1 Herz und Stress Christoph Haurand
Herz-Kreislauferkrankungen spielen bei der Betrachtung der Auswirkungen von Stress eine besondere Rolle. Der Herzmuskel als Pumpe und Antrieb unseres Herz-Kreislaufsystems ist durch vielfältige neurohumorale Mechanismen ein unmittelbares Zielorgan. Die Wirkung von äußeren Stressoren verursacht über sympathoadrenerge Reflexbögen eine Änderung der Herzfrequenz und des Blutdrucks: physiologische Parameter, die für den Betroffenen direkt spür-, erfahr- und messbar werden. Das eigene Herz im Kontext mit negativem Stress zu erleben, ist unangenehm und für die meisten Betroffenen ein einschneidendes und einprägsames Erlebnis. Herz-Kreislauferkrankungen stellen unangefochten seit Jahrzehnten die Haupttodesursache dar. Die Arteriosklerose als Ursache für den Herzinfarkt und die Notwendigkeit, bei einem Herzinfarkt schnell und standardisiert zu handeln, sind im Wissen der Bevölkerung Westeuropas tief verankert. Eine umfassende mediale Betrachtung des Themas macht aus allen Patienten potenzielle Spezialisten, sodass bei Symptomen, die auf das Herz fokussieren, sofort eine „Verdachtsdiagnose“ mit entsprechenden Gefahren und möglichen therapeutischen Notwendigkeiten präsent ist.
1.1
Physiologische, pathophysiologische Grundlagen
Das Herz als muskuläres Hohlorgan ist in der Lage, unter Ruhebedingungen ein Herzzeitvolumen von 4–5 l/min zu fördern. Diese Ruheleistung ist um den Faktor 6 zu steigern, um sich an wechselnde Anforderungen anzupassen. Bei entsprechendem Training kann eine Steigerung um den Faktor 10 erzielt werden. Diese ausgeprägte Variabilität wird über eine Steigerung der Herzfre-
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quenz und über eine Steigerung der Blutmenge/Schlag ermöglicht. Hauptanteil an der Steuerung hat das vegetative Nervensystem mit den Transmittern Adrenalin und Acetylcholin.
Die Adrenalinwirkung wird über eine Aktivierung der Beta-1-Adrenozeptoren des Herzens vermittelt. Es resultiert eine Erhöhung der Herzfrequenz (positiv chronotrope Wirkung), eine beschleunigte Erregungsleitung (positiv dromotrope Wirkung) und eine Steigerung der Kontraktilität, also der Muskelkraft (positiv inotrope Wirkung). In der Summe wird die Herzleistung gesteigert.
Alphaadrenozeptoren, die ebenfalls die Adrenalinwirkung weitervermitteln, sind im Bereich der glatten Gefäßmuskulatur lokalisiert. Eine Aktivierung dieser Rezeptoren bewirkt eine Konstriktion der kleinen Gefäße, die den Blutdruckanstieg potenziert. Wichtigste Grundvoraussetzung für das Funktionieren dieses komplexen Systems ist eine ausreichende Durchblutung des Herzmuskels.
Hauptrisikofaktoren der koronaren Herzkrankheit sind Nikotinabusus, Bluthochdruck, Diabetes mellitus, eine Fettstoffwechselstörung mit einer LDL Cholesterinerhöhung und die Depression. Man kann Teile der Risikofaktoren auch als metabolisches Syndrom zusammenfassen (Quartett aus Adipositas Fettstoffwechselstörung, Bluthochdruck und verminderter Glukosetoleranz), wodurch ein Fortschreiten der Arteriosklerose exponentiell beschleunigt wird.
Gesundheitsschädliches Verhalten meint Verhaltensweisen, bei denen die potenziell beeinflussbaren Risikofaktoren wie Rauchen, Übergewicht, Bewegungsmangel und ungesunde Ernährung in besonderem Maße „gefördert“ werden. Stress führt häufig zu einer Verstärkung dieses gesundheitsschädlichen Verhaltens, sodass ein Fortschreiten des Prozesses der Arteriosklerose begünstigt wird.
Metabolisches Syndrom Aus diesem Lebensstil heraus entwickelt sich nicht selten das metabolische Syndrom. Mit einer geschätzten Häufigkeit von 12 Mio. Menschen in Deutschland ist es einer der Hauptrisikofaktoren für ein rasches Fortschreiten der Arteriosklerose.
Das m metabolische Syndrom definiert sich aus dem Vorhandensein von abdomineller i ll Fettleibigkeit (Taillenumfang bei Männern größer 94 cm, bei Frauen größer 80 cm) und aus zwei der folgenden vier Faktoren: Blutdruck von 130/85 mmHg und mehr Triglyceridwerten über 150 mg/dl HDL Cholesterin unter 40 mg/dl bei Männern und unter 50 mg/dl bei Frauen Nüchternglukose ab 100 mg/dl oder bereits vorhandener Diabetes mellitus
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1.2 Brustschmerz
Grundlage für diesen Symptomenkomplex stellen die hyperkalorische Ernährung und eine mangelnde Bewegung dar. Die kompensatorische Hyperinsulinämie führt sehr schnell zur Insulinresistenz und damit zur Entwicklung eines Diabetes mellitus.
1.2
Brustschmerz
Thoraxschmerz und Druckgefühl in der Brust sind häufige stressassoziierte Symptome des Herzens. Führt ein solches Symptom den Betroffenen zum Arzt, so triggert das Leitsymptom Brustschmerz einen nahezu vollautomatisch ablaufenden Diagnosealgorithmus, der den Ausschluss des akuten Myokardinfarktes zum Ziel hat. So vorteilhaft dieses Vorgehen bei einer akuten Durchblutungsstörung des Herzens ist, so groß ist auch der Nachteil, wenn zum wiederholten Male aufgrund eines nicht ischämisch getriggerten Brustschmerzes der gesamte Diagnosealgorithmus Akuter Herzinfarkt durchlaufen wird. Das Herz ist schon immer auch ein sensibles Detektionsinstrument gewesen, welches die momentane innere Stimmung widerspiegelt. So wie es uns im positiven Fall „warm ums Herz wird“ oder das Herz „klopft vor Freude bis zum Hals“, so liegt uns im negativen Fall auch „ein Stein auf der Brust“. Es entstehen Beklemmungsgefühle, die Brust wird eng. Der Patient weiß in der Regel genauso wenig wie der Therapeut, ob die Ursache des momentanen Gefühls eine somatische oder eine psychosomatische Ursache hat. Stress hat hier einen unzweifelhaften Stellenwert. In internationalen Studien wird bei Menschen mit einem belastenden Job, ein 20 Prozent höheres Herzinfarktrisiko gefunden. Der DAK Gesundheitsreport 2012 findet Stress ebenfalls als Risikofaktor für einen akuten Infarkt. Dabei kommt dem Stress in der Arbeitswelt (Umstrukturierungen, ständige Erreichbarkeit, Gratifikation) eine besondere Bedeutung zu. Möglicherweise liegt hier eine Erklärung dafür, dass die Infarktsterblichkeit in den letzten Jahren konstant rückläufig war, die Anzahl der stationären Behandlungen konstant bleibt.
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I Zweifelsfall – und grundsätzlich beim ersten Arzt-Patienten-Kontakt – Im muss m eine Leitlinien-orientierte Ausschlussdiagnostik erfolgen (s. Abb. 1).
Wichtigstes Diagnoseinstrument stellt hier zunächst das 12-Kanal-EKG dar. Gemäß der Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie ist es erklärtes Ziel, ein 12-Kanal-EKG innerhalb von 10 Minuten nach dem ersten medizinischen Kontakt anzufertigen. Mit dieser Maßnahme ist ein sicherer Ausschluss eines ST–Strecken-Hebungsinfarktes möglich. Dieses Vorgehen initiiert aber auch immer einen Handlungsdruck und eine operative Hektik, wie bei einem potenziellen Notfall üblich. Diese Stimmung geht selten am Patienten vorbei und induziert Angst und Unsicherheit. Stimmt das Vertrauensver-
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1 Herz und Stress
hältnis zwischen Arzt und Patient, so kann der Patient das Ergebnis auch glauben und sich „sicher“ fühlen.
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Sicherheit für eine ambulante Betreuung besteht in jedem Fall, wenn der Sicher PPatient ti beschwerdefrei ist, der Brustschmerz durch eine andere Ursache schlüssig zu erklären ist (natürlich gehören die stressinduzierten Brustschmerzen auch zu diesen Ursachen), wenn das EKG unauffällig ist, keine Herzinsuffizienz besteht und der Patient keine synkopalen Ereignisse hatte.
Die weitere kardiologische Betreuung hat ausschließlich die Frage nach einer strukturellen Herzerkrankung zu beantworten. Erforderliche Diagnostik ist eine Echokardiografie und ein Belastungs-Elektrokardiogramm. Bei pathologischen Befunden ergibt sich eine weitere diagnostische Notwendigkeit, die in der Regel in einer Herzkatheteruntersuchung mündet.
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Di DDieser beschriebene Diagnosealgorithmus ist zwingend beim ersten Kontakt zu durchlaufen. Ko
Beim zweiten Arzt-Patienten-Kontakt muss nach bereits erfolgter Ausschlussdiagnostik eine erweiterte Ursachenforschung erfolgen. Dazu gehört die Evaluation
kardialer Notfall
Brustschmerz
Arbeitsdiagnose
akutes Koronarsyndrom
EKG
persistierende ST-Hebung
Biochemie
Diagnose
STEMI
Abb. 1 Ablaufalgorithmus akuter Thoraxschmerz
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ST-Strecken Veränderung
unauffälliges EKG
Troponin Anstieg/Abfall
Troponin normal
NSTEMI
instabile Angina
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1.3 Herzrhythmusstörungen
der psychosozialen Faktoren, die einen Einfluss auf das Krankheitsgeschehen haben könnten. Der Einfluss ist über drei Mechanismen denkbar: 1. Stressepisoden induzieren die Demaskierung vorhandener struktureller Herzerkrankungen, 2. Stress führt direkt (Hypertonie) und über gesundheitsschädigendes Verhalten zu kardiovaskulären Risikofaktoren und 3. es entsteht ein psychosomatischer Leidensdruck. Ein besonderes Augenmerk muss bei der langfristigen Betreuung dieser Patienten auf einer Vermeidung des gesundheitsschädlichen Verhaltens liegen, welches durch Stress in besonderem Maße gefördert wird.
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Ve VVerstärken Sie uneingeschränkt positive Ansätze einer gesunden Lebensführung und motivieren Sie den Patienten diesen Weg weiterzugehen. Das fü Lob des Arztes seines Vertrauens über eine Reduktion des Zigarettenkonsums von 20 auf 10 Zigaretten pro Tag hilft deutlich mehr als der drohende Zeigefinger mit dem Kommentar: „Sie rauchen 10 Zigaretten zuviel.“
In diesem Kontext kommt den Hausärzten eine besondere Bedeutung zu, da die Informationsstränge bei ihnen zusammenlaufen. Die Aussage „Alles in Ordnung“ befreit den Patienten nicht von seinem Leidensdruck und hilft ihm auch nicht zu verstehen, warum thorakaler Schmerz auftritt. Eine umfassende Information des Patienten ist erforderlich.
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GGesprächstechnik Ge Ich nutze gern die Möglichkeit, mit dem Patienten während des Dialogs Ic eine kleine Zeichnung anzufertigen, die den Sachverhalt illustriert. Der Patient kann besser folgen, da die Information sowohl über die Sprache als auch visuell präsentiert wird. Er fühlt sich „mit ins Boot“ genommen. Die knappe Ressource ärztliche Arbeitszeit wird so für den Patienten gewinnbringend investiert.
1.3
Herzrhythmusstörungen
Pathophysiologie Stress induziert eine Ausschüttung zahlreicher Neurotransmitter und Hormone. Adrenalin führt über eine Aktivierung der Beta-Adrenozeptoren des Herzens zu einer gesteigerten Erregbarkeit des Myokards und zu einer Steigerung der Herzfrequenz. In Verbindung mit situativ erhöhtem Blutdruck wird der Herzschlag vom Betroffenen wahrgenommen.
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Pathophysiologisch spielen neben der hormonellen Aktivierung auch Ernährungsgewohnheiten eine Rolle. Man denke an koffeinhaltige Getränke wie Kaffee, grüner und schwarzer Tee und diverse Lifestyle-Drinks. Koffein bewirkt über eine Hemmung der intrazellulären Phosphodiesterase letztendlich eine verlängerte Katecholaminwirkung. Auch Aufputschmittel und Schlafentzug führen zu sympathoadrenerger Aktivierung mit oben beschriebenen Wirkungen. Im Extremfall führt Stress auch zum Konsum stimmungsaufhellender und leistungssteigernder Drogen. Amphetamine mit ihrem prominenten Vertreter dem Methylendioxy-N-methylamphetamin (MDMA/Ecstasy) führen typischerweise zu einer Tachykardie und zu einem Blutdruckanstieg Ähnlich wie beim akuten Thoraxschmerz ist auch hier keine kategorische Entscheidung, ob es sich um harmlose oder potenziell bedrohliche Rhythmusstörungen handelt, möglich. Ausschlussdiagnostik ist erforderlich. Bei stressbedingten Herzrhythmusstörungen liegen im Regelfall keine Symptome vor, die eine notfallmäßige stationäre oder akutmedizinsche Abklärung erforderlich machen.
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Warnhinweise, die eine akutmedizinische Vorstellung erforderlich machen, Warnh sind i d eine plötzliche Bewusstlosigkeit, die immer an bedrohliche ventrikuläre Herzrhythmusstörungen denken lässt, familiäre Belastung durch einen plötzlichen Herztod und das Vorhandensein einer strukturellen Herzerkrankung wie Kardiomyopathien, Klappenfehler oder durchgemachte Myokardinfarkte.
Diagnostisches Vorgehen An erster Stelle steht die Frage nach begleitenden Symptomen. Brustschmerzen, Luftnot oder eine plötzliche Bewusstlosigkeit stellen höchste Alarmsignale dar und sollten Anlass einer umfassenden diagnostischen Klärung sein. Die häufigsten Symptome der harmloseren Stress bedingten Rhythmusstörungen bestehen in Herzstolpern oder längerem Herzrasen. Die zweite Frage ist die nach dem situativen Kontext in dem die Rhythmusstörung auftreten. Treten sie während einer körperlichen Belastung in Erscheinung, ist zunächst an das Vorhandensein einer strukturellen Herzerkrankung zu denken, während sich eine Herzrhythmusstörung unter Ruhebedingungen nicht eindeutig einordnen lässt. Unregelmäßige Herzschläge, die anhaltend sind, sind hochverdächtig auf das Vorliegen eines Vorhofflimmerns. Aufgrund des hohen Risikos eines kardioembolischen Schlaganfalls sollte innerhalb von 48h ein 12-Kanal-EKG angefertigt werden. Im Falle eines positiven Nachweises von Vorhofflimmern hätte dies unmittelbare therapeutische Konsequenzen. Anhand des CHA2DS2-
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1.3 Herzrhythmusstörungen
VASc-Scores ist das individuelle Risiko für einen kardioembolischen Insult abzufragen und eine Antikoagulation einzuleiten.
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CHA2DS2-VASc-Score CHA2D strukturelle Herzerkrankung 1 Punkt t kkt Hypertonie 1 Punkt Alter > 75 Jahre 2 Punkte Diabetes mellitus 1 Punkt durchgemachter Schlaganfall oder TIA 2 Punkte Alter 65-74 1 Punkt weibliches Geschlecht 1 Punkt durchgemachter Herzinfarkt, pAVK 1 Punkt (Einleiten einer Antikoagulation bei > 1 Punkt)
Ähnlich ist ein anhaltendes Herzrasen einzuordnen. Bei fehlender struktureller Herzerkrankung kann eine Herzfrequenz größer 120 Schläge pro Minute über eine lange Zeit toleriert werden. Gefahren wie eine Tachymyopathie, also eine durch den schnellen Herzschlag bedingte Herzschwäche, drohen hier erst mittelfristig. Letztendlich muss bei subjektiv empfundenen Herzrhythmusstörungen eine EKG-Diagnostik betrieben werden. Ist das Ruhe-EKG unauffällig, ist das
subjektiv empfundene Herzrhythmusstörungen
Synkope Präsynkope Schwindel und Sturz Luftnot Brustschmerz bekannte Herzerkrankung hohes individuelles Risikoprofil
umgehende kardiale Diagnostik
anhaltend über Stunden
zeitnahes EKG zur Ausschlussdiagnostik (< 48 h) LZ EKG notwendig
nicht anhaltend
elektive Abklärung
Abb. 2 Ablaufalgorithmus akute/subakute Herzrhythmusstörungen
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1 Herz und Stress
24-Stunden-EKG eine zwingende Konsequenz, da einmal eine sichere Ausschlussdiagnostik angestrebt werden muss (s. Abb. 2).
Häufigste Diagnose ist eine supraventrikuläre oder ventrikuläre Extrasystolie, die unter dem bathmotropen Einfluss der Katecholamine vermehrt auftritt. Physiologisch folgt auf die kurz an einen Normalschlag angekoppelte supraventrikuläre oder ventrikuläre Extrasystole aufgrund der Refraktärzeit des Sinusknotens eine Pause (s. Abb. 3). Diese Pause (verlängerte Diastole) führt zu einer längeren Ventrikelfüllung und damit zu einem im Vergleich zum Normalschlag größeren Blutvolumen im Herzen. Der nächste normale Schlag führt zu einem größeren Herzschlagvolumen und damit zu einer höheren Blutdruckamplitude. Dieser Schlag wird vom Patienten als unangenehmer Pulsschlag wahrgenommen.
Abb. 3 SVES mit verlängerter Diastole nach dem 2. und 6. Schlag
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Da die Extrasystolen neben dem physiologischen Auftreten auch Ausdruck einer i Ischämie oder einer Myokardnarbe sein können, ist einmalige Ausschlussdiagnostik durch Ergometrie und Echokardiografie nötig. Das Ausmaß der Diagnostik sollte an die vorhandenen kardiovaskulären Risikofaktoren mit Augenmaß angepasst werden.
Interessanterweise lässt sich im Rahmen eines Langzeit-EKG auch die Herzfrequenzratenvariabilität mitbestimmen, sodass man ergänzend zur Rhythmusdiagnostik auch einen direkten Messparameter hinsichtlich des „Stresslevels“ des Patienten bekommt (s. Kap. „Herzfrequenzratenvariabilität unter Diagnostik von Stressfolgen“). Supraventrikuläre Extrasystolen als auch anhaltende Rhythmusstörungen können stressbedingt ausgelöst werden. Stress kann aber auch über strukturelle Organveränderungen das Auftreten von Rhythmusstörungen bahnen. Bei repetitiven ventrikulären Herzrhythmusstörungen wie ventrikulären Salven oder sich selbst limitierenden Kammertachykardien spielt Stress nur noch als auslösendes Moment eine Rolle. Hier liegen nahezu immer strukturelle oder genetische Veränderungen vor, die durch weiterführende elektrophysiologische Diagnostik weiter abgeklärt werden müssen.
Therapeutisches Management Natürlich sollte der Versuch einer ursächlichen Behandlung im Vordergrund stehen. Stressbewältigung, das Meiden der einschlägigen oben beschriebe-
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1.4 Hypertonie
nen Noxen und die Aufnahme einer ausdauersportlichen Aktivität stehen hier an erster Stelle. Leider sind die Möglichkeiten einer wirklich kausalen Behandlung oft beschränkt oder nicht möglich. Bei großem individuellem Leidensdruck kann ein Versuch mittels einer Betarezeptorblockade erfolgen. Die Therapie sollte aber nicht vor der zweiten oder dritten Konsultation angesetzt werden, da oft schon die Information über die Harmlosigkeit der Rhythmusstörung einen nicht unerheblichen positiven Effekt hat und sich eine pharmakologische Therapie ganz vermeiden lässt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Patient mit seinem Leidensdruck vom Arzt „abgeholt“ werden muss. Dabei ist zu prüfen, ob Entspannungstechniken, Ausdauersport oder Biofeedback-Verfahren als therapeutische Intervention primär infrage kommen.
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Geling Gelingt dies nicht, ist eine niedrig dosierte Betablockertherapie der erste AAnsatz. t Langwirksamen Substanzen, wie Bisoprolol, sollte der Vorzug gegeben werden. Bei Nebenwirkungen oder primären Kontraindikationen (z.B. Asthma bronchiale) kann auch ein frequenzsenkender Kalziumantagonist gut verwendet werden (z.B. Verapamil ret.). Eine weitere Alternative bei günstigem Nebenwirkungsprofil stellt Ivabradin dar.
1.4
Hypertonie
Die arterielle Hypertonie ist eine der häufigsten Diagnosen in Deutschland. Die Hypertonie hat den höchsten Anteil an der Mortalität weltweit. Die Ursachen sind vielfältig und sowohl im gesundheitsschädlichen Verhalten als auch in genetischen Prädispositionen zu suchen. Mittlerweile kennt man durch genomweite Assoziationsstudien zahlreiche Gendefekte, die zur Entstehung der Hypertonie beitragen. Warum nicht jeder genetische Defekt zur Hypertonie führt, ist stark von den jeweiligen Lebensumständen abhängig. Anzunehmen ist, dass über den Stresslevel auch spezielle Genorte „an-“ und „ab-“geschaltet werden, die dann zur Manifestation einer Hypertonie führen. Speziell Stress führt über die veränderten Katecholaminspiegel direkt zur Vasokonstriktion und zur Herzzeitvolumensteigerung und damit zur Blutdruckerhöhung. Ein hoher Blutdruck bleibt zunächst unbemerkt. Selten manifestiert sich eine Hypertonie durch eine hypertensive Krise mit entsprechender klinischer Symptomatik wie einer zerebralen Blutung, einem akuten Lungenödem oder einer hypertensiven Enzephalopathie. Bei Auftreten solcher Symptome ist umgehendes notfallmedizinisches Handeln gefragt, um Organkomplikationen zu verhindern. Auch hier ist der Stress Initiator und Ursache zugleich.
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Konkretes Vorgehen Mildere Symptome wie thorakaler Druck, Kopfschmerz oder Nasenbluten lenken den Patienten zum Arzt und durch die dann erfolgende Blutdruckmessung wird die Hypertonie diagnostiziert.
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Be Blutdruckwerten von systolisch über 180 mmHg und/oder diastolisch BBei über 110 mmHg ist eine sofortige medikamentöse Therapie indiziert. üb
Der 24h-Blutdruckmessung kommt dabei die größte Bedeutung zu, da sie am besten die Lebenssituation des Patienten abbildet. In der Basisdiagnostik steht die Betrachtung der Nierenwerte und der Elektrolyte sowie ein Ruhe-EKG im Vordergrund. Ergeben sich Hinweise auf eine sekundäre Hypertonieform, so ist erweiterte Diagnostik (Facharzt) erforderlich. Bei langjähriger Hypertonie ist ergänzend die Suche nach Endorganschäden erforderlich (Herz, Niere, Auge, Gefäße). Leitliniengerecht darf bei Abwesenheit einer etablierten kardiovaskulären oder renalen Erkrankung zunächst eine Lebensstiländerung eingefordert werden.
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Die Le Lebensstiländerung beinhaltet einen Rauch-Stop als wichtigste Einzelmaßnahme, ß eine Körpergewichtsnormalisierung, verminderten Alkoholkonsum, regelmäßige ausdauersportliche Aktivität von 2,5 Std. pro Woche, Kochsalzrestriktion und eine mediterrane Küche mit viel Obst und Gemüse.
Die Therapie zielt auf eine Minimierung gesundheitsschädlicher Verhaltensmuster ab, die sich häufig unter dem Einfluss von Stress etablieren. Eine Blutdrucksenkung von 4–8 mmHg ist bei kochsalzreduzierter Kost und auch bei regelmäßiger ausdauersportlicher Betätigung zu erzielen. Leider sind die Effekte der Einzelmaßnahmen selten additiv. Wie bei jeder Verhaltensänderung sind auch hier ein großzügiger zeitlicher Ansatz und ein geschulter Therapeut notwendig, um effektiv zu sein. Leider ist die Realität der medizinischen Basisversorgung hier weit vom Idealbild entfernt.
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Gelingt die Lebensstiländerung nicht, bleibt nur die pharmakologische TheGeling rapie, i um Endorganschäden der Hypertonie zu verhindern. Auch hier gelten die Betablocker als Substanzen der ersten Wahl wenn exogene Stressoren ursächlich vermutet werden.
Die Intensität der eingeleiteten Therapie richtet sich nach dem Ausmaß eines vorhandenen kardiovaskulären Schadens und den vorhandenen Risikofakto-
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1.5 Akutes „Stresstrauma“
ren. Bei hohem individuellem Risiko oder bereits eingetroffenen Endorganschäden ist eine aggressivere und frühzeitigere Vorgehensweise angezeigt (s. Abb. 4).
Blutdruck (mmHg) Risikofaktoren (RF), Begleiterkrankungen, Endorganschäden
keine RF
Normal SBP 120 - 129 oder DBP 80 - 84
Hochnormal SBD 130 - 139 oder DBP 85 - 89
keine antihypertensive Therapie
Lebensstiländerung Lebensstiländerung über mehrere Wochen, über mehrere Wochen, Lebensstiländerung und keine antihypertensive bei fehlender bei fehlender sofortige Therapie Blutdruckkontrolle dann Blutdruckkontrolle dann medikamentöse medikamentöse medikamentöse Therapie Therapie Therapie
1 - 2 RF
Lebensstiländerung
> 3 RF, metabolisches Syndrom, Organschäden
Lebensstiländerung
Diabetes mellitus
Lebensstiländerung
vorhandene kardiovaskuläre oder renale Erkrankung
Lebensstiländerung
Hypertonie 1° SBP 140 - 159 oder DBP 90 - 99
Hypertonie 2° SBP 160 - 179 oder DBP 100 - 109
Hypertonie 3° SBP > 180 oder DBP > 110
Lebensstiländerung Lebensstiländerung über mehrere Wochen, über mehrere Wochen, Lebensstiländerung und bei fehlender bei fehlender sofortige Blutdruckkontrolle dann Blutdruckkontrolle dann medikamentöse medikamentöse medikamentöse Therapie Therapie Therapie
Lebensstiländerung und Erwägung einer medikamentösen Lebensstiländerung und Lebensstiländerung und Lebensstiländerung und Therapie sofortige medikamentöse medikamentöse medikamentöse Therapie Therapie Therapie Lebensstiländerung und medikamentöse Therapie
Lebensstiländerung und Lebensstiländerung und Lebensstiländerung und Lebensstiländerung und Lebensstiländerung und sofortige sofortige sofortige sofortige sofortige medikamentöse medikamentöse medikamentöse medikamentöse medikamentöse Therapie Therapie Therapie Therapie Therapie
Abb. 4 Risikofaktor-adjustiertes Vorgehen bei der Therapie der arteriellen Hypertonie (RF: Risikofaktoren [Dyslipidämie, positive Familienanamnese, Bauchfettleibigkeit]; SBD: Systolischer Blutdruck; DBD: Diastolischer Blutdruck) (modifiziert nach Mancia et al. 2007)
1.5
Akutes „Stresstrauma“
Ist die Intensität der Stressoren deutlich über dem Niveau der kleinen täglichen Ärgernisse, so ist Stress in der Lage, eine akute vital bedrohliche Schädigung des Organismus zu induzieren. Als Beispiel sei die Tako-Tsubo-Kardiomyopathie genannt (Synonym Broken Heart Syndrom). Typischerweise sind Frauen im vierten Lebensjahrzehnt nach einem schweren emotionalen Trauma wie dem Tod eines nahen Familienangehörigen betroffen. Unter dem Einfluss starker endogener Katecholaminausschüttungen stellt sich klinisch das Bild eines akuten ST–Strecken-Hebungsinfarktes der Herzvorderwand dar. In der Ultraschalluntersuchung des Herzens imponiert der linke Ventrikel aufgeweitet und bauchig. Er nimmt die Form einer japanischen Tintenfischfalle an, die der Erkrankung auch den Namen gab.
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1 Herz und Stress
Koronarangiografisch findet sich kein passendes Korrelat für die EKG–Veränderungen, die im Labor mit einer Aktivierung der herzspezifischen Enzyme einhergehen. Die Veränderungen sind jedoch reversibel wie bioptische Untersuchungen zeigen. In der Kernspintomografie lässt sich lediglich ein Ödem nachweisen. Bei entsprechender Therapie, die hauptsächlich eine Kräftigung des geschwächten Herzens beinhaltet, und körperlicher Schonung sind die Veränderungen komplett rückläufig. Bei fehlender Therapie kann die Erkrankung zum Tod durch ventrikuläre Rhythmusstörungen oder eine fortschreitende Herzinsuffizienz führen.
1.6
Psychokardiologie
Mit der herausragenden Bedeutung des psychosozialen Umfelds für das Herz beschäftigt sich die Subspezifität Psychokardiologie. Die Psychokardiologie findet sich an der Grenze zwischen Kardiologie und Psychiatrie und untersucht die Wechselwirkungen der beiden Disziplinen. Äußere Stressoren als Ursache für kardiale Erkrankungen, als auch kardiale Erkrankungen als eigenständiger Stressor bedürfen einer differenzierten Therapie. Die Psychokardiologie blendet seelische Probleme und die Situation im Arbeitsumfeld der Patienten nicht aus, sondern berücksichtigt sie in besonderer Weise. Ebenso wird psychoedukativen Maßnahmen deutlich mehr Platz eingeräumt, als es in der klassischen Kardiologie der Fall ist. Das therapeutische Spektrum fokussiert auf eine Verhaltensänderung durch spezielle Maßnahmen wie Entspannungstraining, Einzel,- und Gruppenpsychotherapie.
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Stressoren am Arbeitsplatz, Schichtarbeit, intensive Überstunden und niedStresso riges i Bildungsniveau B sind mit einem erhöhten Risiko für eine koronare Herzerkrankung assoziiert.
Im Fokus der psychokardiologischen Intervention stehen das gesundheitsschädliche Verhalten und die Bewältigung akuter kardialer Erkrankungen. Häufig erlernen gestresste Patienten Handlungsmuster, die sie regelhaft in die Notaufnahmen der Krankenhäuser treiben. Eine psychosoziale Intervention hat hier einen günstigen Effekt, da sie kausal ansetzt und nicht ausschließlich die somatischen Algorithmen bemüht, wie es die Notaufnahmen tun (müssen). Diese „andere“ Blickrichtung ist von immenser Bedeutung, da kardiale Patienten durch eine Vielzahl von Maßnahmen im Rahmen ihrer Behandlung psychische Probleme mit auf ihren Leidensweg bekommen. Beispielsweise führt eine ICD-Implantation in einem hohen Prozentsatz zu affektiven Störungen und zu Stress. Bei ICD-Schockabgaben entsteht nicht selten eine Panikstörung, die eine spezifische Therapie erforderlich macht.
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1.6 Psychokardiologie
subjektiv empfundene kardiale Erkrankung
Erstkontakt
umgehende kardiale Diagnostik insbesondere Infarktausschluss
Zweitkontakt
Basisdiagnostik unter besonderer Berücksichtigung der psychosozialen Situation
Drittkontakt
psychokardiologische Konsultation
Abb. 5 Algorithmus zur Einbindung psychokardiologischer Kompetenz
Therapeutisch hilft hier nur eine Verhaltensänderung der Patienten beziehungsweise eine andere Verarbeitung der Stressoren, da der Stressor als solcher häufig nicht abgestellt werden kann (s. Abb. 5). Sach- und Gesprächskompetenz werden hier gefordert, um frühzeitig intervenieren zu können und einer Chronifizierung vorzubeugen.
Depression Die Depression ist als eigenständiger kardiovaskulärer Risikofaktor anerkannt. Untersuchungen belegen, dass ein Viertel der depressiven Patienten an einer koronaren Herzerkrankung leiden. Umgekehrt findet man bei Patienten mit einer koronaren Herzerkrankung bei knapp der Hälfte eine niedergeschlagene Stimmung und bei bis zu 20% eine manifeste Depression. Diese Depression wird zu 50% nicht diagnostiziert.
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Ein be bedeutsamer und häufig vernachlässigter Risikofaktor stellt die Depression i ddar, die in ihrer Gewichtung gleichauf mit dem Nikotinabusus steht.
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