GESPENSTER Oper von Torstein Aagaard-Nilsen Frei nach
"Gespenster" von Henrik Ibsen Libretto Malin Kjelsrud
Deutsche Nachdichtung/Adaption: Dagfinn Koch unter Mitarbeit von Lektorat Corinna Jarosch, Operndirektorin Meininger Staatstheater und Malin Kjelsrud.
Komponist:
Libretto:
Torstein Aagaard-Nilsen +47 40465005 t.aagaardnilsen@online.no
Malin Kjelsrud +47 92430035 malin@malink.no
Personen: Helene Alving, dramatischer Mezzosopran Ende vierzig in der Gegenwart. Osvalds Mutter. Hat Gabriel seit sie jung war geliebt. Die Junge Helene, lyrischer Mezzosopran Zwischen 20-30 Jahre. Gabriel Manders, Bariton Pastor, Freund der Familie und ehemaliger Geliebter von Helene. Erik Alving, Tenorbuffo Helene Alvings Ehemann, ehemaliger Playboy, gerade gestorben. „Gespenst“, in der Erinnerung 30-40 Jahre. Osvald Alving, lyrischer Tenor Ungefähr 25, offiziell Erik Alvings Sohn, Kunstmaler, gerade aus Paris zurück, um an der Trauerfeier seines Vaters teilzunehmen. Er weiß, dass er selber bald sterben wird. Wohl möglich, eigentlich der Sohn von Gabriel. Regine Engstrand, Koloratursopran Anfang Zwanzig, offiziell die Tochter von Jacob und Johanne Engstrand, aber Erik Alving ist ihr leiblicher Vater. Pflegetochter der Familie nachdem Johanne gestorben war. Johanne, lyrischer Sopran „Gespenst“, starb mit 35. Das Hausmädchen der Familie Alving nachdem Johanne gestorben ist. Jacob Engstrand, Bass (bass) Ein glatter und gemeiner Mann, hat möglicherweise Johanne Engstrand getötet. Ungefähr 50-60 Jahre. Osvald als Kind, Komparse: 5 Jahre Chor, Trauerzug (SATB)
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SZENE 1 (Präludium - Passacaglia) AUF DER BüHNE: HELENE, DIE JUNGE HELENE, GABRIEL (Helene Alving steht allein auf der Bühne. Sonst ist es dunkel. Eriks Tod bringt alte Erinnerungen zurück, denen sie nicht entrinnen kann.) HELENE Er ist tot. Er ist tot. Er ist tot. Er ist tot. Tot. Diese Erinnerungen. Ich kann nicht vergessen. Das Leben: in der Nacht gelebt, mit zerissenem Herzen, verheimlicht verborgen. Kann nicht vergessen. Diese Erinnerungen. (Der Morgen dämmert sanft. Es zeigt sich, dass man zu Hause bei Pastor Gabriel Manders ist. Gabriel erwacht, in dem Bett an seiner Seite die Junge Helene.) GABRIEL Helene! Helene! Du musst aufwachen! Helene! DIE JUNGE HELENE Ist es schon Morgen? Mein Lieber, ich bin so glücklich! Ich liebe dich. Ich habe dich immer geliebt. GABRIEL Was haben wir getan? Du solltest nicht hier sein! Das hätte nie passieren dürfen. Ich war zu schwach. Was haben wir getan? Ich war zu schwach! Ich war zu schwach! Konnte nicht der Macht der Begierde widerstehen! DIE JUNGE HELENE Die Morgendämmerung hat deine Sinne verfinstert. GABRIEL Ich habe nicht klar gedacht, nicht klar gedacht. Du hast mich verführt! DIE JUNGE HELENE Ich? GABRIEL Nein, wir wurden verführt! Falsch geleitet! Teufelswerk… Gott hat mich auf die Probe gestellt, ich habe versagt! O Gott, was hab' ich getan!? Wir müssen das ungeschehen machen. O Gott! HELENE Halte um Gottes Willen Gott da raus! Dein - Dein schwacher Charakter kann ihm nicht zur Last gelegt werden. GABRIEL Ungeschehen, ungeschehen machen. DIE JUNGE HELENE Seit wir Kinder waren, haben wir beide gewusst, dass wir zusammen gehören. GABRIEL Du und ich können nie... Ich? Und du? DIE JUNGE HELENE Meine Mutter hat mich gedrängt, Erik wurde mich als gute Partie verkauft, aber ich will dich! Seite 3 von 33
GABRIEL Nein, das wird zu viel für mich. Nichts Gutes kann d'raus werden! Nichts! DIE JUNGE HELENE Heute Nacht hast du mich auch geliebt! Heute Nacht haben wir Pläne gemacht. GABRIEL Geh zurück! Geh zurück! HELENE Andere Meinungen hast du nie gelten lassen! GABRIEL Geh zurück zu deinem Mann. DIE JUNGE HELENE Schon vergessen? HELENE Es ist so einfach, Zukunft, Liebe und Glück zu versprechen. DIE JUNGE HELENE Schon vergessen? GABRIEL Geh zurück zu deinem Mann. HELENE Genau so leicht ist es - so leicht ist es, ein gegebenes Versprechen zu vergessen. So leicht kann man getäuscht werden. Genau so leicht wie man sich selber täuscht. DIE JUNGE HELENE Schon vergessen? Ich wollte doch Erik verlassen und bei dir sein! HELENE Einfach so leicht. DIE JUNGE HELENE Bei dir sein.
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SZENE 2 (Quasi Waltz) AUF DER BüHNE: HELENE, DIE JUNGE HELENE, ERIK, JOHANNE, OSVALD ALS KIND (Helene betrachtet ein Bild ihrer Erinnerung. Im Wohnzimmer sitzt Osvald-als-Kind (5 Jahre) auf Papas Schoß.) HELENE Verirrte alte Erinnerungen weigern sich, den Griff zu lösen. In diesem Haus haben wir gelebt als lebende Tote, verstrickt in unseren Lügen. JOHANNE und DIE JUNGE HELENE Tagtägliches Luxusessen. Perfektion. Torte. Glutenfrei. Der grüne Punkt. Hochzeit. Tischdekoration. Bildhübsche Kinder. Smarte Kinder. Der Prinz! Mutters Liebesbeweis. Fürsorge. Blow Job. Botox. Blow Job. Botox. Hochzeitskleid. Shopping. ERIK (Zündet eine Pfeife an. Osvald nimmt die Pfeife und führt sie zu seinem eigenen Mund) Rauche, Junge! Jetzt siehst du jetzt siehst du erwachsen aus, Osvald! Osvald! …erwachsen aus. Rauche, Junge! Rauche, Junge! Rauch tüchtig! Osvald! Rauche, Junge! Rauch tüchtig! Rauch tüchtig! (Osvald-als-Kind hustet, ihm wird schlecht, der Vater lacht. Johanne kommt herein. Erik steht auf, setzt seinen Sohn auf den Stuhl, greift Johanne und dreht sie herum und brummt.) ERIK Komm, Johanne! Lass uns tanzen! In diesem Haus fehlen Freude und Leben schon lange. JOHANNE (Erst zögernd, dann allmählich lockerer, lacht. Zwingt sich streng zu sein) Erik! Was machst du? ERIK Helene will nie mit mir tanzen. (Ahmt Die Junge Helene nach.) "Sowas gehört sich nicht." Tanz mit mir, Johanne! (Sie Tanzen.) JOHANNE Tanz mit mir. Tanz mit mir. Tanz mit mir. ERIK Tanz mit mir. Tanz mit mir. Tanz mit mir, Johanne, mit mir. (Es klopft an die Tür, die Junge Helene tritt ein. Sie bleibt an der Türschwelle stehen) DIE JUNGE HELENE Jetzt verstehe ich, was los ist. (Sie wird trocken bestätigt.) ERIK (Lässt Johanne los, greift die junge Helene, und versucht, mit ihr auf die gleiche Weise zu tanzen.) Tanz mit mir, Helene! Das Leben ist nicht nur ein Spiel, es ist auch ein Tanz, ein Tanz auf Rosen. Seite 5 von 33
(Die junge Helene macht sich aus Eriks Umklammerung los.) ERIK So streng, so unerbittlich, wie ein Geist… Willst du nicht lieber unter uns Lebenden sein? (Erik versucht, sich die junge Helene lächelnd und tanzend wieder zu nähern.) Unter den Lebenden sein. Tanz mit mir, Helene! DIE JUNGE HELENE Lass mich! Lass mich! ERIK Küß mich auf der Strasse, wo alle es sehen können! DIE JUNGE HELENE Es gehört sich nicht! Was sollen die Leute denken? ERIK Tanz mit mir heute, Tanz mit mir morgen! Tanz mit mir für immer! DIE JUNGE HELENE (An Johanne gerichtet, de das Zimmer verläßt.) Johanne, du kannst jetzt gehen. JOHANNE (In innerlichem Zwiespalt: einerseits verliebt in Erik, sich andererseits der Loyalität gegenüber Helene bewusst. Irritiert, verwirrt…) ERIK Was habe ich gesagt, Johanne? JOHANNE Du hast es gesagt. ERIK Was habe ich gesagt, Johanne? JOHANNE Du hast es gesagt. (Johanne verläßt das Zimmer.) HELENE Unsere Liebe war ein Missgeburt,… ERIK Du bringst ja nie Sonntagswetter nach Hause. HELENE …ich konnte sie nicht zulassen,.. ERIK Das hier ist kein Zuhause. HELENE ich wollte meine perfekte Welt haben, wie verrückt an meinen Idealen festhalten. Seite 6 von 33
ERIK Hier ist kein Zuhause mehr. Hier ist kein Zuhause mehr. DIE JUNGE HELENE Es war nur irgendein Haus, bis wir geheiratet haben. Ich ganz alleine habe dafür gesorgt, die Leere zwischen diesen Wänden mit Liebe und Wohlstand auszufüllen. ERIK Ein verschwenderischer Fassadenreinigungs-wettbewerb zusammen mit deinen Freundinnen, es hat nichts mit Liebe zu tun. HELENE Ich habe dich betrogen. Und nicht nur dich, nicht nur dich. DIE JUNGE HELENE Mit Liebe und Wohlstand auszufüllen. Liebe und Wohlstand auszufüllen. DIE JUNGE HELENE Aber du wolltest doch immer, dass ich uns ein schönes zu Hause schaffe! Es sollte unsere Liebe spiegeln! ERIK „Unsere Liebe“, ha! Unsere Liebe: eine Schreckenskammer, teuer aber vulgär. Unsere Liebe – eine fahle Kopie von den aufpolierten Möchtegernleben deiner Freundinnen. DIE JUNGE HELENE Ich habe dir zumindest einen prachtvollen, männlichen Nachkommen geschenkt. ERIK Ein Sohn sollte doch ein Abbild seines Vaters sein! Osvalds Geburtsurkunde ist eine Lebenslüge auf viel zu weißem Papier. HELENE Ich hatte ein Herz verbittert und unaufrichtig. Dein Herz was jung und liebevoll, doch unsere Herzen haben sich verhärtet und voreinander verschloßen. ERIK (Erik beginnt, seine Aktentasche zu packen, bereit, das Haus zu verlassen.) Du hast deine Geheimnisse, ich habe meine. Sie fesseln uns leider zusammen. Diese Ehe ist ein Hexenknoten. Ich gehe ins Büro. DIE JUNGE HELENE Denk an Osvald! Er ist es, der unter deinen „Büro-Gepflogenheiten" zu leiden hat. (Sarkastisch) Von wem soll er lernen, ein anständiger Mann zu werden, wenn du es nicht sein willst oder kannst? ERIK Du hast ihn gegen mich aufgebracht! Osvald mag mich ohnehin nicht gemessen an dir. Er wird ein Weichei ohne Rückrat. Oh, wie gewöhnlich du bist. HELENE Nein, nein. Das ist zu viel. DIE JUNGE HELENE Scht, pass auf, Osvald kann dich hören. Seite 7 von 33
ERIK Es ist doch wahr! Idiotie, Eheversprechen und Geheimnisse führen nur ins Unglück. Auf Wiedersehen. HELENE Ich habe den Schlüssel zum Glück mit Freuden von mir geworfen. Ich habe alles zerstört. Ich habe alles zerstört und aus uns einen Hexenknoten gemacht. Aus uns einen Hexenknoten gemacht.
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SZENE 3a (Quasi Blues) AUF DER BüHNE: OSVALD ALVING, REGINE (Osvald ist in sein Elternhaus zurückgekehrt aus Anlass der Beerdigung seines Vaters, die in ein paar Tagen stattfinden wird. Regine ist allein im Wohnzimmer. Osvald kommt herein.) OSVALD Da bist du ja, ich habe dich gesucht. (Geht rasch auf Regine zu, so nah, dass wir verstehen, dass zwischen ihnen schon etwas passiert ist.) REGINE (Verführerische und flirtende Körpersprache.) Wer suchet, der findet. Komm her und lenk mich ab! Sieh mich an! Berühr mich! Du bist so toll! OSVALD Ich kam zurück ohne Hoffnungen und Träume. Die Zukunft liegt wie ein schwarzer Propfen über einer bunten Vergangenheit. Aber jetzt… Aber jetzt… REGINE Manchen wird die ganze Welt in die Wiege gelegt. Manchen wird die ganze Welt in die Wiege gelegt. Du aber, du aber, du hast deine Welt auf der Asche, auf der Asche deiner Kindheitseinsamkeit aufgebaut, deiner Kindheitseinsamkeit aufgebaut. Mit deinem Talent und deiner Leidenschaft als Künstler überragst du selbst die Großen. OSVALD (Geschmeichelt, lachend.) Ich habe das Gefühl, du hast Gefühle für mich? REGINE Du schließt eine alte Leere in mir, wie ich es noch nie gekannt habe. Ich bitte dich, gib uns eine Chance. Nenn es, wie du willst! Ich wünsche es mir so sehr. OSVALD Es droht, kein Morgen mehr anzubrechen, was haben wir also zu verlieren? Dein Lächeln erweckt das Leben aus dem Winterschlaf. Deine Küsse werden mein Pulsschlag und mein Körper erwacht. Ich atme dich ein, bis du mein Herz spürst. REGINE Alles was du bist… So zu leben wie du, war immer mein Traum. Mit dir zusammen kann der Traum Wirklichkeit werden. OSVALD Mir hat die Inspiration und Leidenschaft einer Muse gefehlt. Willst du…? Meine Muse? Willst du für mich Model sitzen? REGINE (Heftiges Flirten, verführerisches Lächeln.) Für dich ziehe ich mich gerne aus. OSVALD Jetzt? Hier?
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REGINE (Zieht sich langsam auf eine sexy Weise aus.) Du kennst es schon, aber eine Wiederholung schadet ja nicht. (Macht weiter, gleichzeitig lenkt sie ihn ab.) Deine Mutter ist nicht die einzige Frau hier. Das Spiel, das sie spielt, macht dich klein und schwach. OSVALD Meine Mutter ist einsam. REGINE (Herausfordernd) Deine Mutter diktiert dein Leben! Sie beherrscht dich und deine Gedanken. Sie bestimmt, was du fühlen sollst. OSVALD Müssen wir über Mutter reden, gerade jetzt? Müssen wir über Mutter reden?
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SZENE 4 (Quasi Nanna) AUF DER BüHNE: HELENE, DIE JUNGE HELENE (Die Junge Helene geht in das Zimmer ihres schlafendes Sohnes, und setzt sich auf sein Bett. Helene steht ein bisschen seitlich und betrachtet die beiden.) DIE JUNGE HELENE Du und ich allein gegen die Welt. Vater kümmert sich nicht. Andere Frauen interessieren ihn mehr. Aber ich werde immer bei dir sein. HELENE Mein kleiner Junge. Die Zeit vergeht viel zu schnell. Du hast mich auch verlassen, Osvald. Du bist groß geworden, bist einfach gegangen. Alle verlassen mich. DIE JUNGE HELENE Ohne dich bin ich nichts. Du bist mein! Du gehörst mir, ich gehöre dir. So hübsch wie dein Vater! Du bist der einzige Mann in meinem Leben. Du und ich allein gegen die Welt. HELENE Ich will nicht, ich will diese Bilder nicht. DIE JUNGE HELENE Ich bin die einzige, die dich liebt. Mein Körper hat dich aus meiner Liebe erschaffen. Ich habe mir deine Mutterliebe verdient. HELENE Nicht diese Bilder nicht sehen. DIE JUNGE HELENE Mein schöner Sohn! Ich liebe dich. Du gehörst mir. Ich gehöre dir. Und wir werden nie Geheimnisse vor einander haben. HELENE Ich will nicht, ich will diese Bilder nicht. DIE JUNGE HELENE Komm zu mir, bleib bei mir, Osvald. Dein Vater hat meine Seele zu Eis erstarren lassen, sie ist zerborsten. HELENE Ich will nicht, ich will diese Bilder nicht. DIE JUNGE HELENE Du musst mich wärmen! Du musst mich heilen! Du musst mich wieder ganz machen! HELENE Jetzt verstehe ich, was ich getan habe.
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SZENE 3b AUF DER BüHNE: OSVALD, REGINE REGINE (Flirtet weiter, beugt sich aufreizend vor.) Lass uns über Paris reden! Erzähl mir noch mehr über das Leben, das wir dort führen werden! OSVALD Paris? Paris? REGINE Wenn wir in Paris sind, wie du mir es zuletzt versprochen hast, dann fängt unser Leben richtig an. Oh! Nimm mich mit in deine Welt. Mach mich lebendig und frei. In Paris, in Paris! Gemeinsam machen wir Kunst. OSVALD Wir beide in Paris? Ja, vielleicht? Ja, vielleicht? REGINE Deine Freunde, die Partys, die Liebe, die Kunst, die Kunst, die wir machen werden! Oh! Nimm mich mit in deine Welt. Mach mich lebendig und frei. OSVALD Sex, malen, Sex, malen und leben und vergessen, und vergessen, vergessen, malen und leben und vergessen! Mit einander schlafen, schreiben, leben. Ein Leben wie im Paradies. REGINE In Paris, in Paris, Paris, Paris, Mit einander schlafen, schreiben, leben. Paris, Paris. Ein Leben wie im Paradies. REGINE und OSVALD Mit einander schlafen, schreiben, leben. Paris, Paris. Ein Leben wie im Paradies. REGINE Lass uns gleich fahren! Sobald dein Vater unter Erde ist, gibt es nichts mehr, was uns hier hält. Deine Mutter? Mutter! Weg mit ihren Tintenfisch, Tintenfischarmen, Tintenfischarmen! Wir dürfen nicht zulassen, das sie deinen Geist vergiftet. OSVALD Wir dürfen nicht zulassen, das sie meinen Geist vergiftet. REGINE Lass und abreisen! Lass uns gleich losfahren. Paris, unser Paradies! REGINE und OSVALD Paris, unser Paradies. Lass uns im Paradies leben. Mahlen und schreiben, arbeiten und vögeln. Lass uns fahren! Lass uns als Künstler leben in Paris! In Paris: lass uns als Künstler leben.
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SZENE 5a (Ciaccona, quasi marcia) AUF DER BüHNE: REGINE, JOHANNE, HELENE, DIE JUNGE HELENE, OSVALD ALVING, JACOB ENGSTRAND, GABRIEL, OSVALD ALS KIND, CHOR (Die Leute kommentieren.) CHOR Das Geheimnis. Das Geheimnis. Die Wahrheit. Die Wahrheit. Deine Pflicht. Deine Pflicht. Deine Pflicht. Deine Pflicht. Die Wahrheit. Die Wahrheit. Das Geheimnis. Das Geheimnis. Versuchung. Versuchung. Fremdgehen. Fremdgehen. Begierde. Begierde. Fremdgehen. Versuchung. Küss mich! Nimm mich! Lieb mich! Oh Gott! Oh Gott! Lieb mich! Nimm mich! Küss mich! Die heilige Ehe. Die Fasade. Gewissen. (Regine kommt in das Wohnzimmer mit Engstrand herein, sie sind mitten in einem Gespräch.) REGINE Vergiss es, vergiss es, Vater! Vergiss es, vergiss es, Vater! CHOR Das Geheimnis. Das Geheimnis. Die Wahrheit. Die Wahrheit. Deine Pflicht. Deine Pflicht. Deine Pflicht. Die Wahrheit. Die Wahrheit. Das Geheimnis. REGINE Ich werde nie mit dir nach Hause gehen! Du bist ein… pied de mouton! Du warst immer betrunken pied de mouton! und gemein zu der armen Mamma und zu mir, und zu mir. Fi donc! Fi donc! JACOB Das war damals, jetzt ist jetzt. Ich bin dabei, ein neuer und besserer Mensch zu werden. Ein besserer Mensch! Gib deinem Vater eine Chance! Mit den Ersparnissen werde ich ein Hotel kaufen. Dort wirst du wie eine Königin leben! CHOR Das Geheimnis. Versuchung. Fremdgehen. Fremdgehen. Begierde. Begierde. Begierde. Fremdgehen. Versuchung. Küss mich! Nimm mich! Lieb mich! Oh Gott! Oh Gott! Täuschung! Täuschung! REGINE (sarkastisch) Das selbe königliche Leben, das meine Mutter hatte? CHOR Lieb mich! Oh Gott! Oh Gott! Lieb mich! Nimm mich! Täuschung! (Es klopft an der Tür. Regine öffnet. Gabriel Manders tritt ein. Regine hilft ihm aus dem Mantel.) Die hellige Ehe. CHOR Die Fasade. Gewissen. Gewissen. JACOB (Zweideutig) Ah, ja, natürlich auch Gabriel Manders, Manders ist da. Seite 13 von 33
GABRIEL Der Tod ist hier. Der Tod ist hier lange zwischen den Wänden umhergeschlichen, um uns das Schönste zu nehmen. JACOB Weder der Prophet, der Herrgott, der Teufel noch tausend kluge Menschen haben die letzte Macht über den Tod. (Greift Regine) Herr Manders, sagen Sie ihr, dass ich ein besserer Mensch geworden bin! Helfen Sie mir, meine liebe Tochter zu überzeugen, zu mir nach Hause zu kommen. GABRIEL (Zögernd) Eigentlich ist eine Tochter ja schon verpflichtet, sich um ihren Vater zu kümmern. REGINE Zu ihm nach Hause? Zu ihm nach Hause? Niemals! Niemals! Ihr werdet sehen! Ihr werdet sehen! Ich habe große Pläne. Ich habe große Pläne. Die Liebe wartet auf mich. Die Liebe wartet auf mich. Magnifique! Magnifique! Die Liebe wartet auf mich. REGINE Bientôt! Bientôt! Bientôt! Bientôt! JACOB Wenn man eine Seite eines Dreiecks entfernt, bleibt nur ein offener Winkel übrig. REGINE Magnifique! Bientôt! Die Liebe wartet auf mich. (Verläßt das Zimmer.) GABRIEL Wovon sprechen Sie, Herr Engstrand? JACOB ENGSTRAND Unsere ärgsten Feinde sind wir selbst. GABRIEL Ich habe doch nichts Falsches getan! Ich bin derjenige, der die Geheimnisse anderer Menschen verborgen in seinem Herzen zu tragen hat. JACOB (Lacht) Aber ich weiß dies und jenes über Sie (verschlagen) und Helene... und Erik. GABRIEL Wer ungerührt die Leiden anderer sehen kann, ist wirklich verloren. JACOB ENGSTRAND Ich bin zumindest ehrlich. Was du siehst, ist, was du bekommst. Auf Wiedersehen. (Er geht. Gabriel bleibt allein zurück, verwirrt. Helene kommt herein.)
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SZENE 5b (Fantasia) AUF DER BüHNE: HELENE, DIE JUNGE HELENE, OSVALD, GABRIEL HELENE Gabriel! Gabriel! Wie schön, dass du gekommen bist. GABRIEL Man kann sich nie daran gewöhnen, alte Freunde zu begraben. HELENE und GABRIEL Erik fehlt uns allen sehr. Erik fehlt uns allen sehr. (Osvald ist während des Gesprächs hereingekommen. Helene Alving bemerkt ihn. Gleichzeitig schleicht Osvald-als-Kind hinter Helene und versteckt sich hinter ihr. Die Junge Helene kommt herein und sucht nach ihrem Sohn.) DIE JUNGE HELENE (Sucht Osvald-als-Kind im Zimmer.) Osvald? Osvald? Wo bist du? Wo bist du? Wenn du Mamma lieb hast, zeig dich. Möchtest du, dass Mamma wieder traurig wird? HELENE Osvald! (Eilt zu Osvald und umarmt ihn.) Osvald, es ist so schön, dass du nach Hause gekommen bist. (Die Junge Helene entdeckt Osvald-als-Kind, und umarmt ihn. Osvald befreit sich von ihr und erschaudert. Osvald-als-Kind macht dasselbe.) OSVALD Pastor Manders. GABRIEL (Zu Osvald) Mein Beileid. Mein Beileid. HELENE (Zu Gabriel) Ist er nicht großartig? DIE JUNGE HELENE (Zu Gabriel) Ist er nicht großartig? GABRIEL Zu Hause bei Mutti. Das ist doch schön. Sie sind früh in die Welt gegangen. OSVALD Ich musste weg. HELENE Du hast uns gefehlt, als du fort bist! Seite 15 von 33
OSVALD Hier wurde es viel zu eng. Hier wurde es viel zu eng. (Macht eine Geste, das Zimmer zu verlassen, und geht hinaus.) HELENE und DIE JUNGE HELENE Er hat Recht. Es ist eng hier. Fäulnisverrottet; verborgen und totgeschwiegen. Geheimnisse und Lügen. GABRIEL Was meinst du damit Helene? HELENE Muss ich dich wirklich daran erinnern, an damals… GABRIEL Damals, als du mich aufgesucht hast, als du deinen Mann verlassen wolltest? Du wolltest mit mir zusammen sein? HELENE und DIE JUNGE HELENE Weil wir zusammen waren! GABRIEL Mit dem nötigen Anstand, Helene. Du hast damals behauptet, Erik wäre dir untreu, aber du bist diejenige, die ihn betrogen hat! HELENE und DIE JUNGE HELENE Gabriel! Gabriel! Ich liebe dich doch! Ich konnte Erik nie lieben, weil ich dich geliebt habe! GABRIEL Geliebt!? Welches Recht haben wir Menschen, Glück einzufordern? HELENE Hast du vergessen, wie wir einander in den Armen lagen, einander die Zukunft versprachen. DIE JUNGE HELENE Hast du vergessen, wie wir einander in den Armen lagen? GABRIEL Unsinn! Eine Lüge! HELENE Bei der ersten Morgenlicht hast du mich vor die Tür gesetzt. DIE JUNGE HELENE Ich kann Rechenschaft ablegen über jede Träne! GABRIEL Das ist nie passiert! Ich habe dich sofort nach Hause geschickt zu deinem Mann. HELENE Du lügst! DIE JUNGE HELENE Du lügst!
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GABRIEL Wir haben einander nichts mehr zu sagen! (Will das Wohnzimmer verlassen.) (Die Junge Helene verlässt die Bühne.) HELENE Verzeih mir. Verzeih mir. Es ist nicht mehr wichtig. GABRIEL Du hast mir keine Wahl gelassen als hart zu sein! HELENE Deine Freundschaft ist mir wichtiger. GABRIEL Ich danke meinem Schöpfer, dass ich es geschafft habe, nein zu sagen. Gott hat mich recht geleitet. Erik hat dir gegenüber all die Jahre Liebe und Nachsicht walten lassen. HELENE Du weißt nichts! Meine Pflichten! Pah! Dein Ruf! Und die Gerüchte, Gabriel! Uns war die Fassade immer wichtiger als die Wahrheit. HELENE Dir ist schon klar, schon klar, dass ich es weiß? GABRIEL Ich habe euch beide, lieb gehabt. Ich habe euch beide, lieb gehabt. HELENE Du hast Erik geliebt, nicht mich. GABRIEL Ich, ich habe… Nur als euer beider Freund konnte ich meine Verbindung zu Erik aufrecht erhalten. (Schmerzhafte Einsicht) HELENE Dein geliebter Erik wurde rücksichtslos und gemein, boshaft und herzlos. GABRIEL Dir gegenüber? Das glaube ich nicht! HELENE Ich bin auch gemein geworden. Man wird so, wenn man so lebt. Aus Angst vor dem Alleinsein, habe ich über all seine Ausschweifungen hinweggesehen, aber dann… aber dann sah ich ihn und Johanne! Das war der Tropfen… Nach außen blieb alles gleich, die Fassade, die Fassade aufrecht. Niemand hat was gemerkt, niemand hat was gewusst. Bis heute. Osvald brauchte nie zu erfahren, was für Eltern er hatte. Es gab da etwas, ein Geheimnis… GABRIEL Ein Geheimnis? Ein Geheimnis? HELENE Ein Wort von mir und Erik wäre dafür sofort ins Gefängnis gekommen. Ein Wort von mir und Erik wäre dafür sofort ins Gefängnis gekommen. Und da hatte ich ihn! Und da hatte ich ihn! Seite 17 von 33
GABRIEL Ein Geheimnis? Ein Geheimnis? HELENE Jetzt ist es vorbei. Er ist tot. Er ist tot. Er ist tot. GABRIEL Aber jetzt ist es vorbei. Jetzt ist er tot. Er ist tot. Er ist tot.
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SZENE 5c (Serenata e Danza) AUF DER BüHNE: REGINE, JOHANNE, HELENE, DIE JUNGE HELENE, GABRIEL (Die Türen öffnen sich. Johanne und Erik, Regine und Osvald tanzen, flirten und lachen.) REGINE und JOHANNE (Quietscht und lacht) Du bist verrückt! Du bist verrückt! Was machst du? Nicht hier! Nicht hier! Lass mich los! Helene kann uns ertappen. Helene kann uns ertappen! HELENE (Müde) Gespenster. Ich sehe Gespenster! GABRIEL Regine? Osvald? Regine und Osvald? Regine! Jetzt, wo ihr Vater sie mit zu sich nehmen will. HELENE Engstrand? Er war nie ein Vater für sie. Ein sich selbst bemitleidender, gewalttätiger Trunkenbold! Johanne wurde schwanger. Erik konnte es nicht leugnen. Sie hat eine traurige Geschichte erfunden. Dann hat sie Engstrand geheiratet. Die beiden wurden dafür gut bezahlt. Ich habe Osvald sein ganzes Leben angelogen. Ich werde ihnen sagen: Heiratet, wenn ihr wollt. Heiratet, wenn ihr wollt. Hauptsache, ihr seid glücklich. GABRIEL Die heilige Ehe! Sie können doch nicht heiraten! HELENE Ich habe auch mein ganzes Leben auf Lügen aufgebaut. GABRIEL Du hast Erik geliebt. HELEN Ich kannte Erik nicht! Ich kannte Erik nicht! Es hätte alles anders sein können. Ich hätte nur dich vergessen müssen! Über dich hinweg kommen! GABRIEL Du hast das Richtige getan und bist bei ihm geblieben. Als du zu mir gekommen bist in jener Nacht: Küss mich! Nimm mich! Lieb mich! Es war der größte Sieg meines Lebens! Ich habe mich selbst überwunden. HELENE Du hast die Liebe und die Wahrheit getötet. GABRIEL Ich kenne die Wahrheit. Ich habe mir nichts vorzuwerfen. (Sie umarmen sich.) HELENE Du hast die Liebe und die Wahrheit getötet. GABRIEL Ich kenne die Wahrheit. Ich habe mir nichts vorzuwerfen. Seite 19 von 33
HELENE und GABRIEL Lass uns das Vergangene vergessen. Lass uns das Vergangene vergessen. Lass uns das Vergangene vergessen. HELENE Du hast die Liebe und die Wahrheit getötet. GABRIEL Ich kenne die Wahrheit. Ich habe mir nichts vorzuwerfen. HELENE und GABRIEL Lass uns das Vergangene vergessen. Lass uns das Vergangene vergessen.
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SZENE 5d (Canone) AUF DER BüHNE: JOHANNE, JACOB, GABRIEL (Gabriel verläßt das Zimmer und trifft auf Engstrand, der draußen gestanden und alles belauscht hat. Man hört die Stimme von Johanne noch bevor sie selbst zu sehen ist. JOHANNE Niemand weiß. Niemand weiß. Niemand weiß, was du gemacht hast. Niemand weiß. Niemand weiß. Niemand weiß, was du gemacht hast. JACOB Gewissen hat einen geduldigen Magen. Es verdaut Geheimnisse und Versuchungen gleichermaßen. GABRIEL Wie sieht es eigentlich mit Ihrem Gewissen aus? JACOB Gewissen hat einen geduldigen Magen. Es verdaut Geheimnisse und Versuchungen gleichermaßen. JOHANNE Niemand will. Niemand will es mit meinen Augen sehen. JACOB Das Gewissen schweigt mit der richtigen Einstellung zur Wahrheit. Es liegt in meiner Macht, über die Wahrheit zu richten, wie fühlt es sich an, aus Liebe um die Ehre eines schlechten Menschen zu weinen? JOHANNE Niemand will es mit meinen Augen sehen. GABRIEL Du, du, du eiskalter Zuhälter! Ein verkommener Mensch ohne Moral. (Gabriel Manders geht, Jacob Engstrand bleibt stehen und lächelt zufrieden. Johanne tritt aus dem Schatten hervor.) JACOB ENGSTRAND Ha-ha-ha! Ha-ha-ha-haa! Ah, wie doch der Tag dem Propheten entgegen lächelt, der Zweifel streut. (Johanne konfrontiert Engstrand, stellt sich vor ihn und versucht, ihn zu zwingen, sie anzusehen.) JOHANNE Du hast mir alles genommen, die Zeit zerrissen! Du hast das Licht ausgelöscht, und die Finsternis entfacht. Du hast das Universum aus der Bahn geworfen! Hier an der Grenze des Lebens, tanzen die Toten zwischen uns. Wie kannst du hier ungerührt stehen und lächeln? JACOB ENGSTRAND (Geht einfach von Johanne weg. Hat gute Laune und ist zufrieden mit sich.) Gelassen lehne ich mich an eine Reihe von Morgen, denn Fortschritt heißt vergessen. Ich kann ohne Unschuld leben, weil: dem stärksten Mann der Zeit gehört die Welt. Seite 21 von 33
JOHANNE Die Räder der Gerechtigkeit ändern nie ihren Kurs. Ich gehe Hand in Hand mit den beiden Dämonen “Vergebens” und “Zuspät”. Jetzt bin ich niemand, und niemand verdient ein bedeutungsloses Leben.
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SZENE 6 (Trauermusik) AUF DER BüHNE: JOHANNE, HELENE, DIE JUNGE HELENE, ERIK (Helene Alving geht in den Flur und beginnt Eriks Garderobe auf den Boden zu werfen. Sie findet eine Tragetasche und stopft die Kleider hinein. Hysterisch räumt sie alles weg, was an Erik erinnert. Johanne im Dunkeln. Ein Trauerzug zieht vorüber. Inzwischen holt Erik seine Garderobe aus der Tragetasche, und räumt sie wieder ein.) CHOR (Trauerzug) Er ist tot, er ist tot. Jetzt bist du allein. Die Besten sterben zuerst. So unglaublich traurig! Du Arme! Die Liebe deines Lebens ist tot! Tot. Jetzt bist du allein. Er ist tot! Er ist tot. HELENE Also hast du mich für immer verlassen, Erik. Es gibt so viel, das ich dir noch sagen wollte. ERIK ALVING Helene. Helene. HELENE Erik! Kannst du mir vergeben? Ich hätte dich lieben können, wenn nur… ERIK (Zur Jungen Helene.) Helene? Du bist die Liebe meines Lebens! Ich liebe dich. DIE JUNGE HELENE Du liebst alle anderen, mich nicht. JOHANNE (Verletzt. Zu Erik.) Du hast gesagt, dass du mich liebst. DIE JUNGE HELENE Du verlangst von mir eine Freizügigkeit, die ich nicht habe. ERIK (Zu Jungen Helene.) Ich liebe nur dich, aber du bist kalt und abweisend. Es gibt keinen Platz für mich in deinem untadeligen Leben. JOHANNE In meinem Leben ist Platz für dich. (Versteht, dass er sie nicht hört, und verschwindet im Hintergrund.) ERIK (Greift die Junge Helene und begrapscht sie heftig.) Helene! Bleib bei mir! Lebensfreude hebt den Geist. DIE JUNGE HELENE Ich täusche keine Liebe vor. Du hast nie jemanden geliebt außer dir selbst. (Entkommt ihm.) Du hast dein Leben. Ich habe meins.
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HELENE Wir haben einander all die Jahre gequält! Erst jetzt verstehe ich, dass Liebe der Grund war, dass Liebe der Grund war. Hätte ich nur gewagt, dich zu lieben. Nur wo zwei zusammen sind, gesellen sich Freude und Glück dazu. Aber ich habe an meiner alten, verkümmerten und verkrusteten Liebe zu einem anderen fest gehalten. DIE JUNGE HELENE Du hast dein Leben. Ich habe meins. HELENE Er wollte mich nicht einmal haben. Wie dumm! Bitter. Erik! Ich habe dich dennoch geliebt. Zu Spät! Zu Spät! ERIK Ich warte und leide, in Wein und fremder Liebe ertränke ich die Traurigkeit. HELENE Ich sende diesen Wunsch durch Raum und Zeit: Kannst du mir verzeihn? Kannst du mir verzeihn? ERIK Ich gebe mich dem tröstenden Wahnsinn hin. HELENE Kannst du mir verzeihn? ERIK Die Tage vergehen. Ich wende Ebbe und Flut und töte meinen Stolz für dich. CHOR Er ist tot. Er ist tot, er ist tot! ERIK Ich habe dir die Erde, die Sonne, und die Sterne geschenkt. Trotzdem ist es nie genug. Bis ans Ende meiner Tage wird es eine „du-geformte“ Leere in meinem Herzen geben. DIE JUNGE HELENE (Grunzt, zwinkert vielsagend mit den Augen und verlässt das Zimmer.) ERIK (Schaut ihr verloren nach, bricht auf dem Boden zusammen und weint.) Sie wird mich nie lieben! HELENE (Versucht, Erik zu umarmen und zu trösten, aber es ist nicht möglich, ihn zu erreichen.) CHOR Jetzt bist du allein. Er ist tot! Er ist tot. CHOR Er ist tot. Er ist tot. Frei, aber einsam.
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HELENE Ich liebe dich jetzt! Die Sünde meines Lebens war, die Liebe getötet zu haben. Jetzt hast du mich für immer verlassen. Die Freiheit interessiert mich nicht! Wofür wäre sie gut? Ich bin frei, aber einsam. CHOR Frei, aber einsam. ERIK Sie wird mich nie lieben! HELENE Heute Nacht werde ich schreien, werde ich schreien so lange wie ich kann. ERIK Sie wird mich nie lieben! HELENE Schreien so lange wie ich kann. (Bricht zusammen und weint.) CHOR Frei, aber einsam.
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SZENE 7a (Lament) AUF DER BüHNE: HELENE, REGINE, OSVALD (Osvald sitzt an einem Tisch und trinkt Wein direkt aus der Flasche. Helene steht draußen vor der Tür und bereitet sich vor. Sie hat geweint, wischt die Tränen ab, macht ihre Haare, versucht einen passenden Gesichtsausdruck zu finden. Sie greift drei Weingläser und geht ins Zimmer, nimmt die Weinflasche von Osvald und gießt Wein in zwei der Gläser. Helene betrachtet das dritte, leere Glas eine Weile, bevor sie sich ihrem Sohn zuwendet. Sie streichelt seinen Rücken, berührt seine Stirn und kümmert sich um ihn, als wäre er ein Kind. Sie spürt, dass er Fieber hat. Osvald schüttelt die Berührung seiner Mutter ab. Draußen ist es regnerisch und neblig.) OSVALD Ich bin todmüde. Etwas in mir ist zerbrochen. Ich werde nie mehr arbeiten können! Jetzt bin ich eine Art lebender Toter, ein Gespenst. Die Kraft ist weg. Grausame Schmerzen! Wie ein Eisenring! Ich werde wie gelähmt und kann nicht denken. Die Anfälle kommen und gehen. Der Arzt kann nichts tun. (Er denkt nach, trinkt.) Der ständige Regen. Der ständige Regen. Tag für Tag, Jahr für Jahr. Nur Regen und Nebel. (Abrupt ändert sich seine Stimmung.) Regine! (Nachdenklich.) Sie ist wunderschön! Sie kann meine Rettung werden. Ihr Licht kann meine Finsternis aufwiegen. Mit ihr kann ich vergessen… (Plötzlich.) Nein, ich kann nicht hier bleiben! Ich halte es nicht aus. Hier bei dir ist nur Angst zu Hause. Angst zu Hause. Diese Angst, sie bringt noch den stärksten zu Fall. HELENE Ist es, ist es meine Schuld, dass du Angst hast? Meine Schuld, dass du Angst hast? OSVALD Ich komme nicht los von hier. Ich komme nicht los von hier und hier kommt niemand rein. (Er legt seine Hand auf sein Herz, füllt das Glas nochmals und trinkt.) HELENE Du solltest nicht so viel trinken. OSVALD Alkohol ist das einzige, das die Angst dämpft. Er lindert die Schmerzen. Das tut Regine auch! HELENE Osvald, nein. OSVALD Diese wunderbar einmalige Frau! HELENE Osvald, nein. OSVALD Ich. Ha! Ich pfeife auf dich!
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HELENE Wie kannst du mir böse sein? OSVALD Nicht nur dir, sondern auch der Angst und meiner eigenen Wut. Alles ist unmöglich, unmöglich! HELENE Regine, Regine! Komm bitte her! Wir müssen miteinander reden.
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SZENE 7b AUF DER BüHNE: REGINE, JOHANNE, OSVALD, JACOB (Regine kommt herein, Osvald steht auf, umarmt sie und wirbelt sie herum. Sie setzen sich an den Tisch, Osvald zieht Regine zu sich auf den Schoß. Helene gießt Wein in ihr Glas.) HELENE Alle drei. OSVALD (Mit seltsamer Laune) Zum Wohl, Regine! Wenn der Tag kommt, an dem ich Hilfe brauche, möchte ich, dass du da bist. REGINE Ich werde dir helfen, wasimmer du brauchst. Mein Liebster.. (Liebkost ihn ganz offen.) HELENE (Lächelt anstrengt.) Prost, auf euch! REGINE Á votre santé! OSVALD Worüber lachst du, Mutter? HELENE Als Erik in deinem Alter war, hatte er auch solche Freude am Leben. Aber ich habe ihm nie Freude bereitet. Ich war zu sehr mit dir beschäftigt. Wir haben eine glückliche Ehe nur vorgegaukelt. Ich bot ihm ein trauriges Zuhause. Dein Vater – OSVALD (Unterbricht sie, mit aufsteigender Wut schiebt er Regine weg und steht auf. Regine versucht, ihn zu beruhigen.) Ich habe nie einen Vater gehabt! Oder eine Mutter, wenn wir schon dabei sind. Die Erinnerungen machen mich krank. Wenn ich mich erinnere, wird mir schlecht. HELENE Aber Osvald? Wir haben immer über alles reden können. Hasst du mich so sehr? OSVALD Ich erinnere mich genug, um dich zu hassen, und habe genug vergessen, um nicht eine Mutter zu vermissen. HELENE Das Herz eine Mutter trägt die Verantwortung für alles. Das Herz eine Mutter trägt die Verantwortung für alles. OSVALD Da Herz eine Mutter ist eine Todesfalle, der man entkommen muss.
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HELENE (Verletzt und frustriert, fühlt plötzlich das Bedürfnis zu bestrafen.) Regine, Regine soll es erfahren! REGINE Ich? Je? Was soll ich erfahren? OSVALD Nur Lügen. REGINE Ich? Je? Was soll ich erfahren? HELENE Das hier ist genauso dein Zuhause wie das unsere. Du gehörst hierher genau wie Osvald. REGINE Quel? Was sagst du da? Quel? Was sagst du da? HELENE Jacob Engstrand ist nicht dein Vater, ist nichts dein vater. Jetzt wisst ihr es beide. REGINE Meine Mutter!? Meine Mutter war also eine verdammte Hure? Putain! OSVALD Regine? Regine?! Vater?! Regine? Regine?! Vater?! REGINE Meine Mutter!? Meine Mutter war also eine verdammte Hure? Putain! OSVALD Regine? Regine?! Vater?! Regine? Regine?! Vater?! HELENE Jetzt wisst ihr es beide. Jetzt wisst ihr es beide. Jetzt wisst ihr es beide. Deine Mutter war ein guter Mensch. Gedankenlos und jung, aber gut. REGINE (Verbittert) Ich gehe, ich gehe für immer fort. OSVALD Aber du musst doch bei mir bleiben! REGINE Ich hatte die stille Hoffnung, dass wir zusammengehören. Das ist jetzt unmöglich. In Scherben liegen alle Hoffnungen und Träume! OSVALD Geh nicht! Geh nicht! REGINE Ich werde mein Leben nicht in diesem Geisterhaus vergeuden.
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OSVALD Niemand muss davon etwas erfahren. Geh nicht! Wir können trotzdem heiraten. REGINE Du bist echt krank, du! Malade! Malade! Ich liebe mein Leben viel zu sehr, um meinen Bruder heiraten. Bist du verrückt? Bist du verrückt? HELENE Pass auf dich auf. Versprich es mir. Du hast immer ein Zuhause hier bei mir. OSVALD Geh nicht! Bleib bei mir! Geh nicht! Bleib bei mir! REGINE Du hättest mich mich besser behandeln können all die Jahre, Helene. Ich war trotz allem das Kind eines betuchten Mannes. OSVALD Geh nicht! Bleib bei mir! Geh nicht! Bleib bei mir! REGINE Lieber gehe ich in Engstrands Hotel als hier zu bleiben. Ein armes Mädchen sollte, ein armes Mädchen sollte, sollte, ihre Jugend, hi-hi-hi-hi, nutzen. Ich muss meine Jugend nutzen! Adieu!
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SZENE 7c (Sarabande) AUF DER BüHNE: HELENE, OSVALD, CHOR [hinter der Bühne] CHOR Gib mir die Sonne. Gib mir die Sonne. OSVALD Alles ist zerstört. Alles sollte Brennen! Ich auch! Sonst bleibe ich hier zurück, als ein lebendiger Toter in ihrem Mutterleib, gefangen in den Sünden der Eltern. CHOR Gib mir die Sonne. Gib mir die Sonne. Sonne. OSVALD Die Angst ist mein ständiger Begleiter. HELENE Ich habe mein Leben für dich geopfert! Meine Freiheit. Die Liebe. Die Möglichkeiten. Für dich! Alles was ich getan habe, habe ich für dich getan! CHOR Sonne. Sonne. Sonne. HELENE Aber ich liebe dich, Osvald! OSVALD Du kannst niemanden lieben! Nicht einmal dich selbst! Wir anderen sind nur Statisten in der Tragödie, die du dein Leben nennst. HELENE Kannst du mir verzeihn, was ich dir angetan habe. Du kannst meiner Liebe nicht entgehen! (Beide sind erschöpft.) CHOR Gib mir die Sonne. Gib mir die Sonne. Sonne. OSVALD Ist es schon Morgen? HELENE Draußen wird es hell und es regnet nicht mehr. Heute werden wir die Sonne sehen. Du wirst bald wieder gesund sein. CHOR Gib mir die Sonne. Gib mir die Sonne. Sonne. OSVALD (Eiskalt, mit hasserfüllter Genugtuung.) Der Arzt sagt, dass ich eine Erbkrankheit habe. Ich war schon im Mutterleib krank. Der nächste Anfall wird tödlich sein. CHOR Der Arzt. Ich, ich, ich Erbkrankheit. Gib mir die Sonne. Seite 31 von 33
HELENE Wie furchtbar! OSVALD Diese unselige Krankheit wird mich verändern. Ich werde hilflos wie ein Säugling und Pflege brauchen, bis ich endlich krepiere. Ich habe keine Angst zu sterben, aber ich würde so gerne leben! CHOR Gib mir die Sonne. Gib mir die Sonne. Sonne. HELENE Ja, Osvald, du wirst leben! Ich werde für immer bei dir bleiben. OSVALD Es gibt keine Medikamente. Abgesehen von diesen… (Nimmt eine Schachtel aus der Brusttasche.) …Fentanyl. HELENE Osvald. Gib mir die Schachtel. OSVALD Ich dachte, Regine würde mir helfen. Jetzt wird es deine Aufgabe sein. HELENE Du verlässt mich nicht noch einmal! OSVALD Deine Aufgabe. Deine! HELENE Wenn es dazu kommt, folge ich dir! Ich kann nicht allein sein, ohne dich bin ich niemand. Du bist mein Leben. Wenn du gehst, folge ich dir. OSVALD Mutter, meinst du das ernst? Ist das ein Versprechen? Haben wir einen Pakt? HELENE Ja, mein Sohn. Wir haben einen Pakt. (Die Morgendämmerung bricht durch das Fenster.) Besser jetzt, Osvald? OSVALD Ja. Die Angst ist weg. HELENE Mein armer geplagter Junge. Ich werde auf dich aufpassen, wie damals, als du klein warst. Ich liebe dich. OSVALD Mutter? HELENE Ja. Seite 32 von 33
CHOR Die Angst is weg. OSVALD Mutter, gibt mir die Sonne. (Osvald bricht in einem Anfall auf dem Boden zusammen. Helene stürzt zu ihm und hält ihn fest.) HELENE Was sagt du? OSVALD Du wirst mir die Sonne geben. HELENE Osvald? Osvald? Osvald? Schau mich an? Osvald? OSVALD Die Sonne. CHOR Gib mir die Sonne. Gib mir die Sonne. Die Sonne. OSVALD (Lächelt, sonst ausdruckslos.) He-he-he-he. Mutter. Du musst mir jetzt die Sonne geben. HELENE Osvald? Osvald. CHOR Gib mir die Sonne. Gib mir die Sonne. Die Sonne. (Helene sitzt zuerst ganz still und umarmt Osvald. Dann sucht sie die Schachtel mit den Tabletten. Sie findet sie, holt ein Glas Wein vom Tisch, setzt sich und legt Osvalds Kopf in ihren Schoß. Sie füttert ihn mit der Hälfte der Tabletten und gibt ihm Wein. Er öffnet den Mund und schluckt gehorsam. Sie hält den Rest der Tabletten in ihrer Hand, dann schluckt sie sie selbst.) OSVALD Die Sonne.
Vorhang.
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