Tagebuch aus der Arbeitsdienst- und Militärzeit von Heinz-Günther Hoffmann

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Tagebuch Tagebuch aus meiner Arbeitsdienstund Milit채rzeit Angefangen am 7.7.1942

Inhaber: Heinz-G체nther Hoffmann Geboren am 5. Mai 1925 in L체neburg -3-


Gotthelf und Günther

Günther und Gotthelf

1935 Elfriedes Verlobung

ta und Chris Günther

Günthers Konfirma tion 1939

Eugen Hoffmann mit seinen Söhnen 1935

Weihnach

ten bei H offmanns

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1935


Vorspann

5. Mai 1925: Heinz-Günther Hoffmann wird geboren

Arbeitsmann Heinz-Günther Hoffmann ab 22. Mai 1942 in Frisoythe in Oldenburg

Am. Hoffmann, ab 3.7.1943 Feldpostnummer 14970 (Oldenburg, Philosophenweg 32)

Am. Hoffmann, ab 5.8.1943 Feldpostnummer 07463 (Wittmundhafen über Aurich / Ostfriesland)

Heinz-Günther Hoffmann, ab 10.8.1943 Lüneburg, Volgerstraße 9

Ab 13. Januar 1944: Grenadier Heinz-Günther Hoffmann, Lübeck, Walderseekaserne 3. Grenadier- und Ausbildungsbataillon 6, Lehrgang OBIV/A

Ab 11. Mai 1944: Grenadier Heinz-Günther Hoffmann, Saarlautern/Saar, Graf-Werder-Kaserne, Heeres-Unteroffiziersschule Saarlautern, 4. Kompanie

Ab 9. Dezember 1944: Grenadier Heinz-Günther Hoffmann, 12. (schwarz) HUS, Saarlautern, FP-Nr. 29416

12. März 1945: Gefallen und auf dem Heldenfriedhof in Seelow, Kreis Lebus, mit militärischen Ehren zur letzten Ruhe gebettet

Laut Nachforschung des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge vom 3.5.2010 befindet sich das Grab auf dem Friedhof in Seelow (Grab 7-2vo-216)

OB=Offiziers-Bewerber, HUS=Heeres-Unteroffiziersschule, FP=Feldpost

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Vorwort „Der Krieg verlangt eben viele Opfer, und es werden noch viele folgen müssen, bis endlich der Sieg von uns errungen ist.“ schreibt Günther auf die Nachricht vom Tod seines Freundes KarlHeinz in seinen beiden letzten Briefen von der Ostfront und „von Ribbentropp hat uns so zuversichtlich zugeredet, so viele Beweise von Deutschlands Stärke gebracht, die ich Euch am liebsten schreiben möchte aber nicht darf …. In einigen Wochen wird eine große Wende eintreten, die den Krieg rasch, aber siegreich zu Ende bringen wird.“ Die Grauen des Krieges waren im Februar/März 1945 nur mit dieser vermeintlichen Zuversicht zu ertragen. Aber auch Dankbarkeit kommt zum Ausdruck: „Ich hoffe auch weiterhin vom lieben Herrgott so gut beschützt zu werden wie bisher. Ich kann mich immer wieder wundern, daß mir garnichts passiert ist.“ Am Schluss des letzten Briefes wird wieder seine große Verbundenheit mit der Familie deutlich: „Für Christas Geburtstag übermittelt ihr bitte meine herzlichsten Glückwünsche, da ich selbst ihre Adresse noch nicht habe.“ In diesem Spannungsfeld zwischen Geborgensein in der Familie, Nazi-Propaganda, Verantwortung als Soldat und Gottvertrauen stand Heinz-Günther Hoffmann.

Familie Hoffmann (vermutlich 1932 fotografiert) im Vordergrund: Gotthelf und Hans sitzend: Mutter Ella Hoffmann, Günther, Hanna, Christa, Vater Eugen Hoffmann stehend: Ellen, Eugen, Ruth, Walter, Elfriede, Paul, Wally

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Vorwort Heinz-Günther Hoffmann wurde als 11. Kind am 5. Mai 1925 in die große Hoffmann-Familie mit insgesamt 12 Kindern hineingeboren. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er im Elternhaus in Lüneburg in der Volgerstraße 9. Er besuchte das Johanneum und wurde mit der Versetzung in die 7. Klasse, also ohne Schulabschluss, entlassen. Er war, wie viele seiner Geschwister, sehr musikalisch und konnte gut Klavier spielen. Als sportlicher junger Mann mit großer Ausstrahlung hatte er viele Freunde und natürlich auch Freundinnen (im Tagebuch hat er Namen und Inhalte über sie, dick durchgestrichen – s. Seite 63 – und damit unleserlich gemacht). Am 7. Juli 1942 nach Eintragung in die Wehrstammrolle begann er sein Tagebuch – in deutscher Schrift mit Bleistift – zu schreiben und berichtete darin über seine Erlebnisse im Arbeitsdienst in Frisoyte und Oldenburg, bei der Rekrutenausbildung in Lübeck und von der Unteroffiziersausbildung in Saarlautern, dem heutigen Saarlouis. Erste Kriegserfahrungen sammelte er an der deutsch-luxemburgischen Grenze. Am 15. Oktober verließ er die Westfront und fuhr quer durch Deutschland nach Lübeck zurück, wo über seinen weiteren Einsatz entschieden werden sollte. Am 24. Oktober begann sein letzter Heimaturlaub in Lüneburg, er endete am 5. November. Dort ließ er das Tagebuch versiegelt zurück. Von Lübeck aus wurde er danach an der Ostfront im Oderbruch eingesetzt. Bei der Rückeroberung des Dorfes Kiez, südlich von Küstrin fand er am 12. März 1945 den Tod. Er wurde auf dem Soldatenfriedhof in Seelow, Kreis Lebus beigesetzt. Zwei seiner Feldpostbriefe, die am Ende des Tagebuches eingefügt wurden, erreichten die Familie noch von der Ostfront; den letzten vom 8. März 1945 erhielten seine Eltern erst nach seinem Tod. Das Tagebuch hatte seine jüngste Schwester Christa Franke, geborene Hoffmann in Verwahrung. Die Kriegswirren aus der Sicht eines jungen Soldaten zu lesen und mitzuerleben, das ist ein eindrucksvolles Zeitdokument. Gleichzeitig beschreibt Günther viele familiäre Ereignisse und hinterlässt uns damit auch ein Stück Familiengeschichte. Uns alle – natürlich besonders Christa – hat das Tagebuch von Günther sehr bewegt. So entstand die Idee, es in eine leicht lesbare Form zu übertragen. Freundlicherweise sorgte Michael Rehr-Hoffmann für das Layout und die Gestaltung des Tagebuches. Er ist mit Ute, der jüngsten Tochter von Walter Hoffmann verheiratet. Damit möchten wir diese wertvollen Erinnerungen den Nachkommen der großen Hoffmann-Familie und sonstigen Interessierten weitergeben. Christa Franke, Anne Ludewig verheiratet mit Jürgen, dem ältesten Sohn von Elfriede Hoffmann und Michael Rehr-Hoffmann -7-


7. Juli 1942

Vormittags zum Wehrbezirkskommando: Eintragung der Personalien in die Wehrstammrolle. Musterung des Geburtsjahrganges 1925 vormittags von ½ 8-13 Uhr. „Kriegsverwendungsfähig“. Leiter des Musterungslokals Max Meyer, Lüneburg, Am Springintgut war Major Gravenhorst. Meldung zur Kriegsmarine. Ich bekam Fragebogen zur Kriegsmarine mit, ließ diese aber unausgefüllt. Ich wurde auch auf Arbeitsdiensttauglichkeit untersucht. 28. August 1942 ( Freitag)

Oktober-November 1942

Viele Wochen nach der Musterung erhielt ich von dem Wehrbezirkskommando, Abteilung Kriegsmarine, neue Fragebogen für Marineoffiziersbewerber zugeschickt und zwar sollte ich diese diesmal ausgefüllt einsenden, und nicht wie vorher verloren gehen lassen. Aber mein Trieb zur Kriegsmarine hatte schon beträchtlich nachgelassen. Ich bekam mehr Interesse für die Infanterie, die Königin der Waffen. Sei es darum, daß ich vielleicht die Seekrankheit fürchtete oder vielleicht die Uniform der Marine nicht mehr leiden mochte, für mich gab es nur noch eins: Infanterie. Oder lieber nun das vielleicht auch noch die Pioniere. Ich ließ also die Papiere von der Marine wieder unausgefüllt. 16. Dezember 1942

Bereithaltungsbefehl für ein Wehrertüchtigungslager in Nordholz (Kreis Wesermünde) durch Einschreiben erhalten. 28. Dezember 1942 (Montag)

Einberufungsbefehl für das Wehrertüchtigungslager in Nordholz vom 10.1.42 -31.1.1942 erhalten. 5. Januar 1943 (Dienstag)

Abmeldung von der Schule für die drei Wochen W.E.-Lager bei Oberstudiendirektor Gade. 9. Januar 1943 (Samstag)

Abmeldung von der Lebensmittelversorgung in Lüneburg. Affenpacken, Fahrkarten lösen (Fahrgeld im Lager zurückerhalten). 10. Januar 1943 (Sonntag)

Morgens 8.54 bis abends 17.30 Uhr Bahnfahrt nach Nordholz. Einkleidung (feldgrau). Aufnahme der Personalien usw. W.E.=Wehrertüchtigungslager

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10. Januar-31. Januar 1943 Wehrertüchtigungslager Nordholz

Reine infanteristische Ausbildung durch Unterführer des Heeres und der Waffen-SS. Lagerleiter ist ein H.J.-Führer (Hauptgefolgschaftsführer Dierking). Die SS-Ausbilder werben unermüdlich für die Waffen-SS, aber sie haben nur wenig Erfolg. – Die Ausbildung besteht hauptsächlich aus Schuß- und Geländekunde. In der Schießlehre diente das HK Gewehr (DS) als Unterrichtsobjekt, weil es dem Gewehr 98 (Karabiner) fast gleich kommt. Sport wurde nur wenig getrieben, bis auf einige Ballspiele und die Sportabnahme für das H.J.-Leistungsabzeichen. Trotz der Wintermonate hatten wir während des Lehrgangs nicht genügend Schnee, denn dem Lager stehen einige hundert Paar Schneeschuhe zur Verfügung. Meine Kameraden waren größtenteils vom Lande, nur wenige Schüler waren dabei. Auch waren die meisten auch jünger als ich, von meinem Jahrgang waren nur noch wenige dabei, und noch von diesen wurden täglich welche vom Lager weg zum Arbeitsdienst geholt. Ich konnte ebensogut mit einer Einberufung rechnen wie die anderen. Der Lehrgang wurde mit der Prüfung für den K-Schein abgeschlossen. Diese besteht aus 2 Schießbedingungen, 10 Fragen aus der Schießlehre, einer theoretischen und einer praktischen Geländeprüfung. Ferner wurde auch das Verhalten des Lehrgangteilnehmers beurteilt und mit bewertet. Ich bestand diese Prüfung mit dem Prädikat „sehr gut“. Weil ich diese Prüfung so erfolgreich bestanden hatte, wurde ich zum Kriegsübungsleiter der Hitler-Jugend vorgeschlagen. Dafür hatte ich noch eine weitere Prüfung abzulegen und zwar hauptsächlich auf dem Gebiet der Lehrtätigkeit. Ich mußte unvorbereitet einen Vortrag aus der Schieß- und Waffenlehre halten. Ich bestand auch diese Prüfung, die durch den Lagerleiter vorgenommen wurde. Als K.Ü.-Leiter habe ich auch die Abnahmeberechtigung für das H.J.-Leistungsabzeichen im Schieß- und Geländedienst erhalten. Der Lehrgang wurde einen Tag eher abgebrochen, weil der zweitletzte Tag (30. Januar) politischer Feiertag ist. Als aktive Ausbilder möchte ich nicht vergessen, Lagerführer: SS-Unterscharführer Ranke Scharführer: SS-Rottenführer Torffler Kameradschaftsführer: SS-Rottenführer Jetter Auch weil ich die vormilitärische Ausbildung für die Infanterie erhalten habe, ist mein Trieb für die Kriegsmarine mehr gesunken.

SS=Schutzstaffel, Waffen-SS=militärischen Verbände der nationalsozialistischen Parteitruppe SS, HJ=Hitlerjugend, HK-Gewehr=Sturmgewehr des Herstellers „Heckler & Koch“, K.Ü.-Leiter=Kriegsübungsleiter

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Nordholz, den 22. I. 1943

Lieber Hans Richard!

Soeben habe ich deinen Brief erhalten. Hab herzlichen Dank! Wenn dich diese Karte erreicht, bist du wohl gerade wieder zu hause, du Glücklicher. Und ich muß noch eine Woche länger aushalten. Wenn die auch noch so schnell wie die vorigen beiden hingeht, bin ich froh. Ich schrieb letzmal an deine Heimatadresse, weil ich deine Adresse in Dibbersen nicht wusste, und nicht, wie du meinst, daß ich gar nicht wüßte, daß du wegwarst. Montag gehst du sicherlich wieder in die Schule, und ich komme erst eine Woche später. Da werden wir viel nachzuholen haben. Hauptsächlich wohl französisch und Mathematik. Das andere haben wir ja nicht nötig. Mein Platz steht dann noch eine Woche leer. Vielleicht wird er auch als ???platz benutzt. – Mich wundert, daß ihr in Dibbersen auch SS-Ausbilder und gelieferte Uniformen hattet. Dann ist das ja so ähnlich wie ein W.E.-Lager. Bloß daß dort nicht so viele „Leiter“ sind. Unser schlimmster Dienst ist jetzt schon vorbei. In der letzten Woche folgen nur noch die Abnahmen für K-Schein und H.J.L. Da läßt es sich schon aushalten! Es grüßt dich vielmals Dein Hoppel

Aus Nordholz hat Günther eine Postkarte an seinen Freund Hans Richard Bartels geschrieben

3. Mai 1943

Rückkehr von einer Osterferienreise in Predöhl. Ich wurde auf dem Bahnhof gleich von einigen Freunden gefragt, ob ich noch keine Einberufung zum Arbeitsdienst habe. Denn ein Teil der Schüler der 7. Klasse habe schon eine Einberufung für Mitte Mai. Ich kriege einen Artikel der Zeitung „Das Reich“ zu lesen, der besagt, daß der Jahrgang 1925 jetzt voll wehrfähig sei und daß die noch in der Heimat gebliebenen Angehörigen dieses Jahrganges vollständig geholt werden können, auch die Schüler. Für die der 7. Klasse kann der Reifevermerk ausgesprochen werden. Und wir in der 6. Klasse sollen mit der Versetzung nach der 7. Klasse entlassen werden. Ich bin vollkommen darauf eingestellt, daß ich in nächster Zeit einberufen werde und möchte nicht in die Zukunft sehen, was dann aus mir werden soll ohne einen Schulabschluß. Mittwoch, den 5. Mai 1943

Mein 18. Geburtstag. Ich warte noch täglich auf meine Einberufung. Raucherkarte beantragt. Die Zahl der Schüler, die eine Einberufung erhalten haben, wird immer größer.

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Freitag, den 7. Mai 1943

Vormittags in der großen Pause renne ich nach Hause, um zu sehen, ob der Befehl „endlich“ da ist. Aber nein. Ich mache mir schon Hoffnungen, daß ich doch noch zurückgestellt sei, vielleicht aus gesundheitlichen Gründen. (?) Nachmittags um 16 Uhr herum sitze ich am Flügel und haue einige flotte Schlager herunter. Es klingelt. Ich denke, es ist meine Schwester, die gerade hinausgegangen war, und spiele mein Stück erst zu Ende. Da klingelt es aber zum zweitenmal und ich eile sofort zur Tür. Vor mir steht unsere Briefträgerin und will ein Einschreiben unterschrieben haben. Ich lese sofort auf dessen Umschlag die Worte „Reicharbeitsdienst-Gestellungsbefehl“ und weiß natürlich sofort Bescheid. Wenn ich auch vollkommen mit der Einberufung gerechnet habe, so hatte ich jetzt, wo ich den Befehl in der Hand hielt doch einen kleinen Schock bekommen, und ich steckte den Zettel in die Tasche und verließ das Haus. In der Stadt traf ich einen weiteren Klassenkameraden, Eckhard Wiegers, der auch soeben den Befehl gekriegt hat. Er wußte schon, wann er im Arbeitslager sein sollte, und ich hatte noch nicht einmal daran gedacht, den Zettel genau durchzulesen. Ich tat das sogleich und erfahre, daß ich am 19. Mai 1943 bis abends 18 Uhr im Arbeitsdienstlager 5/194 in Friesoythe (Kreis Kloppenburg) sein muß. Wieder zu Hause angekommen, unterrichtete ich meine Angehörigen und suche auf dem Atlas den Gestellungsort und entdecke, daß der Ort ein Flecken von 2-3000 Einwohnern ist, und daß ringsherum lauter waagerechte Striche eingezeichnet sind, was Moor bedeutet. Sonnabend, den 8. Mai 1943

Zum letzten Male war ich heute in der Schule. Inzwischen hatten fast alle ihren Gestellungsbefehl erhalten, und ich erfahre, daß mit in meinem Lager noch einer aus meiner Klasse, noch 2 aus der Parallelklasse und noch zwei aus der 7. Klasse und noch einige andere Lüneburger sich stellen müssen, da kann ich aber von Glück sagen, daß ich nicht so einsam untergebracht wurde. Ich stelle ein Programm auf, wie ich die letzten 10 Tage in der Heimat noch richtig ausnützen kann. Zu meinem Geburtstag hatte ich ja genug Geld bekommen. Mittwoch, den 12. Mai 1943

Vormittags zum Fotographen Krenzin gewesen, um noch Paßbilder für den R.A.D. machen zu lassen. Mein toller Haarzopf soll zum letzten Male auf dem Bilde festgehalten werden, dann geht es auf Streichholzlänge herab. R.A.D.=Reichsarbeitsdienst

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Abends um 18 Uhr trifft sich unsere Klasse zu einem Abschiedsfeste an der Adolf-Hitler-Straße und zwar alle mit Handstock. Auf dem Wege zur Roten Schleuse halten uns viele für verrückt, und wir fragen unterwegs auch noch Passanten, ob wir auf dem richtigen Wege nach Wienebüttel (Irrenanstalt bei Lüneburg) wären. Die Stimmung war also von Anfang an sehr erhöht und wurde im Laufe des Abends durch Heranziehung vieler Getränke noch bis zu ihrem Höhepunkt gesteigert. Bei der Feier wird eine Abschiedszeitung unserer Klasse veröffentlicht, die einige Kameraden während der letzten Tage fertiggestellt haben. Das Hauptthema der Tischreden und Lieder war immer der Arbeitsdienst. Gegen 23.30 wurde die Feier geschlossen und um ½ 3 Uhr des nächsten Tages lag ich im Bett. Freitag, den 14. Mai 1943

Vormittags rief Eugen telefonisch vom Bahnhof Hannover an, und sagt, daß er jetzt endlich seinen lang ersehnten Urlaub erhalten habe und daß er am 21. Mai 1943 heiraten wolle. Ich nehme davon Kenntnis und gehe mittags sofort zum R.A.D.-Meldeamt Lüneburg in der Barckhausenstraße, weil ich die Hochzeit meines Bruders noch zu gern mitmachen will. Dazu brauche ich aber drei Tage Urlaub vom Arbeitsdienst. Das Meldeamt benötigt dazu ein Urlaubsgesuch mit einer Bescheinigung des Standesamtes, daß am 21. Mai die Trauung in Lehrte angemeldet sei. Ich habe sofort meinem Bruder geschrieben, daß er die Papiere sofort herschicken soll, denn ich muß sie bis zum 18. Mai beim R.A.D.-Meldeamt vorgelegt haben. Es gibt also zwei Möglichkeiten, wenn ich Urlaub bekomme: Entweder brauche ich erst am 23. Mai zum erstenmale im Lager sein, oder ich muß zu meinem Gestellungstag (19. Mai) im R.A.D.-Lager erscheinen und muß am nächsten Tag schon wieder fortfahren zum Hochzeitsurlaub. Ich glaube nicht, daß die zweite Möglichkeit in Frage kommt, weil man einen Tag nötig hat für die Bahnfahrt nach Frisoythe. Montag, den 17. Mai 1943

Mein Bruder schickte mir die gewünschten Papiere und ich ging sofort damit zum R.A.D.-Meldeamt. Dort studierte ein R.A.D.-Unterführer die Schreiben genau durch und ließ dann auf meinem Gestellungsbefehl den 19. Mai überdrucken mit dem Datum des 22. Mai 1943. Damit bin ich also noch 3 Tage vom Arbeitsdienst zurückgestellt. Ich kann also meine langen Haare noch etwas länger werden lassen. Ich kaufe mir schon einige nützliche Dinge, wie ein Kamm, Vorhängeschloß, Stiefelbürste und unter dem Tisch vom Schuster Turk eine große Dose Schuhkreme. Nachmittags 17 Uhr gehe ich zu einer Aufführung der Landesbühne Osthannover in der Schaubühne, die für die Hitlerjugend veranstaltet wird. Dabei trage ich zum letzten male in meinem Leben die H.J.-Uniform und zwar mit allen Orden und Ehrenzeichen (Oberscharführer). Gleich anschließend geht es zum Schützenplatz, wo augenblicklich ein Jahrmarkt stattfindet. Es ist nicht sehr viel los, aber ich habe somit in den letzten Tages meines Zivillebens doch eine schöne Unterhaltungsstätte gefunden.

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Dienstag, 18. Mai 1943

Vormittags mein Abgangszeugnis von der Schule geholt. Ich habe keine mangelhafte Zensur, alles 3 oder 4, in Musik eine 2. Ich bin in die 7. Klasse versetzt. Mittwoch, 19. Mai 1943

Morgens will ich auf dem Bahnhof noch meine Kameraden treffen, die nach Frisoythe fahren, aber ich komme einige Minuten zu spät. Ich löse gleich eine Fahrkarte nach Frisoythe. Anschließend fahre ich zu meiner Klavierlehrerin Frieda Märtens und nehme von ihr Abschied. Paßbilder abgeholt. Donnerstag, den 20. Mai 1943

Morgens früh gehe ich gleich zum Friseur und lasse mir meine Haare bis auf die militärische Kürze schneiden. Anschließend begebe ich mich gleich zur Schule, um mich in der großen Pause endgültig von meinen Klassenkameraden zu verabschieden. Ich bin der letzte, der noch in Lüneburg von uns herumläuft. Ich gehe zum Polizeimeldeamt und zum Wirtschaftsamt und melde mich dort persönlich ab. Auch als Luftschutzmelder muß ich mich noch abmelden und Stahlhelm und Armbinde abgeben. Ich habe es nach dem Essen sehr ruhig, meinen Koffer zu packen. Durch Beziehung meiner Schwester Ruth zu einer Kantine hatte ich noch viele nützliche Dinge bekommen. Nachmittags fahre ich mit dem Eilzug nach Lehrte zur Hochzeit meines Bruders Eugen. Abends wird der Polterabend gefeiert und erst spät geht es zu Bett. Freitag, den 21. Mai 1943

Am Hochzeitsmorgen muß ich allerlei Wege machen, um die Hochzeitsfeier mit ausgestalten. Um 13 Uhr findet die Trauung in der Kirche zu Lehrte durch Pastor Ungewitter statt. Mittaggegessen wird im Ratskeller. Die übrige Feier findet im Lührschen Hause statt. Den Hauptrahmen des Festes bildet die Musik. Wir hatten das Glück, daß recht viel von unserer Familie beisammen waren. Über meine Anwesenheit war man auch sehr erfreut, und darüber, daß es mit meinem Urlaub so gut geklappt hatte. Während also meine Arbeitskameraden schon 2 Tage Dienst in Frisoythe hinter sich hatten, kann ich noch an dieser schönen Familienfeier teilnehmen. Sonnabend den 22. Mai 1943

Heute ist mein Gestellungstag. Die Hochzeitsfeier ist um ½ 5 Uhr beendet. Zwischendurch war auch ein zweistündiger Fliegeralarm gewesen. Ich lege mich auch noch für eine Stunde aufs Bett, aber nicht wieder im Hotel. Um halb sechs muß ich schon wieder aufstehen, und komme noch rechtzeitig zum Bahnhof. Ich fahre von Lehrte direkt nach Frisoythe, weil erst eine Rückfahrt über Lüneburg viel zu umständlich wäre. Ich löse also von Lehrte bis Bremen selbstständig eine Fahrkarte, während ich von Bremen meine Wehrmachtsfahrkarte wieder benutzen kann, die von Lüneburg über Har-

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burg nach Bremen usw. gilt. Die Fahrt von Lehrte bis Ocholt geht ununterbrochen fort, obwohl ich dreimal, in Hannover, Bremen und Oldenburg, umsteigen mußte. In Ocholt habe ich 3 Stunden Aufenthalt, den ich im Wartesaal des Bahnhofs verbringe. Ich benütze die Zeit, um die Eintragungen in mein Tagebuch für die letzten drei Tage nachzuholen. Die Fahrt geht dann von Ocholt in Ostfriesland weiter südlich ins Katholische. In Frisoythe steige ich aus und frage sogleich nach dem Weg zum R.A.D.-Lager. Mir wird von einem Jungen der Weg gezeigt und er sagte noch, daß es über 4 km von Frisoythe entfernt sei. Ich mache mich gleich auf den Weg, an katholischen Heiligenbildern und Kruzifixen vorbei, und komme nach einer halben Stunde vor dem Lager an. Dort muß ich in die Wachstube, wo man meinen Einberufungsbefehl, Wehrpaß und noch andere Papiere abnimmt. Sie wunderten sich, daß ich die drei Tage Urlaub genehmigt kriegte und sie meinten, daß ich wohl einen guten Freund beim R.A.D.-Meldeamt in Lüneburg hätte. Ich gehe dann sogleich auf die Kammer und lasse mich einkleiden. Manche Stücke sind gar nicht mehr vorrätig, andere sind natürlich die schlechtesten. Meine Zivilklamotten packe ich in meinen Koffer, der noch weggeschickt werden soll. Ich wurde dem 10. Trupp im IV. Zug in der Stube 8 zugeteilt. Die Trupps sind der Größe nach eingeteilt und der 10. Trupp hat schon ziemlich die kleinsten. Wir schlafen mit 28 Mann auf der Stube und ich schlafe im Doppelbett oben. Meine Kameraden helfen mir natürlich bei der Spindeinrichtung und beim Bettenbau, denn das haben sie während der letzten drei Tage geübt. Nach dem Abendbrot wird noch geduscht und um halb zehn Uhr ist Zapfenstreich, aber vor halb elf kriegen wir natürlich keine Ruhe. Von mir wird also eine ganz große Umstellung gefordert, weil ich gestern um diese Zeit noch mitten im fröhlichsten Hochzeitsfeiern war. Sonntag, den 23. Mai 1943

Sonntags ist um 7 Uhr erst Wecken. Ich freue mich darüber, weil ich die vorige Nacht nicht geschlafen habe. Es regnet und daher fällt der Sport heute aus. Weiter war für den Tag gar nichts vorgesehen und daher hatten wir den ganzen Tag Freizeit. Ich nutze diese Zeit, um einige Briefe zu schreiben. Ich schreibe Briefe an meine Angehörigen in Lüneburg und an Hans Richard Bartels. Karten an Friedo Schoof und an meinen Bruder Gotthelf. Mittags gibt es prima Essen. Wir erfahren heute, daß erst in 6 Wochen unseren ersten Ausgang kriegen(!). Heute abend ist erst um 22 Uhr Zapfenstreich. Montag, den 24. Mai 1943

Nachts von 1-½ 2 Uhr war Fliegeralarm. Wir mußten angezogen mit Stahlhelm (ich persönlich habe noch keinen erhalten) in einen Deckungsgraben. Wegen Alarm fällt der Frühsport aus und Wecken ist erst eine halbe Stunde später. Für den Vormittag war Sport vorgesehen, mußte aber ausfallen, weil ein Oberfeldarzt gekommen ist, um uns zu untersuchen. Nachmittags werden wir gegen Diphterie in der rechten Brustseite geimpft. Vorher hatten wir auf dem Sportplatz die ersten Ordnungsübungen gemacht.

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Dienstag, den 25. Mai 1943

Morgens beim Aufstehen merke ich Schmerzen an meiner Impfstelle. Trotz allen Schmerzen wird vormittags zwei Stunden Ordnungsdienst gemacht. Darauf empfangen wir unseren Spaten und dann werden die Grundbegriffe und Grundübungen des Spatens unterrichtet. Anschließend wird im Unterricht über das Benehmen und Zweck des Arbeitsdienstes durchgeführt. Mittags ist eine Stunde lang Bettruhe wie gestern. Man will uns unbedingt hier mästen. Nachmittags wird zum erstenmale vormilitärischer Unterricht gemacht. Wir werden über Spionage und Landesverrat unterrichtet. Zum erstenmale lernen wir das Gewehr 98 kennen. Abends sind zwei Stunden Liedersingen. Wir lernen die Lieder „Blühendes Feld“ und „Frühmorgens singt die Amsel“ neu. Seit heute ist die Kantine in unserem Lager. Mittwoch, den 26. Mai 1943

Vormittags erhalten wir wie gestern unser zweites Frühstück (eine Wassersuppe). Wir schreiten im Arbeitsunterricht weiter fort. Einen Brief an (Name wurde nachträglich durchgestrichen) ist heute von mir abgeschickt. Abends kommt unser Zug nicht mit nach Frisoythe, weil wir unsere 2. Garnitur noch nicht empfangen haben. Brief an Christa geschrieben. Donnerstag, den 27. Mai 1943

Heute mache ich erstmals Frühsport mit, denn in den letzten Tagen hat morgens immer geregnet. Nachmittags ist großer Appell: der Führer unserer Arbeitsgruppe, Oberarbeitsführer X war zu Besuch da. Ich wurde gewogen, Länge und Puls gemessen, weil ich noch nicht da war, als die anderen ihre Aufnahmeuntersuchung hatten. Abends nach dem Essen müssen wir unterschreiben, daß wir über Spionage, Verrat usw. unterrichtet sind. Gleich anschließend erhalten wir unsere Raucherkarten. Ich habe natürlich nicht angegeben, daß ich schon eine hatte. Abends schreibe ich einen Brief an Alfred Clavin und schicke ihm meine Raucherkarte. Ich habe heute Stubendienst und melde abends die Stube ab. Dabei erfahre ich einen großen Anschiß durch den T.v.D. (Ovm. Baumann). Freitag, den 28. Mai 1943

Heute vor drei Jahren starb mein Bruder Hans in Flandern den Heldentod. Der heutige Tag verläuft im Allgemeinen sehr ruhig. Wir erhalten unsere 2. Garnitur (grauer Dienstanzug). Mittags liegen wir draußen nach dem Essen auf dem Rasen. Abends ist Schuhappell. Ich falle wegen meiner Stiefel auf. Gestern und heute gab es zum Mittag Apfelsinen. Bislang gab es jeden Mittag Fleisch. Einfach prima! Abends erhalte zum erstenmale Post und zwar nur eine Karte von (Name wurde nachträglich durchgestrichen). Sonnabend, den 29. Mai 1943

Nach dem 2. Frühstück ist Singen. Danach sollen alle im Tagesraum bleiben, die etwas von Musik T.v.D.=Truppführer vom Dienst, Ovm.=Obervormann

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verstehen. Es soll eine kleine Kapelle in der Abteilung aufgestellt werden. Ich melde mich als Akkordeonspieler. Von 10 Akkordeonspielern werden 4 ausgesucht, die nach Hause fahren können, um ihr Instrument zu holen. Auch andere Instrumente (Geigen, Trompeten, Klarinetten, Gitarren usw.) müssen geholt werden. Allerdings müssen die Fahrkosten selbst getilgt werden. Das macht für mich für Hin- und Rückreise zusammen ca. 24 RM. Wir erhalten Urlaub vom 29. Mai, 13 Uhr bis 30. Mai. In wahnsinnigem Tempo müssen wir zum Bahnhof laufen, und wir laufen uns alle Blasen an die Füße. Ich hatte noch meinen Koffer mit Zivilsachen mitgenommen, weil ich ihn bis dahin nicht loswerden konnte. Im Ganzen kriegen 11 Mann von der Abteilung Urlaub. Ich fahre die bekannte Strecke wieder bis Lüneburg. Unterwegs sehe ich in den Städten, vor allem in Bremen, vom Zug aus die schweren Bombenschäden. Noch nie hatte ich so etwas gesehen! Um 23.15 traf ich in Lüneburg ein. Krumstroh aus dem 1. Zug war bis Lüneburg mitgefahren, dann ist mit der Kutsche nach Scharnebeck gefahren. Ich kam um ½ 12 Uhr zu Hause an. Alle waren sehr überrascht. Zufällig war mein Bruder Eugen bei uns zu Hause. Um ½ 1 lag ich mal wieder im Federbett. Sonntag, den 30. Mai 1943

Um 8 Uhr Erwachen in Lüneburg. Eine Nacht mal wieder ohne ? und Trompetenwecken. Ich kann nicht länger im Bett bleiben, pflege gleich meine gelaufenen Blasen und begebe mich in meiner Uniform zum Sportplatz, wo gerade die Reichsjugendwettkämpfe stattfinden. Ich konnte dort viele Bekannte begrüßen. Danach fahre ich erst zu unserem Garten, mache einen kurzen Rundgang und bedaure, daß ich von den vielen Früchten keine zu sehen kriege. Dann fahre ich zum Bahnhof und hole mir eine Fahrkarte für die Rückfahrt zum R.A.D. Dann habe ich gerade noch Zeit, um Mittag zu essen. Mein Akkordeon und noch andere Dinge (Spiegel, Bügel, Tinte und Briefpapier) hatte ich vorher schon eingepackt. Mein Freund Alfred Clavin fotografiert mich in Clavins Garten, dann bringt er und Gunter Homeyer mich zum Bahnhof. Ich fahre die gewohnte Strecke zurück. Unterwegs treffe ich immer mehr Männer aus anderen Abteilungen, die auch Instrumente holen sollten. Wir kamen um 21.15 Uhr in Frisoythe an. Ich hatte bis 00.00 Uhr Urlaub und wir 11 Mann blieben noch in Fr. in einer Wirtschaft bis ½ 11 Uhr. Dort sind bereits Unterfeldmeister Hildebrandt und ein Obertruppführer und wir müssen Musik machen. Durch unsere Musik angelockt, wird das Lokal immer voller, auch andere Führer von uns kommen noch. Auf dem Rückweg schnallen wir 4 Akkordeonspieler unsere Instrumente vor uns, so ging es leicht zu marschieren bis zum Lager. Wir melden uns bei der Wache an, gehen gleich zu Bett. Meine Decke hat (sich) ein anderer besorgt und ich muß nachts frieren. Montag, den 30. Mai 1943

Morgens erwache ich wieder durch künstliche Weckung. Von meinen Kameraden kriege ich gleich die Post, die in den letzten beiden Tagen für mich gekommen ist. Es sind dies: ein Brief von Hans-Richard Bartels, einer von Frido Schoof, einer von meinem Vater und von ihm noch einige

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Lüneburger Zeitungen. Nachmittags beim Ordnungsdienst werden wir ziemlich geschliffen. Dienstag, den 1. Juni 1943

Frühsport fällt vorläufig aus, weil wir erkältet sind. Vormittags werden wir zum 2. Male geimpft und zwar diesmal in die linke Seite. Kaum sind die Schmerzen der anderen Stelle vorbei, geht es von neuem, aber diesmal viel heftiger, los. Wir haben in der Abteilung inzwischen eine große, eine kleine Musikkapelle und einen Spielmannszug aufgestellt. Ich gehöre zur kleinen Musikkapelle, die aus vier Akkordeons, zwei Ziehharmonikas und zahlreichen Mundharmonikas besteht. Heute abend fällt die Übungsstunde aus, weil wir unseren linken Arm kaum bewegen können. Wir empfangen ein 2. Paar Schaftstiefel. Brief an Schoof im Bett geschrieben. Mittwoch, den 2. Juni

Frühsport, Turnen und Ordnungsdienst fallen mit Rücksicht auf unsere Impfung aus. Es ist dafür den ganzen Tag Unterricht. Man kann einschlafen vor Langweiligkeit. Heute ist hoher Besuch gekommen, der Truppenführer Oberarbeitsführer Westerbour und einige andere hohe Tiere. Abends kriege ich einen Brief von (Name gestrichen). Sie will gern ein Bild von mir haben. Ich schreibe sofort wieder und lege ein Paßbild von mir mit ein. Donnerstag, den 3. Juni 1943

Unseren neuen Zugführer, Obertruppführer Pick, lernen wir schon mehr kennen. Nachmittags beim Unterricht ist er ganz prima. Unsere Truppführer werden täglich weniger. Sie werden jetzt zur Wehrmacht eingezogen, und ihnen ist der Dienst fast scheißegal. Als einziger von ihnen ist Obervormann (Name gestrichen) unbeliebt, die mittlere Führerschaft ist ausreichend im Betragen gegen uns. Unser Chef, Oberfeldmeister Schmidt ist ein fabelhafter Mensch. Richtig so ein Vater. – Abends gibt es reichlich grünen Salat zu essen. Danach muß unser Zug den Lokus leeren. Die Scheiße muß in Marmeladeneimern weit weg getragen werden. Ich habe mich davor gedrückt. Freitag, den 4. Juni 1943

Postkarte geschrieben an Mutter, Paul und Familie Strobel. Mittags im Bett Briefe geschrieben an Eltern in Lüneburg und an Hans Richard Bartels. Unser Untertruppführer Thiele wollte Urlaub haben, es ist ihm aber nicht genehmigt, und so läßt er seine Wut an uns aus. Unsere 1. Garnitur Stiefel geben wir wieder auf die Kammer, damit sie bereit sind, wenn wir in einen Einsatz kommen. Abends kriege ich 3 Zeitungen von Vater geschickt. Samstag, den 5. Juni 1943

Heute marschiert unsere Abteilung nach Frisoythe, um im katholischen Krankenhaus durchleuchtet zu werden. Die beiden letzten Züge rücken erst nachmittags ab. Den Revierdienst hat-

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ten wir auf den Vormittag verlegt. Abends ist duschen. Ich kriege Post von Frido Schoof und meinem Bruder Gotthelf. Heute hatte ich überhaupt keine Zeit zum Schreiben. Abends müssen wir von 20 Uhr bis 22.30 Uhr im Tagesraum sitzen, um die Reden von Reichsminister Speer und Propagandaminister Göbbels zu hören. Ich bin todmüde und schlafe dabei. Sonntag, den 6. Juni

Der angesetzte Sport am Vormittag fällt aus. Wir müssen unterschreiben, was wir alles empfangen haben. Der übrige Tag ist Freizeit. Ich mache meine 1. Garnitur zurecht. Ich schicke ein Päckchen nach Hause, darin 3 Bürsten, 1 Hosenträger und eine Seifenkarte enthalten sind. Ich bitte um Seifenpulver und Seife und um ein Frühstücksbrett. Post habe ich heute nicht erhalten. Abends noch einen langen Brief an meinen Bruder Gotthelf geschrieben. Montag, den 7. Juni 1943

Vormittags findet unsere 3. Impfung statt. Ein Mann von unserer Stube wird elend dabei und übergibt sich dabei in der Stube. Da ich heute Stubendienst habe, muß ich die Schweinerei wieder wegmachen. Nachmittags ist ein Appell unserer 1. Garnitur, damit sie für die demnächst steigende Vereidigung in Ordnung ist. Wir lernen für die Vereidigung noch einige neue Lieder. Abends schreibe ich eine Postkarte an Hans-Richard Bartels, der inzwischen als Luftwaffenhelfer eingezogen ist. Ein Teil der Klasse ist von der H.J. zurückgestellt und müssen weiter zur Schule in die 6. Klasse. Die Flakhelfer haben wie wir Arbeitsmänner die Versetzung in die 7. Klasse gekriegt. Dienstag, den 8. Juni 1943

Morgens fällt der Ordnungsdienst aus, weil wir angeblich große Schmerzen haben. Es wird die Aufstellung und der Verlauf der Vereidigung geprobt. Nachmittags ist noch einmal Revier reinigen und anschließend je ein Appell in Paradeuniform und Ausgehanzug, denn morgen soll es auch den ersten Ausgang geben. Am letzten Tag vor der Vereidigung ist die ganze Führerschaft aus dem Häuschen. Durch das lässige Auftreten unseres Arbeitskameraden wurde unser Abteilungsleiter gereizt, knallte die Tür zu und versprach, daß jetzt andere Tage folgen. Abends nach dem Abendbrot müssen wir etliche Runden um den Antrittsplatz laufen, weil wir beim Kartoffelschälen unanständige Lieder gesungen haben. In der Mittagspause schreibe ich eine Postkarte an Frido Schoof, der von der H.J. von den Flakhelfern zurückgestellt ist und weiter zur Schule geht. Abends kriege ich Post, und zwar 3 Zeitungen von meinem Vater und einen lieben Brief von (Name gestrichen). Mittwoch, den 9. Juni 1943

Heute ist ein großer Festtag in unserer Abteilung. Um 10 Uhr beginnt unsere Vereidigung. Dazu kommt unser Gruppenführer Oberarbeitsführer Westerbour. Einige Kameraden kippen während der Feier um. Das Mittagessen ist heute fabelhaft. Wir essen sogar von Tischdecken. Die Flak=Flugabwehrkanone

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hohen Gäste von Partei, Presse und R.A.D. essen mit uns zusammen. Wir kriegen Suppe, Braten, Salat, Pudding, Apfelsinen und noch Süßigkeiten. Nach dem Essen ist Löhnung, wir bekommen 2,50 RM (Reichsmark). Danach kriegen wir sofort Ausgang. Alles geht nach Frisoythe. Einige Wirtschaften werden von uns aufgesucht. In der Post kaufe ich mir reichlich Briefmarken. Unter anderem besichtige ich zum ersten Male eine katholische Kirche. Der Ort Frisoythe macht einen äußerst langweiligen Eindruck. Es ist dort gar nichts los. Das Kino ist bis auf weiteres geschlossen. Ich begebe mich früh wieder auf den Rückweg, um noch Abendbrot zu essen, das auf die Stube gebracht ist. Es war heute der erste Ausgang unserer Abteilung, aber ich habe den anderen ja was voraus, weil ich sogar schon einmal Heimaturlaub hatte. Donnerstag, den 10. Juni 1943

Gestern erhielt ich noch einen Brief von Hans-Richard Bartels. Der kann schon mit Feldpost schreiben als Luftwaffenhelfer und wir als Arbeitsmänner können das nicht einmal. Den Brief unterschrieben noch 2 Mann aus meiner alten Klasse: Walter Brandenburg und Karl-Heinz Dörge. Heute haben wir seit Freitag mal wieder Ordnungsdienst; aber dafür auch den ganzen Vormittag lang. Mittags können wir mal wieder draußen in der Sonne liegen. Danach ist nur Unterricht. Alle sind todmüde vom vielen Ordnungsdienst. Wir haben zum ersten Male die richtigen Spatengriffe gekloppt. In der Liederstunde lernen wir nun: „Auf, Ansbach Dragoner“ und „Ich habe Lust“ und einen lustigen Soldatenpotpourri bei Unterfeldmeister Hildebrandt. Er hat überhaupt viel Verständnis für Musik. Er sorgte auch dafür, daß unsere Kapelle aufgestellt wurde. Ich habe schon lange nicht mehr gespielt. Meistens spielt die große Kapelle. Abends im Bett schreibe ich einen langen Brief an (Name gestrichen). Freitag, den 11. Juni 1943

Heute bekommt jeder von uns ein Gewehr in die Hand zum Üben des Ladens und Entladens. Wir hatten englische Modelle. Unser Truppführer Untertruppführer Thiele ist seit gestern entlassen, wir haben vorläufig keinen Truppführer. Auch viele andere Führer sind zur Zeit weg auf Pfingsturlaub. Abends schreibe ich eine Pfingstkarte an (Name gestrichen) und einen Brief an meine Mutter, die am Pfingstsonntag ihren 62. Geburtstag feiert. Samstag, den 12. Juni 1943

Nachmittags beim Revierreinigen werde ich in der Führermesse eingesetzt. Dabei kann ich mal wieder etwas Radiomusik hören. Als Hofdienst muß ich Kartoffeln aus dem Keller holen. Ich stelle fest, daß ein großer Teil des Vorrates schon verfault ist. Bis Anfang Juli müssen wir damit noch ausreichen. Also stehen uns jetzt noch einige Hungertage bevor. Abends kriege ich Post: eine Karte von (Name gestrichen), von Frido Schoof, die noch Neu- 19 -


mann und Schiber mit unterschrieben haben und noch eine Karte von Walter Manske, einem W.E.-Kamerad von mir. Außerdem kriege ich auch wieder 4 Lüneburger Zeitungen. Pfingstsonntag, den 13. Juni 1943

Heute wimmelte unser Lager von Besuchern. Auch kriegen von uns welche für den ganzen Tag Urlaub. Vormittags ist ein großer Fliegeralarm, während dem wir in unseren Bunker müssen. Vorher sah ich ein ganzes Geschwader Feindbomber über uns fliegen. Nachmittags verzichte ich auf den Standorturlaub, auch weil ich Angst vor dem Urlauberappell habe. Mittags kriege ich ein Päckchen von meiner Schwester Ellen, die Kuchen für mich gebacken hat. Ich dachte erst, es wäre das Paket mit Seifenpulver, um das ich kürzlich gebeten hatte. Ich bin der einzige von unserem Trupp, der heute hiergeblieben ist und muß die Portionen für unseren Trupp empfangen und austeilen. Ich esse zuviel Kuchen – auch morgens hatte jeder schon ein großes Stück Butterkuchen gekriegt – und wache nachts mit einem wahnsinnigen Durchfall auf. An Post habe ich geschrieben: eine Karte an Frido Schoof, Walter, Mutter, (Name gestrichen) und an HansRichard Bartels, dem ich jetzt sogar mit Feldpost schreiben kann. Pfingstmontag, den 14. Juni 1943

Ich habe eine richtige Magenverstimmung. Ich esse fast nichts. Den längsten Teil des Tages liege ich in der Koje, während wieder die unseren ausgegangen sind. Ein eifriger Stubenkamerad hat zahlreiche klassische Werke mitgebracht, und ich leihe mir von ihm zuerst Lessings „Nathan, der Weise“, das ich während meiner Freizeit lese. Sonst hätten wir diese Werke noch in der Schule gelesen; gelesen muß man sie haben! Ich schreibe eine Karte an Karl-Heinz Dörge, der jetzt auch Luftwaffenhelfer ist und übermorgen Geburtstag hat. Ich bestelle auch einen Gruß an (Name gestrichen). Dienstag, den 15. Juni 1943

Heute geht es wieder in den gewohnten Alltag. Mit 4 Stunden Ordnungsdienst geht es schon los. Nachmittags werden wir zum 4. Male geimpft, und zwar nicht wie die vorigen Male von einem Oberstfeldarzt, sondern von einem Zivilarzt aus Frisoythe. Die Impfung gab vielen anderen und auch mir den Rest. Mir geht es den ganzen Tag so schlecht, daß ich kaum etwas esse und gleich nach dem Abendbrot ins Bett gehe. Ich glaube sogar, daß ich Rheumatismus in der rechten Schulter habe. Bei Wetterwechsel merke ich das immer. Im Bett lese ich noch weiter in „Nathan, der Weise“. An Post kriege ich zwei Karten, von meinem alten Freund Karlheinz Clavin, der als Matrosengefreiter z. Z. auf Pfingsturlaub zu Hause war, eine andere Karte von (Name gestrichen). Mittwoch, den 16. Juni 1943

Heute war unser Arbeitsgauführer Generalarbeitsführer zur Lage zu Besuch da. Der Dienst war aber wegen der Impfung sehr gelassen. Da wir die 3. Typhusspritze, die erste war gegen Diphterie. Einigen Impfungen werden wir wohl noch standhalten müssen. Ich bin jetzt wieder - 20 -


ganz auf dem Damm. Zahlreiche andere sind von der Impfung noch krank. Nachmittags wird der gesamte Kartoffelvorrat sortiert. Der größte Teil ist verfault. Vielleicht gehen wir einer Hungersnot entgegen. Wir lernen noch einige neue Lieder für die Sonnenwendfeier am nächsten Sonntag, wo 150 Mann unserer Abteilung mitmachen sollen. Bis dahin sollen die Spatengriffe auch noch sitzen. Wir kriegen heute abend in unseren Zug 2 neue Vormänner, die den 10. und 12. Trupp übernehmen. Den 11. Trupp führt Orni Heyen, der Montag aber auch schon zur Wehrmacht einberufen wird. Abends kriege ich einen Brief von Frido Schoof. Donnerstag, den 17. Juni 1943

Unsere neuen Vormänner machen mit uns heute Ordnungsdienst. Sie sind noch sehr unbeholfen, da sie erst seit Februar d. J. beim R.A.D. sind. Abends kommt noch ein neuer Vormann hinzu, der den Obervormann Geyen ablösen soll. Nach dem Mittagessen soll eine K.d.F.-Vorstellung mit Varieté usf. in unserem Tagesraum stattfinden. In 3-4 Wochen hat unsere Abteilung einen großen bunten Abend in Frisoythe zu veranstalten. Dafür müssen einige Weinhändlerssöhne jetzt schon nach Hause fahren, um das nötige zu beschaffen. Abends kriege ich wieder 2 Lüneburger Zeitungen von meinem Vater. Freitag, den 18. Juni 1943

Nach einer Alarmnacht war diese Nacht mal wieder ruhig. Man will jetzt auch öfters nachts Probealarme machen. Das ist das schlimmste was man sich denken kann, wenn man so schön warm im Bett liegt und dann unnütz raus muß. Am Nachmittag kommt eine Künstlergruppe aus München, die im Rahmen der Truppenbetreuung auch Arbeitsdienstabteilungen besucht. Die Veranstaltung besteht aus 2 Teilen, einem klassischen und einem leichten. Eine alte ca. 60 Jahre alte Klavierspielerin, spielt auf dem alten Klavier in unserem Tagesraum, an dem sogar noch einige Töne fehlen, klassische Musik und sogar Schlager. An Künstlern sind sonst noch 1 Sänger, 2 Sängerinnen und eine Tänzerin da. Ein Steptanz begeistert alle. Aber auch einige schön betagte Walzer ernteten guten Beifall. Die Gäste wurden auf einem Pferdewagen, auf den einige Bänke gestellt waren, vom Bahnhof und wieder hin gefahren. Ein komisches Bild! Den ganzen Tag lang wird nur für die Sonnenwendfeier in Cloppenburg geübt. Wir pauken uns noch einige neue Lieder ein. Das Lied „Uns ward das Los gegeben“ wird dreistimmig gesungen. Abends kriege ich eine Karte von (Name gestrichen). Samstag, den 19. Juni 1943

Den ganzen Tag über regnet es. Wir haben meist Unterricht, der Ordnungsdienst findet in der Stube statt (nur Spatengriffe). Es wird die Marschabteilung für Kloppenburg ausgesucht. Nachmittags ist Revierreinigen und unser Zug muß für die ganze Abteilung Kartoffeln und Wurzeln schälen. Von den letzteren essen wir einen großen Teil auf. Der Koch ist sehr wütend darob. Am K.d.F.=Kraft durch Freude

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Nachmittag kriege ich Halsschmerzen; ich denke, daß es bald wieder vorüber ist. Abends kriege ich einen Brief von meinen Eltern. Mein Vater schrieb darin eine sehr interessante Geschichtsparallele zwischen Napoleon und Hitler. Danach muß im Jahre 1943 dieser Krieg beendet sein!!!! Stahlhelm empfangen. Sonntag, den 20. Juni 1943

Meine Halsschmerzen sind über Nacht noch viel schlimmer geworden. Ich freue mich, daß heute Sonntag ist, da kann ich mich nachmittags ins Bett packen, ohne sonst auf die Heilstube zu gehen. Aber für den Vormittag ist Dienst angesetzt, weil wir morgen mittag schon fahren und die Spatengriffe und die Lieder immer noch nicht einwandfrei sind. Aber beim Ordnungsdienst kippe ich um und bleibe den ganzen übrigen Tag im Bett. Vormittags sehen wir noch ein Schauspiel der Britenflieger: einige Flugzeuge kamen in riesiger Höhe herüber und kurz danach sehen wir am Himmel ca. 20 Flugblattballons. Einer löste gerade über uns die Blätter, wurden etwas abgetrieben. So etwas sah ich vorher nie. Abends kriege ich noch 3 Lüneburger Zeitungen von meinem Vater. Es beginnt gerade ein neuer Roman „Zwischenlandung in Tanger“, den ich lesen will. Auch lese ich augenblicklich das Trauerspiel von Lessing „Emilia Galotti“, das ich nach „Nathan der Weise“ mir von demselben Kameraden geliehen hatte. Montag, den 21. Juni 1943

Nach dem Wecken werfe ich mich sofort wieder ins Bett. Mir war so elend, so schwindelig, daß ich nicht stehen konnte. Der Heilgehilfe kommt ans Bett und stellt fest, daß ich 38,5 ° Fieber habe. Ich komme also auf die Heilstube und habe dort ein gutes Leben, denn der Heilgehilfe ist bis Mittwoch auf Urlaub. Die ganze Arbeit macht ein Arbeitsmann. Ich liege den ganzen Tag im Bett und merke abends, daß es mir schon besser wird. Ich kriege ein Päckchen von meinem Vater, darin das gewünschte Seifenpulver und das Frühstücksbrett war auch darin – etwas Tabak und einige Zigarren. Mein Vater scheint mir ja viel zuzutrauen! Dienstag, den 22. Juni 1943

Morgens wird eine Stunde später geweckt, weil unsere Abteilung erst spät aus Kloppenburg wiederkam. Von den R.A.D.-Abteilungen soll unsere die beste dort gewesen sein. Ich habe es ja nicht miterleben können. Durchgeregnet waren alle, und so kommt es, jetzt am nächsten Morgen, daß viele krank sind. Sogar einige Scharlachfälle sind dabei. Es sind nur welche aus dem 1. Zug, der sogleich untersucht wird. 4 Mann haben Scharlach und werden mit dem Krankenauto ins Krankenhaus nach Oldenburg gefahren. Einer von diesen lag zuletzt auf der Heilstube, und daher darf keiner raus noch rein. Wir werden ganz für uns zusammengehalten. Der Dienst der Abteilung geht natürlich weiter, Ausgang ist bis auf weiteres gesperrt. Auch die Post aus dem Lager heraus soll abgestellt werden, alles wegen Scharlach. Heute hat Hans-Richard Bartels Geburtstag, und ich habe ihm in den letzten trüben Tagen wegen meinem Zustande unmöglich

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schreiben können. Und jetzt kann ich vorläufig wegen der Sperre ja auch nicht schreiben. Abends ist mein Fieber wieder ganz zurückgegangen, und ich glaube, daß ich morgen schon wieder aufstehen kann. Nachmittags wird unsere Abteilung zum 5. Male geimpft. Ich liege dabei im Bett. Die Impfung ist gegen Scharlach und es wird gehofft, daß sie noch rechtzeitig hilft. Mittwoch, den 23. Juni 1943

Ich fühle mich wieder vollkommen gesund. Morgens habe ich noch ganz etwas Fieber, das mag auch von der Impfung gestern kommen. Unser Heilgehilfe, Obertruppführer Müller, ist immer noch nicht zurück. Ich finde das ganz schön. Man hat mehr Freizeit. Nachmittags kommt der Frisoyther Arzt Dr. Geiß kurz vorbei und erkundigt sich bei den Kranken nach ihrem Befinden. Bei mir sagt er nichts. Er beschäftigt sich hauptsächlich mit den Scharlachverdächtigen. Ich soll morgen langsam wieder aufstehen und übermorgen wieder Dienst mitmachen. Ein Teil unseres Trupps ist heute nachmittag nach Frisoythe, um einen Lastwagen voll Kartoffeln zu holen, da unser Vorrat verbraucht ist. Post kriege ich abends vom Luftwaffenhelfer Kalli Dörge, einen Brief von Frido Schoof und noch einen von (Name gestrichen). Ich dachte, daß nun endlich ihr Bild darin sei, aber nein! So muß ich mich noch wieder gedulden. Außerdem kriege ich noch 2 Lüneburger Zeitungen von meinem Vater zugeschickt. Donnerstag, den 24. Juni 1943

Gestern ereignete sich der erste Straffall in unserer Abteilung. Ein Arbeitsmann vom Innendienst war als Gehilfe der Zeugkammer zugewiesen. Er führte dort ein ziemlich faules Leben, bis er schließlich vorgestern rausgeschmissen wurde. Das hatte er nicht gedacht und war so wütend darob, daß er sich gleich auf den Weg machte, nach Hause zu fahren. Er wurde aber wieder ertappt und eingesperrt. Ich lag während dieses Geschehens ja auf der Heilstube und habe so nicht alles davon mitgekriegt. Nur sehe ich die Gefangenen, einer aus dem 4. Zug, immer an unserem Fenster vorbei geführt werden, wenn er zur Latrine muß. Unser Abteilungsführer meinte am Anfang dieses Vierteljahres, daß er bestrebt sei, so wenig wie möglich Strafen auszuteilen, da es in der vorigen Abteilung ganz ohne auch ging. Natürlich kann er einen solchen Fall nicht durchgehen lassen. Ich stehe schon morgens auf und bleibe den ganzen Tag auf den Beinen. Ich bin jetzt wieder ganz gesund. Ich muß als Halbkranker für die Heilstube alle Arbeiten machen, schrubben, Essen holen usw. Sonnabend soll die Besichtigung stattfinden. Ich glaube, daß sie noch aufgeschoben wird. Ich muß die folgende Nacht noch auf der Heilstube bleiben. Morgen werde ich wohl entlassen werden. Der Heilgehilfe ist bislang noch nicht vom Urlaub zurück und so habe ich die ganze Zeit ohne ihn mich behandeln und gesund werden lassen. Nachmittags habe ich Zeit zum Schreiben. Ich schreibe je eine Karte an (Name gestrichen) und Kalli Dörge, und einen langen Brief an Frido Schoof, dessen Rückstellung aufgehoben ist und jetzt auch bei der Heimatflak dient.

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Freitag, den 25. Juni 1943

Ich bin immer noch nicht aus dem Revier entlassen. Inzwischen ist der Heilgehilfe wieder eingetroffen und ich muß für ihn allerlei tun. Vormittags ist ein gewaltiger Großalarm. Etliche Bomben fallen in unserer Nähe. Wir von der Heilstube brauchen nicht in den Bunker und können immer herrlichen Luftkampf beobachten, in dem 3 Britenbomber und ein deutscher Jäger abgeschossen wurde, der nah bei uns auftraf. Im ganzen Kreis Kloppenburg wurden insgesamt 9 Briten und 3 Deutsche abgeschossen. Den ganzen Vormittag war ein Gebumse und Gebrumme. Nach dem Alarm fahren Fliegeroffiziere in Autos die Gegend ab, um festzustellen, wo die Engländer abgesprungen sind. Von unserer Abteilung müssen einige an die Bombenfallstellen, um die Löcher zu schütten. Abends werde ich wieder aus der Heilstube entlassen. Samstag, den 26. Juni 1943

An 2 Stunden Ordnungsdienst gewöhnt man sich nach 1 Woche Pause nicht so schnell wieder. Es strengt mich sehr an und ich freue mich als die beiden Stunden vorüber sind. Im weiteren läuft der Tag ruhig für mich. Ein Flugzeug „Fieseler Storch“ umkreist stundenlang unser Moor, denn hier wurden ja 3 britische Bomber und 1 deutscher Jäger gestern abgeschossen. Der „Storch“ flog ca. 20 m über unseren Köpfen hinweg, um die Erde genau absuchen zu können. „Führer vom Dienst“ ist Obertruppführer Pick, der dafür sorgt, daß rechtzeitig ausgegangen werden kann. In so einer netten Weise würde das kaum ein anderer Führer machen. – Abends kriege ich Post, einen Brief von meinem Bruder Gotthelf, einen Brief von meiner Schwester Christa und noch einige Lüneburger Zeitungen. Sonntag, den 27. Juni 1943

Heute morgen ist Gasmasken- und Gasplaneempfang. Der übrige Tag ist bis auf eine Untersuchung, in der wir gewogen werden und in der unsere Puste gemessen wird, Freizeit. Ich habe bislang weder zu- noch abgenommen. Vormittags bleibe ich wieder im Bau. Ich bin viel zu faul um auszugehen, denn man muß vorher allerlei gewaschen haben, und auch Zeit dafür haben. Ich verbringe die Stunden auf der Stube ziemlich angenehm. Auch gehe ich mal in den Tagesraum ans Klavier, damit ich nicht alles verlerne. Seit einigen Tagen lebe ich auch ohne Uhr, denn meine ist neulich bei einem verkehrten Handgriff zerbrochen. Ich kann sie nicht mehr aufziehen. Ich habe sie seitdem im Spind liegen und weiß noch nicht, ob ich sie in Reparatur geben soll oder bis zur Entlassung warten soll. Man kommt hier vollkommen ohne Uhr aus. Vor unserer Stube ist die Wache, die alle zwei Stunden abgelöst wird und wonach man sich ganz gut richten kann. Von einem Kameraden habe ich mir das Buch von Theodor Storm „Ein Fest auf Haderslevhüs“ geliehen, das ich lese. Heute habe ich mal wieder mit Abscheu nur versuchsweise eine Zigarette geraucht. Ich finde wirklich keinen Genuß daran. Meine beiden Raucherkarten habe ich schon lange verschenkt. Gerade als ich 18 Jahre alt wurde, habe ich mal etwas mehr geraucht, aber nur um anzugeben, da in den Hauptstraßen so viele H.J.-Führer und -streifen herumlaufen.

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Es war leider eine zu kurze Zeit, die ich 18-jährig noch zu Hause verbrachte. Man hätte so viel unternehmen können! Heute werden auch zum ersten Male meine Haare wieder geschnitten. Zuletzt wurden sie in Lüneburg, das sind 5 ½ Wochen her geschnitten. Schneiden tut ein Stubenkamerad, der sich eine kleine Haarschneidemaschine schicken ließ. Bezahlt wird nur mit Zigaretten. Mit Zigaretten kann man sich hier überhaupt alles erwerben, so Butterrationen, Apfelsinen und noch viel anderes. In den nächsten Tagen gibt es ja nun eine neue Raucherkarte, die ich vorläufig behalten will. – Mit dem Impfen ist vorläufig Schluß. Die letzte war bei mir die Schlimmste. Ich habe jetzt nach 1 Woche noch immer einen dicken Geschwulst an der Impfstelle, der aber schon etwas kleiner geworden ist. Montag, den 28. Juni 1943

Am nächsten Samstag soll der bunte Abend in der Stadthalle zu Frisoythe stattfinden. Daran nehmen von uns einige Akrobaten, Musikkapellen und noch viele Sänger teil. Der weibliche Arbeitsdienst aus Altenoythe nimmt daran auch teil. Dazu waren heute einige Arbeitsmaiden hier im Lager und haben mit der Führerschaft darüber geredet. Sonst verläuft der ganze Tag planmäßig. Dienstag, den 29. Juni 1943

Der ganze Vormittag wird vom Ordnungsdienst eingenommen. Unser Zugführer ist z.Z. auf Urlaub und als Vertreter ist unser ehemaliger Zugführer Obertruppführer Giebel da, der seinen Dienst reichlich stur macht. Unser aktiver Zugführer Picht ist ganz anders, denn er war jetzt 4 Jahre Soldat und ist erst kürzlich entlassen. – Der Nachmittag ist sozusagen dienstfrei. Bis auf das Prüfen unserer Gasmaske wird nichts gemacht, aber das ist auch schon genug. Über 1 ½ Stunden müssen wir Stahlhelm und Gasmasken aufbehalten und dabei einige Runden um den Appellplatz laufen und im Marschieren sogar singen. Eine gewaltige Anstrengung und ich schwitze dabei, wie lange nicht mehr. Daß ich nachmittags sonst dienstfrei habe, liegt auch daran, weil ich an der Gestaltung des bunten Abends nicht beteiligt bin; die anderen müssen viel dafür üben. Meine Quetsche habe ich umsonst von zuhause geholt. In der Kapelle bin ich nicht mehr drin. Sonst in meiner Freizeit spiele ich auch nur wenig. Ich lese heute das Buch von Gerhard Hauptmann „Bahnwärter Thiel“. Abends kriege ich einen Brief von Frido Schoof, der nun inzwischen auch als Luftwaffenhelfer eingesetzt ist. Mittwoch, den 30. Juni 1943

Heute beim Appell werden willkürlich 16 Mann aus der Abteilung ausgesucht, die nach Oldenburg zum Arbeitsgau als Ordonnanzen, Schreiber, Handwerker und noch weiteres kommen sollen. Aber bald werden von diesen die rausgestellt, die sich kriegsfreiwillig gemeldet haben. Dafür

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müssen natürlich einige neue eingesetzt werden, und da ich beim Revierreinigen zufällig in der Nähe vom Appellplatz war, wurde ich zufällig gefragt nach meinem Beruf und ob ich Kriegsfreiwilliger sei. Und sofort hatten sie mich. Ich mußte mich sofort untersuchen lassen und bin dafür als tauglich rausgestellt. Wir müssen bis 15 Uhr alle Klamotten, die wir hier empfangen haben, vorzeigen. Was schlecht war, wurde umgetauscht. Wir müssen also dort blitzblank erscheinen. Nun wurden aber von diesen 16 Mann noch 3 Mann rausgesucht, die anscheinend nicht nach Oldenburg sollen, sondern nach irgendeinem anderen Ort. Dabei bin ich leider, ich wäre doch viel lieber nach Oldenburg gegangen. Wir müssen alle unsere Klamotten in unseren Affen verstauen, was kaum möglich scheint. Viele Sachen muß ich noch selbst nähen und stopfen; dafür brauchen wir die nächsten Tage gar keinen Dienst mitmachen. Wann es losgehen soll, ist nicht bestimmt, ich glaube aber, daß es Sonnabend soweit ist. Heute war auch Löhnungsempfang: 2,50 RM. Donnerstag, den 1. Juli 1943

Den ganzen Tag habe ich an meinen Sachen zu tun. Schuhe und Uniform werden noch zur Handwerkerstube gebracht, weil ich damit selbst schlecht fertig werden kann. Die anderen Arbeitsmänner haben auch fast den ganzen Tag frei. Die meisten nehmen ja an dem bunten Abend in Frisoythe teil. Die 16 Mann, die Bodenturnen machen müssen, können den ganzen Tag in der Sonne liegen, damit sie eine braune Hautfarbe kriegen. In dieser Woche ist fast gar kein strammer Dienst gemacht worden. Ich schreibe eine Karte nach Hause, daß ich nun eine Waffe bekomme. Auch schreibe ich einen Brief an Gotthelf und an Frido Schoof, und noch eine Karte an (Name gestrichen). Freitag, 2. Juli 1943

Nachmittags wird der Affe gepackt. Wenn ich meine Quetschkommode nicht noch mitgebracht hätte, hätte ich nicht alles mitkriegen können, denn um das Akkordeon herum kamen alle zerbrechlichen Sachen, weil sie im Affen unweigerlich zerbrochen würden. Abends beim Zapfenstreich müssen wir feldmarschmäßig mit allem Drum und Dran vor dem Spind stehen, denn morgen früh soll es schon losgehen. Abends kriege ich noch Post von meinem Vater, der schreibt, daß mein Bruder Paul kürzlich seine Ursula van Grieken mit nach Hause gebracht hatte und daß sie sich bald verloben wollen. Ich bin darüber sehr überrascht, denn ich hatte nie gedacht, daß es schon so weit mit den beiden sei. Außerdem kriege ich noch 3 Lüneburger Zeitungen, darin ich lese, daß die beiden Brüder Dieckmann aus der Kefersteinstraße gefallen sind. Ich hatte die beiden noch gut im Andenken. Um ½ 5 Uhr werden wir Oldenburgfahrer schon geweckt. Ich komme Gottseidank nach Oldenburg zum Arbeitsgau und nicht nach dem anderen Kaff. Um 7 Uhr fährt der Zug und um Sonnabend, den 3. Juli 1943

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6 Uhr ist Appell. Wir kamen aber noch nicht weg, weil wir unsere erste Garniturhose in die Stiefel gesteckt hatten und die Mäntel zu schlecht gerollt hatten. Daher können wir erst mit dem 2. Zug nach Oldenburg fahren. Auf dem Marsch zum Bahnhof schleppe ich mich mit meinem ca. ½ Zentner schweren Affen und Koppelgepäck ab. Dazu kommt noch das Akkordeon und der Spaten. Auf dem Bahnhof angekommen, bin ich vollkommen fertig. Ich hätte keinen Schritt weiter mehr gehen können. Erst als wir im Zug sitzen und alles Gepäck abgeschnallt hatten, fühlte ich mich erst wieder normal. In Ocholt brauchen wir nicht einmal umzusteigen, und in Oldenburg geht der Marsch wieder los. Meine Füße waren schon voller Blasen, mein Rücken war voll von Striemen und meine Beine waren zentnerschwer. Und dann machten wir in der Stadt noch einen Umweg, weil ein Oldenburger von uns von zuhause noch ein Plätteisen für die erste Garnitur holen will, die im Affen sehr gequetscht wurde. Dann geht es zum Platz der S.A., wo das Hauptgebäude des Arbeitsgaues ist. Wir dachten, daß wir endlich am Ziel seien. Wir konnten die Beine nicht mehr bewegen, da wies man uns wieder zurück nach dem Philosophenweg, wo das Gemeinschaftslager des Arbeitsgaues liegt. Wir schleppen uns dann noch 20 Minuten weiter bis ans endliche Ziel, wo wir unsere Bagage ablegen konnten. Dann müssen wir noch über 1 Stunde vor dem Obertruppführer stehen, um unsere Personalien aufnehmen zu lassen. Dann werden wir unseren neuen Stuben zugewiesen. Mit 16 Mann sind wir darin. Sogar Gardinen haben wir. Vieles der allgemeinen Lagerordnung ist vollkommen anders als in Frisoythe. Unsere Baracken liegen in einem herrlichen Park mit Teichen und Springbrunnen und Goldfischen. In der Mitte das große Hauptgebäude, eine gigantische Villa. Die meisten von unserer Stube gehen heute abend in die Stadt. Ich gucke meinen Spind an und schreibe abends noch eine Karte nach Hause und einen Brief an Hans Richard Bartels und teile ihnen meine Feldpostnummer (14970) mit. Auch kriegen wir hier mehr Löhnung (pro Tag eine Reichsmark). Das Wecken ist hier täglich noch eine ½ Stunde eher. Heute am Sonntag natürlich erst um 7 Uhr. Morgens ist nur Revierreinigen. Vormittags können wir leider noch nicht ausgehen, weil wir noch kein Abzeichen an unserem „Arsch mit Griff“ dranhaben. In Feldmütze darf man hier nicht ausgehen. Ich bleibe also auf der Bude und schreibe einen Brief an (Name gestrichen). Bislang weiß ich immer noch nicht, was ich hier zu tun habe. Es liegt ungefähr ein Zug Arbeitsmänner hier. Die meisten sind Luftschutzwachen und Löschtrupps. In unserem Lager mit Dom liegt auch eine Flak-Einheit, die die Küche und den Tagesraum mit uns gemeinsam haben. Unser Zugführer ist Obertruppführer Lechte, eine Sportsfigur und ziemlich streng. Er ist mir aber sehr sympathisch; ein richtiger Arbeitsdienstführer. Bei ihm ist der Urlaubsappell ganz anders als wir gewohnt waren. Mein Spind flog heute durcheinander. Ich hatte ja zum Einräumen noch gar keine Zeit. Sonntag, den 4. Juli 1943

Flak=Flugabwehrkanone

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Montag, den 5. Juli 1943

Morgens gehen wir zum Arbeitsgau, wo einige von uns ihre neue Verwendung erfahren. Ich erfahre es erst vormittags bei einem großen Appell. Ich muß schnell den Appellplatz auf- und abgehen, und werde als Tagesraumordonnanz mit noch einem Frisoyther Kameraden eingeteilt. Beim Mittagsessen müssen wir die alte Ordonnanz ablösen, die uns noch über alles belehrt. Wir müssen auch Ordonnanz für die Flak machen, die eine Stunde eher ißt. Nebenbei sind wir beide auch Ordonnanz für die Führerbaracke. Dort haben wir Betten zu bauen, Stiefel putzen usw. Ein großer Appell aller Klamotten findet statt und ich tausche auf der Kammer meine Tuchmütze um, die ich jetzt immer trage. Auch empfange ich dort ein neues Dienststellenabzeichen für den Ärmel mit der Aufschrift XIX. Dienstag, den 6. Juli 1943

Als Ordonnanz wurde ich von der Küche in die Stadt geschickt, um Milch für einen Führer zu holen. So komme ich also ganz allein mal in die Stadt ohne Urlaub. Im Tagesraum ist man nur während der Mahlzeiten beschäftigt. Vormittags und nachmittags hat man etwas Freizeit. Mittwoch, den 7. Juli 1943

Als unsere Morgenarbeit beendet ist, werde ich zum Gesundheitsdienst des R.A.D. geschickt, um mich für einen Zahnarzt anzumelden. Ich soll morgen früh um 8 Uhr bei Zahnarzt Dr. Franksen am Theaterwall sein. In der Stadt bummele ich noch gut eine Stunde herum und kaufe auch noch Briefpapier. Abends müssen wir beiden Ordonnanzen bei der Abschiedsfeier eines Oberstfeldmeisters Kellner spielen. Das geht bis nachts um 1 Uhr. Beim Einkassieren habe ich ungefähr 3 RM über. Es ist eine wahnsinnige Rechnerei mit so vielen Gästen und dann noch das lange Stehen. Donnerstag, den 8. Juli 1943

Ich gehe vormittags gleich nach Zahnarzt Dr. Franksen, werde dort aber abgewiesen, weil er morgen auf Urlaub geht. Ich gehe wieder zum R.A.D.-Gesundheitsdienst und lasse mir einen neuen Zahnarzt vorschlagen. Man bestimmt Dr. Schwarz, wo ich hineile, weil ich am selben Vormittag noch mit meiner Behandlung anfangen will. Zufällig werde ich auch dort wegen Urlaub des Arztes fortgeschickt. Ich lasse mir also vom Gesundheitsdienst den nächsten bestimmen, und zwar ist es diesmal eine Zahnärztin Dr. Rath. Dort wurde ich endlich angenommen und sie will versuchen mir einen Stiftzahn einzusetzen. – Mit dieser Lauferei ist der ganze Vormittag hingegangen. Mittags kriege ich eine Postkarte von meinem Vater, der berichtet, daß der Tag von Pauls Verlobung schon festgesetzt sei, es sei dies der 24. Juli 1943 und ich sei dazu auch herzlich eingeladen. Ich will natürlich alles dran setzen, um dafür frei zu kommen. Ich schreibe gleich wieder nach Hause, und teile auch mit, daß ich in Oldenburg liege, das hatte ich bisher verschwiegen, denn weil ich eine Feldpostnummer habe, wollte ich mich zuerst so stellen, als ob ich im Einsatz wäre. Ferner schreibe ich eine Karte an Familie Strobel in München. Augenblick-

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lich ist auch meine Schwester Christa dort zum Kriegseinsatz während der Sommerferien hingefahren. Damals luden sie auch mich für die Sommerferien ein, denn es ahnte ja keiner, daß ich so schnell zu R.A.D. mußte. Auch meinen Frisoyther Stubenkameraden schicke ich eine Karte, mit der Bitte, die Post für mich und die beiden anderen aus unserer Stube nachzuschicken. Freitag, den 9. Juli 1943

Bei dem allmorgendlichen Durchgang durch die Führerstuben, nehme ich mir Zeit, um dort Zeitungen und Illustrierte zu lesen. Dort in der Führerbaracke ist man den ganzen Tag ungestört. Auch ein Schachspiel habe dort entdeckt, daß ich in einer ruhigen Stunde mit der zweiten Ordonnanz einmal spielen will. Ich schreibe eine Ansichtskarte des Oldenburger Staatstheaters an meinen Bruder Gotthelf. Ferner kommt noch eine Karte weg an Alfred Clavin. An den Ordonnanzdienst habe ich mich jetzt schon richtig gewöhnt. Ich hätte nicht gedacht, daß es jetzt schon so klappen würde. Gestern abend um ½ 11 Uhr muß die gesamte Abteilung auf dem Appellplatz antreten, weil noch nicht genug Kartoffeln geschält waren. Ich lag gerade im Bett, zog mich blitzschnell an und wurde auf dem Appellplatz wieder ins Bett geschickt. Also hat man als Ordonnanz doch viele Vorteile. Um 0 Uhr kamen die Kartoffelschäler wieder rein und um 1 Uhr ging es wieder raus zu einer Stunde Fliegeralarm. Ich mußte den Keller der Mittelschule, die direkt neben unserem Gemeinschaftshaus ist, ausfegen. Den versäumten Schlaf hole ich vormittags beim Säubern der Führerbaracke nach. In einem leer stehenden Führerzimmer wird sich auf ein Bett geworfen, Lappen und Besen griffbereit hingestellt und der Wecker rechtzeitig zum Mittag gestellt und dann wird geschlafen. Ein Vorteil, den sich nur die Ordonnanzen erlauben können. Mittags hole ich mir meine zweite Raucherkarte von der Verwaltung ab. Samstag, den 10. Juli 1943

Sonntag, 11. Juli 1943

Heut morgen sind andere Arbeitsmänner im Revierdienst mit den Führerstuben beschäftigt. Daher habe ich als Ordonnanz den ganzen Vormittag frei. (Ein ganzer Satz wurde gestrichen.) Nachmittags ist Ausgang. Den Urlauberappell habe ich nicht mitgemacht, ich habe absichtlich so lange gearbeitet, bis er vorbei war. Dann kommt man ohne Appell viel leichter aus. Zusammen mit der anderen Ordonnanz, der früher auch schon auf meiner Stube schlief, gehe ich zunächst ins Kino. Im großen Wall-Lichtspieltheater gibt es den großen Film „Paracelsus“. Vorher läuft die Wochenschau, die die großen Zerstörungen vom Kölner Dom zeigt. Nach acht Wochen Pause bin ich nun endlich mal wieder im Kino gewesen. Nach der Kinovorführung gehen wir zwei in die Gaststätte „Casino“. Mein Freund hat Speisemarken bei sich und so können wir dort schön Abendbrot essen.

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Montag, den 12. Juli 1943

Ich als Nichtraucher will doch meine Raucherkarte ausnutzen und kaufe heute 80 Zigaretten darauf. Ich habe vor, sie wieder zu verkaufen; vielleicht mache ich noch ein kleines Geschäft dabei. Nachmittags gehe ich wieder zur Zahnärztin. Sie versetzt mir einen Stiftzahn, der erstmal wohl schon drin sitzt. Sie behandelt gleichzeitig 3 Zähne bei mir. Ich habe ein zu schlechtes Gebiß. Heute ist auf einer Stube ein Scharlachfall vorgekommen, die Insassen müssen in der Stube bleiben und wir Ordonnanzen haben sie zu versorgen. Dienstag, 13. Juli 1943

Mit den täglichen Vormittagsschläfchen in einer Führerstube ist nun vorläufig Schluß. Heute wäre es um Haaresbreite schief gegangen. Wir beiden Ordonnanzen waren selig in einer leeren Stube eingeschlafen. Im letzten Augenblick wurde ich wach, weckte meinen Kameraden und stürzte ans Fenster, um daran zu wischen. Und schon war unser Obertruppführer bei uns drin, hatte scheinbar unsere verschlafenen Gesichter gar nicht bemerkt und sagte, daß dies Zimmer jetzt für einen neu angekommenen Führer eingerichtet werden müßte. Also ist es jetzt mit unserem ruhigen Schlafplätzchen aus, aber wir werden bald ein neues finden. – Wenn wir beide bei dem unerwarteten Eintritt des Obertruppführers nicht erwacht wären, säßen wir jetzt bestimmt im Bau. – Wir beide führen das beste Leben von allen, die hier zum Gau herkommandiert wurden. Beim Essen kriegen wir mindestens das Doppelte, weil wir zwischen der Flak und den Arbeitsmännern essen. Da fällt es nicht so auf, wenn man etwas mehr aus der Küche holt. Beim Empfang der Brotportionen für abends und morgens muß ich auch mithelfen, da gibt es auch mal was extra. – Heute erhielt ich einen Brief von (Name gestrichen). Sie schreibt, daß (gestrichen). Als Trost dafür, nennt sie (gestrichen) und die sich (gestrichen). Er ist (gestrichen), die die (gestrichen) darf (gestrichen) hatte. Ich schreibe am selben Tage noch zurück und bitte noch um einige Angaben über (gestrichen) soll versuchen. Mittwoch, den 14. Juli 1943

Ich habe den ganzen Tag Magenbeschwerden, weil ich mich gestern abend überfressen habe. Ich aß 5 Teller Milchsuppe, 3 Scheiben Brot und noch ein Stück Kuchen. Als Ordonnanz hat man so viel Möglichkeiten zu futtern und die möchte man sich natürlich nicht entgehen lassen. Heute wird von mir mal wieder etwas körperliche Arbeit verlangt. Einige Zimmer werden umgeräumt und da müssen Schränke und Tische zum Teil aus der 2. Etage heruntergeschafft werden. Wenn ich nicht die gute Extrakost nebenbei hätte, könnt ich`s kaum schaffen. Abends schreibe ich zwei Briefe, einen dem Luftwaffenhelfer Frido Schoof und einen Brief an meine Schwester Christa, die zur Zeit beim Ferienkriegseinsatz Glück gehabt hat und zu meiner Schwester Hanna nach Polling in Oberbayern gekommen ist.

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Donnerstag, den 15. Juli 1943

Nachts war Fliegeralarm. Wir, die wir eingangs beim Luftschutz eingeteilt sind, müssen rüber in den Keller der Mittelschule. Dort auf alten Schulbänken weitergeschlafen. Leider war der Alarm 10 Minuten zu kurz. Denn bei einer Dauer von 1 ½ Stunden ist am nächsten Morgen eine Stunde später Wecken. Heute Mittag wurden wir beide Ordonnanzen als Ersatzmänner für die Brandwache beordert. Nun brauche ich also nicht mehr rüber zur Schule. – Vormittags gehe ich wieder zum R.A.D.-Gesundheitsdienst und lasse mir dort einen Behandlungsschein für die Zahnärztin geben. Dieser gilt nur für die übrigen schlechten Zähne. Für den Stiftzahn muß ich mir morgen noch einen besonderen Genehmigungsschein holen. Und übermorgen muß ich schon wieder raus zur Zahnärztin. Man läuft also viel Zeit ohne Arbeit in der Stadt herum. Nachdem ich über eine Stunde heut’ Vormittag beim Gesundheitsdienst herumgesessen habe, finde ich bis Mittag gerade noch Zeit, einen kleinen witzigen Friseur aufzusuchen. Unser Obertruppführer hat sich schon jeden Tag über meine Mähne aufgeregt, zumal ich beim Servieren am Führertisch bei der vielen Bewegung meine Haare nicht immer anliegen habe. So ging ich also heut Vormittag weg ohne mich ab- oder wieder anzumelden; das haben die Ordonnanzen ja nicht nötig! Sie sind stets ohne Aufsicht! – Abends muß ich „2 Runden traben“, weil ich unseren Obertruppführer nicht beachtet und daher auch nicht gegrüßt hatte. Beim Laufen fallen ihm meine fliegenden Haare auf und er befahl, daß ich morgen früh gleich zum Friseur gehen soll. Als er erfuhr, daß ich heute bereits beim Friseur war, wurde er wütend, daß ich nicht genau bis auf Streichholzlänge habe abschneiden lassen und er läßt sich eine Schere geben und schneidet mir vorn fast alle Haare weg. Im Augenblick habe ich so eine Wut auf ihn und er will den Urlaub für Sonnabend und Sonntag sogar sperren, weil ich mich bei ihm nicht abgemeldet habe. Hätte ich doch nur nicht gesagt, daß ich heute schon beim Friseur war, dann wäre alles gut gegangen. Freitag, den 16. Juli 1943

Heute nacht war schon wieder Fliegeralarm, und ich konnte im Keller des Gemeinschaftshauses, wo wir Matratzen ausbreiteten und uns hinlegten. Vormittags hole ich nur vom G.D. den Genehmigungsschein zum Stiftzahn und anschließend lasse ich mir von einem Friseur die vorgeschriebenen Haare nachschneiden. In der Stadt treffe ich Angehörige des 1.+2. Zuges der Abteilung 5/194 aus Frisoythe, die Küsten-Abteilung geworden ist und heute zum Einsatz nach der Küste bei Wilhelmshafen kommt. Sie haben in Oldenburg 2 Stunden Aufenthalt und ich habe das Glück alle Lüneburger der Abteilung dabei zu treffen. Der 3.+ 4. Zug kam leider erst mittags und wir konnten keinen davon treffen. Es wurde behauptet, daß der Einsatz nur 3 Wochen dauern soll. Hoffentlich stimmt das. Denn wenn es womöglich ein ½ Jahr wird, müssen wir hier in Oldenburg auch so lange bleiben. Ich glaube aber, daß ich es hier besser getroffen habe als unsere jetzige Küsten-Abteilung.

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An Post kriege ich mal wieder Zeitungen aus Lüneburg. Ferner kriege ich auch einen Brief von meiner Schwester Ellen, worin auch eine Kuchenkarte von Flory Möller, unserer Hausfreundin, lag. Zuhause selbst haben sie nichts an Kuchen über, weil die Verlobung vor der Tür steht. Ich schreibe auch ein Urlaubsgesuch, nachdem ich unseren Obertrupp fragte, ob ich wohl dafür frei kriege. Hoffentlich klappt es. Weiter habe ich noch einen Brief von meinem Bruder Gotthelf bekommen. Samstag, den 17. Juli 1943

Heute jagt ein Fliegeralarm den anderen. Der erste war nach Mitternacht, der nächste kurz vor dem Wecken, so daß nach dem kurzen Alarm das Wecken eine Stunde später gelegt wird. Vormittags bin ich wieder auf dem nächsten Wege zur Zahnärztin, als mich mitten in der Stadt wieder ein Fliegeralarm überrascht. Ich suche einen öffentlichen Luftschutzraum am Marktplatz auf. Nach der Entwarnung eile zur Zahnärztin, denn es war schon Zeit geworden. Dort im Wartezimmer sitzend höre ich abermals die Alarmsirenen. Fräulein Dr. Rath schert sich aber nicht darum und behandelt ihre Patienten weiter; nur darf sie keinen wieder raus lassen. Bei mir wird heute das Fundament für den Stiftzahn gelegt. Dabei wird rein handwerkermäßig gehandelt: etwas wie ein Installateur beim Eingipsen eines Hakens. Mit dem Bohrer wird ein wahnsinnig tiefes Loch gebohrt, so daß man glaubt, die Spitze müsse aus dem Kinn wieder herausschauen. Dann wird in das Loch ein langer Eisenstift eingegipst und noch mit einem Hammer festgeschlagen. Überhängende Zahnfleischteile werden ohne Betäubung mit einer glühenden Nadel weggebrannt. Dann hat man während der ganzen Sitzung noch einen lästigen Schlauch in den Hals gesteckt gekriegt, der den Speichel aufsaugen soll. Nach dieser ausgehaltenen Qual dachte ich, ich wäre fertig. Aber da erfuhr ich erst, daß ich den Stiftzahn noch gar nicht drin habe, denn sie ist noch nicht sicher, ob sich bei mir an der Stelle überhaupt ein Stiftzahn machen läßt. Sie gibt mir einen Zettel mit, nach dem ich bis zur nächsten Bestellung den Teil des Oberkiefers durchröntgt haben muß. Die Aufnahme muß ich dann mitbringen. Nach dem Zettel konnte ich entziffern, daß den Verdacht auf eine Zahnkrankheit vermutet. Davon können auch nur meine Zähne abbrechen, denn ich bin sonst in jeder Weise gesund. Ich gehe also hinterher zum G.D. und lasse mir dort von dem Unterfeldarzt vorschlagen, wohin ich mich zur Durchröntgung zu begeben habe. Mir wird das Reservelazarett Kreienbrück zugewiesen; ich habe keine Ahnung, was das für ein Kaff ist. Heute komme ich nicht mehr dazu, und beabsichtige am Anfang der nächsten Woche dahinzugehen oder -zufahren. Auf dem Rückweg zur Gaustabsunterkunft gehe ich in einen Bäckerladen und leiste mir seit langem mal wieder etwas Kuchen auf die Marken, die ich gestern von zu Hause geschickt bekam. Heute erhielt ich wieder Zeitungen aus Lüneburg, auch einen Brief von (Name gestrichen). Die geht auch sogar (gestrichen). Das geht zu weit! Bisher schrieb sie (gestrichen) jetzt (gestrichen) anfangen (gestrichen) die Sache langsam aber sicher (gestrichen). - 32 -


Sonntag, den 18. Juli 1943

Eine Nacht mal wieder ohne Fliegeralarm. Und dann noch wegen Sonntag noch 2 Stunden länger. Ja, das war mal wieder herrlich. Vormittags gehe ich nicht aus, erstens ist das Wetter schlecht und zweitens läuft in den Kinos kein vernünftiger Film. Und was soll man sonst in der Stadt anfangen? In ein Cafe setzen und nach Mädchen suchen? Nein, dort findet man nicht das richtige! Wenn es doch mal irgendein Konzert oder sonst irgendeine Nachmittagsvorstellung gäbe! Ich bleibe lieber zuhause und erledige meine Briefschulden. Ich schreibe erst einen Brief an Alfred Clavin, von dem ich heute gerade Post kriegte. Er schreibt, daß er sich freiwillig zur Panzertruppe gemeldet habe, und daß er vorher während seiner eigentlichen Arbeitsdienstzeit bei der NSKK-Kraftfahrzeugkolonne „Speer“ das Vierteljahr dienen muß. Er rechnet damit, daß er in Kürze wegkommt. Ferner schreibe ich einen Brief nach Hause und an Gotthelf. Montag, den 19. Juli 1943

Nachts war wieder Fliegeralarm. – Nachmittags gehe ich bis zum Markt, steige dort in den Trollibus und fahre bis zum Reservelazarett Kreienbrück. Dort werde ich in die Röntgenabteilung geschickt und suche diese auf. Ein gewaltiges hochmodernes Gebäude ist dieses Lazarett. In der Röntgenabteilung sind nur junge Mädchen beschäftigt. Auf einem Röntgen-Liegetisch schneiden sie gerade Kleider zu und benutzen dazu auch noch große Cellophanbogen, in denen sicher mal Röntgenfilme gewickelt waren. Die Schneiderinnen lassen sich nicht bei ihrer wichtigen Arbeit stören, als ich im selben Raum auf einem Zahnarztstuhl sitze und meinen Oberkiefer mit einem Spezial-Zahn-Röntgenapparat durchleuchten lasse. Die Aufnahme geht schnell und morgen nachmittag muß ich das Bild wieder abholen. – Ich fahre dieselbe Strecke mit dem Trollibus wieder zurück bis zum Markt und kaufe mir noch etwas Kuchen, gehe zum Bahnhof und verweile dort eine gute Stunde, um Züge für die Hin- und Rückfahrt nach Lüneburg bei meinem eventuellen Urlaub rauszusuchen. Zum Abendbrot bin ich wieder rechtzeitig im Gau. Wir als Ordonnanz haben jetzt im Tagesraum viel weniger Arbeit, weil der Flak-Zug, der immer vor uns zu Mittag und Abend aß, heute mittag weggefahren ist. Die Schweine machten immer den größten Dreck. Dienstag, den 20. Juli 1943

Statt der Flak essen heute Russen hier im Tagesraum. Sie fressen wie die Tiere und wir Ordonnanzen müssen hinterher die vollgekleckerten Tische säubern. Vormittags fahre ich wieder mit dem Trollibus nach Kreienbrück ins Reservelazarett und hole mir die Röntgenaufnahme ab. Der Trollibus ist eine Straßenbahn mit Gummirädern und ohne Schienen. Sie sind viel praktischer als die gewöhnlichen Elektrischen. Von anderen Städten außer Oldenburg ist mir dieses Verkehrsmittel nicht bekannt. Ich bekam heute einen Brief von (gestrichen), in dem sie wieder (gestrichen) schreibt. Sie ist recht (gestrichen). Heute mittag hält unser Gaustabsleiter Ofm. Pethge eine Rede und verweist auf das schlechte Auftreten der ganzen Abteilung. Von allen NSKK=Nationalsozialistisches Kraftfahrkorps, Ofm=Oberfeldmeister

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Seiten seien ihm Beschwerden gekommen, daß die Arbeitsmänner auf den Wege von und nach der Arbeitsstelle bummelig wären und sich zu lange auf den Straßen der Stadt aufhielten. Dieses schlechte Auftreten hat ihn so geärgert, daß er sämtliche Urlaubsgesuche zurückgab. Meins war zufällig das letzte und als er las, daß es sich um einen besonderen Fall handelt (die anderen hatten nur Urlaub eingereicht, weil sie ¼ Jahr beim R.A.D. sind) zögerte er, und sprach, daß ich Donnerstag noch einmal bei ihm vorkommen soll. Also ist doch noch nicht alle Hoffnung aufgegeben, wie ich zuerst dachte. Mittwoch, den 21. Juli 1943

Gestern abend war der Generalarbeitsführer hier zu Besuch und als er in den Tagesraum guckt, mache ich ihm eine Meldung. Er will wieder anderes haben, daher haben wir Ordonnanzen den ganzen Tag zu tun, umzuräumen usw. Das Mittagessen ist eine gewaltige Aufregung der Arbeitsmänner. Sie schimpfen uns aus, daß sie nicht schnell genug was kriegen. Aber es liegt ja nicht an uns! Sie sehen ja, wann in der Durchreiche was steht, dann wird es auch sofort an die Tische gebracht. Aber die meisten wollen nicht glauben, daß die Küche so langsam liefert und geben immer den Ordonnanzen die Schuld. Überhaupt sehen sie uns auch schief an, weil wir scheinbar die leichteste Arbeit von allen haben und ständig sauber und in weißer Jacke umherlaufen. Aber wenn sie uns mal bei einer schweren Arbeit sehen, wie augenblicklich bei der Umräumung, dann sagen sie für ein paar Stunden nichts. Aber bei der Mahlzeit ist die Aufregung wieder da. – Nach dem heutigen Mittagessen erhalten alle für das zweite Mal Löhnung. Es gibt 10,- RM und beim ersten Mal gab es sogar 20,-. Nachmittags war ich für die Zahnärztin angemeldet. Ich wollte mich gerade dafür fertig machen, als unser Obertruppführer sagte, ich könnte heute unmöglich hin, denn heute abend soll eine Kameradschaftsfeier von dem R.A.D. Gaustab veranstaltet werden, an der die Ordonnanzen wieder Kellner spielen und vorher die ganzen Vorbereitungen wie Gläser spülen, Tische decken usw. besorgen sollten. Ich bin zu Beginn der Feier gerade pünktlich fertig geworden und nun geht die alte Tour von vor 14 Tagen wieder los. Bei der Abrechnung erhalte ich einen Überschuß von 5-6,- RM. Die Feier endet gegen 24.00 Uhr und 1 Stunde später liege ich erst im Bett. Bei der Postverteilung war für mich ein Brief von (Name gestrichen) dabei, die zur Zeit ihre Sommerferien irgendwo in Bayern verbringt. Ich soll (gestrichen). Donnerstag, den 22. Juli 1943

Noch keine 4 Stunden Schlaf, geht es schon wieder aus dem Bett. Vormittags im Wartezimmer der Zahnärztin schlafe ich fest ein, sobald ich einen Sitzplatz erwischt habe. Ich war ja nicht für heute bestellt und muß daher sehr lange (2 Stunden) warten. Und dann die Behandlung selber dauerte noch fast ¾ Stunden. Die Behandlung bestand aus 3 Teilen: In dem ersten wurde der Stiftzahn eingekittet, der zweite, der fast ein halbe Stunde dauerte, bestand aus Sitzen auf einem anderen Stuhl mit irgendetwas Komisches zwischen den Zähnen, während neben mir schon

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3 andere Patienten behandelt wurden und danach wurde der neue Zahn noch zurechtgeschliffen. Nächsten Mittwoch muß ich wieder hinkommen. Aber dazwischen wird noch ein schöner Tag sein! Ich gab dem Oberfeldmeister heute nochmals mein Urlaubsgesuch. Er nahm es an, kann allerdings erst ab Samstagmittag Urlaub gewähren. Das ist ja auch egal. Ich hatte schon gestern einen Zug rausgesucht, sodaß ich doch noch abends um ½ 8 Uhr zu Hause sein kann. Augenblicklich ist endlich herrliches Sommerwetter. Die anderen Arbeitsmänner können den ganzen Tag mit freiem Oberkörper arbeiten, nur wir Ordonnanzen müssen immer Uniform anhaben, dürfen nicht einmal den obersten Knopf öffnen, was beim Schwitzen eine Qual ist. Wenn beim Gang durch die Stadt ich die Jungens mit nur Hemd und Hose angekleidet sehe, fängt man in seiner dicken Uniform erst recht an zu schwitzen, zumal ich ja vor einigen Wochen zu Hause noch genauso rumgelaufen bin. Freitag, den 23. Juli 1943

Ich wollte eigentlich vormittags zum Schuhumtauschen. Aber da ich dachte, daß ich mittags meinen Urlaubsschein kriege, wollte ich es nachmittags tun, weil ich dann gleichzeitig eine Fahrkarte vom Bahnhof für die Urlaubsreise holen wollte. Aber er kam mittags nicht, nachmittags nicht und auch abends noch nicht. Ich kriegte schon Angst, daß der Schein vielleicht verbummelt ist, weil seit heute morgen unser Gaustabsleiter vom Urlaub zurück ist und der nun die Sache unterschreiben muß. Zufällig erfahre ich von einem Schreiber bei unserer Verwaltung, daß mein Urlaubsschein schon oben auf der Schreibstube läge. – Nun konnte nichts mehr schief gehen. Und als Beweismittel für die Verlobung erhielt ich heute eine Drucksache von der Verlobung meines Bruders Paul mit Fräulein von Grieken. Sonnabend, den 24. Juli 1943

Vormittags erfahre ich endlich, daß mein Urlaubsgesuch genehmigt ist, und daß ich meinen Urlaubsschein und die Reisemarken von der Schreibstube abholen kann. Als Ordonnanz wird für mich für die beiden Tage ein anderer bestimmt. Mein Zug fährt kurz nach 14 Uhr und ich wäre beinahe nicht weggekommen, wenn der heutige Flugalarm nicht um 13 Uhr zu Ende gewesen wäre. Ich muß früh losgehen, weil ich die Fahrkarte noch lösen muß. Ich verlange eine Wehrmachtsfahrkarte über Bremen und Buchholz nach Lüneburg, weil ich auch dafür immer gleich Anschluß habe. Aber das Fräulein am Schalter kann nur eine Fahrkarte bis Bremen lösen. Ich muß dann während des kurzen Aufenthaltes in Bremen nachlösen. Ich sehe schwarz, daß die Zeit, um lange Schlange zu stehen, zu kurz ist, und daß ich mit dem nächsten Zug viel später nach Hause komme. Aber ich habe Glück: Aus Oldenburg fährt ein Fronturlauberzug ab, mit dem ich schon eine Dreiviertelstunde eher in Bremen ankomme und dann noch zum Fahrkartenlösen Zeit habe. Vom Zuge aus sehe ich erstmal wieder geschnittenes Korn, drei Wochen bin ich nicht aus der Stadt herausgekommen, nur innerhalb der Mauern geweilt. Die Fahrt bis Lüneburg ging zu Ende und Punkt 19.20 setzte ich den Fuß nach 2 monatiger Pause wieder auf hei-

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matlichen Boden. Zu Hause war alles überrascht über mein plötzliches Erscheinen. Auch ich war überrascht, als ich bei der Verlobungsgesellschaft meinen Bruder Gotthelf erblickte, den ich seit 1 ½ Jahren nicht mehr gesehen hatte. Vielleicht habe ich das Glück, ihn nach meiner Entlassung in ca. 3 Wochen noch zu Hause vorzufinden, denn er hat sich in Rußland ein krankes Bein weggeholt, das jetzt im Lüneburger Lazarett ausgeheilt werden soll. – Bei der Feier sehe ich auch erstmalig meine neue Verwandte, Braut Pauls. Ich habe sie mir genauso vorgestellt. Die Feierei geht bis in die späte Nacht hinein. Die Verlobung ihrer Tochter Ursula mit Herrn Paul Hoffmann zeigen an: Walter van Grieken und Frau, Berlin W 30, Hohenstaufenstr. 29. – Meine Verlobung mit Fräulein Ursula van Grieken, Tochter des Herrn Walter van Grieken und seiner Frau Gemahlin Katharina, zeige ich an. Paul Hoffmann, Lüneburg, z.Z. Berlin-Grunewald, Hubertusallee 24. Im Juli 1943.

Eingeklebter Zeitungsausschnitt mit der Verlobungsanzeige:

Durch einen 2 ½ stündigen Fliegeralarm in der Nacht läßt sich die Verlobungsfeier nicht stören. Während der Nacht findet auf Hamburg ein gewaltiger Terrorangriff statt, der sich von Lüneburg aus gut erahnen läßt. Morgens schlafe ich mich tüchtig aus. Dann werfe ich mich für den ganzen Tag in Zivil, treffe in der Stadt noch einige Klassenkameraden, packe ein Paket mit Zivilsachen, daß mir nachgeschickt werden soll, sobald meine Entlassung gewiß ist. Während des Kaffeetrinkens muß ich schon wieder aufbrechen, um nach Oldenburg zurückzufahren. Mein Bruder Gotthelf bringt mich noch zum Bahnhof, wo ich gleich in den nächsten Zug steige. Sonntag, den 25. Juli 1943

Während des ganzen Sonntags war eigentlich klares Wetter, aber in Lüneburg war die Sonne nicht zu sehen. Der Wind hatte eine gewaltige Qualmwolke vom brennenden Hamburg herübergetrieben. Nun ging es bis Harburg immer weiter in diese Wolke hinein. Immer näher an die Brandstätte herankommend, sah man kurz vor Hamburg auch riesige einzelne Brände, vielleicht Gasometer oder Oeltanks. Aus der eigentlich kurzen Anschlußpause in Harburg wird eine ganze Dreiviertelstunde. Das kommt daher, daß einige obdachlose Flüchtlinge aus Hamburg noch mit in den Zug gequetscht wurden. Da sah man Elend! Weinende Frauen mit kleinen Kindern, verbrannte Kleider und das notwendigste bei sich, mußten nun in diesen überfüllten Zügen ins Ungewisse hinaus. Aus ihren Gesprächen konnte man das Schrecklichste von ihren Erlebnissen hören. Im Wehrmachtsbericht wurde von einem Terrorangriff gesprochen, und der Terror war bei diesen Leuten stimmt da! Der Zug in Richtung Bremen fuhr dann mit durchge-

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drückten Federn, und den dadurch den starken Erschütterungen ausgesetzten Insassen langsam aus der Rauchwolke heraus und lud auf jeder Station welche von den Obdachlosen aus, die auf den Bahnhöfen von den mitleidigen Bewohnern und von H.J. und B.D.M. mit Essen und Trinken versorgt wurden. Inzwischen war die Nacht hereingebrochen und löste die künstliche Dunkelheit ab. In Bremen traf dieser Zug natürlich mit einer großen Verspätung ein. Aber der Anschlußzug war auch noch lange nicht da, weil dieser auch eigentlich über Hamburg fahren mußte und einen weiten Umweg hinter sich hatte. Mein Urlaub währte nur bis 24 Uhr und inzwischen war es so weit, und ich wartete immer noch in Bremen. Fahrplanmäßig mußte ich schon um ½ 24 Uhr in Oldenburg sein. Ich fahre also mit dem nächsten Personenzug und treffe um 1.10 Uhr in Oldenburg ein und bin um ½ 2 Uhr im Gemeinschaftshaus; habe also 1 ½ Zappen gehauen. Aber bei der Rückmeldung auf der Wache passiert nichts. Es war dort auch gerade Fliegeralarm gewesen, und so fiel ein Zuspätkommen gar nicht auf. Ich muß dem Wachhabenden von dem Geschehen auf meiner Fahrt berichten, weil er auch Hamburg kennt. Um 2 Uhr liege ich im Bett und nach 3 Stunden Schlaf ist schon wieder Wecken. Montag, den 26. Juli 1943

Im Morgennachrichtendienst wird durchgegeben, daß in Italien ein Regierungswechsel war, bei dem Mussolini zurückgetreten ist und Italien einen neuen Regierungschef erhalten hat. Die Oberhoheit über den Staat hat der italienische König und Kaiser Victor Emanuel. Das muß passieren, wo Italien bei seinem Endkampf ist! Ein schlechtes Zeichen! Vormittags ist ein langer Fliegeralarm, bei dem auch ganz in unserer Nähe von der Flak geschossen wird. Dienstag, den 27. Juli 1943

Wie in letzter Zeit in jeder Nacht, so war auch heute wieder ein Fliegeralarm. Es wird jetzt immer schlimmer damit. Aber im Keller auf den Matratzen versäumt man von der Bettruhe nichts. Mittags erhalte ich einen Band Lüneburger Zeitungen, der 3 Wochen unterwegs war. Das soll daher kommen, weil die Feldpost an unsere Männer immer noch über Hamburg gehen muß, und jetzt dort durch den Terrorangriff länger aufgehalten wird. Abends schreibe ich 2 Briefe, einen an meine Eltern, worin ich viel von dem Angriff auf Hamburg geschrieben hab, und den andren an (Name gestrichen). Heut nacht war ein 3-stündiger Alarm, weshalb wir auch morgens erst um ½ 7 Uhr geweckt wurden. – Seit Kurzem haben wir in der Verwaltung einen neuen Unterfeldmeister, der uns Ordonnanzen bei der bisherigen ruhigen Arbeit viel Verdruß bereitet. Man kann sich nirgends vor ihm verbergen. Überall schleicht er mit seinen leisen Sohlen hin und plötzlich steht er da. Beide gleichzeitig schlafen können wir nun nicht mehr. Einer muß dabei immer wachen, es gibt ja genug zu lesen in den Führerstuben. Der nun wechselt dann öfters den anderen ab, damit jeder Mittwoch, den 28. Juli 1943

B.D.M.=Bund Deutscher Mädel, weiblicher Zweig der Hitlerjugend

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zu seinem Recht kommt. Vormittags müßte ich eigentlich um ¾ 10 Uhr wieder zur Zahnärztin, aber ein Fliegeralarm liegt wieder kurz vor dieser Zeit, daß ich erst nachmittags hinkomme; dort aber wird die Behandlung auf Sonnabend früh verschoben. Ich bleibe aber noch einen Augenblick in der Stadt, um nicht umsonst hineingelaufen zu sein. Ich kaufe mir einen Stadtplan von Oldenburg, der mir nun ja doch nichts mehr nützen kann; denn heute habe ich vernommen, daß auf der Schreibstube die Papiere von unserer Entlassung seien, und daß wir sie morgen sofort empfangen, um nach Hause schreiben zu können, damit unsere Zivilklamotten geschickt werden sollen. Am 5. soll es von hier weg gehen und dann am ? von der Abteilung. Es wird aber höchste Zeit, daß wir es erfahren, denn die Pakete nehmen bis hier viel Zeit in Anspruch. Donnerstag, den 29. Juli 1943

Ein kurzer Alarm während der Nacht ist nicht sehr vorteilhaft. Wir hatten uns angezogen, Dekken mit in den Keller genommen, ein weiches Lager aus Matratzen bereitet und waren gerade am Einschlafen, als die Sirenen schon wieder zur Entwarnung riefen. Das ist natürlich Pech, denn dann gibt’s auch kein Späterwecken. Bei dem Fliegeralarm am Vormittag bleiben wir beide Ordonnanzen in der Führerbaracke und legen uns dort auf ein Bett und schlafen. Wir sind da ja ungestört, denn die Führer müssen bei Alarm alle im Keller sein. Das wir im Keller fehlen, fällt schon gar nicht auf. Mittags kriegen wir den erwarteten Bescheid, daß unsere Entlassung bevorsteht und wir uns sofort Zivilsachen dahin schicken sollen, wo unsere Abteilungen jeweils sind. Ich schreibe sofort nach Haus und bitte um den Pappkarton. Auch an Alfred Clavin schreibe ich eine Karte, und berichte ihm so von meiner Entlassung. Dann können wir seine letzten Heimattage und meine wenigen Zwischentage doch noch gut zusammen verleben. Er rechnet ja schon jeden Tag mit seiner Einberufung zur NSKK-Transportkolonne. Vielleicht ist er schon weg bei meiner Ankunft. Freitag, den 30. Juli 1943

Ein nächtlicher Alarm reißt uns wieder aus dem tiefsten Schlaf. Der Alarm ist schon so etwas alltägliches geworden, daß man ihn fast schon vorher auf dem Dienstplan mit eintragen kann. Auf den Matratzen im Keller schläft es sich fast ebenso gut wie im Bett. Bei der Entwarnung ist man ebenso wütend, daß man wieder aufstehen muß, als wenn der Alarm anfängt. Mittags kriegen wir Paketkarten und -anhänger, damit unsere Zivilklamotten geschickt werden können. Meine nächste Anschrift ist also: Am. Hoffmann, Wittmundhafen über Aurich in Ostfriesland, R.A.D. Abteilung 5/194, 10. Trupp; also fast das alte, bloß eine andere Ortsbezeichnung. Ich hoffe doch, daß meine Klamotten an meinem Entlassungstag da sind, denn es ist doch ein ziemlich weiter Weg, und dann noch bei diesen durch den Luftkrieg bedingten Beförderungsschwierigkeiten. An Post erhalte ich eine Ansichtskarte von Nürnberg, die mir (Namen gestrichen) von einer Ferienreise schickt.

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Sonnabend, den letzten Juli 1943

Vormittags gehe ich zur Zahnärztin und berichte ihr, daß ich in nächster Zeit entlassen werde. Mein Stiftzahn ist ja nun fertig, und will sie mir zum Schluß alle anderen schlechten Zähne behandeln. Sie plombiert heute einen Zahn und an der anderen Seite wird ein Zahn gezogen, nachdem der ganze Kiefer vorher betäubt wurde. Zum letzten Mal muß ich am nächsten Dienstag zu ihr. An Post kriege ich einen Brief von meinem Klassenkameraden und jetzt Luftwaffenhelfer PaulHeinz Dörge. – Abends ist Ausgang und ich gehe nach dem Spind-Appell erst auf die Stube, weil ich angeblich noch irgendwas irgendwo zu tun hatte. Ich gehe ins Kino „Capitol“ in der Heiligengeiststraße, nachdem ich mir vorher noch eine gute Platzkarte besorgt habe. Es wird dort der große Film mit Zarah Leander (die ich jetzt erstmalig sah) „Heimat“ gespielt. Der ganze Film hat mich tief beeindruckt und als am Schluß des Films die Matthäus-Passion von Joh. Seb. Bach aufgeführt wird, gehe ich auf dem nächsten Wege nach Hause, obwohl ich noch 1 ½ Stunden Zeit bis zum Zapfenstreich gehabt hätte. Vor der Filmvorführung hatte ich ja vor, hinterher noch in ein dolles Lokal zu gehen, um mich zu amüsieren. Ich brachte es aber hinterher nicht mehr fertig, die Melodien der Matthäus-Passion gingen mir nicht aus dem Sinn. Sonntag, den 1. August 1943

Den ganzen Vormittag bin ich in der Küche als sonntägliche Hilfe tätig. Vormittags hatte ich vor, im Ausgang zur Badeanstalt zu gehen. Aber ich wartete am Radioapparat noch auf den Wehrmachtsbericht, der aber wegen der unglaublich kritischen Lage auch um 15 Uhr noch nicht da war und so wurde es zu spät. Die zweite Ordonnanz – er heißt Peter Schobaum – hat einen Fotoapparat mitgebracht, und so machen wir beide im Park zahlreiche Aufnahmen in allen möglichen Stellungen, mit Stahlhelm, Spaten oder Gasmaske von ihm und von mir. Ich hoffe, daß die Bilder etwas geworden, und daß Peter sie mir später nachschicken kann. Kurz danach gibt es seit vielen Tagen mal wieder Regen und zwar ein heftiges Gewitter und ich bereue nicht,

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daß ich heute nicht ausgegangen bin. – Gestern abend traf ich in der Stadt vor dem Kino einen bekannten Lüneburger, einen Klassenkameraden von meinem Bruder Gotthelf, Wolfgang Buchheister, der hier in Oldenburg einen Lehrgang für Offiziersanwärter mitmacht. Montag, den 2. August 1943

Jetzt in den letzten Tagen hier werden wir schikaniert. Und zwar nur wir Ordonnanzen von Unterfeldmeister Quisser. Beim Mittagessen gab es Pellkartoffeln und das gab den äußeren Anlaß. Er befahl uns jetzt, immer wenn wir ihn sehen, zu laufen. Gottseidank sind es ja die letzten Tage, daß er es mit uns nicht zu weit treiben kann. Ich bekam heute einen Brief von Lwh. Hans Richard Bartels. Dienstag, den 3. August 1943

Mittags erfahren wir, daß wir Donnerstagmittag fahren müssen. Wir sind von Mittwochmittag an, von jedem Dienst befreit, weil wir unsere Klamotten in Ordnung bringen und packen müssen. Vormittags muß ich zum letzten Male zur Zahnärztin. Mir wird abermals ein Zahn gezogen, nachdem der ganze Unterkiefer betäubt wurde. Sie hat sich beim Ziehen sehr anstrengen müssen, denn der Zahn brach einige Male ab. Als die Narkose verflogen ist, kommen die erwarteten heftigen Zahnschmerzen. Ich kann kaum essen, denn mein Mund geht nur noch bis zu einer Fingerbreite zu öffnen. Abends gibt der berüchtigte Ufm. Quisser uns Ordonnanzen noch eine Strafarbeit, nämlich zwei Fahrräder zu putzen und ich komme dabei vor Schmerzen fast um. Den ganzen Abend muß ich noch Blut spucken und nachts kämpfe ich mit dem Schlaf. Mittwoch, den 4. August 1943

Die heftigen Zahnschmerzen halten noch den ganzen Tag über an. Mittags – leider erst nach dem Essen – wird unser Ordonnanzposten an zwei andere übergeben, die solange vertreten müssen, bis von den neuen Kommandierten welche dafür eingeteilt sind. Nachmittags sind Appelle in allen Sachen. Abends wird der Affe gepackt. Ich komme diesmal mit dem Platz gut aus, weil ich mein Akkordeon hier in Oldenburg in der Stube des Obertruppführers Lechte stehen lasse. In dem Koffer habe ich noch alle meine privaten Sachen. Donnerstag, den 5. August 1943

Vormittags wird der Rest gepackt, dann findet ein Appell in feldmarschmäßiger Uniform statt. Ich werde noch zum Friseur geschickt, obwohl ich mir eigentlich noch Haare draufsetzen lasse könnte als abschneiden. Der übrige Vormittag wird verbracht durch Bettwäsche abgeben, Spinde und Stuben schrubben, Marschportionen empfangen und dann der anstrengende Stadtmarsch durch die Mittagshitze bis zum Bahnhof. Von Oldenburg fahren die von unserer Abteilung abkommandierten bis an die Nordsee in Sande (Richtung Wilhelmshafen), steigen dort um und es

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geht nach Ostfriesland herein. In Wittmund ist unsere Endstation und bis zu unserer Abteilung in Wittmundhafen sind es noch 7 km. Wir haben Glück und können diese Strecke mit dem Omnibus fahren. Unsere Abteilung machte diese Strecke auch mit dem selben Gepäck damals zu Fuß. – Die Omnibushaltestelle ist ungefähr 50 m von unserem Lager entfernt, also haben wir wieder Glück und müssen uns nicht abmühen. Das R.A.D.-Lager liegt herrlich, mitten im Wald. Das Wiedersehen mit den alten Kameraden bringt viel Freude und Überraschung. Allerdings ist – nach meiner Ansicht – unsere Abteilung inzwischen ein großer Sauhaufen geworden, das bringt aber nur die bevorstehende Entlassung mit sich. In der Führerschaft sieht man viele neue Gesichter, andere von den alten sind inzwischen befördert worden. Ich schlafe in der Stube des 11. Trupps, weil bei meinem 10. Trupp kein Bett mehr frei ist. Morgens kann man mal wieder bis ½ 6 Uhr schlafen, also ½ Stunde länger als in Oldenburg. Nach dem Morgenappell rückt die Abteilung – ich bin der einzige von den Oldenburgfahrern, die mitmachen – zur Baustelle ab. Es ist ½ Stunde Weg bis zum Flugplatz, wo wir arbeiten. Dort muß für einen 6 mot. Großbomber (??) eine große Erweiterung des Rollfeldes eingeebnet werden. Dafür hat unsere Abteilung die Schienen zu legen und alle anderen Vorbereitungen zu treffen: Unsere Nachfolgeabteilungen werden dann an den großen Erdbewegungen zu tun haben. Es war heute der letzte Arbeitstag und ich habe Glück gehabt, daß ich den wahren Zweck des Arbeitsdienstes doch noch im letzten Augenblick kennen lernen konnte. Vollkommen ausgehungert kamen wir erst nachmittags wieder ins Lager, um Mittag zu essen. Wenn dieser Dienst auch etwas Mühe wieder kostete, so war ich doch ganz dabei und war sogar begeistert. Meine heutige Arbeit bestand lediglich darin, daß ich einige tausend Eisenbahnschienenschrauben schmieren mußte. Wahrlich nur eine leichte Arbeit. Nachmittags kommt unser Gruppenführer – (Wir sind hier eine andere Gruppe als vorher in Frisoythe) – und hält eine Abschiedsrede an uns. Danach werden unsere wichtigsten Klamotten, nämlich Spaten, Zeltbahn, Affen, Stahlhelm und Gasmaske abgegeben. Jetzt waren wir endlich sicher, daß die Entlassung wirklich bevorstand. Freitag, den 6. August 1943

Sonnabend, den 7. August 1943

Vormittags werden alle restlichen Sachen abgegeben bis auf Drillichanzug und Trinkbecher. Nur wenige haben ihr Zivil noch nicht, weil sie fast alle aus der Hamburger Gegend kommen. Dort soll ja eine Postsperre sein und wenn ich bis morgen mein Paket nicht kriege, muß ich in Uniform nach Hause fahren. Ich gebe also meine 1. Garnitur auch nicht ab und warte und warte. 2 von den Lüneburgern haben heute ihr Paket gekriegt und ich hoffe, daß meines auch noch kommt. Die Postordonnanz muß zu jedem Zug fahren und nachsehen. Abends unterschreiben wir eine Bescheinigung über den Marschanzug, der bis zum 25. August wieder in die Abteilung geschickt sein muß. Abends findet ein letzter Appell statt und zwar in Uniform (Drillichanzug ohne Koppel und Mütze). Dabei werden wieder viele von den alten Führern befördert und auch

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viele Arbeitsmänner sind dabei, die sich als Führeranwärter verpflichtet hatten, und nun zum Vormann befördert wurden. Abends oder vielmehr nachts – es war für viele ja die letzte Nacht beim R.A.D. – ist auf den Stuben toller Rabatz. Bei uns in der Stube ist nur ein kleines Gelage. Ein Weinhändlerssohn spendierte 4 Flaschen Wein und aus der nahen Gastwirtschaft waren einige Kannen Bier herangeschafft worden. Die Sauferei dauert bis 23 Uhr, dann herrscht bei uns Ruhe. Auf den anderen Stuben ging die Toberei bis zum Morgen. Spinde wurden umgekippt, Unterführer verhauen und naß gespritzt und noch viel anderes. Sonntag, den 8. Juli 1943

Morgens wird gleich bekannt gegeben, daß Zivil angezogen werden soll. Die keines haben, ziehen natürlich ihren Marschanzug an. Auch vormittags ist mein Kleiderpaket nicht dabei und jetzt geb ich es auf zu warten. Ich bin gänzlich darauf eingerichtet, in Uniform zu reisen. Der Drillichanzug und ein Handtuch wird auch noch abgeben und nun haben wir nur noch unseren Trinkbecher. Also eine Nacht kann es hier nicht mehr geben! Es ist für die Entlassung alles fertig, die Marschportionen sind eingeteilt, die Entlassungs- und Fahrscheine geschrieben, – aber das Wichtigste fehlt noch! Nämlich unsere Wehrpässe. Sie waren während der ganzen Zeit beim R.A.D.-Meldeamt Osnabrück, woher sie heute 2 Arbeitsmänner holen sollten und sich dabei mächtig verspätet hatten. Alles will weg und ist in großer Aufregung und schimpft immer nur auf diese beiden Männer. Endlich nach dem Mittagessen sind sie da und sofort werden die bestimmt, die heute noch fahren können, das sind nur die über 200 km zu fahren haben, und dabei bin ich natürlich auch. Jetzt wird auch noch der Trinkbecher abgegeben und um Punkt 15 Uhr habe ich den R.A.D.-Entlassungsschein in der Hand. Zum Abschiednehmen habe ich keine Zeit mehr, ich renne gleich aus der Wache, denn ich will den Zug um 16.01 Uhr noch erreichen. Der Weg beträgt aber bekanntlich 7 km und es kostet Mühe ihn in der kurzen Zeit zu bewältigen. Während meiner ganzen Arbeitsdienstzeit war ich nie so fertig wie nach diesem Lauf. Völlig erschöpft kam ich dann gerade bei der Abfahrt des Zuges an und war ja so froh, daß ich nicht noch 2 Stunden in diesem Drecknest auf den nächsten warten brauchte. In Oldenburg mußte ich ja aussteigen, weil ich mein Akkordeon und viele Privatsachen am Philosophenweg stehen ließ. Auf dem Weg vom Bahnhof nach dort traf ich zufällig den Obertruppführer Lechte, bei dem ich den Koffer untergestellt hatte. Er wollte gerade ausgehen, und ich hätte ihn nicht getroffen, wenn ich ½ Minute später gekommen wäre. Er gibt mir seinen Zimmerschlüssel, den ich nachher bei der Wache wieder abgeben muß. Mir ist dort im Gemeinschaftshaus alles noch so vertraut. Auch einige Bekannte treffe ich noch aus meiner Stube. Mir stellt sich auch mein Nachfolger, die neue Ordonnanz, vor. Ich gehe in die Führerbaracke, hole mir meinen Koffer und werde in der Baracke auch von den anderen Führern verwundert angesehen. Ich habe nicht viel Zeit und will wieder zurück zum Bahnhof, wo ein Fronturlauberzug von Oldenburg bis Harburg auf mich wartet. In Harburg habe ich über 1 Stunde Aufenthalt. Da kann ich mir die Zerstörungen des Harburger Bahnhofes ansehen. Der Bahnhof wimmelt jetzt von Menschen, denn der hat jetzt die Auf-

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gaben des ehemaligen Hamburger Hauptbahnhofes übernommen. Nachts um ½ 1 Uhr treffe ich in Lüneburg ein, für alle Zeit vom Arbeitsdienst entlassen. Montag, den 9. August 1943

Ich gehe zum Wehrmeldeamt und melde mich am Standort zurück. Gleichzeitig unterschrieb ich einen Antrag für Offiziersbewerber im Heer. Hierdurch habe ich vielleicht das Glück, noch etwas länger zu Hause bleiben zu können, denn solche Sachen laufen heute immer sehr lange(!). Hinterher melde ich mich bei der Polizei und beim Wirtschaftsamt wieder an. An Bekannten in der Stadt gar nichts mehr zu treffen. Von den R.A.D.-Entlassenen habe noch fast keinen getroffen. Der Rest von Bekannten häuft sich ja oben auf dem Lüneburger Fliegerhorst, wohin eine Wanderung mich mit Werner Schulz zusammen abends wieder viele Bekannte sehen läßt. Nachwort zur Arbeitsdienstzeit.

Wenn man rückwärts sieht, ist die Arbeitsdienstzeit für mich rasend schnell dahingeflogen. Man hat dort viel brauchbare Dinge für das kommende Leben gelernt, aber auch ebenso viel unnütze Sachen wurden uns eingepaukt: z.B. die Spatengriffe. Die meiste Zeit wurde dafür hingegeben. Man kann sie später doch nie wieder anwenden. Als Brauchbares hat man vor allem die militärische Zucht und Ordnung gelernt. Wenn es jetzt anschließend zum Kommiß geht, hat man doch schon etwas Ahnung. Auch lernte man – wie allerdings auch schon im Wehrertüchtigungslager – die Stubengemeinschaft und Kameradschaft genau kennen. Was das Essen anbetrifft, konnte ich während der ganzen R.A.D.-Zeit nicht klagen. Allerdings während der Entlassungstage in Wittmundhafen war es sehr knapp. Am meisten gegessen habe ich wohl in Oldenburg. Ich nehme an, daß ich dort mindestens 10-15 Pfund zugenommen habe, denn mir paßt jetzt zu Hause fast nichts mehr. Freitag, den 20. August 1943

Bei der Rückmeldung beim Wehrbezirkskommando wurde mir gesagt, daß am 20.8. der Rechnungsoffizier nach Lüneburg kommt und ich mich vormittags zwischen 10 und 13 Uhr bei ihm vorzustellen habe. Ich begab mich heute also hin und muß im Wartezimmer unter vielen jüngeren Kameraden warten, bis ich an der Reihe bin. Als einziger bin ich noch vom Jahrgang 1925 dabei und trage Parteiabzeichen und R.A.D.-Rangabzeichen (das ich mir von Karl-Heinz Clavin geliehen habe, weil bei unserer Entlassung in unserer Abteilung nicht genug vorrätig waren). Die Vorstellung beim Leutnant Kunkel dauerte bei allen ca. 5 Minuten, nur bei mir wurde es eine gute halbe Stunde. Die Verhandlung zwischen dem Leutnant und mir ging ungefähr folgendermaßen vor sich: „Wozu haben Sie sich gemeldet?“ – „Infanterie“ – „Als was?“ – „K.O.B.“ – „Warum nicht als aktiver Offizier?“ – Ich muß lange über eine Antwort nachdenken, schließlich sage ich, daß ich vorhabe, später Medizin zu studieren. Da wollte er mich sofort für die Sanitätsoffizierslaufbahn K.O.B.=Kriegsoffiziersbewerber

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haben, aber das hatte ich mir ja gar nicht vorgenommen, und um ihn wieder davon abzubringen, sagte ich, daß ich mein Abitur ja noch gar nicht habe, und daß ich es erst nach dem Krieg in einem verkürzten Kursus nachmachen könne. Dadurch ließ er sich also wieder von der San.-Offizierslaufbahn abbringen und quälte mich mit der Forderung aktiver Offizier zu werden. Er fragte, ob ich H.J.-Führer gewesen bin, und ob ich mir einen Führerposten nicht zutrauen könne. Seine Rede führte weiter auf die Wichtigkeit und Notwendigkeit des Offi- ziersberufes hin und schließlich konnte ich mich doch entschließen, aktiver Offizier zu werden. – Was sollte ich sonst später denn sonst machen ohne Abitur. Es nach dem Kriege nachzumachen, scheint aussichtslos, da ein Ende dieses Kampfes sich noch lange nicht voraussagen läßt. – Er drückte mir dann allerlei Schriften und Fragebogen in die Hand, die ich in den nächsten Tagen einschicken soll, ausgefüllt mit Paßbildern, Ahnenpaß, Geburtsurkunde, Lebenslauf usw. Am 5. September soll ich wieder zur W.B.K. kommen, denn dann ist er als Rechnungsoffizier wieder dort. Ich glaube aber nicht, daß ich dann noch zu Hause bin, denn viele von den Kameraden, die mit mir aus dem R.A.D. entlassen sind, haben inzwischen ihre Einberufung zur Wehrmacht erhalten und müssen innerhalb einer knappen Woche schon in der Garnison sein. Also kann’s bei mir genauso schnell gehen. Lt. Kunkel will versuchen mich nach Lüneburg zu den 47ern zu schicken, und ich glaube bestimmt, daß ich dorthin kann, denn alte Lüneburger Infanteristen sind dort hingekommen. 26. August 1943

Inzwischen habe ich alle Papiere, die zur Bewerbung der aktiven Offizierslaufbahn im Heer nötig sind, bis auf noch 3 Paßbilder und den Lebenslauf zum Rechnungsoffizier eingeschickt und erhielt heute einen vorläufigen Annahmeschein. Der richtige Annahmeschein wird wohl in Kürze folgen. Ich habe immer noch keine Ahnung, wann ich zur Gestellung aufgerufen werde. Es laufen vom Jahrgang 1925 nur noch die Offiziersbewerber herum, alle anderen sind schon einige Tage beim Kommiß. – Ich verbringe die letzten Ziviltage meines Lebens recht angenehm. Mein bester Freund Alfred Clavin hat jetzt gerade seinen Jahresurlaub genommen, weil er vielleicht in diesem Jahr noch zum Arbeitsdienst eingezogen werden kann. So habe ich doch noch einen Bekannten zu Hause, mit dem ich was gemeinsam unternehmen kann. 6. September 1943

Ich gehe vormittags wieder zum Rechnungsoffizier Leutnant Kunkel. Er wundert sich, daß ich noch da bin und ich gebe ihm die restlichen Paßbilder. Dann fehlt für die Bewerbung nur noch der Lebenslauf, den ich sofort nachschicken muß. Ich beschäftige mich stundenlang damit und schicke den 7 Seiten langen Lebenslauf nach. Er sagte mir, daß ich bestimmt nach Lüneburg in die „Scharnhorstkaserne“ komme. W.B.K.=Wehrbezirkskommando, Lt.=Leutnant

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13. September 1943

Ich warte noch immer zu Hause. Meine Offiziersbewerbung ist in voller Bearbeitung. Durch den Ausfall von Hamburg, gehöre ich jetzt zur Annahmestelle „Hannover“. Vom Bann der H.J. habe ich mir meine Ausbildungs-Lauf-Karte abgeholt und zum Wehrbezirkskommando Lüneburg gebracht, das diese, sowie die anderen bisher noch fehlenden Papiere, nach Hannover weiterleiten soll. Über meine Einberufung ist noch nichts heraus. Ich erhielt jetzt auch eine Aufforderung, an einer 3-tägigen Prüfung in Hannover teilzunehmen und zwar vom 22.-24. September 1943. – Ich erhalte andauernd „Einschreiben“ und ich denke zuerst immer, daß es meine Einberufung ist, aber es ist immer sonst etwas. Mittwoch, den 22. September 1943

Nachmittags 16.51 fahre ich mit dem Eilzug nach Hannover und komme dort um 18.52 an. Auf dem Bahnhof werde ich von einem Jungen nach der Langensalzerstraße gefragt. Er muß nämlich auch zur Annahmestelle, und so machen wir beide uns auf den Weg, durch die große Stadt hindurch um an unser Ziel zu kommen. Um ½ 8 Uhr treffen wir dort ein und sehen auch schon einige Kameraden dort. Wir werden 14 Mann, z.Z. Luftwaffen- und Marinehelfer. Gleich nach der Anmeldung ist eine Voruntersuchung und dann bis ¾ 9 Ausgang in die Stadt. Vor dem Schlafengehen wird uns noch der Verlauf der Prüfung bekannt gegeben und unsere Unterkunft hergerichtet. Gerade als wir uns ins Bett legen wollten (etwa 22 Uhr), ertönt Fliegeralarm. In Blitzesschnelle müssen wir mit allem Gepäck die fast hundert Stufen lange Treppe heruntergerannt sein und im Keller Platz gefunden haben. Bald fängt auch die Flak an zu schießen und wir erleben einen großen Fliegerangriff auf Hannover mit. Um noch sicherer zu sein, verlassen wir den Keller und eilen über die Straße in einen Deckungsgraben. Von dort aus konnte man den gewaltigen Feuerschein der entstandenen Brände beobachten. Gegen 01 Uhr war Entwarnung. Hannover brannte an allen Enden. In unserer Unterkunft waren viele Scheiben zerdrückt, denn keine 100 m von uns entfernt, hinter dem Landes-Museum am Maschsee schlug eine schwere Bombe ein. Im Landesmuseum blieb keine Scheibe heil. Es ist dort die große Ausstellung „Unser Heer“, die ganz durcheinander geworfen wurde. Zerstörungen wurden hauptsächlich in der Südstadt angerichtet. Trotz des Alarms ist schon um ½ 7 Uhr Wecken, weil wir sonst mit der Prüfung nicht fertig werden würden. Unser Chef, Oberst Matthaei, war glücklicherweise nicht erschienen, weil er selbst in der letzten Nacht Bombenschaden erlitten hat. So leiten die ganze Prüfung andere mittlere Offiziere. Vormittags findet die persönliche Vorstellung statt, wo man nach allem Möglichen gefragt wird. Dann ist die ärztliche Untersuchung, genau die Vorgänge wie bei der Musterung. Danach folgen die schriftlichen Arbeiten. Zu Anfang wird eine Meldung gesagt, die man so lange im Kopf behalten muß, bis alle anderen schriftlichen Arbeiten erledigt sind und man den Befehl Donnerstag, den 23. September 1943

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erhält, sie niederzuschreiben. Bei den Arbeiten war ein Erlebnisbericht zu schreiben, eine Organisationsaufgabe zu erfüllen, Fragen aus dem allgemeinen Leben zu beantworten, einige einfache Rechenaufgaben zu lösen, und zum Schluß sahen wir einen technischen Trickfilm „Der Lochstanzer“, den wir nachher mit Zeichnungen erläutert erklären müssen. Gott sei Dank habe ich ja für solche technischen Sachen etwas Verständnis, so daß es mir leichter fiel. Das Mittagessen findet gemeinsam mit den hohen Offizieren statt. Am Tisch sitzen immer abwechselnd ein Offizier und ein Bewerber. Gott sei Dank gibt es Eintopfessen, sodaß die Technik bei diesen Umständen bedeutend einfacher ist. – Nachmittags findet die sportliche Prüfung statt. Es werden Kraft-, Mut- und Ausdauerübungen verlangt. Danach besuchen wir die Ausstellung „Unser Heer“ im Landesmuseum, die notdürftig wieder aufgebaut wurde und am Nachmittag doch wieder eröffnet wurde. Ein Träger des deutschen Kreuzes in Gold führte uns Prüflinge durch die ganze Ausstellung. Man sah dort vieles, was ich nie zuvor gesehen habe; z.B. den starken Panzer „Tiger“ und die ganz neuen Nebelwerfer. Zu uns ist man natürlich etwas vertraulicher und man ist mit den allgemeinen Geheimnissen nicht so zurückhaltend. – Bis zum Abendessen ist dann Ausgang. Nach dem Abendessen wieder bis 10 Uhr Ausgang. Freitag, den 24. September 1943

Vormittags ist der Rest der Prüfung und auch das Schaurigste: der Vortrag. Man kriegt irgendein Thema an den Kopf geschmissen, über das man eine ¼ Stunde erzählen soll. Ich mußte über das für mich vollkommen uninteressante Thema „Weltmacht Erdöl“ reden. Ich hoffe, daß es den zuhörenden Offizieren noch eben genügt hat. Hiermit ist also die Prüfung beendet. Wir empfangen noch Wehrsold und Marschverpflegung für diese beiden Tage und können dann bis zum Mittagessen wieder in die Stadt gehen. Nach dem Mittagessen ist endgültige Entlassung. Ich begebe mich zum Bahnhof und fahre nach Hause, wegen des Angriffs auf Hannover mit einer gewaltigen Verspätung. September-November 1943

Inzwischen sind nun auch die letzten unseres Jahrganges bis auf Kliewer und mich einberufen worden. Bei Kliewer ist es wahrscheinlich derselbe Fall wie bei mir, nur hat er inzwischen einen Beruf aufgenommen. Er meldete sich freiwillig als Autofahrer für die Partei. – Ich bin nichts, beziehungsweise gar nichts. Einen großen Teil dieser Zeit war ich verreist, und zwar zu meiner schwangeren Schwester Elfriede in Predöhl, die z.Z. ohne jegliche Hilfe ist. Vom 17.-21. September war ich zuerst da, mußte aber wegen der Prüfung in Hannover wieder weg. Am 4. Oktober wollte mein Bruder Paul heiraten. Aus Predöhl versprach man ihm für die Feier 2 Hühner, die ich von Predöhl holen mußte und mit nach Wittenberge bringen sollte, wo die Feier stattfinden soll. Paul wollte am selben Tag (1. Oktober) noch nach Berlin und er nahm mich mit. Ich schlief bei ihm mit im Zimmer des Studentenhauses. – 3 Tage blieb ich in der Reichshauptstadt und ich sah mir die vielen Sehenswürdigkeiten und vor allem den Großstadtverkehr an, der mir in diesem Ausmaße völlig neu war. Am 3. Oktober fuhr ich zurück nach Lüneburg. Meine kleine Schwester und ich konnten die Hochzeit Paul’s in Wittenberge nicht mitmachen, weil die Hotels - 46 -


Günther in Predöhl

nicht genug Zimmer stellen konnten. Einige Tage blieb ich wieder in Lüneburg, dann begab ich mich abermals auf die Reise: Ich fuhr für 6 Wochen nach Predöhl. Ich hatte dort meine Arbeit im September noch lange nicht erledigt. Diese bestand in Abpflücken von ca. 10 Ztrn. Äpfeln, Umgraben eines ein Morgen großen Stückes Gartenland und viele Kleinigkeiten. In diesen langen Wochen lernte ich mal gründlich das dortige Bauernvolk und vor allem die doofen Mädchen kennen, mit denen man gesellschaften „mußte“. Ich bildete mir ein, von allen Mädchen angehimmelt zu werden. Ich blieb aber eiskalt, denn verlieben kann man sich in solche Dorfschönheit nicht. (Satz gestrichen). Ich unterbrach diese 6 Wochen für eine halbe Woche, in der ich nach Hause fuhr, weil Eugen auf Urlaub gekommen war vom xxxbrückenkopf. Mein Aufenthalt in Predöhl war vom 13. Oktober bis zum 24. November. Über ein Schweskauer Mädchen schrieb ich den (unvollendeten) Bericht „zu Tagebuch-S. 47“. – Mein Stiftzahn, den mir die Oldenburger Zahnärztin Lore Rath einsetzte, ist inzwischen wieder losgegangen und ich ließ ihn mir bei Dr. Jürgens in Lüneburg wieder einsetzen. – Im September war ich (Wörter gestrichen) der von (gestrichen) nach dem (gestrichen) gegründet wurden. Wir halten (gestrichen), Luftschutzgräben, im Walde usw. ab. Als (gestrichen) hat sich (gestrichen) vor allem vorgenommen, die (gestrichen) denn der größte Teil (gestrichen) war (gestrichen) wieder bald (gestrichen) gegangen, (gestrichen). 7. Dezember 1943

Auf Anfrage bei meiner Schwester Hanna, noch einige Wochen bis zu meiner Einberufung zu verbringen, willigte sie sofort ein, weil sie jetzt vor ihrem zweiten Kinde vollkommen ohne Hilfe ist. Ich setzte mich heute in die Bahn und fuhr die unendlich weite Strecke bis nach Polling in Oberbayern. Vormittags meldete ich mich auf dem Lüneburger W.B.K. ab, weil man dann meine Einberufung gleich nach Bayern schicken solle. Man fragte mich, ob ich schon einen Annahmeschein hätte. Als ich verneinte, behielt man meinen Wehrpaß da, um ihn später nachzuschicken. – Auf der Bahnfahrt mußte ich mich ausweisen. Ich zeigte meine Kennkarte vor. Da ich aber 1925 bin, wollte man auch meinen Wehrpaß sehen. Ich konnte reden und reden, man glaubte nicht, daß ich den Paß abgegeben habe. Verdächtig war auch die unendlich weite Reise, kein triftiger Reisegrund, kein Beruf usw. usw. Man hielt mich also für einen Fahnenflüchtigen. – Das - 47 -


hat man also davon, wenn man so ungefähr als letzter seines Jahrgangs noch frei herumlaufen darf. Nach stundenlangem Verhandeln mit der Kriminalpolizei, drückte man schließlich ein Auge zu und ließ mich „frei“. – In Polling waren nur selten schöne Tage, an denen man die ganze Alpenkette erschauen konnte. Der dortige Dialekt machte mir viel Schwierigkeiten. Dort im Familienkreis meiner Schwester Hanna, Hans und meiner kleinen Nichte Susanne gefiel es mir doch ganz gut. Vor allem erregte mein Interesse die gewaltige, ca. 2000 Bücher zählende Bibliothek meines Schwagers an. Leider konnte ich nicht mehr so lange dableiben, wie ich eigentlich vorhatte: meine Einberufung kam für mich unerwartet früh. 18. Dezember 1943 in Polling

Heute schickte mir das Lüneburger W.B.K. ein Einschreiben, darin mein Wehrpaß und eine Mitteilung enthalten ist, die sagt, daß meine Offiziersbewerbung noch nicht entschieden ist und daß es sich noch um einige Zeit verzögern werde, wann man mir sofort Nachricht geben will. Ich mache mir also Hoffnung, daß es so ruhig weiter geht wie bisher. 22. Dezember 1943 in Polling

Morgens im Bett überrascht meine Schwester mich mit einem Telegramm aus Lüneburg, worin mein Vater sagt, daß für mich die Einberufung da sei, und zwar: am 3. Januar 1944 bei I.K. 30 in Lübeck. Mit völliger Ruhe und Überlegung nahm ich davon Kenntnis. Doch fällt mir die über Weihnachten verhängte Bahnsperre ein und ich lasse durch ein Telegramm nach Hause mir meine Einberufung erbitten. – Ich warte sechs, ich warte sieben Tage – die Einberufung kommt nicht. Es wird mir sonst zu spät, also lasse ich auf Grund des Telegramms von Vater mir eine Reisegenehmigung vom Bürgermeister Polling ausstellen. Ich fahre mittags am 29. Dezember 1943 los und bin am nächsten Mittag in Lüneburg. Dort hatte man erst genau vor zwei Tagen die Einberufung abgeschickt und nun mache ich mir keine Hoffnung mehr, sie jemals wieder zu sehen. Doch am selben Abend kommt die Überraschung: durch einen Eilboten „Eilige Wehrmachtssache“ kam sie an. Sie muß also mit demselben Zug wie ich angekommen sein. Nun bin ich erstmal wieder beruhigt und kann getrost nach Lübeck fahren. Montag, den 3. Januar 1944

Morgens stehe ich mal wieder außergewöhnlich früh auf, nämlich um 8 Uhr. Als erstes gehe ich gleich zum Friseur und lasse mir von meinem Haarschopf soviel abschneiden, daß mir mein Hut nicht mehr paßt, und daß meine Bekannten in der Stadt den ganzen Tag was zu lachen haben. Ich mache dann die Abmeldungen, das Packen usw. genau so durch, wie einst im Mai. Mittags fahre ich um 13.33 Uhr mit dem Personenzug von Lüneburg nach Lübeck. Dort auf dem Bahnhof frage ich einen Soldaten wo die Kaserne des Grenadierregimentes 30 sei. Er sagte, daß er im gleichen Regiment sei und gerade in die Kaserne fahren müsse. Ich vertraute mich ihm an, und wir beide stiegen in einen Omnibus, fuhren an vielen durch Bomben verursachten Trümmer-

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haufen vorbei aus der Stadt raus bis zur Walderseekaserne. Dort wies mich die Wache in ein Kompaniegebäude. Ich sah schon viele Zivilisten dort herumlungern, bzw. herumhasten. Vom U.v.D. (Unteroffizier vom Dienst) wurde ich auf eine Stube geführt, wo ich ein Bett und ein Spind in Beschlag legen soll. Danach muß man von einer Schreibstube in die andere, dann zur Kammer usw., um Personalien eintragen zu lassen und Bettwäsche und Handtuch und Trinkbecher zu empfangen. Den ganzen Abend sitzen wir in Zivil herum und haben Zeit, unsere Betten zu bauen und einen Brief an meine Angehörigen und eine Karte an Frido Schoof zu schreiben. Um 22 Uhr ist Zapfenstreich. Man muß mal wieder entsetzlich früh aufstehen. Es war ½ 5 Uhr. Der ganze Vormittag vergeht wieder recht langweilig. Wir laufen in Zivil herum und haben nichts zu tun. Von 11-13 Uhr ist ein Fliegeralarm, wo wir in den Keller müssen. So ein Alarm kann meinetwegen jeden Tag kommen; denn sogar die Soldaten vom Exerzierplatz kamen in den Keller. Mittag gegessen ward ganz militärisch. Vollkommen anders als beim R.A.D.. Man bekommt eine Essenskarte und läßt sich jeden Teller, den man sich holt, darauf anstreichen. Morgen- und Abendbrot werden auf der Stube eingenommen. Nachmittags empfangen wir Gasmasken, Gelbkreuz-Anti-Tabletten, Verbandszeug usw. Dann werden die wichtigsten Klamotten ausgegeben. Darauf ziehen wir unser Zivil aus und steigen erstmalig in die feldgraue Uniform, dem Ehrenkleid des deutschen Soldaten. Natürlich sind diese Sachen jetzt im 5. Kriegsjahr schon sehr mitgenommen. Aber man muß doch zufrieden sein damit. Wer weiß, was die kommenden Jahrgänge anzuziehen kriegen. Ich liege vorläufig auf Stube 80. In wenigen Tagen werden wir in Lehrgänge eingeteilt und dann muß man wieder umziehen. „Man hörte heute“, daß wir hier in der Kaserne 4 Monate bleiben sollen und dann 6 Monate in eine Unteroffiziersschule in Jena. Ob’s wahr ist, weiß keiner. Eben richtige Latrinengerüchte. – An Post verläßt mich heute ein Brief an Leni L., Alfred Clavin, meine Schwester Hanna, Gotthelf, und Karten an Bartels und Elfriede. Dienstag, den 4. Januar 1944

Mittwoch, den 5. Januar 1944

Der ganze Tag verläuft ohne jegliche Beschäftigung. Der einzige Dienst war das Mittagessen und ein Appell wo die Brandwachen ausgesucht wurden. Es ist schrecklich langweilig. Man sitzt auf dem Stuhl und gähnt, oder nachmittags wagt man sich sogar ins Bett. Im Lesezimmer habe ich ein Klavier gefunden, auf das mir ausnahmsweise der U.v.D. erlaubte, zu spielen wegen meines „Talents“. Das Klavier gehört nämlich einem Leutnant, der es als Bombengeschädigter hier untergebracht hat. Also Schlager wage ich darauf nicht zu spielen. Heute schreib ich einen Brief nach Haus. Donnerstag, den 6. Januar 1944

Morgens um 3 Uhr ertönen die Alarmsirenen. Im Keller ist es sehr kalt. Man kann dort kaum schlafen. Um ½ 6 Uhr ist Entwarnung. Wir steigen wieder ins Bett und waren gerade wieder - 49 -


warm geworden, als wir um 6 Uhr wieder geweckt wurden. Damit der erste harte Diensttag eingeleitet. Vormittags findet die schon lang versprochene Einteilung statt. Dabei lernen wir unseren neuen Vorgesetzten kennen. Kompaniechef ist Hauptmann Lübke; Zugführer ist Oberleutnant Papst, Gruppenführer ist Unteroffizier Sander, Träger des EK I, scheinbar sehr nett. Die Einteilung leitet eine lange Ansprache des Hauptmanns über Benehmen und Verhalten der Offiziersbewerber ein. Auch ein Besuch unseres Regimentskommandeurs, ein Oberstleutnant E. von Eberhardt verlängert diese Festlichkeit. Wir frieren dabei stundenlang in der kalten Turnhalle. Mittags ziehen wir nach der neuen Gruppeneinteilung in anderen Stuben. Ich komme wieder mit völlig neuen Kameraden zusammen. Man hatte sich an die anderen während der 4 Tage schon richtig gewöhnt. Vor allem interessierte sich für mich ein Kamerad aus der alten Stube, weil ich neulich etwas von Bach und Mozart spielte. Bei der Einteilung versuchte er sich immer in meine Stube zu drängen, um unbedingt mit mir zusammen zu kommen. (Satz gestrichen). Er hat auch einen Bruder in Berlin Charlottenburg und will nun anfragen, ob er meinen Bruder Paul kenne. Er war der einzige, mit dem ich mich in diesen ersten Tagen unterhalten konnte. Leider ist er durch einen Zufall nicht mit mir zusammen geblieben. Er liegt aber nebenan in der Stube. – Nachmittags räumen wir unsere neue Stube ein. Ferner ist noch nach der Bekleidung ein weiteres wichtiges Ereignis, nämlich der Gewehrempfang. Außerdem gibt es heute noch einen Spaten. Freitag, den 7. Januar

Morgens ist 3 Stunden Schreiben einer schriftlichen Arbeit. Sie bestand aus 25 Fragen verschiedenster Art, u.a. „Zeichnen Sie ein Pferd!“ Die Fragen verhältnismäßig leicht zu beantworten. – Mittags gibt es Pudding! – Nachmittags ist die Sportprüfung. Der Krieg ist nun sogar schon soweit gegangen, daß wir OB-s nicht einmal mehr Turnschuhe empfangen könnten. Wir machen alles in unseren Schnürstiefeln. Beim Springen übers Pferd und der Hechtrolle falle ich ganz aus der Rolle. Das andere geht einigermaßen. Der 400 m-Lauf ist das unvernünftigste. Ich kam als zweitletzter an, ich gab mir keine besondere Mühe dabei. Aber trotzdem scheinen unsere Vorgesetzten die Zeiten zu werten und zu buchen. Ein heftiger Regen schließt diesen Sportnachmittag ab. Vollkommen durchnäßt und steifgefroren rücken wir wieder ein. Zum ersten Mal erlebte ich mal wieder eine größere Anstrengung, aber noch lange nicht so schlimm, wie es bestimmt noch kommen wird. Abends packe ich meine Zivilklamotten zusammen, die morgen abgeschickt werden sollen. Samstag, den 8. Januar 1944

Vormittags findet eine Prüfung auf die Führertauglichkeit jedes einzelnen statt. Es wird Aufmerksamkeit, Wissen, Geistesgegenwart, Haltung und Kommandostimme gefordert. Ich z.B. muß Unterricht mit dem ganzen Zug halten, der von dem anwesenden Oberleutnant und den vielen Feldwebeln und Unteroffizieren als recht langweilig empfunden ward. Wir sollen uns aber EK 1=Eisernes Kreuz 1, Kriegsauszeichnung

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trösten lassen, wir müssen eben noch sehr viel lernen. – Unsere Vorgesetzten kommen andauernd auf unsere Bude. Jedesmal muß man seinen Spind kontrollieren lassen. Im R.A.D. kam dies viel seltener vor. Als O.B. muß man sich schon gewaltig mehr anstrengen als ein gewöhnlicher Rekrut. – Man muß sich ohne Unterbrechung sehr zusammenreißen. Als Ausbilder für uns hat man alles sehr tapfere, mit vielen Orden und Ehrenzeichen ausgezeichnete Führer gewählt. Unsere Ausbildung wird danach wohl sehr hart sein, aber der Erfolg wird natürlich nicht ausbleiben. Sonntag, den 9. Januar 1944

Der ganze Tag ist dienstlos. Sozusagen Ruhe vor dem Sturm. Man sitzt den ganzen Tag auf der Bude und lernt nun mal seine Stubenkameraden genauer kennen. Wir unterhalten uns nur über „Thema F“, jene tollen Sachen. Außerdem schreibe ich auch allerlei Post. Abends bin ich wieder mit Kamerad Göttsche von der Stube nebenan zusammen. Da hat man mal wieder (Wörter gestrichen). Montag, den 10. Januar 1944

Heut beginnt der Sturm. Nach einer Unterrichtsstunde, weil es frühmorgens draußen noch finster ist, haben wir 3 ½ Stunden draußen auf dem Exerzierplatz verbracht. Etwas Neues durchgenommen haben wir gar nichts, bis auf die militärische Ehrenbezeigung. Alles andere kennt man schon vom Wehrertüchtigungslager und vom R.A.D. her. Mittags sind wir fürs erste vollkommen fertig. Nach dem Essen ist die ärztliche Voruntersuchung. Ich bin seit der Musterung vor 1 ½ Jahren erst 1 cm gewachsen. Meinen dicken Furunkel unter dem Arm habe ich bisher noch nicht gemeldet. Ich lasse es ruhig noch ein wenig reifer werden, obwohl ich jetzt kaum meinen Arm schmerzlos ausstrecken kann. Dienstag, den 11. Januar 1944

Gestern empfingen wir auch eine „Raucherkarte“. Es ist nur ein Wisch, vom Hauptmann unterschrieben und worauf wir jede Woche die Menge von 21 Zigaretten empfangen können. Ich habe bisher auf jedes Rauchen immer noch verzichtet. – Heut verbringen wir wieder den ganzen Vormittag auf dem Kasernenhof. Und zwar machen wir die ersten Gewehrübungen. – Nachmittags ist die Hauptuntersuchung. Der Oberarzt stellt nichts fest, doch mein Gewissen quält mich, daß ich ihm meinen jetzt schon ca. 3 cm breiten und 1 ½ cm hohen Furunkel ihm veröffentlichen soll. Ich sage es ihm, zeige es ihm, er spricht, daß ich dienstuntauglich sei. Sein Gehilfe fragt, ob man mich nach Hause schicken soll, doch der Arzt spricht, daß ich am Ende der Untersuchung noch einmal kommen soll, er will dieweil das Messer wetzen. Also gegen 18 Uhr liege ich auf dem Operationstisch mit entblößtem Oberkörper. Links von mir steht der Oberstabsarzt, ihm zur Seite 4 oder 5 Sanitätssoldaten. Er gibt ihnen einzelne Befehle, während ich ruhig mit zusammengebissenen Zähnen die heftigen Schmerzen verbeiße. Nach dem Schnitt

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wird der Eiter in eine Schale ausgedrückt, die Wunde desinfiziert und verbunden. Mir wird gesagt, daß ich vorläufig den ganzen morgigen Tag vom Außendienst befreit bin. Durch den Verband ist mein Arm erst recht steif geworden. Jetzt kann ich nicht einmal mehr mich allein anund ausziehen. Mittwoch, den 12. Januar 1944

Ich dachte mir den Betrieb als Innendienstkranker so schön! Aber man hat auch als solcher in einem fort Beschäftigung. Der U.v.D. holte mich und ließ mich fegen, Fenster putzen etc. Nachmittags verließ ich erstenmale das Kasernentor. Ich mußte mit einem Gefreiten zur Musen-Kaserne und dort einen Sack Post für unsere Kompanie holen. Meine Kameraden waren heute vormittag ins Gelände heraus marschiert. Dort lernten sie die Grundkenntnisse im Geländedienst, die ich ja noch nachholen muß. – Bei der Postverteilung ist für mich erstmals etwas dabei, und zwar ein Brief von meiner Schwester Ellen. Darin nicht viel Neues. Donnerstag, den 13. Januar 1944

Heut morgen mußte ich wieder zum Arzt kommen. Eine ganze Stunde mußte man auf dem Flur auf den Oberstabsarzt warten. Als er da war, wurden je 10 Mann zu ihm hereingelassen, und es war sehr interessant den Patienten vor mir zuzusehen. – Bei mir ward unter heftigen Schmerzen der alte Verband abgerissen und ein neuer draufgemacht. Übermorgen, also Samstagmorgen muß ich wieder zu ihm kommen und bin vorläufig wieder vom Außendienst befreit. Den ganzen Vormittag, während meine Kameraden Außendienst haben, werde ich wieder beschäftigt. Es ist schrecklich langweilig. 2 Stunden muß ich beim Waffenmeister Patronenhülsen aufstapeln, eine wahre Aschenputtelarbeit. Verbotenerweise werde ich sogar vom Waffenmeister losgeschickt, nach der Musenkaserne einen Schein zu überbringen. Wie fühlte ich mich, als ich alleine, sozusagen als freier Mann, durchs Kasernentor schritt. Kaum 100 m gegangen, rief mich ein vorübergehender Unteroffizier zurück, ich sollte den Gruß noch einmal wiederholen. – Ja, in der Uniform ist man nie frei. Zunächst macht der neue Gruß ja auch noch etwas Spaß; aber auf die Dauer… Heute kriege ich wieder einen ganzen Berg Post; Brief von Schoof, Karten von Elfriede und Kunigunde. Freitag, den 14. Januar 1944

Den ganzen Vormittag schiebe ich die ruhigste Kugel. Ich hatte den Auftrag von meinem Unteroffizier bekommen, seine Stube einmal flüchtig auszufegen. Doch ließ ich mir dafür 4 Stunden Zeit. Die 3 Unteroffiziere dieses Zimmers waren heute mit meinen Kameraden zum Schießstand zum erstmaligen Scharfschießen, und ich wurde nun von niemand gestört. Ich überhörte absichtlich die Kommandos „Innendienstkrank – raustreten“ usw. Mich fand kein Mensch und ich las stundenlang in den auf dem Tisch liegenden Zeitungen. An Post kriege ich von Vater, Schwager Wilhelm Ludewig und LZ.

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Samstag, den 15. Januar 1944

Morgens gehe ich wieder zum Oberstabsarzt ins Revier. Er verbindet mich noch einmal. Am Montag soll ich abermals hinkommen. Ich fragte gar nicht, ob ich weiterhin vom Außendienst befreit bin. Ich nehme es aber an und verantworte mich selbst. Morgens ist ein Vortrag des Hauptmanns, der allerlei interessante Dinge spricht. Unsere Kompanie ist über 300 Mann stark. – Ferner erzählte er vom (Wort gestrichen) des deutschen Soldaten. Sonntag, den 16. Januar 1944

Der ganze Tag ist mal wieder für alle dienstfrei. Bis auf eine Filmstunde, wo einige Lehrfilme über die Wehrmacht uns vorgeführt wurden, sitzen wir wieder den ganzen Tag auf der Bude. Wir sind nur 3 Raucher auf der Bude. Ich tauschte heute viele Zigaretten gegen Brotmarken, die man sehr gut gebrauchen kann. – Ich schreibe heute allerlei Briefe und Karten. Unser Kompaniechef Hauptmann Lübke muß heute befördert sein. Denn ich sah zufällig, wie unser Spieß an seiner Stubentür des Schild „Major Lübke“ befestigte. – So etwas kommt doch nur bei einer Offiziersausbildung vor, daß ein Major eine Kompanie führt und darin noch 10 andere Offiziere und über 30 Unteroffiziere sind. Montag, den 17. Januar 1944

Morgens bin ich wieder beim Oberstabsarzt. Anscheinend ist meine Wunde wieder schlimmer geworden, denn ich bin weiterhin vom Außendienst befreit. Allmählich hängt mir dieser Innendienstkrankenbetrieb zum Hals heraus. Übermorgen soll nun unsere Vereidigung stattfinden. Hoffentlich kann ich noch einen Dienst vorher zum Üben mitmachen. Ich soll nämlich als „Schwurmann“ auftreten, wozu solche Soldaten ausgesucht werden, die einen nahen Angehörigen durch den Krieg verloren haben. Mein Bruder Hans war in derselben Division, in der ich diene. – Als Innendienst muß ich heute vormittag u.a. mit dem U.v.D. zusammen zwei Arrestanten von 3 Tagen zum Abort führen und Kaffee bringen. Eine komische Stimmung in so einer Arrestzelle. Dienstag, den 18. Januar 1944

Ich führe jetzt ungefähr so ein Leben wie genau vor einem halben Jahr als Ordonnanz. Man wird in einem fort vom U.v.D. und den anderen Unteroffizieren beschäftigt. Mittags muß man ganz mitleidig tun, wenn meine Kameraden heimkommen von ihrem stundenlangen anstrengenden Gefechtsdienst. Heute fragte mich unser Feldwebel, wann ich wieder mitmachen wolle. Ich sagte, daß es nur der Oberstabsarzt in seinen Händen hat. Von mir aus hätte ich schon längst wieder Dienst gemacht, denn ich merke an der Operationsstelle nichts mehr. 8 Tage habe ich nun schon ausgesetzt und der Feldwebel sagte mir auch, daß ich nur noch 5 Tage länger zu fehlen brauche und der Lehrgang ist für mich sinnlos. Dann muß ich nach Haus fahren und kann in einem halben Jahre noch einmal anfangen. Hoffentlich bin bald wieder dienstfähig!

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Mittwoch, den 19. Januar 1944

Der Tag der Vereidigung ist nun da. Selbstverständlich muß man vorher eine Weile warten. Anwesend ist ein Generalmajor, der Vater eines Kameraden, der eigentlich nur ein Gast war. Als der Regimentsmusikzug und ein Ehrenzug mit präsentiertem Gewehr in Aktion traten, kommt mir so richtig das Soldatsein zum Bewußtsein. Wie lange hat man solcher militärischen Feierlichkeit nicht mehr beigewohnt! Und nun war man selbst Teilnehmer. Dem General wird gemeldet und dann schreitet er die Front ab. Während der ganzen weiteren Feier ist er untätig und unser Kompaniechef Major Lübke hat das Wort. Mit dem Schwur haben wir uns für ewig zum Kommiß verkauft. Ab jetzt sind wir erst richtige Soldaten. In der Rede weist unser Major auf die jetzige Notwendigkeit der Infanterie und besonders der Infanterieoffiziere hin. Nachmittags ist Ausgang unter Leitung des Gruppenführers. Wir fahren in die Stadt, suchen ein Kaffee aus, verzehren Torte und Eis und gehen hinterher in den Film „Tonelli“. Alles geschieht in der geschlossenen Gruppe (10 Mann).

Vom Gang durch die Stadt einige Skizzen: Lübeck 1944

Wir fahren von unserer Kaserne mit dem Autobus in die Innenstadt. Man fährt zuerst durch Villenviertel über die Trave und dann in die Engen der Altstadt. Manche Lücken sind durch Fliegerangriffe in die Häuserreihen gerissen. Im Vergleich zu Hannover, daß ich vor wenigen Wochen sah, steht von Lübeck doch noch ziemlich viel. Es gibt viel enge Straßen. Die Stadt hat mit unserem Lüneburg viel gemeinsam. Viele Treppengiebel weisen die Backsteinbauten an ihrer Vorderseite. Berühmt sind in Lübeck die großen gotischen Backsteinkirchen. Von der großen Marienkirche stehen nur noch die Türme bis zum untersten Rand der grünen Spitze und die Seitenwände des Schiffes. Ebenso ist es bei der alten Petrikirche. Der Dom ist völlig zerstört. Es stehen sozusagen nur noch die Grundmauern. Aegidienkirche, Jakobikirche, Holstentor und Burgtor sind uns erhalten geblieben. Von Lübeck selbst sind also größtenteils die alten berühmten Bauwerke zerstört. Das Leben in der Stadt geht seinen alten gewohnten Gang. In den Straßen sieht man fast sehr viel Soldaten, und die Grüßerei nimmt kein Ende. Die Außenstadt Lübecks, wo die vielen Kasernen liegen, blieb ja unberührt. Aber wer weiß, ob Lübeck noch weiteren Angriffen standhalten muß. Jeder Rekrut von uns hat seinen Posten zugewiesen gekriegt, an dem er bei einem eventuellen Angriff, ja sogar bei einer Fallschirm- oder Schiffslandung eingreifen muß. Wir wollen es aber nicht hoffen, daß der Engländer oder Amerikaner uns hier in unserer Ausbildung stören wird. Interessant wäre es ja, aber sehr gefährlich.

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Donnerstag, der 20. Januar 1944

Heute spiele ich zunächst wieder den Innendienstkranken. Ich bin nah am Verzweifeln, denn bald habe ich diesen Betrieb satt. Ich brauche nur noch 4 Tage auszusetzen, dann schickt man mich nach Hause und ich kann im Juli noch einmal von vorne anfangen. Ich habe vor, wenn ich heute vom Oberstabsarzt weiter innendienstkrank geschrieben werde, einfach selbstständig gegen seinen Befehl zu handeln und Dienst mitzumachen. Ich merke gar nichts mehr. Ich fühle mich gesünder denn je! – Der Oberstabsarzt kommt erst wieder mit seiner gewohnten Verspätung an. Lange muß man wieder warten und man sitzt in tiefer Ungewißheit. Doch bei der Untersuchung werde ich wieder dienstfähig geschrieben. Vormittags gehöre ich natürlich noch zu den Innendienstkranken. Aber ohne mich! Nachmittags geht’s anders her. Einige Stunden Exerzierdienst, wo ich natürlich immerzu bei auffalle, beherrschen den Nachmittagsdienst. Eine ganze Woche habe ich vom Außendienst ausgesetzt, und nun fühle ich mich sozusagen als Neuling. Vieles haben meine Kameraden inzwischen draußen neu gelernt, ??? ich jetzt wie ein Laie steht. Doch darf ich den Kopf nicht hängen lassen; ich traue mir schon zu, daß ich die Lücken schnell aufholen kann. Abends ist mal wieder ein langer Fliegeralarm. Freitag, den 21. Januar 1944

Heute wird auf dem Schießstand scharf geschossen, und zwar liegend aufgelegt. Ich erfülle die Bedingung (24) mit 28 Ringen. Die Kameraden, die nicht erfüllt haben, dürfen am Sonnabend/Sonntag nicht ausgehen und müssen außerdem die Munitionskästen schleppen und die Dreckarbeit leisten. Gottseidank habe ich erfüllt. – Mittags ist wieder Wehrsoldempfang: 10 RM. – Nachmittags geht unsere Abteilung (OB IV/A) geschlossen in die Stadt zu einem Photographen. 3 Sekunden dauert es bei jedem. Die Bilder sollen für das Soldbuch sein, ohne das wir ja nicht ausgehen können. Sonnabend, den 22. Januar 1944

Ich falle in einem fort auf. Sei es im Unterricht oder draußen auf dem Exerzierplatz. So eine Woche aussetzen hat für mich doch viel ausgemacht. Unsere Ausbildung ist eben keine gewöhnliche Rekrutenzeit, sondern ein Lehrgang. Wenn man also 14 Tage ausgesetzt hat, und dann nach Hause geschickt wird, dafür habe ich jetzt bestimmt Verständnis. – Mittags gehe ich zum Friseur, und lasse meine Haare wieder – auf Stecknadellänge schneiden. Sonntag, den 23. Januar 1944

Vormittags wird ein Teil von uns in den Kartoffelkeller geschickt, um die faulen Kartoffeln herauszusuchen. Vor Beendigung rücke ich mit vielen anderen aus, werde später vom U.v.D. doch erwischt und komme mit auf die schwarze Liste des Spießes. Mittags wurde ich noch einmal aufgeschrieben, weil ich vorzeitig zum Essen ging. Nachmittags sitzt man wieder stur auf der Bude, weil der Ausgang gesperrt ist.

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Montag, den 24. Januar 1944

Heute morgen marschiere ich zum erstenmale mit ins Gelände. Das erste Mal mache es natürlich Spaß. Wenn man auch manches Mal über die Heide gehetzt wird, so tut man es doch immer in der Meinung, daß man es später gut gebrauchen kann. Meine Kameraden sind heut schon das 4. Mal in der Palinger Heide (liegt sogar schon in Mecklenburg). Und nun fiel ich natürlich andauernd auf, wenn man sich einbuddeln, hinschmeißen, schießen und Feind beobachten muß. – Vom Nachmittagsdienst (Schießausbildung) möchte ich die Gewehrübungen hervorheben. Das soll muskelstärkend sein. Danach ist man fertiger als sonst irgendwie beim Sport (Klimmzüge). Ein bißchen werden wir dann zum Abschluß des Tages geschliffen. Zum erstenmale bin ich nun mal richtig dreckig geworden, durch Robben und Kriechen durch Matsch und Schnee. Dienstag, den 25. Januar 1944

Ein gewöhnlicher, aber harter und nasser Dienstag. Den ganzen Tag habe ich vom Wecken bis zum Zapfenstreich keine einzige freie Minute. Mittwoch, den 26. Januar 1944

Vormittags ist ein anstrengender Marsch von 18 km. Von Lübeck marschieren wir bis Schlutup an die Ostsee und auf einem andren Weg wieder zurück. Ich laufe mir die ganzen Füße voll Blasen. Trotzdem geht am Nachmittag der harte Dienst weiter. Zum erstenmale geht es heute unter die Gasmaske. Auch Kleinkaliberschießen findet statt als Vorübung für das übermorgige Scharfschießen. Heute kam ein Brief von meinem Bruder Gotthelf, der mir viel Mut zuspricht. Donnerstag, den 27. Januar 1944

Trotz strömenden Regens wird den ganzen Vormittag im Gelände auch unter Gasmaske getobt. Mittags kommen wir dann klitschnaß und von Müdigkeit und Schlappheit überwältigt in die Kaserne. Trotzdem macht es mir Spaß. Ich weiß, daß man es später gut gebrauchen kann und also keine Anstrengung unnütz ist. – Jetzt haben wir mit den Gewehrgriffen begonnen. Diesen lernen jetzt im Krieg nur noch die Offiziersanwärter. Abends empfangen wir die am Freitag aufgenommenen 8 Paßbilder und noch eine Generalstabskarte (1:100 000) von Lübecks Umgebung. Die Bilder und die Karte zusammen kosten 3,60 RM. Abends ist ein kurzer Fliegeralarm, wo wir in den Keller geschickt werden. Freitag, den 28. Januar 1944

Vormittags ist wieder Scharfschießen. Bedingung sind 150 m liegend freihändig mit 21 Ringen. Ich bestehe mit 23 Ringen. Wer nicht besteht, bekommt erstens keinen Ausgang und zweitens muß man Sonnabendnachmittag 2 Stunden Nachexerzieren, sogenannten Nachzielen, während die andern Freizeit haben. – Nachmittags ist ein 3000 m Geländelauf und noch Boxkämpfe, wobei ich so manchen Schlag ins Gesicht kriege; ich hatte früher ja nie Gelegenheit zum Boxen gehabt.

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Samstag, den 29. Januar 1944

Morgens im Dunkeln rückt die ganze O13 IV-Abteilung schwerbepackt mit ihren Zivilkoffern in die Stadt zum Postamt. Endlich sind wir nun den Ballast los, der wochenlang auf der Bude herumlag. Danach findet auf dem Kasernenhof durch den Major die Abnahme des militärischen Grußes statt. Morgen soll ja nun der erste Ausgang sein. Ich habe dieses Mal Luftschutzdienst und muß drinbleiben. Vormittags findet eine Feierstunde für den 30. Januar statt. Anwesend ist unser Divisions-Musikzug. Unser Regimentskommandeur hält eine Ansprache vor weit über 1000 Soldaten. Die meisten waren von der Meesen-Kaserne in unsere Exerzierhalle herübergekommen. Sonntag, der 30. Januar 1944

4 Mann von unserer Bude durften heute ausgehen. Der Rest trieb sich wieder den ganzen Tag auf der Stube herum. Auch gehe ich ins Lesezimmer und spiele dort auf dem Klavier. Ein Kamerad aus einem anderen Zug holt seine Geige und so musizieren wir zwei dort. Viele Zuhörer finden sich dabei ein. Heut schrieb ich einen Brief an meinen Bruder Gotthelf und lege ihm zwei verschiedene Paßbilder, eins als Soldat und das andere aus meinen letzten Ziviltagen mit ein. Montag, den 31. Januar 1944

Jetzt die Zeit der Impferei wieder los. Wir wurden heut morgen 1. gegen Cholera in die rechte Brustseite geimpft und eine Viertelstunde später noch gegen Pocken in den linken Oberarm. Der Rest des Vormittags ist dafür wieder Unterricht. Aber nachmittags ist harter Dienst wie sonst. Brief von Elfriede mit Bild von Jürgens 1. Schultag. Dienstag, den 1. Februar 1944

Morgens marschiert das ganze Bataillon zum Delta-Palast, wo wir den Film „Der große König“ sehen. Sonst ein normaler Dienstag. Brief von Frido Schoof. Wehrsold von 10 RM und Essenskarte empfangen. Donnerstag, der 3. Februar 1944

Morgens um 7 Uhr ist Abmarsch für einen 20 km Übungsmarsch. Es ist sehr anstrengend. Gewisse Strecken wurden nur robbend und unter Gasmaske zurückgelegt. Unterwegs sahen wir zum erstenmale etwas ganz neues, was bisher noch nicht veröffentlicht ist: Weiberflak. Gänzlich von jedem Ort entlegen liegt ein Barackenlager, bespickt von Luftwaffenhelferinnen, die eine Scheinwerferbatterie bedienen. Um das Lager patrouillierte ein Flintenweib mit Feldmütze, langer Hose, Mantel, Doppelfernrohr und einer Pistole im Koppel. – Unser Lager wird also immer netter, denn man hat jetzt schon wie in Sowjetrußland die Frauen als Soldaten. – Heute gibt’s Sonderzuteilung von 30 Zigaretten.

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Abends – zwei Minuten vor Zapfenstreich, so daß alles bereits im Bett war – wurde ein Nahalarm geblasen. Alles mußte in 5 Minuten fix und fertig angezogen und unten angetreten sein. Dann ging’s in den strömenden Regen hinaus, einige hundert Meter bis auf eine klatschnasse Wiese. Dort wird man im Kampfe sehr dreckig, dann geht’s zurück und nach 1 ½ Stunden liegt alles wieder im Bett. Jetzt haben wir also die langersehnte Nacht hinter uns. Die anderen Lehrgänge unserer Kompanie warten nun jeden Tag darauf. Freitag, den 4. Februar 1944

Heut ist abermals Scharfschießen. Bedingung ist 200 m liegend freihändig auf die Geländescheibe –„Birkenstamm“. Als ich an der Reihe war, bricht gerade ein Hagelschauer herab, daß ich kaum die Scheibe erkennen kann. Trotzdem schneide ich sehr gut und zwar mit 41 Ringen (Bed. ist 5 Schuß zusammen 28 Ringe). – Darauf folgt ein herrlicher Nachmittag. Der angesetzte Sport fällt aus. Es ist nämlich mit einem Autobus eine Künstlertruppe in die Kaserne gekommen und will unserem Bataillon einiges darbieten. Um 17 Uhr beginnt die Vorstellung. Wir sitzen mit dicken Mänteln in der eiskalten Exerzierhalle. Als alles an einem vorüber war, war man doch angenehm enttäuscht von dieser kleinen Truppe. Eine kleine Kapelle sorgte für die Musik. An akrobatischen Leistungen war ein Seiltänzer besonders hervorzuheben. Unter anderem machte er einen Rückwärtssalto auf dem Seil. Die Ansage hatte eine Dame, sehr humorvoll aber nicht hübsch. Durch diese Veranstaltung ist also allerlei Dienst ausgefallen. Abends in der Stube unterhalten wir uns über die gegenwärtige Lage. An der Ostfront stehen wir schon in Polen und im Westen ist mit einem gewaltigen Großangriff der Engländer und Amerikaner zu rechnen. Und wir Rekruten müssen nun damit rechnen, daß unsere Ausbildung vorzeitig abgebrochen wird, und wir schon früh an irgendeine Front kommen. – Heut traf ich in unserer Kaserne zum erstenmale einen alten Bekannten, und zwar einen ehemaligen Lüneburger Klassenkameraden, Wolfgang Jeschke, aus der Soltauer Chaussee. Er ist seit gestern zu einem ROB-Lehrgang in unsere Kompanie versetzt. Sonnabend, den 5. Februar 1944

Morgens ist herrliches Wetter, dabei aber sehr kalt. Wir haben jetzt Vollmond und dabei vollkommen klaren Himmel, und es ist ja klar, daß alle naselang Fliegeralarm geblasen wird. Heut habe ich erstmalig Ausgang eingereicht für morgen nachmittag. Hoffentlich klappt’s diesmal. – Unser Oberleutnant Papst – von Zivilberuf Studienrat – will einen kleinen Soldatenchor aufmachen, zu dem sich alle Musikverständigen melden sollen. Meine Kameraden schlugen mich als Pianisten vor, obwohl ich es mir kaum zutraue. Aber was hilft’s, wenn sonst keiner anständig klimpern kann. ROB=Reserve-Offiziers-Bewerber

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Sonntag, den 6. Februar 1944

Morgens schreibe ich einen Brief nach Hause und lege ein Militärpaßbild mit ein. Ich habe die Zeit dafür, weil ich mich als Kirchgänger gemeldet habe. Die Kameraden machen Sport und wir nichts und wir gehen anschließend zur Kirche. Von unserer Abteilung gehen 8 Mann geführt von einem Unteroffizier. Wir gehen zur St. Gertrudenkirche. Mittags erfahre ich, daß mein Ausgang genehmigt ist. Ich gehe um ½ 2 los, bummle stundenlang durch die Stadt Lübeck, löse für um ½ 4 Uhr eine Kinokarte für die Rialto-Lichtspiele, wo der Film „La Habanera“ mit Zarah Leander gedreht wird. Nach dem Kino suche ich lange nach einem Sitzplatz in einem vernünftigen Lokal und lande im Ratskeller, bestelle dort ein herrliches Abendbrot, denn ich hatte noch ½ Pfund Fleischmarken, die mit dem heutigen Tage verfallen. Vom Ratskeller aus fahre ich wieder in die Kaserne und bin um ¾ 21 Uhr wieder hinter Gittern. Montag, den 7. Februar 1944

Heut morgen werden wir abermals geimpft, und zwar eine Cholera- Spritze von 1,0 cm3. Danach wird harter Dienst gemacht, als ob wir nicht geimpft wären. – Abends traten zum erstenmal die Sänger zusammen. Unser Oberleutnant teilt zunächst die Stimmlagen (1. und 2. Stimme) ein. Danach fangen wir schon mit einfachen Kanons und zweistimmig mit den Liedern: „Es klappert der Huf am Stege“ an. Es macht allen viel Spaß. Man fühlt sich wie einst in der Schule, zumal hierbei der „Studienrat“ auch klar zu Tage tritt. Dienstag, den 8. Februar 1944

Vormittags 10.15 Uhr rückt unser Lehrgang OB IV zur Cambrai-Kaserne, die ganz am anderen Ende der Stadt liegt und wir einen weiten Marsch von ca. 6-8 km hinter uns haben. Dort werden wir zunächst geröntgt und anschließend in einem anderen Gebäude wird uns ein Bluttropfen aus dem Ohr gezapft, um unsere Blutgruppe festzustellen. Auf dem Rückmarsch schneiden wir ein gutes Stück Weges ab, weil wir eine Fähre über die Trave benutzen. Mittwoch, den 9. Februar 1944

Abends ist wieder eine Singstunde. Es klappt schon ganz tadellos. Wir waren alle ja früher irgendwo schon Chorteilnehmer. Leider sind wir abends alle so todmüde, so daß das Mitarbeiten schwerfällt. An Post kriege ich einen Brief von Frido Schoof, der morgen von den Luftwaffenhelfern entlassen wird und dann am 14. II. zum R.A.D. auch nach Ostfriesland muß. Ein weiter Brief kam von Alfred Clavin, der nun schon über die Hälfte seiner R.A.D.-Zeit hinter sich hat und bedauert, daß er seinen schönen Posten dort nicht noch länger innehaben kann. Von zu Hause kam auch ein Brief und zwar von Wally. Sie legte Briefabschriften von meinen Brüdern Paul und Eugen. Paul hat bislang sämtlichen Großangriffen auf Berlin standgehalten und hofft nun im März sein Staatsexamen zu machen. Eugen macht momentan einen Offizierslehrgang mit, der ¼ Jahr in Speyer stattfindet. - 59 -


Donnerstag, den 10. Februar

Morgens um 7 Uhr beginnt der große Wochenmarsch. Es sind zusammen 21 km. Von der Kaserne aus geht’s nach Herrenburg. Von dort beginnt eine ca. 8 km lange kampfartige Walddurchquerung. Danach werden noch ca. 6-7 km unter der Gasmaske zurückgelegt. Dabei werden Zäune, Bäche und Gräben überquert. Von Süden kommen wir dann aus Richtung Ratzeburger See über den Vorort St. Jürgen wieder in unsere Kaserne. Alle haben klatschnasse Füße, denn heute nacht hat es – erstmalig in diesem Winter – etwas geschneit und über Mittag setzt ein tüchtiges Tauwetter ein. Freitag, den 11. Februar 1944

Mittags ist Wehrsoldempfang: 10 Reichsmark. Abends ist eine dienstplanmäßige Nachtübung. Um 18 ½ Uhr ist Abmarsch. Es ist herrliches klares Wetter draußen: Vollmond und Schnee. Zum Abschluß muß sich jeder ein Nachtlager ausgraben und wir fürchten schon, daß wir die ganze Nacht am Feind bleiben sollten. Doch nach einigen Stunden war schon der Rückmarsch. – Während der Übung vernahmen wir eine heftige Explosion, wahrscheinlich in der Werft von Schlutup. Eine Stunde lang gewahrte man einen großen Feuerschein am ganzen Himmel. Sonnabend, den 12. Februar 1944

Vormittags ist wieder Scharfschießen. 150 m liegend freihändig = 21 Ringe mit 3 Schuß. Ich erfülle mit 27 Ringen. Beim Abmarsch hält unser Oberleutnant eine Wochenpredigt über unser gutes und schlechtes Benehmen. – Abends kriege ich einen Brief von Ellen. Sonntag, den 13. Februar

Wenn nur am Sonntagmorgen der Sport nicht wäre. Alles döst vor sich hin mit Händen in den Hosentaschen. Keiner hat Lust zu diesen dämlichen Übungen. Nachmittags bleibe ich auf der Bude, weil ich ein Luftschutzkommando habe und nicht ausgehen kann. Ich nutze die Zeit, um mich auszuschlafen und um zu schreiben. Einen Brief erhielt ich von meinem Schwager Wilhelm, der nach seiner Genesung jetzt nach Rußland mußte. Montag, den 14. Februar

Unsere Gruppe schiebt heut vormittag eine ganz ruhige Kugel. Wir spielen bei einer Gefechtsübung in der Palinger Heide nämlich den Feind. „Unsere“ Feinde müssen viel unter der Gasmaske schwitzen, und wir können uns das alles von unserer Feindstellung ansehen. – Der Nachmittagsdienst wurde auch eher abgebrochen, weil eine Theateraufführung in unserer Exerzierhalle auf uns wartete. Gespielt wurde von der „Luftgaubühne Nord-West“ das Stück „Vertrag um Karaket“. Es spielt in der Vorkriegszeit beim deutschen Botschafter in der Türkei. Vielleicht haben wir morgen wieder so eine Theatervorstellung. Inzwischen ist unsere Lehrgangskompanie auf 450 Mann angewachsen. In den letzten Tagen wurden in der Kompanie auch viele Beförderungen ausgesprochen. Unser Spieß, Feldwebel Heiner, ist Oberfeldwebel geworden. So manchen Unteroffizier, an dem man vor einigen Tagen noch ohne Beachtung vorbeigeschlendert ist, muß man nun Soldatengruß erweisen. - 60 -


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Die Seite 62 aus dem Originaltagebuch

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Die Seite 63 aus dem Originaltagebuch

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Dienstag, den 15. Februar 1944

Wieder ein fauler Tag. Morgens ist wieder Impfen, und zwar die 3. Choleraspritze. Anschließend ist eine Ruhestunde, wo ich zum Friseur gehe, um meine Haare stutzen zu lassen. Sonst ist gemütliches Exerzieren auf den Stuben am Vormittag. Inzwischen haben wir nun die Gewehrgriffe gelernt, aber wir können sie noch lange nicht so, daß wir damit auftreten können. Abends ist ein langer Fliegeralarm. Nach einer Stunde muß unter anderen ich raus und den Fliegerabwehrtrupp. Im Stockdunkeln müssen wir die MG-Stände draußen im Gelände aufsuchen und kaum hatten wir Waffe und Munition übernommen, da war Entwarnung und wir konnten alles zurückschleppen. Mittwoch, den 16. Februar 1944

Vormittags ließ unser Oberleutnant uns absichtlich etwas länger im Gelände und hatte damit einen Grund, uns nach Hause zu hetzen. Er gab für den Weg Palinger Heide bis Kaserne (4 ½ km) nur 10 Minuten Zeit und dann begann ein wüstes Gehetze. Man hatte Stahlhelm, Gasmaske, Gewehr, Spaten usw. noch mitzuschleppen. Vollkommen erhitzt kamen dann – ich bei den letzten – alle am Ziel an. Freitag, den 18. Februar 1944

Heute vormittag ist bei starkem Schneefall wieder Scharfschießen. Die Gewehrübung (5 Schuß liegend freihändig auf Geländescheibe = 28 Ringe) bestehe ich mit 39 Ringen. Der beste Schütze liegt auf meiner Stube. Er war sonst immer einer der schlechtesten und kriegt nun wegen seiner tadellosen Leistung (50 Rg.) den ganzen Nachmittag Ausgang. Wie gern würde ich auch einmal so gut schießen, bloß um mal herauszukommen. – Außerdem wir heute auf dem Schießstand zum erstenmal mit dem l. MG. 34 geschossen. Bedingung ist mit 5 Schuß = 3 Treffer auf die 95 Meter entfernte MG-Scheibe. Ich erfülle mit 6 Schuß = 3 Treffer. Samstag, den 19. Februar 1944

Morgens hält unser Oberleutnant mit uns einen politischen Unterricht ab, der für mich mal wieder ganz interessant, denn ich habe mich in den letzten Wochen sehr wenig mit der militärischen Lage befaßt. Es wird stark angenommen, daß demnächst eine gewaltige Landung der Anglo-Amerikaner an der deutschen Küste unternommen. Und da müssen wir Soldaten in Lübeck natürlich mitantreten. Die Grundausbildung der einfachen Waffen und auch schon etwas Kenntnis des Infanterie-Geländedienstes haben wir ja schon intus. Nach dem Unterricht ist eine zweite Gasalarmübung. Eine halbe Stunde verbringen wir in dem mit Tränengas ausgefüllten Stinkraum. Heute habe ich Ausgang. Erst um 18 Uhr komme ich raus. Ich gehe mit meinem Stubenkameraden Abraham zusammen. MG=Maschinengewehr

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Ich habe 4 kaputte Uhren, auch meine in der Tasche, werde sie aber beim Uhrmacher nicht mehr los, weil schon Ladenschluß ist. Dann rennen wir beiden von einem Kino zum anderen, aber überall begann bereits die letzte Vorstellung. Dann gehen wir an Bord, d.h. in die Dampfergaststätte „Rheingold“ und essen dort ausgiebig Abendbrot. Mit dem Autobus fahren wir zurück, so daß wir um halb 10 wieder auf der Bude sind. Dort mache ich etwas Verkehrtes: ich esse noch Massen an Heringssalat. Im Bett kann ich nachts nicht leben und nicht sterben. Bauchweh und Übelkeit quält mich. Um halb 3 Uhr kam Fliegeralarm. Ich schlafe im Keller ein. Bei der Entwarnung um 4 Uhr ist mir so sonderbar zumut. Ich merke, daß ich kotzen muß. Ich will nach draußen rennen, aber die Kellertreppe ist von den vielen Soldaten versperrt, die jetzt nach oben streben. Ich kehre also um und setze mich auf meinen Schemel in dem nun leeren Luftschutzraum und... Seit 3 ½ Jahren habe ich nicht mehr gekotzt. Das war mal wieder was ganz ungewohntes. Hinterher fühlte ich mich ganz frisch und schlief fest. Sonntag, den 20. Februar 1944

Der verdorbene Magen quält mich den ganzen Tag. Ich esse fast nichts. Morgens empfangen wir die „Kaiser-Wilhelm- Gedächtnis-Röcke“, die steifen Jacken, die wir nun im Gelände anziehen sollen. – Eigentlich hätte ich heut wieder ausgehen können, aber mein Magen hält mich an die Stube gebunden. Die meiste Zeit des Tages faulenze ich im Bett herum. Montag, den 21. Februar 1944

Heute empfangen wir zum erstenmale neue Bettwäsche. 7 Wochen haben wir nun in den alten Sachen geschlafen. Aber Dreck wärmt, da ja unsere Stube die kälteste hier ist. – Weil Montag ist, gibt es natürlich viel Zunder. Von der Palinger Heide geht es im Dauerlauf wieder nach Haus. Nachmittags geht die Schleiferei auf dem Kasernenhof weiter. Alles weil Montag ist. Schon länger trage ich an meinem rechten kleinen Zeh ein Hühnerauge, welches sich wegen der vielen Lauferei erweitert hat. Ich kann kaum noch meinen Stiefel an- und ausziehen, so geschwollen ist mir der Fuß am Abend. Dienstag, den 22. Februar 1944

Morgens ist abermals Impfen (Typhus). Und ich dachte, daß deswegen heute kein strammer Dienst ist und am Morgen der Fuß gar nicht mehr geschwollen ist, melde ich mich noch nicht krank. Aber, wie nicht erwartet, geht es sofort nach dem Impfen raus in die Palinger Heide. Um die versäumte Stunde aufzuholen, wird natürlich gelaufen. Die ersten Schritte aus dem Kasernentor raus komme ich noch mit, aber dann hänge ich sofort ab, muß oft stehen bleiben, weil ich’s vor Schmerzen nicht aushalten kann. Ich bereue es stark, daß ich mich heut früh nicht krank gemeldet habe. Also muß ich hinterherhumpeln und komme ein ganze Stunde später in unserem Geländeabschnitt an. Unser Oberleutnant schreit mich natürlich an, denn für ihn gibt’s nur Kranksein oder nicht, und nichts dazwischen. Was hilft es: ich suche meine Gruppe auf und

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mache Dienst mit. Natürlich kann man sich an die Schmerzen gewöhnen und so halte ich auch den ganzen Tag aus. Beim Waffenreinigen (nach Dienstschluß) habe ich die Erlaubnis, die Schuhe ausziehen zu dürfen. Ich bekomme sie, und als ich den Fuß gelüftet hatte, fiel mir und allen meinen Kameraden zum größten Schrecken die Schwellung auf, so daß es fast einem Klumpfuß ähnelte. – Inzwischen lief schon das Gerücht umher, daß heute eine Nachtübung stattfinden sollte. Aus den Vorgesetzten war nichts herauszubekommen und so benutzten wir meine Fußgeschichte als Mittel. Wir frugen unseren Zugführer, was ich bei einem eventuellen Nachtalarm machen solle. Darauf wurde er ganz ernst und gab den erwarteten Bescheid. Er hatte also indirekt allen verraten, daß Alarm komme. Mittwoch, den 23. Februar 1944

Für die Nacht war also alles auf Alarm eingestellt und legte sich nur halb ausgezogen ins Bett. Beim Stubendurchgang kommt überraschend unser Zugführer mit auf die Stube und läßt alles blitzschnell aus den Betten springen. Er machte es wieder so ungeschickt, daß der Alarm nun ganz gewiß war. Der einzige auf der Stube, dem alles egal ist, bin ich. – ¼ Stunde nach Zapfenstreich geht’s los wie erwartet. Ich konnte zusehen, wie meine Stubenkameraden sich blitzschnell feldmarschmäßig anzogen und als nach 6 ½ Minuten alles unten war, konnte ich beruhigt einschlafen. – Geweckt wurde ich um 2 1/4, als die Kameraden abgekämpft und durchgeschwitzt wieder aus der Palinger Heide zurückkamen. Beim anschließenden Waffenreinigen höre ich allerlei von der Nachtübung und alles beneidet mich. – Am Morgen melde ich mich als Neukranker. Diese müssen vorher immer auf der Schreibstube angemeldet werden und unser Spieß meint, daß es sich wahrscheinlich um eine Blutvergiftung handle, weil schon violette Striche am Fuß zu sehen sind. Ich gehe dann rüber ins Revier und muß dort noch lange auf den Oberstabsarzt warten. Als ich dann an der Reihe bin, besieht er sich meinen Fuß lange, läßt sich dann Messer und Schere reichen und beginnt die Operation bei meinem vollen Bewußtsein. Er schnitt zunächst die dicke Eiterbeule auf, drückte sie aus und schnitt dann die leere Blasenhaut mit der Schere ab. Ein scheußliches Bild bot sich nun: Etwa wie ein 10 Pf Stück groß sah das gelbverfaulte Fleisch das Tageslicht. Dann wird Borsalbe auf die Wunde geschmiert, der ganze Fuß mit einem umständlichen Verband versehen und mir gesagt, daß ich 3 Tage Bettruhe habe. Daß ich bei dieser Operation die schrecklichsten Schmerzen auszuhalten habe, ist ja klar. Nun liege ich also den ganzen Tag im Bett, schlafe und döse. Donnerstag, den 24. Februar 1944

Als Bettkranker müßte man ja eigentlich den ganzen Tag im Bett liegen bleiben, das hätte ich ja auch ganz gern getan. Doch mußte ich mich 6 Mal vollständig anziehen, 4 Mal war Fliegeralarm 2 Mal ging ich zum Essen. Ich habe also außer dem Vormittag, wo ich allerlei zu schreiben habe, nicht viel gelegen. Mein Fuß ist auch schon etwas besser geworden. Jedenfalls kann ich wieder ohne Schmerzen gehen. Von einem Stubenkameraden lieh ich einen ganz ausgeweiteten Pan-

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toffel, worein ich noch so eben meinen Fuß quetschen konnte. – Erstmalig fiel heute ein Fliegeralarm in die Dienstzeit, so daß meine Kameraden – ohne mich – einen Vorteil davon haben. In den 8 Wochen, die wir hier sind, hatten wir durchschnittlich jeden 2. Tag Alarm; aber jedesmal fiel es in unsere Freizeit, sei es Mittags, Abends oder Nachts. Eine Gemeinheit sondergleichen. Freitag, den 25. Februar 1944

Den ganzen Tag darf ich wieder im Bett liegen. Aber meine Kameraden hatten heute auch einen faulen Tag; sie waren nämlich wieder auf dem Schießstand. Ich hätte gern meine Bettruhe an einen anderen Tag verlegt, wenn es nur ging. – Einer musste von unserer Gruppe ja heute krank sein, sonst hätte sich unser Gruppenführer nicht mein Gewehr, Brotbeutel, Feldflasche, Verbandpäckchen usw. von mir leihen können. Denn heute abend fand ein großangelegter Alarm „Küste“ für das gesamte Bataillon statt. Es war nur eine Übung. Aber doch wurden meine Kameraden mit Gasalarm, scharfer Munition, Granatwerfer und allen anderen Mobilmachungssachen ausgerüstet. Unsere Kompanie trat an, ein Appell fand statt und dann war alles wieder vorbei; um 10 lag alles schon wieder im Bett. Vielleicht wird es nun bald Wirklichkeit mit einer Landung der Anglo-Amerikaner an unserer Küste. Man ist in diesem sturen Dienst richtig gierig nach Zwischenfällen und vor allem nach einem so großen Unternehmen. Hoffentlich kommen wir dabei auch zum Einsatz. Drei kleine sehr eng mit Bleistift beschriebene Zettel lagen hinten in seinem Tagebuch. Zum angegebenen Datum – 26. Februar – ist er noch in Lübeck: Seite Nr. 1:

Während unserer Rekrutenzeit haben wir einen sonderbaren Gast auf unserer Stube. Keiner von uns schenkt dem armen Wesen Beachtung. Es war bis vor kurzem – denn neuerdings sind unsere Strohsäcke lebendig geworden – das einzige Lebewesen, das neben unseren von Tag zu Tag müderen Kadavern die oft sehr dicke Lübecker Stube 76 (nicht zu lesen). Was für einer Art dieses Individuum angehört, weiß von uns keiner; es würde auch keinem einfallen, sich um ihre Herkunft, Familie und Rasse zu kümmern. Jedenfalls das eine ist gewiß: es gehört dem großen Zweig der Pflanzen an. Eigentlich können die Pflanzen ja nur existieren, wenn sie Licht, Luft und Sonne haben. Wo aber hat sie dies auf unserer Stube? Sie steht ganz dicht unter der Decke auf einem Spind und gerade... Seite Nr. 2:...in der dunkelsten Ecke, wenn von Tageslicht die Rede ist. Sie steht außer dem Be-

reich des Stubendienstes und leistet so als Staubfänger gute Dienste. Was die Düngung und Bewässerung anbetrifft, so kann unsere einzige Stubenzier gewiß nicht klagen. Dort oben unter der Decke steigt ja bekanntlich die erwärmte Luft am liebsten hinauf. Da in unserer Stube aber keiner von den beiden Heizkörpern die unbedingt nötigen Kalorien ausstrahlen will, sind wir es selbst mit unseren Leibern und den Organen, die eine ganz geringe Temperaturerhöhung zu - 68 -


vermögen wissen. Jedenfalls zeigen sich an den Ablegerspitzen jetzt im Vorfrühling schon kleine grüne Köpfe. Das ist das einzige was grün ist, alles andere ist grau-braun-???. Vielleicht steckt unter dieser dicken Staubauflage noch etwas Grünes? Keiner weiß davon. Seite Nr. 3:...Der tönernde Blumentopf hat die Größe, wie man sie zur Konfirmation und Ge-

burtstagen von den vielen Bekannten und Nachbarn ins Haus gebracht kriegt. Vielleicht war diese Pflanze auch einmal an so ehrenvoller Stelle eingesetzt. Wie sie hier auf unsere Stube kam, weiß keiner. Als wir vor acht Wochen hier einzogen, stand sie dort schon an derselben Stelle auf dem Spind. Wie viel Rekruten mag sie wohl vorher schon liegend, fluchend und schwitzend gesehen haben? Immer wieder sah sie Soldaten an und ausziehen, hörte die tollsten Gespräche der Ausgänger bei der Rückkehr. Da solche Pflanze wahrscheinlich weiblichen Geschlechts ist, wird sie wohl oft die grüne Farbe in die Rote gewechselt haben, ohne daß einer von uns dran dachte und es beobachtet hat. Zu diesem interessanten Gegenstand gehört noch ein großer flacher Eßteller. Er hat schon viele Sprünge und ist gänzlich... Seite Nr. 4:...vergilbt. Aber deswegen wird er wohl auf ewig leben. Ob wir ihn nun erst als den

Blumentopfuntersatz benutzt haben oder ob er vorher schon den gleichen Dienst tat, jedenfalls steht fest, daß seine Größe unbedingt nötig ist. Dieser Eßteller hat schon so manchen Tropfen Flüssigkeiten aufgefangen, der sonst zur ewigen Qual des Stubendienstes geworden wäre. Ja, wer gibt ihr denn die Flüssigkeiten? Einmal in der Woche, am Sonnabend, ist ja Revier reinigen, und da es anschließend Ausgang gibt, möchte die Stube natürlich nicht auffallen und holt nun mal – nicht immer – dieses Geschöpf von seinem Ehrenplatze. Dann kann es mal vorkommen, daß sie eine ganze Stunde – selten länger – mal auf dem Tisch zu stehen kommt. Nicht damit sie einmal gründlich geputzt wird; nein, sie verschwindet ja doch... Seite Nr. 5:...gleich wieder in der dunkelsten Ecke. Und so benutzt sie der eine als Aschenbe-

cher und legt nachher alle seine Kippen noch dazu. Ein anderer hat seine Bierflasche nicht bis auf den Boden leertrinken können, und leert nun den Rest über dieses arme Wesen. Ein dritter ist gerade mit dem Rasieren fertig geworden, hat die mit Seifenwasser gefüllte Tasse vor sich; wohin damit? Der Waschraum ist viel zu weit weg. Aus dem Fenster? Ja, aber nicht alles. Und schließlich kommt dann der Rest – wie erwartet – in den Blumentopf. Wenn die Pflanze einen Magen hätte, würde sie diesen schon etliche Male verdorben haben. Aber das meiste der Getränke sickert ja ganz durch. Gottseidank hat sie ja in der Mitte ein kleines rundes Loch, durch das dann der Überfluß an den großen Eßteller abgegeben wird. Seite Nr. 6: Was mag nun die Zukunft für dich bringen, du armes Geschöpf?? Wir bleiben hier

noch einmal jetzt 8 Wochen. Solange wirst du hoffentlich noch leben bleiben. Was dann unsere Nachfolger mit dir machen werden, muß natürlich auch „ menschlich“ bleiben. Wir wünschen dir niemals, daß irgend ein mitleidloser Kamerad dich um die Ecke bringen will. - 69 -


Für uns bist du das, was man woanders Talisman nennt. Es weiß keiner, daß du das bist, aber vielleicht steckt in dieser Unwissenheit eben die Wirkung, die du uns schon angetan hast. Vom Zug ist unsere Stube die beste Gruppe; wir haben den besten Gruppenführer erwischt, bloß haben wir die kälteste Bude. Vielleicht bist du es, die absolut diesen Zustand erfordert. Wir nehmen es aber gern hin um deinetwillen. Samstag, den 26. Februar 1944

Morgens gehe ich wieder rüber ins Revier und lasse mir einen neuen Verband um den Fuß legen. Mir geht es wieder ganz gut und der Oberstabsarzt sagte, daß ich am Montag wieder dienstfähig sei. – Vom Revierreinigen drückte ich mich nachmittags, indem ich mich ins Bett lege und angeblich noch bettkrank bin. Keinem ist diese Finte aufgefallen. Sonntag, den 27. Februar 1944

Den Sport mache ich natürlich noch nicht mit. Es soll dabei aber sehr interessant gewesen sein. Unsere beiden Zugführer sind ja auf Urlaub und da ging unser Zug mit unserem Gruppenführer Kuddel (Uffz. Sander) ins Gelände und tobten sich dort aus. Kuddel ist ein fabelhafter Mensch und wird von allen als der beste Gruppenführer der Kompanie angesehen. Das Schleifen gefällt ihm gar nicht. Mit anderen Mitteln zu lehren hat bei ihm viel mehr Erfolg. Nur durch ihn sind wir die beste Gruppe des Zuges. Sei es beim Unterricht, Exerzieren, Gewehrgriffe usw. Sind unsere einzelnen Schießergebnisse am Freitag noch so schlecht, dennoch sind wir vom Zug immer die besten. Kuddel wird von seinen Kollegen, den anderen Gruppenführern und dem Zugführer arg gehaßt. Er hatte schon vor, sich deswegen an die Front zu versetzen zu lassen. Wir fühlen mit ihm mit und geben uns wirklich Mühe, ihm Sorgen abzunehmen. Wenn unsere Ausgänger aus der Stadt zurückkommen, haben sie regelmäßig was für Kuddel, sei es Heringssalat, Bratfisch oder was es sonst ohne Marken gibt, mitgebracht. Wir verstehen uns mit ihm fabelhaft. – Unser Zug ist ja der, der am meisten Schliff bekommt. Wenn sich der Zug dann aber in Gruppen entfaltet, sieht es schon ganz anders aus. Montag, den 28. Februar 1944

Eigentlich soll ich seit heute morgen ja schon wieder Dienst mitmachen, aber da ich noch so einen großen Verband um den Fuß habe, muß ich noch einmal ins Revier und lasse mir ein kleines Pflaster draufkleben, damit ich wieder in den Stiefel steigen kann. Für den Vormittag bin ich also wieder dienstfrei. Vom Revier schleiche ich mich auf die Stube, ohne unterwegs gesehen zu werden und schließe mich ein und habe den ganzen Vormittag Zeit. Auch um mich zum Mittagessen vorzubereiten. Denn heute geht es erstmalig mit an den Offiziersmittagstisch, 15 Mann von unserem Lehrgang sind dazu bestimmt. Ich habe das Pech gerade gegenüber von unserem Regimentskommandeur, Oberstleutnant von Eberhard zu sitzen. Auch gibt es noch Pellkartoffeln. Da sind die Herren Offiziere natürlich zu faul zu pellen, essen wenig, und wenn sie fertig

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sind, müssen wir auch fertig sein. Viele von uns wollen nicht satt geworden sein. Aber mich konnte nichts aus der Ruhe bringen. Nachmittags mache ich wieder Dienst mit. Dienstag, den 29. Februar 1944 (Schalttag)

Nach einer Woche Pause gehe ich heut wieder ins Gelände. Aber so etwas Gemütliches! Der Dienst ist in der letzten Zeit auch sehr interessant geworden. Wir üben tagtäglich den Nahkampf. Eine Sache, die viel Blut erfordert. Am Mittwochabend kriege ich einen Brief von Ellen, die schreibt, daß meine Schwestern Wally und Christa mich am kommenden Sonntag besuchen wollen. Ich schreibe gleich zurück und „lade herzlich ein“. Doch am nächsten Tag lese ich am schwarzen Brett, daß ich von Sonntagmittag bis Montagmittag Wache habe. Ich bin also der allererste von den OB Lehrgängen, der nun Posten stehen muß. Auch schreibe ich sofort wieder nach Hause, daß ich am Sonntag keinen Besuch empfangen kann. Hoffentlich kommt die Nachricht noch rechtzeitig nach Hause, damit meine Schwestern nicht umsonst ankommen. Freitag, den 3. März 1944

Morgens ist wieder Scharfschießen. Geschossen wird mit dem Maschinengewehr und dem Gewehr. Mit dem MG werden 3 Feuerstöße von je 7 Schuß geschossen. Bedingung ist 9 Treffer, ich bestehe mit 13 Treffern. Die Gewehrübung ist 250 m lgd. freihdg. auf Geschoßscheibe. Bedingung ist 18 Ringe. Gott sei Lob und Dank bin ich der beste Schütze des Zuges, weil ich 25 Ringe geschossen habe. Für diese Leistung bekomme ich während des Sports am Nachmittag frei. Ich gehe in die Stadt zur Post und in verschiedene Läden. Auch versuche ich meine schon seit längerer Zeit defekte Uhr bei einem Uhrmacher loszuwerden. Doch sagte der mir, daß ich die Uhr ruhig wegschmeißen könne, weil ich selbst darin gefuscht hätte. Wahrscheinlich hatte er nur zu viel Arbeit; ich gebe es jedenfalls noch nicht auf. Ich will es bei meiner Schwester Ruth noch einmal versuchen, die hat nämlich Beziehungen zu einem Uhrmacher. Samstag, den 4. März 1944

Morgens macht der Oberleutnant mit uns einen Anstandsunterricht. Wir sitzen im U-Raum und alle mußten ihr Eßbesteck mitbringen. Als Vorführessen haben wir schwarzen Kaffee, soll Suppe darstellen. Wir haben uns in dieser Stunde reichlich amüsiert. – Anschließend macht der neue Wachthabende, ein Unteroffizier, mit uns 4 Posten 1 Stunde Wachunterricht und ½ Stunde Wachexerzieren. – Nachmittags habe ich Ausgang. Ich kaufe Schuhkreme, Buntstifte, Postkarten und gehe um ½ 7 Uhr ins Kino „Delta“, wo der große Film „Zirkus Renz“ gezeigt wurde. Ich habe abends Stubendienst, melde ab und bleibe – wie ein Wunder noch eine halbe Stunde auf und lese. Als ich schließlich um ¾ 11 ins Bett gehen - 71 -


will und noch einmal über den Flur zum Abort gehe, merke ich, als ich zurückgehe, daß auf der Stube inzwischen das Licht ausgegangen ist. Da sehe ich auch an eine Tür gepreßt den Oberleutnant und den Feldwebel und nun wußte ich was los war. Kaum war ich in unserer Tür, da hatte mich schon der Feldwebel überholt und schrie in unsere Stube: „Alarm“. Ich war ja Gottseidank noch nicht im Bett. Aber meine Kameraden taten mir leid. Sie kamen aus dem tiefsten Schlaf, hatten zum Teil ein herrliches Abendbrot aus dem Ratskeller hinter sich. Die meisten glaubten gar nicht dran. Keiner hatte heute gerade mit so einem Alarm gerechnet. Also in den Stuben ist es stockdunkel und so waren wir doch noch mit 10 Minuten die zweitbeste Gruppe. Unten auf dem Flur müssen wir antreten. Da sah ich, daß unser Feldwebel noch seine Ausgangsuniform anhat und da dachte ich mir, daß es nicht schlimm werden konnte. Und tatsächlich: Es blieb bei einem großen Appell. Wir müssen alle möglichen Sachen vorzeigen. Wer etwas, z.B. Verbandspäckchen vergessen hatte, mußte, als wir schon nach einer halben Stunde wieder entlassen wurden, dann einige Runden unter der Gasmaske um den Kasernenhof laufen. Gottseidank war ich nicht dabei. Wir mußten im Dunkeln wieder ins Bett und hatten alle Sachen so schön in den Spind geworfen, als es nach einer halben Stunde zu einem neuen Alarm herausging. Nun war es natürlich weit schwieriger, die Sachen im Dunkeln wieder zu sortieren. Gottseidank sind wir wieder die zweitbesten. Die schlechteste Gruppe mußte während der ganzen folgenden Nachtübung die Gasmaske aufsetzen. Wir marschieren einige hundert Meter auf der Landstraße, mit vielen Einlagen; auf dem Rückmarsch werden Verwundete transportiert, jeder 3. stellt einen Verwundeten dar. Um ¼ nach 1 liegen wir dann glücklich zum 2. Mal im Bett, auf alles weitere gefaßt, doch blieb es danach ruhig. Sonntag, den 5. März 1944

Um 12 Uhr soll die neue Wache aufziehen. Um 11 Uhr gehe ich zum Essen. Als ich auf die Stube zurückkomme, sagen mir meine Kameraden, daß für mich Besuch unten im Lesezimmer warte, wahrscheinlich meine Eltern. Ich überzeuge mich selbst und finde meine Schwester Wally und ihren väterlichen Freund, Herrn Mühring hier aus Lübeck. Um ½ 12 mußte die Wache schon zur Vergatterung abrücken. In wenigen Minuten unterhielt ich mich mit meiner Schwester über die neuesten Familienereignisse. Noch gar nicht wußte ich, daß bei meiner Schwester Hanna in Polling inzwischen ein gesunder Junge angekommen. Meine Mutter weilt nun schon eben solange bei ihr, wie ich Soldat bin. Die 3 Wochen, in denen ich ihr in Polling die schwere Arbeit abnahm, war also für diese Geburt auch entscheidend. Die Aussprache mit meiner Schwester war also sehr kurz. Aber was sich doch gelohnt hatte, war, daß sie einen ganzen Koffer voll Eßsachen mitgebracht hatte. Hauptsächlich Kuchenreste von ihrem und Ruth’s Geburtstag. Ferner ein volle Kuchenkarte, Schuhkreme und ein Tischmesser. Herr Mühring wollte, daß ich ihn auch mal besuchen sollte, wenn ich in die Stadt komme. Christa wäre auch zu gern mitgekommen. Sie soll beinahe geheult haben, als meine Absage kam. Wally konnte den Rest des Tages ja bei Mührings verbringen. Also sehr schnell mußte ich mich dann wieder von dem Besuch verabschieden und

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stand um ½ 12 draußen angetreten. Meine Schwester sah sich draußen noch die Vergatterung mit an und dann entschwand sie meinen Blicken. Um 12 Uhr begann unser Dienst als Wache. Wir belegten das Wachlokal und hatten an diesem herrlichen Sonntagnachmittag viel mit den Besuchern zu schaffen. Ich stand zuerst nachmittags von 4-6 Uhr auf Posten. Nachts machte ich Streifenrundgänge von 0.00-2.00 Uhr. Taghell war diese Mondnacht. Weiter hatte die Wache die 3 Arrestanten zu versorgen. Die Arrestzellen sind immer überfüllt. Sowie einer rauskommt, ist schon wieder ein anderer drin. Sogar ein Unteroffizier sitzt drin. Schlaf kriege ich während der Nacht nur 3 Stunden. Montag, den 6. März 1944

Vormittags stehe ich von 8.00-10.00 Uhr Posten. Da gingen alle Lehrgänge zum Geländedienst an mir vorbei. Montags werden sie ja immer besonders hochgenommen. Prima Wetter ist es und die 2 Stunden vergehen durchaus rasend schnell. Mittags muß die ganze Wache raustreten, weil unser Kompaniechef Major Lübcke passiert. Er ist den ganzen Tag in schlechter Laune und scheißt uns natürlich an. Ich soll beim Spieß gemeldet werden, weil ich das Gewehr nicht ganz gerade hängen hatte. ½ Stunde wurde ich die Wache los und nun mußte ich ab 15 Uhr wieder Dienst mitmachen. Über Mittag war 4-mal Fliegeralarm. Erst um 3 kamen wir zum Mittagessen. Nachmittags ist unser Oberleutnant nicht da und das nutzt der Feldwebel, um uns ordentlich zu schleifen. Ich bin totmüde, wunderte mich aber, daß ich alles schaffen konnte. Abends feiern auf der Stube das „Bergfest“. Die Hälfte unseres Lehrgangs ist um. Bier soffen wir aus und ich spendierte etwas Kuchen dazu, den ich gestern bekam. Dienstag, den 7. März 1944

Morgens werden wir abermals geimpft. Es ist wieder eine Typhus-Spritze. Anschließend wurde aber gewöhnlich Dienst gemacht. Mittwoch, den 8. März 1944

Nachmittags wird ein „Alarm Küste“ geblasen. So sehr überraschend war das nicht. Schon tagelang wurde das vorausgesehen. Dieser Alarm bestand letztlich aus einem Appell. Sämtliche Führer hatten Waffen empfangen. Die ganze Kompanie war marschbereit auf dem Kasernenhof angetreten. Alle waren dabei: die ????, Sanitäter, Schreiber, Spieß und so weiter. Manche sah ich zum erstenmal im Stahlhelm. Unser Lehrgang gehört zum Radfahrzug. Wir müssen also weit den Fußgängern voraus. Vieles klappte bei dieser Übung natürlich noch nicht. Unser Herr Major versprach uns eine Wiederholung dieses Alarms unter ganz anderen Umständen. Nach 2 Stunden konnten wir wieder wegtreten. Donnerstag, den 9. März 1944

Wir wundern uns, daß wir den ganzen Tag keinen richtigen Druck kriegen. Auf dem Dienstplan

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steht für morgen abend eine Dunkelheitsübung. Da wir aber durch unseren Spitzel erfahren haben, daß morgen unser Lehrgangsleiter Oberleutnant Pabst Geburtstag hat, rechnet nun alles mit dem heutigen Alarm. – Unsere Stube hat vor, in Kürze, wahrscheinlich am 18. d. M., eine Stubenfeier zu veranstalten. Dazu haben wir schon allerlei Nahrung gespeichert. Eigentlich stünden uns bei der Schnapszuteilung nur 2 Flaschen zu. Aber die Kantine macht einen groben Rechenfehler und so erhielten wir 6 Flaschen. Wenn das nur nicht rauskommt! Da können wir uns bei der Feier tüchtig besaufen. Außerdem haben sich Stubenkameraden Wein, Eier, Zucker usw. von der Heimat schicken lassen. Einer mixt heute abend gerade neuen Eierlikör zurecht und alles stand herum und giert, als der U.v.D. in die Stube tritt, einen Zettel auf den Tisch wirft und dann wieder verschwindet. Auf dem Zettel stand, daß die Truppe in einer Viertelstunde zu einer Nachtübung abrücken soll. Um 21.12 Uhr geht’s los. Draußen ist gerade das richtige Wetter: nicht zu warm und nicht zu kalt und nicht zu dunkel. Die Übung ist ganz interessant und verläuft planmäßig. Um 24.00 liegt alles wieder im Bett, um nur für 5 Stunden zu pennen. Freitag, den 10. März 1944

Um 6 Uhr morgens ist schon Abmarsch zum Schießen. Geschossen wird mit l. MG 34 auf Geländescheibe. 3 Feuerstöße mit zus. 23 Schuß. Ich schieße keine 12 Ringe und erfülle damit zum erstenmal nicht die Schießbedingung. Aber beim Gewehrschießen reiße ich mich wieder raus. Dort schieße ich 23 Ringe (Bed. ist 18 Rg.) auf die 250 m entfernte Geländescheibe „Holzstoß“ mit 3 Schuß. Die Nachtübung findet also nicht statt und wir haben mal wieder eine außergewöhnlich ruhige Nacht. Oberleutnant Pabst Geburtstag. Sonnabend, den 11. März 1944

Nach dem Revierreinigen ist Ausgang. Ich hole mir für den Film „Die grüne Spinne“ für morgen abend eine Karte und gehe dann ins „Rialto“, wo der Film „Die heimliche Gräfin“ gespielt wurde. Ich war schon bis über den Marktplatz hinaus gegangen, als mir plötzlich einfiel, daß ich mein Soldbuch vergessen habe. Sofort drehe ich um und bin nach einer ¾ Stunde wieder an derselben Stelle. Was hätte mir zustoßen können, wenn ich plötzlich kontrolliert würde? Sonntag, den 12. März 1944

Morgens nach dem Wecken bleibt alles noch eine Stunde im Bette liegen, denn wir haben erfahren, daß heute vormittag dienstfrei ist. Nur eine halbe Stunde wurden wir auf Lesezimmer befohlen, wo im Rundfunk eine Feier zum Heldengedenktag übertragen wird. Zu einer Heldengedenkfeier auf dem Lübecker Friedhof stellt unsere Kompanie eine Ehrenformation. Fast alle Unteroffiziere und Feldwebel sind dabei. Auch der Divisionsmusikzug spielte. Dem Zuge voran zog der Lehrgangsleiter Oberleutnant Kort hoch zu Rosse. Als die Formation das Kasernentor verließ, hing ein gewaltiger Kinderschwarm rechts und links der Kapelle. Wie lange und ob überhaupt sehen die kleinen Kinder so was. – Nachmittags gehe ich aus. Zufällig bietet

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mir ein Grenadier Gelegenheit, eine Karte für den Film „Der unendliche Weg“ zu kaufen. Danach gehe ich ins alte Kino, wo ich mir schon gestern eine Karte für den Film „Die goldene Spinnerin“, ein toller Kriminalfilm mit viel Tendenz. Montag, den 13. März 1944

Weil Montag ist, gibt’s natürlich viel Schliff. Unser Zugführer war so in Wut, weil er keinen Wochenendurlaub gekriegt hat. So läßt er seine Wut an uns aus. Er glaubt etwa seine Macht zeigen zu können, wenn er allein ist, d. h. ohne Oberleutnant. Mittags müssen wieder 15 Mann unseres Lehrgangs am Offiziersmittagstisch teilnehmen. Nachmittags ist ein ruhiger Job. Unser Zug ist als Arbeitsdienst tätig. 4 Stunden lang müssen wir Lorengleise legen, schaufeln, schleppen und schwitzen. Doch sind wir hierbei fast ohne Aufsicht und tun dies lieber als die Formalausbildung. Abends haben wir in der Kompanie zum erstenmale die „Parole“, die in anderen Einheiten auch bei uns damals im R.A.D. jeden Abend stattfand. Nun wollen wir auch jede Woche so was machen. Dienstag, den 14. März 1944

Einige von uns müssen heute wieder zum Impfen. Ich bin diesmal nicht dabei, weil ich wahrscheinlich diese Spritze schon beim R.A.D. erhalten habe. Beim Geländedienst bauen wir jetzt an einem großen Stellungssystem. Mit Schaufeln und Spaten ziehen wir täglich wie eine R.A.D.Abteilung in die Palinger Heide. Vielleicht werden wir die ganze Woche daran arbeiten. Morgen findet eine große vom Regiment durchgeführte Waffenrevision statt, dafür ist heute den ganzen Nachmittag Waffenreinigen. Bei der Revision gibt es Möglichkeiten, in den Bau zu kommen. Mittwoch, den 15. März 1944

Morgens ist schon um 4 Uhr Wecken. Dann werden die Waffen noch einmal kurz übergereinigt und um ½ 5 werden sie lehrgangsweise abgegeben, um ½ 7 marschiert das ganze Bataillon zum Delta-Kino, wo ich nun zum 2. Mal den Film „Die goldene Spinne“ anschaue. Nachmittags muß der Sängerbund zur Meesenkaserne, wo wir einem Hauptmann vorgestellt werden, der eine Bühnenveranstaltung am Tag der Wehrmacht, der am kommenden Sonntag ist, bietet. Dadurch werden wir Sänger und die vielen anderen Künstler von unseren Dienststunden befreit. Dafür haben wir auch so manche Abendstunde singenderweise gehabt. Abends werden die Waffen wieder empfangen. Es soll keiner von unserem Zug aufgefallen sein. Nachts um ½ 2 – ½ 3 ist eine kurze Nachtübung. Donnerstag, den 16. März 1944

Morgens brauchen die Sänger nicht mit ins Gelände. Wir müssen um 8 Uhr in der Exerzierhalle sein, wo schon der ??? und die vielen anderen Sänger am Üben sind. Wir Sänger tragen zunächst einen Kanon vor. Dann singen wir mehrstimmig die Lieder „Es, es, es und es“, „Es klappert der

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Huf am Stege“, und „Nun laßt die Fahnen fliegen“ mit Instrumentalbegleitung. Außerdem sollen die Sänger nur von unserer Gruppe, das sind allein 9 Mann, ein Ballett aufführen. Leiten tut das ein Gefreiter der 13. Kompanie, der Zauberkünstler, Hypnotiseur und Ballettmeister zugleich ist. Wir bauen eine einfache Nummer, ein Marschballett. Freitag, den 17. März 1944

Vormittags ist wieder Scharfschießen auf dem Wesloer Schießstand. Mit Gewehr wird 250 m „Holzstoß“ mit 3 Schuß gefeuert. Ich bestehe die Bedingung (18 Rg.) mit 24 Rg. Die MG-Übung bestehe ich abermals nicht. Als MG-Schütze bin ich also nicht tauglich, nach meiner Meinung. Gewehrübungen habe ich bisher alle bestanden. Der ganze Nachmittag geht mit den Proben für die Varietévorstellung hin. Inzwischen sind wir mit vielen anderen Künstlern und Nichtkünstlern zusammengekommen. Unser Ballett klappt schon ganz gut. Außer an dem Ballet nehme ich auch noch an dem Chorsingen teil. – Gestern abend ging alles von unserer Stube rüber in die Kantine und machte die heute für März empfangene Schnapskarte leer. Drauf gab es für jeden 5 Schnaps. Ich, als vorsichtiger Mensch, trank nur 2. Einer trank 15 und so dauerte es abends lange bis alles im Bett und noch länger bis alles ruhig war. U. a. wurde eine Lampe zerschlagen und eine Unterhose kurz und klein gerissen. Sonnabend, den 18. März 1944

Den ganzen Tag verbringen wir Künstler in der Exerzierhalle. Mittags empfingen wir unsere Kostüme, ein kurzes Schottenröckchen, einen Büstenhalter, den wir mit Papier oder Zeug ausstopfen müssen, ein Paar Stiefel und eine Perücke. Man kann uns kaum erkennen. Nur bei der Generalprobe am Nachmittag, wo schon genug Zuschauer sind, gibt’s Gelächter. Wie soll das erst morgen werden, wenn Tausende von Lübeckern teilnehmen. Wir haben vernommen, daß morgen noch ein „richtiges“ Ballett vom Stadttheater kommen soll. Das wird ja Spaß geben. So gemeinsam hinter der Bühne in den Umkleideräumen und so. Nach der Generalprobe wurden wir noch zum Revierreinigen angesetzt, denn das dauert heute bis in den Abend hinein. Alles wegen dem Tag der Wehrmacht. Sonntag, den 19. März 1944

Vormittags wurden unsere Stühle von den Stuben gesammelt und wir müssen sie rüber in die Exerzierhalle bringen. Da sitzen wir nun auf den Tischen und Betten und dösen in den Sonntagmorgen. Allmählich füllt sich das Kasernenrevier mit Menschenmassen. Große Vorführungen (Panzernahkampf, ???kampf, Wettspiele, Platzkonzert, Eintopfessen) finden satt. Um 16 Uhr beginnt die große Varietévorstellung. Mit Lanzenführer warten wir drauf, daß der Vorhang uns entblößt. Zunächst ist es ja ganz harmlos. Wir stehen im Chor und schmettern unsere Lieder. Hinter der Bühne ist’s sehr interessant. Vom Stadttheater sind einige Tänzerinnen gekommen und auch die anderen Künstler sind sehr interessant. Den Höhepunkt bildet für uns unser Bal-

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lett. Der ganze Saal lacht, als wir auf der Bühne angewatschelt kommen. Aber diese 2 Minuten gehen rasch vorüber. Gewaltigen Beifall ernten wir. Im Glauben, jetzt endlich Ruhe zu haben, läßt man uns die ganzen Stühle rüberschleppen. Montag, den 20. März 1944

Es geschieht ein Wunder: der ganze Montag verläuft ruhig, d.h. dienstplanmäßig. Wir hören, daß die gestrige Vorstellung allen gut gefallen hat, und daß alles am kommenden Samstag in der Stadthalle zu Lübeck wiederholt werden soll. Ich glaube aber nicht dran. Dienstag, 21. März 1944

Frühlingsanfang. Fabelhaftes Wetter. Morgens werden wieder einige (ich nicht) geimpft. Zum Geländedienst „gehen“ wir dann mal in eine ganz andere Gegend. Es geht wieder so fabelhaft ruhig. Kein einziges Mal brauchte ich mich hinlegen. – Nachmittags ist abermals Gasraumprobe. ½ Stunde verbringen wir im Mief. Es ist immer eine Erlösung, wenn wieder rausgelassen wird. Danach machen wir draußen Zeltbau; da tritt unser Feldwebel an mich heran und sagt, daß ich für das kommende Wochenende Urlaub einreichen darf. Ich bin zunächst völlig sprachlos. Natürlich bekomme ich nur 48 Stunden. Aber na ja…. Man macht sich schon die herrlichsten Gedanken. Am Sonnabend hat Paul und am Sonntag Ellen Geburtstag. Da wird zuhause bestimmt was los sein. Bis um 18 Uhr habe ich mit meinem Kameraden aus Hannover das Urlaubsgesuch geschrieben. Der Oberleutnant hat’s dann genehmigt und nun scheint alles in bester Butter. – Abends öffnen wir auf der Stube eine Schnapspulle und laden unseren Feldwebel ein. Mittwoch, den 22. März 1944

Der Frühling scheint plötzlich wieder vorbei zu sein. Ein Schneegestöber folgt dem anderen. Alles ist wieder weiß. Aus dem Gelände kommen wir mal wieder klitschnaß heim. Gerade angekommen jagt ein Fliegeralarm den anderen. Spät gibt’s Mittag. Aber nachmittags ist viel Ruhe. Wir hören im ganzen Bataillon einen politischen Vortrag von Oberleutnant Wettenborn. Darauf gehe ich zum Friseur und lasse Haare schneiden und waschen, weil das für den Urlaub nötig scheint. Aber im Laufe des heutigen Tages habe ich gehört, daß mein Urlaub vom Spieß gestrichen sei, weil ich mit auf dem Luftschutzbereitschaftskommando stehe. Es wäre ja möglich, einen Vertreter zu suchen, aber dafür ist der Spieß nun mal nicht zu haben. Er hat also gestrichen. Es sind sogar schon andere für uns bestimmt, die nun unsere glückliche Stelle innehaben. Alle Pläne sind also über den Haufen geworfen. Ich kann es immer noch nicht recht fassen – ich glaube immer noch an einen glücklichen Ausgang. – Abends kriegen wir Marschbefehl und Anweisungen für den morgen stattfindenden 30 km-Marsch.

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Donnerstag, den 23. März 1944

Um 7 Uhr ist Abmarsch zum 30 km-Marsch. Die Gruppen marschieren einzeln um die Wette. Höchstzeit ist 5 ½ Stunden. Wir haben ein wahnsinniges Tempo drauf. Nach 5 km glaubt man kaum, daß man durchhalten wird: der 30 Pfund schwere Affe drückt gewaltig in das Kreuz. Die Beine sind schon wie Blei, und der Organismus macht auch nicht mehr recht mit. Doch wenn man dann so 15 km hinter sich hat, fühlt man sich wie neugeboren, d.h. man hat sich eingelaufen. Aber wieder 10 km weiter, so im Endspurt, wird der Marsch einem zur Last. Wie wild wird abwechselnd auf Karte und Uhr gesehen und gerechnet. Eine kleine Einkehr bei 20 km, wo wir fälschlicherweise Bier saufen, macht jedoch nichts aus. Wir erreichen mit der Gruppe geschlossen nach 5 ¼ Stunden die Kaserne. Allerdings waren wir von unseren drei Gruppen die letzte. Nachmittags kriegt nur die erste Gruppe dienstfrei. Wir anderen müssen noch schweren Dienst schieben. Freitag, den 14. März 1944

Wegen Schießplatzüberfüllung gehen wir erst nachmittags zum Schießen. Mit MG wird auf Geländescheibe mit 2 Feuerstößen und zusammen 15 Schuß gefeuert. Ich erfülle die Bedingung (8 Treffer) mit 3 Tr. nicht. Mit Gewehr schießen wir erstmals die große Entfernung von 300 m. Bedingung ist mit 5 Schuß 25 Ringe. Ich erfülle mit 29. Samstag, den 15. März 1944

Ich kriege heute von meinem Bruder Walther einen Brief. Er nimmt an, daß ich mich eigentlich zur Kriegsmarine freiwillig meldete und nun gegen meinen Wunsch zur Infanterie eingezogen wurde. Er schreibt, daß ich ihm über diesen Fall genau schreiben soll, da er es für eine Meldung benötige. Näheres noch nicht bekannt! Vormittags, nur weil die Woche vorbei ist, erhalten wir vom Oberleutnant tüchtigen Schliff. Im Nahkampfgelände geht es hin und her, über Panzer, mit Gasmaske usw. Nachmittags beginnt der vorgesehene Gruppenabend. Unser Uffz. Sander war natürlich auch dabei. Zuerst aßen wir im Ratskeller ein reichliches Abendbrot. Dann geht’s im Eilschritt zum „Alten Dessauer“, wo wir ein Zimmer reserviert hatten. Wir hatten 6 Flaschen und 8 Torten mitgenommen. Es war also eine richtige Freßfeier. Auch ein Klavier ist in dem Zimmer, und ich mußte für Begleitung sorgen und die Pausen ausfüllen. Leider mußten wir um 21.15 Uhr schon wieder aufbrechen, weil wir zum Zapfenstreich wieder daheim sein müssen. Unterwegs geht’s lustig zu. Gottseidank sind einige, darunter natürlich ich, nüchtern geblieben, damit wir heil nach Hause kommen konnten. 5 Minuten nach Zapfenstreich trafen wir ein und erst um 11 Uhr lag alles im Bett. Wir waren gerade am Einschlafen, als unser Oberleutnant uns für eine Nachtübung weckt. Das fehlte gerade noch. Jedenfalls frischten diese beiden Stunden richtig auf, so daß danach bestimmt keiner mehr als blau anzusprechen war. Bloß war mir ungeheuer schlecht dabei.

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Morgens fällt das Aufstehen ungeheuer schwer. ½ Stunde Sport läßt sich schon aushalten. Dann war Freizeit. Von zu Hause kriege ich heute eine Postkarte, worauf fast alle Familienmitglieder verzeichnet waren. Sie hatten jetzt wieder eine große Zusammenkunft. Eugen und Annedore, Paul und Ursula waren auch da. Anlaß war die Geburt von Pauls Stammhalter. Er soll Michael heißen. – Als ob unser Feldwebel es gewußt hätte, als er mir sagte, daß ich für das Wochenende Heimaturlaub einreichen solle. Bloß der Wachplan brach mir das Genick. Hoffentlich kann ich dann nochmal für nächste Woche einreichen. Jetzt ist übrigens unsere letzte Woche hier in Lübeck. Dann geht’s für 3 Wochen nach Munster-Lager. Dort wird’s sicher heiß hergehen. Den ganzen Tag sitze ich auf der Bude und erledige meine Briefschulden. Auch an meinen Bruder Walter schreibe ich einen langen Brief. Er schrieb mir kürzlich, daß er für eine Meldung von mir Angaben haben muß, weshalb ich zur Infanterie eingezogen bin, obwohl ich mich freiwillig zur Kriegsmarine gemeldet habe. Ich kläre also ihn auf über meine Lage. Sonntag, den 26. März 1944

Morgens wurde ich mal wieder geimpft. Es gibt 1 ccm gegen Typhus. ½ Stunde später wird schon wieder schwerer Dienst geschoben. Dienstag, 28. März 1944

Mittwoch, 29. März 1944

Wieder ein 30 km-Gepäckmarsch. Wir bescheißen dabei natürlich gewaltig. 2 Orte laufen wir gar nicht an und sparen dadurch 6 km. Gottseidank hat das später keiner gemerkt. Sonst hätten wir am Nachmittag bestimmt noch einmal tippeln müssen. Diesmal macht mir der Marsch fast nichts mehr aus. Dienstplanmäßig war für den Nachmittag ein politischer Vortrag vorgesehen. Das wäre also auf dem Marsch unsere Rettung gewesen. Aber nun fiel das aus und wir machen 2 Stunden formale Ausbildung. Donnerstag, den 30. März 1944

Ich bin in dieser Woche Brandwache und muß schon immer bei Luftgefahr 15 aufziehen. Doch es hat sich bisher immer gelohnt. Immer kam Hauptalarm hinterher und meine Kameraden mußten mir nachts folgen und auch aufstehen. So auch heute abend. Ich lag gerade im Bett, als eine Nachtübung unseres Lehrgangs ausgepfiffen wurde. Um 24 Uhr waren wir wieder in der Kaserne und als wir wieder im Bett lagen, kam Luftgefahr und bald darauf Fliegeralarm. Heute vor 2 Jahren war die Nacht in der Lübeck jenen Großangriff erlitt. – Inzwischen haben wir erfahren, daß wir wahrscheinlich gar nicht, oder sonst nur höchstens eine Woche nach MunsterLager kommen. Hoffentlich stimmt das. Zu Ostern darf ich Urlaub einreichen, wie mir heute angeboten wurde.

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Freitag, der letzte März 1944

Vormittags wurde wie gestern ein Stoßtrupp geübt. Er ist viel interessanter als der sonst sture Dienst. Dabei werden sogar scharfe Sprengladungen angewandt. Da knallt’s natürlich furchtbar und man muß auf sein Trommelfell achtgeben. Nachmittags ist wieder Scharfschießen auf dem Wesloer Schießstand. Mit MG bestehe ich wiederum nicht die Übung von 8 Treffern. Ich habe nur 7. Mit Gewehr bestehe ich natürlich. Ich habe ja noch nie damit vorbeigeschossen. Ich bin wieder beinahe der Beste. Samstag, der „erste April“ 1944

Am Donnerstagabend beim Singen hörte unser Major uns an und sagte, daß wir morgen bei einer Offiziersfeier auftreten sollen. Wir leihen also eine gute Uniform, weil wir in unseren einzigen Plünnen da nicht erscheinen können. Also gestern abend wurde wir zum Moltkeplatz geführt und warten dort im Divisionskasino auf unseren Auftritt. Drinnen sahen wir hohe Offiziere. Der höchste war ein Konteradmiral. Sogar 2 ROB’s unserer Lehrgangskompanie nahmen an dem Fest teil. Wir singen ungefähr 15 Minuten. Dann bedankt sich der Regimentskommandeur und unser Major, und wir verlassen den Festsaal. Sonntag, den 2. April 1944

Morgens machen wir einen fabelhaften Sportdienst. Wir machen einen Langstreckenlauf bis in die Wesloer Tann. Es ist herrlicher Sonnenschein und wir machen dort mitten im Wald unsere Spiele. Nachmittags gehe ich nicht aus sondern schreibe viel Post. Mittwoch, den 5. April 1944

Morgens um 6 Uhr Abmarsch zu einem 35 km-Marsch. Unerlaubterweise fahren wir die ersten 5 km mit dem Autobus. Dafür verlaufen wir uns nachher um 6 km und so ist es wieder ausgeglichen. Die ganze Nacht hatten wir 7-7 ½ km/h auf und es war bestimmt eine kleine Leistung. Nach unserer Rechnung waren es ca. 40 km, die wir in 5 ½ Stunden zurücklegten. Nachmittags ist Gottseidank ein politischer Vortrag, so daß wir etwas Ruhe haben. Aber abends!: Ein Appell folgt dem andern. Wir kommen nicht zur Ruhe. Nach Zapfenstreich werden alle Spinde ausgeräumt und Betten auf den Kopf gestellt. Alles macht der Oberleutnant selbst. Um 23 Uhr liegen wir im Bett und dann folgt noch ein Alarm für eine Nachtübung. Wir bleiben aber nur in unserem Nahkampfgelände hinter der Kaserne. Aber auch das genügt. Den ganzen Tag hat’s geregnet. Und man muß den Lehm dieses Geländes kennen. Nur dann kann man sich vorstellen, wie wir nach der Übung aussahen. Morgens ist nur 1 ½ Stunden Waffenreinigen. Sonst den ganzen Tag nichts. Nachmittags gehe ich aus und zwar nur ins Kino. Im „Eden-Theater“ sehe ich den Film „Verdacht auf Ursula“. Um 7 Uhr bin ich wieder in der Kaserne. Freitag, den 7. April 1944

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Ostern 1944

Am Dienstag hatte ich wiederum für 2 Tage Urlaub eingereicht. Er war schon vom Oberleutnant genehmigt und ich habe mich so gefreut. Da kommt die Nachricht, daß für alle zum Hofe rausliegenden Stuben über Ostern Luftschutzkommandos angesetzt seien und so keinen Urlaub und auch keinen Ausgang bekommen. Nämlich man sah auf dem Hof kleine Kinder mit Platzpatronen spielen, die wahrscheinlich aus dem Fenster geworfen wurden. Es meldete sich der Täter nicht und so wurde diese Strafe für alle in Frage kommenden verhängt. Ich hatte mich schon so auf die Festtage zu Hause gefreut und mich ganz drauf eingerichtet. – Von hier gibt’s nun vorläufig auch keinen Urlaub mehr. Denn am 17. (Montag) sollen wir für eine Woche nach MunsterLager fahren, und wenn wir dann zurückkommen, ist unser Lehrgang schon bei der Schlußbesichtigung. Hoffentlich gibt es zwischen diesem Lehrgang und der Unteroffiziersschule mal einige Tage Urlaub. Man redet, daß wir schon am 5. Mai zur U.-Schule müßten, daß wäre also gerade an meinem Geburtstag. Hoffentlich wird es noch einige Tage später. Zu welcher U.-Schule wir kommen, weiß von uns auch noch keiner amtlich. Gerüchte glauben an TetschenBodenbach im Sudetenland, und andere an Düren im Rheinland. – Ich möchte nun die Zukunft in Frieden lassen und auf die rauhe Wirklichkeit sehen. – Jetzt, Ostern sitzen alle auf der Stube und wissen nicht recht was anzufangen. Allerdings haben wir fabelhaftes Wetter und man liegt lange draußen in der Sonne an dem Feuerlöschteich. Fliegeralarm ist andauernd. Ich bin Brandwache, sitze auf dem Dachfirst und kann sogar Luftkämpfe in riesiger Höhe mit beobachten. Trotz der Brandwache gehe ich am Montagnachmittag in die Stadt und sehe mir im Zentralkino den Film „Du gehörst zu mir“ an. Dienstag, den 11. April 1944

Unser Oberleutnant befindet sich noch auf Osterurlaub, und so verbringen wir mit dem Feldwebel einen gemütlichen Vormittag. Bis mittags bin ich OB vom Zugdienst und habe den Zug raustreten zu lassen und abmarschieren zu lassen. Auf dem Marsch marschiert man vorn vor dem Zug, muß Offiziere melden. Beim Achtungsschritt muß man sich da vorn besondere Mühe geben, denn alle Straßenpassanten schauen dabei natürlich zu dem da vorn. – Den ganzen Tag jagt ein Fliegeralarm den anderen. Manchmal zieht man als Brandwache auf und manchmal wiederum nicht. Je nachdem, wie am besten profitiert. Abends erfahre ich von meinem Unteroffizier, daß ich wiederum für kommenden Sonntag Urlaub einreichen kann. Diesmal glaube ich nun bestimmt dran. Es muß nun mal was werden damit. Donnerstag, den 13. April 1944

Vormittags ist ein 35 km-Gewaltmarsch. Diesmal geht es in die andere Richtung, also zum Westen Lübecks hinaus. Wir müssen also hin und zurück ganz durch die Stadt marschieren. Wir haben ein wahnsinniges Tempo drauf, wir legen die ganze Strecke in 5 Stunden zurück. Aber wir waren danach nicht die beste Gruppe, sondern die schlechteste. Was müssen die erst ge-

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rannt haben, wenn sie nicht allzu viel beschissen haben. Wir sind nur 2 km mit der Straßenbahn gefahren; war also nur ein ganz kleiner Beschiß. Eine gewaltige Blase entdecke ich abends an meinem Fuß, die dann durch alle Stubenkameraden geöffnet, ausgedrückt und vorläufig ??? war. Die ganze Stube war also ein Operationssaal mit viel Ärzten und viel Geschrei. Freitag, den 14. April 1944

Vormittags ist auf dem Wesloer Schießstand wieder MG- und Gewehrschießen. Nachmittags machen wir Werfen mit scharfen Handgranaten. Jeder wirft eine Stiel- und eine Freihandgranate. Außerdem schießt jeder auf eine Gewehrgranate auf dem Schießbecher. Es ist also eine Vorübung für Munster-Lager, wo es nun nächste Woche hingeht und nur scharf geschossen wird. Abends packe ich meine wenigen Klamotten für den morgen beginnenden Heimaturlaub. Sonnabend, den 15. April 1944

Schon in aller Frühe rase ich durchs ganze Haus, um nach meinem Urlaubsschein zu fragen. Schließlich, ½ Stunde vor Zugabfahrt habe ich ihn in Händen. Abgemeldet bei den entscheidenden Vorgesetzten hatte ich mich schon. Ich rannte also aus dem Tor und konnte noch eben auf den fahrenden Omnibus aufspringen, der mich bis zum Bahnhof brachte. Um 8.15 Uhr rollte ich in Richtung Lüneburg. Um 11 Uhr war ich zuhause. Zu Hause konnte ich viele von meinen Geschwistern begrüßen. Mein neuer Neffe Michael ist gerade 3 Wochen alt. Alfred Clavin ist immer noch zuhause. Er wartet nun genau so wie damals ich, schon lange auf seine Einberufung. Werner Schulz (Fricke) traf ich zufällig in der Stadt (er hat Trauer-Sonderurlaub). Sonntag, den 16. April 1944

Vormittags paddle ich auf der Ilmenau mit G. Homeyer, Kurt Seisselberg und A. Clavin. Es ist herrliches Wetter. Nachmittags gehe ich in unseren großen schönen Garten. Und wieder ist ein Urlaub zu Ende. Viel zu schnell. Morgens 5.09 Uhr von Lüneburg Abfahrt, um ¾ 8 in Lübeck, um ½ 9 in der Kaserne. Dort ist schon helle Aufregung. Heute mittag soll’s schon losgehen nach Munster-Lager. Ich packe alles blitzschnell zusammen und bin zum Mittagessen um 10 Uhr doch fertig. Es fährt über die Hälfte der Kompanie mit, das sind die 3 OB-Lehrgänge und 2 ROB-Lehrgänge, insgesamt 170 Mann. Auf dem Marsch durch die Stadt zum Bahnhof sehen uns die Lübecker alle traurig an und muscheln einander zu: „ Die armen Jungs!“, denn jeder meinte, wir rücken zur Front aus. Wir waren auch ganz schön bepackt und wir waren froh, als wir auf dem Bahnsteig waren und unser Gepäck in den Abteilen lagern konnten. Wir hatten 3 Personenwagen an den Personenzug nach Lüneburg angehängt. Um 13.15 ging’s los und um ½ 4 waren wir in Lüneburg. Dort wurden unsere Wagen abgehängt und sollten an den nächsten Zug nach Uelzen angehängt werden. Wir durfMontag, den 17. April 1944

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ten den Bahnsteig nicht verlassen und wir blieben 4 Stunden in Lüneburg. Ich machte einen Versuch hintenherum zur Telefonzelle zu gelangen, um meinen Vater anzurufen. Es klappte aber nicht und ich wurde zurückgeholt und wurde nun vom Oberleutnant besonders bewacht, denn er wußte ja, daß ich Lüneburger bin. So stand ich stundenlang an der Sperre und suchte ein bekanntes Gesicht. Zufällig traf ich den Klassenkameraden Werner Schulz, der von seinem Sonderurlaub wieder in die Garnison fahren mußte. Sonst war niemand zu treffen. Gegen abend ging’s hinter einem Güterzug bis nach Uelzen. Dort sagte man uns, daß wir über Nacht dort auf einem Leergleis liegen blieben und morgen früh weiter nach Munster-Lager führen. Wir aßen auf der Bahnhofswache eine Wehrmachtssuppe und um 10 Uhr war „Zugfenstreich“, d.h. keiner durfte den Zug mehr verlassen. Wache schieben mußten alle, die während der Fahrt aufgefallen waren, und dabei war natürlich auch ich, denn ich wollte in Lüneburg ja raus. Ich hatte aber Glück und konnte von 9-11 Uhr stehen, dann legte ich mich auf den Fußboden und schlief bis zum Morgen. Dienstag, den 18. April 1944

Morgens ist Wecken um 6 Uhr und da stellen wir fest, daß wir schon auf dem Munster Bahnhof sind. Wir müssen also in der Nacht weitergefahren sein. Vom Bahnhof geht’s dann ins MunsterLager, eine gewaltige Anlage. Uns wird eine Baracke zugewiesen, und in einer Stube liegen wir mit 32 Mann einschließlich den 3 Unteroffizieren. Viele Ratten sieht man hier huschen. Alles ist recht primitiv, vor allem die Waschgelegenheit. Nachmittags zieht unsere Gruppe auf Brandwache und wir sehen gewaltige Massen von Feindbombern in riesiger Höhe über uns wegziehen. Mittwoch, den 19. April 1944

Morgens sind zwei Stunden Unterricht, natürlich mit primitiven Mitteln. Sehr früh (10 Uhr) wird mittag gegessen und gleich danach geht’s raus zum Scharfschießen auf eine Schießbahn für Infanterie-Feuerkampf. Die Entfernungen zu den Bahnen sind sehr weit. Donnerstag, den 20. April 1944

Heute wird Nahkampf scharf geschossen. Immer ist ein Sanitäter bei uns, der bei Unglücksfällen gleich eingreifen soll. Auf der Stube ist sehr viel Krach, Unteroffiziere schreien dazwischen, 3 Mann liegen in einem Spind und viele andere Unannehmlichkeiten. Das Essen ist ziemlich kurz …… Freitag, den 21. April 1944

Vormittags werden wir zum Schanzen eingesetzt. Wir müssen einen riesigen Panzergraben ausheben. Mittagessen gibt’s nicht. Wir bleiben draußen und gehen anschließend gleich zur Schießbahn. Wir schießen heute in der ganzen Gruppe zusammen, sogenanntes Gefechtsschießen.

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Sonnabend, den 22. April 44

Morgens wird im Ortskampf scharf geschossen. Das ist schon etwas gefährlicher, weil auch oft noch die Seite geschossen wird. Heut ist extra aus Lübeck ein Rechnungsführer gekommen, um unsere Löhnung auszuzahlen. Jedesmal wenn jemand von dort kam (Nachzügler, Major, usw.), brachte er die Post für uns mit. Abends gehe ich in die Stadt und kaufe mir zusätzlich Brot. An Dienst sind nur 1 ½ Stunde Offiziersunterricht. Abends gehe ich ins Kino, sehe den spanischen Film „Sehnsucht ohne Ende“ und gehe dann Abendessen. Sonntag, den 23. April 44

Montag, den 24. April 1944

Meistens ist hier schon um 4 Uhr Wecken. Heut geht’s in die wahnsinnig weit entfernte Waldkampfbahn und zur Übung mit Platzmunition. Dienstag, den 25. April 1944

Waldkampf. Wir machen einen viel kürzeren Weg, quer über den Schießplatz für Nebelwerfer, weil da gerade Schießpause ist. Zu Besuch kommt dafür der Kommandeur aller OB’s, ein Oberst. Damit ist das Scharfschießen in Munster-Lager beendet, ein gewaltiger Regen bringt uns dann wieder in die Baracken. Nachmittags Affen packen. Mittwoch, den 26. April 1944

Bettzeug wird abgegeben, Stuben gesäubert, Marschportionen empfangen, und um 11 Uhr Abrücken zum Bahnhof. Diesmal geht’s in Viehwagen, 40 Mann in einen. Um 2 ¼ Uhr fahren wir ab. Sind nachmittags in Uelzen, wo inzwischen ein Bombenangriff stattfand. In Uelzen blieben wir bis 11 Uhr und fahren dann weiter nach Lüneburg. Ich schlafe die ganze Strecke und wache erst um 6 Uhr in Büchen wieder auf. Von Lüneburg habe ich also diesmal garnichts bemerkt, ich habe am Fußboden prima geschlafen. Um ½ 9 Uhr sind wir in Lübeck und werden auf dem Güterbahnhof ausgeladen. Dann marschiert die Kompanie wieder durch die Stadt in die Walderseekaserne. Oh, wie sehnten wir uns in Munster-Lager nach dieser Kaserne. Und als wir in unsere Stuben kamen, war diese sogar frisch gestrichen. Und dann die Sauberkeit. Man konnte sich selbst auch mal wieder richtig waschen. Nachmittags müssen wir Spinde einräumen, Sachen instand setzen und Waffen reinigen. Donnerstag, den 27. April 1944

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Freitag, den 28. April 1944

Es steht fest, daß am Dienstag, der 2. Mai, unsere Besichtigung stattfindet. Unser Zug führt dabei Schießen auf dem Schießstand vor. Dafür wird heut vormittag geübt, ganz exakt und genau. Nachmittags ist MG-Schießen, auch Übung für die Besichtigung. Sonnabend, den 29. April 1944

Frühmorgens ist Abmarsch zu dem Platz in der Palinger Heide, wo am Dienstag der General uns begrüßen soll und die anderen beiden OB-Lehrgänge ihm Geländeübungen machen. Der Major selbst leitet dies und wir müssen den Vormittag da zusehen, denn wir machen ja nur auf dem Schießstand unsere Besichtigung. Nachmittags gehe ich in die Stadt zum Friseur. Sonntag, den letzten April 1944

Für diese beiden Feiertage haben wir überhaupt kein Ausgang. Wir sollen den ganzen Tag schrubben und putzen. Sogar formale Ausbildung machen wir, denn auch das müssen wir bei der Besichtigung aufweisen können. Montag, den 1. Mai 1944

Wieder ein Feiertag. An Dienst ist eine Stunde Unterricht, Vorübung für den morgen stattfindenden Besichtigungsunterricht. – Inzwischen haben wir erfahren, daß wir am 6. Mai zur Heeresunteroffiziersschule nach Saarlautern fahren werden, daß Urlaub Scheiße ist und daß wir Mittwoch eingekleidet werden. Dienstag, den 2. Mai 1944

Besichtigung. 6 Uhr Abmarsch zur Palinger Heide. Dort Begrüßung des Generals und Abmarsch nur unseres Lehrgangs zum Schießstand. Dort fangen wir an zu schießen. Der Besichtigende kommt reichlich spät, also mich hat man nicht mehr gesehen. Nachmittags ist zunächst für unseren Lehrgang Besichtigung in formaler Ausbildung und darauf Besichtigung im Unteroffiziersunterricht. Dann hält unser Major und Komp.-Chef eine Abschluß-Ansprache an unseren Lehrgang und damit sind wir fertig. Ich komme mir vor wie damals, als ich vor einem Jahr aus der Schule entlassen bin. Alle Lern- und Lehrbücher legt man in die Ecke und harrt geduldig der kommenden schweren Zeit. Mittwoch, den 3. Mai 1944

Der ganze Tag ist dienstfrei. Morgens werden wir nicht geweckt. So gegen 9 Uhr stehen wir langsam auf, das waren also 4 Stunden nach dem eigentlichen Wecken. Vormittags findet ein kurzer Appell für die OB-Lehrgänge statt. Da wird uns bekannt gegeben, daß die Unteroffiziere bereits morgen nach Saarlautern fahren und wir am 9. Mai folgen werden. Die Zwischentage werden wohl noch recht faul verbracht werden. Nur eingekleidet werden wir auch noch und die Ge-

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wehre und sonstige Ausrüstung sollen noch abgegeben werden. Die nun Bereitschaftskommando (ich auch!) haben, dürfen nur nachmittags ausgehen, die anderen kriegen Nachturlaub bis 24 Uhr. Ich gehe nachmittags zum Delta-Palast und sehe den Film „Nora“. Um 18 Uhr muß ich schon wieder in der Kaserne sein, wurde dort aber gleich vom U.v.D. erwischt und muß zur Meesenkaserne rüber, um für die heute abend stattfindende Offiziersfeier Schnaps zu holen. Ein Grenadier muß auch noch mit, dann schleppen wir die 20 Flaschen zum Omnibus und fahren ins Lokal, wo sich die vielen Offiziere unserer Kompanie treffen wollen. Ich bleibe gleich in der Stadt und esse noch im Ratskeller Abendbrot, eine „Hausplatte“. Donnerstag, den 4. Mai 1944

Jetzt hat uns der Spieß wieder den ganzen Tag beschäftigt. Um 5 Uhr müssen wir schon wieder mit der Kompanie aufstehen. Wahrscheinlich lassen wir unsere Waffen hier und müssen dafür 2 Stunden am frühen Morgen Waffenreinigen machen. Danach werden wir bis zum späten Nachmittag als „Arbeitsdienst“ verwendet. Wir müssen Lorengeleise für eine lange Strecke legen. Man drückt sich dabei, wo man kann. Ein Fliegeralarm rettete mich für einige Stunden: Ich mußte mit der Fliegerwache aufziehen. Abends gehe ich aus. Ich habe Nachturlaub bis 24 Uhr. Zufällig erhielt ich von einem Landser von dem Stadttheater eine Karte für die Oper „Die Geschichte vom schönen Annerl“. Ich hatte den schlechtesten Platz, aber doch war froh, für einige Stunden mal ganz etwas anderes denken zu müssen. Danach durchstreife ich mal die wichtigsten Lokale und lande zum Schluß in der Clemens-Straße, ein Begriff für sich. Ich komme dort aus dem Wundern nicht heraus. Die Verführung war zu nah. Da ich allein und so natürlich zu schüchtern war, konnte ich ohne Vollzug in die Kaserne zurückkehren. Gott sei Dank. Freitag, den 5. Mai 1944, mein 19. Geburtstag

Vormittags ist Waffenreinigen und Putzstunden. Mittags empfangen wir nagelneue Klamotten. Das wurde nun ja auch höchste Zeit. Ich betrachte das entsprechend als Geburtstagsgeschenk. Von zu Hause bekam ich ein großes Geburtstagspäckchen voller kleiner Kuchen. Im beiliegenden Brief von Vater stand, daß Elfriede einen kleinen Matthias geboren hat und daß Ellens Verlobung mit Heinz Backhaus endlich am 13. Mai steigen soll. Sonnabend, den 6. Mai 1944

Heute hat wieder einer von unserer Stube Geburtstag und morgen noch einer. Die „Feierei“ nimmt gar kein Ende. Vormittags wird zum letztenmal Waffenreinigen gemacht und mittags werden die Waffen abgegeben. Gott sei Dank! Denn mein Gewehr hatte sich bös verschlechtert. Mein Nachfolger wird seinen Kummer damit haben!! Nachmittags gehe ich aus. Über 7 RM geb ich aus. Ich war: bei Café Grewe, im Zentral-Theater (Film: „Kollege kommt gleich“), im Café „Kahn“ zum Abendessen und danach im Café Opera. In der letzten Zeit hatten wir ja öfters Nachturlaub bis 24 Uhr bekommen.

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Sonntag, den 7. Mai 1944

Es finden weitere Appelle statt und ich kann meine ganze Uniform noch mal tauschen, denn die vorige paßte kaum, das Einkleiden ging da zu schnell. Nachmittags wird wieder ausgegangen. Zum zweitenmal sehe ich den Film „Ehe man Ehemann wird“. Inzwischen war ich ja nur in Oberbayern gewesen und so war mir die Spielgegend am „Starnberger See“ einigermaßen bekannt. – Danach sah ich den Film „Der ewige Klang“. – Inzwischen kamen viel Geburtstagsgratulationen an, so von Gisela, von Elisabeth, von Vater, Mutter und Geschwister. Alle hoffen, daß ich vor meiner Abreise ins Saargebiet doch noch einmal auf Urlaub komme. Seit heute tragen alle OBs die zwei Litzen auf der Schulterklappe, die Hoffnungsbalken, die auch die ROB-s tragen. Montag, den 8. Mai 1944

Den ganzen Tag werden Tornister und Pakete gepackt. Nachmittags findet ein Vollständigkeitsappell durch den Major statt. Anwesend ist auch zeitweilig unser Regimentskommandeur, Oberstleutnant von Eberhardt. Er sagte, daß wir nach Saarlautern nicht versetzt würden, sondern nur kommandiert, gehören also weiterhin der 3. Kompanie seines Regimentes an. – Seit gestern abend sind die Angehörigen des Lehrgangs OB III, also unsere Vorgänger, von der Unteroffiziersschule Tetschen-Bodenbach zurückgekommen. 80 % von ihnen sind zu Unteroffizieren befördert worden, also haben auch wir gute Aussicht. Sie erzählen viel von dem Guten und besonders von dem Schlechten auf solch einer Schule. Abends geht die ganze Gruppe gemeinsam aus. Zunächst in den Ratskeller zum Stammessen und als Abschluß der Lübecker Tage noch eine Stunde in die Clemensstraße. Dienstag, den 9. Mai 1944

Alle Lehrgänge hatten in ihrer letzten Nacht einen großen Unsinn verzapft. OB III zum Beispiel hatte am Morgen den durch die Stadt zum Bahnhof führenden Weg mit allen möglichen Merkmalen gekennzeichnet. Am Wege steht ein Reiterdenkmal bei dem das Pferd mit Hilfe von weißer Farbe in ein Zebra verwandelt wurde. Bei einem nackten Merkurstandbild wurde der Arsch rot angestrichen und an vielen Häusern stand groß „R 10“ geschrieben, der Name des Lehrgangs. – So etwas hatten wir nun auch für die letzte Nacht vor. Farbe hatten wir schon gestohlen und der Plan war festgelegt, nach Mitternacht sollten 9 Mann über den Kasernenzaun springen und die Taten vollbringen. – Aber wir erwachten am Morgen wie immer und die Sache war verschlafen. Nun war’s zu spät und wir ließen’s ohne. Wir packen den Rest zusammen, geben Bettwäsche ab und stehen um 6.15 Uhr draußen auf dem Kasernenhof fertig zum Abrücken. Unser Gepäck außer Tornister und Feldgepäck sind auf zwei Gepäckwagen zum Bahnhof gefahren. Um 6.30 ist Abmarsch, nachdem wir von dem Major verabschiedet waren. Auf dem Marsch durch die Stadt genau wie damals nach Munster: Am Wege nur mitleidige Gesichter. Auf dem Bahnhof macht der Spieß alles persönlich. Als Transportleiter ist ein Oberwachtmeister eingeteilt, der unsere Lehrgänge schon während der letzten Woche beaufsichtigte, weil unsere Un-

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teroffiziere ja schon länger fort sind. Vom abfahrenden Zug aus singen wir dem Spieß alle einen Abschiedsgesang. Er war ganz gerührt, wir taten das ja auch aus gutem Herzen, denn gegen unseren Spieß hat keiner was einzuwenden. Vorläufig steht die Fahrt nur bis Lüneburg fest. Von da aus müssen wir dann weiterfahren. Um ½ 11 sind wir in Lüneburg und haben dort eine halbe Stunde Aufenthalt, während wir nachher in Uelzen 5 Stunden standen. Gott sei Dank haben wir diesmal Personenwagen bekommen. Marschverpflegung gab es für 3 Tage, also bleiben wir auch ungefähr so lange unterwegs. Wir werden ja nur an Personen- und Güterzüge angehängt, und so sind die 830 km bis Saarlautern und eine anständige Leistung. Nachmittags geht es von Uelzen weiter bis Hannover und abends von dort bis Kreiensen. Dort wird übernachtet, (10. Mai) früh morgens weitergefahren, in Göttingen Kaffee empfangen und weiter bis Kassel gefahren. Dort ist gerade Fliegeralarm, die Geschwader fliegen darüber hinweg. In Kassel sehe ich nun auch die großen Zerstörungen. Von Kassel geht’s mit einem Güterzug weiter bis Gießen. In Mitteldeutschland ist schon lange der Frühling eingezogen. Die Bäume haben schon volles Laub, die Obstbäume blühen sämtlich. In Lübeck fing es gerade erst mit dem Frühling an. Und warm ist das heute. Wir ziehen fast alles aus. In Gießen haben wir den ganzen Nachmittag Aufenthalt. Wir kriegen Essen und danach 2 Stunden Ausgang in die schöne Universitätsstadt. Abends geht die Fahrt weiter durchs Lahntal bis an den Rhein bei Koblenz und von dort im Moseltal bis Trier. Leider war es meistens Nacht und ich schlief. Donnerstag, den 11. Mai 1944

Von Trier, wo wir erst mittags eintreffen, und dort wieder von dem Roten Kreuz eine dünne Suppe und Kaffee kriegen, geht es dann auf die letzte Strecke bis Saarlautern. Eine fabelhafte Fahrt ist diese letzte Strecke: Immer im Saartal entlang, links und rechts hohe steile Felsen und große Weingärten. In regelmäßigen Abständen dann aus vergangener Zeit große Bunker und sonstige Befestigungen: der große Westwall von 1940. – Vom Bahnhof aus macht Saarlautern einen trostlosen Eindruck. Doch die Stadt liegt weit ab vom Bahnhof und wir lassen uns dann angenehm überraschen. Unsere Kaserne ist auch ein Neubau. Wir Lübecker OB’s werden der 4. (MG)-Kompanie zugeteilt. Unsere Kaserne heißt „Graf-Werder-Kaserne“. Am Nachmittag sind schon 2 Fliegeralarme. Beim zweiten ist toller Rabatz. 3 Flugzeuge werden hier abgeschossen, 10 Fallschirme pendelten über uns und auf Saarbrücken wurden einige Bomben geworfen. Hier soll es auch jede Nacht Alarm geben. Freitag, den 12. Mai 1944

Vormittags wird das ganze Kompanierevier gereinigt. Unsere Vorgänger waren dazu als Unteroffiziere nicht imstande! Das Mittagessen ist wahnsinnig knapp. Heut kommen noch andere OB’s in unsere Kompanie und zwar welche aus Oldenburg, Delmenhorst und auch aus Lüneburg. Damit ist unsere Kompanie nun voll besetzt. Abends gehe ich aus. In dem Städtchen gibt’s sehr viele hübsche Mädchen. Die haben hier schon französischen Einschlag und sind dementsprechend.

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Sonnabend, den 13. Mai 1944

Morgens werden wir neu eingeteilt. Statt Abteilungen gibt es jetzt Züge. Ich werde von den meisten Stubenkameraden getrennt und wache bei der zweiten Gruppe, bin aber in der ersten. Darauf wird noch allerlei empfangen: Waffen, Eßgeschirr, Sturmgepäck und zwei Mützen. Eine Feldmütze und ... (siehe Original-Zeichnung). Auch Revierreinigen und Duschen gibt’s hier Samstags. Abends gehe ich wieder aus. Auf dem Bahnhof suche ich Züge für meinen mtl. Urlaub aus. Sonntag, den 14. Mai 1944

Man kann bis 8 Uhr pennen. Vormittags ist Stubendurchgang vom Oberleutnant. Er hält eine lange Einleitungsansprache. Erstens sollen wir unsere Stuben ganz anders herrichten als bisher. Es ist nämlich keine Kasernenstube sondern ein Wohnzimmer. Wir sollen Bilder, Tischdecken und Vasen schicken lassen. Sonst versprach er, daß der Betrieb nun noch viel viel strenger wird. Na, ja! Nachmittags gehe ich aus, sehe im Kapitol zu Saarlautern I den herrlichen Schulfilm „Die Feuerzangenbowle“. Abends lerne ich im Stadtgarten zwei hiesige Mädchen kennen. Die eine davon, Madelaine sieht im Gesicht tadellos aus, nur die kommt in Frage. Ich muß unbedingt für dies halbe Jahr einen Ausgleich haben. In diesem Kaff ist sonst ja garnichts los betreffs Kultur. Montag, der 15. Mai 1944

Unser Kompaniechef ist von seiner Dienstreise immer noch nicht zurück und daher haben wir vorerst noch dienstfrei. Erst mittags stellt er sich uns vor, d.h. wir werden ihm vorgestellt. Abends wird die gesamte Schule, das sind über 600 aktive Offiziersbewerber dem Kompaniechef, Oberst Freiherr von sowieso vorgestellt. Nach seiner Rede müßten wie unsere Vorgänger von uns nur 2/3 Unteroffiziere werden. Dienstag, der 16. Mai 1944

Heute geht erst richtig der Dienst los. Wir marschieren mit der ganzen Kompanie, vorne weg der Chef hoch zu Roß, in unser Übungsgelände. Vorläufig wird noch nichts Neues durchgenommen, sondern nur wiederholt. In der nächsten Woche soll die Gruppenführerausbildung losgehen. Auch machen wir jetzt alles selbst: U. und G.v.D., Wachhabender, Posten, Gefangenenwache, Stadtstreife und weitere Dienste. – Wieder wurde das Gerücht erneuert, daß es zu Pfingsten Urlaub geben soll. Ich persönlich kann mir das garnicht vorstellen und glaube nicht daran. Mittwoch, der 17. Mai 1944

Mittwochvormittag ist immer Unterricht. Wir haben 2 Stunden „Deutsch“, wo die HDV (Heeresdienstvorschrift) durchgenommen wird, 1 Stunde Geographie (nur Deutschland), und 2 Stunden Geschichte (nur Kriege von 1806 an). Unterricht machen Gewerbefachlehrer im Range von

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Hauptmann und Major. Wir sind in Klassen eingeteilt und sitzen an richtigen Schulbänken. – Nachmittags ist Sportleistungsprüfung. Ich habe ein ganzes Jahr keinen vernünftigen Sport mehr betrieben und so sind die Leistungen dementsprechend! Donnerstag, der 18. Mai 1944

Heute marschieren wir nach der anderen Seite raus zum Geländedienst, fast ein Gebirge. Die Ausbildung kommt mir nun viel interessanter vor, wir lernen jetzt auch die schweren Infanteriewaffen, den Zweikampf und Panzerknacken kennen. Abends kriege zum erstenmale Post und zwar von dem, wo ich erst recht nicht mit gerechnet hatte. Es war Peter Schoheim, der Ordonanzkamerad auf dem Arbeitsgau XIX in Oldenburg, der mich am 1. August 1943 fotografierte und mir nun die Bilder schickte, sie sind ganz nett geworden und das beste davon schicke ich meiner Mutter zum Muttertag. Sonnabend, der 20. Mai 1944

Unsere 4. Kompanie hat von heute bis Montagmittag Bereitschaft und darf die Kaserne nicht verlassen. Wir machen also unseren Dienst im Kasernengelände. Nachmittags werde ich in die Stadt zum Friseur geschickt. Ich dachte, daß man uns hier die Haare mal endlich etwas länger wachsen läßt, aber Scheiße: gemeine Streichholzlänge wird verlangt. In Lübeck war es ja unser Zugführer, aber hier sind es sogar Komp.-Chef und Oberst, die diesen Unsinn fordern. Aber von mir aus. Auf Urlaub kommen wir während dieses halben Jahres ja doch nicht. Dienstag, der 23. Mai 1944

Unsere Gruppe wird schon um 4 Uhr geweckt, weil wir heute Aufbaukommando auf dem Schießstand sind. Dort werden die ganzen Übungen noch einmal geschossen, die wir schon in Lübeck erfüllt hatten. Bloß diese Gewehre schießen verdammt schlecht. Mittags kommt die Feldküche zum Schießstand und wir essen dort und können so den ganzen Tag bis abends dort bleiben. Beim Geländedienst müssen wir jetzt schon immer Gruppenführer spielen. Vieles wird dabei natürlich noch falsch gemacht, aber im Laufe des halben Jahres werden wir das bestimmt noch meistern. Mittwoch, der 24. Mai 1944

Den ganzen Vormittag ist wieder allgemeinbildender Unterricht. Erdkunde und Geschichte sind normal und ganz interessant. Aber der Deutschunterricht ist zu komisch. Es wird nur HDV durchgenommen. Man soll deutlich Aussprache und frei reden lernen. Aber das ist doch kein Deutschunterricht. Abends ist ein langer 25 km-Nachtmarsch. Anschließend noch Geländedienst, so daß wir um ½ 3 des anderen Tages im Bett lagen. – Der Marsch war fabelhaft. Nun konnte man erst mal diese Freitag, der 26. Mai 1944

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herrliche Gegend kennenlernen. Das Bergsteigen macht noch einige Schwierigkeiten, wird aber bald gelernt sein. Sonnabend, der 27. Mai 1944

Nach 3 Stunden Schlaf heißt es schon wieder aufstehen. Der ganze Vormittag ist nur Ausbildung in schweren Waffen. Man steht um den Granatwerfer oder schweren MG`s herum und könnte umfallen vor Müdigkeit. Gottseidank ist mittags ein langer Fliegeralarm und ich kann im Keller 2 Stunden schlafen. Aufgeweckt wurde ich durch eine Trillerpfeife und die Stimme unseres Oberleutnants: „1. Zug! In fünf Minuten fix und fertig! Feldmarschmäßig! Marschverpflegung und scharfe Munition wird sofort empfangen! Los! Umziehen! Marsch, Marsch!“ Da kam mir erst zum Bewußtsein, daß ich ja noch im Keller liege und daß schon so lange Fliegeralarm ist. Ich ahnte nichts Gutes. Alles glaubte an die schon lange von uns erwartete Invasion. In 10 Minuten standen wir draußen. Dort standen schon viele Lastkraftwagen und Omnibusse für uns bereit. Jetzt erst erfuhr ich, daß wir nur bis Saarbrücken fuhren und dort als Katastrophendienst um der soeben schwer getroffenen Stadt zu helfen. In einer ¾ Stunde waren wir dort. Der Angriff soll gar nicht so schwer gewesen sein. Jedenfalls konnte man kaum Schäden sehen. Wir wurden von einer Zeche in die andere geschickt. Überall hatte man unsere Hilfe nicht nötig, bis wir schließlich an den Stadtrand zu einer schwer getroffenen Bergmanns-Siedlung kamen. Dort seien noch viele Leute verschüttet. Wir stellten Absperrkommandos und Reihenketten. Auch beim Ausbuddeln von Leichen mußten wir helfen. Aus einem Haus holten wir 2 Frauen und 2 Kinder tot heraus. Abends um 22 Uhr fuhren wir in ein Wehrmachtskrankenlager zur Übernachtung, wo wir auch noch Verpflegung empfingen. Heute vor 4 Jahren starb mein Bruder Hans als Unteroffizier in Flandern den Heldentod. Um ½ 7 Uhr fahren wir zum Güterbahnhof Saarbrücken, wo sehr viele Schäden angerichtet sind, die rasch behoben werden müssen. Unser Zug ist für den riesigen Lokomotivschuppen eingesetzt, in dem Bombenvolltreffer große Verheerungen anrichteten. Wir müssen allen Schutt, Schienen, Glassplitter usw. herausschaffen. Das dauert den ganzen Tag und abends sind wir doch noch nicht fertig. Im Laufe Tages störten uns 4 Fliegeralarme, wo wir immer aufhören mußten, alles Gepäck mitnehmen und in den Keller einer großen Brauerei marschieren. Sehr schnell suchten wir diesen auf, denn in jedem Augenblick konnte ja ein neuer Bombenhagel einsetzen. – Die Verpflegung dort auf dem Bahnhof ist tadellos. Wir bekommen sogar Zusatzzigaretten. Um 18 ½ ist Arbeitsschluß und wir werden dann noch vom Standortältesten von Saarbrücken für unseren Einsatz bedankt, dann geht’s zurück mit den Lastwagen nach Saarlautern. Eingesetzt waren Tag und Nacht 2000 Soldaten und 600 Gefangene allein für den Güterbahnhof. Wir, unser Zug, waren die schwärzesten von allen, denn nirgends war gerade so’n Dreck wie gerade im Lokomotivschuppen. In unserem Dreck fahren wir dann wieder in unsere Reviere ein und können Pfingstsonntag 1944

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anschließend gleich heiß duschen, das Pfingstmittagessen nachholen und noch bis 24 Uhr ausgehen. Pfingstmontag 1944

Morgens können wir seit langem mal wieder ausschlafen. Der Morgen ist dienstfrei. Die, die gestern nicht in Saarbrücken waren, sind seit heut morgen bis abends dort. Nachmittags habe ich Ausgang. Bei Fliegeralarm müssen wir immer sofort in die Kaserne zurück. 2-mal habe ich das heut gemacht. Beim drittenmal blieb ich im Stadtpark, traf dort wieder Erika und Madelaine (siehe 14. Mai) und (Satz gestrichen)! Leider ist um 10 Uhr heute Zapfenstreich. Dienstag, der 30. Mai 1944

Eine wahnsinnige Hitze herrscht heute. Lange pusten wir unter der Gasmaske. Wir bleiben wieder den ganzen Tag draußen, essen aus der Feldküche und nachmittags ist Scharfschießen, Gewehr und MG, die 2. Übung. Ich bestehe beides! Wahnsinnige Hitze! In der Nähe des Schießstandes haben wir eine Kuhle entdeckt. Wenn die nicht wär', wären wir bestimmt verdurstet. Wie soll das erst im Hochsommer werden? (!!) An Post kriege ich eine Karte von meiner Schwester Elfriede und ihrem Mann Wilhelm, der jetzt zu Pfingsten in Predöhl auf Urlaub ist. Jetzt Pfingsten wird mein neuer Neffe Matthias getauft und da hat man mich als Taufpaten ausgewählt. Dabei sein konnte ich ja nicht. Nun habe ich meinen ersten Paten. Freitag, der 2. Juni 1944

Den ganzen Tag sind wir heute im Gelände. Von morgens 6 Uhr bis mittags. Dann nachmittags wieder frei. Abendgegessen wird aus der Feldküche. Von dort aus gibt’s eine Nachtübung. Dabei durchstreifen wir riesige Erdbeerfelder, die leider noch 1-2 Wochen auf uns warten. Wir führen ein Geländespiel durch. Feind ist der 2. Zug. Die Anlage ist ein herrlich gelegenes Gehöft in einem tiefen Tal. Darinnen wohnen 4 oder 5 junge Mädel. Unser Kriegslager beginnt leider schon um 21 Uhr und da müssen wir von dort aufbrechen, um einen Spähtrupp durchzuführen. Unsere Gruppe legt dazu alles belästigende Gepäck und Koppelzeug ab und nun wird geknobelt, wer als Posten dabei sein sollte. Eigentlich wollte jeder das gerne, mochte aber nicht als Feigling gelten, wenn er den Spähtrupp nicht mitmache. – Zufällig fiel das Los auf mich; ich packe das Gerät zusammen, verberge es mit Hilfe von dem Mädel Elfi, die schönste von den vieren. Unsere Gruppe blieb nun stundenlang aus und Elfi blieb den ganzen Abend bei mir, bis weit über Mitternacht. Sonntag, der 4. Juni 1944

Zu diesem Wochenende sind wie am letzten Sonntag wieder 3 Mann vom Zug auf Kurzurlaub gefahren. Ich rechne damit, im August dran zu sein. Nachmittags gehe ich aus. Sehe im „ScalaKino“ zu Saarlautern-Roden den Artistenfilm „Akrobat Schö-ö-n!“ Im vornehmsten Hotel esse

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ich Abendbrot. Ich erfahre, dass Madelaine krank sei, was ich sehr bedaure und so lebe ich den Tag solide zu Ende. – Beinahe hätte ich zu diesem Sonntag Wache schieben müssen. Unser Komp.-Chef schnappte mich dabei, als ich mit dem Gewehr und einer Platzpatrone spielte, sog. „Scheißbecher“. Weil ich ehrlich war und alles bekannte, sprach man mich frei. Montag, der 5. Juni 1944

Den ganzen Tag ist man wieder draußen. Gegessen wird aus der Feldküche. Geschossen wird heute für Gewehr und MG die 3. Übung. Diese Übung muß jeder mit „Scharfschützenklasse“ bestehen. Ich bin 2-bester vom Zug. In der letzten Woche machte ein Offizier vor unserer Kompanie eine Vorführung von ganz neuen geheimen Panzerabwehrwaffen. Darüber darf ich nichts schreiben. Dienstag, der 6. Juni 1944

Vormittags üben wir Stoßtrupps gegen Bunker. Der Westerwall gibt uns viele Objekte. Es ist genau 4 Jahre her, als der Feind diese Gegend sah. Ein Melder kommt um ½ 10 Uhr von der Schule, der meldet, daß die ganze Kompanie sofort in die Kaserne zurückkommen soll, weil erhöhte Alarmbereitschaft ist. Seit heute Nacht ist die schon lange erwartete Invasion im Gange. Die Anglo-Amerikaner landen in breiter Front an der nordfranzösischen Küste mit Fallschirmjägern und Schiffen. Unsere 2. Kompanie ist heute Vormittag schon ausgerückt, um Brücken und sonstige wichtige Punkte zu bewachen. Die Invasion fängt nämlich erst an. Im Laufe des Tages kommen weitere Truppen an Land und die Front wird immer breiter. Ich habe richtig Lust, jetzt an diese neue Front zu kommen. Es ist bestimmt viel besser als nach Rußland. Von hier bis an die Kanalküste sind es ja nur 300 km. Hoffentlich geht also die Invasion weiter, damit wir bald eingesetzt werden. Freitag/Sonnabend, der 9./10. Juni 1944

Die allfreitägliche Nachtübung beginnt um 20 Uhr. Nebenbei wird ein 20 km-Marsch gemacht mit allen möglichen Einlagen. Die Nacht ist stockfinster und es regnet vom Anfang bis zum Ende der Nachtübung. Man ist totmüde, und kann bei jeder passenden Gelegenheit einschlafen. Fast geht es schon im Marschieren. Wenn beim Marsch eine kurze Rast eingeschoben wurde, begeben sich die meisten abseits vom Wege und legten sich dort nieder. Ich gab mir nicht einmal die Mühe, sondern legte mich mitten auf der Straße auf ’s Pflaster nieder und war im Nu eingeschlafen – der Marsch war um 4 Uhr morgens beendet. Dann waren wir auf unserem Übungsplatz und machten noch bis ½ 8 Uhr eine Geländeübung. Von 9-12 Uhr ist dann Bettruhe. Montag, der 12. Juni 1944

Vormittags wird auf dem Schießstand geschossen. Ich erfülle die 4. Gewehr- und 4. MG.-Übung mit Scharfschützenklasse. Da dürfen die besten schon eher abrücken, sich umziehen und um

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19 Uhr saß ich im Theater, das im Saalbau hier zu Saarlautern eingerichtet ist. Es wird das Lustspiel von Björnstern Björnsen „Wenn der junge Wein blüht“ gespielt. Dienstag, den 13. Juni 1944

Kürzlich brach mir wieder ein Vorderzahn ab. Heut morgen meldete ich mich krank und gehe zum Zahnarzt. Natürlich komme ich nicht mehr dran, weil um 17 Uhr Sprechstundenschluß ist und ich bis 16 Uhr Dienst mitmachen mußte. Für die ganze Stube mußte ich Kuchen mitbringen, denn wir sind lange nicht aus der Kaserne herausgekommen. Freitag, den 16. Juni 1944

Seit heute ist unser Oberleutnant Pabst von seinem 14-tägigen Urlaub zurück. Das waren doch herrliche Tage ohne ihn. Kuddel (Uffz. Sander) ließ uns in Ruhe und wir faßten es richtig als Ferien auf. Von heute bis morgen bin ich G.v.D., schlafe auf dem U.v.D.-Zimmer und muß aber tagsüber jeglichen Dienst mitmachen. – Nachmittags beim Zahnarzt wurde ich wieder fortgeschickt. Für meinen künstlichen Zahn muß ich wahrscheinlich in die Zahnklinik nach Saarbrücken eingeliefert werden. Näheres soll ich vom Stabsarzt erfahren. Sonntag, den 18. Juni 1944

Die armen schlechten Schützen, Sonnabendnachmittag und Sonntagvormittag müssen sie zum Schießen oder Sonderdienst machen. Gottseidank zähle ich immer zu den besten. An diesem Sonntag hat die ganze Kompanie Bereitschaft und keiner darf die Kaserne verlassen, da kann man alle seine Sachen mal wieder in Ordnung bringen. In der Woche ist ja vom Wecken bis zum Zapfenstreich selten eine freie Minute. Montag, den 19. Juni 1944

Heut wird auf dem Schießstand die 5. Gewehr- und 5. MG.-Übung geschossen. Mit Gewehr bin ich der beste vom Zug. Mittag gegessen wir draußen aus der Feldküche. Dienstag, den 20. Juni 1944

Heute ist wieder Schießen, und zwar Kompanievergleichsschießen. Geschossen wird die 3. Übung, die ich als zweitbester im Zuge schieße. Unsere Kompanie soll die schlechteste sein. Auch wird heute zum erstenmale mit der Pistole geschossen. Fünf Schuß – bei mir – 5 Treffer, also wieder bei den besten. Nachmittags werden wir bannig gescheucht. Vom Schießstand bis in die Kaserne unter der Gasmaske und immer im Galopp. Das erinnerte so an die Lübecker Tage. Und eine Stunde nach Rückkehr war ein Bataillonsalarm. Wir empfangen scharfe Munition, Marschverpflegung, alle Fahrer sind bereit, Offiziere haben alles gepackt und glaubten bestimmt, daß es ernst sei. Die gegenwärtige Lage könnte es schon erfordern, daß wir eingesetzt werden.

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Sonntag, den 25. Juni 1944

Morgens marschiert das ganze Bataillon in den „Saalbau“ und sehen dort Lehrfilme, u.a. „Ein Wort von Mann zu Mann“ (Aufklärung über Geschlechtskrankheiten). Nachmittags habe ich seit langem mal wieder Ausgang. Ich fahre nach Dillingen mit der Straßenbahn und sehe mir dort den blöden Film „Liebesbriefe“ an. – Heute bekam ich nach über einem Monat Pause mal wieder Post von zu Hause. Man scheint dort sehr viel zu tun zu haben. Dienstag, den 26. Juni 1944

Beim gestrigen Schießen bin ich wieder einer der besten. – Heut’ bekam ich ein Festpaket von meiner Schwester Elfriede, darin ein Topfkuchen, Wurst, Speck und Eier sind. Sehr selten krieg ich mal ein Päckchen, andere fast wöchentlich. Mittwoch, den 27. Juni 1944

Seit Sonnabend bin ich als Gruppenführer eingeteilt. Da hat man wahnsinnige viel zu laufen, zu besorgen und sehr viel Verantwortung. Gestern abend ereignete sich bei der Ausbildung in der ersten Kompanie ein Unglücksfall, dem 2 OB’s zum Opfer fielen. Es laufen schon die tollsten Gerüchte darüber in ganz Saarlautern herum und wir sind alle aufgefordert, dagegen anzutreten und einzuschreiten – der genaue Vorfall: Die 2. Gruppe des 1. Zuges (1. Kp.) machte eine Übung am Saarufer, unter anderem mußte das andere Saarufer erreicht werden. Zum Übersetzen wurde die Fähre benutzt. Als sie drüben waren, wurde bemerkt, daß ein Gerät drüben liegen geblieben sei. Die beiden Verantwortlichen sollten es nun rüberholen. Sie wurden gefragt, ob sie schwimmen könnten, was sehr stark bejaht wurde. Nun gingen die beiden ins Wasser, schwammen 4-5 m (mit Stahlhelm, Gewehr und voller Ausrüstung) und verschwanden plötzlich unter der Wasseroberfläche. Die am Ufer stehenden sahen das, und ein Oberfeldwebel sprang kurz entschlossen nach, kann aber nichts finden. Es wurde weitergesucht, Schlauchboote wurden von der Waffenmeisterei herangetragen und und schließlich nach einer ganzen Stunde zog man sie beide als Leichen heraus. Diese wurden sofort ins gegenüberliegende Krankenhaus gebracht, 1 ganze Stunde Wiederbelebungsversuche gemacht, aber vergebens! Nach diesem Vorfall laufen nun die tollsten Gerüchte: „Die brutalen Ausbilder hätten den ganzen Zug (sogar ein Gerücht sagt: unter der Gasmaske) in den Fluß gehetzt.“ Die Stimmung in der ganzen Schule ist sehr verzagt. Abends ist eine Kompanienachtübung: von 20 bis 2 Uhr. Augenblicklich wird schon die ganze Woche hindurch Gefechtsvorposten geübt. Hauptsache ist dabei nur die Gruppenführerausbildung, also schon mehr geistig als körperlich. Sonnabend, den 1. Juli 1944

Nach dem Morgendienst tritt die ganze Kompanie noch einmal raus und dann werden die ersten Beförderungen bekannt gegeben. Von der ganzen Kompanie sind’s nur 9 Mann , die befördert wurden. – Nachmittags gehe ich aus, sehe im Capitol den Film „Romantische Brautfahrt“. Anschließend ein herrliches, aber teures Abendessen im „Rheinischen Hof“. - 95 -


Sonntag, den 2. Juli

Mittags hören wir die kurze Ansprache des Führers anläßlich des Todes von Generaloberst Dietl. Nach den allsonntäglichen Appellen gehe ich wieder aus, sehe im Skala zu Roden den Kriminalfilm „Herr Sanders lebt gefährlich“. Anschließend treffe ich wieder Erika und Madelaine. Montag, den 3. Juli 1944 ist schon um 3 Uhr Wecken. Vormittags wird die erste Schnellfeuerübung geschossen. Ich erfülle wieder für Scharfschützenklasse. Am MG. wird die 1. Fliegerabwehrübung geschossen. Dienstag, den 4. Juli 1944

„Ein Unglück kommt selten allein“. In derselben Woche wo ich Gruppenführer war, ist ein Maschinengewehr-Lauf verloren gegangen. Von dem Verlust wußte ich nichts, weil man mir beim Übergeben nicht gesagt hat, daß der Lauf im MG. mitgezählt wird, also war ich einzig Schuld und wäre glatt in den Bau gekommen, wenn nicht Uffz. Sander unter der Hand einen neuen besorgt hätte. – Und nun das zweite: Heut war ich MG.-Schütze 1. Als abends beim Waffenreinigen das MG. auseinander gebaut wird, stelle ich mit bleichem Gesicht fest, daß der Transporthebel im Deckel fehlt. Bei Verlust gibt’s ja immer Bau, das war mir bewußt, doch, rasch entschlossen nahm ich mir frei und eilte die 5 km zu Fuß zum Übungsplatz zurück, wo wir den ganzen Tag waren. Dieses war der qualvollste Weg, den ich je gemacht habe. Entweder finde ich dies kleine Dings durch Zufall wieder oder nicht. Es war erst 18 Uhr als ich dort ankam und hatte bis zum Dunkelwerden noch 4 Stunden Zeit zum Suchen. Es war ein Suchen auf Leben und Tod. Selbstmordgedanken und Fluchtversuche irrten in meinem Kopf herum. Plötzlich, nach langem Suchen stießen meine Augen auf den Hebel. Und nun war ich der glücklichste Mensch unter der Sonne. Einen solchen Gegensatz der Stimmung wie bei meinem Hin- und Rückweg hat sonst recht selten einer erlebt. Um ½ 20 Uhr bin ich wieder in der Kaserne. Mittwoch, den 5. Juli 1944

Heute hat mein zweitältester Bruder Oberleutnant Walther H. Geburtstag, konnte ihm aber nicht schreiben, weil ich die Adresse nicht weiß. Seit heute ist unser Kompaniechef von einem 3-wöchigen Urlaub zurück. Vertreter war unser Zugführer Oblt. Pabst. Er und Papst waren heute Gäste beim allgemein bildenden Unterricht. Donnerstag, den 6. Juli 1944

Heut nacht soll eine Nachtübung stattfinden, wird aber geändert auf ein Wecken um 3 Uhr. Dann wird den ganzen Vormittag ein herrlicher Marsch gemacht. Da konnte man mal wieder die herrliche Landschaft der Gegend betrachten. Fabelhaft der Weitblick von den Höhen am linken Saarufer. – Abends rückt die ganze Kompanie zu einer Varietéveranstaltung im Saalbau.

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Sonnabend, den 8. Juli 1944

Wieder um 3 Uhr Wecken. Um 4 soll’s losgehen, es regnet und gewittert sehr stark und so geht’s erst 2 Stunden später raus zum Gefechtsschießen bei dem Schießstand. Es werden 3 Schuß im Nahkampf geschossen (Schnell-Gew. Hüftschuß). Ich habe 3 Treffer. Abends ist unsere langersehnte Zugfeier. Findet in Gülsweiler statt, Anfang 20 Uhr. Anwesend ist unser Zug, dazu für jeden ein BDM.-Mädel, unser Oberleutnant, unser Komp.-Chef, H.J. Führer. Die Leitung hatte Grenadier Grüng, ein fabelhafter Mensch, Vortragstalent und nicht die geringste Hemmung. Das Programm nur sein Werk und hat jedem gefallen. Eine kleine Kapelle war zusammengestellt aus OB’s aus anderen Zügen und einem Zivilisten. Es gab Erdbeerbowle, Kartoffelsalat und kleine Kuchen. Die Tischdamen wurden durch Los bestimmt. (Ich hatte großes Pech – sie sagte den ganzen Abend fast nichts). Die Damen brachten Eßgeschirr für die Partner und Kuchen mit. Die Feierei ging bis ½ xx Uhr. Dann mußten wir uns verabschieden, denn wir rückten geschlossen von Gülsweiler ab und marschierten dann noch eine ganze Stunde bis in die Kaserne. Sonntag, den 9. Juli 1944

Wegen der Feier ist erst um 9 Uhr Wecken. Dann etwas Waffenreinigen und nachmittags sollten wir (Befehl vom Komp.-Chef ) die Mädels von Hülzweiler ausführen. Aber beim Spindappell fiel ich auf, weil ich keine Paketadressen und -anhänger (für einen Alarmfall) hatte und mußte nachmittags auf der Bude bleiben. Montag, den 10. Juli 1944

Heut wird auf dem Schießstand die Zielfernrohrgewehrübung geschossen. Ich natürlich wieder Scharfschütze. Die 2. s-MG.-Übung mit 10 Schuß Dauerfeuer bestehe ich nicht. Muß demnach am kommenden Sonnabend zum erstenmale zum Nachschießen. Vom Schießstand werden die schon mittags fortgeschickt, die heute Wache haben. Um 6 Uhr ist Vergatterung und anschließend beginnt unser Wachdienst am Kasernentor für 24 Stunden. Ich bin Posten! Schlaf kriege ich 4-mal je eine Stunde. Dienstag, den 11. Juli 1944

Vormittags ist ein Großfliegeralarm. Als Wache brauchen wir nicht in den Keller. Tausende von Feindbombern brausen über uns hinweg. Nach dem OKW-Bericht: Großangriff auf München. „Auf Posten keine besonderen Vorkommnisse.“ Heute wurden in unserer Kompanie alle Einheiten vorgelesen, bei denen wir zur Frontbewährung eingesetzt werden. Und zwar komme ich zum IR 47, entweder in Hamburg oder gar nach Lüneburg; das wäre doch tadellos. Auch geht das Gerücht, daß wir hier in Saarlautern schon einen Monat eher abdampfen und dann in der Garnison einen Monat als Hilfsausbilder tätig sind, um dann danach endlich Unteroffizier zu werden. Diese Wochen würden in Lüneburg fabelhaft werden!! OKW=Oberkommando der Wehrmacht, IR=Infanterie-Regiment,

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Mittwoch, den 12. Juli 1944

Mittags nach der Schule wieder ein kurzer Großfliegeralarm. Endlose Ketten brausen wieder drüber hinweg. Abends – wie immer mittwochs – ist Nachtausbildung. Wir rücken nach Gülsweiler, wo wir Samstag feierten, und richteten uns vor der Ortschaft für die ganze Nacht zur Verteidigung ein. Es waren 3 Kompanien im Spiel. Nachts ist es wahnsinnig kalt und dunkel. Man ist totmüde und kriegt die ganze Nacht keinen Schlaf. Donnerstag, den 13. Juli 1944

Morgens um 8 Uhr endet die Nachtübung. Da wollten wir gerade abmarschieren, als wieder Fliegeralarm ertönt. Wieder so stark wie gestern. Wir machen einen riesigen Umweg um die Stadt herum und sind eine ganze Stunde später zuhause. Unterwegs sehen wir einen Fallschirm herunterkommen, der vermutlich auf unserem Übungsplatz runterging und von der Munitionswache geschnappt ist. Sonnabend, den 15. Juli 1944

Gestern abend musizierte die Kompanie wieder in dem Saalbau zu einem moderneren Bühnenstück „Mit meinen Augen“. Gerade als es zu Ende ist, Vollalarm, im vollen Tempo nach Haus. – Heut morgen gibt’s tüchtig Druck. Eben und weil morgen Sonntag ist und wir Zeit zum Säubern haben. Mit schwerem Granatwerfer Stellungswechsel hin und zurück, immer über einen 3 m breiten Bach. Und schließlich noch unter der Gasmaske. So fertig war man lange nicht mehr. Von innen und von außen naß. Für eine Stunde mal wieder die größte Wut über alles was Kommiß heißt. Aber nach 2 Stunden war die herrlichste Stimmung wieder da, so wie’s sein soll. Sonntag, den 16. Juli 1944

Vormittags ist ein unendlich langer Fliegeralarm. Ich penne im Trichter vor der Kaserne, „geweckt“ wird dann der gesamte erste Zug zum Saarbrücken-Einsatz. Wir packen schnell, essen Mittag und sitzen schon um 13 Uhr im Lastwagen, Richtung eines wüsten Trümmerhaufens. Zunächst müssen alle eine Straße wieder instand setzen, dann werden wir verteilt auf die Wohnhäuser, alles im vornehmen Viertel von Saarbrücken. Ich habe von Anfang bis Schluß angestrengt gearbeitet. Es macht richtig Spaß so ein baufälliges Haus bis unten abzureißen. Vollkommen verdreckt fahren wir dann wieder im Lastwagen in die Kaserne zurück. Montag, den 17. Juli 1944

Trotz des schweren gestrigen Nachmittags ist schon um 3 Uhr Wecken, weil der Plan für das heutige Schulgefechtsschießen durchgeführt werden mußte. Ich schieße wahnsinnig schlecht. Die Übung unter der Gasmaske erfülle ich nicht. Mit dem MG. von 30 Schuß schönen einzigen Treffer. Mit Gewehr des Gefechtsschießens einigermaßen. Nach dem Schießen werden die

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schlechtesten Schützen – zur Strafe – als Absperrposten eingeteilt. Ich mußte nämlich oben auf den Homburg (350 m), genoß dort eine herrliche Aussicht und mancher Querschläger und Abpraller pfiff mir um den Kopf. Und auf dem Hin- und Rückweg, d.h. Auf- und Abstieg aß ich so viel Obst, daß ich mir fast den Magen verdorben hätte. Zu Hause in Lüneburg waten sie ja jetzt in ihrem herrlichen großen Garten, und wir hier bekommen an Obst nichts. So war dieser Absperrposten für mich mal wieder eine lohnende Einrichtung. Dienstag, den 18. Juli 1944

Mittags ist Abmarsch für eine 48-Stunden-Übung. Zunächst geht’s bis zum Schießstandgelände. Dort wird sich zur Verteidigung eingerichtet mit allem Drum und Dran: Essenholen, Feldpostabteilung, Nachtruhe, kleine Überfälle, Waffenreinigen. Mittwoch, den 19. Juli 1944

Fortsetzung der Übung. Nach dem Mittagessen wird sich auf der alten Stellung abgesetzt. Ich bin Schütze 1 und habe an dem MG. viel zu schleppen. Gemacht wird ein 20 km-Marsch. Durch herrliche unbekannte Landschaften, durch herrliche Wälder, über hohe Berge bis ins Saartal, empfangen dort unsere Abendverpflegung und rücken in unser Nachtquartier in Düppenweiler. Donnerstag, den 20. Juli 1944

Diese Nacht verbrachten wir mal wieder ruhig und zwar in einer Scheune. Da konnte man tüchtig ausschlafen. In der letzten Nacht konnte ich kaum eine Stunde pennen. Dann wird ein Gewaltmarsch zurückgelegt und zwar 18 km ohne Halt ganz bis Saarlautern. Es ist wahnsinnig heiß und zum großen Pech bin ich noch MG-Schütze III, muß 600 Schuß scharfe Munition schleppen. In der Kaserne angekommen, mußte gleich alles in den Keller, weil Alarm war. Nachmittags ist Fußappell. Fast alle haben Schaden gelitten. Ich nur wenig. Abends wird im Radio bekannt gegeben, daß ein Attentat auf den Führer ausgeübt sei. Dem ist Gottseidank nichts passiert, nur viele Generäle haben Verletzungen. Himmler ist Befehlshaber der Heimatfront geworden. Von nun an grüßt die ganze deutsche Wehrmacht mit dem deutschen Gruß. Die Hand an die Mütze zu legen, ist also verboten. Freitag, den 28. Juli 1944

Ich war von Dienstag bis zum Donnerstag wieder Gruppenführer und hatte wieder Pech. – In dieser Woche wurde nur Waldkampf durchgespielt. Dafür ist ein Marschkompaß notwendig. 2 sind in der Gruppe, aber einen davon hat unser Uffz. Sander für seinen Lehrgang mit nach Berlin genommen. Der andere ging gestern nachmittag bei der Übung kaputt. Heute war wieder Waldkampf und der Kompaß war noch nicht getauscht. Ich wußte nicht genau, ob ich dazu vom Feldwebel direkt den Befehl oder nur eine Aufforderung bekommen habe. Der Feldwebel bestand auf Befehl. Ich mußte mich beim Chef melden und abends ist die Verhandlung. Resultat:

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1 Tag geschärfter Arrest, wegen Nichtausführung eines Befehls. Mit solchem Ausgang hatte ich nicht gerechnet. Die nächsten Stunden tiefste Niedergeschlagenheit. Sonnabend, den 29. Juli 1944

Am heutigen Morgen haben sich fast 100 Schüler neukrank gemeldet. Auch ich bin dabei. Krankheitserscheinung: Fieber, Magen- und Kopfschmerzen. Auf den Gängen des Reviers liegt alles am Boden, weil nicht Platzgelegenheit vorhanden ist. Dann erfolgt die Massenabfertigung. Erstmal Fieber messen, Gliederung in „mit Durchfall“ und in „ohne Durchfall“. Dann Tablettenverteilung bzw. Rizinuseinflößung und dann wurde alles ins Bett gesteckt. Der Stab hatte sich zusammengezogen mit Ärztekommission usw. und hat für die gesamte Schule ausnahmslos eine Quarantäne angeordnet. Die Gründe für diese Epidemie sind die verschiedensten: Seit langem bekommen wir nur noch schimmliges Brot und faule Kartoffeln zu essen. Der Dienst ist viel zu lang. Man bekäme nur 5-6 Stunden Schlaf. Aber jede Nacht ist noch ein mehrstündiger Fliegeralarm, wo wir nach draußen in die offenen Gräben müssen. Da ist’s kein Wunder, daß so viele zusammenklappen. Aber weil das nun alles an einem Tage geschah, hat man andere Befürchtungen. – Auf unserer Stube liegt genau die Hälfte im Bett. Ich kann dadurch mal wieder richtig ausschlafen, und mal wieder in Ruhe lesen. Nicht nur aus der HDV. – Diese Krankheit hat nun meinen Arrest verschoben. Ich sollte heute mittag schon hinein. Man wollte mir schon keine Verpflegung mehr geben. Aber wenn die anderen dienstfrei haben, möchte ich natürlich nicht sitzen. Da suche ich schon einen besseren Tag aus. Dienstag, den 1. August 1944

Sonntag und Montag war ich noch krank. Heute morgen mache ich wieder Dienst mit, werde dabei auch als Gruppenführer eingeteilt, stelle mich dabei dem Feldwebel so dusselig und trotzköpfig an, daß meine Kameraden schon alle Bedenken haben. Das Sammeln hat mich dann gerettet. Mittags in der Kaserne angekommen, wird mir gleich vom Spieß offenbart, daß ich um 13 Uhr in Arrest einziehen solle. Ich melde mich beim Oblt. Pabst ab und erhalte von ihm für diese 24 Stunden eine wahnsinnige Arbeit, 8-10 Seiten auszuarbeiten. – Um 13.15 Uhr fällt die Zellentür hinter mir ins Schloß. Die Zelle ist nach der Straße raus, ich schaue nach jeder Straßenbahn und nach jeder vorüberkommenden Abteilung. Zu meiner größten Freude sehe ich unsere Kompanie abends ausrücken zu einem Nachtmarsch, der eigentlich erst morgen angesetzt werden sollte. Den Nachmittag verbringe durch Schreiben und Umräumungsarbeiten nebenan beim Stab. Um 22 Uhr „gehe ich zu Bett“, d. h. ich lasse mir meine Decke bringen, rolle mich drin ein, nehme Tasche als Kopfkissen und packe mich auf den Fußboden und bin bald weg.

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Morgens um ½ 7 Uhr Erwachen. Völlig ausgeschlafen. Es war nur ziemlich hart. Von 8-13 Uhr werde ich in die Küche geschickt. Ich tue dort fast nichts. Zunächst wir dort noch einmal gefrühstückt. Mittag gegessen wird dort auch noch ausgiebig, sodaß mir also keine Mahlzeit erspart blieb. Um 13 Uhr werde ich vom Arrestantenfeldwebel entlassen und melde mich auf der Kompanie zurück. Nachmittags geht die Kompanie zum Baden in die hiesige Badeanstalt. Seit einem ganzen Jahr war ich nicht im Wasser, daß heißt nicht Schwimmen. Im Wasser stehen wir ja bei jedem Waffendrill auf der Wiese, wo es immer bis zu den Knien hineingeht. Mittwoch, den 2. August 1944

Donnerstag, den 3. August 1944

In dieser Woche werden die letzten Aufgaben durchgenommen, nämlich der Ortskampf. Wir üben immer in der Siedlung Fraulautern. Da bringen uns die Kinder oft Butterbrote. Für sie ist das nichts besonderes mehr. Unsere Vorgänger scheinen stark gebettelt zu haben. Wir sind natürlich nie abgeneigt, denn oft ist die Stulle sogar mit Schinken belegt. Heute abend haben wir ein Bataillonsappell. Unser alter Kommandeur, Herr Oberst Freiherr von Minzingerode-Knorr wird verabschiedet in feierlicher Weise; er kommt zum Stab „Führernachwuchs“ nach Berlin. Für ihn wird ein neuer Kommandeur eingeführt, auch ein Oberst, ziemlich und jung und Träger des Deutschen Kreuzes in Gold. Den Abschluß der Feierlichkeiten bildet ein Vorbeimarsch des ganzen Bataillons an den beiden Obersten. Zu unserem Bataillon ist jetzt gekommen eine 5. Kompanie. Besteht aus OB-Rekruten im 2. Monat, die aus Polen (Modlin) vor den Russen flüchten mußten und nun hier in den verschiedenen Kompanien untergebracht sind. Mittwoch, den 9. August

Die Schule wird wieder mal durch Fliegeralarm abgebrochen. Wir laufen gleich rüber in die Kompanie und dürfen dann, weil sehr gutes Wetter ist, alle draußen in den offenen Graben. Das hat sich bestimmt gelohnt. Ein Pulk nach dem anderen braust über uns hinweg. Die Flak ballert immer mitten hinein. 4 Tommy-Bomber konnte ich herunterpurzeln sehen, allein durch die Flak. Nach dem Beschuß setzte bei uns ein wahnsinniger Hagel von Flaksplittern ein. 40 cm neben mir schlug einer auf den Grabenrand. Mittags ist die 4. Kompanie in Bereitschaft für den Saarbrückeneinsatz. Von jedem Zug fahren 30 Mann. Der Rest, darunter ich, muß daheim bleiben. Eigentlich war für die heutige Nacht ein 35 km vorgesehen, der nun durch den Einsatz ausfällt. Wir Zuhausegebliebenen müssen beim Spieß arbeiten, Holz hacken und sägen. Abends kommt die Kompanie noch zurück. Morgens kann das „Arbeitskommando“ bis 6 ½ Uhr, also ausschlafen. Vormittags wird ein Rad geputzt und nachmittags mache ich mich fertig zum UvD. Um 18 Uhr ziehe ich auf, habe sehr viel zu pfeifen und zu tun, weil um ½ 7 die Kompanie zugweise total verdreckt aus Saarbrücken zurückkommt. Der UvD.-Dienst läuft heute abend planmäßig. Donnerstag, den 10. August 1944

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Freitag, den 11. August 1944

Morgens muß ich die Kompanie wecken und den Morgendienst auspfeifen. Die Kompanie antreten lassen und melden. Vormittags muß ich fast alle Stuben aufschreiben, weil sie verdreckt sind. 2 Fliegeralarme machen viel Arbeit. Um 18 Uhr werde ich abgelöst. Sonnabend/Sonntag, den 12./13. August 1944

An beiden Tagen hat unser Zug Ausgang als Vergünstigung für die letzten Saarbrücker Einsätze. U.a. fahre ich auch nach Dillingen. Ich sehe den Film „Träumerei“, den herrlichen Film von Clara Schumann, und den Film „Hab mich lieb“ mit Marika Rökk. Montag, den 14. August 1944

Laut neuer Verfügung unseres neuen Befehlshabers, Heinrich Himmler, muß nun auch den ganzen Sonntag Dienst gemacht werden. Der Sonntag ist sog. Verfügungslage, da werden die Dienste nachgeholt, die durch Fliegeralarm usw. ausgefallen sind. Und so machten wir gestern nachmittag nur Unterricht und Schwimmen. – Heute am Montag ist wieder Scharfschießen. Die Gewehrübung schieße ich als bester vom Zuge, nämlich mit 32 Ringen und mein Name prangt jetzt am schwarzen Brett. Wer mehr 31 Ringe hatte, durfte nach dem Mittagessen nach Hause gehen. So habe ich den ganzen Nachmittag frei, mache Einkäufe und fahre schließlich wieder nach Dillingen ins Kino, sehe den Film aus der Zeit der Freiheitskriege „Der Katzen???“. Dienstag, den 15. August 1944

Nachmittags haben wir Schlauchbootausbildung an und in der Saar. Es wird Ruderschule, Flußübergang usw. gespielt. Gottseidank haben wir Badezeug, denn so ein dreckiger Fluß wie die Saar sah ich noch nie. Seit Montag bin ich Zugdienst. Mittwoch, den 16. August 1944

Vormittags ist allgemeinbildender Unterricht. Nachmittags um 16 Uhr ist Abmarsch zu einem 40 km-Nachtmarsch. Als Zugdienst habe ich das Glück als Zugmelder eingesetzt zu werden. Ich muß die längste Strecke ein Fahrrad schieben und fahre natürlich so manchen Kilometer. Unterwegs werden sogar noch Kämpfe und viele Einlagen eingefügt. Donnerstag, den 17. August 1944

Morgens in der Dämmerung gelangt die Kompanie bei Wallerfangen an die Saar. Dort stehen schon Schlauchboote bereit und die Kompanie wird übergesetzt. Um ½ 9 Uhr ist die Kompanie wieder in der Kaserne. Vormittags ist Bettruhe. Nachmittags ist Sport und Unterricht, also herrlicher Dienst. Und angestrengt hat mich der Marsch garnicht, ich bin ja sehr viel gefahren.

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Freitag, den 18. August 1944

Heute ist für uns der Sonntag, und der vorgesehene Dienst wird auf den Sonntag verschoben. Morgens erst um 6.30 Uhr Wecken. Dann Flakstunde, Sport. Nachmittags marschiert die ganze Kompanie zum Ensdorfer Schwimmbad, gleich in Ausgangszeug, damit wir anschließend gleich draußen bleiben können. Ein Fliegeralarm holt uns aus dem Wasser und dann verkrümeln wir uns in den Wäldern. Dabei besorgt unsere Stube, die zusammen losgeht 2 Taschen voll Kartoffeln für die für morgen abend beabsichtigte Stubenfeier. Ich soll dort Klavier spielen, wage es aber kaum noch, denn es ist ja ¾ Jahr her, als ich zuletzt spielte. Sonnabend, den 19. August 1944

Nach dem Revierreinigen geht die Belegschaft der Stube 210 und nimmt im Lokal „Donnerbräu“ zu Fraulautern Platz. Anwesend ist der Gruppenführer der 2. Gruppe, Feldwebel Fischer und unser Zugführer, Oberleutnant Pabst. Mit meinem Klavierspiel wird es ein großer Reinfall. Das ist ja auch nicht das wichtigste. Denn dieses ist das Essen. Wir haben große Mengen Kartoffelsalat und dazu Hackbraten. Dann kommt erst die Hauptsache: ca. 15-16 Pfund Torte für uns 12 Mann. Da konnten wir richtig reinhauen. Nicht ein Stück ist übrig geblieben. Wir dachten alle zu zerplatzen. Was fehlte, waren Getränke. Der versprochene Wein ist nicht angekommen und so mußten wir uns mit Dünnbier verhelfen. Um 23 Uhr endet die Feier, uns ist allen schlecht vor Überfressenheit. Die Straßenbahn kann uns kaum vorwärts bewegen, solche Gewichtszunahme hatten wir. Um 24 Uhr waren wir in der Kaserne, denn wir hatten Nachturlaub bekommen. Sonntag, den 20. August 1944

Vom Sonntag merkt man garnichts, ein ganz gewöhnlicher Dienstag. – Um 4.45 ist schon wieder Wecken. Auf dem schwarzen Brett steht, daß ich heute vormittag zum Zahnarzt hier im Revier muß. Das war meine Rettung. Denn ich hätte mit meinem überanstrengten Magen kaum ins Gelände hinausmarschieren können. Und so bleibe ich da, gehe um 10 Uhr rüber ins Revier und muß noch gut eine ½ Stunde warten, und zwar im Behandlungszimmer. Da kann man die Vorfreude so richtig genießen, wenn man die Kameraden unter den Bohrern hochgehen sieht. Schließlich bin ich an der Reihe. Der junge Zahnarzt stellt bei (mir) einen sehr schlechten Zahnbefund fest. Zunächst fällt ihm die sehr große Lücke im Oberkiefer auf. Man will mir irgendeinen Zahnersatz dareinsetzen. Dafür braucht der Zahnarzt eine Röntgenaufnahme, die ich in der Stadt beim Zahnarzt Dr. Lauer machen lassen soll. Außerdem werden mir 2 Zähne gezogen, die schon längst rausmußten. Zuerst kriege ich 4 Spritzen ins Zahnfleisch. Danach ein wahnsinniges Gefühl. Ich kann mich wieder hinsetzen und nachdem inzwischen 2 andere behandelt waren, zog man mir die beiden Zähne raus. Der Zahnarzt hat mich sogar gelobt, weil ich so tapfer gewesen sein soll und keinen Ton von mit gegeben habe. Mit Betäubung fühlt ja man nichts, man „hört“ es nur. Als die beiden raus waren, fing ich fürchterlich an zu bluten. Das hörte gar nicht auf, sogar in der Nacht wird meine Bettwäsche davon noch blutig. Den Nach-

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mittagsdienst mache ich nicht mit, weil nun, als Narkose verflogen ist, sehr starke Schmerzen auftreten. Abends ist unsere Kompanie zur Varietéveranstaltung zum Saalbau eingeladen, wo die Kreisleitung für jeden Soldaten ½ Flasche Wein spendiert hat. Auch da wage ich mich wegen dem Bluten und wegen der Schmerzen nicht hin. Montag, den 21. August 1944

Heute ist wieder Scharfschießen. Auf dem Gewehrstand wird eine besondere Übung geschossen, die ich eben und eben schaffe. Die meisten der Kompanie erfüllen heute nicht, weil sie wahrscheinlich den Wein gestern nicht vertragen konnten. Nachmittags ist Gruppengefechtsschießen, mit Granatwerfen dazu. Ich mache aber nicht mit, weil ich mich für den Zahnarzt zum Durchröntgen abgemeldet habe. Um 17.00 Uhr sitze ich auf dem Folterstuhl, aber diesmal nur für 10 Sek., also nur für eine Röntgenaufnahme. Diese soll am Mittwoch morgen wieder abgeholt werden. In der Stadt tausche ich Marken, die gestern verfallen sind. Elfriede und Vater schicken mir jetzt sehr oft Marken. Dienstag, den 22. August 1944

Heute sollte der Generalinspektör, Generalleutnant Specht, die Schule besuchen. Es war alles von langer Hand drauf vorbereitet. Ein tadelloser Dienst hing am Brett. Vormittags Unterricht und Sport. Nachmittags Unterweisung und Unterricht. Der General kam nicht. Der Oberst selbst ersetzte ihn, nahm am Unterricht teil und hielt vor der ganzen Schule einen Appell. Mittwoch, den 23. August 1944

Die Schule fällt heute aus, weil die Lehrkräfte versetzt werden sollen. Dafür sollen nur noch 2 Stunden am Sonntag gemacht werden. Dann melde ich mich noch auf der Schreibstube ab, um die Röntgenaufnahme vom Zahnarzt abzuholen. Um 9 Uhr bin ich da, werde wieder fortgeschickt, weil die Aufnahme erst in 1 ½ Stunden trocken ist. Also bummele ich die Zeit in der Stadt herum, kaufe Kuchen usw. Um ½ 11 Uhr hole ich die Röntgenaufnahme ab und fahre wieder mit der „10“ in die Kaserne zurück. So war ich wieder einen Vormittag vom Dienst befreit. Nachmittags beim Sport gehen wir eine Stunde spazieren, jedes dienstliche Gespräch ist während dieser Zeit verboten. Wer nur ein Wort sagt, das an den Dienst erinnern könnte, muß was bezahlen für den bevorstehenden Zugabend. Um 21 Uhr ist Abmarsch für eine kleine Nachtübung. Geübt wird Vortrupp bei Nacht. Daß dabei natürlich Äpfel geklaut werden, ist ja klar. Beim Rückmarsch muß noch alles über den berüchtigten Graben springen, die meisten werden klitschnaß. Um 3 Uhr bin ich im Bett! Donnerstag, den 24. August 1944

Morgens vor 8 Uhr sitze ich schon wieder beim Zahnarzt. Ich brauche nicht lange zu warten. Als ich drankomme, muß ich zuerst meine Röntgenaufnahme zeigen. Er schüttelt den Kopf und stellt eine Zahnwurzelvereiterung fest. Der abgebrochene Zahn muß mit Wurzel heraus und der

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schon mitangegriffene Nachbarzahn. Ich bekomme dann 2 Spritzen und kann mich wieder hinsetzen. Ich sitze aber wahrscheinlich zu lange. Denn als ich auf dem Folterstuhl sitze, ist die Narkose schon wieder halb verflogen und ich habe gewaltige Schmerzen auszuhalten. Damit ist die Behandlung für die nächsten 3 Wochen beendet. Dann soll ich wiederkommen – denn dann erst sind die Wurzellöcher wieder richtig zugeheilt – dann will er mir einen Gipsabdruck für eine Prothese machen, das heißt ein Gebiß mit 2 Zähnen. Den Tag über habe ich Zahnschmerzen, die aber bald vorbei sind. Auch brauche ich nicht mehr so viel Blut spucken wie am Sonntag. Nachmittags mache wieder Dienst mit, vom Dienst aus marschiert die ganze Kompanie geschlossen zum Geldorfer Schwimmbad. Dort wird uns viel Freiheit gelassen. Bloß der Sammelpunkt und die Sammelzeit ist bestimmt, sonst können wir 3 Stunden selbständig handeln. Meine große Lücke im Mund sieht scheußlich aus. Ich kann weder essen noch richtig sprechen und schon gar nicht lachen. Ein bißchen ist einem die Lebenslust vergangen. Sonnabend, der 26. August 1944

Seit ca. einer Woche befinden sich hier im Raum von Saarlautern die Reste der SS-Division „Götz von Berlichingen“. Sie wurden aus Frankreich von den Tommies vertrieben und haben sich nach hier geflüchtet. Sie sollen hier neu bewaffnet werden mit Panzerwagen und neuen Waffen. Ihre Panzer mußten sie alle vor dem Feind sprengen, weil der Nachschub an Brennstoff in Frankreich nicht genügend war. Diese SS-Leute haben hier ein unbeschreibliches Benehmen. Viele von uns halten sie für Feiglinge, weil sie geflohen waren; das ist aber nicht wahr: wenn man den Befehl zum Rückzug bekommt, muß man auch den ausführen; mir kann’s ja bald genauso gehen. Das Vorgehen macht natürlich viel mehr Mut und Stimmung und was hilft’s, wenn es jetzt nirgends vorwärts geht? Jetzt wird schon in den Vororten von Paris gekämpft, das sind bis hier noch 250 km Luftlinie. Ist doch keine Entfernung! Und wir machen hier unseren Dienst weiter, als läge nichts in der Luft. Wir hoffen aber stark damit, daß wir unseren Kursus eher abbrechen (er soll nämlich noch 8 Wochen dauern). Ob’s denn einen Einsatzurlaub gibt, glaub ich nicht. Vor allem möchte ich zunächst mal meine Prothese im Mund haben, so ist’s ja kaum zum Aushalten. Von einer anderen OB-Unteroffz. -Schule und zwar in Hohensalza, die zusammen mit uns ihr Semester begann, hörten wir, daß sie die Tore geschlossen habe und die Jungs nun vorzeitig zum Einsatz gekommen sind. Genau so kann es uns ja auch gehen. – Heute morgen waren mal wieder Beförderungen. Unsere Kompanie hat jetzt 44 Gefreite, daß sind über ein Viertel. Ich rechne vorläufig noch nicht mit der Beförderung, ich bin nämlich lange nicht bei den besten! Heute abend wird schon wieder eine Stubenfeier gefeiert. Diesmal haben wir aber was zu trinken besorgt. Im Ganzen 17 Flaschen Wein und nur für 10 Mann und an Vorgesetzten erscheint nämlich keiner. Diesmal hatten wir nur die Hälfte von Torten wie letzmal, nämlich jeder nur etwas über ½ Torte. Letzmal hatten wir eine Freßfeier und so soll dies hauptsächlich eine Sauffeier sein. Um ½ 11 Uhr endet das Gelage. So’n kleinen habe ich weg. Gottseidank fährt noch eine Straßenbahn von Fraulautern in die Stadt hinein, sonst wären wir nie wieder in die Kaserne gekommen.

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Sonntag, den 27. August 1944

Einen Kater habe ich nicht: ein Wunder. Vormittags sehen wir bei dem Laufballspiel 3. gegen 4. Kompanie zu. Anwesend ist die gesamte Schule, einschließlich Oberst und Zahlmeistern. Das Spiel endet mit einem Sieg für unsere 4. Kompanie. Bald nach dem Spiel ist ein mehrstündiger Fliegeralarm. Wir mußten uns rasch anziehen und dann in die Splittergräben; Gottseidank, denn es ist herrliches Wetter. Es dauerte nicht lange, als schon viele Flugzeuge über unseren Köpfen brummten. Es waren Jäger und man konnte deutlich die englischen Kokarden erkennen. Sie kreisten andauernd über uns, bis plötzlich einer im Sturzflug auf uns zukam. Da steckten wir aber die Köpfe weg. Doch er flog etwas an uns vorbei und warf 2 Bomben ca. 4 km von uns mitten im Dillinger Bahnhof ab. Eine gewaltige Explosion mit einer 100 m hohen Flamme folgte dann. Später erfuhren wir, daß auf dem Bahnhof 3 vollbeladene Munitionswagen in die Luft geflogen seien, daß der ganze Bahnhof mit seiner Umgebung vernichtet sei und viele Opfer zu beklagen sind. Während des Alarms ist mir schon so sonderbar zumute. Mittags esse ich fast nichts. Nach dem Essen habe ich einen wahnsinnigen Durchfall. Gleich nach dem Essen packe ich mich auf ’s Bett, stehe alle Stunde auf, um zum Lokus zu rennen, und dort nur Luft und Wasser abzusondern. Montag, den 28. August 1944

Die Nacht war noch viel schlimmer. Nachts ist Fliegeralarm. Ich muß ja aus dem Bett, da merke ich, daß ich Fieber habe. Gerade als ich mich anziehen will, muß ich plötzlich gewaltig scheißen, und ich renne zum Lokus, kann aber unterwegs nicht mehr abhalten und so erstreckt sich am nächsten Morgen ein Band von bräunlicher Flüssigkeit von meinem Bett bis zum Lokus. Ungefähr noch 1 Stunde verbringe ich auf dem Lokus. Dann taumele ich in mein Bett zurück und warte erstmal die Entwarnung ab. Morgens beim UvD. melde ich mich neukrank. Vormittags gehe ich ins Revier rüber, man gibt mir Rizinus, man gibt mir Kohle und nichts anderes. Ich soll dann meine Klamotten holen und ins Revier umziehen, solange bis mein Darm wieder kuriert ist. Um 13 Uhr bin ich drüben im Bett. Fresse weiter Kohle, nichts als Kohle. Heut morgen ist unsere Kompanie ¾ Stunde früher geweckt worden, mit dem Grund, die Kompanie sollte eingesetzt werden, wohin wußte keiner. Alles empfing scharfe Munition, auch die Pistolen und MP. Abends als sie wiederkamen, erzählten sie, daß sie in Lothringen einen Wald durchkämmen mußten, wo sich Terroristen festgesetzt hatten. Doch ist bei dem ganzen Unternehmen kein einziger Schuß gefallen. Dienstag + Mittwoch, den 29. / 30. August 1944

Zwei Tage, die ich drüben im Revier im Bett verbringe. Ich bekomme Diätkost, und muß so auf manch schönes verzichten, daß die anderen bekommen. Das Fieber ist wieder herunter, der Durchfall schon wieder weg, weshalb liege ich hier eigentlich noch?! Unsere Kompanie ist Mittwoch und Donnerstag in Dillingen eingesetzt, wo der gewaltige Explosionstrichter wieder zugeschüttet werden muß.

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Donnerstag, den 31. August 1944

Heute werde ich endlich aus dem Revier entlassen. Ich bekomme noch 4 Tage lang Weißbrot zu essen. Tadellos! An Post bekomme ich heute 30 RM und eine volle Kuchenkarte von Ellen geschickt. Da kann ich hier meine Schulden mal bezahlen. Mit dem Geld stand’s in letzter Zeit bei mir sehr schlecht wegen der vielen Feiereien. Lage: Angloamerikaner in Reims, Panzervorstöße bis Belfort. Bald wird man hier den Kanonendonner hören können, das Gebiet von Zivilpersonen räumen und den Westwall besetzen müssen. – Jetzt mit einem Male möchte ich noch etwas länger hierbleiben, nämlich aus dem Grund: ich möchte nicht als Krüppel heimfahren. Am 14. 9. muß ich wieder zur Zahnstation und dann noch viele Male. Das wird ja gar nicht mehr fertig!! Mein Mund sieht augenblicklich scheußlich aus. Der Stiftzahn aus Oldenburg ist abermals abgebrochen und nun steht wahrhaftig bei mir nur noch ein einziger Schneidezahn oben. – Abends kommt für die Schule ein Bereithaltungsbefehl: scharfe Munition wird empfangen, gute Garnitur wird angezogen, „eiserne Portion“ empfangen usw. also richtige Mobilmachung. Nach dem heutigen OKW-Bericht heißt es: Verdun in Händen der Amerikaner. Weiterer Vormarsch auf Metz. Das ist von uns noch 50 km entfernt, es ist also doch höchste Zeit. Die Kompanie wird als schwere Kompanie eingeteilt mit Granatwerfern, schweren Maschinengewehren und vielen Panzerschrecks. Die Privatsachen werden gepackt und sollen nach Hause geschickt werden. Um 22 Uhr hat die Kompanie die Spinde leer und ist abmarschbereit. 15 Mann der Kompanie bleiben hier – als Beschützer der Kaserne – darunter ich, weil ich noch Innendienstkranker bin. Die Kompanie kann dann aber bis zum Morgen noch schlafen, während die Offiziere und Unteroffiziere die ganze Nacht besprechen. Freitag, den 1. September 1944

Morgens wird die Lage ausgegeben: Amerikaner steht vor Metz. Unsere Kompanie richtet sich im Raum von Siersburg/Rehlingen zur Verteidigung ein. Danach ist Abmarsch. Gleichzeitig marschieren auch alle anderen Kompanien in ihre Abschnitte. Am Kasernentor verabschiedet sich der Oberst von allen herzlich. – Wir in der Kaserne gebliebenen müssen die Decken zusammensuchen, das Gepäck zusammenschaffen usw. Fliegeralarm stört uns andauernd. Und zwar sind’s immer Jäger, die im Tiefflug über uns hinwegbrausen und oft schießen. Alle Straßen dieser Gegend sind bezwickt von Fahrzeugen, die sich von der Front absetzen. Abends hört man Artilleriefeuer in Gegend Diedenhofen, das abends um 21 Uhr schon als gefallen gemeldet wird. Nachts müssen wir im Keller schlafen, weil bei diesem Vollmondschein die Jagdflieger auch mal leicht unsere Kaserne treffen. Im Laufe der Nacht wird der Keller voll von Soldaten, die schlafen wollen. Als ich morgens wieder aufwache, hat sich irgendeiner von diesen meinen Koppel geklaut, nachdem er zuvor Patronentaschen und Seitengewehr abgemacht hat. MP=Maschinenpistole, OKW=Oberkommando der Wehrmacht

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Sonnabend, den 2. September 1944

Die Lage scheint sich etwas gebessert zu haben. Der Amerikaner ist noch nicht weiter vorgestoßen. Das deutsche Heer soll sich vor Metz eingraben. Wir atmen alle auf. Denn sonst wären sie bei dem gleichen Tempo heute schon in Saarlautern gewesen. Der Führer soll in Metz gewesen sein, und die Soldaten aufgehalten haben in ihrem Rückzug. Sonntag, den 3. September 1944

Vom Sonntag merkt man überhaupt nichts. Von morgens bis abends macht das Restkommando Aufräumungsarbeiten. Dabei kann man sich natürlich massenweise Klamotten organisieren. Die liegen jetzt alle so herum und es wird garnicht notiert. Abends um 22 Uhr, gerade als ich ins Bett gehen will, kommt die Nachricht, daß die Kompanie an der Front eingesetzt werden soll und dazu heute nacht um 2 Uhr hier ankommt, um morgen vormittag auf der Bahn verladen zu werden. Da mußten wir nun aus sämtlichen geschnürten Gepäckstücken die 1. Garnitur und die Affen raus suchen. Ich werde in der Waffenkammer eingesetzt, und dort geht die Verpackerei bis in den frühen Morgen hinein; außerdem wird noch die ganze Schreibstube verpackt. Nachts kommt die Kompanie zurück und es ist eine gewaltige Aufregung, jeder will seine Klamotten vollständig haben. Von dem alten Restkommando kommen noch einige für den jetzigen Einsatz in Frage. Ich bin leider wieder nicht dabei. Alle anderen sind krank oder schwächlich. Ich möchte mich tief zu Boden schämen, so in der leeren Kaserne rumzuhocken. Montag, den 4. September 1944

Morgens hat die Kompanie alles gepackt und steht abmarschbereit draußen angetreten. Der Oberst gibt den Einsatzbefehl, die anderen Kompanien marschieren an uns vorbei und zum Bahnhof. Ich sehe dies alles nur vom Fenster aus. – Dann ist die Kaserne wie ausgestorben. Nur noch die fremden Landser und die SS-Leute von der Front laufen hier herum. Aber nun beginnt erst die Arbeit. Die Kompanie hat den Block als einen wahnsinnigen dreckigen Stall hinterlassen. Da mußte das Restkommando den ganzen Montag schaffen, um neue Quartiere für die kommenden Landser schaffen. Aus den Spinden kann man sich noch massenweise Gegenstände und vor allem restliche Verpflegung organisieren. – Gerade muß auch der Generalmajor Stut, Brigadekommandeur „West“ kommen. Er macht einen kurzen Appell vor sämtlichen dagebliebenen Insassen der ganzen Kaserne. Abends wird bis 24 Uhr wieder aufgeräumt.

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Dienstag, den 5. September 1944

Morgens wieder ein „Schulappell“. Unser Chef ist ein Heeresoberlehrer Leppin, unser alter Geschichtspauker. Es wird bekanntgegeben, daß wir auch hier im Einsatz stehen, denn es muß hier im rückwärtigen Frontgebiet ständig mit fdl. Luftlande- und Fallschirmtruppen gerechnet werden. Wir müssen die geladenen Gewehre immer bei uns haben. Ich habe hier 120 Schuß Munition organisiert. Meinetwegen kann der Tommy kommen. Alle rüstigen Leute der anderen Kompanien sollen auf den unteren Flur der 4. Kompanie ziehen, damit alle griffbereit sind. Wir sind ungefähr 60 Off.-Schüler und ca. 20 Kommandierte. Von unserer Kompanie ist noch keine Nachricht da, sie soll im Raum von Luxemburg liegen. Mittwoch, den 6. September 1944

Morgens soll Dienst stattfinden. Es wird aber den ganzen Tag weiter Aufräumungsarbeiten gemacht. Endlich kriegen wir das Kompaniegebäude sauber. Und bald ist es schon wieder voll. Eine Kompanie Waffen-SS liegt nun bei uns. Alle anderen Kompanieblocks sind schon längst wieder belegt. – Abends kommt von unserer Kompanie draußen der Feldwebel Thun zu uns, der so allerlei neues bringt. Er sagt, daß unsere Schule zu einem Regiment angewachsen sei, der sogenannten „Kampftruppe Wegelein“, in der viele von uns OB’s schon Gruppenführer sind und zu Unteroffizieren befördert wurden. Morgen fährt Fw. Thun wieder zur Kompanie und soll noch 30 Mann vom Restkommando mitbringen. Donnerstag, den 7. September 1944

Morgens wird der Rest der Kompanieklamotten verladen und jeder von uns packt seinen Affen: es kann ja jeder dabei sein. Erst 1 ½ vor dem Abmarsch zum Bahnhof werden die Namen derer verlesen: Und tatsächlich: ich bin dabei! Um 14 ½ Uhr fährt der kleine Transport mit dem Zuge bis Trier. Dort fahren wir mit der Straßenbahn in die Neue Gröben-Kaserne, wo die „Kampftruppe Wegelein“ zusammengestellt wird. Wir vom Restkommando werden sämtlich der 9. schweren Kompanie zugeteilt und dort auf die einzelnen Waffen verteilt, je nachdem wo noch Munitionsschützen fehlen. Da findet man auch viele von seinen alten Kompaniekameraden wieder. Die meisten sind aber schon in der 4. Schützenkompanie irgendwohin abgerückt. Von meinem alten Zug treffe ich neue Unteroffiziere und neue Gefreite. Ich bin immer noch Grenadier und warte endlich auf meine Beförderung. Nachts wird auf dem Fußboden des Speichers einer Genesenenkompanie geschlafen. Freitag, den 8. September 1944

Der ganze Tag wird gefaulenzt. Wir ziehen vom Boden in die erste Etage, weil die dort gelegene 5. Kompanie heute auch ausgerückt ist. Die Landschaft hier rings um Trier ist fabelhaft. Ausgang gibt es heute nicht, vielleicht morgen. Tagsüber sind unzählige Fliegeralarme, ich glaube fünf bis sechs. Die feindlichen Jagd- und Bombengeschwader brausen stundenlang über uns hinweg.

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In der Zwischenzeit schrieb Günther diesen Feldpostbrief an seine Eltern zu Hause:

Ihr Lieben! Im Westen, am 8.9.44 Für das übersandte Geld, lieber Papa, habe vielen Dank. Nun reicht es wirklich! Die Feierei hat ja nun ein Ende, denn ich bin nicht mehr in Saarlautern. Unsere ganze Schule wird hier im Westen eingesetzt, weil es ja bitter nötig war. Wir hörten schon den Kanonendonner der Front, während wir noch geruhsam unsere Ausbildung fortsetzten. Einen Einsatzurlaub haben wir also nicht mehr bekommen können, dazu war’s schon zu spät.Weit weg sind wir von Saarlautern nicht gefahren; war ja auch garnicht nötig. Mir geht’s sonst noch sehr gut. Ich hoffe, daß ich die kommenden Wochen gut überstehen werde. Wir wissen ja alle, daß der Kampf an Deutschlands Grenzen am mächtigsten ist, und da kann man natürlich auf nichts Rücksicht nehmen. Es grüßt Euch alle herzlich Euer Günther

Dienstag, 19. September 1944

Erst heute komme ich dazu mein Tagebuch fortzusetzen. Es war so lange im Tornister, der heute zum Wäschewechsel mal nach vorn geschickt wurde. Wir verpacken also in Trier alles fix und fertig und verladen es auf unsere Fahrzeuge, die uns als schwere Kompanie ja zustehen. Nachmittags gibt’s dann noch Ausgang, wo ich mir flüchtig die Stadt Trier ansehe. Berühmt ist ja das „Porta Nigra“ mitten in der Stadt. In derselben Nacht geht’s dann auch los. Unsere Kompanie ist auf dem Marsch unendlich lang, ich schätze 400 m. Und als später Fliegermarschreihe eingenommen wurde, waren es über ein Kilometer. Hinter Trier geht’s über die Mosel und von dort immer geradeaus in nördlicher Richtung. Nach 30 km Marsch werden wir bis auf je 1 Mann am Fahrzeug auf Lastwagen und noch 20 km westwärts, also frontwärts gefahren. Die Fahrzeuge kamen nachts nach und wir beziehen in einem kleinen Dorfe Ortsunterkunft. Frühmorgens geht’s dann weiter in einem 50 km-Marsch bis an die deutsch-luxemburgische Grenze, wo die Stellungen abends noch ausgebaut werden, weil dort der Tommy demnächst erwartet wird. Nachts wird dort auf einer Wiese gepennt. Das Schießen habe ich bislang nur aus der Ferne gehört. Am übernächsten Morgen (Dienstag, der 12. Sept.) wird unsere Truppe versetzt und zwar der 7. Kompanie zugeteilt, die ganz am rechten Flügel eingesetzt ist von der Kampftruppe Wegelein. Dort soll auch toller Rabatz herrschen, weil der Tommy oder vielmehr hier bei uns der Amerikaner schon bis an unsere HKL (Hauptkampflinie), die vordere Westwallverteidigungslinie, gekommen ist. Im Morgendämmern müssen wir uns noch die Granatwerferstellung und Beobachtungsstände ausbauen, denn der Feind kann uns hier einsehen und mit seiner Artillerie beschießen, was er gestern schon gemacht hat. Als Unterkunft haben wir einen Westwall-

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Mannschaftsbunker, jeder sein Bett. Darin liegt noch eine Schützengruppe, die oft auf Spähtrupp losgeschickt wird und schon einiges vom Krieg erlebt hat, während wir im und am Westwallbunker uns nur aufhalten. Zu tun haben wir auch den ganzen Tag. Schon am ersten Vormittag, als ich das Loch für den Beobachter buddele, erhält unser Abschnitt plötzlich Artilleriefeuer. Es waren aber nur wenige Granaten. Eine schlug 20 m neben mir ein. Ich habe mich schön geduckt, Herzklopfen und die Angst läßt sich bestimmt nicht leugnen. Inzwischen habe ich mich an das neue Leben gewöhnt. Das Artilleriefeuer ist nichts neues mehr. Unsere Werfer haben wir auch fix und fertig und warten auf den ersten Schuß. Ich bin noch immer Grenadier, warte jetzt aber auf die Beförderung, denn jetzt sind schon die letzten dran. Verpflegung gibt’s nur abends, weil die Feldküche sich wegen Feindeinsicht der Anfahrtswege nicht herwagen kann bei Tag. Das Essen ist tadellos, weil sehr viel durch Granaten getroffene Weidetiere in die Feldküche kamen. 100 m von unserem Bunker entfernt verwesen 2 Kühe auf der Weide, die Granatsplitter abkriegten. Die Kadaver leuchten nachts und dienen uns als Wegweiser. Unser Abschnitt ist verhältnismäßig ruhig. Vor uns ist nämlich zum Feind hier ein Steilhang, wo uns der Amerikaner unmöglich angreifen kann. Aber rechts von uns will man unbedingt durchbrechen. In einem fort wird dort geballert. Unsere Betätigung besteht in Graben ausheben, Posten stehen, schlafen und essen. Also ein weit besseres Leben als auf der HUS. vorher. Inzwischen ist unsere Kampftruppe vergrößert, denn wir sind statt der 9. jetzt 12. (schwere) Kompanie geworden. Unser Bataillon nahm kürzlich einen amerikanischen Oberst gefangen, der mit seinem Wagen einfach geradeaus ostwärts gefahren war, wie er es bislang in Frankreich gewohnt war. Donnerstag, den 19. Oktober 1944

Am 27. September mußte ich mit vielen anderen Grenadieren zum Kompaniegefechtsstand rüber, um unsere Beförderung zum Gefreiten entgegenzunehmen. Sie lautet mit Wirkung auf den 1. September. In der Stellung bei 7. Kompanie bleiben wir Granatwerfer noch bis Anfang Oktober. Am Sonnabend, den 1. Oktober brauchte die 7. Kompanie noch Freiwillige für einen großen Stoßtrupp in Stärke von 50 Mann. Ich war dabei. Das Unternehmen war gegen das luxemburgische Dorf Kalborn gerichtet und hatte den Auftrag, Gefangene mitzubringen. Nachts zogen wir los, über die Grenze bis an das Dorf. Dort wurde festgestellt, daß keine Menschenseele darin war. Die Zivilisten mußten räumen, die Amerikaner wagen sich bei Tage nicht hierher. Eine starke Sicherung wurde von uns also rings um das Dorf aufgestellt und der Rest der Stoßtruppe machte sich daran, zu organisieren. Sehr viel zu essen hatten die Luxemburger dagelassen, was nun von uns mit Behagen verzehrt oder mitgenommen wurde. Und doch kommt dort noch viel um. Man könnte die Sachen waggonweise abtransportieren, wenn es möglich wäre. – Während nun alles im tiefsten Plündern war und ein jeder sich die Taschen vollgestopft hatte, hieß es plötzlich: „Alarm! Der Amerikaner ist da!“ Unsere Gruppenführer hatten ihre Leute nicht beisammen. Viele mußten sich erst ankleiden, weil sie Wäsche oder Schuhe wechselten. Und unser Stoßtruppführer, Leutnant Schneider, war schon garnicht aufzutreiben. Es dauerte

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viele Minuten, bis dann alles gesammelt hatte. Wie leicht hätte also etwas passieren können. Es ging dann in Schützenkette durchs ganze Dorf. Am Ortsrand begann dann die Schießerei. Ein amerikanischer kleiner Spähtrupp war bis 100 m an das Dorf herangekommen. Der Feuerkampf wurde immer heftiger. Rechts von mir lag schon ein toter Amerikaner, der bis 50 m ans Dorf sich herangearbeitet hatte, was ihm sein Ende brachte. Allmählich arbeiteten wir uns näher an die Kornstiegen heran, wohinter sich die Amerikaner befanden. Als wir bis auf 10 m heran waren, ergaben sie sich plötzlich mit 4 Mann. Mit erhobenen Händen kamen sie hinter den Stiegen hervor, Angst in den Gesichtern. Einen Yankee ließen wir noch schwerverwundet liegen, 2 weitere türmten. Wir ihnen nach bis an eine Straße, als plötzlich ein amerikanisches schweres Maschinengewehr auf uns schoß. Wir nahmen sofort volle Deckung. Der Stoßtruppführer befahl das Absetzen unter gegenseitiger Feuerunterstützung. Wir hatten ja schon viel zu weit das Dorf verlassen, wir hätten leicht eingekesselt werden können. Von rechts sahen wir 2 Panzerfahrzeuge herumfahren. Wir fingen an zu laufen, es ging im Marsch-Marsch durchs Dorf und zurück über die Grenze. Unser Leutnant Schneider erhielt für diesen Stoßtrupp dann das EK II. Allen Teilnehmern wurde ein Nahkampftag anerkannt. Ich habe mir unter Nahkampf eigentlich was anderes vorgestellt. Bald wurden wir dann zur 8. Kompanie versetzt, die hinterer Nachbar ist. Unser Bunker ist ca. 1200 m weit und wir müssen das ganze Granatwerfergerät und die 300 Schuß Munition zu Fuß dahin verfrachten, eine ganze Tagesarbeit. Gerade hatte man sich in dem Bunker bei der 8. Kompanie eingelebt, als von der 12. Kompanie der Befehl kam, jeder solle 2 Mann abstellen für einen 6. Zug, schwere Granatwerfer. Dabei war ich auch. Am 8. Oktober nahm ich Abschied von meinen Kameraden am mittleren und begab mich dann zum schweren, der Bunker und Stellung ca. 1500 m rückwärts hatte. Dort kamen fast nur OB’s zusammen. Eine Woche lang war ich bei den schweren (12 cm) Werfern. Wir bauten den ganzen Tag Stellungen, Munibunker usw. Wir hatten wieder richtigen Dienst den ganzen Tag über. Das gefiel mir garnicht, wo man vorher doch den ganzen Tag frei hatte. Unser Zugführer und der Stellungsunteroffizier waren Unteroffiziere, die größten Gegner und Nichtgönner der OB’s. Sie wollten uns ständig schikanieren. Gottseidank waren wir alle stur. Wir sehnten uns alle weg von diesen beiden Korporälen, nicht von der Stellung. Sie war in einem herrlichen Tal gelegen. – 2 Tage später als ich zu den 9. Gra.Werfern versetzt wurde, wurde die ganze Kampftruppe Wegelein abgelöst. Sie soll bei Aachen eingesetzt werden, dem Brennpunkt der Westfront. Alles rückt aus – bis auf den Packzug und den 6. Granatwerferzug. Wir wurden nun der neuen Einheit, einer Panzerdivision, unterstellt und machten dort weiter. Das Ende kam anders; nicht so wie wir gedacht hatten. Im Bunker ein Telefonanruf: Wieviel OB’s sind noch hier im Zug? Sofort Anzahl gemeldet. Dann von uns allerlei Vermutungen und alte Gerüchte wieder aufgefrischt. Wenige Stunden später ein weiterer Anruf vom Kommando: die OB’s sollen bis zum 16. Oktober nach Wiesbaden in Marsch gesetzt sein. Juchhe! Wie waren wir froh. Wir hatten gerade vorgehabt ein Versetzungsgesuch zur Schützen-

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kompanie zu schreiben, bei den beiden Korporälen mißfiel es uns immer mehr. Am Sonntag, dem 15. Oktober 1944 frühmorgens 7 Uhr verließen wir die Front, alle guten organisierten Sachen zurücklassend, wie eine Ziege, viele Einmachsachen, Sack Mehl und ein Koffergrammophon mit 40 Platten. An diesem Sonntag legten wir zufuß 25 km zurück bis wir zu dem Städtchen Maxweiler, wo wir übernachten und uns frisch verpflegen. Von dort aus ging’s am andern Morgen dann teils auf einem Lastwagen, teils auf einem Pferdewagen bis nach Bitburg, von wo wir eine Fahrkarte bis nach Wiesbaden haben. Der Bahnhof von Bitburg ist durch Jabos (ähnlich unseren Stukas!) gänzlich zerstört. Nach vielen Stunden kommen wir dann in Koblenz an, haben Aufenthalt und ausgerechnet Fliegeralarm. Mittags geht’s dann weiter am Rhein entlang – ich sah da den Rhein zum erstenmale in meinem kurzen Leben – bis Bingen wo wir den ganzen Nachmittag bleiben. Wir sind immer nur 11 Mann, die vom schweren Granatwerferzug. Unterwegs treffen wir viele alte Kameraden, die auch Wiesbaden anstreben. Vermutungen des dortigen Aufenthalts kommen zustande, doch es kommt nichts rechtes dabei raus. Von Bingen geht’s dann weiter über Mainz bis Wiesbaden, wo wir im Wartesaal übernachten, weil die Kaserne unendlich weit weg ist. Am nächsten Morgen machen wir uns auf den Weg in die Freudenthal-Kaserne. Dort sehen wir alle unsere alten Kameraden der Kampfgruppe Wegelein, die bei Aachen gewesen waren und auch viel Verluste hatten. Selbst unser Kommandeur, Oberst Wegelein, ist dort gefallen. Von unserer alten Stube sind 2 Mann gefallen. Einige tragen das eiserne Kreuz, viele das Verwundetenabzeichen, und auch viele wurden befördert. Die können sich nun jedenfalls sehen lassen, denn die haben bei Aachen was erlebt. Wir vom s. Gra.We.Zug dagegen nichts. Dann lungern wir 3, 4 Tage in Wiesbaden herum, ohne eigentlich recht zu wissen, was wir hier sollen. Wir haben keinen Dienst und so ist alles in die Stadt ausgeflogen. Zapfenstreich kennen wir auch nicht. Manche kommen erst gegen Morgen zurück. Das herrliche Weltbad gefällt mir ausgezeichnet. – So etwa nach 4 Tagen scheint man den ganzen Kram organisiert zu haben. Wir wurden alle zu unseren Ersatztruppenteilen geschickt, mich also nach Lübeck. In Fahrtgruppen von 16 Mann unter Führung eines OB-Unteroffiziers machen wir dann eine herrliche Bahnfahrt quer durch Deutschland bis nach Lübeck. Am 23. Oktober abends kommen wir dort an, übernachten im Luftschutzkeller unserer Lehrgangskompanie in der Walderseekaserne und am nächsten Morgen rücken wir dann rüber in die Meesenkaserne, wo wir uns beim Bataillon melden müssen. Unsere Personalien werden aufgeschrieben. Urlaubsgesuche geschrieben, denn wir sollen heute alle auf Urlaub fahren. Ist ja auch selbstverständlich gewesen, daß es ihn jetzt geben würde. Nachmittags 17.42 Uhr sitze ich im Personenzug nach Lüneburg und rolle heimwärts. Jabos=Jagdbomber, Stukas=Sturzkampfflugzeug, s.Gra.We.=schwere Granatwerfer

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Am 24. Oktober 1944 gegen 20.30 Uhr betrete ich wieder Lüneburger Boden. Der Urlaub soll

12 Tage dauern. Am 5. November muß ich wieder in Lübeck sein. Dann werden wir neu eingekleidet und hoffentlich auch befördert. Denn man kann nur als Fahnenjunkerunteroffizier auf eine Kriegsschule kommen, und der größte Teil von uns OB’s ist noch Gefreiter. Am 13. November soll der Lehrgang auf der Kriegsschule beginnen, aber wo, daß weiß noch niemand. Den Urlaub vom 25. Oktober bis zum 5. November verbringe ich recht solide. In der Hauptsache halte ich mich im Elternhause auf, denn meine fehlenden Zähne halten mich von der Öffentlichkeit fern. Ich lebe also nur im Familienkreis und mit meinem alten Freund Alfred Clavin, der aus gesundheitlichen Gründen bis zum nächsten Jahr vom Kommiß zurückgestellt worden ist, zusammen. In der Stadt ist kein einziger Bekannter mehr zu treffen, so wie’s den Urlaubern immer geht. Zu Hause erlebe ich den letzten Akt der großen Tragödie „Hoffmann – van Grieken“ selbst mit. Ich muß mich doch sehr wundern über meine neue Schwägerin Ursula.

Ende der Tagebuchaufzeichnungen

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Anhang

Fünfseitiger Feldpostbrief

Zweiseitiger Feldpostbrief

Beileidsbrief

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Ein fünfseitiger Feldpostbrief befand sich hinten im Tagebuch:

O.U., den 28. II. 45 Liebe Eltern und Geschwister! Nun habe ich bereits viele Stunden schweren Einsatzes hinter mit. Wie ein Wunder scheint es, daß mir bisher noch garnichts passiert ist und ich bin als Gruppenführer der einzige der Gruppe, der noch einsatzbereit ist. Jetzt bin ich erst einmal herausgezogen worden, bekomme vielleicht eine neue Gruppe. Ich hoffe dann, weiterhin so großes Schwein zu haben. Ich habe jetzt jedenfalls schon einen kleinen Eindruck bekommen von dem Grauen und den Anstrengungen des Krieges. Nahkampf und Trommelfeuer sind an der Tagesordnung. Ich hoffe auch weiterhin vom lieben Herrgott so gut beschützt zu werden wie bisher. Ich kann mich immer wieder wundern, daß mir garnichts passiert ist. Nacheinander fiel mir ein Mann nach dem andern aus. Obwohl ich immer an der Spitze meiner Gruppe war, konnte ich außer einigen kleinen Hautabschürfungen und zerfetzten Kleidern wieder heil aus dem Kampf gehen. Jetzt bin ich erst einmal wieder hinten und kann ausschlafen und mich wieder waschen, was bestimmt nötig ist. Man ist froh, wenn man diesen Gestank von Blut, Verwesung und Brand wieder von seinen Klamotten los ist. Vielleicht wird der ganze Pionierzug heute schon wieder rausgezogen, wir waren ja nur vorübergehend hier eingesetzt, um die vorigen Leuten einmal abzulösen. Der Russe hat im Oderbruch bei Wriezen einen so großen Brückenkopf vorgetrieben, den er zäh und erbittert verteidigt. Es kostet wahnsinnig viel Mühe, den Iwan an dieser Stelle rauszuschmeißen. Um jedes einzelne Haus, sagen wir besser Ruine, wird oft tagelang gekämpft. Wenn es zunächst hier auch nur langsam vorwärts geht, durchhalten müssen wir und werden es schließlich soweit bringen, den Russen in die Oder zurückzuwerfen. Es ist hier nämlich die kritischste Ecke der ganzen Ostfront. Es ist hier die nächste Stelle nach Berlin. Das Dorf hinter uns, das wir bereits wieder genommen haben und auch die wenigen dieses Dorfes zeigen alle Spuren von dem Häuserplündern und Vergewaltigungen der Russen. Ich glaube, der Name des Dorfes Neu-Lewin ist vor einer Woche durch alle Zeitungen gegangen. Hier konnte die Bevölkerung nicht mehr fliehen und war einige Tage lang den Bolschewisten ausgesetzt. Als wir das Dorf nahmen, fanden wir unzählige Bewohner auf die schrecklichste Art ermordet vor. Ich muß es euch später selbst mal erzählen – es gibt gar keine Ausdrücke, um es zu schreiben. Der größte Teil der Bevölkerung, vor allem die jungen Leute, wurde verschleppt. Es ist hier genau dasselbe wie dort, wo wir an anderen Stellen Ortschaften zurückerobern konnten, wie z.B. damals in Lammersdorf in Ostpreußen. Das wurde ja damals auch in der Wochenschau gezeigt. Genau so sieht’s hier in dem Dorf Neu-Lewin aus. Reichsaußenminister von Ribbentropp war vorgestern mit zahlreichen anderen hohen Persönlichkeiten hier und hat sich selbst von der Tatsache überzeugt. Genau so wie es der Russe in den wenigen Orten gemacht hat, die wir zurückgewinnen

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konnten, wird es in den vielen von den Russen noch besetzten deutschen Dörfern im Osten aussehen. Nur daß wir uns dort nicht selbst überzeugen konnten. Aber bald werden wir in den Orten wieder sein. Es ist bestimmt etwas großes von unserer Seite im Anrollen. Der Führer sagte ja kürzlich: „In diesem Jahre wird der Krieg zu unseren Gunsten beendet werden.“ Davon bin ich auch fest überzeugt, und hoffentlich seid Ihr es daheim auch alle. Ihr habt’s bisher noch nicht schlecht gehabt. Unser Haus steht noch, und alles andere geht doch seinen gewohnten Gang. Und da sollen wir schon am Ende sein? Nein, noch lange nicht! V. Ribbentropp hat uns so zuversichtlich zugeredet, so viele Beweise von Deutschlands Stärke gebracht, die ich Euch am liebsten schreiben möchte aber nicht darf. Es wäre ja eigentlich richtiger, wenn das Volk diese Sache auch erfährt. Aber der Führer ist ja immer für die großen Überraschungen. Na, wir als Soldaten haben das Warten ja gelernt; Hauptsache ist mir, daß die Bevölkerung den Kopf nicht sinken läßt. Für Ruth’s bevorstehenden Geburtstag möchte ich ihr meine allerherzlichsten Glückwünsche übermitteln. Könnt ihr mir mal Christas Adresse mitteilen, damit ich zum Geburtstag gratulieren kann.

Viele Grüße Euer Günther.

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Es folgt ein letzter zweiseitiger Feldpostbrief:

Oh., den 8. III 1945 Liebe Eltern und Geschwister! Gestern erhielt ich zum erstenmal nach vielen Wochen wieder Post von Euch. Auch Alfred Clavin schrieb mir, daß Karl-Heinz gefallen ist. Er tut mir besonders leid, weil er doch viele Jahre lang mein Spielgefährte gewesen war. Es gibt doch jetzt kaum noch eine Familie die vollzählig ist. Der Krieg verlangt eben viele Opfer, und es werden noch viele folgen müssen, bis endlich der Sieg von uns errungen ist. Und das wird garnicht mehr so lange dauern. In einigen Wochen wird eine große Wende eintreten, die den Krieg rasch, aber siegreich zu Ende bringen wird. Wir als Pioniere liegen nun bereits 14 Tage im Einsatz im vordersten Graben. Wir hoffen alle, daß wir bald einmal abgelöst werden, denn wir sind ja Pioniere und haben schließlich andere Aufgaben. Aber wenn man erst einmal hineingesteckt worden ist, dann kommt man nicht eher wieder heraus, bis man völlig fertig ist. Es ist hier ja eine sehr kritische Frontstelle, die kürzeste Entfernung bis Berlin. – Seitdem wir hier eingesetzt sind, hat es schon allerlei Kämpfe gegeben, aber dem Iwan gelang’s noch nicht, und ihm wird’s hier auch nicht gelingen, weiter ins deutsche Reich vorzustoßen. Dafür stehe ich mit meinen Leuten und halte Wacht. Seitdem ich meine Gruppe verloren habe, bin ich als Kompanietruppführer eingesetzt; auch ein zufriedenstellender Posten. Mit meiner OB-Laufbahn geht es nun auch weiter. Die mir fehlende Frontbewährung habe ich nun schon reichlich nachgeholt. An Urlaub ist noch lange nicht zu denken, vielleicht einmal nach dem Krieg. Daß Lüneburg nun auch seinen Bombensegen gekriegt hat, wundert mich nicht. Mich verwunderte nur, daß es bisher immer verschont blieb. Für Christas Geburtstag übermittelt ihr bitte meine herzlichsten Glückwünsche, da ich selbst ihre Adresse noch nicht habe. Nun seid alle herzlichst gegrüßt von Eurem Günther.

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Als letztes folgt die Abschrift des Beileidsbriefes (links das Original) von Oberleutnant Richter an den Vater Eugen Hoffmann:

H. Richter, Oberleutnant, Hauptstelle Fp. No. 18532 A.

den 26. März 1945

Sehr geehrter Herr Hoffmann! Unsere Kompanie wurde am 1. Februar 1945 neu aufgestellt, und Ihr Sohn, der Uffz. Heinz-Günther Hoffmann, war im Pionierzug als Gruppenführer eingesetzt. In der kurzen Zeit, in der Ihr Sohn in der Kompanie Dienst tat, hat er sich meine Wertschätzung und das Vertrauen seines Zugführers und seiner Gruppe erworben. Er war seinen Untergebenen ein verantwortungsbewußter Führer. Am 12. März 1945 griff der Pionierzug eine Häusergruppe bei Kietz, südlich Küstrin, an. Ihr Sohn stürmte dabei seinen Männern mit dem Sturmgewehr voran und war die Seele des Angriffs bei seiner Gruppe. Kurz vor Erreichen des Angriffszieles fiel Ihr Sohn, mitten im Vorwärtsstürmen. Er fiel im festen Glauben an den Sieg. Ich habe nun die traurige Pflicht, Ihnen, sehr geehrter Herr Hoffman, meine und der gesamten Kompanie Anteilnahme an dem herben Schicksal, das Sie getroffen, auszusprechen. Ihr Sohn lebt als ein vorbildlicher und tapferer Unteroffizier in den Reihen der Kompanie weiter. Und möge Ihnen die Gewißheit , daß Ihr Sohn sein Leben für die Größe und den Bestand des Reiches und für eine glückliche deutsche Zukunft hingab, ein Trost in Ihrem schweren Leid sein. Ihr Sohn wurde auf dem Heldenfriedhof in Seelow, Kreis Lebus, mit militärischen Ehren zur letzten Ruhe gebettet. Ich grüße Sie in aufrichtigem Mitgefühl. gez. Herbert Richter Oberltn. U. Komp.-Chef.

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