5 Handtrauma Michael Leenen, Michael Schädel-Höpfner und Janosch Dahmen Leitsymptomatik Schwellung, Schmerzen Wunde Fehlstellung, Funktionseinschränkung
Sofortmaßnahmen durch den Arzt keine
Diagnose/Differenzialdiagnosen Prellung, Distorsion Fraktur, Luxation Sehnenverletzung Nervenverletzung
Ursachen/Anamnese direktes und indirektes Trauma stumpfe und scharfe Gewalt penetrierendes Trauma Explosionstrauma
Diagnostik — Klinische Untersuchung Inspektion: Schwellung, Hämatom, Fehlstellung, Wunde Palpation: Druckschmerz (bei DS über der Handwurzel: s. SOP Hand-
gelenkstrauma in Sek. P, Kap. 4), Instabilität Durchblutung: Pulse (A. radialis, A. ulnaris); Rekapillarisierung am Nagelbett Sensibilität: Prüfung der Fingernerven 1–10, 2-Punkt Diskriminierung, Überprüfung der sensiblen Innervationsgebiete: N. radialis: dorsale Interdigitalfalte zwischen D1 und D2 N. medianus: Fingerspitze D2 N. ulnaris: Fingerspitze D5 Motorik: aktives Bewegungsausmaß für jedes betroffene Gelenk (MCP/PIP/ DIP), Prüfung auf Rotationsfehler oder Achsabweichung
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— Bildgebung Röntgen: jeder betroffene Finger exakt in 2 Ebenen (ggf. Einzelaufnahme) bei betroffener Mittelhand: Hand in 3 Ebenen (bei betroffenem MHK 4–5:
Schrägaufnahme in Semi-Supination) ggf. Spezialaufnahme (s. SOP Handgelenkstrauma in Sek. P, Kap. 4)
— Weitere Untersuchung nach Frakturausschluss (nach Röntgen) Klinische Untersuchung Prüfung auf Seitenbandinstabilität, Beugung/Streckung gegen Wider-
stand (differenzierte Prüfung jedes Fingers auf mögliche Strecksehnen und tiefe/oberfl. Beugesehnenverletzung) (s. Abb. 10) Verletzungen zwischen PIP-Gelenk und Handrücken (Zone 3 bis 6) können leicht übersehen werden! Vollständigkeit des Faustschlusses Wundinspektion: Im Rahmen der Wundversorgung ausführliche Wundinspektion, ggf. in Blutsperre und Prüfung auf evtl. Sehnenverletzung oder Fremdkörpereinsprengung, ggf. mit Schnitterweiterung (Cave: Schnittführung an der Hand).
Tiefe Beugesehne Fixierung des Mittelgliedes durch den Untersucher und aktive Beugung des Endgliedes
Oberflächliche Beugesehne Fixierung der übrigen Langfinger und Beugung des Fingers im proximalen Interphalangealgelenk
Abb. 10 Untersuchung der tiefen und oberflächlichen Beugesehne
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P Verletzungen und Erkrankungen der oberen Extremitäten
Konsil Orthopädie/Unfallchirurgie, Handchirurgie
 Therapie
— Operative Therapie Notfall (< 2 h) Amputationsverletzung (s. SOP Amputationsverletzungen in Sek. R,
Kap. 2) Fingergelenkluxation: unverzügliche Reposition durch Längszug Stabilitäts- und Röntgenkontrolle nach Reposition
Dringlich (< 6 h) bei Wunden mit knöcherner Verletzung (Fraktur, knöcherner Ausriss)
(s. SOP Offene Frakturen in Sek. R, Kap. 1), antibiotische Therapie Wunden mit Streck- oder Beugesehenenbeteiligung, Sensibilitätsausfall bei Fingerkuppenverletzung ggf. primäre Weichteildeckung (z.B. V-Y
Plastik) s. auch SOP Hautverletzungen
Im Intervall geschlossene Frakturen: OP nach Abschwellung (i.d.R. innerhalb von
7 Tagen nach Trauma) Versorgungsort frühzeitig festlegen (Ambulanz-OP, OP, Zentrum mit mi-
krochirurgischen Möglichkeiten (spez. Handchirurgie)
— Besonderheiten Geschlossene Sehenverletzung
knöcherne Strecksehnenausrisse: Ruhigstellung in der Schiene mit Hyperex-
tension im Endgelenk, Röntgenkontrolle in der Schiene subcutane Strecksehnenruptur: Konsequente Ruhigstellung über 6 Wochen in der Schiene mit Hyperextension im Endgelenk Verletzung Beugesehne: die Beugesehnennaht erfordert handchirurgische Erfahrung und sollte unter höherwertiger Anästhesie im OP erfolgen, zeitnah dynamische Schienenbehandlung (Kleinert) Nervenverletzung/Sensibilitätsausfall: Bei Sensibilitätsausfall proximal der distalen Beugefurche am Endglied: operative Revision mit Nervennaht
Nagelverletzung/Nagelbettverletzung/Nagelverlust
subunguales Hämatom: Nageltrepanation mit steriler Kanüle unter Berück-
sichtigung des Verletzungsalters, Ausmaß des Hämatoms und der klinischen Beschwerdesymptomatik Nagelablösung/Nagelluxation: Inspektion des Nagelbettes unter Blutsperre. Nur kleine Läsionen heilen selbst, größere Läsionen sollten durch Naht
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adaptiert werden. Der abgelöste Nagel sollte wieder reponiert werden (Schutz des Nagelbettes und Verhinderungen von Verklebungen der Nageltasche). Fixation durch Steri-Strips und/oder Naht. Bei Nagelverlust: Kunstnagel einlegen
Fingergelenkluxation unverzügliche Reposition durch Längszug, Stabilitäts- und Röntgenkon-
trolle nach Reposition, bei verbleibender Subluxation (z.B. Repositionshindernis/eingeschlagene Kapselanteile): kurzzeitige Ruhigstellung in der Schiene und Vorstellung Handchirurgie
Seitenbandverletzung Stabilitätskontrolle; bei Instabilität, unklarem Befund oder Subluxations-
stellung: kurzzeitige Ruhigstellung und Vorstellung Handchirurgie
Finger-/Mittelhandfraktur konservative vs. operative Versorgung in Abhängigkeit von Verkürzung,
Rotationsfehler, Dislokation, Stabilität und Gelenkbeteiligung: Ruhigstellung (Intrinsic-Plus-Schiene) und Vorstellung Handchirurgie
Beachte Aufgrund der Komplexität der Handverletzungen gehören diese in die
fachspezifische Weiterbehandlung! Die differenzierte Nachbehandlung entscheidet maßgeblich das funk-
tionelle Ergebnis! Nach operativer Versorgung Sehenverletzung kurzzeitige Ruhigstellung
und dynamische Nachbehandlung nach handchirurgischer Vorgabe! Vor evtl. Lokalanästhesie dezidierte Sensibilitätsprüfung und Dokumentation!
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