophosophie. Mit einer krankheitsbedingten Absage verhalf Walter den 25jährigen Leonard Bernstein zum Debut. 1960 gastierte zum letzten Mal in Wien. Eine eher unbekannte Seite der Biographie Walters ist die des Komponisten. Dieser Teil seiner Künstlerpersönlichkeit ist weniger bekannt. Dennoch finden sich in seinem Nachlass zwei Sinfonien und eine Violinsonate. Sie befinden sich in der Wiener Universität für für Musik und Darstellende Kunst.
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Zitate über Richard Strauss Wilhelm II. zu Ernst von Schuh: „Da habe ich eine schöne Schlange an meinem Busen genährt.“ Claude Debussy in Musik und Musiker: „Richard Strauss hat weder eine närrisch wilde Lockenmähne noch die Bewegungen eines Rasenden. Er ist groß und wirkt in seiner freien entschlossenen Haltung wie einer jener großen Forscher, die mit einem Lächeln auf den Lippen die Gebiete wilder Völkerschaften durchqueren. Braucht man vielleicht etwas von dieser Haltung, um die wohlgesittete Öffentlichkeit aufrütteln zu können? - Seine Stirn ist übrigens die eines Musikers, aber die Augen und das Mienenspiel sind die eines „Übermenschen“, von dem der sprach, der sein Lehrmeister in der Energie gewesen sein muss: Nietzsche.“ Wilhelm Furtwängler: „Die deutsche Musik ist nicht ohne Richard Strauss denkbar“ Gustav Mahler an Alma Schindler (1902): „Kommen wird die Zeit, da die Menschen die Spreu vom Weizen gesondert erblicken werden - und meine Zeit wird kommen, wenn die seine um ist.“ Romain Rolland in Musik von heute 1908: „Richard Strauss ist Dichter und Musiker zugleich. Diese beiden Naturen bestehen gleichzeitig in ihm, und jede ist bestrebt, die andere zu beherrschen. Das Gleichgewicht ist oft unterbrochen: Aber wenn es den Willen gelingt, die Einheit dieser beiden Kräfte, die auf das dasselbe Ziel gerichtet sind, aufrechtzuerhalten, so ruft er Wirkungen von einer Intensität hervor, die man seit Wagner nicht mehr gekannt hat. Beide haben ihren Ursprung im heroischen Denken, das ich für noch seltener halte als das poetische oder das musikalische Talent. Es gibt in Europa andere große Musiker, aber Richard Strauss ist der Schöpfer von Heldengestalten.“
Anlehnung an Mozart entschieden bestärkt: Nach den Parallelen des Rosenkavalier mit dem Figaro wurde Die Frau ohne Schatten vom Dichter ganz bewußt in Analogie zur Zauberflöte konzipiert. Mit der Abkehr von der Kunstreligion verband Strauss eine entschiedene Absage an die christliche Religion, in die er hineingeboren war. Zeitlebens war er ein bekennender Antichrist. Die Einbettung menschlichen Tuns in einen göttlichen Weltenplan und die Hoffnung auf Erlösung nach dem Tode lehnte er als Lähmung menschlicher und damit künstlerischer Tatkraft ab. Dem setzte er ein ausgeprägtes künstlerisches Selbstbewußtsein entgegen. Bestärkt wurde Strauss in seiner Antipathie gegenüber dem Christentum durch die Lektüre des Philosophen Friedrich Nietzsche, die neben anderen Texten (vor allem Max Stirners „Der Einzige und sein Eigentum“) in den frühen 1890er Jahren seine Emanzipation von Alexander Ritter und dessen christlich gefärbter, auf Schopenhauer gegründeter Wagner-Ideologie beschleunigte. Strauss wandelte sich unter dem Einfluß Nietzsches zu einem optimistischen, lebensbejahenden Individualisten. Darüber hinaus bestärkten Nietzsche (etwa in seiner Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik), aber auch der von Strauss hochverehrte Goethe seine große Liebe zur griechischen Antike. Nicht zufällig hat Strauss fünf Antikenopern geschrieben (von Elektra und Ariadne auf Naxos über Die Ägyptische Helena bis zu Daphne und Die Liebe der Danae). Nietzsche folgend suchte er in Elektra das dionysische, in Helena das apollinische Kunstprinzip zu realisieren. In Daphne, deren Libretto während der Dionysos-Feiern spielt und in dem Apollo selbst auftritt, sind beide Prinzipien miteinander verbunden. In diesen eigenen Werken erblickte Strauss – nicht ohne Hybris – das Ende einer Weltkultur, die im antiken Hellas begonnen und in der deutschen Musik im allgemeinen und in Wagners ausdrucksgesättigten Musikdramen im besonderen ihren Gipfel erreicht hatte. „Symphonischer Optimismus in fin de Siècle-Form, dem 20. Jahrhundert gewidmet“: Strauss’ Tondichtung „Also sprach Zarathustra (frei nach Friedrich Nietzsche)“ Ihren wohl bekanntesten künstlerischen Ausdruck fand die Verbindung von Strauss und Nietzsche allerdings in der
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Tondichtung Also sprach Zarathustra. Dazu abschließend noch einige Bemerkungen. Das Stück entstand 1895/96, unmittelbar nach dem Abschluß der Tondichtung Till Eulenspiegels lustige Streiche, mit der die zweite Gruppe von Strauss’ Orchesterstücken beginnt (die erste mit Macbeth, Don Juan und Tod und Verklärung dauerte von 1887 bis 1889). Ist in den Sujets der ersten Gruppe noch der Einfluß Franz Liszts unübersehbar, so markiert fünf Jahre später schon Eulenspiegel eine Abkehr. Das Stück, ein rasantes Scherzo, dessen anarchischer Held sich über seine bornierten Zeitgenossen lustig macht, entspricht ganz den neuen Zielen des Nietzscheaners Strauss. Mit dem weihevollen Pathos am Ende von Tod und Verklärung war es endgültig vorbei. Wann Strauss sich erstmals mit der Lektüre von Nietzsches damals brandaktuellem Text Also sprach Zarathustra beschäftigte, ist ebenso unbekannt wie der Zeitpunkt seines Entschlusses, der neuen Tondichtung diesen Titel zu geben. Sicher ist nur, daß Strauss, wie seinem Schreibkalender zu entnehmen ist, im Juli 1895 die „neue Tondichtung überdachte“, sich also schon mit ihr befaßt hatte. Näheres über den Gehalt des Werkes verraten Schreibkalender sowie Skizzenbücher. Ein erstes programmatisches Gerüst fasste Strauss in einzelne Verben, die er zu verschiedenen Paaren anordnete: Im Skizzenbuch heißt es: „anbeten-zweifeln“ und „erkennen [oder „Zweifel erkennen“]-verzweifeln“, und im Schreibkalender notierte Strauss: „SchauenAnbeten, Erleben-Zweifeln, ErkennenVerzweifeln“. Außerdem plante er, wie das Skizzenbuch zeigt, ein „Wiederaufleben in der Morgenröthe“, einen offenbar die „Freiheit“ symbolisierenden „Tanzhymnus“ sowie eine „kolossale“ Schlußsteigerung. Wenig später finden sich ein Walzermotiv (als Tanzhymnus), ein Magnificat-Psalmton sowie eine Credo-Intonation (zum Stichwort „anbeten“) und ein ausdrücklich als „Sehnsucht“ bezeichnetes Motiv. Die inhaltlichen Stichworte, so lässt sich das Procedere zusammenfassen, inspirierten Strauss zu ersten Themen, Motiven und harmonischen Stationen. Deren Entwicklung machte wiederum Präzisierungen im Programm nötig; manche formalen Strategien wurden erprobt und verworfen, andere hingegen erwiesen sich als entwicklungsfähig – und so entstand allmählich, in einem komplizierten, vielschichtigen Arbeitsprozeß die fertige Partitur. Von Nietzsches Zarathustra ist zunächst
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keine Rede. Im Gegenteil: Noch in einem fortgeschrittenen Stadium der Arbeit notierte Strauss zu einer Passage, die offensichtlich dem Stichwort „Verzweifeln“ zugeordnet war, das Goethe-Zitat: „Du gleichst dem Geist, den du begreifst, nicht mir!“ Hinter der Darstellung des Scheiterns, der Verzweiflung des imaginierten Individuums stand also nicht unbedingt nur Nietzsches Zarathustra, sondern ebenso Goethes Faust. Erst ganz am Ende der Arbeit, als die Entscheidung für den Titel gefallen war, entschloss sich Strauss, seiner Partitur „Zarathustras Vorrede“ voranzustellen sowie einzelnen Abschnitten der Musik Kapitelüberschriften aus Nietzsches Werk hinzuzufügen: „Von den Hinterweltlern“, Von den Freuden- und Leidenschaften“, „Von der großen Sehnsucht“, „Das Grablied“, „Von der Wissenschaft“, „Der Genesende“, „Das Tanzlied“ und „Nachtwandlerlied“. Der Vorrede gemäß beginnt das Werk mit einem grandiosen Gemälde eines Sonnenaufgangs (aus Film und Werbung bestens bekannt). Es folgen einzelne Episoden, in denen das musikalische Ich verschiedene Lebensformen erprobt, seine Sehnsucht nach Freiheit aber nicht zu befriedigen vermag. Wie Goethes Faust Philosophie, Juristerei, Medizin und Theologie studierte, um am Ende als „armer Tor“ so klug wie zuvor dazustehen, so weist in der Musik die starre Natur dem Lebenstrieb seine Grenzen auf. Erst in einem Gewaltstreich, nach dem völligen Zusammenbruch, schwingen sich die Töne in stratosphärische Höhen auf und es ertönt das Tanzlied, in dessen rauschhaften Sog alles Irdische hineingezogen wird. Doch der Optimismus ist verfrüht: Die Natur bleibt unbezwingbar. Ihr Grundton C steht am Schluß dem Grundton H der menschlichen Sehnsucht unversöhnt gegenüber. Am 24. August 1896 schloß Strauss die Partitur ab, am 27. November desselben Jahres wurde das Stück in Frankfurt am Main unter seiner Stabführung uraufgeführt. Anstelle einer Widmung hatte Strauss ursprünglich als Untertitel „Symphonischer Optimismus in fin de siècle-Form, dem 20.Jahrhundert gewidmet“ schreiben wollen: Eine Formulierung, die seine Lebensmaxime zu dieser Zeit unverstellt zum Ausdruck bringt. Darüber hinaus birgt sie einen gehörigen Schuss der für Strauss so charakteristischen Ironie. Das Thema war ihm ernst, aber ebenso viel lag ihm am Spott über die Zeitgenossen, die Verrat an der heiligen Kunst witterten. Dass sie das taten, verrät ein kurzer Blick ins zeitgenös-
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sische Feuilleton. Schon Mitte Januar 1896 hatte die Stuttgarter Neue Musik-Zeitung ihren Lesern aufgeregt mitgeteilt: „Aus München teilt man uns [...] mit: Richard Strauß komponiert als op. 30 eine symphonische Dichtung: ‚Zarathustra‘. Der Uebermensch in Tönen; das Nietzschesche System in Musik gesetzt! Ein ungeheures Wagnis, denn die Gefahr, philosophische Verstandesmusik zu schreiben, der nur mit Hilfe dozierender Programme beizukommen ist, liegt bei diesem Vorwurf zu nahe.“ Welche Folgen diese und ähnliche Meldungen zeitigten, ist einem Artikel des Prager Journalisten Richard Batka von 1897 zu entnehmen: „Lange, bevor überhaupt eine Note der Partitur erklungen war, schwirrten schon die abenteuerlichsten Gerüchte über ihren Inhalt durch den deutschen Blätterwald. Da hieß es, Strauß habe die Philosophie Nietzsches in Musik gesetzt, und allgemeines Entrüsten bei Laien und Kunstverständigen war die natürliche Folge. Dann wieder drang die Kunde, daß Strauß am Schlusse zwei so disparate Tonarten wie H-dur und C-dur combinire, in die Oeffentlichkeit, Grund genug, um sich auf ein non plus ultra an widerlichem Mißklang gefaßt zu machen. Nichts schien so scheußlich, so katzenmusikalisch und abgeschmackt, daß man es dem Zarathustrier nicht blindlings zugetraut hätte, ja es konnte geschehen, daß die satirische Notiz einer Künstlerkneipzeitung, Strauß schreibe ein symphonisches Gedicht ‚Der Schnupfen‘, von mehreren Journalen im vollen Ernste übernommen und unbedenklich colportirt wurde.“ Strauss selbst ließ schließlich vor der Berliner Erstaufführung Ende 1896 einen Text publizieren, der mit kaum verhüllter Ironie die konservativen Tugendwächter provozieren musste: „Wer in meinem Werke direkt in Töne übersetzte Philosophie erwartet, dürfte arg enttäuscht sein, wenn er, wie es in meiner Absicht liegt, in ‚Also sprach Zarathustra‘ ein nach rein musikalisch logischen Gesetzen aufgebautes Musikstück, noch dazu in C-dur, findet, das den aus allen klassischen Sinfonien uns wohl vertrauten Dualismus eines männlichen und weiblichen Hauptthemas beinahe in der alten Viersätzigkeit entwickelt. Von Freunden altklassischer Werke würde ‚Also sprach
Zarathustra‘ sogar um der in meinem Stück enthaltenen fünfstimmigen Fuge willen möglicherweise als ein Erzeugniß ihrer Richtung erkannt und reklamirt werden, wenn dies nicht durch einige Beziehungen, die ich zu Nietzsches Werk hineingeheimnißt habe und die vielleicht demselben ein aktuelleres Interesse verleihen, verhindert würde.“ In seinen späteren Werken, zumal den mit Hofmannsthal zusammen geschaffenen Opern, tritt der ironische Ton des Komponisten deutlich zurück; für Spott und Satire war der Dichter zum Leidwesen von Strauss nicht zu haben. Doch mit den Werken ohne Beteilung von Hofmannsthal und nach dessen Tod kehrte Strauss gerne zu dieser Maxime seines Komponierens zurück. Noch in seiner allerletzten Oper Capriccio erweist sich die romantische Melodie kurz vor dem Ende als schöner Schein: Die trivialen Schlußworte – „Frau Gräfin, das Souper ist serviert“ – strafen die Sentimentalität Lügen. Mit dem großen Pathos, dem heiligen Ernst der Tonkunst hat Strauss aufgeräumt. Kind des 19. Jahrhunderts und nach stürmischem Anfang ein vermeintlicher Reaktionär, hat er tatsächlich das Tor zum 20. Jahrhundert weit aufgestoßen.
Philamonisches Konzert
Werke von Mozart und Richard Strauss W. A. Mozart: Sinfonie Nr. 41 C-Dur („Jupiter“) W. A. Mozart: „Ah, lo previdi“ - Konzertarie Richard Strauss: Drei Orchesterlieder op. 27 Richard Strauss: „Also sprach Zarathustra“ Tondichtung für Orchester nach Friedrich Nietzsche 05.06.07 / 06.06.07 Greifswald 13.06.07 / 14.06.07 Stralsund
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PSYCHOLOGISCHE BERATUNG universum
Aus dem Gleichgewicht Studentenwerk registriert steigende Anfragen
Anprechpartner Sozialberatung des Studentenwerkes Dr. Jana Kolbe Tel: 0 38 34 – 86 17 04 beratung@studentenwerk-greifswald.de Foto: Uwe Roßner
Nützliche Telefonnummern Telefonseelsorge 0800 / 111 0 111 (kostenlos) 0800 / 111 0 222 (kostenlos) Psychosoziales Zentrum des Diakonischen Werkes Pappelallee 1 - Haus 4 Tel.: 87 26 86 Frauen in Not Tel.: 50 06 56 Männer in Not Tel.: 82 99 65
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„Irgendwie beginnt mein Leben im Moment aus dem Gleichgewicht zu geraten. Irgendwie verliere ich den Überblick. Was ist eigentlich los mit mir? Warum geht es mir so schlecht?“ Es gibt viele Situationen, in denen Überforderungen an der Tagesordnung sind und der Druck von außen und innen unendlich groß wird. Da sitzt man das erste Mal in der eigenen Wohnung und fühlt sich einsam. In der Prüfungszeit kommen Versagungsängste hinzu. Freunde sind nicht erreichbar. Man kann abends nicht einschlafen. Leistungsanforderungen im Uni- oder sozialen Bereich kosten Nerven und können dazu führen, auch mal den Kopf zu verlieren. Antworten auf Fragen, Hilfe und Trost findet man bei den Eltern und Freunden, die einem zur Seite stehen und helfen, das Chaos wieder zu ordnen. Aber gerade in der Zeit des Erwachsenwerdens gibt es oft Umstände, für die man selbst im nahen Umfeld keine Lösung finden kann, so dass letztendlich die Frage entsteht, ob externe Hilfe herangezogen werden sollte. Das Deutsche Studentenwerk (DSW) meldet, dass immer mehr Studierende Rat in den Psychologischen und SozialBeratungsstellen der Studentenwerke suchen. Der Bedarf sei 2005 um 20.000 Gespräche gestiegen. Nach Angaben des DSW zählte man in den Beratungsstellen für Psychologische und Sozialberatung der Studentenwerke im Jahr 2005 130.000 Beratungsgespräche, 2004 waren es noch 110.000. Während in Greifswald im Jahr 2001 noch 38 Studenten die psychologische Beratung aufsuchten, waren es im Jahr 2006 schon 111 Hilfesuchende, davon 82 Frauen und 29 Männer. Das Deutsche Studentenwerk vermutet, dass die Studierenden angesichts der Vielzahl von Hochschulreformen und den damit verbundenen Änderungen in den Studiengängen häufig unter Druck stehen und begründet damit den wachsenden Anstieg der Beratungen. Studenten sehen sich angesichts von Studiengebühren und den zeitlich verdichteten Bachelor- und Master-Studiengängen einem höheren Finanzierungs-, aber auch Leistungsdruck gegenüber. Die Mitarbeiter der Beratungsstellen ver-
fügen als Experten für die studentische Lebenswelt und Altersphase über spezielle beraterische und therapeutische Kompetenzen. Manchmal genügt es aber auch, dass einfach zugehört wird. Zuständig für die Beratung der Studierenden in sozialen, persönlichen und studienbezogenen Fragestellungen ist die Sozialberatung des Studentenwerkes Greifswald. Das Studentenwerk ermöglicht den Studierenden seit vielen Jahren, psychologische Beratung in Anspruch zu nehmen und vermittelt bei Bedarf den Kontakt zum Psychologen. Konkrete Ratschläge In Greifswald hilft der Psychologische Psychotherapeut Dieter Arlt Studierenden bei Problemen indem er „einen Raum gewährt, ohne dass der moralische Zeigefinger gehoben wird und indem es – soweit möglich und sinnvoll – auch konkrete Ratschläge und Tipps gibt“. Dieter Arlt äußert sich zu der stetig wachsenden Anzahl an Beratungen mit den folgenden Worten: „Wir leben in einer hochdynamischen und hochkomplexen Gesellschaft mit komplexen Anforderungen und komplexen Belohnungen. Die Krisen- und Katastrophenanfälligkeit des menschlichen Lebens nimmt unter diesen Bedingungen vermutlich ständig zu, da auch Themen wie Arbeitslosigkeit, Umweltzerstörung, Kriegsgefahr, Terrorismus, Krankheiten und Tod unser Leben aufgrund der transparenten Mediengesellschaft mehr bestimmen als in der Vergangenheit. Es gibt kaum noch Geheimnisse, dafür aber eine Reihe vorgefertigter unterschiedlicher Lebensentwürfe. Der Mensch ist verunsichert, teilweise überlastet aufgrund vieler Optionen und Wahlmöglichkeiten, die permanent verfügbar sind und auf ihn einwirken. Selbst eine Anleitung zum Superstar ist erhältlich. Unter diesen Umständen sind Desorientierungen jeglicher Art gerade bei jungen Menschen relativ gut nachvollziehbar.“ Seit sechs Jahren steht er den Studenten mit seinem therapeutischen Angebot zur Verfügung. Zu ihm kommen Studierende aller Altersgruppen, aller Studiengänge, die die unterschiedlichsten Symptomatiken aufzeigen: Essstörungen,
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PSYCHOLOGISCHE BERATUNG universum
Depressionen, Stresssymptome und Prüfungsängste, Suchtverhalten, aber auch Partnerschaftsprobleme, Zukunftsängste oder Identitätsprobleme. Das Beratungsangebot richtet sich an Studierende mit den verschiedensten Schwierigkeiten – egal, ob akuter oder chronischer, persönlicher oder studienbezogener Art. Der Psychotherapeut hilft Studenten bei der Suche nach Orientierung, Zielsuche und hilft dabei, das alltägliche Leben wider ins Gleichgewicht zu bringen. „Studenten kommen zu mir, da sie auf der Suche nach einem neutralen, kompetenten Fachmann sind, der wertfrei und ohne moralische Attitüde beraten kann.“ In mehreren aufeinander folgenden Einzel- oder auch Gruppengesprächen werden gemeinsam individuelle Lösungsmöglichkeiten erarbeitet. Jeder Klient kommt im Durchschnitt in einer Frequenz von drei bis sechs Wochen. Mal sind häufigere Treffen notwendig, mal ist schon nach einer, zwei oder drei Konsultationen der Beratungsbedarf gedeckt. Durch schnelle und zielgerichtete Vermittlung kann in vielen Fällen verhindert werden, dass sich studentische Lebenskrisen zuspitzen und zu beständigen Störungen mit Krankheitswert entwickeln. Oft reagieren Studenten während der Sitzungen mit den folgenden Worten: „Sie haben mir geholfen, reden zu lernen.“, „So habe ich das bisher nicht gesehen.“ oder „Hier kann ich so sein wie ich wirklich bin.“ „Hier fühle ich mich aufgehoben und muss mich nicht verstellen.“ Manchmal genügt es einfach nur, dass jemand frei von Vorurteilen zuhört und als Außenstehender berät. Problemen in Worte fassen Besuche beim Psychologen scheinen teilweise jedoch immer noch ein Tabuthema zu sein. Groß ist oft die Angst, sich einer fremden Person gegenüber zu öffnen und über intime Themen zu sprechen. Wichtig kann aber sein, Probleme zu äußern, ihnen ein Gesicht durch Worte zu geben. Denn oftmals gestaltet es sich als sehr schwierig, eigenständig Lösungen zu finden. „Psychische Probleme sind nicht so eindeutig zu diagnostizieren wie ein gebrochenes Bein“, meint Arlt. „Manchmal möchten Studenten auch einfach nur die Versicherung bekommen, dass sie nicht „verrückt“ sind, sondern dass mitunter die Welt, das Leben als ziemlich verrückt erlebt
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werden kann.“ Auf die Frage, ab wann man therapeutische Hilfe aufsuchen sollte, gibt es keine eindeutige Antwort. „Wenn jemand das persönliche Bedürfnis nach therapeutischer Unterstützung hat, dann sollte er sich diese auch suchen. Jeder Mensch verfügt über unterschiedliche Sozialisationsvorausset zungen und Bewältigungskompetenzen, die schon im Mutterleib sozusagen vorgeprägt werden. Im Laufe des Lebens werden uns von unserer Umwelt, vor allem der Familie, bestimmte Normen, Werte und Kompetenzen vermittelt, die uns formen, stabilisieren, aber auch deformieren. Dieses äußert sich dann in Stärken und Schwächen des Einzelnen. Die eine Person benötigt in bestimmten Lebenslagen einen Psychologen, die andere eben nicht. Das kann nur von der Person selbst entschieden werden.“
auf der Heyde. Es muss sich also niemand mit seinen psychischen Problemen allein herumschlagen – die Hilfsangebote existieren und sind verfügbar. Ein erstes Beratungsgespräch bringt Information und Orientierung und kann die Grundlage für oder gegen eine Fortsetzung für den Ratsuchenden bieten. ik
Anonyme Beratung Die Beratung geht anonym und strengstens vertraulich vonstatten. Besonderer Wert wird darauf gelegt, dass die Leistungen niedrigschwellig angeboten werden, womit die einfache Zugänglichkeit gewährleistet ist. Bis zu zehn Sitzungen werden jedem Studenten durch das Studentenwerk Greifswald finanziert, so dass für den Einzelnen vorerst keine Kosten entstehen. Falls erforderlich und erwünscht, leistet Dieter Arlt oder auch das Studentenwerk Unterstützung bei der Vermittlung an Therapeuten oder andere Einrichtungen. Leider ist auch Greifswald unterversorgt mit Therapieplätzen, so dass man derzeit bis zu einem Jahr auf einen Termin beim Therapeuten wartet. Aber nicht abschrecken lassen: Wer Hilfe sucht, wird auch Hilfe finden. Ein vorläufiger e-mailKontakt ist auch möglich. Nach Angaben des Generalsekretärs des Deutschen Studentenwerks, Achim Meyer auf der Heyde, wollen die Studentenwerke zukünftig insbesondere ihre Beratungsstellen für Psychologische Beratung, Sozialberatung sowie Beratung für Studierende mit Behinderung oder chronischer Krankheit weiter ausbauen. Derzeit bieten beispielsweise nur 42 der 59 Studentenwerke den Studierenden psychologische Beratungen an. „Unser Ziel ist es, den Studierenden ein professionelles, breit angelegtes und gut vernetztes Beratungsangebot im Hochschulbereich zu bieten, das sie in den unterschiedlichsten Lebens- und Studienphasen unterstützt“, betonte
“Normal“ mag eine Definition für eine Benzinsorte sein – zur Beschreibung psychischer Befindlichkeit ist “normal“ so unzutreffend wie “verrückt“
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AFRIKA universum
Armes reiches Kongo Im Fotoalbum geblättert
Bei den Kindern war Korinna Kordon beliebt.
In der Kleinstadt Inongo traf Korinna auf kontaktfreudige Afrikaner.
Katastrophale Bedingungen auf der Entbindungsstation.
Unberührte Natur im kongolesischen Bonopark.
Fischer freuen sich über neue Materialien vom Greifswalder Verein. Fotos(5): privat
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Unterwegs mit Büchern und Kühlcontainer Lächelnd blickt Korinna Kordon in die Kamera. Üppiges Grün umgibt die Studentin. Palmen recken sich dem wolkenlosen Himmel entgegen. Meterhohe Gräser und exotische Blumen stehen am Wegesrand. Über ein Jahr ist vergangen, seitdem die 24-Jährige für ein Foto auf afrikanischem Boden posierte. Doch noch immer sind die Erinnerungen an die Zeit auf dem schwarzen Kontinent mehr als lebendig. „Ich habe in Afrika unvergessliche sechs Wochen verbracht“, sagt die gebürtige Cottbusserin mit leuchtenden Augen. Als Mitarbeiterin der Vereins Afrikas Renaissance und Wiederaufbau e. V. flog sie im Februar des vergangenen Jahres in die Demokratische Republik Kongo. Seit über einem Jahr existiert der 20-köpfige Verein, der Greifswald für afrikanische Studenten attraktiver machen will. „Außerdem wollen wir Projekte in Afrika ins Leben rufen und unterstützen“, erklärt Gründungsmitglied Korinna Kordon. Schon seit langem interessiert sich die angehende Diplombiologin für den drittgrößten Kontinent der Welt. „Afrika ist wunderschön, aber es gibt viele Probleme.“ Von den Warnungen der deutschen Botschaft und den Bedenken ihrer Familie hat sie sich nicht abschrecken lassen. „Die Neugier war größer als die Angst“, erklärt Korinna Kordon. Gemeinsam mit dem Kongolesen Lucien Ilibi, der in Greifswald seit drei Jahren Medizin studiert, wagte sie sich auf die afrikanische Entdeckungstour. Viel Elend ist ihr in der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa begegnet. „Straßenkinder und Bettler, große Müllberge und schrottreife Autos sind dort keine Seltenheit.“ Der Bildungsstand ist niedrig, während die Kriminalitätsrate erschreckend hoch ist. Das gepflegte Regierungsviertel der Millionenstadt und die luxuriösen Limousinen der Politiker können nicht über die zahlreichen Probleme des Landes hinwegtäuschen. „Die Ausstattung mancher Schulen und Krankenhäuser ist katastrophal und mit europäischen Standards nicht vergleichbar.“ Korinna Kordons Fotos, die noch bis Ende April in den Greifswalder Blutspenderäumen zu sehen sind, sprechen eine deutliche Sprache. Verrostete Eisenbetten in schmutzigen Lagerräumen, primitivste medizinische Geräte und riesige Müllberge sind darauf zu sehen. „Die Not ist groß.“ Es fehlt an allem. „Umso
wichtiger ist unsere Hilfe“, sagt Korinna Kordon überzeugt. Doch nicht immer wurden die Biologiestudentin und ihr afrikanischer Begleiter mit offenen Armen empfangen. „Wochenlang sind wir von einem Amt zum nächsten geschickt worden.“ Bürokratische Hürden mussten überwunden und korrupte Beamten überzeugt werden. „Letztlich waren unsere Bemühungen erfolgreich, denn wir haben erreicht, was wir erreichen wollten“, erklärt Korinna Kordon stolz. Eine Bibliothek befindet sich dank des Greifswalder Vereins und den Finanzspritzen der Stiftung Nord-Süd-Brücken seit vielen Monaten im Bau. In einem halben Jahr soll die Einrichtung voraussichtlich fertig sein. Schon bald werden die Einheimischen kostenlos Bücher lesen können. „Viele der Kongolesen kennen gedruckte Buchstaben überhaupt nicht“, sagt Korinna Kordon. Unvorstellbar. Einfach eingerichtete Schulen gibt es zwar, doch Bücher sind oft zu teuer. Gesicherte Zukunft Auch an anderen Stellen ist Hilfe mehr als nötig. Ein Fischereiprojekt, das auch vom Verein „Afrikas Renaissance und Wiederaufbau e. V.“ unterstützt wird, soll Fischern ihre tägliche Arbeit erleichtern. Materialien, wie dringend notwendige Kühlcontainer, wurden gekauft. „Außerdem geht es im Rahmen des Fischereiprojektes um eine gute Ausbildung der Fischer, die biologisches, ökologisches und rechtliches Denken lernen sollen.“ Hilfe zur Selbsthilfe ist das Schlagwort. „Die Projekte müssen langfristig wirken“, erklärt die Greifswalder Studentin. Nur auf diesem Weg ist die Zukunft des Kongos gesichert. „Umso mehr freuen wir uns, so viel erreicht zu haben“, sagt Korinna Kordon. Ihre abenteuerliche Reise hat sie nie bereut. Zu viele gute Erinnerungen verbindet die Studentin mit diesem Aufenthalt. Noch immer schwärmt sie von der „Gastfreundlichkeit und Offenheit der Menschen, dem leckeren Essen und der faszinierenden Landschaft. Das Land ist trotz all der bestehenden Probleme unglaublich schön“, sagt sie mit Blick auf die bunten Bilder. Außerdem ist sich die engagierte Studentin sicher: „Das ist nicht meine letzte Reise nach Afrika gewesen.“ grip
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LANDSCHAFTSÖKOLOGIE universum
Klar abgesteckt
Greifswalder Projekt Ökosystemdynamik forscht in Finnland Willy Brandt konnte noch nicht wissen, dass Klimaschutz einmal solch ein heiß diskutiertes Thema werden würde, als er sagte: „Ich warne davor, zu glauben, dass der Markt die Umwelt alleine in den Griff bekommt - dies ist geradezu ein Paradebeispiel für öffentliche Verantwortung.“ Und dieser Verantwortung werden sich die Regierungen dieser Welt langsam bewusst. Obwohl die Beschlüsse von Nairobi für viele Experten nicht ausreichend sind, scheint der Kurs für die nächsten Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte klar abgesteckt. 50 Prozent der Emission senken So verpflichteten sich die Industrieländer jener 170 Staaten, die auch schon dem Kyoto-Protokoll zugestimmt hatten, verschärfte Verpflichtungen hinsichtlich der Reduktion von Kohlendioxid auf sich zu nehmen. Bis 2050 soll die globale Emission um fünfzig Prozent gesenkt werden und bis dahin sind noch locker über vierzig Jahre Zeit! Der Aufsehen erregende SternReport vom November des vergangenen Jahres warnt hingegen, dass innerhalb der nächsten zehn bis zwanzig Jahre reagiert werden müsse. Kein Wunder also, dass man langsam unruhig wird – jedenfalls in den Regionen, in denen sich Naturkatastrophen wie Dürren oder Überflutungen häufen. Prompt verabschiedete die Europäische Union nach einer Hitzewelle in Rumänien im Jahr 2000 und dem Schneechaos in Mittel- und Südeuropa im Jahr 2001, ihr 6. Rahmenprogramm zur Unterstützung von Grundlagen- und angewandter Forschung, um unter anderem jene Vorhaben zu unterstützen, die ganz im Sinne der europäischen Politik sind. Und dazu gehört auch das Projekt „Ökosystemdynamik“ an der Universität Greifswald. Ein Teil der insgesamt 17,5 Milliarden Euro fließt somit auch in die Hansestadt. Dort beschäftigt sich ein internationales Team aus jungen Forschern mit der Frage, wie die nördlichen, borealen Torfmoore auf die Klimaerwärmung reagieren werden. Bleiben sie jene Kohlenstoffsenken oder werden sie zu einer positiven Resonanz auf die globale Erwärmung? So werden Boden, Vegetation und atmosphärische Grenzfläche analysiert. Im Moment auch im borealen Sumpf „Salmisuo“ in Finnland. Vor rund einem Jahr
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universum
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war Peter Schreiber auch dort vor Ort, um die Schneeschmelze und den Beginn der Vegetationsperiode hinsichtlich der Methanemission zu beobachten. Der Diplomand und einstige Geografiestudent aus Dresden kam extra wegen dieses Projekts in die Hansestadt. „Interessiert haben mich an dem Thema die vielfältigen Dynamiken, welche während der Schneeschmelze anzutreffen sind. Nachdem ich mich in meinem Studium vor allem mit den großräumigeren Klimazyklen, Global Change und Paläoklimarekonstruktion beschäftigt habe, habe ich mit der mikroklimatischen Messung klimarelevanter Gase eine neue Herausforderung gefunden, die mein Wissen in den kleinräumigen Bereich abrundet.“ Und nach seinen bisherigen Messungen kann er sich einen Anstieg der Methanemissionen während der Winterperiode in den borealen Mooren Nordkareliens vorstellen. Das bedeutet, dass Schnee und Eis viel schneller auftauen und so Methan rascher als bisher angenommen freigesetzt wird. Damit würde eines der wichtigsten Treibhausgase eher in die Atmosphäre gelangen und erheblich mit zum Klimawandel beitragen. Baumringe als Parameter Daneben widmet sich das Team der Projektgruppe Ökosystemdynamik auch den Baumringen, denn jene zeichnen die Umweltparameter wie Temperatur, Wasserverfügbarkeit und Erdbewegung auf. Diese Parameter sind gleichzeitig auch für das Baumwachstum wichtig. Keimt ein Samen auf dem Moor und wächst das Pflänzchen schneller als das Moor, so wird es gedeihen und kann zum Beispiel von Dürren berichten. Die Forscher haben die Hypothese entwickelt, dass Bäume in trockenen Gebieten während feuchtigkeitsarmer Jahre weniger wachsen werden, als Bäume im Sumpf. Das Wasser wird ebenfalls genauer beleuchtet. Durch die räumliche und zeitliche Erfassung der Variation von gelöstem organischen Kohlenstoff (DOC) als auch von gelöstem anorganischen Kohlenstoff (DIC) können so genannte DOC- und DIC-Flüsse rekonstruiert werden, wodurch ein direkter Bezug zur Hydrologie des Moorgebietes hergestellt wird. Für die gesamte DOC-Bilanz müssen so eine Wasserbilanz des Moores und mehrere Zeitserien von DOC- und DIC-
Flüssen erstellt werden, um Einsicht in den Wasserhaushalt und die DOC-Flüsse eines borealen Moores zu gewinnen. So grenzt es schon an ein kleines Wunder, dass das Team nur über Drittmittel finanziert wird. Neben EU-Geldern fließen auch 30.000 Euro des Emmy-Noether-Programms des DFG wie auch eine Million Euro von der Alexander von Humboldt-Stiftung. Das Thema Klimaschutz ist anscheinend in der Wissenschaftswelt angekommen. So konnten Forscher den World Overshoot Day bis zurück ins Jahr 1961 berechnen. Dieser Tag gibt an, wann die Menschen in einem Jahr alles verbraucht haben, was ihnen eine sich selbst erhaltende Natur erst bis zum Ende des Jahres liefern kann. Am 19.Dezember 1987 hatte die Menschheit zum ersten Mal die Ressourcen zu früh verbraucht. Im vergangenen Jahr fand er bereits am 9. Oktober statt. Lässt sich nur hoffen, dass sich weitere Untersuchungen dem Klimaschutz oder der Entwicklung neuer regenerativer Energien widmen. Aber nicht zuletzt muss dieser Fortschritt auch von der Industrie getragen werden, denn wie Willy Brandt schon sagte, Klimaschutz ist ein „Paradebeispiel für öffentliche Verantwortung.“ keh
Boreales Torfmoor in Finnland
Foto: Projektgruppe „Ökosystemdynamik“
Interessante Links http://biogeo.botanik.uni-greifswald.de http://www.iwr.de/klima http://www.wbgu.de
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MEDIZINERTREFFEN universum
Anknüpfungspunkte
Medizinstudenten treffen sich zum fachlichen Austausch Eine züngelnde Schlange umwickelt einen Stab mit einem aufgestellten Dreieck im Hintergrund. Drei Siegel und fünf Wellenlinien rahmen den Innenkreis des Zeichens. Es steht für das International Medical Students Project, kurz IMSP. Seit 1996 treffen sich Medizinstudenten aller Jahrgänge der Medizinischen Fakultäten von Lund, Stettin und Greifswald. Einmal im Semester halten dafür sie eine Konferenz in eine der drei Städte ab. Vom 20. bis zum 22. April ist für das Sommersemester 2007 Greifswald der Ausrichter. Unter dem Motto „Are some more equal than others?“ finden sich die Tagenden zu Fragen der medizinischen Versorgung in ländlichen Regionen, der Entwicklungshilfe und der Telemedizin im Institut für Anatomie zusammen. Durch die wachsende Technisierung des Faches rücken allerdings auch ethische und moralische Aspekte genauso wie psychologische und physiologische Details in das Blickfeld.
In regelmäßigen Treffen bereiten die Medizinstudenten des jeweiligen lokalen Journal Clubs innerhalb des Semesters die anstehende Konferenz vor. Das Motto wurde erarbeitet, relevante Fachartikel für die Konferenz selbstständig heraus gesucht und sich um die Betreuung während der Tagung gekümmert. So ging es bei den vergangenen Treffen beispielsweise um Schmerzen oder das Verhältnis von Ethik und Genetik. „Die steigende Relevanz der ländlichen Versorgung in Greifswald und der Umgebung machte die Diskussion dieser Thematik notwendig und unausweichlich“, so die Projektleiterin Josefine Boldt. Die Greifswalder Gruppe erfährt dabei seitens des Instituts für Medizinische Psychologie und des Instituts für Community Medicine fachliche und organisatorische Betreuung. Doch soll es bei nicht allein um Vorträge und Diskussionen in Englisch allein handeln. Die Konferenz bietet den Teilnehmern auch Raum sich gegenseitig kennen zu lernen
und mit einer eine gute Zeit zu verbringen. Für die Gäste aus Schweden und Polen werden noch Hosts gesucht. Interessierte sind zu den öffentlichen Vorträgen der Konferenz eingeladen und wer gern mitarbeiten möchte der sollte einfach den nächsten Journal Club besuchen. ur Termine unter: www.medizin.uni-greifswald. de/imsp.
Stettin im Sommer 2006
Foto: Moritz Rothacker
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DIREKTE DEMOKRATIE/ÖKONOMIE
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Zukunftsträchtige Abstimmung Bürgerentscheid zum WVG-Verkauf am 6. Mai
Erstmals fand 1997 ein Volksbegehren in der Hansestadt Greifswald statt. Die Wahlberechtigten stimmten über den Bau der Tiefgarage vor dem Pommerschen Landesmuseum ab. Obwohl sich die Mehrheit gegen den Bau aussprach, war das Wahlergebnis nicht bindend für die Greifswalder Bürgerschaft. Denn die Hürde einer Wahlbeteiligung von mindestens 25 Prozent wurde nicht überschritten. Am 6. Mai steht nun der zweite Bürgerentscheid in der vorpommerschen Stadt an. Alle mindestens 16 Jahre alten Bürger mit Erstwohnsitz in Greifswald sind stimmberechtigt. Somit auch viele Studenten. Folgende Frage steht auf dem Wahlzettel: Sind Sie dafür, dass die Stadt Greifswald auf die Möglichkeit der Schuldenreduzierung
durch den Verkauf eines Minderheitsanteils der WVG verzichtet? Obwohl unter den Bürgerschaftsabgeordneten große Zustimmung für die Durchführung eines Plebiszites zum möglichen Verkauf von maximal 49,9 Prozent der Anteile der kommunalen Wohnungsbau- und Verwaltungsgesellschaft (WVG) bestand, war die konkrete Fragestellung Grund langer Diskusionen. Kritiker bemängeln den suggestiven Charakter. Nicht nur WVG-Mieter, auch die anderen Einwohner der Stadt am Ryck betrifft der Volksentscheid. Indirekt wird über die Zukunft der Hansestadt abgestimmt. Antwortet die Mehrheit mit „nein”, tritt Greifswald in Verhandlungen mit potentiellen Käufern. Befürworter des Verkaufs erhoffen den Ab-
bau der kommunalen Schulden von rund 25 Millionen Euro. Kritiker dagegen befürchten steigende WVG-Mieten und den Ausverkauf von kommunalem Eigentum. Dass die nötige Wahlbeteiligung erreicht wird, ist aus demokratischen Gründen wünschenswert. Eine Beteiligungsquote von 39,9 Prozent wie bei einer thematisch ähnlichen Abstimmung in Freiburg wäre schon fast ein Traum. bb
moritz sprach mit Prof. Manfred J. Matschke (Lehrstuhlinhaber für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Betriebliche Finanzwirtschaft, insbesondere Unternehmungsbewertung) über die mögliche Anteilsveräußerung an der WVG.
würde nicht in das bestehende Vertragsverhältnis des Mieters eingegriffen. Die Mieter würden den Umstand, daß nun ein Dritter Anteile an der WVG hält, überhaupt nicht bezogen auf ihre konkrete Mietsituation bemerken. Sie müßten weiterhin die Miete wie bisher zahlen, ihre Ansprechpartner bei der WVG würden sich nicht ändern usw. Nachteile haben die jetzigen Mieter keine. Vorteile könnten sich für sie ergeben, wenn der neue Eigentümer in das Management sein „besseres“ Know-how einbringt, um etwa die WVG insgesamt wirtschaftlicher zu führen. Wenn ich unterstelle, daß es da noch „Reserven“ gibt, was ich aber konkret nicht weiß, weil ich keinen detaillierten Einblick in die WVG habe. Für künftige Mieter gilt, daß sie die marktüblichen Mieten zahlen werden, wie dies auch ohne Verkauf zu erwarten wäre, und für die jetzigen Mieter werden eventuelle Mietanpassungen in gleicher Weise kommen, wie sie auch ohne Verkauf gekommen wären, wenn sich die WVG marktgerecht verhält. Der Rechtsrahmen für solche Mietanpassungen würde sich durch den Anteilsverkauf nicht ändern. Kein Eigentümer hat Interesse durch Mietforderungen, die überhöht sind und sich folglich am Markt nicht durchsetzen lassen, einen Wohnungsleerstand zu „produzieren“. Denn das geht wirklich ins Geld! Der Wohnungsmarkt in Greifswald ist ein „Mietermarkt“, kein „Vermietermarkt“, denn es gibt mehr Wohnungen, die auf Mieter warten, als umgekehrt. Die umlaufenden Vorstellungen, es würde für die Mieter ein
Notstand bei einem Anteilsverkauf ausbrechen, sind geradezu absurd.
moritz: Sind Sie als Betriebswirt für den Verkauf von Anteilen an der WVG? Prof. Matschke: Jeder Eigentümer sollte regelmäßig prüfen, ob die Struktur seines Portefeuilles noch seinen Bedürfnissen entspricht. Dies gilt auch für kommunale Eigentümer. Kommt er zum Schluß, daß für ihn ein Verkauf und die neue Verwendung der dadurch freigesetzten Kapitalbeträge wahrscheinlich größere Vorteile verspricht, dann sollte er eine solche Transaktion zumindest planen. Durchführen kann er sie allein sowieso nicht. Als Ökonom kann man nicht abstrakt und absolut für oder gegen einen Verkauf sein. Ob man im konkreten Fall dafür oder dagegen ist, ergibt sich aus der Abwägung der Vor- und Nachteile ohne und mit Verkauf. Diese Abwägung hat die Kommune als Eigentümer zu treffen, nicht ich. moritz: Besitzt ein möglicher Verkauf
von maximal 49,9% der Anteile an der Wohnungsbaugesellschaft mehr Vorteile als Nachteile? Im Besonderen wenn die Interessen der Mieter berücksichtigt werden? Prof. Matschke: Durch den Verkauf eines Minderanteils an die WVG, selbst durch einen direkten Verkauf von Wohnungen
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Hauptsitz der WVG
Foto: Uwe Roßner
moritz:Ist eine Minderheitsbeteiligung für einen Investor überhaupt interessant? Sprechen der hohe Sanierungsgrad der Wohnungen und der im Vergleich hohe Mietpreis für einen Einstieg? Prof. Matschke: Ob es für einen Käufer interessant ist, kommt letztlich auf die Vertragsverhandlungen und deren Ergebnisse an. Werden die Verhandlungen positiv abgeschlossen, dann doch nur deshalb, weil sich nicht bloß die Stadt als Anteilsverkäufer, sondern auch der Käufer der Anteile dadurch mehr Vorteile verspricht. Denn der Investor muß ja nicht kaufen. Natürlich ist ein wirtschaftlich gesundes Unternehmen für einen Erwerb von Anteilen attraktiver, als wenn es sich um ein sanierungsreifes Unternehmen handeln würde, bei dem immer auch das Risiko eines Fehlschlags einer Sanierung bestände. moritz:Ist ein Verkauf also eine winwin-Situation für die Hansestadt und einen Investor? Prof. Matschke: Wenn er zustande kommt, dann doch nur deshalb, weil sich beide Seiten mehr Vorteile versprechen, also - wie Sie es ausdrücken - eine win-win-Situation aus Sicht aller Beteiligten vorliegt. Ob diese erwarteten Vorteile sich tatsächlich für jeden der Beteiligten realisieren werden, wird dann die Zukunft zeigen. Das Gespräch führte Björn Buß.
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PREUSSISCH SCHARF / STUDENTENFERNSEHEN universum
Guter deutscher Senf Glosse
Nationalsortiment
Foto: Johannes Kühl
Geht Mensch im „Senfladen“ auf Greifswalds Flaniermeilchen einkaufen, kann ihm folgendes passieren: Er kauft sich belustigt den so genannten Trabi- oder den Einstein-Senf. Oder er steht leicht irritiert und sinnierend zwischen Bratwurstgeruch und Familienvätern und rätselt und rätselt. Dann nämlich hatte er gerade ein Glas mit der Aufschrift „Schlesien-Senf“ in der Hand. Schlesien? Oder den „Preußen-Senf - preußisch-scharf“. Was war noch mal mit Preußen? Spätestens aber, wenn er den guten „Sudetenland-Senf“ gesehen hat, ahnt er, woher der Wind weht.
Deutschland ist groß und Karl Jungbeck hat seine Hausaufgaben nicht gemacht. Oder: Deutschland hat seine Grenzen aufgedrückt bekommen und Jungbeck scheint das zu glauben. Er ist Inhaber der Altenburger Senffabrik in Sachsen, die im FranchiseSystem die „Senfläden“ Deutschlands betreiben lässt. Wie kommt das nun? Ein Unternehmer nimmt ein so delikates Thema wie den Grenzverlauf im Nachkriegsdeutschland in Form von Senf in sein Produktsortiment auf? Soll eine neue deutschnationale Revolution im Sternmarsch von allen Senfläden in Richtung Berlin stattfinden? Fackelzüge mit Bratwurst? Oder Stockbrot? Was wird dann aus der Kapitalismuskritik aus nationalistischer Richtung, wenn Nazis stolz ein Glas Sudetenlandsenf aus einem FranchiseLaden erstehen? Am besten gleich mit einem Deutschländerwürstchen aus dem Kettensupermarkt. Oder will Jungbeck einfach nur den Kundenkreis völkischer Spinner abgreifen? Wohl auch nicht, denn auf der Firmenhomepage bezieht man ein wenig Stellung. Wirklich wundervoll unseriös wird dort die Unternehmensgeschichte erzählt. Man sieht Jungbeck direkt vor sich, als grantigen Opa mit Gehstock, der seinem Enkel
mal was von der Wahrheit erzählt: „Nach dem Ende des 2. Weltkrieges und der Teilung Deutschlands hießen die damaligen Besitzer der Senffabrik Uhleman & Koch. Die Firma hieß: „Ulko - Senf“. Durch das Diktat der neuen in der DDR wurde die Firma „Ulko-Senf“ 1953 enteignet. Ab dieser Zeit war es ein so genannter VEB Betrieb, [...]“ Aber es wird noch besser: „So wurden nach der Wende bis Anfang 1992 von einstmals 180 Mitarbeitern 170 entlassen. Die restlichen 10 Mitarbeiter hatten ebenfalls die Kündigung bereits in der Tasche.“ Das geht vielleicht noch als Kapitalismuskritik durch, nachdem der Sozialismus sein Fett bereits weggekriegt hat. Am schärfsten ist jedoch das Schlusswort: „Die Gründerzeit war sehr hart, vieles ist zwischenzeitlich vergessen, manchmal müsste man sagen „leider vergessen“.“ Noch einmal zur Erinnerung: So stellt sich das Unternehmen Altenburger Senffabrik selber auf. Ob das naiv ist oder ernst gemeint lässt sich nicht sicher sagen. Soll Mensch das jetzt in Kontext zu Senfsorten setzen? Ist Karl Jungbeck ein ganz blindes Huhn oder latent revisionistisch? Vielleicht sollte es einem schwer an die Nieren gehen. Aber der Senf schmeckt eh nicht, vielleicht löst sich das Problem ja von alleine. kos
Happy Birthday MoritzTV Zehn Jahre...
Seit zehn Jahren ist das Studentenfernsehen der Universität Greifswald eine feste Institution. Anfangs noch mit Spielzeugmikros unterwegs und auf Spaß ausgerichtet, hat sich MoritzTV im Laufe der Zeit zu einem ernstzunehmenden Medium der Ernst-Moritz-Arndt-Universität entwickelt. Als das anfänglich einzige allein von Studierenden geleitete Projekt in Deutschland diente MoritzTV anderen Hochschulen als Vorbild. So wurde der Gründer vom Studentenfernsehen in Stuttgart (StuFe/ Hochschule der Medien) während seiner Arbeit bei MoritzTV vor zwei Jahren inspiriert. Auch dort wird nun jeden Monat eine Sendung produziert. Natürlich haben sich die MoritzTV-ler für das Jubiläumsjahr einiges einfallen lassen.
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Neben einer Sondersendung ist auch eine große Geburtstagsparty geplant. By the way: Geschenke sind natürlich das ganze Jahr gerne gesehen.
Und jetzt: Maaarmeeelaaadeee!
Mit Spaß dabei Neue Mitglieder sind bei MTV auch immer herzlich willkommen. Entgegen aller Gerüchte muss man aber keine Vorkenntnisse, sondern einfach nur Spaß am Medium Fernsehen haben. Die nächste MoritzTV-Sendung wird Anfang Mai im Greifswalder Lokalsender GTV ausgestrahlt. Außerdem kann sie, wie alle vorherigen Senungen und Beiträge auch über die Internetseite www.moritztv.de abgerufen werden. Justina Jaskowiak
www.moritztv.de
Foto: Moritz TV
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GUATEMALA
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Real helfen statt virtuell leben Engagierte Greifswalder starten Hilfsprojekt realCITY
Wie viel Zeit er früher am Computer verbracht hat, ist nicht zu erfahren, doch klar ist, dass es Peter Eitel irgendwann nicht mehr reichte, nur in der virtuellen Welt von „SimCity“ Straßen, Häuser und Flughäufen zu bauen. Er wollte wirklich etwas tun. So kam ihm im Sommer 2005 die Idee, ein Projekt ins Leben zu rufen, bei dem Studenten das theoretische Wissen, das sie in Vorlesungen und Seminaren erworben haben, in der Praxis anwenden konnten. Dass Entwicklungszusammenarbeit einen hierfür geeigneten Rahmen bieten könnte, war dem Politikstudenten schnell klar, da er vor dem Beginn seines Studiums selbst ein Jahr als freiwilliger Entwicklungshelfer in Guatemala gearbeitet hatte. Ein Name war schnell gefunden und so konnte „realCITY“ starten. „Am Anfang waren wir nur zu siebt“, erinnert sich Peter Eitel heute. Ein Verein wurde dennoch bald darauf gegründet und die Fühler nach Partnerprojekten in einem Entwicklungsland ausgestreckt. Nach langer, nicht immer einfacher Suche, fanden Peter und seine Hand voll Mitstreiter schließlich mit der Hilfsorganisation „Mayan Hope“ in Nebaj in Guatemala einen noch jungen Partner, der die Vorstellungen der Greifswalder teilte. Mit Interesse und Begeisterung Nun, es war bereits Winter geworden, hieß es auch diesseits des Ozeans Mitstreiter für das Projekt zu gewinnen. Studenten und Professoren sollten es sein, so viel war sicher. Und interdisziplinär sollte das Projekt ja auch angelegt sein. Doch wen konnte man ansprechen? Wer würde Interesse haben? Studenten und Professoren aller Fachrichtungen ein Projekt anzubieten, das ihren fachlichen und persönlichen Interessen entspricht und für das sie sich begeistern können, kommt einer Quadratur des Kreises recht nahe. Um dem hohen akademischen Anspruch gerecht zu werden und Professoren verschiedener Institute zu gewinnen, musste die Idee der hilfsbereiten Studenten zunächst zu Papier gebracht werden. Es entstand eine 25 Seiten starke Projektbeschreibung, die Idee, Ablauf und Struktur von realCITY enthielt. Diese im Gepäck, wurden Kontakte geknüpft, und schließlich akademische Unterstützung gefunden.
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Doch im Mittelpunkt des Projektes standen und stehen natürlich die Studenten. Eine Informationsveranstaltung im Frühjahr 2006, in der das Projekt interessierten Studiosi vorgestellt wurde, war ein voller Erfolg: Von 50 Zuhörern wurden noch am selben Abend 30 von ihnen zu Projektteilnehmern. realCITY konnte starten. Über Grenzen hinaus Im Sommersemester 2006 nahmen 32 Studenten der Greifswalder Universität ihre Arbeit in verschiedenen Projektgruppen auf. Gegliedert in die drei Arbeitsgruppen Geschichte/Politik, Medizin und Wirtschaft setzten sich die Experten, also Studenten der jeweiligen Fachrichtung, mit Guatemala auseinander. Die Gruppe „Public Relations“ kümmerte sich parallel um die Öffentlichkeitsarbeit des Vereins um ihm auch über die Grenzen Greifswalds hinaus zu Bekanntheit zu verhelfen. So entstanden während des Sommersemesters 2006 bereits konkrete Ideen, wie die Menschen in Nebaj ihr Leben verbessern könnten – immer in enger Abstimmung mit der Hilfsorganisation Mayan Hope, die die Menschen vor Ort betreut. Um sich ein eigenes Bild von „ihrem“ Projekt zu machen, reiste schließlich im August 2006 eine Gruppe von elf Greifswaldern auf eigene Kosten nach Nebaj und kehrte tief beeindruckt zurück. So trauten die beteiligten Medizinstudenten ihren Ohren kaum als sie erfuhren, dass für die etwa 250.000 Menschen der Region nur ein einziges Krankenhaus mit 35 Betten zu Verfügung steht. Die unglaublichen Erfahrungen sowie intensive persönliche Gespräche mit den Menschen vor Ort inspirierten die Greifswalder zu neuen Projekten, die sie mit großem Enthusiasmus im vergangenen Wintersemester vorantrieben. So wollen sie zum einen das örtliche Krankenhaus finanziell und materiell unterstützen. Zum anderen planen die angehenden Ärzte einen Austausch von deutschen und guatemaltekischen Medizinstudenten mit jeweiliger Famulatur im anderen Land. Auch die anderen Projektgruppen stehen dem in nichts nach. Während sich die Gruppe Geschichte/Politik mit den Wahlen in Guatemala im kommenden Jahr beschäftigt, möchte die Wirtschaftsgruppe ein Internet-
café in Nebaj einrichten und fair gehandelter Kaffee aus der Region in Greifswald verkauften. Jeder macht das, was er am besten kann zum Wohle aller. Auf diesen Nenner könnte man das Konzept von realCITY bringen. Der Verein selbst sieht sich dabei als unentgeltlicher Dienstleister für kleinere Entwicklunsghilfsorganisationen wie eben Mayan Hope, als Bindeglied und Koordinationsstelle zugleich. Knappe Kasse Natürlich kann dies nur mit der tatkräftigen Unterstützung vieler geschehen. Geld ist knapp und realCITY ist auf Spenden angewiesen. „Der Schritt an andere Universitäten, die sich dann mit anderen Projekten in anderen Ländern beschäftigen, ist leider noch nicht gelungen“, beschreibt Peter einen Traum, der jedoch bald wahr werden könnte. Kontakte nach Augsburg bestehen bereits. Für diejenigen, die die Reise nach Guatemala selbst scheuen, aber trotzdem sehen möchten, wie es dort aussieht, hat der Verein am 21. September im Amtsgericht die Ausstellung „Kulturelle Vielfalt in Guatemala“ von Diego Molina vorbereitet. Dafür lohnt es sich doch, den Platz vor dem Computer zu verlassen. ring
Blick über Nebaj
Foto: realCITY
35 Krankenhausbetten für 250.000 Menschen.
Nächstes Treffen Das nächste Treffen von realCITY findet am 18. April um 20 Uhr im „Fliegenden Schwan“ in Greifswald statt. Weitere Infos gibt es unter: www.real-city.org
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STÄDTEBAU
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Zwischen Gotik und Sichtbeton Der 29. Deutsche Kunsthistorikertag in Regensburg
Regensburg
Foto: Arvid Hansmann
Was verbindet man mit den Buchstaben KSK? In erster Linie sicher uniformierte Soldaten, die durch die karge Bergwelt Afghanistans schleichen. Doch KSK steht auch für „Künstlersozialkasse“, eine Institution, die in einem vermeintlich „brotlosen Gewerbe“ für eine gewisse Absicherung sorgen soll. Ob nun diejenigen, die vorrangig nicht selbst Kunst produzieren, sondern sich in theoretischwissenschaftlicher Weise mit ihr auseinandersetzen, ebenfalls ein Anrecht auf diese Unterstützung haben sollten, war eine der Fragen, die auf einem Forum über den „Kunsthistoriker als Freiberufler“ diskutiert wurden. Das Forum war ein Bestandteil des 29. Deutschen Kunsthistorikertages, der vom 14. bis 18. März 2007 in der Universität Regensburg stattfand. Die Konferenz mit mehreren hundert Teilnehmern und 96 Referenten aus dem In- und Ausland gliederte sich in eine Vielzahl von Fachvorträgen und Podiumsdiskussionen. So reichte die Auswahl von mittelal-
terlicher Kathedralarchitektur über Raumkonstruktionen im Film bis zur Kunstgeschichte im digitalen Zeitalter. PD Dr. Ulrich Fürst, der zurzeit den immer noch vakanten Lehrstuhl für Kunstgeschichte am Caspar-David-Friedrich-Institut vertritt, leitete die Sektion „Asien blickt auf Europa“, in der die Sicht des fernen Ostens auf die okzidentale Kultur punktuell aufgezeigt wurde. Dass ein Schwerpunkt der Umgang mit mittelalterlicher Bausubstanz im Kontext von Denkmalpflege und Städtebau nach 1945 war, wurde schnell aufgrund der lokalen Gegebenheiten verständlich. Wie in Greifswald hatte die Regensburger Altstadt den Krieg halbwegs unbeschadet überstanden. Der desolate Zustand der verwinkelte Bausubstanz wurde in den 1950er und 60er Jahren als Argument herangezogen, um das Ideal der „autogerechten Stadt“ zu realisieren. Etliches fiel den Straßenerweiterungen zum Opfer. Einige Schreckenszenarien konnten jedoch verhindert werden. So bleibt eine vierspurige Überführung parallel zur „Steinernen Brücke“ aus dem 12. Jahrhndert, der ältesten erhaltene Donauquerung überhaupt, glücklicherweise eine Hypothese. Grau in Grau Wie die Moderne hätte „wüten“ können, zeigt sich an dem Campusgelände. Vom Audimax bis zur Mensa erscheint alles als ein zusammenhängender Komplex aus grauem Sichtbeton. Mit den Terrassenanlagen, Teichen und spärlichen Grünflächen machen die kubischen Formen fast den
Eindruck als hätte Albert Speer den Auftrag erhalten, einen japanischen Garten zu gestalten. Auf der begleitenden Messe präsentierten sich Institutionen wie das digitale Bildarchiv „prometheus“ ebenso, wie zahlreiche Kunstverlage, deren prächtige Bildbände trotz der zuletzt gewährten 30 Prozent Rabatt immer noch schwer erschwinglich waren. Doch der Messebereich wurde weniger zum Erwerb, als vielmehr für das Gespräch genutzt – generell galt hier das Prinzip „sehen und gesehen werden“. Ob nun zur selbstbewussten Darlegung des eigenen Forschungsstandes, oder mit der Hoffung verbunden, eine der raren sicher bezahlten Stellen zu ergattern, der Inhalt des zuvor gehörten Vortrages war oft nur „Aufhänger“ um in den Dialog zu treten. So konnte man aber auch ganz unkonventionell auf der „Bierzeltgarnitur“ in Foyer mit dem chinesischen Professor Zhu Qingsheng über das von ihm betreute „Museum of World Art“ in Peking sprechen. Die begleitende Ausstellung zu Geschichte der Synagogen in Deutschland in der benachbarten UB fand aufgrund der peripheren Lage nur wenig Resonanz. Verschiedene Fachexkursionen rundeten das Programm ab. Dort konnte man beispielsweise etwas über die jüdischen Spuren in Regensburg erfahren. Studenten nahmen in dieser Szenerie oft nur eine rezipierende Rolle ein. Aber trotz all der ökonomischen Schwarzmalerei sollte den angehenden Kunthistorikern bewusst werden, welch ein interessantes Themenspektrum ihr Studium zu bieten hat. aha
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DÄNEMARK / UNIKINDERGARTEN
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„Mächtig gewaltig, Egon!“
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Futurama in Kopenhagen
Kopenhagen hat es laut The Economist schon auf Platz drei der teuersten Städte gebracht. In einer Umfrage aus dem brandeins-Magazin geben 66 Prozent der Dänen an mit ihrem Leben zufrieden zu sein, im Vergleich dazu: nicht einmal 20 Prozent der Deutschen behaupten das von ihrem Dasein. In Kopenhagen scheint es neben dem Regen auch Millionen von Kronen hernieder zu prasseln. Alles modernisiert, alles neu und alles doch zu perfekt. Wohnheim als Touristenmagnet Dass die skandinavischen Länder bekannt sind für Design ist klar, aber beim Besuch des Tietgen-Studentenwohnheims im Stadtteil Orestad in Kopenhagen kippt einem schon die Kinnlade herunter. Das Wohnhaus wurde 2005 gebaut und ist jetzt schon ein Touristenmagnet für Design-Interessierte. Holz, Glas und Beton dominieren den Rundbau. Zum Innenhof hin befinden sich die Gemeinschaftsküchen und Megaterassen, während nach außen des Gebäudes die
Zimmer sind. Das Besondere ist, dass alle Räume komplett verglast sind. Geht also im gegenüberliegenden Innenhofblock gerade eine wilde Party ab, nimmt sich der moderne Däne seine Chipkarte zur Hand und hat Eintritt in jede Etage des „Rundblocks“. Das ganze futuristische Gefühl wird verstärkt durch das Nicht-Vorhandenseins von Tapeten, ein wenig Wärme spendet Holz im Camouflage-Look. Alles wirkt sehr industriell, durchsichtig und schwer betonklotzig. Das scheint die dänische Vorstellung vom modernen Leben zu sein. Kein Stopp ist in Sicht, denn gleich neben dem Wohnheim wird ein komplett neues Viertel hochgezogen, eine Mischung aus Uni-Campus und Wohnviertel. Wem das alles zu krass wird, der kann bei der klassischen KopenhagenTour bleiben und romantische Fotos mit der Meerjungfrau machen. Übrigens: Der gemeine dänische Student bekommt 600 Euro im Monat vom Staat geschenkt, geht meist zusätzlich arbeiten, trinkt 5-Euro-teures Plörrenbier, fährt ebenfalls viel Fahrrad und trägt Leggings. msv
Tietgen Wohnheim
Fotos: Maria-Silva Villbrandt
Ins Abseits manövriert Die Kita kommt – anders als geplant
Für alle Studierenden mit Kind gibt es zum Beginn des Sommersemesters eine gute und eine schlechte Nachricht. Zunächst die schlechte: Den geplanten Universitätskindergarten von Studienrendenschaft, Studentenwerk, Universität sowie Uniklinikum wird es in der geplanten Form nun doch nicht geben (moritz berichtete). Die gute Nachricht hingegen wird die Enttäuschung abmildern. „Die Kita ‚A.S.Makarenko’ in der Makarenkostraße wird ab Beginn des neuen Schuljahres, wahrscheinlich ab August 2007, wochentags regulär von 6 bis 21 Uhr geöffnet sein“, wie vom Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) zu erfahren ist. Kein Interesse Zu der neuen Wendung im Tauziehen um die Uni-Kita ist es gekommen, weil die „Independent Living – Kitas für MV e.V.“ (IL) plötzlich doch kein Interesse mehr daran hatte, den Kindergarten gegenüber der „Kiste“ zu
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übernehmen. Der Grund dafür waren wohl wirtschaftliche Vorbehalte, da sich eine Übernahme für den Verein nur gerechnet hätte, wären ihr noch vier bis fünf andere Kindergärten in der Hansestadt übertragen worden. Dem hatte der Leiter des Jugendamts, Dirk Scheer, bereits im Dezember dem moritz gegenüber eine Absage erteilt. Doch obwohl die Stadt den Kindergarten nun in Eigenregie länger öffnen wird, zeigt sich Scheer „sehr optimistisch“, dass Studierende mit Kind von den längeren Öffnungszeiten profitieren werden. Positiv ist zudem, dass sowohl das pädagogische Konzept, ein interkulturell-bilingualer Ansatz, sowie die besonderen Öffnungszeiten von der IL übernommen werden. Bei Bedarf könnten diese in der Woche bis 22 Uhr verlängert werden, samstags werden die Türen von sechs bis halb fünf geöffnet sein. Auch der zuständige Sozialreferent des AStA, Alexander Schulz-Klingauf, zeigt sich sehr zufrieden mit der neuen Entwicklung.
„Die IL hat sich selbst ins Abseits manövriert“, meint er. „Für mich scheint die Stadt Greifswald als neuer alter Partner seriöser und verlässlicher zu sein.“ So ist es nicht verwunderlich, dass sich schon viele interessierte Eltern bei SchulzKlingauf über die neue Form der Kinderbetreuung informiert haben. „Etwa 25 sind an mich herangetreten“, meint er. Und auch bei der Stadt lägen bereits dreizehn Anmeldungen vor, wie von Dirk Scheer zu erfahren ist. Trotzdem erwartet der AStA-Sozialreferent, dass sich noch mehr Eltern melden werden. ring
Weitere Informationen zur Kita sowie den Anmeldeantrag gibt es auf der Seite des Studentenwerks: www.studentenwerk-greifswald.de
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M. TRIFFT... universum
Peter Binder
moritz:
Eine Zeitung ohne Fotos ist wie...? Binder: Eine bilderlose Zeitung ist wie Blei. Eine fürchterliche und schlimme Vorstellung.
moritz: Wollten Sie früher ein eigenes
Foto: Grit Preibisch
Immer eine Kamera in der Tasche. Den Blick auf mögliche Fotomotive gerichtet. Peter Binder ist das Urgestein in den Greifswalder Redaktionsräumen der Ostsee Zeitung. Geht es um die Qualität der Fotos, die jeden Tag die Seiten des regionalen Blattes füllen, vertrauen die Redakteure gern auf das Urteil des gebürtigen Stettiners. Es kann regnen, stürmen oder schneien. Immer ist der 67-Jährige in Greifswald unterwegs, um das Mögliche und Unmögliche auf Fotos zu bannen. Beinahe jeder Greifswalder erkennt den ausgebildeten Fotografen, wenn er durch die Straßen der Hansestadt läuft. Um ihn auch den Studenten bekannt zu machen, bat ihn moritz zu einem Gespräch. Alter: 67 Lieblingsessen: Hausmannskost, vor allem Rouladen Lieblingsfilm: gut gemachte Krimis Lieblingsbuch: alle Bände von Emile Zola
moritz: Wie würden Sie ihren Beruf in drei Sätzen beschreiben? Binder: Mein Beruf ist spannend und interessant. Ich lerne täglich viele Menschen kennen. Jeder Tag ist eine neue Herausforderung. moritz: Was ist Ihr Traumberuf?
Binder: Ich übe meinen Traumberuf aus. Einen anderen Beruf kann ich mir für mich nicht vorstellen. Ich habe nie über eine Alternative nachgedacht.
moritz: Für welche Zeitungen waren Sie schon tätig? Binder: Seit 1969 arbeite ich vorwiegend für die Ostsee Zeitung.
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gewünschten Fotos zu machen. Zu Ende ist mein Tag erst dann, wenn das letzte Foto für die aktuelle Ausgabe gemacht ist. Dabei muss man schon mal flexibel sein können. An den Wochenenden habe ich aber meist frei.
Fotogeschäft eröffnen? Binder: Nein, auf keinen Fall. Ich liebe die Arbeit für die Zeitung viel zu sehr. Immer unterwegs sein, viele Menschen treffen. Das ist für mich die Idealvorstellung meines Berufs.
moritz: Haben Sie einen Lieblingsplatz in Greifswald? Binder: Ich finde den neuen Rubenowplatz sehr schön. Abends gehe ich oft dorthin, um die tolle Atmosphäre zu genießen. Vor allem die Beleuchtung hat es mir angetan.
moritz:
moritz: Welches Fach würden Sie gern
Was macht ein gutes Foto aus? Binder: Ein gutes Foto muss dem Leser etwas vermitteln können. Ansprechend und interessant soll es sein. Außerdem muss der Fotograf unbedingt das Handwerkszeug beherrschen. Beachtet werden müssen darüber hinaus optische Regeln und der Goldene Schnitt.
moritz: Digitalfotografie: Fluch oder Segen? Binder: Es hat lange gedauert, bis ich mich von der Digitalfotografie überzeugen lassen habe. Ich war sehr skeptisch und habe lange an der analogen Fotografie festgehalten. Als ich jung war, habe ich etwas über die Möglichkeit einer Fotografie ohne Film gelesen. Damals habe ich nur den Kopf geschüttelt. Heute bin ich aber über den Fortschritt der Technik umso glücklicher. Die Digitalfotografie erleichtert meine Arbeit ungemein. moritz: Wen oder was würden Sie gern fotografieren? Binder: Ich habe in meiner Laufbahn schon alles fotografiert. Vom Eisenbahnunglück bis zur Entbindung war von allem etwas dabei. Damit bin ich zufrieden. Besondere Motivwünsche habe ich also nicht. moritz: Welche Prominenten sind Ihnen schon vor die Linse gekommen? Binder: Ich habe bisher viele bekannte Menschen fotografiert. Praktisch alle. Die schwedische Königin war schon oft mein Fotomotiv. Auch Angela Merkel, Gerhard Schröder und Helmut Kohl habe ich schon abgelichtet. moritz:
Wie sieht Ihr typischer Tagesablauf aus? Binder: Ich stehe früh auf, frühstücke und mache mich auf den Weg in die Redaktionsräume. Um neun Uhr bin ich bei der Ostsee Zeitung und bespreche mit den Redakteuren mögliche Fotomotive. Die Frage ist immer: Was wird das Aufhängerfoto für Seite 1? Manchmal ist die Suche schwierig, manchmal leicht. Die Themenlage ist entscheidend. Dann ziehe ich los, um die
an der Greifswalder Universität studieren? Binder: Da muss ich nicht lange überlegen. Ganz klar: Kunst.
moritz: Welches Studienfach würden Sie gern neu erfinden? Binder: Ich würde gern ein Studienfach für Politiker erfinden. Ein Name für das Fach fällt mir im Moment nicht ein. Auf jeden Fall sollte den zukünftigen Politikern beigebracht werden, die Befindlichkeiten der Bevölkerung mehr ins Auge zu fassen. moritz: Sommer- oder Wintermensch? Binder: Ich bevorzuge ganz eindeutig den Sommer. Wenn die Sonne scheint und es warm ist, geht es mir gut. Die Kälte mag ich nicht. Ich bin immer wieder froh, wenn der Winter vorbei ist. moritz:
Was liegt auf Ihrem Nachttisch? Binder: Ein Buch, meine Brille und ein Radio.
moritz: Was gehört zu Ihren Hobbys? Binder: Fotografieren. Das ist mein Leben. moritz:
Welche Menschen der Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft bewundern Sie? Binder: Das ist eine schwierige Frage. Ich bewundere vor allem Mediziner, speziell Herzspezialisten. Ärzte können Leben retten. Sie müssen Tag für Tag Mut, Selbstvertrauen und Verantwortungsgefühl beweisen. Diesem Druck müssen sie immer wieder standhalten. Davor ziehe ich meinen Hut.
moritz: Wenn eine Zeitreise möglich wäre, würden Sie ...? Binder: Ich würde in der Gegenwart bleiben wollen. Was interessiert mich die Vergangenheit oder Zukunft? Ich lebe im Hier und Jetzt. Und dabei fühle ich mich wohl. moritz: Haben Sie ein Lebensmotto? Binder: Alles wird gut. Oder so ähnlich. Das Gespräch führte Grit Preibisch
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In einige dieser Felder sind schon zu Beginn Ziffern zwischen 1 und 9 eingetragen. Typischerweise sind 22 bis 36 Felder von 81 möglichen vorgegeben. Ziel des Spiels ist es nun, die leeren Felder des Puzzles so zu vervollständigen, dass in jeder der je neun Zeilen, Spalten und Blöcke jede Ziffer von 1 bis 9 genau einmal auftritt.
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Das Spiel besteht aus einem Gitterfeld mit 3 × 3 Blöcken, die jeweils in 3 × 3 Felder unterteilt sind, insgesamt also 81 Felder in 9 Reihen und 9 Spalten.
Wenn eine Zahl in einem Feld möglich ist, bezeichnet man sie als „Kandidat“. Die drei Bereiche (Reihe, Spalte, Block) werden zusammengefasst als „Einheiten“ bezeichnet.
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Gewinne Zu gewinnen gibt es 3x2 Kinokarten, Schreibt die Lösung wie gewohnt an moritz@uni-greifswald.de. Viel Spaß beim Rätseln!
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moritz-Mitabreiter und deren Angehörige sind zur Teilnahme nicht berechtigt. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.
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