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Besseres Zuhören

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Leerer Kalender

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Prof. Gero Schmidt-Oberländer spielte in der Krise mehr klassisches als schulpraktisches Klavier

Die Auswirkungen der Corona-Krise erwischten mich mit voller Wucht nach zwei Offline-Wochen, die eigentlich der Start in ein lang geplantes Sabbatical sein sollten. Nachdem klar war, dass ich dies verschieben konnte, übernahm ich Anfang April 2020 wieder die Institutsleitung und kam fortan kaum noch vom Bildschirm oder Telefon weg, zumindest in den ersten Tagen.

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Neben den Sorgen der Schul- und Kirchenmusik-Studierenden lag mir ganz besonders die missliche Situation unserer zumeist freischaffenden Lehrbeauftragten am Herzen, denen der verspätete Semesterstart zusätzlich zu den weggefallenen Engagements große finanzielle Probleme bereitete. Mit Studierenden und Lehrbeauftragten versuchte ich regelmäßig zu kommunizieren.

Nach einer Weile war das Wichtigste organisiert und die ersten Online-Unterrichtsversuche verliefen zufriedenstellend, zeigten aber auch deutlich, dass die Präsenzlehre im Fach Schulpraktisches Klavierspiel unersetzbar ist. Ich hatte also nicht das Gefühl, dass mir die Decke auf den Kopf fällt vor lauter Nicht-Tätig-Sein-Können. Seit dieser Zeit habe ich jedoch wieder angefangen, richtig klassisch Klavier zu üben. Gerade bin ich an einem Präludium und Fuge aus dem Wohltemperierten Klavier dran und an einer Mozart-Sonate. Beides lerne ich neu, und das macht großen Spaß. Frühmorgens, wenn der Park noch leer war und man nicht dauernd in die Wiese ausweichen musste, drehte ich meine Runden, so 5 bis 15 Kilometer, bei längeren Strecken ging‘s bis Belvedere oder Tiefurt. Dabei versuchte ich eine 5er-Zeit zu laufen, also weniger als sechs Minuten pro Kilometer. Meist gelang das. Die Fitness wächst also.

„Was ich (fast) überall erlebte, war eine größere Achtsamkeit”

Die Kontaktbeschränkungen plagten mich nicht so sehr, da nette Nachbarn in Rufweite waren und wir mit den Kindern und dem neugeborenen Enkelkind über verschiedene Kanäle zumindest per bewegtem Bild zusammen sein konnten.

Ich fand die Zeit, einige schöne Bücher zu lesen, darunter Haruki Murakamis Killing Commendatore, großartig, und auch Don Quichotte von Salman Rushdie, eine ironisch-beißende Kritik am American Way of Life. Außerdem die Erinnerungen meiner Großmutter, die jetzt als Buch erschienen sind: Erinnerungen einer Landärztin. Sie promovierte vor 102 Jahren als eine der ersten Medizinerinnen in Jena und wurde 101 Jahre alt.

Was ich (fast) überall erlebte, war eine größere Achtsamkeit, besseres Zuhören, Einfühlen und die gemeinsame Suche nach Lösungen. Ich hoffe, dass wir einiges davon für die Zeit nach der Krise retten können.

Prof. Gero Schmidt-Oberländer

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