moritz November 2007
No. 66
das greifswalder studentenmagazin
Lehre und Forschung auf Hiddensee Rektorinterview|Studentenclubs|Magister
IMPRESSUM Redaktion & Geschäftsführung Wollweberstraße 4, 17489 Greifswald Telelfon: 03834/861759 Telefax: 03834/861756 E-Mail: moritz@uni-greifswald.de Internet: moritz-magazin.de Postanschrift::
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Geschäftsführung Christin Kieppler, Carsten Mielsch Anzeigen: Christin Kieppler, Carsten Mielsch Chefredaktion Judith Küther (V.i.S.d.P.), Björn Buß Hochschulpolitik: Feuilleton: Universum: Kurznachrichten:
Maria Trixa Sarah Bechimer Cornelia Bengsch n.n.
Redakteure: Alexa Bornhorst (ab), Cornelia Bengsch (cb), Björn Buß (bb), Sarah Bechimer (sb), Maximilian Fleischmann (mpf) , Christine Fratzke (cf), Katja Graf (kg), Arvid Hansmann (aha), Anke Harnisch (keh), Alina Herbing (lah), Robert Heinze (rh), Franziska Korn (fk), Stephan Kosa (kos), Ina Kubbe (ik), Johannes Kühl(jk), Martha Kuhnhenn (mk), Judith Küther (juk), Martina Pape (mp), Grit Preibisch (grip), Anne Regling (ar), Uwe Roßner (ur), Robert Tremmel (bert), Maria Trixa (mt), Maria-Silva Villbrandt (msv), Sara Vogel (sar), Benjamin Vorkötter (bv) Freie Mitarbeit: Ester Müller-Reichenwaller, Philip Rusche, Marc Tanzmann Gestaltung: Björn Buß, Judith Küther, Robert Tremmel Titelbild: Robert Tremmel (Foto), Judith Küther Tapir: Kai-Uwe Makowski Herausgeber: Studierendenschaft der Universität Greifswald (vertreten durch das Studierendenparlament, Domstraße 12, 17487 Greifswald) Druck: Druckkaus Panzig, 17489 Greifswald
EDITORIAL Sehr geehrte Frau Roth, ein Hallo an die Studentenclubs, liebe Mitlesenden (auch die im Schweriner Bildungsministerium und in der Greifswalder Stadtverwaltung), da liegen Themen für dieses Heft auf der Straße, fleißige, unseren Leser verbundene Redakteure heben diese auf, führen dann unzählige Gespräche, recherchieren engagiert, aber kurz vor Veröffentlichung stolpern die Schreibenden. Nicht aus Unfähigkeit das Gleichgewicht zuhalten. Nein, Gesprächspartner wollen das Gesagte nicht gesagt haben. Und besser schreiben können sie eh. Auch Oliver Kalkofe schaut sich die Schüler ..äh.. Studentenzeitung skeptisch an. Wie es der gute Ton gebietet, lesen Zitierte ihre Worte vor dem Leser, pochen zu Recht auch auf die korrekte Wiedergabe ihrer Aussagen. Aber liebe Frau Dr. Gesine Roth: Jedem Hilfesuchenden im Akademischen Auslandsamt zu sagen, die Nachfrage nach Erasmus-Studienplätzen ist in Greifswald deutlich kleiner als das europaweite Angebot und schuld daran sei das verschulte Bachelorstudium ist Ihre Sache. Diese Aussage auch gegenüber dem moritz bei einem Pressegespräch zu äußern, dann aber aus allen Wolken zu fallen, nachdem sie sich selbst lesen können und darauf pochen, das Gesagte nur informell ausgesprochen zu haben, dabei noch ausfallend werden, ist doch unter Ihrem Niveau. Auch den Studentenclubs ein kleiner Denkanstoss mitgegeben (die sich jedenfalls angesprochen fühlen dürfen): Überlegt, was Ihr sagt. Worte, die Ihr nicht lesen wollt, sprecht nicht aus (Exkursion statt Clubfahrt). Und sich FÜR oder GEGEN eine Veröffentlichung auszusprechen, übersteigt Eure Kompetenz bei Weitem. Oder erhält man jetzt auch nach Barschluss Bier, wenn gewünscht? Sprechen wir einfach mit Karl Valentin: „Ich bin auf Sie angewiesen, aber Sie nicht auf mich! Merken Sie sich das!“
moritz erscheint während des Semesters monatlich in einer Auflage von derzeit 3.000 Exemplaren. Die Redaktion trifft sich während des Semesters donnerstags um 18 Uhr in der Wollweberstraße 4. Redaktionsschluss der nächsten Ausgabe ist der 24. Oktober 2007. Die nächste Ausgabe erscheint am 8. November 2007. Nachdruck und Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion. Die Redaktion behält sich vor, eingereichte Texte und Leserbriefe redaktionell zu bearbeiten. Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die in Artikeln und Werbeanzeigen geäußerten Meinungen stimmen nicht in jedem Fall mit der Meinung des Herausgebers überein. Alle Angaben sind ohne Gewähr!
Arndt des Monats [...]so daß die Kraft und die Herrlichkeit, die in einem Fürstenoder Grafensohn vielleicht einmal die Wonne und der Stolz des Vaterlandes geworden wäre, nun von Jugend auf zerknickt und gelähmt ward, und daß häufig elende Kümmerlinge und Halblinge wurden, welche ihrem Wesen ... nach weder den Franzosen noch den Deutschen, ja oft gar keinem Volke angehörten. Ernst Müsebeck: „Ernst Moritz Arndt“, Gotha 1914, Kapitel 5, Seite 165
Es gibt in jeder Ausgabe des moritz den „Arndt des Monats“, in dem das jeweils angeführte Zitat Ernst Moritz Arndts einen kurzen, aber erschreckenden Einblick in die Gedankenwelt dieses Mannes geben soll.
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editorial
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INHALT
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Rektor im Interview
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Geringe Demo-Beteiligung
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Feiern in Greifswald
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Forschung auf Hiddensee
Hochschulpolitik Der Chef vom Ganzen im Gespräch: Professor Rainer Westermann Castortransport egal? General Studies II kommen nicht aus der Kritk Präsident des Deutschen Studentenwerkes fordert BAföG-Erhöhung Die Magister-Studenten sterben in Greifswald langsam aus
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Universum Feiern in Greifswalder Studentenclubs Feiern in Lettland Universitär wird auch auf Hiddensee geforscht Singen in Südafrika: Der Greifswalder Uni-Chor Viele liegen schon im Bett, aber manche lernen noch bis 24 Uhr in der UB Ein Unternehmensberater über die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands Was hat die Science-Fiction-Serie Star Trek mit Wissenschaft? Wie informiert die Europäische Union in Stralsund? Der Wohnraum wächst nicht wie die Anzahl an Studenten Endlich anpacken: Das Auslandsstudium
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Feuilleton Vielfältiger PolenmARkT zum zehnten Mal Mit viereckige Augen wieder zurück von den Hofer Filmtagen
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INHALT
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Hofer Filmtage
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Dichter nachts in Greifswald
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The Saddest Music in the World
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m. trifft... Picko
Feuilleton Bewegt: Tanztendenzen Belauscht: Lyriknacht in Greifswald Buch: Richard Dübell, Walter van Rossum, Klaus Beck DVD: The Saddest Music in the World Vitus, Good Cop Bad Cop, Bobby Kino: Der Sternwanderer, Von Löwen und Lämmern Die Vorahnung, Auf der anderen Seite Theater: Der Liebestrank, Misery, Big Deal CD: Serj Tankian, John Vanderslice, The Checks Seether, Die Ärzte, Donnacha Costello
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Schluss m. trifft... Picko Für Gewinner: Kakuro Der Tapir an der Ostfront
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Was in keine andere Rubrik passt Editorial, Impressum Kurznachrichten, AStA
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inhalt
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AStA
Allgemeiner Studierendenausschuss Domstraße 12 Telefon: 03834/861750 oder 561751 Fax: 03834/861752 E-Mail: asta@uni-greifswald.de Internet: asta-greifswald.de Vorsitzender: Thomas Schattschneider vorsitz@asta-greifswald.de Co-Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit: Lisa Steckel presse@asta-greifswald.de Co-Referent für Internet und Technik: Eric Bernstein internet@asta-greifswald.de Referent für Hochschulpolitik: Konstantin Keune hopo@asta-greifswald.de Co-Referent für hochschulpolitische Bildung Alexander Köcher bildung@asta-greifswald.de Referent für Fachschaften und Gremien: Dirk Stockfisch fachschaften@asta-greifswald.de Referent für Finanzen: Martin Rebling finanzen@asta-greifswald.de Co-Referentin für Finanzen und Nachhaltigkeit: Michaela Bade beschaffung@asta-greifswald.de Referent für Soziales und Wohnen: Zoran Vasic soziales@asta-greifswald.de Co-Referent für BAföG und Studienfinanzierung: Anissa Pauli bafoeg@asta-greifswald.de Referentin für Studium und Lehre: Kristina Kühn studium@asta-greifswald.de Co-Referentin für Studierendenaustausch und Internationalisierung: Monika Peiz austausch@asta-greifswald.de Co-Referent für Evaluation & Hochschulentwicklung: Christian Müller evaluation@asta-greifswald.de Referent für Kultur, Sport und Erstsemesterwoche: Christian Bäz erstsemester@asta-greifswald.de Autonomer Referent für Queer- und Genderangelegenheiten: David Puchert queer@asta-greifswald.de Autonome Referentin für Studierende mit Behinderungen und chronischen Krankheiten: Catharina Frehoff behinderte@asta-greifswald.de Autonome Referentin für Ausländerfragen: Sabryna Junker auslaenderreferat@asta-greifswald.de
StuPa
Studierendenparlament der ErnstMoritz-Arndt Universität Greifswald Präsident: Frederic Beeskow Stellvertreter: Philipp Kohlbecher, n.n. E-Mail: stupa@uni-greifswald.de Internet: stupa.uni-greifswald.de
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KURZNACHRICHTEN Denkmal erst im Frühjahr komplett
Fortführung der Exellenzinitiative
Die Rückkehr der vierten Sitzfigur (Med.Prof. F. A. Berndt) am Universitätsdenkmal auf dem Rubenowplatz verzögert sich bis spätestens zum Frühjahr 2008. Erst dann wird das Denkmal wieder komplett sein. Der ursprüngliche Zeitplan sah für die im Jahr 2005 begonnene Denkmalsanierung eine Fertigstellung bereits im Frühjahr 2007 vor. Nach Informationen des Universitätskanzlers Dr. Thomas Behrens verzögere sich die Erforschung der Zinkgussfigur am Fraunhofer Institut für Silicatforschung in Bronnbach und der FH Postdam. Ursache seien die längere Krankheit eines leitenden Forschers und das plötzliche Auftreten einer weißlichen Eintrübung der Konservierungsschicht an dem bereits in Stand gesetzten Denkmal in Greifswald. Die Schäden bildeten sich vermutlich durch die Einwirkung von Sonnenlicht. Diese Schäden sollen ebenfalls in dem laufenden Forschungsprozess berücksichtigt werden. Für die Untersuchung der Figur wird eine Nettospende von ca. 40.000 Euro durch die Deutsche Bundesstiftung für Umwelt eingeworben. Die Denkmalrestaurierung kostete die Uni 205.900 Euro. Bisher wurden 33.200 Euro Spenden für das Denkmal eingworben.
Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) hat angekündigt, sich weiter für die Exzellenzförderung einzusetzen. Sie wünsche sich, dass bis zum Sommer 2009 ein neuer Vertrag zwischen Bund und Ländern über eine Verstetigung der Exzellenzinitiative entstehe. Insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung ostdeutscher Universitäten sei dies von Bedeutung, da die Situation in den neuen Ländern „noch zu wünschen übrig lässt“. Man sei sich einig, dass hier „andere Ansätze“ nötig seien, um „denen, die kurz vor dem Einstieg in exzellente Entwicklungen stehen“ noch mehr Möglichkeiten zu geben. Ihr Ministerium bemühe sich bereits um entsprechende Innovationsstrategien. Schavan betonte das hohe Ansehen, das die Exzellenzinitiative im Ausland genieße. „Es gibt eine Neugierde auf das, was damit für das Wissenschaftssystem möglich ist und deshalb wird die Exzellenzinitiative auch zu einer Vielzahl neuer und interessanter internationaler Kooperationen führen.“ Gleichzeitig verbesserten sich auch die Möglichkeiten mit deutschen Hochschulstandorten internationale Spitzenwissenschaftler anzuziehen.
Vollversammlung
Universitätspreis
Am 28. November findet in der kleinen Mensa um 20 Uhr eine eine Vollversammlung statt. Themenschwerpunkte sind die Höhe der Mieten, Familienfreundliche Uni, Gremienwahlen als auch allgemeine Studienbedingungen in Greifswald. Eine Vollversammlung findet einmal pro Semester statt.
Edeka-Markt geschlossen Am Mittwoch den 24. Oktober schloss das ehemalige Spar- dann Edeka-Lebensmittelgeschäft in der Dompassage. Inhaber Perten Kopitzky sagte gegenüber moritz, dass der Mietvertrag mit dem Center ausgelaufen sei. Der Einzelhändler eröffnet fortan mit seinen Waren einen Laden in der Rigaer Straße im Greifswalder Ostseeviertel. Mit der Schließung verliert die Altstadt ihren einzigen Supermarkt. Der Laden wurde von Studenten und Universitätsmitarbeitern aufgrund seiner Nähe zu den Instituten am alten Campus viel genutzt.
Die Arbeitseinheit „Internationale Politikanalyse“ der Friedrich-EbertStiftung hat auf ihrer Website die neueste Ausgabe der Zeitschrift Internationale Politik und Gesellschaft veröffentlicht. Weiterhin können auf der Internetseite weitere Themen wie die Gemeinsame Außenund Sicherheitspolitik, das Europäische Wirtschafts- und Sozialmodell und die Europäische Nachbarschaftspolitik von über 30 Studien gelesen werden. Zeitschrift Internationale Politik und Gesellschaft und weitere Studien: fes.de/
Neue AStA-Referentin Am 6. November wurde Anissa Pauli vom Studierendenparlament zur neuen Co-Referentin für BAföG und Studienfinanzierung des AStA gewählt. Sie trat gegen zwei nicht erschienende Bewerber an und wurde mit einer Stimmenmehrheit gewählt.
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KURZNACHRICHTEN/LESERBRIEF Universitätspreis
Campus Europae
Neuer Wahlleiter
Ein Universitätspreis 2007 in Höhe von 300 Euro vergibt das Rektorat und die Gleichstellungskommission der Universität Greifswald für eine wissenschaftliche Arbeit, die die Geschlechterperspektiven in besonderer Weise berücksichtigt. Eingereicht werden können alle aktuellen wissenschaftlichen Abschlussarbeiten sowie Promotionsarbeiten aus allen Fakultäten der Ernst-Moritz-Arndt-Universität bis zum 31. Dezember 2007 im Büro der Gleichstellungsbeauftragten Dr. Cornelia Krüger in der Friedrich-Loeffler-Straße 70. Nähere Information: 03834/863491; gleichstellungsbeauftrag te@uni-greifswald.de
Das StuPa (Studierendenparlament) hat Ende Oktober den Jura-Studenten Bernd Justin Jütte zum zum Student Representative von Campus Europae gewählt. Das multilaterale Austauschprogramm ist offen für alle Bachelor- und Master-Studierenden bestehend aus einem Netzwerk von 18 Universitäten in ganz Europa. Campus-Europae-Studierende sollen je ein volles jahr während ihres Bachelorund Master-Studiums an einer der netzwerkuniversitäten im Ausland studieren können. Im Idealfall haben die Studierenden während eines insgesamt fünfjährigen BA-/MA-Studiums zwei Jahre im Ausland verbracht und zwei Fremdsprachen erlernt bzw. vertieft.
Die Wahl des Studierendenparlaments im Mai 2008 wird vom neu gewählten Wahlleiter Dominik Dahl durchgeführt. Dort werden die 27 stimmberechtigten Mitglieder von der gesamten Studierendenschaft gewählt. Das Studierendenparlament wird für den Zeitraum von einem Jahr gewählt. Mitglied des Studierendenparlaments wird der Kandidat mit der höchsten Stimmzahl. Der Wahlleiter Dominik Dahl gehört zusammen mit dem Wahlausschuss und dem Wahlprüfungsausschuss zu den Wahlorganen und ist zusammen mit diesen auch nicht in das neue Studierendenparlament wählbar. Die StuPa-Wahl wird vom 14. bis zum 18. Januar statt finden.
Stellensuche Leserbrief zum Arndt des Monats und ÖPNV-Thematik in der moritz-Ausgabe 65 In meiner Jugend, einer noch relativ reizarmen Zeit, war es ein bei Leseratten verbreitetes Vergnügen, erfolgversprechende Bücher nach gewissen „Stellen“ abzusuchen. Später im Studium stellte sich dann heraus, daß die derart trainierten Fertigkeiten auch hier nutzbringend angewandt werden konnten. Wie das? Nun, vom physiologischkognitiven Standpunkt ist es egal, ob man einen Text nach der Stelle – sagen wir – Büstenhalter oder nach z.B. Fourier-Transformation abscannt. Allerdings war ich doch überrascht, daß die in früher Jugend erworbene Fähigkeit bei mir auch noch jetzt im fortgeschrittenen Alter bei der moritzLektüre funktionierte. Beim Querlesen des Kästchentextes in Deinem Artikel Schwarzfahren in Greifswald blieb mein Blick an der Aussage haften, daß „... rund 1000 Fahrgäste ... die acht Busen auf zwei Linien nutzten...“. (Die Reizwörter waren weder Fahrgäste noch Linien). Meine anfängliche Verblüffung und dann die Erheiterung legten sich allerdings rasch, als ich bei weiterer Lektüre feststellte, daß
der Verfasser durchaus den Plural von Bus kannte und es sich hier wohl um einen Setzfehler handeln mußte. (Zum Sachlichen: Ein Semesterticket ist bereits für 100 Euro erhältlich. Stand September 07). Stellensuche in der oben geschilderten Art ist heutzutage wenig anregend, ja oft öde. Man denke etwa an Michel Houellebecq, bei dem es vor lauter Stellen kaum noch Zwischentext gibt. Nein, heutzutage müssen die Trainingsobjekte anderer Art sein. Dies hat der Kompilator Deines Arndt des Monats im Prinzip richtig erkannt; so sucht der nun halt die Schriften Ernst Moritz Arndts auf Stellen ab, und zwar solche, die „...einen erschreckenden Einblick in die Gedankenwelt dieses Mannes geben soll(en)“. Diese mit bewundernswerter Ausdauer betriebene Übung hat zudem noch eine therapeutische Wirkung. Sie erleichtert denjenigen Kommilitonen ihr Los, die sich mit ihrem universitären Namenspatron schwertun. Lieber moritz, ich bin sicher, Deine Idee wird alsbald Nachahmer an anderen Hochschu-
len finden – etwa an denen in Frankfurt/M., Jena und Düsseldorf, die ja auch anstößige Namenspatrone im Briefkopf führen: Goethe, diesen Sexisten, Macho und VerbalVergewaltiger („Heideröslein“); Schiller, den geistigen Ziehvater von Eva Herman („Der Mann muß hinaus ins feindliche Leben ... und drinnen waltet die züchtige Hausfrau, die Mutter der Kinder“); Heine, der mit dem positiven Patriotismus unseres Herrn Bundespräsidenten überhaupt nichts am Hut hatte („Denk’ ich an Deutschland in der Nacht ...“). Bei ihm müßte man sozusagen eine Fehlstellen-Suche betreiben. Zwei Fragen, lieber moritz, drängen sich zum Schluß auf: Hätte Dein Redakteur seinen Arndt nicht doch eher reflektierend lesen sollen, anstatt ihn bloß durchzuschnüffeln? Könnte es nicht auch sein, daß eine derartige postume, scheibchenweise Hinrichtung – gelinde ausgedrückt – bedenklich ist? Dein treuer Leser Günter Stein ANZEIGE
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editorial
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REKTORINTERVIEW
hochschulpolitik
„Ein bißchen Hin und Her“
Studienbedingungen, Masterprogramme und Forschung „Wir legen nicht willkürlich Zulassungsbeschränkungen fest, sondern nur, wenn die Nachfrage entsprechend ist“
moritz:In diesem Wintersemester verzeichnet die Hochschule erstmals über 11.000 Studenten. Wann hat diese hohe Studentenzahl ein Ende? Professor Rainer Westermann: Das ist eine interessante Frage. Bis vor wenigen Jahren wurde ich das Gegenteil gefragt. Da haben sich alle Leute gefreut, dass mehr junge Leute zum Studieren nach Greifswald kommen, denn das tut der Stadt gut. Ich hab immer davor gewarnt und gesagt: Vorsicht, wir können nicht beliebig viele Studierende aufnehmen, weil wir nur begrenzte Kapazitäten haben und jetzt am Rand angelangt sind. In diesem Jahr haben wir nur deshalb so viele Studierende angenommen, weil wir zusätzliches Geld aus den Mitteln des Hochschulpaktes bekommen haben. Außerdem sind wir die politische Verpflichtung eingegangen, diese zusätzliche Studienplätze zu schaffen oder genauer gesagt, die Zahl von vor ein paar Jahren zu halten. moritz:In bestimmten Fächern ist der Auslastungsgrad bei weitem überschritten. Macht es Sinn, Mittel aus dem Hochschulpakt zu bekommen und auf der anderen Seite das Betreuungsverhältnis zu verschlechtern und irgendwann auch mit dem größten Hörsaal nicht mehr auszukommen? Westermann: Wir haben Anfang des Jahres die Vor- und Nachteile genau abgewogen. Eine Zeit lang plädierte ich dafür, sich nicht am Hochschulpakt zu beteiligen um genau diese Probleme zu vermei-
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den. Letzten Endes haben wir es getan. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir es schaffen werden. Durch die Mittel konnten wir zusätzliche Personen einstellen und die Stundenzahl insbesondere für wissenschaftliche Mitarbeiter erhöhen. Dadurch wollen wir gerade vermeiden, dass sich das Betreuungsverhältnis verschlechtert; und wir können noch ein paar mehr jungen Menschen die Gelegenheit geben, hier zu studieren. Auch wenn wir ein bisschen in einem Versuchsstadium sind. In Rücksprache mit den Dekanen der verschiedenen Fakultäten sind bisher keine gravierenden Probleme aufgetreten. Von daher scheinen wir alles ganz gut im Griff zu haben. moritz:Viele Probleme mögen im ersten Semester noch nicht so gravierend sein, da die Lehrveranstaltungen hauptsächlich mit Vorlesungen abgedeckt werden. Können die neuen Stellen dem Bedarf an zukünftigen Übungen und Seminaren gerecht werden? Westermann: Ja. Es gibt ganz akribische Berechnungen. Im Institut für Politikwissenschaft wurde beispielsweise genau geplant, was das Institut in den nächsten drei bis vier Jahren an zusätzlichen Seminaren und Kapazitäten für Abschlussarbeiten und Prüfungen braucht. Die errechnete Stellenzahl haben wir bewilligt. Und ich gehe davon aus, dass die Berechnungen richtig sind und wir damit hinkommen. Wenn das nicht der Fall sein sollte, müssen wir noch einmal nachlegen.
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REKTORINTERVIEW
hochschulpolitik
moritz:Ich nehme an, Sie müssen nachlegen, denn es wird in den nächsten Jahren nicht besser werden. 2008 machen zwei Jahrgänge in M-V Abitur und Greifswald ist als Insel ohne Studiengebühren auch für Studienwillige aus anderen Bundesländern weiterhin interessant. Gibt es zukünftig noch mehr Finanzspritzen? Westermann: Wir haben das Geld bei weitem noch nicht verplant, geschweige denn ausgegeben. Sie haben Recht, die entscheidenden Probleme treten nicht im ersten Semester auf. Für die folgenden Jahre gibt es eine strategische Reserve. Wir müssen allerdings rechtzeitig überlegen, wie wir weiterhin mit den Zulassungszahlen umgehen. Es ist keineswegs sicher, dass wir im nächsten Jahr wieder die Politikwissenschaft öffnen. Aber für diese Entscheidung bleibt noch Zeit bis zum Frühjahr nächsten Jahres. moritz:Was ist das eigentlich für eine NC-Politik? Bis zum großen Ansturm aus Berlin aufgrund eines Einschreibestopps an dortigen Universitäten war ein politikwissenschaftliches Studium frei zugänglich, dann die Einführung eines NC und jetzt wurde dieser aufgrund des Hochschulpaktes wieder aufgeweicht. Erst der Ansturm und dann Ebbe? Westermann: Das ist schon ein bisschen Hin- und Her, da haben Sie Recht. Aber das sind Dinge, die wir in Absprache und Einvernehmen mit dem Institut regeln. moritz:Gilt das auch für die anderen Fächer? Westermann: Die Entscheidung, ob ein NC notwendig und rechtlich möglich ist, erfolgt nach einer formellen Prüfung. Das gilt für alle Studiengänge. Wir legen nicht willkürlich Zulassungsbeschränkungen fest, sondern nur, wenn die Nachfrage entsprechend hoch ist.
ökologie und die Ostseeraumforschung, und in der zweiten Runde gab es einen Beitrag aus der Mikrobiologie. moritz: Was ist dabei herausgekommen? Westermann: Die erste Hürde haben wir nicht überwinden können. Die Rückmeldungen waren eindeutig: Ihr habt einige wirklich ganz hervorragende Leute. Aber ihr habt nicht genug hervorragende Leute. Das ist ein grundsätzliches Problem für eine kleine Universität. Wollen wir uns weiterhin beteiligen, müssen wir unsere Ressourcen stärker auf die Gebiete konzentrieren, in denen wir wirklich Chancen haben. So bekommen wir irgendwann genug kritische Masse, um uns an der Exzellenzinitiative beteiligen zu können. Momentan reicht es noch nicht, aber es kann durchaus sein, das wir in fünf oder zehn Jahren soweit sind. moritz:Sie haben das Schlagwort kritische Masse angesprochen. Wir haben an der Universität vier Schwerpunktbereiche: Lebenswissenschaften, Physik- und Geowissenschaften, kulturelle Interaktion mit Schwerpunkt Nord- und Osteuropa sowie Staat und Wirtschaft. Ist es möglich in diesen vier Bereichen eine kritische Masse hinzubekommen? Westermann: Das funktioniert sicherlich nicht in allen Bereichen. Wir haben in den letzten Jahren vier Sonderforschungsbereiche bewilligt bekommen, an denen wir beteiligt sind. Das ist ein ziemlicher Erfolg, denn dafür muss man richtig gut sein. Die Physiker haben zwei davon. Hier hat man sich spezialisiert und die Leute arbeiten sehr gut in der Forschung.
moritz:Es gibt bestimmte Kriterien nach denen man das messen kann: Stichwort Exzellenzinitiative. Kann man zukünftig erwarten, dass Greifswald zu den Tophochschulen in Deutschland gehört? Westermann: Das möchten wir gerne. Wir haben uns mit einigen Anträgen beworben.
moritz:Vor der Forschung braucht man etwas – nämlich eine Promotion. An der Philosophischen Fakultät sind fast alle Studiengänge auf den Bachelorabschluss ausgerichtet und danach besteht die Möglichkeit, einen Master zu machen, und erst damit erlangt man die Chance zu promovieren. Vergleicht man aber die Zahl der Studierenden, ist festzustellen, dass der Master noch nicht sehr angenommen wird. Wird die Universität Greifswald in diesem Bereich nur einen akademischen Kindergarten ausbilden? Westermann: Diesen Prozess beobachten wir mit Aufmerksamkeit und Sorge. Die Anzahl der Masterstudierenden ist katastrophal niedrig. Allerdings scheint dies generell ein Problem an Universitäten zu sein. Die Ursachen kennen wir noch nicht. Zum einen versuchen viele Bachelorstudierende, nach ihrem Abschluss in die berufliche Praxis zu wechseln, um erst später den Master als Aufbaustudium zu absolvieren. So kommen die Masterstudierenden vielleicht erst in ein paar Jahren an die Universität. Dieses Problem dürfte ein spezielles Problem der Geisteswissenschaften sein. Es ist von vornherein klar, dass ein Physiker einen Master braucht, um in seinem Beruf tätig sein zu können. In den Geisteswissenschaften sind mögliche Tätigkeiten nicht so spezifisiert, und es ist viel leichter, als Bachelor in Parteien und Verbände einzusteigen. Hinzu kommt die beträchtliche Abbrecherquote in den Geisteswissenschaften. Das heißt, die Absolventenzahl war nie sonderlich hoch. Zum anderen gab es schon immer Stimmen, die der Meinung waren, Greifswald sei von seiner Struktur her prädestiniert für eine Bacheloruniversität. Das ist meiner Überzeugung nach aber keine richtige Universität. Die zur Wissenschaft fähigen Studierenden würden fehlen. Auf die Dauer wäre das für die betreffenden Fächer sehr schlecht. Jetzt müssen wir erst einmal abwarten.
moritz: Können Sie ein paar Beispiele nennen? Westermann: In der ersten Runde beteiligte sich die Landschafts-
moritz:Sind Abbrecherquoten nicht auch ein Zeichen dafür, dass die Qualität der Lehre nicht stimmt?
moritz:Durch das Bachelor-Studium sind in jedem Semester unzählige Prüfungen durchzuführen. Wie viele Studenten kann man einem Dozenten zumuten? Westermann: Manche sind schon bei zehn Studenten überlastet, andere Dozenten erst bei 300. Ich selbst führe neben meinem Amt als Rektor jedes Jahr etwa 100 Prüfungstermine durch. Ich kenne die Belastung. Aber wir haben den Studierenden gegenüber eine Verpflichtung, also müssen wir diese Überlast tragen. Es macht keinen Sinn, die Hochschulen systematisch zuzumachen und damit den jungen Menschen ihre Lebenschancen zu verbauen. Wir müssen bis an den Rand unserer Belastbarkeit die Lehre sicherstellen. moritz:Möchte die Universität Greifswald eine exzellente Universität oder eine Massenuniversität sein? Westermann: Greifswald ist eine exzellente Universität. moritz:Warum? Westermann: Weil wir in vielen Fächern ganz hervorragende Forschung und Lehre machen und ganz hervorragend bedeutet exzellent!
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hochschulpolitik
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REKTORINTERVIEW
hochschulpolitik
Westermann: Ein schlechtes Lehrangebot kann ein Grund für einen Studienabbruch sein. Verschiedenen Befragungen zufolge hängt ein Abbruch oft mit persönlichen Interessen zusammen, oder die Erwartungen an das Fach werden nicht erfüllt. Statistisch gesehen zählen übrigens auch Fachwechsler zu den Abbrechern. Das kann hier nicht getrennt werden.
„Anzahl an Masterstudenten ist katastrophal niedrig“
moritz:Die Universität Rostock hat sich eine Frist gesetzt: Sie will bis zum Jahr 2019 exzellent sein. Gibt es eine Konkurrenz zwischen den Hochschulstandorten? Westermann: Es gibt immer einen gewissen Wettbewerb. Die Verhältnisse zwischen Rostock und Greifswald ähneln eher denen zweier Geschwistern, die vom gleichen Budget der Eltern abhängen: also freundschaftliche Konkurrenz und viel gute Zusammenarbeit. moritz:Zurück zum Master. Gibt es so wenig Studenten, weil deren Bachelorabschlüsse zu schlecht sind? Westermann: Nein, der universitäre Notendurchschnitt ist meist besser als 2,5. moritz:Inwieweit können Noten überhaupt als Vergleichmaßstab herangezogen werden und differenzieren zwischen unterschiedlichen Leistungen, wenn beispielsweise Psychologiestudenten der Uni Marburg im Jahr 2005 ihren Abschluss im Durchschnitt mit 1,28 machten? Westermann: Bei mir in der Psychologie schaffen Sie nicht ohne weiteres eine Eins. Ich differenziere da sehr stark. moritz:Es ist vorteilhaft für die Hochschule, wenn viele Absolventen sehr gute Abschlüsse haben. Andererseits bringen diese später auf dem Arbeitsmarkt vielleicht nicht die erforderlichen Leistungen. Sind sie Vertreter einer strengen Bewertung? Westermann: Ich kann als Rektor nicht vorschreiben, wie Noten zu vergeben sind. Das muss jeder Prüfer mit sich selbst abmachen. Aber ich persönlich halte Differenzierung bei Noten für extrem wichtig. Damit sage ich dem Arbeitgeber – der Student ist nur Vierer-Kandidat, ein anderer ein sehr guter. Wer bei mir eine Eins bekommt, ist wirklich gut und das können mir auch alle glauben. moritz:Kommen wir von den guten Studenten zu den guten Dozenten, die die Hochschule verlassen, siehe Philosophische Fakultät oder Medizinische Fakultät. Warum versucht man nicht, diese sehr guten Leute hier zu behalten?
Westermann: Die Frage wundert mich etwas, denn genau das tun wir doch. Wir haben in den letzten Jahren sehr viele sehr gute Leute hier behalten, die sehr attraktive Angebote von außen bekommen haben; aber das gelingt nicht immer. Ich halte dies für eine wichtige strategische Maßnahme, um die Qualität von Lehre und Forschung hochzuhalten. Das war früher übrigens nicht so. Wer aus Greifswald wegberufen wurde, der ging halt. Ich halte das für eine völlig falsche Politik und ich kann eine ganze Reihe von guten Leuten aufzählen, die hier geblieben sind. moritz:Ist Greifswald nur eine Zwischenstation in der Wissenschaftskarriere oder gibt es Leute die hier alt werden? Westermann: Mich zum Beispiel. (lacht) moritz:Sie sind in der Verwaltung. Muss man Greifswald verlassen, wenn man als Wissenschaftler noch etwas werden möchte? Westermann: Nein. Wir versuchen die Spitzenleute hier zu behalten. Das ist nicht einfach, weil wir dafür viel Geld ausgeben müssen. moritz:Das liegt doch nicht am Gehalt der Professoren? Westermann: Doch, bei Bleibeverhandlungen müssen wir immer auch einen Gehaltszuschuss anbieten. Und wir müssen Geld für die Institute ausgeben, damit diese gut arbeiten können. moritz:Gibt es denn so große Spannen zwischen den Gehältern? Westermann: Selbstverständlich. Wir sind in einer scharfen Ge-
Wenn die Masse kritisch wird - Ein Kommentar Die 551 Jahre alte Greifswalder Universität hat ihre kritische Masse erreicht. Der Ansturm auf Studienplätze nimmt kein Ende und wird auch in naher Zukunft in den zulassungsfreien Fächern nicht geringer. Darüber darf sich der Unihaushalt freuen, denn jeder Student bringt Geld. Auch wenn diese Mittel für neue Stellen verwendet werden und somit auf ein annehmbares Betreuungsverhältnis zielen: ein seltsamer Nebengeschmack bleibt. Die Rekordzahl an Erstsemestern ist der Philosophischen Fakultät zuzusprechen.
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Ein, zwei Lehrbücher mehr gekauft und mit den Lehrveranstaltungen in größere Räume umziehen, schon scheint den Studenten geholfen. Wenn frisches Geld lockt, ist der Numerus clausus schnell aufgegeben. Warum dürfen nicht alle Willigen auch Humanmedizin studieren? Auch da wäre der Bedarf vorhanden, an eine gute Arztausbildung aber überhaupt nicht mehr zu denken. Für die geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächer werden dagegen schlechtere Betreuungsverhältnisse hingenommen. Ob die Uni hiermit nicht Stu-
dienabbrecher produziert, bevor diese ihr Fach überhaupt richtig kennenlernen? Außerdem kann exzellente Forschung nur möglich sein, wenn die Lehrenden überhaupt Zeit finden, um eigenen und universitären Ruhm zu vergrößern. Denn eine kritische Masse an Forschern liefert auch erst dann sehr gute wissenschaftliche Ergebnisse, wenn Studenten und ihre wissenschaftliche Anleitung keine unzumutbare Last darstellen, sondern die aktuellen Forschungsprojekte unterstützen. Davon profitieren am Ende wirklich alle. bb
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REKTORINTERVIEW
hochschulpolitik
haltskonkurrenz mit auswärtigen Universitäten. Um mithalten zu können, brauchen wir Geld, welches wir nicht zusätzlich bekommen, sondern irgendwo anders einsparen müssen. Dann müssen wir abwägen ob wir das Geld ausgeben, um den Kollegen hier zu behalten. Das ist ein schwieriges Geschäft. moritz:Hätten Sie dem Senat den Verzicht von Dr. Radomski auch vorgelesen, wenn der Senat den Antrag verneint hätte? Westermann: Der Brief von Herrn Radomski war ziemlich eindeutig. Wenn der Senat einen Beschluss fasst, der die Aufschiebung dieser Verleihung beinhaltet, dann möchte er nicht mehr, dass die Universität ihm diese Ehre verleiht. Wenn der Senat also einen gegenteiligen Beschluss gefasst hätte, wäre dieser Brief nicht aktuell gewesen, da die Prämisse nicht eingetreten wäre. Herr Radomski hat eine ganz eindeutige Bedingung für diesen Verzicht genannt und nur dann hätte ich diesen Brief vorlesen dürfen. Das ist auch eingetreten. moritz:Inwieweit sind Ehrenpromotionen überhaupt Angelegenheiten von Fakultäten oder Senat? Westermann: Dazu gibt es eine eindeutige gesetzliche Regelung. Die Fakultäten promovieren und vergeben so auch für die Universität als Ganzes ihre Promotionen. Bei Ehrenpromotionen können Fakultäten diese nur mit Zustimmung des Senats vergeben. moritz:Das bedeutet also, wenn der Senat eine solche Ehrenpromotion wie im Fall Radomski aufschiebt, kann die Fakultät nichts dagegen tun. Sie könnte maximal noch einen Antrag stellen, dass der Punkt noch einmal auf die Tagesordnung kommt. Westermann: Da müssen Unterschiede gemacht werden. Wenn die Fakultät in ihrem Fakultätsrat beschließt, eine Ehrenpromotion an Herrn Meier aus Neustadt zu vergeben und dann den Antrag stellt, muss der Senat zustimmen, bevor die Fakultät verleihen kann. Lehnt der Senat allerdings ab, darf die Fakultät nicht verleihen. Im dem Fall zu Herrn Radomski hatte der Senat bereits zugestimmt. Damit war die Fakultät berechtigt, diese Ehrenpromotion zu verleihen. Lange Zeit später hat der Senat dann einen Beschluss gefasst, die Verleihung der Ehrenpromotion auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Jetzt haben wir auch von der Rechtsaufsicht bescheinigt bekommen, dass dieser Beschluss nicht rechtmäßig war. Der Senat hätte diesen Beschluss also nicht fassen dürfen. moritz:Warum ist das nicht rechtens? Westermann: Unter bestimmten Bedingungen hätte er dieses Einverständnis zurückziehen können, beispielsweise durch neue Erkenntnisse. Das ist nicht geschehen. Dem Senat passte es nicht, dass die Promotion jetzt verliehen wird und er wollte sich irgendwann später noch einmal damit beschäftigen. Dabei nannte er keine Bedingungen. Sowohl die Fakultät, der Ehrenpromovent, als auch der Rektor als Repräsentant der Universität wussten nicht, wann diese Ehrenpromotion vergeben wird und ob sie überhaupt vergeben wird. Das ist rechtlich nicht zulässig. moritz:Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Die Sache wurde schon einmal verschoben. Wäre es da nicht möglich gewesen, noch etwas zu warten? Westermann: Das wäre möglich gewesen. Aber sie müssen zwischen einer rein technischen Verschiebung eines Verleihungstermins und einem Beschluss eines universitären Gremiums, mit dem
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hochschulpolitik
„Mich zum Beispiel“
deutlich Zweifel artikuliert werden, unterscheiden. Das dann der zu Ehrende keine richtige Lust mehr hat, diese Ehrung anzunehmen, zumal er gar nicht weiß, wann der Senat wieder geruht, darüber zu debattieren, halte ich für verständlich. moritz:Was passiert nun? Gibt es noch einen Ehrendoktor? Westermann: Er hat darauf verzichtet. moritz:Wozu dient dann das Rechtsgutachten? Das solche Dinge zukünftig anders gehandhabt werden? Westermann: So soll es sein. Dieses Gutachten ist von der medizinischen Fakultät erbeten und von der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät unterstützt worden. Das Gutachten sollte deutlich machen, was die Fakultät und was der Senat darf. Diese Unklarheit ist jetzt beseitigt. moritz:Gibt es eine Kampagne gegen Professor Matschke? Westermann: Das ist mir nicht bekannt. Das Gespräch führten Maria Trixa und Björn Buß.
Die Causa „Ehrenpromotion Radomsky“ Der Fall Dr. Jürgen Radomsky beschäftigt den Senat der Greifswalder Hochschule schon fast das ganze Jahr hindurch. Die Medizinische Fakultät wollte an das Vorstandsmitglied der Siemens AG eine Ehrendoktorwürde verleihen. Doch dann kam eine Schmiergeldaffäre im Unternehmen ans Tageslicht. Radomsky ist selbst nicht tatverdächtig, doch vor der Senatssitzungs im August informierte der Vorsitzende Professor Jürgen Matschke die Mitglieder des Hochschulgremiums über seine Bedenken zur Durchführung des Promotionsverfahrens. Der Senat behandelte dann auch im nichtöffentlichen Teil der August-Sitzung die Causa Radomsky und entschied sich für die Aussetzung, nicht aber die Aufhebung des Verfahrens. Rektor Rainer Westermann verlas daraufhin einen Brief, in dem Radomsky auf dies Ehrung verzichtet. Nachdem in den folgenden Tagen Zeitungsberichte über den Sachverhalt berichteten, ging es an der Greifswalder Hochschule heiß her. Dem Senatsvorsitzenden wurde intern vorgeworfen, einen falschen E-Mail-Verteiler benutzt zu haben, der eine Weitergabe von vertraulicher Interna begünstigte. Die betroffene Medizinische Fakultät fühlte sich in ihrem Recht, Ehrenpromotionen auszuloben, vom Senat übergangen und bestellte ein Rechtsgutachten zur Klärung. Ein Abschluss der Sache steht noch aus. Der Senat wird beraten. bb
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ENTSORGUNGSWIRTSCHAFT hochschulpolitik
Atomklo Ost
Über den Castortransport nach Lubmin Am Dienstag, dem 30. Oktober, wurde der größte Castortransport der deutschen Geschichte seinem vorläufigen Zwischenlager bei Lubmin zugeführt. Das Zwischenlager Nord (ZLN), in dem der Castor nun nicht ruht, aber still liegt, befindet sich direkt neben dem Gelände des ehemaligen Atomkraftwerkes (AKW) Lubmin. Hier darf der Reaktor, der aus dem AKW Rheinsberg (Brandenburg) kam und 110 Tonnen wiegt, nun 40 Jahre lang zwischengelagert werden. Widerstand regte sich vergleichsweise wenig. Die Energiewerke Nord (EWN) betreiben das ZLN und sind mit dem Abriss des AKW Lubmin beauftragt. Im Zwischenlager lagerten vorher schon 65 Castoren aus den AKW‘s Lubmin und Rheinsberg, von denen die Kraftwerksführung 1998 noch behauptete, sie würden dort höchstens zwei Jahre zwischengelagert. Beim Bau des Zwischenlagers wurden zudem aufgrund eines „Kalkulationsfehlers“ 120 CastorbeANZEIGE
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hälter gebaut statt der benötigten 65. Nun ist Nummer 66 hinzugekommen und die weiteren Pläne, die für das ZLN bestehen, werden im Gegensatz zur Vergangenheit (siehe moritz 42) recht selbstsicher in der Öffentlichkeit geäußert. Die Sprecherin der EWN, Marlies Philipp, sagte schon Mitte April dieses Jahres, dass ab dem Ende 2008 weitere fünf Castorbehälter mit radioaktivem Material aus der Wiederaufbereitungsanlage Karlsruhe nach Lubmin kommen sollen. Zusätzlich ist die Einlagerung weiterer vier Castoren mit deutschem Atommüll geplant, die momentan noch in Frankreich und in Belgien gelagert werden. Die Gesamtheit dieses Atommülls besteht aus allen möglichen Arten von Strahlungsstärken, von schwach strahlenden Abfällen bis hin zu stark strahlenden Reaktorkernen und Brennelementen. Für Reaktorkerne haben die EWN die Erlaubnis, diese bis zu 40 Jahre lang zwischen zu lagern. Für alles weitere ist die Zwischenlagerung auf unbestimm-
te Zeit möglich. Atomkraftgegner fürchten, hier werde de facto ein erstes Endlager für Atommüll geschaffen. Diese Angst scheint angesichts der Situation in Ostvorpommern nicht unangemessen. Aufgrund der geringen Besiedlungsdichte und der Verbundenheit, die viele Bewohner der Region noch immer zum AKW Lubmin hegen, regt sich sehr wenig Widerstand gegen die Einlagerung von strahlenden Abfällen im ZLN. Am 27.Oktober fand in Greifswald eine Demonstration mit ungefähr 100 Teilnehmern gegen den Transport des Castors statt. Am Tag des Transportes gab es Protestaktionen, Mahnwachen und Blockadeversuche auf und an der Bahnstrecke, erst in Mecklenburg-Vorpommern wurde es ruhiger. Auf dem letzten Streckenabschnitt zwischen Greifswald und Lubmin haben nur noch zwölf Personen versucht, die Schienen zu blockieren. Die Polizei, mit 120 Beamten im Einsatz, nahm alle zwölf Blockierer in vorläufigen Gewahrsam. kos
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SEMESTERSTART hochschulpolitik
Anlaufschwierigkeiten
Zu viele Studenten für zu kleine Hörsäle und neue Studienordnungen Ein stürmischer Semesterbeginn liegt hinter der Universität und ihrer Stadt. Aufrufe zukünftige Studenten der Universität Greifswald zu beherbergen folgen noch ausstehende Arbeiten am Audimax in der Rubenowstraße. In der Erstiewoche zogen sich meterlange Schlangen noch orientierungsloser Neustudenten an den wichtigsten Universitätsgebäuden vorbei und in die schon überfüllten Kneipen hinein. Mit 11870 Immatrikulierten hat die Hochschule im Wintersemester 2007/08 so viele Studenten wie noch nie. Das liegt nicht nur an der Öffnung vieler Studiengänge, wie BWL, Jura oder Politikwissenschaft und Philosophie. Auch als Zufluchtsort vor Studiengebühren zieht es immer mehr junge Leute nach Greifswald. Ein mächtiger Ansturm, vor dem zuerst die Räumlichkeiten der Universität kapitulieren. Veranstaltungen wurden räumlich und als Folge darauf zeitlich verlegt. „Die Fakultät setzt alle verfügbaren Mittel ein, um die Studienbedingungen so gut wie möglich zu gestalten“, versichert Professor Walter Werbeck, Studiendekan der Philosophischen Fakultät. Gravierende Raumprobleme seien bisher nicht bekannt.
Foto: Maria Trixa
Lösungen kommen langsam Eine Ausnahme bildet die für BA-Studenten obligatorische Ringvorlesung zu den Methoden der Wissenschaft im Rahmen der General Studies. Neben den zwei Hauptfächern aus dem Angebot der Philosophischen und der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät ist für Bachelor of Arts das Studium dieses dritten Faches Pflicht. 782 Studenten sind momentan im ersten Fachsemester für die General Studies eingeschrieben. In den Hörsaal Makarenkostraße passen etwa 400 Menschen. „Zur ersten Veranstaltung war die Situation noch normal. In der dritten Sitzung saßen 30 oder 40 Studenten auf dem Boden“, sagt Professor Geo Siegwart, Lehrstuhlinhaber für Philosophie mit dem Schwerpunkt Theoretische Philosophie. Damit sind bei weitem nicht alle erfasst, zumal etliche Durchgefallene vom vorigen Jahr ebenfalls noch einmal teilnehmen. Hier sieht es eng aus mit der Lehre. Dennoch, auch Siegwart freut sich über die 253 Erstsemester an seinem Institut, der Philosophie. „Man darf nicht vergessen, dass wir Auflagen aus dem Hochschulpakt
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Sardinengefühle im Hörsaal Makarenkostraße
befolgen und dafür jede Menge Finanzmittel zugewiesen bekommen“, erinnert er. Damit finanziert das Institut sechs Lehraufträge, die bisher freiwillig erfolgten. Und es bleiben 10 000 Euro übrig, die für Tutoren, studentische und wissenschaftliche Hilfskräfte eingesetzt werden. Was nun mit den 300 die nicht mehr in den Hörsaal passen? „Es gibt den Vorschlag die Veranstaltung auf zwei Termine in der Woche zu teilen“, sagt Kristina Kühn, AStA-Referentin für Studium und Lehre. „Eine andere Idee ist, die Methodenvorlesung im Sommersemester zu wiederholen.“ Wie hier verfahren wird, steht allerdings noch nicht fest. Dazu muss sich Studiendekan Werbeck mit den vier Lehrenden abstimmen. Neue Internetseite und viele Fragen Ganz andere Probleme mit General Studies haben die Studenten, die jetzt im fünften Fachsemester studieren. Dem Teil „Grundlagen der kulturwissenschaftlichen Kommunikation“, der sich über die ersten beiden Semester erstreckt, folgt nun der zweite Studienabschnitt. Hier soll laut Prüfungsordnung eine „berufsfeldorientierte Schwerpunkt- und Profilbildung“ erfolgen. Zur Wahl stehen die Bereiche Wirtschaft und Recht, Kulturwissenschaften und Erziehungswissenschaften. „Die einzelnen Veranstaltungen sind super fachlich und selten interessant für das eigene Studium“, findet Dorothea Dentler. Sie gehört zur ersten Generation, die mit der Bachelorstudienordnung von 2005 studiert. „Alles ist total unorganisiert. Manche wissen immer noch nicht welche Veranstaltungen sie belegen
müssen“, sagt Student Kelvin Autenrieth. Das trifft hauptsächlich auf den kulturwissenschaftlichen Bereich zu. Vor allem die Frage wie viel Sprachkurse eingebracht werden dürfen, wird durch die Studienordnung nicht deutlich. Dabei hat die Fakultät Vorsorge getroffen. Seit Vorlesungsbeginn sind Informationen zum Studiengang auf der Webseite der Philosophischen Fakultät zu finden. Außerdem besetzte das Dekanat mit Kathrin Berger eine wissenschaftliche Mitarbeiterstelle, die eigens für Betreuung und Beratung des Studiengangs geschaffen wurde. Damit wurde eines der dringendsten Probleme, nämlich die mangelnde Kommunikation zwischen Universität und Studenten behoben. Die Verwirrung bleibt. „Bisher hat Frau Berger zu wenige Kompetenzen. Mehrere Aussagen, die von ihr getroffen wurden, stellten sich später durch Nachfrage beim Prüfungsamt als falsch heraus“, sagt Studentin Gesine Liersch. Sie gründete eine Gruppe im studiVZ, um sich mit anderen Studenten auszutauschen. Darin wird deutlich: Die Studienordnung bietet eine Vielfalt unterschiedlicher Auslegungen, die erst durch Anwendung ersichtlich werden. Die Studenten laufen vom Prüfungsamt zum Fremdsprachen- und Medienzentrum bis zum Dekanat und wissen nicht wer das letzte Wort hat. „Kathrin Berger bleibt erste Anlaufstation“, betont Werbeck. Allerdings darf sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin keine endgültigen Entscheidungen treffen. Was die Studienordnungen und die Organisation betrifft, braucht es wohl noch ein wenig Praxis. So wird immerhin der nächste Jahrgang schlauer sein. mt
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„Mit dem Finger in die Wunde“ DSW-Präsident Rolf Dobischat will BAföG erhöhen „Wir müssen die extreme Selektivität unseres Hochschulsystems überwinden.“
moritz: Die Finanzierung des Studiums geschieht bei den meisten Studierenden durch Unterhaltsleistungen der Eltern und durch Jobverdienste. Das BAföG spielt dabei nur noch eine geringe Rolle.
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Wird das anstehende neue Gesetz dies ändern? Rolf Dobischat: Ich muss Sie korrigieren, das BAföG ist neben dem Elternunterhalt und dem Jobben die wichtigste Säule der Studienfinanzierung in Deutschland. Ein Viertel der insgesamt zwei Millionen Studierenden in Deutschland erhält BAföG, aber Sie haben Recht, es reicht nicht aus, weil es seit 2001 nicht mehr an die Preisund Einkommensentwicklung angepasst worden ist. Die Studentenwerke fordern seit vielen Jahren deutliche Verbesserungen beim BAföG, leider erfolglos. Das für das BAföG verantwortliche Bundesministerium für Bildung und Forschung lässt sich durch ein Expertengremium beraten. Dieser Rat für Ausbildungsförderung erklärt, dass die BAföG-Freibeträge zum Herbst 2007 um 8,7 Prozent und die Bedarfssätze um 10,3 Prozent angehoben werden müssten, um überhaupt das BAföG-Niveau von 2001 zu erreichen. Dies fordern wir mit großem Nachdruck von der Bundesregierung. moritz: Mit der Einführung des Bologna-Prozesses, genauer Bachelor/Master-System, können Leistungen an ausländischen Universitäten einheitlich durch ECTS-Punkte angerechnet werden. Jedoch nutzen weniger Studenten als ursprünglich vorgesehen diese Möglichkeit – und das obwohl der Bologna-Prozess mit dem modular aufgebauten Bachelor gerade dies in erster Linie beabsichtigte. Hat der Bologna-Prozess womöglich sein Ziel verfehlt? Wo sehen
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Foto: Judith Küther
Rolf Dobischat ist Präsident des Deutschen Studentenwerkes (DSW). Der 57-jährige Hesse setzt sich ein für eine Erhöhung des BAföGs und unterstreicht die wichtige Rolle dieser Förderung für Studierende. Das DSW führt in regelmäßigen Abständen eine Sozialerhebung zur wirtschaftlichen und sozialen Lage der Studenten durch. Dies geschah zuletzt mit der 18. Sozialerhebung im Juni dieses Jahres. Das Deutsche Studentenwerk umfasst bundesweit 58 Studentenwerke. Weiterhin arbeitet das DSW eng mit den Hochschulen zusammen und will zur Verbesserung der Rahmenbedingungen beitragen. Konkret sieht dies so aus, dass das Studentenwerk Wohnraum zur Verfügung stellt und Studierende in finanzieller und sozialer Hinsicht berät. Das Studentenwerk betreibt bundesweit 707 gastronomische Einrichtungen, zu denen die Mensen und Cafeterien gehören. moritz traf DSW-Präsident Rolf Dobischat in Berlin und sprach mit ihm über die geplante BAföG-Novelle, Hochschulentwicklung und über die Situation von Studenten zwischen Studiengebühren und Lebenshaltungskosten.
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Sie die Ursachen in der geringen Annahme von Auslandsaufenthalten zugunsten des Studiums? Dobischat: Dass tatsächlich mit der zunehmenden Verbreitung der neuen Abschlüsse Bachelor und Master die Auslandsmobilität zurückgeht, muss allen Verantwortlichen in der Hochschulpolitik zu denken geben. Sie haben Recht, das ist das genaue Gegenteil dessen, was mit der Studienstrukturreform erreicht werden soll. Es ist meiner Meinung nach zu früh, deswegen den Bologna-Prozess für gescheitert zu erklären. Aber offenbar ist die Stoffdichte und die zeitliche Beanspruchung in vielen Bachelor-Studiengängen zu hoch, und die Studierenden schrecken vor einem Auslandssemester zurück, weil sie fürchten, deswegen Credit Points zu verlieren. moritz:Gibt es einen einheitlichen Termin für das Inkrafttreten der geplanten BAföG-Gesetzesänderung? Dobischat: Schön wär’s. Der Entwurf einer 22. BAföG-Novelle befindet sich weiterhin zur Beratung im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages. Über Einzelheiten dieses Gesetzentwurfs ist noch nichts entschieden. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wann sie in Kraft treten wird; vielleicht noch Ende des Jahres, vielleicht zum kommenden Frühjahr. Die Politik tut sich schwer damit, den Studierenden und ihren Eltern Planungssicherheit zu geben, und das ist fatal. (Anm. der Red.: Bereits einige Tage nach diesem Gespräch einigten sich die Koalitionspartner darauf, das BAföG zum 1.Oktober 2008 um 10 Prozent anzuheben.) moritz:Was ist in dem Entwurf der 22. BAföG-Novelle enthalten? Dobischat: Kurz gesagt sind es einige kleine Verbesserungen, die aber in der Summe, so will es die Bundesregierung, kostenneutral sein sollen, also auf der anderen Seite wieder mit Verschlechterungen erkauft sind. Geplant ist ein Kinderbetreuungszuschlag für studentische Eltern sowie eine Öffnung des BAföG für Migrantinnen und Migranten. Geplant war auch, dass beim Auslands-BAföG die bisher notwendige einjährige Orientierungsphase wegfällt, bevor man die Förderung mit ins Ausland nehmen kann. Aber inzwischen hat dies der Europäische Gerichtshof mit einem Urteil vorweggenommen. Eine Erhöhung der BAföG-Freibeträge und BAföG-Bedarfssätze, wie wir dies fordern, ist in der 22. BAföG-Novelle übrigens nicht enthalten, aber die Politik will das BAföG nun doch endlich erhöhen, auch wenn wir nicht wissen um wieviel und wann. Der Zeitplan hängt von der Dynamik des Bundeshaushaltsplans 2008 ab. Die Entscheidung dürfte also bei den Haushaltspolitikern liegen. moritz:Wie errechnet sich der BAföG-Bedarfssatz? Gibt es in dieser Hinsicht Neuregelungen in der geplanten BAföG-Novelle? Dobischat: Der BAföG-Bedarfssatz für Studierende setzt sich aus einem Grundbedarf und einem Wohnbedarf zusammen. Der Grundbedarf liegt bei 333 Euro; der Wohnbedarf ist differenziert, je nachdem ob man bei den Eltern wohnt (max. 44 Euro) oder außerhalb des Elternhauses (max. 133 Euro). Beides zusammen ergibt den Regelbedarf von max. 466 Euro. Bei Nachweis höherer Mietkosten sowie eigener Kranken- und Pflegeversicherung können zusätzliche Beträge geleistet werden. Die Maximalförderung liegt bei 585 Euro. moritz:Bekommen Master-Studenten weiterhin kein BAföG? Dobischat: Doch. Auch bisher kann ein Master-Studium gefördert
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hochschulpolitik
werden, wenn es auf einem Bachelor aufbaut. Schwierigkeiten gab es bisher wegen Altersgrenzen-Regelungen, aber hier hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung reagiert. moritz:Warum gibt es eine elternunabhängige Förderung nur für das Studium auf dem zweiten Bildungsweg? Dobischat: Das kann ich erklären. Der Staat tritt in die Studienfinanzierung erst ein, wenn die Familie nach seiner Sicht finanziell nicht ausreichend leistungsfähig ist. Zunächst ist Studienfinanzierung Sache der Familie. Eltern sind auch gegenüber ihren volljährigen Kindern in Ausbildung unterhaltsverpflichtet. moritz:Sie selbst haben Ihre Hochschulzugangsberechtigung auf dem zweiten Bildungsweg erworben. Ist Ihnen deshalb eine elternunabhängige Förderung so wichtig? Dobischat: Das hat weniger biografische als strukturelle Gründe. Wir wissen aus unseren Sozialerhebungen, dass ein Fünftel der Studierenden von den Eltern lediglich Beträge bis zu 200 Euro erhält. Die Eltern erhalten aber mindestens bis zum 25. Lebensjahr für Kinder in Ausbildung Kindergeld von 154 Euro im Monat und Steuerfreibeträge. In solchen Fällen könnten Studierende doch die Auszahlung des Kindergelds an sich selbst beantragen. Man könnte sich überlegen, dass die vom Staat den Eltern für die Studierenden gezahlten Leistungen zusammengefasst und direkt an die Studierenden ausgezahlt werden. In diese Richtung haben wir Ende der 1990er Jahre Vorschläge gemacht. moritz:Ist eine Anrechnung des Elterneinkommens noch zeitgemäß? Dobischat: Solange es keine tragfähige Alternative einer elternunabhängigen Förderung gibt, ja. moritz:Die Anrechnung des Einkommens von Eltern oder Ehegatten richtet sich nach dem Verhältnis im vorletzten Jahr vor Beginn des Bewilligungszeitraumes. Ist dies noch praktikabel angesichts der sich schnell ändernden Umstände wie Arbeitslosigkeit eines Elternteils und der Bezugsdauer von ALG I und II? Werden Studenten mit einem arbeitslosen Elternteil oder schlimmstenfalls beiden somit nicht sozial benachteiligt? Dobischat: Für diese Fallkonstellationen gibt es im BAföG die Regelung des „Aktualisierungsantrags“. Die Studierenden können damit beantragen, dass das aktuelle Einkommen statt des Einkommens aus dem vorletzten Kalenderjahr der Berechnung zu Grunde gelegt wird. moritz:Welche Möglichkeiten sehen Sie für Studenten, die ihre Regelstudienzeit überschritten haben und nicht mehr BAföG-berechtigt sind? Dobischat:Da kann ich nur den Gesetzestext zitieren: Bei begründeten Überschreitungen der Regelstudienzeit, zum Beispiel wegen Behinderung, Kindererziehung, Mitwirkung in gesetzlichen Gremien der Hochschulen und der Länder, kann eine Verlängerung der Förderungshöchstdauer beantragt werden. Studierende, die die Regelstudienzeit überschritten haben, können eine „Hilfe zum Studienabschluss“ beantragen, wenn sie nachweisen können, dass sie spätestens innerhalb von vier Semestern nach diesem Zeitpunkt zur Abschlussprüfung zugelassen worden sind und die Prüfungsstelle bescheinigt, dass das Studium innerhalb dieser Zeit abgeschlossen werden kann. Allerdings wird diese „Hilfe zum Studienabschluss“ nur als verzinsliches Bankdarlehen
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STUDENTENWERK hochschulpolitik
Noch kein Termin für BAföG-Anpassung
geblich von der sozialen Herkunft abhängt. Wir müssen endlich die extreme soziale Selektivität unseres Hochschulsystems überwinden und für mehr Chancengleichheit sorgen. Dazu machen wir Vorschläge: eine soziale Öffnung der Hochschulen, mehr BAföG, Investitionen in die soziale Infrastruktur des Studiums, zum Beispiel die Beratung der Studierenden. Umsetzen müssen es die Politik, die Länder, letztlich auch die Hochschulen selbst. moritz:Wie erklärt sich die Tatsache, dass die Quote der Studienwechsler an Unis bei 22 Prozent liegt und bei Fachhochschulen bei lediglich 16 Prozent? Dobischat: Ich würde es so erklären, dass die Studienberatung und auch die Passgenauigkeit zwischen Studiengängen und individueller Eignung an den Fachhochschulen besser ist bzw. die Studienanfänger an den FHs mit mehr Vorwissen und einer realistischeren Einschätzung anfangen als an den Unis.
moritz:Gründe für eine Überschreitung der Regelstudienzeit gibt es viele. Doch auch der KfW-Kredit berücksichtigt keine Bachelor- dafür aber Master-Studenten. Werden Bachelor-Studenten von der KfW-Bank nicht ernst genommen? Dobischat: Da liegen Sie falsch. Der KfW-Studienkredit kann auch für Bachelor-Studiengänge beantragt werden.
moritz:Die Förderung von Auslandspraktika soll laut Gesetzesentwurf zukünftig nur noch einheitlich zu Inhaltssätzen gewährt werden. Auslandszuschläge fallen weg für außereuropäische Praktika, stattdessen bietet das Studentenwerk die Möglichkeiten der KfW-Förderung. Wird hierbei nicht die Möglichkeit für einen Anreiz, ein oder mehrere Semester im Ausland zu absolvieren, vertan? Dobischat: Ja, das sehen wir auch so. Es ist zu befürchten, dass Studierende aus einkommensschwächeren Elternhäusern eher von einem Auslandsstudium Abstand nehmen.
moritz:Wie „beantwortet“ das BAföG die in manchen Bundesländern eingeführten Studiengebühren? Dobischat: Gar nicht. Das BAföG wird zu 65 Prozent vom Bund und zu 35 Prozent von den Ländern finanziert. Eine BAföG-Förderung der Studiengebühren würde dazu führen, dass der Bund letztlich den Ländern die Gebühren zahlt und dass Länder, die gar keine Studiengebühren erheben, indirekt den anderen Ländern, die Studiengebühren nehmen, draufzahlen.
moritz:Die Bundesregierung möchte, dass 40 Prozent eines Jahrgangs ein Hochschulstudium aufnehmen. Wie hoch ist der politische Druck auf das Deutsche Studentenwerk? Dobischat: Wir spüren keinen politischen Druck, wir machen selbst welchen – und zwar auf Bund und Länder. Sie müssen nicht nur den Hochschulpakt für zusätzliche Studienplätze stark nachbessern, sondern endlich das BAföG erhöhen und ein Studium über eine gut ausgebaute soziale Infrastruktur attraktiver machen. Sonst bleiben 40% Studierquote ein schönes Ziel.
moritz:Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Hochschulzugang. Die Ergebnisse der aktuellen 18. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks zeigen Handlungsbedarf im Bereich Chancengleichheit. Wie setzen Sie die vorliegenden Umfrageergebnisse um? Dobischat: Ich wünschte, wir könnten etwas umsetzen! Wir haben, wie Sie richtig sagen, mit unserer Sozialerhebung den Finger in die Wunde gelegt, dass in Deutschland der Bildungsweg ganz maß-
moritz:In Deutschland verlassen 30 von 100 Studienanfängern die Hochschule ohne Abschluss. Durch die hohe Zahl der Studienabbrecher gehen dem Staat jährlich 2,2 Mrd. Euro verloren meldete kürzlich die Hochschulinformationssystem GmbH (HIS). Der Stifterverband fordert nun mehr Ausgaben für Lehre, Eignungstests für Studierende und einen neuen Finanzierungsschlüssel, der Hochschulen motiviert, die Abbrecherquote zu senken. Welche Möglichkeiten sehen Sie, die Zahl der Studienabbrecher zu senken?
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gewährt. Wir fordern seit Jahren, die „Hilfe zum Studienabschluss“ in der Förderungsart 50 Prozent Zuschuss, 50 Prozent Darlehen zu gewähren. Viele Studentenwerke bieten darüber hinaus Darlehen für die Studienabschlussphase an, zum Beispiel die Darlehenskasse Nord-rhein-Westfalen oder die Darlehenskasse der bayrischen Studentenwerke.
moritz:Die Zahl der Studenten, die das Angebot der psychologischen Beratung durch die Studentenwerke nutzen, steigt kontinuierlich. Sie werden auch in naher Zukunft verstärkt nachgefragt werden. Jedoch müssen viele Studenten Wochen oder Monate auf einen Termin warten. Sieht das Studentenwerk in dieser Hinsicht Handlungsbedarf? Dobischat: Also das mit den Wochen oder Monaten halte ich für ein Gerücht. 43 der insgesamt 58 Studentenwerke bieten Psychologische Beratung an, in aller Regel kostenlos, niedrigschwellig und individuell. Wir sind dabei, diese Angebote konsequent auszubauen, weil wir sehen, dass die Studierenden wegen des hohen Leistungs-, Zeit- und Erwartungsdrucks verstärkt diese Beratung in Anspruch nehmen. Wenn es irgendwo tatsächlich so lange dauern sollte, sagen Sie es mir!
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Dobischat: Ich halte andere Zahlen dagegen, und zwar solche aus der sozialen Wirklichkeit der Studierenden: Für 40 Prozent der Studierenden ist die Studienfinanzierung nicht gesichert. 63 Prozent jobben neben dem Studium, die Hälfte von ihnen könnte sich sonst das Studium nicht finanzieren. 27 Prozent der Studierenden müssen mit weniger als 600 Euro im Monat auskommen. Hier müssen wir auch ansetzen und das Problem der viel zu hohen Abbrecherquote nicht allein aus der institutionellen Perspektive der Hochschulen angehen. moritz:Welche Fächer würden Sie heute studieren und an welcher Universität würden Sie sich einschreiben? Dobischat: Ich würde es genauso machen und wieder Wirtschaftswissenshaften und Soziologie studieren. Wo, das weiß ich nicht, aber eines weiß ich: Ich würde mich nicht allein nach Rankings richten, sondern mir meine Uni danach aussuchen, was sie mir in Forschung, Lehre und den Studienbedingungen zu bieten hat. moritz:Wie meinen Sie, wird sich die deutsche Hochschullandschaft entwickeln angesichts zwei deutscher Nobelpreisträger, auch wenn deren prämierte Entwicklungen und Forschungen schon um die zehn Jahre zurück liegen? Dobischat: Die beiden Nobelpreise, über die ich mich sehr freue, werden die deutsche Hochschullandschaft nicht so nachhaltig verändern wie etwa die Exzellenzinitiative mit ihren insgesamt neun neuen Elite-Unis. Hier sehe ich einen Besorgnis erregenden Prozess der Ausdifferenzierung am Werk, der dazu führen könnte, dass wir am Ende eine kleine, feine Champions-League haben
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Avon forschungsstarken Elite-Unis, darunter eine Bundesliga von Forschungs- und Lehr-Hochschulen und eine große Kreisliga von reinen Lehrhochschulen. moritz:Die Studiengebühren in einigen Bundesländern bewirken nachweislich, dass sich u.a. weniger Studenten einschreiben. Weniger Studenten führen zu einer Umlagerung der DSW-Kosten. Durch diesen ökonomischen Druck ist zu befürchten, dass die Mieten in DSW-Wohnheimen steigen werden und sich die Kosten für eine Mensa-Mahlzeit zu Lasten der Studenten erhöhen. Dies führt zu einer Verteuerung des Studiums. Widerspricht dies nicht der sozialen Komponente der Studentenwerke? Dobischat: Das Bild ist nicht einheitlich, wie Sie es darstellen. Es gibt Länder, die Studiengebühren erheben, in denen zwar die Zahl der Studierenden insgesamt leicht sinken mag, die Zahl der Erstsemester aber steigt - Beispiele Bayern und Nordrhein-Westfalen. Erst gegen Ende November werden wir vom Statistischen Bundesamt erfahren, wie sich die Gesamtzahl der Studierenden bundesweit entwickelt. Wir sehen die leicht rückläufigenen Studierendenzahlen in einigen Ländern mit Sorge, aber es gibt noch keine empirisch gesicherten Belege, dass dafür allein die Studiengebühren verantwortlich sind und nicht etwa verschärfte NCs oder andere Präferenzen der Studienberechtigten. Aber Sie haben schon Recht, weniger Studierende bedeuten für die Studentenwerke weniger Semesterbeiträge. Noch sind die Zahlen aber so gering, dass es verfrüht wäre, über Auswirkungen zu sprechen. Das Gespräch führte Judith Küther. ANZEIGE
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BOLOGNAPROZESS
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Magister auf dem Rückzug Keine Magister mehr unter den Erstis
Der Hörsaal ist bis auf den letzten Sitz gefüllt. Viele Studierende stehen oder haben auf dem Boden Platz genommen. Erwartungsvoll blicken sie auf die Dozentin hinter dem Rednerpult. Die Lehrkraft blickt in die Runde und fragt: „Wer von Ihnen ist Bachelor-Student?“ Mehr als die Hälfte der Anwesenden meldet sich. Auch nach der Frage: „Wer studiert auf Lehramt?“, werden unzählige Hände in die Höhe gestreckt. „Und wer ist Magister?“ - Deutlich weniger Studierende fühlen sich angesprochen. Hier und da sind vereinzelte Fingerzeige zu sehen. Waren Magisterstudierende in der Vergangenheit noch in der Überzahl, so gehören sie heute der Minderheit an. Bachelor auf dem Vormarsch „Im laufenden Semester studieren 882 Magister in Greifswald. Vor zwei Jahren waren es noch doppelt so viele“, erklärt Bernd Ebert. Der kommissarische Referatsleiter des Studierendensekretariats begrüßt das Bachelor-Modell als einen „einheitlichen und straff durchorganisierten Studiengang“. Die Zahlen der Bachelor-Studenten sind ansteigend. „In Greifswald gibt es im Moment 1646 Bachelor of Arts, 202 Bachelor of Laws und 506 Bachelor of Science.“
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Dazu kommen noch rund 170 Studierende, die den Master anstreben. Die meisten Studiengänge werden in Deutschland mittlerweile als Bachelor- und Master-Studiengänge angeboten. Vor acht Jahren unterzeichneten Bildungsminister aus ganz Europa auf einer Tagung in Bologna eine Erklärung bis zum Jahr 2010, einen gemeinsamen europäischen Hochschulraum zu schaffen. Damals einigten sich alle beteiligten Länder, ihre Studiengänge auf das Bachelor- und Master-System umzustellen. Zu den vereinbarten Zielen gehörten die Einführung eines zweistufigen Systems von leicht verständlichen und vergleichbaren Studienabschlüssen. Festgelegt wurden auch die Etablierung eines Leistungspunktesystems (ECTS) sowie die Förderung der Mobilität und der europäischen Zusammenarbeit bei der Qualitätsentwicklung und Hochschulausbildung. Acht Jahre sind seitdem vergangen. Die Vereinbarungen der Unterzeichnerstaaten wurden weitgehend realisiert. Auch in Greifswald haben sich die neuen hochschulpolitischen Ideen etablieren können. „Vor siebzehn Jahren wurden die Magisterstudiengänge in Greifswald eingeführt“, erklärt Dr. Ursula von der Gönne-Stübing. Die Leiterin des Prüfungsamtes versteht
den Abschied vom Magister als ein Zeichen der Zeit. „Der Magister gehört der Vergangenheit an, während dem Bachelor- und Master-Studiengang die Zukunft gehört.“ Seit dem Wintersemester 1999 konnten Studienanfänger zwischen den Abschlüssen Staatsexamen, Diplom, Lehramt, Bachelor und Magister wählen. Vor rund zwei Jahren sind die Magisterstudiengänge an der Greifswalder Universität endgültig geschlossen worden. „Für den Magister konnte man sich seitdem nicht mehr einschreiben.“ Es folgte eine Übergangsphase, die bis heute nicht ihren Abschluss gefunden hat. „Der Übergang verläuft relativ problemlos. Zunächst saßen die Bachelor-Studenten nur in Magister-Veranstaltungen. Einige Lehrkräfte waren über die Entwicklung nicht sehr erfreut. Aber heute kann man sagen, dass sich das Ganze alles in allem gut eingespielt hat“, sagt Gönne-Stübing. Die Master-Studentin Nicole Schmidt erinnert sich an die Anfänge. „Ich habe vor vier Jahren ein Bachelor-Studium in Greifswald begonnen. Mit dem System hatten sich damals noch nicht alle Dozenten angefreundet. Bei Problemen wurden wir oft von dem einen zum anderen Ansprechpartner verwiesen.“ Trotzdem ist die 24-Jährige froh, sich für ein Bachelor-Studium mit anschlißendem Master entschieden zu haben. „Ich würde es immer wieder so machen.“ Doch nicht alle Studenten des neuen und inzwischen etablierten Studiengangs sind zufrieden. „Ich hätte ehrlich gesagt lieber ein Magisterstudium begonnen“, sagt Peter Schulz. Der Bachelor-Student im dritten Semester kritisiert das verschulte System. „Mich stören vor allem die mangelnden Auswahlmöglichkeiten. Alle Studenten müssen das Gleiche belegen.“ Ein freies, selbstständiges Studieren wird erschwert. „Hinzu kommt der konstant hohe psychische Druck, denn jede einzelne Klausur zählt“, sagt der gebürtige Hamburger. Misslingt eine schriftliche oder mündliche Prüfung, kann die Zulassung für ein Masterstudium schnell in Gefahr geraten. „Wenn ich keine gute Abschlussnote vorweisen kann, werde ich nicht zugelassen.“ Jede Prüfung zählt. Die Mehrbelastung ist hoch. „Außerdem empfinde ich es als deutlich schwieriger, innerhalb meines Bachelor-Studiums ein Auslandssemester zu absolvieren“, sagt der Greifswalder Student. Freizeit bleibt wenig.
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Foto: Grit Preibisch
Über das Ende eines traditionellen Studienganges
BOLOGNAPROZESS
hochschulpolitik
Studentenanzahl WS 2007/08
Institute in die Pflicht genommen
Begrenztes Lehrangebot für Magister Aber auch der Magister wird als der traditionelle Studiengang weiterhin akzeptiert. „Ich bin froh, dass ich Magister bin. Ein Wechsel zum Bachelor-Studiengang käme für mich nicht in Frage“, sagt Ulrike Bengelsdorff. Die Anglistik-Studentin empfindet sich gegenüber den Bachelor-Studenten nicht im Nachteil. Magister-Student Christian Bäz hat hingegen Bedenken: „Das Lehrangebot ist relativ begrenzt. Dem Magister-Studenten wird oft das Gefühl vermittelt, schnell fertig werden zu müssen, um der nachrückenden Bachelor-Generation Platz zu machen.“ Der AStA-Referent weist auf das relativ begrenzte Lehrangebot hin. „Im Institut
Studentensekretariat, Universität Greifswald
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Magister
„Der Bachelor-Studiengang ist straff und verbindlich organisiert. Im Vergleich dazu ist der Magister offener, weil es beispielsweise keine Fristenregelungen im Prüfungsverfahren gibt“, erklärt Dr. Jürgen Damerius. Der Referatsleiter der Zentralen Studienberatung beurteilt das Bachelor- und MasterSystem als zukunftsfähige Lösung. „Gute Ergebnisse, die internationale Akzeptanz und das erleichterte Einhalten der Regelstudienzeit sprechen für sich.“ Außerdem werden die Institute in die Pflicht genommen. Dozenten müssen die nötigen Fachmodule anbieten, um den Studenten die Regelstudienzeit zu ermöglichen. „Ich weiß darüber hinaus, dass die Verbände, beispielsweise der Bund Deutscher Industrie und das Deutsche Institut für Wirtschaft, die neuen Studiengänge sehr begrüßen“, sagt Damerius.
Daten:
Bachelor of Arts, Law und Science
„Ich engagiere mich auch außeruniversitär.“ Freie Stunden sind dadurch sehr selten.
der Politikwissenschaft sind beispielsweise die Auswahlmöglichkeiten für Magister leider sehr überschaubar.“ Auch die AStAReferentin für Studium und Lehre, Kristina Kühn, spricht von „teilweise problematischen Verhältnissen, leicht überforderten Instituten und einer abnehmenden Qualität der wissenschaftlichen Lehre.“ Professor Reinhard Wolf kann die Kritik der Magister-Studenten nachvollziehen. „Die Magister sind die Leidtragenden dieser Übergangszeit“, sagt der Lehrstuhlinhaber für Internationale Politik. Hauptseminare werden wiederholt, die unter dem gleichen Titel bereits vor einem Jahr angeboten wurden. Wolf sieht sich an die Vorgaben, die ihm der modularisierte Bachelor-Stun-
denplan vorgibt, gebunden. „Die Prüfungsund Lehrinhalte sind fixiert. Mir bleibt nur ein geringer Spielraum. Ein erweitertes Angebot lässt die personelle Lage am Institut nicht zu.“ Der Studiendekan des Philosophischen Instituts empfindet die Situation indes nicht als kritikwürdig.„Es werden nach wie vor genügend Lehrveranstaltungen angeboten, die nicht nur für B.A.- oder Master-, sondern auch für Magisterstudierende geeignet sind“, sagt Professor Walter Werbeck. Den Bachelor-Studiengang versteht der Universitätsangehörige als Chance, die eine vielfältige und bewegliche Studienlandschaft ermöglicht. „Immer neue Studiengänge entstehen und die Hochschulen können so besser auf neue Berufsbilder und veränderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen reagieren. Die Nachteile liegen fraglos darin, dass die Studierenden innerhalb der Bachelor-Phase kaum noch Möglichkeiten haben, sich intensiv mit bestimmten Studieninhalten auseinanderzusetzen.“ Der Studiendekan der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät beschreibt die verschulte Lehre, die das Bachelor-Modell mit sich bringt, als problematisch. „Wissenschaftliche Interessen und letztlich die Studierfreiheit leiden darunter“, sagt Professor Joachim Lege. Als „recht gespalten“ definiert er sein Verhältnis zum Bachelor. Der Studiendekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät findet indes deutlichere Worte. „Von dem Bachelor halte ich nicht viel, denn für einen berufsqualifizierenden Abschluss sind drei Jahre einfach zu kurz“, kritisiert Professor Patrick Bednarski. Die Meinungen bleiben geteilt. Ein Ende der Diskussion ist noch nicht in Sicht. Sicher ist nur das Ende des Magisters im Jahr 2011. Endgültig und unwiederbrignlich. grip
Fotos (2): Grit Preibisch
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hochschulpolitik
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PARTYVERANSTALTER
universum
Von Studenten für Studenten Die Greifswalder Clubszene unter der Lupe Einfach nur Spaß haben...
Nach einem Tag voller Vorlesungen und Seminare ist für eine Vielzahl von Studenten Feiern der passende Ausgleich. Und wo kann man besser auf andere Gedanken kommen als in einem der Greifswalder Studentenclubs? Preiswerte Getränke, gute Musik und nette Leute; zwischen Schönwalde und Ryck findet sich für jeden das passende Flair. Ob man auf urige Kelleratmosphäre steht, seine ganz spezielle Musik braucht oder die schönsten Mädchen der Stadt kennenlernen will (was dem C9 nachgesagt wird), die Studenten stellen jede Woche interessante Partys auf die Beine, um das Studieren noch etwas schöner zu machen. Mitglieder gesucht „Es wär’ einfach cool, wenn Leute sagen würden, klar, ich mach’ auch mal mit, ich komm’ erstmal hier her, guck’ mir das an und kann vielleicht alle zwei Wochen was machen. Super!“ , sagt ein Mitglied des Geo-Kellers. Seit über 30 Jahren werden im Keller des Geographischen Instituts Partys organisiert. Vor einigen Jahren hat der Club seine Räumlichkeiten dann erweitert, sanitäre Anlagen und eine Bierbar wurden gebaut. Damit passen zwar mehr Leute in den Keller und das Arbeiten ist angenehmer, aber es gibt auch mehr Dienste, die jeden Freitag von den ehrenamtlichen Mitglie-
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dern besetzt werden müssen. Dazu kommt, dass ältere Mitglieder ausscheiden, bevor genügend Neue nachrücken können, und so wurde sogar in Erwägung gezogen, den Geographenkeller zu schließen. „Es ist so, dass elf oder zwölf Dienste besetzt werden müssen und das schluckt dann mal eben die Hälfte der Mitglieder. Wir sind ja nicht hier, um jede Woche hinter dem Tresen zu stehen, sondern wir wollen alle auch studieren“, meint Christoph. Wer beim GeoKeller mitmachen möchte, kann sich bei einer Vereinssitzung am Montagabend um 20 Uhr einen ersten Eindruck machen. Dann wird angeboten, freitags etwas früher zu kommen und zuzugucken, wie der Ablauf funktioniert. Außerdem kann man sich an den Sachen beteiligen, die die Mitglieder in der Woche machen. Wenn einem das gefällt, kann ein mündlicher Antrag auf Probemitgliedschaft gestellt werden. „Wir haben so ein kleines Laufzettelsystem, das gewährt, dass die Probemitglieder jeweils einen Dienst mal gemacht haben - Garderobe, Einlass, Bars - dass die das mal gesehen haben und die Abläufe kennen“, sagt Toni. Am Ende der Probephase stellen sich die zukünftigen Mitglieder dann noch bei den anderen Studentenclubs vor, denn die Zusammenarbeit mit den anderen „Clubbies“ ist sehr wichtig, um Veranstaltungen wie die Clubs-U-Night realisieren zu können. „Das ist kein hartes Auswahlverfahren,
aber die Person muss schon in die Gruppe passen. Es ist schon eine kleine Familie, die hier zusammenwächst mit der Zeit“, meint Toni. Doch ein Studentenclub besteht nicht nur aus ein, zwei Partys in der Woche. Als gemeinnützige Vereine haben sie die Aufgabe, etwas für die Kultur der Universitäts- und Hansestadt zu tun. Der Geo-Keller arbeitet eng mit dem Fachschaftsrat der Geographie und dem Institut zusammen. In den Kellerräumen werden Exkursionsnachtreffen veranstaltet und Dia-Vorträge gehalten, die von interessanten Reisen berichten. Außerdem gibt es Clubfahrten, wie Anfang dieses Semesters eine Fahrt nach Schweden. Ähnliche Vereinsaktivitäten gibt es auch in den anderen Clubs. In der Mensa finden neben den Partys am Donnerstag und Samstag regelmäßig Filmabende statt, Spielabende werden organisiert und FSRPartys ausgerichtet. Geld wird aber nicht nur in neue Projekte investiert, sondern auch für Spenden an die Greifswalder Tafel genutzt. Der Geokeller hat außerdem mehrere Tierpatenschaften und der Mensaclub vier Patenkinder, die monatlich unterstützt werden. „Die schreiben uns auch immer fleißig und wir schreiben zurück“, sagt Pierre vom Mensaclub. Probleme im Mensaclub Der Mensaclub hat zwar keine Probleme mit zu wenigen Mitgliedern – gerade sind 18 Neue dazugekommen – aber dafür macht die Klage einer Anwohnerin, die leider nicht persönlich anzutreffen war, wegen Lärmbelästigung dem Club das Feiern schwer. Dabei wird sich vor allem über den Lärm beschwert, den die Gäste nachts vor der Mensa produzieren. Lösungen müssen präsentiert werden, um den Club vor weiteren Einschränkungen zu bewahren. „Wenn die Mensa jetzt schließen würde, das wär’ nicht gut für alles drum herum, für uns, für die Taxifahrer...“ sagt Michael vom Würstchenstand. Um die Anwohner vor Lärmbelästigung zu schützen, erfüllt der Mensaclub jetzt bestimmte Auflagen des Umweltamtes, die auch schon die Besucher zu spüren bekommen, denn seit einiger Zeit ist es verboten, Gläser mit hinaus zu nehmen. Wenn man wieder hinein will, muss man noch mal et-
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PARTYVERANSTALTER universum
was bezahlen und die Zahl der Gäste, die überhaupt zum Feiern in den Club gelassen werden, ist deutlich beschränkt worden. Wer zu spät kommt, wird nicht mehr hinein gelassen. „Man kann nicht mehr spontan hingehen und deswegen gehe ich gar nicht mehr hin,“ sagt Hendrik. Kerstin hat die Veränderungen auch bemerkt: „Es ist bedeutend weniger los seit ein, zwei Monaten. Die letzten beiden Male war es richtig schlecht und wir haben uns schon überlegt woanders hinzugehen.“ Trotzdem blickt der Mensaclub optimistisch in die Zukunft. „Die notwendigen Vorkehrungen sind jetzt erstmal in die Wege geleitet, so dass wir recht zuversichtlich sind, dass es demnächst wieder normal weitergehen kann“, sagt Pierre. Die Stadt hat ihre Unterstützung zugesichert. Eine mögliche Lösung wäre auch ein Umbau, bei dem der Eingang auf eine andere Seite des Gebäudes verlegt werden könnte. Wann das geschehen soll, steht aber noch nicht fest. Genügend Fans hat der Club auf alle Fälle. Monique kommt jede Woche extra aus Stralsund: „Hier in der Umgebung ist die Mensa der einzig gute Club; ein abwechslungsreiches Publikum, gute Musik, es ist alles vertreten.“ Auf das Problem, dass immer mehr NichtStudenten den Mensaclub zum Feiern nutzen, hat der Vorstand jetzt auch reagiert. Wer keinen Studentenausweis vorzeigen kann, muss seit den Semesterferien vier Euro Eintritt zahlen und am letzten Donnerstag im Monat werden nur noch Studenten in den Club gelassen. Auch die Kiste kennt die Probleme mit der Lärmbelästigung. Seit der Installa-
...einfach nur tanzen...
...einfach nur abschalten.
tion einer neuen Anlage dringen die kräftigeren Bässe leichter durch das Gemäuer nach außen, so dass die DJs vorsichtiger in der Wahl der Lautstärke sein müssen. „Was sich schwerer steuern lässt, sind ausgelassene Gäste, die gröhlend die Party verlassen“, sagt Mathias, „aber fast alle unsere Gäste verhalten sich sehr anständig und so sind Lärmbelästigungen glücklicherweise die Ausnahme.“ Das Semester hat für die Kiste sehr gut angefangen. Die Mitglieder sind stolz auf den neuen Style in den Clubräumen und feilen weiter an einem vielseitigeren Image des Clubs, nachdem der Kiste lange nachgesagt wurde, hauptsächlich Feiern für Gruftis zu veranstalten. „Dagegen haben wir natürlich angekämpft und seit diesem Semester auch mit Erfolg. Es ist aber nicht so, dass Gruftis bei uns nicht mehr reingelassen werden. Wir machen auch noch Partys für Gothics“, meint Benny. Von 80er-Partys mit älterem Publikum über Biochemikerfasching bis hin zur Trancecube bleibt die Kiste bei ihrem Konzept der Motto-Partys, dazu kommt jeden Dienstag das Studentenkino. „Wir gehen in viele Richtungen. Wir können uns da nicht festlegen, weil auch die Mitglieder sehr unterschiedlich sind. Wir wollen nicht kommerziell werden, aber schon ein wenig allgemeintauglich“, sagt Mathias.
Foto: Franziska Korn (3)
Der legendäre Club 9 Doch im Gegensatz zum C9 – der im Moment nur Exil-Partys feiern kann – geht es den anderen Clubs noch relativ gut. Der Club 9 wurde schon um das Jahr 1970 gegründet. Damals war es üblich, dass man
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sich in dem Gemeinschaftsraum des Studentenwohnheims in der Hans-BeimlerStraße traf. Neun Leute fanden sich dort zu einem FDJ-Studentenclub zusammen und luden einmal in der Woche zum Tanz ein. Zutritt hatte man nur, wenn man als Student an der Greifswalder Universität eingeschrieben war. Außerdem arbeitete der Club mit dem Institut für Sportwissenschaften zusammen und organisierte mit den „SpoWis“ Sportveranstaltungen. Im Jahre 2005 musste der C9 ausziehen, weil das Gebäude saniert werden sollte. Schon bald hatte der Club neue Räumlichkeiten gefunden, das alte Heizhaus des UniKlinikums in der Hunnenstraße. Da dieser Gebäudekomplex im Jahr 2010 wieder an die Universität fällt, die damit Mieter des C9 wird, stehen jetzt Verhandlungen mit der Ernst-Moritz-Arndt-Universität hinsichtlich der Dauer des Mietvertrages an. Diesbezüglich hat der Kanzler Dr. Thomas Behrens grundsätzlich seine Unterstützung signalisiert, da auch ihm an einer langfristigen Lösung gelegen ist. Die finanziellen Mittel werden vom AStA, der Clubs-U-Night, dem Studentenwerk und nicht zuletzt dem Förderverein der Universität bereitgestellt. Zusätzlich werden die Einnahmen der Exil-Partys in den Umbau investiert. Trotz einiger Probleme schaffen es die engagierten Mitglieder der Greifswalder Clubs nach dem Motto „Von Studenten für Studenten“ jede Woche viele Partybegeisterte anzulocken. Das ist zwar eine Menge Arbeit, aber mit genügend Unterstützung werden die Clubs auch weiterhin für genügend Abwechslung vom Studienalltag sorgen können. lah
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AUSLANDSSEMESTER
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Lettlands Unverwechselbarkeit Ein Jahr an der Latvijas Universitäte (LU) in Riga - Teil 2
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be mit dem Orchester ein unglaubliches tönernes Meisterwerk kreiert. Es sind jene kleinen Momente, die man nicht vergisst, denn Partys und Clubs gibt es in jeder größeren Stadt – Momente, in einer Umgebung, die irgendwie auf unerklärliche Weise den Geist des Fortkommens, der künstlerischen Revolution trägt.
Nachts halb 2 in der French Bar
Arztbefund per Hotline Wieso sollte sonst ein Künstler wie Gocha, der selbst in der Sammlung des Vatikans zu finden ist, hier seine Werkstatt und Galerie haben? Auch wenn er auf das warum keine Antwort gibt, unverkennbar inspiriert ihn Riga in seiner Kunst. Überhaupt scheint hier jeder eine künstlerische Ader zu haben. Während die Studenten tagsüber über den Büchern hocken, stehen sie des abends tanzend und singend auf der Bühne, werkeln in ihren Zimmern an Skulpturen oder streifen mit Kamera durch die stillen Gassen der Hauptstadt. Nebenbei gehen viele von ihnen arbeiten, da das Leben in Riga sonst unfinanzierbar ist. Auf die Förderprogramme, die es hier auch ähnlich wie in Deutschland gibt, kann nur eine Minderheit zurückgreifen. Das Besondere an Riga ist allerdings, dass hier wirklich fast jeder einen Job findet, denn die scheint es in Unmengen zu geben. Dennoch sind viele Ausländer erst einmal überrascht von der – wie sie es nennen – Unhöflichkeit der Menschen in Geschäften. Derweil könnte man es durchaus auch als positiv auffassen, dass sie sich nicht so aufdrängeln und die Ware in Ruhe betrachtet werden kann. Und vor allem die Essensauswahl ist einen Blick – eher allerdings eine Probe – wert. Angefangen bei einmaligen Süßspeisen bis zu den verschiedensten herzhaften Speisen, die meist Kümmel oder Knoblauch enthalten.
Die wenigsten nehmen hier ab – solange sie nicht das Krankenhaus aufsuchen. Hat man Glück, dann trifft man auf einen Arzt, der Englisch spricht, dann muss einem Fortuna aber schon arg gewogen sein. Meistens kontaktieren ERASMUS-Studenten dann doch lieber ihren Buddy, der als Übersetzer mitkommt. Als Deutscher sehnt man sich dann auch schnell zurück ins heimatliche System, dass einem plötzlich so einleuchtend vorkommt. Neben einer einmaligen Aufnahmegebühr von 18 Lat (etwa 27 Euro) darf der Patient für jeden einzelne Untersuchung, die an ihm durchgeführt wird, extra bezahlen. Die Auswertung gibt es dann nicht persönlich bei einem weiteren Gespräch voller sprachlicher Missverständnisse, sondern per Telefon. Zwei Tage danach ruft man eine Hotline an und bekommt seinen Befund sowie die Empfehlung, ob man sich einen erneuten Termin geben lassen soll. Ein Wunder eigentlich, dass sie da noch Zeit für den Latvijas studentu apvienība finden. Das ist eine studentische Vertretung aller lettischen Hochschulen mit dem Hauptsitz in der Latvijas Universitāte. Seminare und Konferenzen werden organisiert, um die Arbeit der nicht-staatlich, sozial orientierten Organisation zu verbessern. Ähnlich wie in Deutschland haben die Studenten in den Universitäten einen Senat mit spezifischen Untergruppen, die versuchen gemeinsam mit der Hochschulleitung Politik zu machen. Denn schließlich soll Geld besorgt werden für Sport, das Studentenmagazin und jährlichen Feiern. keh
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Fotos: Katarzyna Janowska, Robert Tremmel
Irgendetwas hat Riga bei Nacht. Es ist schwer zu sagen was – vielleicht sind es die Jugendstilhäuser, die, so scheint es, noch immer den Geist des beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts ausatmen, oder ist es doch die Musik, die überall schwebt – den Bars und Clubs entweicht, hinaus zur Daugava zieht und dort in den kühlen, kalten Himmel Lettlands aufsteigt? Will man Einheimischen begegnen, dann sollten an Wochenenden große Clubs, die in jedem Reiseführer Erwähnung finden, gemieden werden. Denn getanzt wird auch in kleinen Bars – die sind meist richtig voll. Was das lettische Nachtleben allerdings wirklich unvergesslich macht, das sind Aufführungen von Musikschulen und –gruppen. Dann kann es schon mal vorkommen, dass mitten in solch einem Konzert der Lehrer unterbricht und ins Publikum fragt, ob jemand nicht ein Instrument beherrscht und sich den afrikanischen Trommeln anschließen will? Nicht selten kommt es vor, dass sich tatsächlich jemand meldet, vor zum Piano trippelt und ohne vorherige Pro-
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Bröckelnder Leuchtturm
Triste Winter und Kürzungen nagen an der Lehre und Forschung Blick vom Hiddenseer Dornbusch-Plateau auf das ehemalige Institut für Ökologie und die Westrügener Bodden
„Studieren wo andere Urlaub machen“, eine Studienberaterphrase. Im Internet sieht man, dass es sich so ziemlich überall in der deutschen Bildungslandschaft ebenso gut urlauben wie studieren lässt. Für die akademische Saison locken Freiburg, Konstanz, Augsburg, Potsdam und Rostock. Sogar die Fachhochschule Lippe und Höxter ernennt sich zum pauschalen Feriendomizil inklusive Bildungsleistung. Schadet nicht, wenn auch Greifswald in dieser Liga mitmischt. Zumal die Uni einen Teil ihrer Studierenden auf die Insel Hiddensee schickt, wo sie sich bei geländeorientierten Exkursionen, Feldpraktika und Pflanzen- und Tierbestimmungskursen unter die 300.000 jährlichen Tagestouristen mischen. Standort mit Geschichte Die permanenten Aktivitäten der Uni begannen auf der Insel im Jahr 1930 mit der Eröffnung der Biologischen Forschungsstation (heute: Biologische Station) in Kloster durch den Pflanzenforscher Professor Erich Leick. Bald wurde ein Kurshaus gebaut und eine Vogelwarte kam 1936 hinzu. Nach 1990 dachte man über neue Forschungsstruktu-
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ren auf Hiddensee nach. Neben den Greifswalder Stätten hatten sich die Versuchsstelle Schwedenhagen des Zentralinstitutes für Elektronenphysik und die Versuchsstelle Fährinsel des Zentralinstitutes für Mikrobiologie und Experimentelle Therapie Jena auf der Insel angesiedelt. Die Fusion aller wissenschaftlichen Einrichtungen schuf im Jahr 1992 das Institut für Ökologie. Dieses wurde mit fünf Professuren sehr gut ausgestattet. Die Personalstruktur wurde seit den späten 90er Jahren zunehmend ausgedünnt und 2003 wurde das Institut von der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät ganz geschlossen. Die Hiddenseer Vogelwarte zog in diesem Jahr nach Greifswald. Ein einziger Professor blieb der Insel erhalten und auch er soll künftig mit seinen Mitarbeitern an den Standort am Ryck wechseln. So bleibt als letzte Einrichtung die Biologische Station erhalten, die primär als Exkursionsstandort u. a. der Botanik, Zoologie und Gewässerökologie dient, an der aber auch Drittmittelforschung läuft. Hin und wieder nutzen auch die Forscher anderer Fächer aus Greifswald die universitäre Infrastruktur der Station für ihre Kursgruppen.
Einer von ihnen ist Reinhard Lampe, Professor für Physische Geographie und ein „harter Hund“, wie die vier studentischen Teilnehmer seines diesjährigen Kartierpraktikums auf Hiddensee bestätigen. „Was die Studenten lernen, weiß ich nicht, was sie lernen sollen, verbindet sich mit unserem aktuellen Forschungsprojekt SINCOS“, schnauft Lampe augenzwinkernd seinem wissenschaftlichen Projektmitarbeiter Michael Naumann herüber. Der sitzt mit seinem Chef am Küchentisch zur Mittagspause im Reet gedeckten Ferienhaus in der Dünenheide. Für neun Tage ist es ihre Forscherunterkunft. Bei Kaffee und Käsebrot nutzen sie die Pausenstunde, um den Arbeitsplan für die nächsten Tage festzuzurren. Lampe berichtet seinem Assistenten: „Eine Studentin sagte mir, sie bräuchte am Sonntag einen freien Tag. Sie sei mit den physischen Kräften am Ende.“ Der Prof lässt seine Brauen kurz nach oben steigen und fragt dann: „Schaffst Du so mit den Studenten die restlichen Bohrungen noch?“ Beide zählen die markierten Stellen auf der Hiddenseekarte und rechnen sich zum Ergebnis: Der siebte Tag des Praktikums kann
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Geo-Prof. Lampe: „In den ersten drei Tagen sehen die Studierenden nur Sand.“
liegt ein Gästebuch aus, in dem sich zahlreiche Biologen auf Pflichtexkursion zur Pflanzenökologie verewigt haben. Es finden sich aber auch die feucht fröhlichen Sprüche von auswärtigen Studierendengruppen, Dankesworte von Dimplomanden, Doktoranden und einem juristischen Kolloquium auf Gruppenselbstfindungsfahrt. Boddenforschung per Videobeweis
ein freier werden. Die zu Tage beförderten Bodenproben aus den Bohrkernen dienen keinem Selbstzweck. Sie sind der Bestandteil der Forschung zur Geschichte des Meeresspiegels in diesem Küstenabschnitt. Die Lagerung der Sand- und Muddeschichten an den verschiedenen Messpunkten auf der Insel und im Bodden lassen den Schluss auf wechselnde Wassertiefen über diesem Gebiet zu. SINCOS ist die Abkürzung für „Sinking Coasts“, ein Förderprojekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft, das in der derzeit laufenden zweiten Phase etwa ein Dutzend Forschungsinstitute beteiligt, die das Phänomen des sinkenden und steigenden Ostseeraumes aus verschiedenen Fachperspektiven untersuchen: anhand der Reste von Wäldern, Knochenfunde in Feuerstellen und Siedlungsanlagen auf dem Ostseeboden. Vorerst sind die diesjährigen Diplomstudierenden die letzten, die auf der Insel Bohrkerne für SINCOS analysieren, das Hiddenseer Erdreich wurde nun ausreichend kartiert.
militonen in einem der etwa ein Dutzend Bungalows auf dem Gelände begnügen. Die haben als ehemalige Feriensiedlung der Universität schon einige Jahrzehnte auf dem Buckel und erinnern dementsprechend an ein DDR-Ferienlager. Immerhin gibt es im Waschhaus eine heiße Dusche für sechs Minuten zu einem Euro. Alternativ donnert die Meeresbrandung an den Weststrand der Steilküste, die direkt hinter der Station abfällt. Treffpunkt mit den anderen forschenden Gästen auf der Station ist das kleine Küchenhaus mit Speiseraum. Dort
Als die Geografen am nächsten Morgen schon um Sieben mit dem Fahrrad bei Seitenwindstärke acht zum Bohrkernbergen in die Dünenheide gefahren sind, nehmen die beiden Landschaftsökologiestudentinnen Julia Stiefel und Meike Honens ihr Müsli ein. Gesprächsthema am Frühstückstisch sind heute die Schlauchbootführerausbildung bei Greenpeace und Neopren-Anzüge. Kommilitonin Stiefel beendet morgen ihren Hiddenseeaufenthalt für ihre Projektübung zur Eutrophierung und Selbstreinigung von Gewässern. Bungalowmitbewohnerin Honens sitz noch an ihrem Projektpraktikum zur Meeresbiologie. Die daraus resultierende so genannte „Kleine Diplomarbeit“ ist der letzte Test vor der Abschlussarbeit. Was genau sie auf den 40 Seiten schreiben wird, weiß sie nicht, doch sie hofft, ihr akademischer Betreuer Dr. Sven Dahlke wird sie demnächst aufklären. Bisher waren beide gemeinsam mit der zweiköpfigen Schiffsbesatzung der Forschungsbarkasse „Bornhöft“ in den Nordrügenschen Bodden unterwegs. Eine Unterwasserkamera wurde in die flache See hinab gelassen und das Schiff trieb fünf Minuten lang für eine möglichst
Dr. Sven Dahlkes DVD-Kino: Meeresbodenfilme mit Überlänge
Wohnen wie im Betriebsferienlager Während der Forscherstab aus Komfortgründen, wie er selbst sagt, in einem Ferienhaus übernachtet, sind die Geografiestudierenden in der Biologischen Station der Uni Greifswald einquartiert. Da das Doktorandenhaus der Station, ein architektonisches Schmuckstück von 1925, nicht zur Verfügung steht, müssen sich die Kom-
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wackelfreie Videosequenz des Meeresbodens. Danach brachte der Bootsführer die „Bornhöft“ wieder auf Kurs und die Kamera kam ein weiteres Mal zum Einsatz. So wiederholte es sich den ganzen Tag. Später bekam die Studentin einen Packen DVDs überreicht: das Rohmaterial für eine Unterwasserkartierung. Nun heißt es, stundenlang sitzen und den Film transkribieren: hier ein Büschel Seegras, dort ein Stein und immer wieder der sandige Boddenboden. So recht angefreundet hat sich die Studentin nach drei Tagen Marathonkino damit noch nicht: „Das ist ja nur ein winzig kleiner Ausschnitt der Boddengewässer. Und wer weiß, wie es dort in einem Jahr aussieht.“ De Facto hilft die Kartierung der Überwachung der Wasserqualität. Die Boddengewässer und ihre Unterwasservegetation dienen als Katalysator der schadstoffbelasteten Zuflüsse aus dem Binnenland. Ihre Pflanzen und Tiere können den Reinigungsprozess beschleunigen und somit die Verschmutzung der Ostsee verringern. Dahlke ist Experte für derlei Gewässermonitoring. Jahrelang arbeitete er am Institut für Ökologie, dass nur einige hundert Meter von der Biologischen Station entfernt liegt. Nachdem die Exkursionsstation aus dem Institut im Jahr 1999 ausgelagert wurde, wechselte er bald von seinem Institut dorthin. Dahlke, der auf Hiddensee mit seiner Familie wohnt, hat das wohlmöglich den Umzug nach Greifswald erspart, während seine ehemaligen Instituts-Kollegen am Schwedenhagen überlegen müssen, wie und wo es für sie weitergeht.
Fotos: Robert Tremmel (3)
Abwicklung eines Institutes Vor allem unter den nicht-wissenschaftlichen Angestellten geht die Angst um. Sie haben Haus, Familie und laufende Kredite. Arbeitsangebote auf Hiddensee gibt es kaum. Im Winter sind die meisten Menschen auf der Insel arbeitslos. Nur im Sommer lohnt das Geschäft mit den Touristen und dann muss man auch erst einmal ein Geschäft haben. Zu den auf der Insel verbliebenen Wissenschaftlern des 2003 geschlossenen Instituts für Ökologie gehört dessen einstiger Leiter Professor Christian Gliesche. Noch forscht er gemeinsam mit einer Assistentin und zeitweiligen Projektanten und Diplomanden am Schwedenhagen zu experimenteller Marineökologie. Schwerpunkt ist die Mikrobiologie des Ökosystems der Boddengewässer. Gliesche sagt, das Institut bestehe für ihn weiterhin, solange
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Klare Grenzen: Status quo halten
Mat.-Nat-Dekan: Prof. Klaus Fesser
moritz sprach mit dem Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, Professor Klaus Fesser. moritz: Wie gestalten sich die Fakultätspläne für die zukünftige Entwicklung der beiden verbliebenen Einrichtungen auf Hiddensee? Prof. Klaus Fesser: Der Beschluss, die Biologische Station doppelzügig auszubauen, das heißt von etwa 28 auf 40 Exkursionsplätze aufzustocken, ist hinfällig. Das zuständige Landratsamt wird dafür keine Baugenehmigung erteilen. Das liegt an der zu knappen Wasserversorgung von Hiddensee, die laut Landrätin auch in den nächsten 20 Jahren nicht ausgebaut werden wird. Der Insel Rügen, dem entscheidenden Frischwasserlieferanten, drohen sonst Probleme mit den eigenen Kapazitäten. Der Baustopp auf Hiddensee bedeutet für die Biologische Station, dass höchstens der derzeitige Status Quo gehalten werden kann.
beitsvertrag mit der Universität. Der Umzug eines Institutes bzw. Arbeitsgruppe ist Planungsentscheidung des Arbeitgebers. Das wissen sie aber schon seit der Schließung des Institutes.
moritz: Was geschieht mit dem Institut für Ökologie?
moritz: Gäbe es die Möglichkeit, einzelne von ihnen in den Betrieb der Biologischern Station zu integrieren, die ja auf Hiddensee nach wie vor bestehen wird?
Fesser: Das Institut wurde von der Fakultät bei der letzten Kürzungsrunde vor drei Jahren geschlossen. Das Institut gibt es nicht mehr.
Fesser: Das kommt darauf an, ob die Biologische Station sie braucht. Derzeit ist diese Einrichtung zureichend mit Personal ausgestattet.
moritz: Was heißt das für seine Mitarbeiter? Wird die verbliebene Arbeitsgruppe um Prof. Gliesche weiterhin auf Hiddensee forschen?
moritz: Von welchem wissenschaftlichen Wert ist die Biologische Station für die Fakultät?
Fesser: Keinem der Mitarbeiter wird gekündigt. Eine einzelne Arbeitsgruppe wird es auf Hiddensee aber nicht geben. Wir suchen derzeit mit der Verwaltung am Standort Greifswald nach Räumen für die Büros und Labore. Die Verlagerung der Arbeitsplätze ist also in Planung. moritz: Werden dann die Mitarbeiter der Arbeitsgruppe, die jetzt auf Hiddensee dauerhaft mit ihren Familien wohnen, auch vom Umzug ihrer Arbeitsstellen betroffen sein? Fesser: Ja, denn sie haben einen Ar-
Fesser: Sie ist primär Exkursionsstandort, auch wenn dort einige Wissenschaftler angestellt sind. Abseits von der eingangs genannten Genehmigungsfrage bin ich aber skeptisch, ob ein Ausbau der Biologischen Station als Tagungs- und Exkursionsstandort sinnvoll wäre. Die Anreise von auswärtigen und internationalen Gästen nach Hiddensee stellt ein großes Problem dar. Und für die Kurse zur Pflanzenbestimmung eignet sich nur die warme Vegetationsperiode. Es bleibt fraglich, ob eine größere Facility im Winter ausreichend ausgelastet würde. Letztlich setzt aber das Wasserproblem allen Entwicklungsplänen klare Grenzen. Das Gespräch führte Robert Tremmel.
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Leiterin der Biologischen Station, Privatdozentin Irmgard Blindow
keine Nachfolgestruktur geschaffen ist, was solle er schlielich in seinen Briefkopf schreiben, wo er arbeite. Noch sei vollkommen diffus, in welchen Räumen und in welcher Struktur seine Arbeitsgruppe in Greifswald arbeiten wird. „Ich wurde im Jahr 1999 nach Hiddensee berufen, um das Forschungsinstitut voranzubringen.“ Verärgert konstatiert Gliesche nun sieben Jahre später: „Stattdessen hat die Universität das blühende Forschungsinstitut zerstört und sich für eine ökonomisch unsinnige und damit wissenschaftlich fragwürdige Struktur entschieden.“ Damit meint er die Auslagerung der Biologischen Station aus dem Institut für Ökologie, in deren Folge Wissenschaftler seines Bereiches abgezogen wurden. Andere Professoren und Mitarbeiter wurden nach Greifswald beordert, vakante Stellen blieben unbesetzt. Als „Steinbruch“ und „Verfügungsmasse“ zugunsten anderer Fakultätsbereiche sei sein Institut genutzt worden. Unter anderem deshalb, weil es sich auf Hiddensee leichter kürzen lasse als vor Ort in Greifswald. Außerdem spielten auch Absprachen auf Landesebene eine Rolle. Während man sich in Greifswald zukünftig für terrestrische Ökologie stark macht, konzentriert sich Rostock auf den marinen Bereich des Faches. Gliesche und der vorherige Institutschef Professor LutzArend Meyer-Reil kämpften an der Fakultät kompromisslos für ihr Hiddensee-Konzept: ein kleines aber erstklassiges Forschungsinstitut, inklusive Biologischer Station und Vogelwarte. Ohne Erfolg, denn die Ressourcen wurden weiterhin gesplittert, ausgelagert oder ganz entzogen. Am Ende blieb die so genannte „Arbeitsgruppe Gliesche“, von der es vom zuständigen Dekan heißt, sie allein könne auf Hiddensee keinen Bestand haben. Die Entscheider in Greifswald argu-
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mentieren mit dem Kürzungszwang der letzten Jahre und der daraus notwendigen Profilbildung. Der Dekan beurteilt die Perspektiven auf Hiddensee aus logistischen, baurechtlichen und Auslastungsgründen kritisch. (siehe Interview, S. 25) Wer forscht im Winter? Zumindest die Biologische Station wird als Exkursionsstandort erhalten bleiben. Im Sommer ist sie voll ausgelastet. Im Winter kommen nur Kleinstgruppen ins Doktorandenhaus, aber eine Sanierung der Bungalows würde die Kapazitäten vervielfachen. Die heutige Leiterin, Privatdozentin Irmgard Blindow, erbte die komplizierte Situation, als sie im Jahr 2000 ihre Arbeit in Kloster aufnahm. Die Kollegen am Institut für Ökologie setzten darauf, dass an der Station nicht geforscht werde. Doch Blindow verweist darauf, dass ihre Stelle ausdrücklich auch wissenschaftliche Tätigkeit umfasse, aber als Wissenschaftlerin sei sie nie
akzeptiert worden. Ihr Spezialgebiet sind Armleuchteralgen, ein Thema, das sich durchaus mit der Forschung der anderen Wissenschaftler auf Hiddensee verbinden ließe. Prof. Gliesche vom Institut schildert moritz, dass Blindow anfangs sehr wohl das Angebot zur Forschungskooperation gemacht wurde, dass sie jedoch nicht darauf einging. Es ist moritz unmöglich, an dieser Stelle die Wahrheit zu finden. Sie liegt unter einem Dutzend weiterer Geschichten begraben. Es scheint, dass es beiden Seiten um Strukturfragen ging, die durch die Kürzungsauflagen an Brisanz gewannen und sich bedauerlich auf unabhängige Kleinigkeiten übertrugen, die dann heiß gekocht wurden. Der übliche Uni-Krach, für beide „Schnee von gestern“. Gemeinsam mit ihren Studenten unterstützt Blindow nun wissenschaftlich die Arbeit des Nationalparks Vorpommersche Boddenlandschaft, zum Beispiel in der Frage, ob die Hiddenseer Kulturlandschaft der vom Menschen geschaffenen Stranddünenheide erhalten oder der Naturüberwucherung überlassen werden soll. Geforscht wird an der Station u. a. zu Salzpflanzen und einem Energiekonzept für die Insel Hiddensee. Ein Problem stellt sich dauerhaft für sämtliche Uni-Vorhaben auf Hiddensee. Nur wenige Nachwuchswissenschaftler sind bereit, nach ihren Qualifizierungsarbeiten auf der Insel zu bleiben. „Für die allermeisten ist Hiddensee eine emotionale Angelegenheit, die nach der Schönwettersaison endet. Ganz wenige arrangieren sich auch langfristig mit den tristen, einsamen und ereignislosen Inselwintern“, schildert Gliesche eine grundlegende Sorge. So heißt es am Ende : Lieber Urlaub machen, wo andere studieren und lehren. bert
Letzter Direktor des Instituts für Ökologie: Professor Christian Gliesche
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SÜDAFRIKA
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Singend durch die Welt Der Universitätschor auf Reisen
Out of Greifswald
„Ich glaube, dass Südafrika der wunderschönste Platz auf Erden ist“, sagt Nelson Mandela. Der ehemalige Präsident der Republik an der Südspitze Afrikas spricht aus, was viele denken. Einsame Strände, wildes Buschland und exotische Pflanzen locken alljährlich unzählige Besucher aus aller Welt auf den schwarzen Kontinent. „Südafrika ist ein sehr beeindruckendes Land“, sagt auch Harald Braun. Der Universitätsmusikdirektor und mit ihm rund 50 Mitglieder des Greifswalder Chors konnten sich auf einer neuntägigen Reise von den Schönheiten der Republik unterhalb des Äquators überzeugen.
Fotos: Robert Tremmel (2)
Reise in eine unbekannte Welt „Schon vor ungefähr zwei Jahren begannen die Planungen für diese Chorreise“, erklärt Braun. Die Initiative ging vom Chorrat aus, der sich aus ausgewählten Mitgliedern der singenden Gemeinschaft zusammensetzt. „Die Studenten haben alles geplant, organisiert und vor allem Kontakte geknüpft.“ Federführend war das langjährige Chormitglied Harald Kusch, dessen in Südafrika lebende Tante ein hilfreicher Ansprechpartner war. „Die lange Vorbereitung hat sich gelohnt, denn die Reise war unvergesslich“, sagt Braun überzeugt. „Wir konnten viele Eindrücke in nur kürzester Zeit sammeln.“
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Der musikalische Austausch stand im Vordergrund. Unter der Leitung Brauns absolvierten die 50 Sängerinnen und Sänger sowie der Pianist Johannes Gebhardt in dem fremden Land sieben Auftritte. „Das Konzert im Musikkonservatorium der Universität Stellenbosch ist mir in besonders guter Erinnerung geblieben, denn die Größe des Hauses und die tolle Akustik waren beeindruckend“, schwärmt der studierte Dirigent. Mit dem rund eineinhalbstündigen Programm hat der Greifswalder Chor, der sich aus Studenten, Ehemaligen und Mitarbeitern der Universität zusammensetzt, die einheimische Bevölkerung begeistern können. „Die Reaktionen waren durchweg positiv.“ Schwarze, Weiße und Farbige lauschten den Klängen der Krönungsmesse von Mozart, einer Gospel Mass, a-cappella Stücken sowie Liedern der Romantik und Moderne. Schön, unvergesslich, erschreckend „Wir hatten gemeinsame Auftritte mit einem deutschen Chor aus Johannesburg und einem Aidswaisen-Kinderchor“, erzählt Julia Prange. Die Politikstudentin ist seit einem halben Jahr Mitglied des Greifswalder Chors und gehörte zu den glücklichen Auserwählten, die die Reise nach Südafrika antreten durften. 84 Sangesbegeisterte wollten mitreisen. Doch nur 50 Plätze standen
zur Verfügung. Um eine Auswahl zu treffen fand im Frühsommer ein Vorsingen statt. „Wir konnten nur die Besten mitnehmen“, erklärt Harald Braun. Julia Prange gehörte dazu. „Als ich erfuhr, dass ich mitfahren darf, habe ich mich wahnsinnig gefreut“, sagt die 24-Jährige. Die regelmäßigen Proben und den zusätzlichen Zeitaufwand hat die Magisterstudentin dafür gern in Kauf genommen. Wenn die Sopran-Sängerin an die vergangene Chorreise zurückdenkt gerät sie ins Schwärmen. „Wir haben so viel gesehen und erlebt. Das Ganze ist schwer in Worte zu fassen.“ Nicht nur Proben und Auftritte, sondern auch das Kennenlernen von Landschaft, Land und Leuten bleiben nachhaltig im Gedächtnis. „Es war sehr spannend mit Auswanderern und Einheimischen ins Gespräch zu kommen. Außerdem waren die Ausflüge ans Kap der guten Hoffnung, in den Nationalpark und auf eine Elefantenfarm unvergesslich.“ Doch neben all den Schönheiten blieben der singenden Reisegruppe auch die Schattenseiten des afrikanischen Landes nicht verborgen. „In den Townships wohnen die Menschen in Wellblechhütten. Die Lebensbedingungen sind nicht gut“, sagt Julia Prange. Während der Apartheid dienten diese Townships als Wohnräume der schwarzen, farbigen oder indischen Bevölkerung. Zwar wurde 1990 das Prinzip der strikten Rassentrennung durch Sanktionen des Auslandes und Unruhen im Lande offiziell für beendet erklärt, doch diese einfachen Hütten-Viertel existieren noch heute. „Erschreckend ist der Gegensatz. In den Townships hausen die Schwarzafrikaner unter widrigsten Bedingungen und die Weißen lassen es sich auf dem benachbarten Golfplatz gut gehen“, sagt die Studentin aus Greifswald. Auch Harald Braun ist von den Auswirkungen der Apartheid schockiert. „Auf einer Farm haben wir hautnah miterlebt, wie Schwarze eindeutig deklassiert werden. Während die Weißen vorne in der Kirche sitzen, bleiben für die Schwarzen nur die hinteren Bänke.“ Südafrika ist ein Land der Gegensätze. Landschaftliche Reize, Reichtum und Armut treffen aufeinander. Der Universitätsmusikdirektor ist dennoch über das Gelingen der Reise in das abwechslungsreiche Land sehr glücklich. Und sicher ist: „Die nächste Chorreise kommt bestimmt.“ grip
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BIBLIOTHEKSBESUCH
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Ruhebedürftige lernen später
Leben und Schlafen in der Universitätsbibliothek nach 22 Uhr Wenig los zwischen den Regalen
in den letzten zwei Stunden eher wenig genutzt, sondern es wird tatsächlich hauptsächlich gelesen“, so Wolff. Davon hat er sich selbst überzeugt. Ansonsten laufen die neuen Zeiten für den Anfang nicht schlecht. „Das Semester hat gerade angefangen. Da muss sich diese Neuigkeit auch erst rumsprechen.“ Wolff ist zuversichtlich das aus der Testphase eine reguläre Öffnung wird. „Das hängt natürlich davon ab, wie die Studenten das Angebot annehmen“, erklärt er. Konkrete Zielsetzungen, wie groß die Zahl derjenigen sein soll, die das Angebot nutzen, gibt es dabei nicht. Kein Rausschmeißer
Dunkelheit bewirkt bei vielen Menschen, dass sie ihre gedanklichen Jalousien runterklappen. Offen bleibt nur ein winziger Spalt für diverse Entspannungsmaßnahmen – das Fernsehprogramm, Musik, Freunde. Doch Ausnahmen gibt es immer. Woche für Woche vermehrt sich die Zahl der Studenten, die gar nicht lange genug über wissenschaftlichen Büchern hocken können. Und zwar am konzentriertesten und ruhigsten an dem Ort, wo ein Student fast all relevanten literarischen Werke finden kann: In der zentralen Universitätsbibliothek (UB). Möglich macht`s ab ersten Oktober eine Testphase neuer, erweiterter Öffnungszeiten. Die UB und die Bereichsbibliothek am Schießwall öffnen zunächst ein Semester lang von 8 bis 24 Uhr in der Woche, am Sonnabend von 9 bis 24 Uhr und zusätzlich am Sonntag von 9 bis 17 Uhr. Lehramtsstudentin Jette plant in diesem Semester ihren Abschluss. Das erfordert extreme Maßnahmen, beispielsweise Spätschichten in der Bibliothek. „Ich muss die neuen Öffnungszeiten leider häufig nutzen“, sagt sie. „Aber ich brauche nicht mehr so oft mitten in der Arbeit abbrechen.“ So kann sie sich in Ruhe auf ihr Staatsexamen in Germanistik und Russisch vorbereiten. „Für heute mache ich erst einmal Schluss.“ Das heißt raus aus dem kleinen Arbeitskabuff, noch einmal schnell am Computer ein- und auschecken. In neun Minuten ist es um elf. „Immerhin habe ich eine Stunde gewonnen.“ Dann ist sie auch schon weg. Das heimatliche Bett ruft. Aus einer anderen Kabine kommt ein Typ mit zerzaustem Haar
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und abwesendem Blick. Kurz verharrt er ein wenig orientierungslos. Dann verschwindet er zwischen den Regalen. Für Nachtmenschen Langsam leert sich das Gebäude. Noch vor einer halben Stunde waren die Besucher nicht durch schnelles Überfliegen zählbar. Jetzt gestaltet sich die Suche nach Leben in der UB deutlich übersichtlicher und es ist, wenn überhaupt möglich noch ruhiger. In der obersten Etage, irgendwo in einer Ecke hat sich nur noch ein junger Mann mit Brille versteckt. Auf dem Computerbildschirm flimmert eine bunte Tabelle. Und er sieht nicht aus als würde er seinen Arbeitsplatz in den nächsten Minuten gegen ein warmes kuscheliges Bett eintauschen wollen. „Ich bin höchstens einmal die Woche hier. Dann meist so ab 18 oder 20 Uhr“, sagt Matthias Rath. Der 21-jährige Medizinstudent flüchtet vor der Lautstärke am Tag. Da kommen die verlängerten Öffnungszeiten gerade recht. Das späte Kommen hat sich für ihn schon in den vergangenen Semestern ausgezahlt. Der Fünftsemestler hat gerade sein Grundstudium abgeschlossen. „Ich bin auch ein absoluter Nachtmensch“, sagt er. In die UB kommt er, weil ihm hier alle Bücher direkt zur Verfügung stehen. Diese auch auszuleihen ist zwar nach wie vor nur von 8 bis 21 Uhr möglich, aber wen es nachts in eine Bibliothek zieht, der hungert nach Wissen. Das hat Dr. Peter Wolff, der kommissarische Direktor der Universitätsbibliothek festgestellt. „Das Internet wird
Aber nicht jedem ist zu später Zeit nach Arbeiten zumute. In der Eingangshalle sitzen noch drei Personen. Eine davon ist Mohamed Parghach. „Ich chill hier noch ein bisschen ab und warte auf meinen Kumpel. Der chattet mit seiner Freundin“, sagt Mohamed. „Das dauert noch“, sagt er und lächelt. Der 22-Jährige wohnt erst seit kurzem in Greifswald. Im Oktober hat der gebürtige Aachener hier sein Pharmaziestudium aufgenommen. Einen eigenen PC mit Internetanschluss hat er nicht. „ Das ist doch Geldverschwendung wenn ich hier ein kostenloses Angebot habe“, findet er. „Außerdem sind die Wege in Greifswald kurz.“ Ganz entspannt ist auch Tobias Heiden. Er ist muskelbepackt, trägt einen Zopf und sein Namensschild weißt ihn als Security aus. Die meiste Zeit sitzt er an der Ausleihtheke, behält einen Videobildschirm im Auge oder nimmt Bücher entgegen. „Die Rundgänge sind anstrengend“, scherzt er. „Das Gebäude hat einfach so viele Treppen.“ Gooong!!! Ganz schön laut! Wer davon nicht aus seinem Traum aufschreckt, nun, der wird vermutlich von Tobias Heiden geweckt. „Meine Damen und Herren das Gebäude schließt in fünfzehn Minuten.“ Der freundlichen Aufforderung folgt fünf Minuten später das Abschalten der Computer. „Die meisten gehen von alleine“, sagt Heiden. Nur für den Fall, dass jemand beschließt in der Bibliothek zu übernachten, dreht er noch einen letzten Rundgang. Dann ist seine Tagesarbeit erledigt und er verlässt als Letzter kurz nach Mitternacht das Gebäude, welches sich nun in Dunkelheit hüllt. Irgendwann muss jeder mal schlafen. mt
moritz #66
WIRTSCHAFT
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Asien kommt, was nun McKinsey? Unternehmensberater Rainer Salfeld sprach zu Studenten
Im Oktober hielt Rainer Salfeld, Direktor des Münchener Büros der Unternehmensberatung McKinsey, einen 90minütigen Vortrag zum Thema „Drache und Löwe – China und Indien verändern die Ordnung der Weltwirtschaft“. Etwa einhundert Studierende kamen in den Uni-Hörsaal der Wirtschaftswissenschaften, um die Thesen Salfelds, der auch als Honorarprofessor an der Universität Augsburg doziert, zur Zukunft der globalen Wirtschaft zu hören. Eingeladen hatte die Studentenverbindung Corps Borussia. Salfelds Vortrag zeichnete zunächst einzeln die Struktur und Entwicklung der Volkswirtschaften Chinas und Indiens nach. Während sich das Reich der Mitte besonders im Produktions- und Fertigungssektor hervortut, etwa bei Kühlschränken, Mikrowellen und Unterhaltungselektronik, konzentriert sich das englischsprachige Indien auf weltweite Dienstleistungen, wie Lohnbuchhaltung und Service-Hotlines.
Foto: Maria Trixa, Robert Tremmel
Verdrängung ist nur eine Frage der Zeit Mit anschaulichen Zahlen und Wachstumskurven machte der 49-jährige Manager deutlich, dass Europa, Japan und die USA die ersten Ränge in der weltweiten Industrieproduktion an China abtreten werden. Hinzu kämen die gewaltigen Fortschritte im Bildungswesen beider Länder. Demnach wird künftig auch das Know-how in Asien wie vom Fließband laufen. Allein in China schließen derzeit zwölf Mal mehr junge Menschen ein Ingenieursstudium ab als in Deutschland. Das heißt, selbst wenn die Ausbildung an einer deutschen Hochschule individuell als hochwertiger eingeschätzt werden könne, so werde doch die Masse an chinesischen Ingenieurskräften die deutschen Leistungen überflügeln, meint Salfeld. Ganz zu schweigen davon, dass die asiatischen Löhne etwa ein Dreißigstel der deutschen beträgen. In der Folge wird China nicht nur in Kürze Produktionsprimus in der Welt sein, sondern ebenso mit technischen Eigenentwicklungen den traditionellen Wettbewerbern Konkurrenz machen. Auf längere Sicht zielt die wirtschaftliche Strategie der Staatsdiktatur auf die Verdrängung der ausländischen Wettbewerber in allen Wirtschaftsbereichen. Ein ähnliches Bild zeichne sich in der Entwicklung Indiens ab, das riesige Potentiale
moritz #66
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Empfiehlt deutschen Unternehmen die Produktion nach Asien zu verlgern
mit einem jungen und zunehmend besser ausgebildeten Milliardenvolk besitze, zudem es auch noch Englisch spreche. Die Konsequenzen, die sich daraus ergeben sollen, benennt der Manager klar und deutlich: „Ohne eine schnelle Verlagerung der Produktionsbereiche nach China werden deutsche Unternehmen nicht wettbewerbsfähig sein.“ Außerdem entstünde in schon kurzer Zeit in China eine wohlhabende Mittelschicht, die größer als in Deutschland sein werde. Gleich neben der „verlängerten Produktionsbank“ befänden sich dann gewaltige Absatzmärkte, zum Beispiel für Handys, Autos, Wohnraum und Immobilien. Der Durchschnittschinese trinke jetzt 19 Liter Bier jährlich, im boomenden Shanghai seien es schon 33 Liter und der Standard in der alten Welt liege bei 89 Litern. Im Fazit sieht Salfeld mehr Chancen als Gefahren für deutsche Unternehmen, wenn sie jetzt handelten. Sechs Millionen brauchen neue Jobs Für den Produktionsstandort Deutschland, dass verschwieg der Münchner nicht, hält er von den 7,6 Millionen Arbeitsplätzen im Fertigungsgewerbe langfristig sechs Millionen für obsolet. In einer skizzenhaften Modellrechnung für den hiesigen Arbeitsmarkt sieht Salfeld die Möglichkeit, drei
Millionen in neuen Dienstleistungsberufen anzusiedeln. Als ein beispielhaftes Vorbild nennt er kalifornische Schuhputzer, die mit einem eigenen Geschäft nicht schlecht verdienten. In Deutschland müsse da aber erst ein Mentalitätswandel her. Weitere fünf Millionen würden bei einem siebenjährigen Wirtschaftswachstum von drei Prozent pro Jahr in Deutschland zusätzlich beschäftigt werden. Was den Deutschen bleibt In der anschließenden Diskussion schätzten einige Hörer Salfelds Prognosen als zu optimistisch ein, sowohl bezogen auf die Arbeitsmarktsituation in Deutschland als auch für das unabsehbare Ende des asiatischen Wachstums. Ein Zuhörer wollte von Salfeld wissen, was denn für deutsche Beschäftigte bleibe, wenn Chinas Ingenieure künftig selbst entwerfen und moderne Produktionsstätten aufbauen würden und die Inder dazu sämtliche Serviceleistungen übernähmen. Salfeld, der den Studenten empfiehlt, wenn sie die Zeit hätten, sollten sie selbst mal nach Shanghai reisen, beschwichtigte, dass der deutsche Ingenieursgeist nicht mit dem chinesischen vergleichbar sei. Die hätten flinke und geschickte Hände, aber denen läge von Natur aus vielmehr das Nachbauen als das Erfinden. bert
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INTERDISZIPLINÄR universum
Unendliche Weiten
Ringvorlesung verbindet Star Trek und Wissenschaft Ist Captain Kirk humanistischer Forscher oder amerikanischer Imperialist? Haben Borg Gefühle und sind sie vielleicht das realistische Abbild des zukünftigen Menschen? Wie würde Peter Müller auf eine Begegnung mit Klingonen reagieren? Fragen wie diesen geht seit November die multidisziplinäre Ringvorlesung „To boldly go...“ jeden Donnerstagabend auf den Grund. Im Hörsaal 5 des Audimax soll Wissenschaft mit Spaß kombiniert werden. Die Verbindung von Star Trek und Wissenschaft hat Tradition, vor allem in den USA. Seit einigen Jahren wird auch in Deutschland nach physikalischen und sozialen Realitäten und Auswirkungen dieser besonderen Science-Fiction-Serie geforscht. Die Kultserie bietet viele Ansatzpunkte, nicht nur innerhalb der Produktion, sondern vor allem auch was die Fankultur angeht, bemerkt Dr. Anette Brauer, Lehrerin für North Amerian Studies. Die Initiatorin der Ringvorlesung ist selbst ein Fan der Serie und gibt regelmäßig Seminare zur Popkultur. „Da ist Star Trek häufig Beispiel, weil es allen aufgrund seiner medialen Präsenz geläufig ist.“ Grund und Anlass zur Organisation der Veranstaltungsreihe war für sie vor allem das starke Interesse ihrer Studenten.
Mister Spock und Captain Kirk
Differenzierte Fankultur
The Next Generation
Fachübergreifende Zusammenarbeit Doch auch die Gewinnung weiterer Vortragender aus den anderen Fakultäten war nicht schwierig. Schnell erklärten sich die meisten der angesprochenen Professoren und Dozenten bereit, das Projekt zu unterstützen. Einige haben ebenfalls bereits Vorlesungen zum Thema Star Trek in ihren Wissenschaftsbereichen gehalten. Die unterschiedlichen Schwerpunkte der Staffeln enthalten differenziertes Potenzial für die wissenschaftliche Arbeit am Phänomen Star Trek, welches die Ringvorlesung widerspiegelt. Es sind Vorträge aus allen fünf Fakultäten vertreten. Inhaltlich geht es um die Physik in Star Trek, Bio- und Medizinethik, das Beamen aus theologischer Sicht, um Marketing, Politik und Geschichte. In der ersten Veranstaltung Anfang November gab Anette Brauer zunächst eine Einführung in das Thema der Vorlesungsreihe, vermittelte einen Überblick über die Entwicklung der Serie im Zusammenhang mit der Zeit in der sie produziert wurde. „Es
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wissenschaftliche Bedeutung, zum anderen auch durch das, was die Fans aus der Serie machen. Die Rezeption ist außerhalb der USA nämlich eine ganz andere. Nationalistischen Elemente werden ausgeblendet und durch eine allgemein humanistische Kulturinterpretation ersetzt. Star Trek vermittele seinen Zuschauern ein positives Weltbild und zeichne, trotz dargestellter Konflikte und einzelner Kriege, eine optimistische Zukunftsvision.
Raumschiff Voyager
ist tatsächlich so, dass Star Trek als amerikanische Utopie einerseits auch das jeweilige amerikanische Weltbild andererseits die Probleme der Menschen in dieser Zeit widerspiegelt“, fasst Brauer ihre These zusammen. Das Phänomen Star Trek erlange zum einen als groß angelegte Produktion
Dennoch gelten Star Trek-Fans noch immer als Freaks, die sich mit Schauspielern in engen und lächerlichen bunten Turnanzügen identifizieren. „Das muss man nicht so sehen“ meint Brauer, denn „die Zuschauer beteiligen sich aktiv an der Rezeption und Diskussion der Serien, schaffen individuelle Bedeutungen und dies zu beobachten, ist ein spannender Prozess.“ Die Fans, die sich für die über 700 Episoden, zehn Kinofilme und zahlreichen Romane begeistern, sind nach über 40 Jahren Star Trek nicht alle gleich. Zu unterscheiden sind Trekkies, Fans der alten Star Trek Folgen, und die Trekkers, Anhänger der neueren Serien. Die Fanbasis der neuen Folgen ist sogar überwiegend weiblich, was mit der veränderten Darstellung der Rolle der Frau innerhalb der Serie zu tun haben könnte. Seit Captain Janeway das Raumschiff Voyager in die unendlichen Weiten des Weltalls führte, wurde sie ein Vorbild für viele junge Frauen. In der Ringvorlesung werden Studenten erleben, wie ein Beispiel von Popkultur aus verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven betrachtet werden kann. „Was ich mir erhoffe ist, dass wir Studierende und Lehrende motivieren können, über den fachwissenschaftlichen Tellerrand hinauszusehen. Die Universität kann hier auf fachlichem Gebiet zusammenarbeiten und positiv auf sich aufmerksam machen“, erläutert Anette Brauer ihre Ziele. Sie glaubt an dieNotwendigkeit der positiven Zukunftsvision, in der Menschen unterschiedlichster Herkunft gleichberechtigt miteinander leben. Doch am Ende ist Star Trek auch nur ein fiktionales Kulturprodukt, das an Einschaltquoten und Werbeeinnahmen orientiert ist, sich so verändert, wie es der Markt fordert. Oder nicht? sb
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ÖFFENTLICHKEITSARBEIT
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Europa ein Stück näher kommen Anlaufstelle für Fragen zur Europäischen Union in Stralsund
Foto: Paramount Pictures (3), Ina Kubbe
Fragen zur EU? Ulrike Handy antwortet
Europa zu vermitteln und dem alltäglichen Leben näher zu bringen, ist keine leichte Aufgabe. Zu weit weg scheint die EU für die Bürger und zu groß sind die Vorurteile gegenüber dem Staatenverbund, der zur Zeit 27 europäische Länder umfasst. Dies wird unter anderem deutlich anhand der hohen Anzahl von Beschwerden, die der europäische Bürgerbeauftragte Nikiforos Diamandouros täglich von EU-Bürgern erhält. Die Deutschen nehmen immerhin den zweiten Platz in der Vielzahl der Klagen ein, von denen sich 25 Prozent auf das Nichtverstehen und die mangelnde Transparenz der EU und ihrer Verwaltung beziehen. Nach Angaben der Online- Zeitschrift „EUNachrichten“ assoziieren die meisten Bürger mit dem Begriff der Europäischen Union Bürokratie, Regelungswut und Verschwendung von Steuergeldern. Jeder Zweite vertritt die Ansicht, Brüssel gebe mehr als die Hälfte des EU-Haushalts für Personal und Verwaltung aus – tatsächlich sind es kaum sechs Prozent. Die Distanz zwischen Brüssel und den Bürgern gilt demnach als eine zentrale Ursache des Akzeptanzs- und Legitimationsdilemmas der Europäischen Union und erklärt damit auch die mangelnde Wahlbeteiligung vieler EU-Bürger. Die Beteiligung von teilweise 20 Prozent bei der Europawahl 2004 war ein Ausdruck der Unzufriedenheit vieler EU-Skeptiker. Um auf die Bürgerferne der Europäischen Union, vor allem nach den gescheiterten Verfassungsreferenten in Frankreich und den Niederlanden im Frühjahr 2005, zu reagieren, trat Angela Merkel am 1. Januar 2007
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ihr Amt als EU-Ratspräsidentin mit dem Ziel an, die Europäische Union wieder näher an die Bürger zu bringen, verloren gegangenes Vertrauen zurück zu gewinnen und die Akzeptanz europäischer Politik zu stärken. Eine „Neubegründung“ der Europäischen Union sei nötig, so Merkel, um die Unterstützung für die europäische Integration wieder zu gewinnen. Nur durch eine klare Vermittlung dessen, wofür die EU steht und eine Verdeutlichung des Mehrwerts, den sie gegenüber nationalen Alleingängen bietet, kann die Akzeptanz des europäischen Projekts langfristig gesichert werden. Diesbezüglich soll zum einen das „Europa der Ergebnisse“ den Bürgern die Europäische Union im Alltag näher bringen, anstatt in Debatten über institutionelle Regelungen stecken zu bleiben. Zum anderen soll eine europäische Wertegemeinschaft geschaffen werden, um das Zugehörigkeitsgefühl zur Union zu stärken. Zugehörigkeitsgefühl stäken Ulrike Handy hat sich diese Ziele auf regionaler Ebene zum Beruf gemacht. Sie leistet ihren Beitrag, indem sie in ihrem Stralsunder Büro täglich Fragen, vor allem hinsichtlich des Lebens und Arbeitens in der EU, interessierten Bürgern persönlich, telefonisch oder per E-Mail beantwortet. Die 25-jährige Politikwissenschaftlerin aus Rostock arbeitet in der am 26. Juni eröffneten EuropaInformation, die sich als Informationspunkt und Begegnungsstätte versteht und sich für eine höhere Akzeptanz der Europäischen Union einsetzt. „Durch den direkten Kontakt zu den Bürgern versuche ich, Strukturen und Prozesse der EU transparenter zu machen und auf diese Weise den Menschen näher zu bringen“, sagt Ulrike Handy. Europainteressierte können sich mit den neuesten Broschüren und Informationen zur EU im Stralsunder Büro in der Wasserstraße versorgen. Ulrike Handy steht aber auch als Referentin für europaspezifische Themen in Schulen, Workshops oder mit Infoständen zur Verfügung. Die Informationsstelle Stralsund ist Teil des europaweiten Netzwerks der Europe Direct Informationsstellen. Mit der Devise „Sprechen Sie mit uns über Europa!“ versuchen die Mitarbeiter der einzelnen Büros, mit Bürgern in direkten Dialog zu treten, Wissen
zu vermitteln, bei Problemen zu helfen und sie so auf ihrem Weg als europäische Bürger ein Stück zu begleiten. Die Europa-Information in Stralsund ist eine Einrichtung der Deutschen Gesellschaft e.V. in Kooperation mit der Europäischen Kommission und der Hansestadt Stralsund. Neben dieser Europa-Information findet man in Mecklenburg-Vorpommern weitere Büros in Rostock und Waren/Müritz sowie schon seit 1996 in Berlin und seit zwei Jahren in Potsdam. Die zahlreichen Bemühungen der EU-Informationsstellen, der Bundesregierung, europäischer Institutionen und vieler anderer Einrichtungen, die Politik der EU durch Öffentlichkeitsarbeit transparenter zu gestalten, scheinen Erfolg zu haben. So ist im aktuellen „Eurobarometer 67“ der Bertelsmann Forschungsgruppe Politik im Vergleich zum Vorjahr ein leichter Anstieg der Zustimmung zur Europäischen Union zu verzeichnen. Während im Herbst 2006 noch 53 Prozent der EU-weit Befragten angaben, die Mitgliedschaft des eigenen Landes sei eine gute Sache, waren dies im Frühjahr 2007 bereits 57 Prozent. Besonders hervorzuheben ist der Anstieg des Ansehens der Europäischen Union in Deutschland. Während im Herbst 2006 noch 42 Prozent der befragten Deutschen angaben, die EU rufe bei ihnen ein sehr bzw. ein ziemlich positives Bild hervor, waren dies bei der aktuellen Umfrage 52 Prozent. Auch die Unterstützung der Deutschen für eine Europäische Verfassung ist sehr hoch. 78 Prozent der Befragten wünschen sich einen konstitutionellen Text. Übertroffen wird dieser Wert nur in Belgien (82 Prozent), in Ungarn (79 Prozent) und in Slowenien (80 Prozent). Die EU kommt dem Bürger also jeden Tag ein Stück näher. ik
Zur Kontaktaufnahme Europa-Information Stralsund Ulrike Handy Anschrift: Wasserstraße 68 18439 Stralsund Telefon.: 03831 - 278 204 Telefax: 03831 - 285 472 Internet: europa-informations-stralsund.de E-Mail: info@europa-information-stralsund.de
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WOHNEN
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Nach vier Jahren war es wieder soweit. Anfang Oktober erschien der neue Mietspiegel für Greifswald sowie der Stadt angehörigen Stadtteile. Mit seiner Gültigkeit im kommenden Jahr 2008 findet, nicht gerade unerwartet, eine Erhöhung des Mietpreises um circa 83 Cent pro Quadratmeter statt. Die neuen Preise wurden vom MietspiegelArbeitskreis, basierend auf 9.000 Wohnungen deren Mieten zwischen 2003 und 2007 neu vereinbart wurden oder durch neue Verträge zustande kamen, beschlossen. Diese Preissteigerung muss nun von den Bürgern und den Studenten unter ihnen getragen werden. Ein guter Grund sich mit der Frage zu beschäftigen, welche Faktoren für den neuen Mietpreis eine ausschlaggebende Rolle spielten.
Wo soll ich schlafen? Zum Wohnungsnotstand in Greifswald
In Ausgabe 59 beschäftigte sich moritz schon mit der Mietproblematik
Die Situation Der Makler Torsten Bieling, bereits seit fünf Jahren in diesem Bereich tätig, sieht als den ausschlaggebenden Punkt die steigende Wohnungsnachfrage bei einem deutlich geringeren Angebot. „Ich konnte vor allem in den letzten vier Jahren feststellen, dass die Nachfrage immer schneller und immer mehr geworden ist.” Die Rede ist in erster Linie von den wohnungssuchenden Erstsemesterstudenten zum Wintersemester. Zu ihnen gehörte in diesem Jahr auch Lina Häusgen, Lehramtstudentin für Geschichte und Philosophie. Zurzeit in einer Greifswalder Pension übernachtend, hofft sie, nicht mehr lange hier ihre Zeit überbrücken zu müssen und endlich in vier eigene Wände ziehen zu können. Aus Hamburg stammend, ist ihr die Problematik - günstigen Wohnraum zu finden - nicht fremd. „Ich habe mir die Wohnungssuche hier in Greifswald definitiv nicht so vorgestellt und bin ziemlich blauäugig an die Sache herangegangen”, muss sich Lina eingestehen. Als sie sich ab Mitte August intensiv mit der Suche nach einer Unterkunft beschäftigte und dabei keine besonderen Ansprüche stellte, „eigentlich wollte ich eine Ein- bis Zwei-Raum-Wohnung, die in meinem Preisbereich liegt”, war das Angebot bereits rar gesät. Dem Mieterverein zufolge liegen vor allem in diesem Bereich, der kleinen Appartements, die größten Engpässe vor. Die Ursachen für diesen Notstand liegen klar auf der Hand. Fast die Hälfte der Wohnungen in der Stadt gehören der Wohnungsund Verwaltungsgesellschaft sowie der Wohnungsbau-Genossenschaft Greifswald an. Beide Unternehmen setzten in den letzten Jahren einen bedeutenden Aufwand
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und Investitionen in Modernisierungs- und Sanierungsmaßnahmen ihrer Objekte ein. Dazu gehört der Rückbau und Abriss vieler Plattenbauten speziell im Ostseeviertel. Mit diesem Schritt wollte die Genossenschaft dem prognostizierten Bevölkerungsrückgang der Universitäts- und Hansestadt entgegenwirken und einen unwirtschaftlichen Leerstand der Gebäude vermeiden. Nach Ansicht von Dirk Barfknecht, dem Geschäftsführer des Greifswalder Mietervereins, hätte man sich hier aber rechtzeitig an die derzeitige Marktsituation anpassen können. Da die Abwanderung ausblieb wären die Bauten jetzt „durchaus als Studentenwohnungen denkbar; aber man hat nicht reagiert und Wohnungen vom Markt genommen, die eigentlich vorübergehend noch gebraucht werden”. Gebraucht überdies auch von Hartz IV-Empfängern, die nur für bestimmte Wohnungen eine Förderung erhalten und daher vor allem beim Angebot der Kleinraumwohnungen nachfragen. Eine vakante Wohnung zu bekommen ist aber nicht nur ein Spiel des Glücks und des richtigen Zeitpunktes. Der Suchende muss auch immer tiefer in die Tasche greifen. Die Verbesserungen der Wohnungsausstattungen und somit der Lebensqualität im Rahmen der Modernisierungen bestimmen als weiteren Aspekt die erheblichen Mietpreiserhöhungen. Überdies erschweren die parallel und kontinuierlich dazu steigenden Betriebskosten die essentielle Voraussetzung, sich überhaupt eine Wohnung finanzieren zu können. Auch wenn die Privatanbieter in neuen Wohnraum investieren, wird nur noch in höheren Mietpreislagen
gebaut. „Wir haben also keinen Billig-Wohnraum mehr”, beklagt der AStA-Referent für Wohnen und Soziales, Zoran Vasic. Studenten, bei denen die Förderung durch das Bundesausbildungsförderungsgesetz abgelehnt wurde, geht die naheliegendste Finanzierungsunterstützung verloren. Alternative Möglichkeiten bietet ein Antrag auf Wohngeld beim Sozialamt, Stipendien, Studienkredite oder ein Nebenjob. Ohne Bleibe Auch wenn nach außen Greifswald wirtschaftlich und kulturell einen Aufschwung verzeichnet und eine gesunde Fluktuation der Bevölkerungszahl aufweist, wird sich ohne ein adäquates Verhalten seitens der Stadt und der Vermieter die prekäre Lage auf dem Wohnungsmarkt nicht verbessern. Schätzungsweise befinden sich derzeit noch um die 200 Studenten auf Wohnungssuche und nur einige von ihnen können sich in naher Zukunft auf eine freuen. Selbst die Kapazitäten des Studentenwerks sind so gering, dass nicht einmal zehn Prozent der Erstsemester dieses Jahr einen Wohnheimplatz erhalten konnten. Bei den meisten von ihnen handelt es sich um Studenten von Austauschprogrammen und dem Studienkolleg, denen eine Unterkunft zugesichert wird. Ein Warteliste-Kandidat muss eine Wartezeit von bis zu einem Semester in Kauf nehmen. Der Allgemeine Studierendenausschuss brachte viele Ideen und Energie auf, um dem Chaos in den Wochen vor dem Wintersemesterbeginn entgegenzuwirken. Wö-
moritz #66
WOHNEN/AUSLANDSSEMESTER
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chentlich organisierte er in der vorlesungsfreien Zeit WG-Börsen und appellierte in Kooperation mit dem Studentenwerk an die Greifswalder Bevölkerung, wenn möglich, den Erstsemestern eine kurzzeitige Unterkunft zur Verfügung zu stellen. Der Rückruf der Bürger war unerwartet hoch und herzlich, und “dafür sind wir auch sehr dankbar”, konstatiert Zoran Vasic. Auch Lina Häusgen besuchte die WG-Börse und fand den Einfall hervorragend: “Es tat auch gut einfach mal zu hören, wie es anderen geht”. Obwohl alle Studenten zurzeit eine Bleibe gefunden haben - ob in der überbelegten Jugendherberge, im 20 min entfernten Stralsund oder bei guten Freunden - ein Dauerzustand sollte dies definitiv in Greifswald in den nächsten Jahren zum Wintersemesterbeginn nicht werden. Mit einem Rückgang der Studentenzahlen ist auch zukünftig, laut Zoran Vasic, nicht zu rechnen. 2008 können sich zwei Abiturientenjahrgänge gleichzeitig dazu entscheiden an der hiesigen Uni zu studieren und die Attraktivität, die der Universität sowie der Stadt als Studienstandort innewohnt, wird weiterhin viele Studieninteressierte überzeugen.
Neue Luft schnuppern
Außerhalb Deutschlands fürs Leben lernen Ausländischem Wissenssand bündeln und nach Greifswald bringen
Foto: Archiv, photocase
Lösungsansätze Planungen und Lösungen zum Problem werden vor allem schon beim Studentenwerk gesucht und besprochen. Auf dem Programm stehen neue Wohnheimplätze, deren Realisierung jedoch ohne entsprechende Gelder vom Land einige Schwierigkeiten bereitet. Entgegen der tatsächlichen Studierendenzahl der Greifswalder Universität, beharrt die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns auch weiterhin auf einem einsetzenden Rückgang der Erstsemester und verwehrt die notwendigen Unterstützungen im Rahmen des Wohnungsbaus. Daneben existiert die Vorstellung des Studentenwerks zukünftig den Bezug eines Wohnheimplatzes zeitlich zu begrenzen. Voraussichtlich handelt es sich um einen Zeitraum von maximal vier Semestern und soll somit für Studienanfänger die Möglichkeit vergrößern, einen Wohnheimplatz am Beginn des Studiums zu bekommen. Ein entsprechendes Handeln der Stadt Greifswald wird gegenwärtig noch nicht registriert. Laut Barfknecht ist es interessant zu hinterfragen, warum vor allem im Rahmen der Wohnungs- und Verwaltungsgesellschaft ein adäquates Reagieren ausblieb, obwohl Kommunalpolitiker innerhalb der Gesellschaft aktiv an der Mietpolitik der Stadt mitwirken könnten. cb
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„Meine Fremdsprachenkenntnisse verbessern.“ „Lernen, mich in einer fremden Kultur zu integrieren.“ „Meinem Lebenslauf das ITüpfelchen geben.“ So lauten die Wünsche vieler Studierender. Ein Auslandssemester kann diese erfüllen. Bevor sie aber wahr gemacht werden können, gilt es, das Auslandssemester gut vorzubereiten. Eine Vielzahl von Programmen Als erstes stellt sich die Frage, ob und wenn ja mit welchem Programm das Auslandssemester bestritten werden soll. Viele Studierende sind überrascht, wie viele Programme und Stipendienmöglichkeiten existieren. Ein viel genutztes Austauschprogramm ist das EU-Programm Erasmus. Hierbei bestehen Abkommen zwischen einzelnen Fachbereichen der Universität im Inland und Partnerhochschulen im Ausland. Das Erasmus-Programm umfasst unter anderem ein „learning agreement“. Dieses soll sicherstellen, dass im Ausland erbrachte Leistungen für das Studium in Deutschland anerkannt werden. Bei Bachelor- und Masterstudenten erleichtert das European Credit Transfer System (ECTS) die Anerkennung. Für jedes Seminar und jede Vorlesung gibt es dabei
eine bestimmte Anzahl von Punkten, die so genannten ECTS. In der Praxis sieht das zum Beispiel so aus: Ein Student erhält für ein Seminar an der Gasthochschule vier ECTS. Zurück in Deutschland werden ihm diese Punkte für das hiesige Studium angerechnet. ECTS soll die Vergleichbarkeit von Studienleistungen europaweit vereinfachen. Gute Erfahrungen mit Erasmus hat Norman Lippert, ehemaliger Erasmusstudent und Bachelorabsolvent der Universität Greifswald, gemacht. „Über die Anglistik habe ich ein Semester in Spanien studiert. Von möglichen 30 ECTS wurden mir 22 ECTS anerkannt. Meinen Bachelor habe ich trotz Auslandssemester in der Regelstudienzeit geschafft“, berichtet Lippert. Sein Rat: den Auslandsaufenthalt gut zu planen und mit dem Koordinator ein detailliertes learning agreement auszuarbeiten. Dabei sollte berücksichtigt werden: Wie viele ECTS brauche ich für mein Semester in Greifswald und wie viele ECTS bekomme ich für meine Leistungen im Ausland? Sind die Lehrveranstaltungen vergleichbar? Erasmusstudenten müssen außerdem keine Studiengebühren zahlen. Des Weiteren erhalten sie ein monatliches Stipendium von rund 100 Euro. Die Bewerbung für einen Erasmusplatz richtet man an den jeweiligen
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AUSLANDSSEMESTER
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Angebot an Erasmusplätzen und Nachfrage durch Greifswalder Studenten Akademisches Auslandsamt, Universität Greifswald; Outgoer 2007/2008 vorläufige Zahl
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Koordinator seines Institutes. Die Chancen einen Erasmusplatz zu bekommen, stehen gut. Denn gegenwärtig bietet die Universität mehr Erasmusplätze im Ausland an, als Greifswalder Studenten tatsächlich wahrnehmen. Freilich gibt es außer Erasmus andere Wege, die ins akademische Ausland führen. Ein anderer wäre Campus Europae. Campus Europae ist ein Netzwerk von 18 europäischen Hochschulen. Dieses Wintersemester schnuppern 12 hiesige Studenten mit Campus Euopae internationale Hochschulluft. Die niedrige Zahl erklärt sich mit der jungen Geschichte des Programmes. 2004 gingen die ersten Greifswalder Hochschüler mit Campus Europae ins Ausland. „Außerdem hat Campus Europae ein besonderes Betreuungskonzept“, schwärmt Monika Peiz, AStA-Co-Referentin für Studierendenaustausch und Internationalisierung. Dieses Konzept sieht vor, dass jedem Austauschstudenten ein einheimischer Buddy zugeteilt wird. Dies bedeutet intensive Betreuung im Ausland. Auch die Anerkennung der Prüfungsleistungen soll – wie bei Erasmus – von vornherein gesichert sein, sagt Peiz. Der AStA-Co-Referentin liegt Campus Europae besonders am Herzen. Daher ist sie auch Mitglied der StuPa-CE-AG. „Wer an Campus Europae interessiert ist, egal ob er ins Ausland möchte oder sich an europäischer Hochschulpolitik beteiligen will, ist bei der AG herzlich willkommen“, so Peiz. Informationen über Campus Europae gibt es außerdem im Akademischen Auslandsamt. Für angehende Lehrer gibt es die Möglichkeit eine „teaching assistance“ im Ausland
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Erasmusplätze Outgoer
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zu absolvieren. Dabei hospitieren sie am Unterricht an ausländischen Schulen. Die finanzielle Unterstützung liegt hierbei sogar weit über dem Erasmusstipendium. Anders als beim Erasmusprogramm – bei dem man seine Bewerbung an den Koordinator seines Institutes richtet – läuft die Bewerbung hier über das Landesministerium. Wer nicht im Rahmen eines Programmes im Ausland studieren möchte, kann als free mover an die Universität seiner Wahl gehen. Informationen hierzu gibt es im Akademischen Auslandsamt oder beim Deutschen Akademischen Austausch Dienst (DAAD). Grundlegende Fragen Das passende Programm ist gewählt? Gut. Die Annerkennung von Studienleistungen ist gesichert? Umso besser. Als nächstes stellt sich die Frage nach der Finanzierung. Wie bereits erwähnt, beinhalten die meisten Programme ein Stipendium. Auslands-BAföG beantragen lohnt sich ebenfalls. Auch wer im Inland kein BAföG erhält, hat durchaus die Aussicht im Ausland diese Förderung zu bekommen. Der Antrag wird aber nicht beim BAföGAmt in Greifswald abgegeben, sondern je nach Zielland, beim dafür zuständigen BAföG-Amt eines Studentenwerkes. So muss Auslands-BAföG für Schweden beispielsweise beim BAföG-Amt in Rostock beantragt werden. Die Ämter raten den Antrag sechs Monate vor Abreise zu stellen, um die Unterstützung dann ab Studienstart im gewünschten Land zu erhalten. Wird Auslands-BAföG beantragt, muss die Be-
herrschung der jeweiligen Landessprache beglaubigt werden. Sprachkenntnisse sind grundsätzlich zu berücksichtigen. Nicht nur um sich im Land und an der Universität zu verständigen, sondern teilweise auch um überhaupt dort angenommen zu werden. Einige Universitäten verlangen von Studierenden Kenntnisse der Landessprache. Nicht zu vergessen sei die Suche nach einer Unterkunft. Die Unterstützung bei der Zimmersuche seitens der ausländischen Kooperationspartner ist sehr unterschiedlich. In Skandinavien, aber auch im Baltikum, ist es durchaus gängig, dass noch vor Ankunft eine Unterkunft organisiert wird. In Südeuropa steht dagegen Eigeninitiative auf dem Plan. Dort können bei der Zimmersuche gleich die Sprachkenntnisse getestet werden. „Schon am zweiten Tag meines Semesters in Spanien war ich mittendrin im spanischen Alltag. Telefonate mit spanischen Vermietern, die kein Wort Englisch sprachen. Das war Sprachtraining pur“, erinnert sich Norman Lippert. Urlaubssemester? Steht ein Auslandssemester bevor, bleibt noch die Frage: Urlaubssemester ja oder nein? Die Antwort ist individuell verschieden. Rat erteilt sowohl das Studentensekretariat als auch das Akademische Auslandsamt. Wird ein Urlaubssemester für sinnvoll befunden, muss dieses beim Studentensekretariat beantragt werden. Für den Antrag gibt es hier die entsprechenden Formulare. Wer Sorge hat, dass während eines Urlaubssemesters kein Kindergeld gezahlt wird, kann von Bernd Ebert, Leiter des Studentensekretariats, beruhigt werden. „Wird der Kindergeldkasse bescheinigt, dass man im Ausland studiert, wird auch Kindergeld ge gezahlt“, konstatiert Ebert. mk
Kontakte für Auslandsstudium Akademisches Auslandsamt Internet: uni-greifswald.de/international/auslandsamt.html E-Mail: aaa@uni-greifswald.de AStA-Referentin für Studierendenaustausch und Internationalisierung E-Mail: austausch@asta-greifswa.de Deutscher Akademischer Auslandsdienst (DAAD) Internet:daad.de Sprachtests Internet: toefl.org (Nordamerika) ielts.org (GB) cidu.de (Frankreich)
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FESTWOCHE feuilleton
Der Blick über die Oder
polenmARkT lockt vom 16. bis 26 November mit reichhaltigem Angebot
Foto: polenmARkt e.V.
„Es gab dann beim ersten Mal auch wirklich Damen, die im Rathaus angerufen haben, wann denn nun die Polen auf den Marktplatz kommen“, erinnert sich Karin Ritthaler vom Verein „polenmARkT e.V.“. Seit der Namensgebung 1999 hat sich einiges getan. Mittlerweile haben sich die polnischen Kulturtage fest im Leben der Hansestadt etabliert und können in einem Atemzug mit dem „Nordischen Klang“ oder der „Bachwoche“ genannt werden. Auch dieses Jahr reicht das Programm wieder von Ausstellungen und Lesungen, über Theater und Film, hin zu Konzerten und Partys. Bereits bei der Eröffnung am 16. November im Koeppenhaus wird das breite Spektrum aufgezeigt: Die Schriftstellerin Olga Tokarczuk wird aus ihren Romanen „Letzte Geschichten“ und „Annalen in den Katakomben“ lesen. Sie zählt zu den populärsten, auch international beachteten Gegenwartsautorinnen Polens. Mit ihren Geschichten, die stets den Lebenskreislauf von Vanitas und Blüte thematisieren, hat sie sich zu einer ebenso aufmerksamen wie phantasievollen Chronistin ihres Heimatlandes entwickelt. Der zweisprachigen Lesung wird das polnisch-serbische Trio „RoMeLo“ um den Posaunisten Grzegorz Rogala mit einem, als „urbane Folklore“ ausgewiesenen, Jazz-Programm folgen. Parallel dazu kann man die Fotoausstellung „Über den Bodden – durch das Haff“ betrachten, die ihren Fokus auf das vermeintliche „Niemandsland“ des Grenzgebietes zwischen Pasewalk, Szczecin und Świnojuście (Swinemünde) richtet. Als Ausklang des Abends hält das Ballhaus Goldfisch das literarisch-musikalische Szenario „Dobranoc – gute Nachtgeschichten?“ bereit. Zu spät sollte es jedoch nicht werden, denn die längste Nacht steht einem noch bevor: Für das IKUWO wird die Mensa zum „Exil“, wenn am Sonnabend die Bands „Psio Crew“ (aus Biesko Biała) sowie „Izrael“ und „Joint Venture Sound System“ (beide aus Warschau) mit einer mitreißenden Mischung aus Folk, Raggae und Dub auftreten. Jenseits von Volksmusik Völlig andere musikalische Wege wird am darauf folgenden Freitag (23. November) das „Motion Trio“ im Theater Vorpommern beschreiten. Janusz Wojtarowicz, Marcin
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feuilleton
Ein-Frau-Theaterstück
interdisziplinäre Gesprächsrunde zum Thema „Kommunikation und Vertrauen in der Politik“ statt, die von Professor Jan Piskorski von der Universität Szczecin und Professor Christian Lübke, dem Vorsitzenden des „polenmARkT“-Vereins, geleitet wird. Bereits traditionell für den „polenmARkT“ ist das Journalistengespräch, das am 22. November mit dem aktuellen Thema „Polen nach der Wahl“ die Frage des deutsch-polnischen Verhältnisses infolge des Regierungswechsels beleuchten wird. Dass sich das Festival nicht allein an studentische Rezipienten, sondern an alle Greifswalder richtet, zeigt sich auch in einem vielseitigen Kinderprogramm. Am 24. November steht „Polnische Märchen für kleine und große Leute“ auf dem Programm, gefolgt von dem Theaterstück „Lucie und KarlHeinz“ zwei Tage später. Nach Wajda und Kieslowski
Galazyn und Pawel Baranek haben sich einem Instrument verschworen, das man hierzulande nur aus stilisierten Seemannskneipen oder dem mutierten Genre der „Volksmusik“ kennt: dem Akkordeon. Die von ihnen kreierten Klangwelten haben weder künstliche Verstärker, noch andere Spezialeffekte, sondern basieren allein auf den akustischen Möglichkeiten des Instruments. „Andere Instrumente wie die Violine, Gitarre oder das Klavier sind bis an die Grenzen des Vorstellbaren erforscht und erweitert worden – man kann kaum mehr etwas Neues aus ihnen herausholen. Mit dem Akkordeon verhält sich das völlig anders. „Es wird gerade erst neu entdeckt,“ ist sich Wojtarowicz sicher. Dass nicht nur die Musik interkulturellen Austausch ermöglicht, wird mit verschiedenen Vorträgen und Podiumsdiskussionen unterstrichen. Der Historiker Dr. Tobias Weger wird sich am Montag, den 19. November, im Pommerschen Landesmuseum unter dem Titel „Pommern, Pomerania, Pomorze“ unter anderem der Frage widmen, warum denn das hierzulande als „Hinterpommern“ bezeichnete Gebiet im Polnischen „Pomorze Zachodnie“, also „Westpommern“ heißt. Am 20. November findet im Rathaus eine
Aber auch mit dem Filmprogramm wird ein weites Publikum angesprochen. Als populärstes Beispiel kann hier sicher Volker Schlöndorffs „Strajk“ (2006) genannt werden, den der Filmclub Casablanca am 22.November präsentiert. Während sich diese deutsch-polnische Co-Produktion der Geburtsstunde der „Solidarność“-Bewegung und ihren „Helden“ widmet, geht Marek Koterski in „Wir sind alle Christen“ (2006) ebenso kritisch wie ironisch mit dem Problemthema Sucht und Alkoholismus um. „Als besonderen Tipp kann ich allen Besuchern den Dokumentarfilm „Isakowitz – Erzwungene Wege“ von Michael Majerski ans Herz legen“, sagt Kati Mattutat, die in die Ausarbeitung des Programms involviert war. Der Film porträtiert den 1936 nach Argentinien emigrierten Georg Isakowitz, der nach 60 Jahren wieder zu den Spuren seiner polnisch-jüdischen Vorfahren zurückkehrt. Nach der Vorführung am 22.November im Landesmuseum, die gleichzeitig die offizielle Premiere der Langfassung des Filmes ist, wird der Regisseur für Gespräche zur Verfügung stehen. Bis die elf Tage des „polenmARkTes“ am 26. November mit einem polnischen Kulturabend und der Gruppe „VESPA“ in der Kapelle des St. Spiritus ausklingen, sollte jeder den ein oder anderen persönlichen „Leckerbissen“ gefunden haben. aha
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FILMFEST
feuilleton
One day at the movies
41. Hofer Filmtage zwischen Sozialpädagogik und Brillianz
Bereits am ersten Tag des Festivals offenbaren zwei Filme die Punkte, zwischen denen der Bogen in Hof gespannt wird: junge deutsche Produktionen, die auch mal in die Hose gehen, und internationales Programmkino auf hohem Niveau. Manchmal überschneidet sich das auch. Leider nicht im ersten Film „Meer is nich“ von Hagen Keller. Augenscheinlich handelt der Film von Lena, einem Mädchen aus Weimar und den anderen Mitgliedern ihrer Riotgirl-Punkband. Die Mädels stehen kurz vor dem Abitur, und sollten eigentlich lernen, lernen, lernen. Dieser Verhaltenserwartung verweigert sich Lena, die gerne einfach nur mit ihrer Musik weiter machen möchte. Damit gleicht sie in gewisser Weise ihrem arbeitslosen Vater, brilliant gespielt von Thorsten Merten, der sich nicht irgendwelche Jobs aufdrängen lassen, sondern seinen Beruf leben will. Obwohl sich beide in einer ähnlichen Situation befinden, entsteht keine Solidarität zwischen den beiden trotzigen Verweigerern. Stattdessen übt der Vater Druck auf Lena aus, „etwas ordentliches zu machen“, während Lena ihrem Vater vorwirft „der Mama auf der Tasche zu liegen“. Dieser Streit eskaliert, als Lena eine Abi-Klausur verschläft. Diese fast schon sozialkritische Dimension tritt allerdings bildlich hinter das Alltagsleben der drei Mädchen zurück. Das Erzähltempo ist langsam und wird mit der großartigen Musik von „The Notwist“ untermalt. Alles super also. Bis sich der Film wendet und alles gut wird. Papa kriegt genau den Job, den er will. Lena macht einen Kompromiss, schafft irgendwie doch noch das Abitur und jobbt, obwohl sie weiter Musik
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macht. Präsentiert wird dieser sozialpädagogische Impetus vom Hauptsponsor des Films, dem ortsansässigen Limonaden-Produzent Vita-Cola. Und so wie die Marke sein will, ist eben auch die Protagonistin: jung und wild, aber trotzdem erfolgreich. Das kann man wirklich schaffen – wenn man nur die richtige Cola trinkt. Leider wird der Kracher von „The Notwist“ nur angespielt. Der Refrain hätte gelautet: „Fail with consequence. Fail with elegance. And smile.“ Französsinen können´s besser Ganz anders der zweite Film: „Un homme perdue“ von Danielle Arbid. Thomas Koré (Melvil Poupaud), ein Fotograf aus Paris, sexy und wohlhabend trifft im nahen Osten den Araber Fouad Saleh (Alexander Siddig – bekannt aus Filmen von Fatih Akin). Fouad hat sein Gedächtnis verloren und irrt mittellos umher. Aus Spaß nimmt der sadistische Thomas, der sich gerne in erniedrigenden Posen mit arabischen Prostituierten fotografiert, Fouad mit auf seine Reise. Obwohl sich der Titel des Fil-
Zu Recht verehrt: Wayne Wang
Kammmermusik bei „Meer is nich“
mes nur auf einen Mann bezieht, wird also von zweien erzählt. Und tatsächlich verhalten sich die beiden so, wie die Seiten der sprichwörtlichen Medaille: Einer, der macht was er will, und einer, mit dem gemacht wird was andere wollen. Ein reicher Mann in einer fremden Gesellschaft und ein gebeutelter Underdog am Rande seiner eigenen Gesellschaft. Und beide können nicht ohne einander sein. Denn damit der eine die Freiheit hat, seine perversen Späße zu treiben, muss es andere geben, deren Freiheit darin besteht, zwischen einem Leben in materiell angemessenen Umständen und ihrer Würde zu wählen. Fouad und die Prostituierten entscheiden sich für das Geld des reichen Europäers und damit gegen ihre Würde. Und wer könnte sich, vor dieser Wahl stehend, anders entscheiden? Das ist sie, die „Freiheit“ im Kapitalismus. Hoher Dialektik Und irgendwie spiegelt dieser inhaltliche Bogen auch den Rahmen des Festivals. Auf der einen Seite: Trashige Premierenparties mit unglaublich schlechter Musik, aber kostenlosem Alkohol, hässliche Nachkriegsarchitektur und ein grausiger Dialekt. Auf der anderen Seite: Eine unglaublich stilsichere Auswahl der Filme für die Wayne-Wang-Retrospektive und die Möglichkeit, die ganzen schönen deutschen TV-Spielfilme im Kino zu sehen, die im öffentlich-rechtlichen Fernsehen immer auf den unattraktiven Sendeplätzen vergammeln. Und irgendwie wäre das Festival ohne diese Widersprüchlichkeiten ja auch nur halb so schön. Philip Rusche
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Foto: Hofer Filmfest(3), Theater Vorpommern/Vincent Leifer
Sexy: Melvil Poupaud in „Un homme perdue“
TANZFEST
feuilleton
Sinnesrausch
Tanztendenzen entfesseln das Publikum im 14. Jahr Für fünf Tage im Oktober verwandelte sich Greifswald wieder in eine Metropole des zeitgenössischen Tanzes und fungierte als internationales Forum für junge Choreografen. Das Motto war „Körper“.
Das Stück „Deluisive Figures“
Hinweg vom theoretisierten Tanz Der Mittwoch galt vor allem jungen Künstlern, wie der aus Prag stammenden Gruppe DOT 504 mit „Heaven is the place“ von Anton L´achký. Fünf Tänzer erfüllten die Bühne mit kraftvollen und raumnehmenden Choreografien, die durch den Einfluss von orientalisch anmutender Musik und Hörspielelementen die Zuschauer in ihren Bann zog. Die Brüsseler Choreografin Leslie Mannès konfrontierte im Anschluss mit ihrem Stück „Delusive Figures“ die Zuschauer mit einer freizügigen und grenzwertigen (Video)-Performance, da Körperlichkeit im Kontext von Konsum und Schönheitsideal auf brachiale Weise aufgelöst wurde. Gesichter wurden
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feuilleton
zu Fratzen verzerrt und nackte Körper in ihrer Verletzlichkeit deformiert, so dass eine Gradwanderung zwischen Provokation und Anklage erreicht wurde. Rückbesinnung und neue Formen In jüngerer Zeit finden neben asiatischen Tanzformen Hip-Hop-Elemente, Körperbewusstseinstechniken und Videoinstal-
lationen ihren Weg in den künstlerischen, zeitgenössischen Tanz. Besonders deutlich wurde dies am Abschlussabend während der Vorstellung „Pixel Babes“ von der Schweizerin Nicole Seiler in einer gesellschaftskritischen und aufreizenden Darstellung zwischen Schönheitwahn und Illusion. Eine Verschmelzung futuristischer Bilder, in denen aerobic-wütige Schönheiten scharf zur brüchigen medialen Wirklichkeit abgebildet wurden. In einem brillianten Projektionsspiel erlebten die Zuschauer Sinnestäuschungen extremer Art, die durch die etwas lautstarke Musik unterstrichen wurde. Die Abrundung gewann das Festival durch Cyrille Musy von der Cie Des Equilibres (Frankreich) mit „Ma vie, mon œuvre, mon pédalo“. Neben der Sprache stach die Inszenierung durch Trampolin und akrobatische Elemente heraus, durch die seine humorvolle Art unterstrichen wurde und das Publikum zu minutenlangem Applaus verführte. fk ANZEIGE
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LITERATUR
feuilleton
Ein Abend voller Verse Die Lyrik-Nacht im Koeppenhaus
Ulrike Almut Sandig
Vor einem halben Jahr löste die Sonderausgabe zur deutschsprachigen Gegenwartslyrik der Literaturzeitschrift BELLA triste eine Lyrikdebatte aus, die bis heute andauert. Am 26. Oktober 2007 fand aus aktuellem Anlass nach Jahren wieder eine Lyrik-Nacht in Greifswald statt. Dazu lud das Literaturzentrum Vorpommern vier namhafte Dichter von heute ein.
der Stadt war der kleine Saal gut besucht, als kurz nach 20 Uhr Ron Winkler die Bühne betrat. Der 34-Jährige las nicht nur Gedichte aus dem zuletzt erschienenen Band „Fragmentierte Gewässer“, sondern gab auch eine Kostprobe seiner neuesten Werke. Ganz in der Winkler-typischen Sprache aus Begriffen der Natur und Wissenschaften ließ er 20 Minuten lang „Elemente“ und „Substanzen“ auf das Publikum einprasseln. Auf die später gestellte Frage, in welcher Sprache er denn dichte, meinte Ron Winkler: „In einer Sprache der Verrückten.“ Kathrin Schmidt schlug ganz andere Töne an. Ihr letzter Lyrikband liegt sieben Jahre zurück. Sie hatte schon geglaubt, nie mehr ein Gedicht schreiben zu können, doch jetzt trug sie exklusiv ihre neuesten Schöpfungen vor, die im kommenden Jahr in einem Band veröffentlicht werden sollen. Kathrin Schmidts Themen, in einen sehr speziellen Rhythmus verpackt, reichten von „Kindersoldaten“ über „Zuckerstangengesellschaften“ bis hin zu bellenden „Belladonnen“. Auftakt einer Online-Anthologie
„In einer Sprache der Verrückten.“ Eine interessante Mischung aus zwei jungen – Ron Winkler und Ulrike Almut Sandig – und zwei älteren Vertretern der Gegenwartslyrik – Kathrin Schmidt und Gerhard Falkner – fand sich am Freitagabend im Koeppenhaus ein. Trotz einiger parallel stattfindender Veranstaltungen in
Gerhard Falkner
Ulrike Almut Sandig hat am Leipziger Literaturinstitut studiert und ist vor allem durch „ohrenpost“, eine Lesereihe im Zusammenspiel von Musik und Lyrik, bekannt geworden. Der musikalische Einfluss war auch bei der Lesung nicht zu überhören. Mit weicher Stimme und melodischen Versschwüngen erzählte sie von dem Dorf ihrer Kindheit, Hunden und der Farbe „Blau“. Ihr aktueller Gedichtband „streumen“, aus dem die vorgetragene Lyrik stammt, wird in diesem November veröffentlicht. Zuletzt gab Gerhard Falkner einen Einblick in sein umfangreiches Lyrik-Repertoire. Er las ältere und ganz neue Gedichte, die in dem Band „Hölderlin/Reparatur“ erscheinen werden, das sich zurzeit noch in Arbeit befindet. Gerhard Falkner, geboren 1951, ist nicht nur Lyriker, sondern auch Dramatiker, Übersetzer und Essayist. Außerdem ist er Herausgeber von Anthologien zur deutschen, amerikanischen und ungarischen Lyrik. In seiner Polemik „Das Gedicht und
Ron Winkler
sein Double“, die in der aktuellen Ausgabe der BELLA triste erschienen ist, geht er auf den derzeitigen Lyrikdiskurs ein und scheut sich nicht zu schreiben, was er von einigen Lyrikern und einflussreichen Kritikern unserer Zeit hält. Dabei thematisiert er auch die „Klüngelei“ des Literaturbetriebs und plädiert für eine ehrlichere Beurteilung des Gedichts. Es bleibt zu hoffen, dass es nicht wieder ein paar Jahre dauert, bis zur nächsten Lyrik-Nacht in Greifswald geladen wird. Bis dahin kann man die Vorträge der Dichter bald noch mal Revue passieren lassen, denn die Lesung wurde in Wort und Bild aufgezeichnet und wird demnächst auf dem Internetauftritt des Literaturzentrums (koeppenhaus.de) als Auftakt einer OnlineAnthologie erscheinen. lah
Kathrin Schmidt
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14.11. Ostpunk! Too much future 21.11. Kann das Liebe sein 28.11. Am Ende komme Touristen 5.12. Angel - Ein Leben wie im Traum 12.12. Dixi Chicks
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BUCH feuilleton
Macht und Gefahr
„Die Teufelsbibel“ von Richard Dübell Die Teufelsbibel, auch Codex Rigas genannt, gilt mit 75 Kilogramm als das größte mittelalterliche Buch der Welt. Entstanden gegen Ende des 12. Jahrhunderts in einem Kloster von Podlažice in Böhmen, einige wenige Kilometer vom heutigen Prag entfernt, rankt sich eine Legende um seine Entstehung. Ein Mönch habe sich aufgrund schwerer Sünden die Bürde aufgetragen, all sein Wissen in einem Buch niederzuschreiben. Er versprach, dies in einer Nacht zu bewerkstelligen. Ob er dafür zusätzlich noch eingemauert wurde, ist Spekulation. Der Umfang all dessen war jedoch zu immens für den Mönch. Er verkaufte seine Seele an den Teufel, um im Gegenzug mit dessen Hilfe das Werk fertigzustellen. Eine Abbildung des Fürsten des Finstenis soll vermitteln, dass die geschriebenen Zeilen vom Leibhaftigen persönlich stammen. Diese Idee nutzt
Richard Dübell für sein gleichnamiges Werk und konstruiert um die Handschrift des Antichristen eine erfrischende und komplexe Story. In dem historischen Roman geht es ausnahmsweise nicht um eine Frau, die sich mit Männerkleidung tarnen muss, um überleben zu können und schließlich ihre große Liebe heiratet. Nein, es geht um das niedergeschriebene Wort Luzifers, was in den falschen Händen die größte Gefahr der gesamten Christenheit bedeutet. Um dies zu verhindern, schreckt man nicht mal vor Mord zurück. Aber auch ein wenig Romantik spielt in Dübells unterhaltendem Werk eine Rolle. Dank geschickt recherchiertem Hintergrund, einem Hauch Mystizismus, jedoch ohne in den Fantasybereich abzurutschen, und dem fließendem Erzählstil ist „Die Teufelsbibel“ mit ihren 666 Seiten eine willkommende Winterlektüre. ar
Becks Vermächtnis
Foto: Cornelia Bengsch (4)
„Kommunikationswissenschaft“ von Klaus Beck Trotz des Weggangs von Professor Klaus Beck aus Greifswald, bleibt ein Teil seiner hiesige Tätigkeit erhalten. Sein Lehrbuch „Kommunikationswissenschaft“ orientiert sich stark an der von ihm gehaltenen Vorlesung „Einführung in die Kommunikationswissenschaft“. Gegliedert in zwei Teile, vermittelt es aber auch unabhängig von de Veranstaltung und über sie hinausgehend Einblicke in weitere kommunikationswissenschaftliche Konzepte. Zunächst setzt Beck sich mit den Grundbegriffen der Kommunikationswissenschaft auseinander, grenzt interpersonale von öffentlicher Kommunikation ab und erläutert das kommunikationswissenschaftliche Medienverständnis. Im zweiten Teil werden dann Forschungsfelder und Teildisziplinen vorgestellt. Auf Merksätze, grafische Hervorhebungen und ähnliches wurde verzichtet, um den logisch strukturierten Volltext nicht zu unterbrechen. Der Übergang von einer Theorie zur nächsten ist überwiegend verständlich dargestellt. Die Auseinandersetzung mit den Ansätzen von Luhmann, Habermas, Maletzke und anderen erfolgt nicht separat, sondern in der kontextgebundenen Diskussion. Diese ist meist schlüssig und nachvollziehbar. Besonders
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feuilleton
positiv fallen die am Ende eines jeden Abschnittes gegebenen Zusammenfassungen auf, die sehr nützlich sind, um den Überblick zu behalten. Insgesamt ist das Lehrbuch jedoch nicht anschaulich genug. Auf die verwendeten Schaubilder wird häufig nicht ausreichend detailliert eingegangen und viele der komplexen Zusammenhänge hätten durch die Entwicklung einer grafischen Übersicht an Verständlichkeit gewonnen. Auffällig ist der für Fachliteratur ungewöhnliche bis eigenwillige Sprachstil Becks. Eine Ansammlung überflüssiger Füllwörtern und die unvermittelt wechselnde Erzählperspektive stören den Lesefluss und erschweren ein schnelles Verständnis. Der Autor setzt nicht, wie bei schreibenden Wissenschaftlern oftmals üblich, ein bereits umfangreich vorhandenes Wissen von Fachterminologie und Begriffen voraus. Es gelingt ihm in herausragender Weise sämtliche Fachbegriffe und Fremdwörter knapp, präzise und verständlich zu erläutern. Es wird ein breites Spektrum an Modellen angesprochen und gegenübergestellt. Die Kommunikationswissenschaft wird als eine Integrationswissenschaft dargestellt, deren Schwierigkeit und Reiz im Theorien- uns Methodenpluralismus liegt. sb
Lehrstück „Die Tagesshow“
Unumwunden gibt die ARD zu, als erste Informationsquelle für die Tagesschau die Dienste der Nachrichtenagenturen zu nutzen. Weiterhin mache aber das weltweite Korrespondentennetz die besondere Qualität Deutschlands meistgesehener Nachrichten-Sendung aus. An dieser zweifelt Walter van Rossum mit seinem Buch „Die Tagesshow“ und holt zum Rundumschlag aus. Fakten gibt es einige, doch leider werden diese meist zynisch kommentiert und der Autor schweift zu oft ins Unsachliche ab. Er führt ausgewählte Beiträge vor. Er stellt die Berichterstattung der Tagesschau in Frage, was zuerst doch Neugierde weckt. Wird die Tagesschau doch mit seriösem Auftreten und kompetenten, sachlichen Nachrichtensprecher gleichgesetzt, ohne jegliche Tricks und Schnickschnack. Doch wer sich auf einen Blick hinter die Kulissen von vielen Millionen Zuschauern gesehenen Sendung gefreut hat, wird enttäuscht. Van Rossum will uns den Wallraff geben, allerdings reissen aggressive Möchtegern-aufdecken-Geschichte kaum noch vom Hocker. Skandale und Unverschämtheiten deckt jeden Tag Deutschlands meistgelesene Tageszeitung auf. Lächerlich sind Aussagen wie die, dass ja niemand wisse, ob vor dem laufenden TV-Gerät überhaupt jemand säße. Aber genau diesen Stil hat der Autor, der auch für die Zeit, den WDR und Deutschlandfunk arbeitet, zu eigen gemacht. Durch seine reißerische Schreibart gehen teilweise berechtigte Bemerkungen unter. Das ist schade. Sicher ist die Nachrichtenselektion subjektiv, aber diesen Vorwurf müsste van Rossum dann wahllos jedem Medium machen. Der Autor versucht, die Arbeit der Nachrichtenredakteure vorzuführen und gesteht der Tagesschau alles andere als Qualität zu. Seine Begründungen sind unüberlegt und nicht zu Ende gedacht. Das ist bedauerlich, denn so hält das Buch leider nicht, was es verspricht. Sattdessen langweilt Walter van Rossum mit seinen Bloßstellungen. Unklar ist auch, nach welchen Kriterien oder Schwerpunkten er die vorgeführten Sendungen ausgewählt und seziert hat. Zudem kann sich der Autor nicht entscheiden zwischen Polemik, faktenorientiertem Bericht und Zynismus. Das wirkt peinlich. Das Buch soll laut Klappentext ein Lehrstück über unsere Medienrealität sein. Ach so? juk
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DVD
feuilleton
feuilleton
Kein MGM-Musical „The Saddest Music in the World“
Zwar keine Ausbildung an einer Filmhochschule absolviert, aber trotzdem ist Guy Maddin in allen Fragen rund um das Abspielen von Einzelbildern in schneller Abfolge und der Projektion auf eine Leinwand bewandert. Die Filme der späten Stummfilm- und frühen Tonfilmzeit haben es dem Kanadier angetan. Die erst mit vier Jahren Verzögerung auf DVD auftauchende Genremischung „The Saddest Music in the World“ ist wieder durch Maddins filmische Vorlieben beeinflusst. Isabella Ros-
Beine aus Glas und mit Bier gefüllt
sellini spielt zur Zeit der wirtschaftlichen Depression und der Prohibition eine kanadische Brauereibesitzerin, die das traurigste Musikstück der Welt sucht und 25.000 Dollar Preisgeld ausgeschrieben hat: Da Alkohol in den USA bald wieder legal gekauft werden darf, erhofft sich die abgehärtete Geschäftsfrau Einnahmezuwächse durch den Wettbewerb. Aus allen Herren Ländern strömen Musiker nach Winnipeg und stellen ihre kulturellen Trauerstücke vor. Im Endauscheid stehen sich die USA und Serbien in den Personen eines Vaters und dessen Sohnes gegenüber. Beide verbindet eine frühere, nahe Bekanntschaft zur Preisausschreibenden und beide waren daran beteiligt, dass diese nun keine Beine mehr besitzt. Die zumeist in schwarz-weiß gehaltene Geschichte besticht durch des Regisseurs filmhistorische Anspielungen und modernen, aber altwirkenden Filmtechnikfähigkeiten und ist nicht nur Freunden des Experimentalfilms an Herz zu legen. bb
Alt hilft jung
„Vitus“ von Fredi M. Murer Die Schweiz hat es gut getroffen mit Bruno Ganz. Der eidgenössiche Darsteller setzt den filmischen Kleinstaat auf die Weltkarte und springt zwischen deutschsprachigen Werken wie Oliver Hirschbiegels „Der Untergang“ und den drei Zusammenarbeiten mit Wim Wenders (u.a. „Der Himmel über Berlin“) und Nebenrollen in Hollywoodstreifen („Der Manchurian Kandidat“) hin und her. Seinen geografischen Ursprung vernächlässigte er in den fünf Jahr-
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Wenn der Enkel mit dem Opa ...
zehnten Schaffenszeit aber nie. Das moderne Märchen „Vitus“ wertet Ganz als Großvater der titelgebenden Hauptfigur auf. Fredi M. Murers Kleinod hätte aber auch ohne diesen Ausnahmeschauspieler seine verdiente Aufmerksamkeit bekommen. Erzählt wird die Geschichte des begabten zwölfjährigen Klavierspielers Vitus, der nichts anderes möchte, als einfach nur normal zu sein. Dem Leistungsdruck entflieht der Junge während der Besuche beim bodenständigen Vater des eigenes karierrebewußten Vaters. Dieser zeigt Verständniss für den Enkel, ist sein einziger Freund und ehrlicher Gesprächspartner. Vitus möchte nämlich kein Starpianist werden, trickst Lebenswelt aus und nur der Opa ist ungewollt eingeweiht. Ganz in der Rolle des ruhigen Schreiners ist der Fels in der Brandung gegenüber den nur auf Karriereziele versteiften Städtern. Der ausgezeichnete Kinofilm ist nun mit einer der besten Filmdokumentaionen jüngeren Datums im DVD-Format erschienen und überbrückt die Wartezeit bis zu Bruno Ganz´ nächstem Glanzstück: Francis Ford Coppolas „Youth Without Youth“. bb
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DVD
feuilleton
feuilleton
Sprachenspass
„Good Cop Bad Cop“ von Eric Canuel Was normalerweise als Hollywood-Film bezeichnet wird, entsteht meist gar nicht in Kalifornien, sondern außerhalb der USA. Niedrigere Produktionskosten bei gleicher Qualität. Kanada ist neben den ozeanischen und europäischen Staaten, vor allem aber aufgrund der Nachbarschaft ein bevorzugter Drehort. Egal ob Serien („Akte X“, „Prison Break“) oder Kinofilme („X-Men“Trilogie), in Kanada entstanden Traumwelten für das weltweite Publikum, doch die nationale Film- und Fernsehkultur besitzt außerhalb des Landes nur geringe Bedeutung. Zwar werden Filmpreise gewonnen, beispielsweise der Oscar für den besten fremsprachigen Film 2003 für „Die Invasion der Barbaren“ (da in französischer Sprache), doch kommerzielle Erfolge bleiben aus. Mit „Bon Cop, Bad Cop“, wie Eric Canuels Polizisten-Buddy-Movie im Original heißt, liegt nun der wirtschaftlich erfolgreichste kanadische Film in deutschen DVD-Playern. Die Zweisprachigkeit des Landes ist Grundlage
dieses unterhaltsamen Films: Ein Mordopfer befindet sich genau auf der Grenze zwischen dem französischsprachigen Québeck und dem englischsprachigen Ontario. Beide Provinzen stellen jeweils einen Beamten zur Aufklärung des Falles ab. Der Eine überkorrekt, der Andere weicht Regeln schon Mal auf. Der Reiz der ungleichen Ermittler macht sich aber erst in der zweisprachigen Originalfassung bemerkbar, denn die rein deutsche Tonspur lässt viele Witze verblassen. bb
Beide können sich verständigen
Emilio wer?
Die kurze Halbwertszeit des Emilio Estevez begann als Billy the Kid mit „Achtziger-Jahre-Habitus“ (Young Guns I & II) und endete mit überflüssigen Disney Sportfilm-Gurken (Mighty Ducks 3). Als kurzlebiges Filmsternchen ist er schon lange von Hollywoods Firmament verschwunden. Umso erstaunlicher mutet es da an, was für eine monströse Anhäufung von aufstrebenden Jung- und verglühenden Alt-Stars Estevez jetzt für sein Ensembledrama „Βobby“ zusammengetrommelt hat (unter anderem Shia LaBeouf, Ashton Kutcher, Helen Hunt, Anthony Hopkins). Dermaßen personell gut ausgestattet, lässt Estevez eine ganze Reihe amerikanischer Archetypen der späten 60er Jahre im Hotel Ambassador aufmarschieren, in dessen Küche Robert „Bobby“ Kennedy am 6. 6. 1968 erschossen wurde. Dabei verspinnen sich deren fiktive Schicksale im Laufe des Films mit dem historischen des angehenden Präsidentschaftskandidaten. Politische Hintergründe streift Estevez dabei allenfalls am Rande und bemüht sich stattdessen um eine Momentaufnahme
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feuilleton
der amerikanischen Gesellschaft von 1968. Vietnam, Drogen, vergänglicher Ruhm und nicht zuletzt Rassismus sind dabei wiederkehrende Themen. Bei der amerikanischen Kritik und den gängigen Preisverleihungen fiel „Bobby“ weitestgehend durch. Erstaunlich, denn Estevez hat ein zwar stilles – aber durchweg eindringliches – und bis in die letzte Rolle traumhaft besetztes Sittengemälde geschaffen. jk
Martin Sheens Sohn (rechts)
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Foto: b-ware! media, Schwarz Weiss Filmverleih, Alamode Film, Kinowelt Home Entertainment
„Bobby“ von Emilio Estevez
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KINO
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Der Himmel auf Erden „Der Sternwanderer“ von Matthew Vaughn
Millionenfach stehen sie am Himmel, tausende Kilometer voneinander entfernt und haben eines gemeinsam – sie leuchten. Die faszinierende und verzaubernde Wirkung der Sterne führte nicht selten zu Liebesgelöbnissen wie: „Ich würde dir die Sterne vom Himmel holen.“. Auch der junge Tristan sieht sich zu diesem Liebesbeweis verpflichtet. Als ein gewöhnlicher Ladenjunge im Dorf will es ihm nicht gelingen, das Herz desjenigen Mädchens zu erobern, in das er sich unglücklich verliebt hat. Eine gefallene Sternschnuppe schenkt ihm jedoch die Möglichkeit seinen Schwur in die Tat umzusetzen und ihre Liebe zu gewinnen. Um den Stern zu finden muss er sich in das Land begeben, dass seit Jahrhunderten auf der anderen Seite der Mauer, getrennt von seinem Dorf Wall, liegt. Naiv und ahnungslos betritt er somit das Königreich Stormhold, ein Ort des Phantastischen und Magischen. Schnell stellt sich heraus, dass jedoch nicht nur er an der Seltenheit und Kostbarkeit
des gefallenen Gestirns ein Interesse hat. Ein unvermutetes Abenteuer entwickelt sich aus der Suche Tristans, dass er rigoros mit dem Stern, in der Gestalt eines schönen Mädchens an seiner Seite, bestreitet. Inmitten der Verfolgungsjagd gewinnt der junge Tristan an Reife und Charakter und interessante Einblicke in die Gedankenwelt eines Sternes werden aufgezeigt. Basierend auf dem Roman des bri-
Ein Stern ist vom Himmel gefallen
tischen Fantasyautors Neil Gaiman erwartet den Zuschauer nach allen Regeln der Kunst eine märchenhafte Handlung mit allen charakteristischen Ingredienzien: dem Familienzerwüfnis, dem Bösen, dem vorbestimmten Schicksal und selbstverständlich der Liebe. Die Rollenbesetzung mit vielen bekannten Gesichtern wie Claire Danes, Michelle Pfeiffer und Robert De Niro, hebt das Märchen unter seinesgleichen hervor. Eine außerordentlich kreativ-gestalterische Leistung und eine stimmige Umsetzung des Romans kann dem Regisseur Matthew Vaughn zugeschrieben werden, der mit diesem Film erst zum zweiten Mal eine Kinoproduktion verwirklichte. Jeder, der das Träumen nicht verlernt hat und der Phantasie keine Grenzen setzt, sollte sich mit auf die Suche nach dem Stern begeben und sich an den reichhaltigen amüsierenden Szenen und Dialogen sowie der zauberhaften Gestaltung des Filmes erfreuen. cb
„Erwirb es, um es zu besitzen ...“ „Von Löwen und Lämmern“ von Robert Redford
Was ist Freiheit? – Nur eine Floskel, die sich eine selbsternannte Weltmacht auf die Fahnen geschrieben hat, um gegen all diejenigen vorzugehen, die sich diesem vermeintlichen Ideal in den Weg stellen. – So möchte man nach über sechs Jahren „War on Terror“ ermüdet resümieren. Man hat sich mit einer Passivität gegenüber diesem Szenario abgefunden, das wohl mit oder ohne eigenes Engagement nicht aus seinen Teufelskreisläufen heraustreten wird. Vor diese Weltsicht aus Apathie und Zynismus sieht sich der Politik-Professor Malley (Robert Redford) gestellt, wenn er in die Gesichter seiner Studenten blickt.
Streep, Redford und Cruise vereint
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In einem von ihnen, Todd (Andrew Garfield), erkennt er jedoch das Potential, die gegebenen Dinge kritisch zu hinterfragen. Gleichzeitig sieht er aber auch die zunehmende Hinwendung zum „leichten Leben“, die ihm der materielle Hintergrund des Elternhauses ermöglicht. Damit steht er im Kontrast zu zwei ehemaligen Kommilitonen: Arian (Derek Luke) und Ernest (Michael Peña) hatten sich als „Ghetto-Kids“ ihren Studienplatz hart erkämpft. Sie sahen jedoch in der rein verbalen Vermittlung ihrer Ideale keinen Sinn mehr und meldeten sich zu einem Militäreinsatz in Afghanistan. Ihr verzweifelter Überlebenskampf auf einem verschneiten Bergplateau ist das Resultat einer „neuen Strategie“ der Kriegsführung, die der US-Senator Jasper Irving (Tom Cruise) der Journalistin Janine Roth (Meryl Streep) in einem Exklusivinterview präsentiert. In einem rhetorischen Katz-und-MausSpiel wird nicht nur deutlich, dass der beste Weg des Vergessens der unreflektierte Blick nach vorn ist, sondern auch, dass das faktische Scheitern Clausewitzscher Theorien am anderen Ende der Welt keinen Einfluss
auf die Entscheidungsfindung und deren Publikation haben muss. Redfords siebente Regiearbeit besticht formal durch die Quasi-Echtzeit der drei parallel laufenden Handlungsstränge. Auch wenn der Passionsweg der beiden Soldaten von übertriebenem Heroismus gekennzeichnet ist, fügt er sich rhythmisch akzentuierend in die statischen Büroszenarien ein. Dem von Tom Cruise perfekt verkörperten, apollinisch kaltem Fassadenglanz stehen die anderen fünf Protagonisten in nichts nach: Sie reflektieren eine Gesellschaft, die vor der Gefahr steht, von Innen zu implodieren. Wer intellektuell herabblickend meint, dieser Film sei nur als „Moralkeule“ für kalifornische Sunnyboys gedacht, sollte an den Balken im eigenen Auge ermahnt werden und sich bewusst machen, dass das, was wir „Freiheit“ nennen (auch die des Wortes), ein geerbtes Gut ist – ein Erbe, das nicht permanent „aus sich heraus“ zur Verfügung steht, sondern immer wieder neu erstrebt werden muss: Wenn die Feder dem Schwert wirklich überlegen ist, dann gilt es, sie konstruktiv zu nutzen! aha
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KINO
feuilleton
Ist das Schicksal beeinflussbar?
Foto: Universal Pictures International; Metro-Goldwyn-Mayer Studios Inc. und 20th Century Fox; Sony Pictures, Pandora Film
„Die Vorahnung“ von Mennan Yapo
Linda Hanson (Sandra Bullock) besitzt eigentlich alles, was zu einem perfekten Leben gehört: einen Mann, den sie liebt, zwei wunderbare Töchter und ein eigenes Haus. Doch dieses nahezu perfekte Leben wird jäh unterbrochen, als ein Polizist ihr mitteilt, dass ihr Mann Jim (der aus „Nip Tuck“ bekannte Julian McMahon) bei einem Autounfall ums Leben kam. Als dann der nächste Morgen anbricht sieht sie, wie Jim mit einem Kaffee in der Küche sitzt. Stopp! War er nicht tot? Ok, war alles nur ein böser Traum, denkt sich Linda, doch was sie zunächst als solchen abhaken will, tritt am nächsten Morgen wieder in den Vordergrund, da Trauergäste im Wohnzimmer auf sie warten. Was geht hier vor? Die Story basiert darauf, dass Linda in zwei Realitäten lebt, die sich darin unterscheiden, dass Jim zum einen (noch) lebt und zum anderen schon unter der Erde liegt. Jedoch ist nur sie diejenige, die das ganze Geschehen wahrnimmt.
Auf der Straße nach Süden wird sie keine Wunderfrau: Sandra Bullock
Der deutsch-türkische Regisseur Mennan Yapo versucht sich in seinem US-Debüt an einem Psycho-Thriller. Grundlegend in diesem Film ist die unstrukturierte Erzählweise, die zunächst für ein Tohuwabohu sorgt. Dennoch erkennt man schnell das Muster, in dem man bestimmte Ereignisse bestimmten Tagen zuordnet, bis zu jenem zentralen Vorfall. Innerhalb dieser zerstückelten Wo-
che stellt Linda dann fest, wie sehr sich das Ehepaar auseinandergelebt hat. Nach Jims Tod erfährt sie auch, dass er sie mit einer Arbeitskollegin betrügen wollte. Letztendlich stellt Linda sich die Frage, soll sie ihn sterben lassen, da die schöne Fassade der Ehe trügt oder soll sie doch an die Liebe glauben und Hoffnung darin legen, dass es nie zu spät ist? ar
Der Tod und die heilende Fremde „Auf der anderen Seite“ von Fatih Akin
Irgendwo in Bremen. Der Witwer Ali Aksu (Tuncel Kurtiz) überredet die ebenfalls türkische Prostituierte Yeter (Nursel Köse) bei ihm und seinem Sohn Nejat zu leben. Er ist ein einsamer alter Mann, unsympathisch und ein bisschen eklig. Geprägt von den sozialen Strukturen des Heimatlandes und Alkoholismus macht er sich die unabhängige Frau Untertan. In einem Streit erschlägt er sie unvermittelt. Hier beginnt Nejats (Baki Davrak) Geschichte. Er macht sich auf den Weg in die Türkei, um Yeters verschollene Tochter Ayten (Nurgül Yesilçay) zu suchen. Doch er wird nicht sie, sondern sich selbst finden. Nach „Gegen die Wand“ ist „Auf der anderen Seite“ der zweite Teil von Fatih Akins Trilogie „Liebe, Tod und Teufel“. Ein Film, der zeigt, wie die Tragik des Todes eine verbindende Kraft sein kann, die es erlaubt, dass Menschen einander neu begegnen. Denn während in Deutschland Gewerkschaften protestieren, werden auf der anderen Seite in der Türkei politische Widerstandskämpfer gezeigt, die für die verschiedensten Ziele demonstrieren und dafür ins Gefängnis gehen. Unter ihnen auch
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feuilleton
Ayten, die vor der türkischen Staatsgewalt illegal nach Hamburg flüchtet und in das Leben der Studentin Lotte Staub (Patrycia Ziolkowska) und ihrer Mutter (grandios: Hanna Schygulla) tritt. Das Eindringen des fremden Mädchens wird von der Mutter misstrauisch beobachtet, nicht fremdenfeindlich aber liebevoll besorgt. Eigentlich beginnt „Auf der anderen Seite“ erst jetzt. Denn die bis dahin wenig spannende und emotional belanglose Geschichte über zwei verschiedene Welten erreicht den Zuschauer nicht. Die männlichen Figuren werden nicht tief genug eingeführt. Deren Darsteller können im Spiel nicht überzeugen. Mit der Einführung des zweiten Handlungsstranges, schafft es Fatih Akin dann aber doch noch seine Botschaft zu vermitteln. Denn als Ayten abgeschoben wird und in der Türkei ihre Gefängnisstrafe antritt, folgt ihr Lotte, um für ihre Freilassung zu kämpfen. Durch Zufall wohnt sie bei Nejat zur Untermiete, der eine kleine Buchhandlung in Istanbul gekauft hat. Der Ausflug nach Istanbul endet für Lotte tragisch tödlich. Zu spät erkennt die Mutter ihre eigene Ju-
gend in der nun verstorbenen Tochter, entschließt in innerer Zerrissenheit den Kampf um Aytens Freilassung fortzuführen. Wenig Eleganz, eine einfühlsam ruhige Kameraführung, türkische Musik und welterklärende Sätze („Alt werden ist böse und sinnlos.“) prägen diesen Film, der so sehr von seinen weiblichen Hauptdarstellern lebt. Sie geben ihm seine Emotionalität, seine Glaubwürdigkeit und seine Stärke. sb
Lotte und Ayten
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THEATER
feuilleton
In Vino Veritas
Gaetoano Donzettis komische Oper „Der Liebestrank“ In einem Gasthaus treffen sich die Leute einer italienischen Kleinstadt. Unter ihnen der schüchterne Nemorino (N. Sawabu), der sich in Adina (E. Resch) verliebt hat, nur leider von ihr und allen anderen Damen wegen seiner Liebe verhöhnt wird. Dann erscheint auch noch der stattliche Offizier Belcore (B. Rothfuss), macht Adina den Hof und drängt sie zur Heirat. Letzter Ausweg scheint Nemorino ein Liebestrank zu sein, den er vom Wunderdoktor Doktor Dulcamara (B. Leube) zu bekommen hofft. Die komische Oper „Der Liebestrank“, die ihre Uraufführung Anfang des 19. Jahrunderts hatte, wird vom Theater Vorpommern in die 1970er Jahre versetzt. Die unkonventionelle Kostümwahl, die im Stammpublikum des Theaters nostalgische Gefühle wecken könnte, trifft die Charaktere der Hauptfiguren perfekt. Statt pompöser Klassik erinnert die Aufführung eher an ein Musical, allen voran Dulcamara. Er ist John Travolta mit den Moves aus Saturday Nightfever aber der Coolness aus Pulp Fiction. Die Inszenierung nimmt der Oper die Schwere, sie erdrückt nicht sondern unterhält.
Komisch: Dr. Dulcamara
Obwohl die amüsant stereotypen Rollen durchgehalten werden, lässt die Spannung zum Ende des ersten Aktes deutlich nach. Doch der leicht beschwingte und wiederum komische zweite Akt machen dies schnell vergessen. Die Gesangsleistungen
der Solisten überzeugen. Dem Orchester hat Donizetti eine klare Begleitfunktion zugewiesen und der Gesang rückt in den Mittelpunkt. Die auffällig vielen Arien werden in weiten Teilen nur durch Akkorde und Untermalungen instrumental unterstützt. So spiegelt sich der unbeschwerte Ton der Handlung in der einfachen Liedform und den leichten Melodien dieser Arien wider. Leider ist die Artikulation der Gesangsdarbietungen, vor allem im Chor, häufig sehr schwach, ein Folgen der Handlung ist ohne Vorkenntnisse nicht möglich. Nur dank der schauspielerischen Leistungen wird deutlich, dass der vermeintliche Liebestrank, den der geschäftstüchtige Dulcamara an Nemorino verkauft, nur eine Flasche Rotwein ist. Doch der Wein tut seine Wirkung, Nemorino verliert seine Scheu und weckt Adinas Neugier. Die moderne Inszenierung harmonisiert mit der Leichtigkeit von Donizettis „opera buffa“. Nette Details, wie ein sehr überzeugend dargestellter Alkoholiker oder ein Tortenheberduell, machen ihren Charme aus. sb
Macht Kitsch neurotisch?
Anni lebt in einer trivialen Welt. Mit seinen Romanen über die reiche, schöne und letzten Endes auch noch adlige Misery gelingt es Paul Sheldon Frauen wie Anni, in deren Leben etliches schief gelaufen ist, Perspektiven und Hoffnung zu geben. Dieser von ihm entworfenen Kitschwelt steht er selbst mit purem Zynismus gegenüber – für ihn ist das nur Geld und Oberfläche. Was für ein Glück für Anni, als sie den verunglückten Paul aus seinem Autowrack zieht. Von nun an hütet sie nicht nur die Welt der Misery in ihrer Seele. Auch den schwer verletzten Paul hütet sie wie ein Geheimnis, fernab jeglicher Zivilisation. Als sie erkennen muss, dass Paul nicht so ist, wie seine Bücher suggerieren, bricht für sie eine Welt zusammen, die sie versucht mit allen Mitteln aufrecht zu erhalten. Ein seltsames Unterfangen, bei dem Anni seelisch von Paul abhängig ist und er wiederum von ihr körperlich. Hier haben wir den klassischen Plot des wechselseitigen ausgeliefert Seins.
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Dem Regisseur Tobias Sosinka lag bei der dramatischen Umsetzung des Stephen King Romans „Sie“ vor allem daran, „die Geschichte hinter der Geschichte“ zu finden. Und so überrascht es nicht, dass man im Theaterstück neuen Sinngehalten gegenüber steht, die man in Kings Roman und der Verfilmung von Rob Reiner verge-
Schreibblockade
bens sucht. Paul Sheldon alias Jan Bernhard ist eine so professionelle Egomaschine, dass die Moral am Ende mit der Erkenntnis siegt, dass Egomanie zum Himmel stinkt. Und Anni Wilkes, gespielt von Sabine Kozur zeigt uns wie beseelend und psychopathisch Wutanfälle sein können. Außerdem ist es schön zu sehen, dass die Darsteller trotz der augenscheinlichen Nähe zum Film in ihren Rollen etwas verkörpern, was einen Tick anders ist und somit auch die Message beeinflusst. Dramaturgisch wurde ebenfalls gute Arbeit geleistet, ab und zu fühlt man sich wie in einem ein bisschen zu lautem Melodram, doch der Lärm hat Methode. Die zwei können nicht zusammen finden. Es gibt keinen Austausch zwischen den Welten, keine Annäherung. Nur einen eiskalt berechnenden Paul, der einem Leid tut wenn seine Knochen knacken und eine psychopathische Anni, die keine notwendige Fürsorge bekommt. sar
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Foto: Theater Vorpommern/Vincent Leifer (3)
Kings Roman, Reiners Film, Sosinkas Stück: Der „Misery“-Kult
THEATER
feuilleton
Keine Macht den Drogen Theater versucht den „Big Deal“ und scheitert
Der Süchtige und die ehemalige Konsumentin, jetzige Drogenberaterin
„Ich habe keinen Bock hier zu sein“, sagt Trent Dolin. Trotzig schaut der 16-jährige Alex de Gruijter an und rückt seinen Hut zurecht. „Setz’ dich erstmal“, antwortet die Drogenberaterin. Der straffällige Jugendliche folgt der Aufforderung nur widerwillig. Als er sitzt, beginnt ein Gespräch über Drogenkonsum, Familie und schulische Leistungen. Der Schüler und die Drogenberaterin finden einen Draht zueinander. Sie diskutieren offen über das Für und Wider von Drogenkonsum. Das vertrauliche Ge-
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feuilleton
spräch wird jedoch von Trents Vater Jeff jäh unterbrochen und ein Streit eskaliert. David S. Craig setzt sich in seinem Stück „Big Deal?“ mit den Ursachen und Gefahren des Drogenmissbrauchs von Jugendlichen auseinander. Drei Personen, die unterschiedlicher nicht sein können, lässt der kanadische Schriftsteller und Regisseur aufeinander treffen. Trent gehört der Generation kiffender Jugendlicher an, die in den Tag hinein leben. Sein Vater Jeff entspricht hingegen dem typischen Bild eines leistungsorien-
tierten und zielstrebigen Geschäftsmannes, der die Zukunft seines Sohnes gesichert sehen will. Die junge Drogenberaterin Alex blickt auf eigene Erfahrungen mit Drogen zurück und bringt dem impulsiven Trent Verständnis entgegen. „Niemand soll hier verändert oder belehrt werden“, sagt David S. Craig über sein Werk. Zwar wird in der Aufführung tatsächlich auf den ausgestreckten Zeigefinger verzichtet, doch ist das Spiel mit den Stereotypen recht durchschaubar. Der Sohn ist straffällig, der Vater egoistisch und die Drogenberaterin leicht überfordert. Zu eindimensional sind die Figuren, denen Ecken und Kanten fehlen. Auch sind die Konflikte zwischen den drei Akteuren sehr simpel. Schwarz und weiß wird gemalt. Grautöne bleiben unerwähnt. Keine der Figuren weicht von ihrem Standpunkt ab. Insgesamt fehlt dem Geschehen auf der Bühne ein zündender Gedanke. Die Diskussion zwischen den drei Beteiligten bleibt ergebnislos und vor allem ereignisarm. Und so kann der Zuschauer Trent nur zustimmen, wenn er sagt: „Ich habe keinen Bock hier zu sein.“ grip ANZEIGE
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CD
feuilleton
Subsystem Storyteller Walfänger Serj Tankian
John Vanderslice
The Checks
Letztes Jahr kündigten „System Of A Down“ eine längere Schaffenspause an. Serj Tankian, der Sänger, stellt uns nun ein Exposé seiner Songwriter-Qualitäten vor. Eine Angelegenheit, die Spannung verspricht. Bisher waren fast ausschließlich die musikalischen Geniestreiche von „System“-Administrator Daron Malakian zu hören. Nach den zwölf Songs von „Elect The Dead“ wissen wir weshalb. Tankian misslingt es, seine Band im Alleingang zu kopieren, unbeschadet dem oberflächlichem Höreindruck, dass da eine neue System-Scheibe abspielt. Aber: Die Songs sind etwa so crazy wie Wettkampfergebnisse beim internationalen Frauenrodeln. Die abrupten Wechsel zwischen schnell/langsam/laut/leise sind nicht allein die Geheimzutat in der SOAD-Küche. Einfallslos – im „System“-Maßstab – dudeln die von Tankian fabrizierten Hook-Lines der Refrainmelodien. Gitarrentechnisch macht der Vergleich ebenso wenig Spaß: Powerchords von der Stange. Die Texte stehen wie gewohnt dem rhetorischen Feinschliff einer spontanen Bushrede in nichts nach. Wenigstens der Standpunkt stimmt: „I believe that you‘re wrong - Insinuating they hold the bomb - Clearing the way for the oil brigade.“ Das erste Album-Drittel ist ausschließlich mit derartigen politischen Liedern ausgestattet, danach werden Beziehungen zur Sprache gebracht. Der letzte Versuch, doch noch zu überraschen, scheitert mit „Praise The Lord And Pass“ an Überlänge und Unausgegorenheit. In Anbetracht dieser System-Of-A-DownFor-The-Poor-Performance sollte unser Geld eventuell für die nächste Partie Tankian/Malakian gespart bleiben. bert
In „Emerald City“ wohnt der Zauberer von Oz, der der kleinen Dorothy in der gleichnamigen Erzählung helfen soll, wieder nach Hause zu finden. „Emerald City“ ist aber auch das mittlerweile sechste Studioalbum in sieben Jahren, das der fleißige Amerikaner John Vanderslice herausbringt und sich in seinem Fall auch eher auf die „grüne Zone“ in Bagdad bezieht als auf eine erdachte Zaubererstadt. Auf den ersten Blick scheinen da also nicht viele Parallelen zwischen diesen beiden zu existieren. Auf den zweiten Blick merkt man allerdings, was John Vanderslice und der Buchautor Lyman Baum gemeinsam haben: Eine wunderbare Gabe, Geschichten zu erzählen. Die neun regulären sowie die zwei Bonustitel der CD sind in sich abgeschlossene, wundervolle Geschichten des Lebens. Sie erzählen von wahren („Central Booking“) und fiktionalen („The Tower“) Begebenheiten rund um die Liebe und die manchmal dazugehörige Wut, Einsamkeit und Verwundbarkeit. Nicht nur wegen dieser Thematik sind sie alle unheimlich persönlich und ehrlich. Obwohl das Album fast ausschließlich live in Johns eigenem Studio „Tiny Telephone“ eingespielt wurde, scheint jede Note des Albums präzise und penibel erdacht und in einer fast zu korrekten Weise eingespielt worden zu sein. John Vanderslice wird nicht umsonst nachgesagt, er sei ein Perfektionist und nicht umsonst stritt er dies bisher auch nie ab. Mit jedem neuen Album entwickelt John Vanderslice mehr und mehr seinen eigenen Stil heraus und schafft es jedes Mal, sich ein wenig neu zu erfinden.
Mit einem kräftigen Tusch beginnt „Hunting Whales“ und genauso vibrierend und kraftvoll geht es die nächsten 35 Minuten weiter. Was The Checks hier präsentieren ist feinster Rock ganz im Stile alter Herren wie den Stones, T. Rex und AC/DC, gepaart mit modernen Elementen, wie man sie von The Strokes oder den neuseeländischen Kollegen von The Datsuns kennt, zusammengepresst mit einer großen Prise Selbstbewusstsein. Dabei wird einem beim ersten Hinhören eigentlich gar nicht bewusst, das dort ein Haufen 20jähriger mit anscheinend gesundem jugendlichen Leichtsinn am Werk ist. Denn gleich nach dem ersten Gitarrenriff setzt die unheimlich reif klingende, markante Rockröhre von Ed Knowles ein. Auch die Riffs und Melodien der talentierten Mitstreiter klingen eher so, als hätte die Band schon zwanzig Jahre Bühnenerfahrung hinter sich. Die Songs der Neuseeländer variieren zwischen krachig laut („Take Me There“ und „What you heard“), rockig einfühlsam („Tired from sleeping“) und herzzerreißend melodisch („See me Peter“ und „Memory Walking“). In den elf Liedern geht es klassisch ganz rock’n’roll-like um Liebe und das raue Leben. Wer eher dem alten frönt, dem wird „Hunting Whales“ gefallen. Als kleine Anmerkung zum Schluss muss erwähnt werden, dass die Jungs mit dem Titel des Albums natürlich nicht Partei für den Walfang betreiben wollen, sondern sie wollen damit eher nur das ständige Streben nach einem kaum zu erreichenden Ziel ausdrücken. Man kann viel über die Band sagen, aber dass sie besonders politisch wären, gehört nicht dazu. Esther Müller-Reichenwallner – radio 98eins
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Esther Müller-Reichenwallner – radio 98eins
moritz #66
CD
feuilleton
Repeat
2x Junge Die Ärzte
Donnacha Costello
Ziemlich schnell tritt er auf: der Rockeffekt. Schon das zweite Lied schlägt ein. „Fake It“ prägt sich ein, lässt die Zehen jucken und lädt im Zweifelsfall zum Aggressionsabbau ein. Die Stimme von Frontmann Shaun Morgan ist dabei nicht einzigartig, ein wenig rau und wie der Song „Like Suicide“ zeigt, auch zum Schreien zu gebrauchen. Die Anleihen an metallischen Elementen treten aber nicht in den Vordergrund. Neben schnelleren Rhythmen gibt es auch ruhigere Klänge auf der Scheibe. So ruhig sich eine RockMetall-Alternative-Band eben geben kann. Denn diese Jungs wollen in voller Lautstärke aus den Boxen dröhnen. Die Wiege der speziellen Truppe liegt in Südafrika im Jahr 1999. Dort gründeten Shaun Morgan und Dale Stewart gemeinsam mit Dave Cohoe eine Band. Nach einem Album, welches nur in Südafrika erhältlich ist, wanderten Shaun und Dale in die USA aus, fanden John Humphrey und nannten sich fortan Seether. Jetzt haben sie mit „Finding Beauty In Negative Spaces“ ihr fünftes Album veröffentlicht. Das ist mit zwölf Songs bespickt, von denen keiner kürzer als drei Minuten ist. Der längste Song dauert 7 Minuten und fünf Sekunden. Langatmig kommt dieser deswegen nicht daher. Das kann aber auch daran liegen, dass die Melodien generell einfach und wenig voneinander zu unterscheiden sind. Die Liedübergänge gehen nicht direkt vom Gehörgang ins Gehirn. Noch bevor alle Songs abgespielt sind, reicht es auch schon. Trotzdem: Zwei bis drei Lieder lohnen: Einfach zurücklehnen, die Wiederholungstaste gedrückt halten, mit dem Kopf wackeln und ein bisschen ausflippen. mt
Entweder liebt oder hasst man sie, war mal Fan oder sie lassen einfach kalt. Doch das neue Album „ Jazz ist anders“ von den Ärzten ist durchaus hörenswert. Diese Scheibe unterscheidet sich musikalisch vom letzten Studioalbum „Geräusch“ von 2004. Insgesamt überraschen Elemente aus Reggae, Ska und Funk sowie die ungewöhnlich melancholischen und nachdenklichen Texte. Auf der CD befinden sich 16 (plus drei) Lieder, die alle ärztetypischen Bereiche abdecken: Liebe und Beziehung, wie der überragende Song „Deine Freundin (wäre mir zu anstrengend)“, das Leben und Belas Vampirdasein. Auch die gewohnt intelligente Selbstironie, die geringe Anzahl und Variation von Akkorden sind weiterhin Bestandteile ihrer Musik. Das Cover ist ebenfalls auffallend anders: Ein korpulenter, grinsender Pizzabäcker, ein neuer Schriftzug, psychedelisch anmutende grüne und rote Streifen. Bei diesem Album, welches je nach Zählweise das 20. in der 26-jährigen Bandgeschichte ist, hat man das Gefühl, dass Die Ärzte wieder Spaß am Musikmachen haben. „Jazz ist anders“ ist auf Grund der bewährten Mischung aus Experimentierfreude, Witz, bekannten Themen und ohrwurmverdächtigen Songs gelungen und kann begeistern, auch wenn man nicht mehr 16 ist. cf
Donnacha Costello begann seine Karriere 1996 mit den ersten eigenen Veröffentlichungen bei den Plattenfirmen „Force Inc“ und „Mille Plateaux“. Im Jahr 1999 gründete der gebürtige Ire sein eigenes Label „minimise“, auf dem er drei Jahre später seinen großen Durchbruch hatte. Die „colorseries“ ist eine Reihe von zehn Platten, die Costello im Jahre 2004 veröffentlicht hat. Jedes einzelne Werk repräsentiert eine Farbe, die er klanglich darstellt. Dabei gelingt es ihm, jedem Song eine bestimmte Stimmung zu geben, die einen entweder zum Tanzen verleiten oder in einen Trancezustand versetzen. „Orange“ ist ein sehr warmer und verspielter Song, der durch seine Leichtigkeit besticht und sofort fröhlich stimmt. „Cacoa“ gibt es in zwei Variationen auf dieser CD. Beide sind extrem dunkel und wirken nachdenklich. Für die Produktion dieser Songs benutzte Costello nur analoge Instrumente und verzichtete auf Computer. Zum ersten Mal erscheinen diese bekannten Werke nun digital remastered als „Best Of“ und enthalten auch bisher unveröffentlichte Kompositionen. Marc Tanzmann ANZEIGE
Seether
moritz #66
feuilleton
Farben
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M. TRIFFT... PICKO
schluss
ert. Bin aber auch hierhin und mal dorthin gefahren, so wie es mir halt gepasst hat. moritz: Hattest Du damals schon Hunde? Picko: Ja, ich bin damals mit acht Hunden von Chemnitz losgefahren.
moritz: Wie nennst Du Dich? Picko: Also mein Spitzname ist Picko – mit ck bitte. moritz: Was isst Du am liebsten? Picko: Am liebsten Fleisch: Schweinshaxe, Broiler, Sauohren. moritz: Wie heißt Dein Hund? Picko: Struppi. moritz: Welche Musik hörst Du? Picko: Ich höre nur Punkrock. moritz: Welche Bands kannst Du empfehlen? Picko: Naja, schwer zu sagen. Troopers, einfach die Troopers. moritz: Dein Lieblingsplatz in Greifswald? Picko: Wieck, die Stelle am Fernrohr, ich bin halt eher so der romantische Typ. moritz: Da gibt es doch viel romantischere Flecken auf der Erde... Picko: Ach... ich war auch schon in Spanien und bin nach Frankreich getrampt. moritz: Wegen dem Fernweh? Picko: Hm... ja auch, ist halt warm da. moritz: Bist Du hier groß geworden? Picko: Nö, ich bin in Potsdam geboren. Ich mag das Großstadtleben nicht so. moritz: Wie kam es, dass Du letztendlich in Greifswald gelandet bist? Picko: Ich bin damals in Chemnitz mit dem Fahrrad losgefahren und hier angekommen. Das hat so ein Dreiviertel Jahr gedau-
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moritz: Fühlst Du Dich mit der Punkgeneration der Siebziger Jahre verbunden? Picko: Ja und Nein. Ich lebe mein Punk. Da gibt es keine vorgeschriebene Art, zu leben.
moritz: Und wie navigiert man die dann, die vielen Hunde? Picko: Die sind alle nebenher gelaufen, waren eben gut erzogen.
moritz: Was unterscheidet Dein Leben von anderen? Picko: Auf alle Fälle unterscheide ich mich... Ich habe die ganze Chaos-Seite mitgemacht, früher war ich auch richtig mit dabei... Vor kurzem war ich noch beim G8-Gipfel.
moritz: Erinnerst Du Dich an ihre Namen? Picko: Hm... Tristan, Odin, Bolleck, Gottfried, Chajen, Susi, Viviett... und hm, einer fehlt, is schon lang her.
moritz: Haben sie Dich da festgenommen? Picko: Ja.
moritz: Hast Du eine Familie? Picko: Ja, ich habe zwei Kinder. Zehn Monate und vier Jahre alt.
moritz: Morgenmuffel oder Frühaufsteher? Picko: Hm... schwierige Frage. Frühaufsteher nur, wenn ich muss, wenn ich zur Arbeit muss.
moritz: Was hältst Du vom klassischen Familienkonzept mit eigenem Haus und so weiter? Picko: Hm ja, irgendwann mal aber zuvor muss man noch was machen. Hab jetzt ein Boot, dass ich noch bauen muss und dann sehen wir mal, wo es uns hinbringt. moritz: Kannst Du Dir vorstellen, irgendwann doch sesshaft zu werden? Picko: Na klar, auf alle Fälle. Allein schon wegen den Kindern. Ich hatte mal ein Haus. Das hab ich dann verschenkt. Ja, jetzt könnte ich es gebrauchen aber ich bin nicht so der Sesshafte. Ich muss dann immer wieder losziehen. moritz: Auf welche Probleme stößt Du? Picko: Da gibt’s kaum Probleme. Greifswald ist relativ tolerant, ist halt ne Studentenstadt, offen für alles Neue. moritz: Gehörst Du zu den Punks am Fischmarkt? Picko: Ja. moritz: Die sehen alle so jung aus... Was sind das für Leute? Picko: Schüler bis hin in Ausbildung Befindliche. Also ein kompletter Mischmasch, ich bin so der einzige alte Hase dazwischen. moritz: Fühlst Du Dich wohl in Greifswald? Picko: Jede Stadt ist gleich. Naja, es ist ruhig, chillig, von der Mentalität ist das ganz cool.
moritz: Wo arbeitest Du? Picko: Vormittags Ein-Euro-Job und nachmittags arbeite ich auf einem Schiff und schleife dort Bänke und Tische zwecks winterfest machen. Das hab ich mir selber gesucht. moritz: Wer sind Deine Vorbilder? Picko: Picko. moritz: Warum bist Du meistens hier vor dem Lidl? Picko: Weil ich kein Geld hab, krieg ich ja immer erst am Ende des Monats. Von der Kohle geht ja noch was für anderes drauf. Außerdem war man früher gut dabei. Jetzt mach ich ja nichts mehr seitdem die Kinder da sind. moritz: Lohnt es sich denn? Picko: Och, fürn Essen reichts schon. moritz: Was würdest Du mit einer Million machen? Picko: Ich würde sie für mich arbeiten lassen, mehr kann ich da nicht sagen. moritz: Wenn du drei Wünsche frei hättest... Picko: Meine Ruhe, mehr wünsche ich mir nicht. moritz: Was stört Dich an Greifswald? Picko: Hm ja, dass es sich immer mehr zum Legoland entwickelt, von der Architektur her, alles so bunt. Das Gespräch führte Sara Vogel
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Foto: Sara Vogel
Lebensmitteldiscounterfreund
KAKURO schluss
Das Spiel Die Zahlen in der oberen rechten Ecke eines Kästchens zeigen an, welche Summe die Ziffern in der Reihe von freien Stellen rechts davon haben sollen. Die Zahlen in der unteren linken Ecke beschreiben auf dieselbe Art die senkrechten Stellen darunter. Dabei gelten folgende drei Regeln: 1. Jede Summe darf nur aus den Ziffern von 1 bis 9 bestehen. 2. In jeder Summe darf jede Ziffer nur einmal vorkommen. 3. In jede freie Stelle darf nur eine Ziffer eingetragen werden.
Zum Nichtverlaufen: Ein Reiseführer
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Christian Schröder (Landschaftsökologie) Salome Giesecke (Jura) Alexander Klein (BA KoWi, Bildende Kunst) Herzlichen Glückwunsch!
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Mitmachen
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Gewinner der letzten Ausgabe
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2006 erschien der Band im Hinstorff Verlag. Die kleine Einführungslektüre zur Stadt am Ryck und ihrer Universität hat 112 Seiten und ist für 7,90 € im Greifswalder Buchhandel erhältlich.
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Zu gewinnen gibt es 3x2 Kinokarten für eine Vorführung im CineStar plus je einen Greifswalder Reiseführer. Sende dazu die mit den Pfeilen gekennzeichnete Spalte, deinen Namen und Studiengang an: moritz@uni-greifswald.de Einsendeschluss ist der 25. November 2007. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. ANZEIGE
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