DARK WINTER PRELUDE
Eine Kurzgeschichten-Fanfiktion von mydivision.net
1. Auflage, Mai 2014 Geschrieben und veröffentlicht von MYDIVISION.NET Tom Clancy’s The Division © Ubisoft Weitere Infos unter www.mydivision.net
Dark Winter Prelude Eine Tom Clancy’s The Division Kurzgeschichten-Fanfiktion
Tom Clancy’s The Division spielt in der nahen Zukunft in der nordamerikanischen Metropole New York. Ein Bioangriff hat eine weltweite Pandemie ausgelöst. Der Virus kostete große Teile der Bevölkerung das Leben. Quarantänezonen wurden eingerichtet, Ressourcen streng rationiert. Ölquellen versiegten, die Börse und der Weltmarkt sind zusammengebrochen. Staatliche Strukturen wie Polizei und Spezialeinheiten gibt es nicht mehr. Nach einigen Tagen ohne Wasser und Elektrizität und mit der tödlichen Seuche vor Augen, gehen sich die panischen Bürger gegenseitig an die Gurgel. Nur Wenige stehen noch zwischen dem totalen Chaos und einem Rest von Ordnung: Die Agenten der „Division“. Durch den Kampf gegen Plünderer und andere Kriminelle sollen sie den Wahnsinn eindämmen, bevor es zu spät ist. Du bist einer davon. Diese Fanfiction erzählt die mögliche Vorgeschichte aus der Sicht der aufstrebenden Journalisten David.
Tag 1: Ausbruch
Wenngleich niemand diese Zeilen jemals lesen wird, musste ich dennoch festhalten, was ich in den vergangenen Tagen erlebte, stellten sie doch mein komplettes Leben auf den Kopf. Mein Name ist David. Ich bin 29 Jahre alt und schreibe für eine kleine Zeitung hier in New York. Die Bezahlung ist sicher nicht die beste, doch ich kann das tun, was ich schon immer wollte: Schreiben. Mein Apartment ist nicht sehr groß, doch es reicht zum Leben. Familie? Fehlanzeige. Ich lebe allein und habe nur noch meine Großeltern, die in der Vorstadt leben. Sie schätzen das ruhigere Leben, ich hingegen brauche die Hektik der Großstadt. Es war ein ganz normaler Morgen, in der Woche nach dem Black Friday. Dem Tag, an dem die Menschheit wie von fremder Hand gesteuert die Läden im ganzen Land überfällt, stets auf der Jagd nach den besten Schnäppchen und das nicht nur im Hinblick auf das baldige Weihnachtsfest. Mein Wecker klingelte wie jeden Morgen um Punkt 6:00 Uhr. Ich spulte das Standardprogramm ab: Raus aus dem warmen Bett, unter die Dusche, kurz was frühstücken, raus aus dem Haus und zur nahegelegenen U-Bahn-Station. Mein Ziel, das Verlagsgebäude, lag nur vier Stationen entfernt, dennoch war der Weg vor allem an kalten Tagen wie dem heutigen kein
Spaziergang. Die Temperatur lag knapp unter dem Gefrierpunkt und der kalte Wind pfiff mir um die Ohren. Die winzigen Wassertröpfchen der Atemluft gefroren sofort nach dem Ausatmen und verwandelten sich in weiße Wölkchen. Die U-Bahn war wie immer völlig überfüllt und die Menschenmassen drängten sich in den engen Wagons Schulter an Schulter. Ich musste natürlich stehen; um mich herum schniefte und hustete es. An meiner Station angekommen, verließ ich die U-Bahn und erreichte nach wenigen Minuten Fußmarsch das Gebäude der Redaktion. Mein eigenes, kleines Büro lag im vierten Stock. Das Stockwerk war an diesem Tag ungewöhnlich leer. Auf die Nachfrage, wo denn der Rest sei, erhielt ich von einem Kollegen nur ein kurzes aber prägnantes „Die sind erkältet und liegen flach, es liegt wohl ein Virus in der Luft“. Mein Vormittag verlief eigentlich wie immer. Ich arbeitete an ein paar neuen Reportagen. Größtenteils langweiliger Boulevardmist, über den die großen Zeitungen nicht mal ein Wort verlieren würden. Doch genau diese Berichte waren es, die unsere Leser dazu bewegten, das Blatt überhaupt noch zu kaufen. Dennoch, die Geschäfte liefen zuletzt nicht sonderlich gut.
Schneller als erwartet schlug die Uhr zwölf. Die Mittagspause wollte ich an meinem Lieblingsimbiss um die Ecke verbringen. Dort gab es den besten Burger jenseits der Fastfoodfront. Doch völlig unerwartet stand ich vor verschlossenen Türen. „Wegen Krankheit geschlossen“ stand auf einem notdürftig in die Fensterscheibe geklebten Zettel. Gleich nebenan war ein Elektronikladen; vor dem Schaufenster versammelten sich einige Passanten. Auf dem darin ausgestellten 47 Zoll Flat Screen liefen die Nachrichten. Auch wenn man den Ton nicht hören konnte, die Bilder und Texteinblendungen sprachen für sich. Es war die Rede von einer sich rasend schnell ausbreitenden Grippewelle, einem sehr aggressiven Virus, der sich über das ganze Land verbreitete. Das Gesundheitsamt empfahl Menschenmassen, öffentliche Plätze sowie Transportmittel zu meiden und möglichst im Haus zu bleiben. Anfangs habe ich die Warnung nicht wirklich ernst genommen, schließlich tragen die Medien bekanntlich gerne etwas dick auf. Ich kehrte in mein Büro zurück, denn für den Nachmittag standen noch zwei Interviews auf dem Plan. Beide Gesprächspartner sagten kurzfristig wegen Krankheit ab. Mir wurde bewusst, dass die Warnungen im TV vielleicht doch nicht völlig unbegründet sein könnten und beschloss daher, das Büro früher als üblich zu verlassen. Lernfähig wie ich war, mied ich die U-Bahn und machte mich trotz eisiger Kälte zu Fuß auf den Nachhauseweg. Unterwegs fiel mir auf, dass man schon die Weihnachtsbeleuchtung in den Straßen aufgehängt hatte. In ein paar Jahren würde man damit wohl schon im Juli anfangen.
Eine gute Stunde später kam ich erschöpft und durchgefroren in den eigenen vier Wänden an und stieg erst mal unter die Dusche um aufzutauen. Den Rest des Tages verbrachte ich mit einem guten Buch, dem Politthriller „Jagd auf roter Oktober“ von Tom Clancy. Der dicke Schinken hatte mich bis in die späten Abendstunden beschäftigt. In der weisen Voraussicht, dass der morgige Tag ziemlich lang werden könnte, gönnte ich mir schließlich ein paar mehr als die üblichen sechs Stunden Nachtruhe. Normalerweise habe ich einen sehr tiefen Schlaf, doch in jener Nacht sollten mich die heulenden Sirenen von auf der Straße vorbeirasenden Einsatzkräften gleich mehrfach aus dem Schlaf reißen. Selbst Helikopter waren gleich mehrere am Himmel zu hören. Es war ungewöhnlich viel los. Ich dachte spontan an einen Unfall auf dem Highway.
Tag 2: Versorgung
Sechs Uhr. Wie an einem gewöhnlichen Morgen riss mich der Wecker viel zu früh aus der Traumwelt. Immerhin konnte ich trotz der vielen Unterbrechungen zumindest ein paar Stunden Schlaf finden. Doch irgendetwas war an diesem Morgen anders. Durch die schallgedämmten Scheiben der Fenster drang ein ungewöhnlicher, dumpfer Lärm. Ein völliges Durcheinander verschiedener Geräusche, die ich anfangs nicht wirklich zuordnen konnte. Aus dem Bett quälend stand ich auf, ging zum Fenster Richtung Straße und zog den Vorhang auf. Ich traute meinen Augen nicht, dachte ich sei im falschen Film. Was sich vor meinem Fenster abspielte, hätte direkt aus einem Hollywood Blockbuster von Roland Emmerich stammen können. Die Straßen verstopft von Blechlawinen. Auto an Auto, Lastwagen an Lastwagen. Es ging weder vor noch zurück, auch Einsatzkräfte wie Feuerwehr und Krankenwägen steckten fest. Entnervt ließen vielen Autofahrer ihren Frust durch willkürliche Hupkonzerte freien Lauf. Passanten belagerten die Geschäfte, obwohl die meisten davon nicht vor neun Uhr öffneten. Es bildeten sich tumultartige Menschentrauben. Kräfte der Polizei befanden sich überall auf den Straßen, jedoch ohne eine Chance, die aufgebrachte Menge zu beruhigen. Um der Kälte und dem über Nacht eingesetzten Schneefall zu trotzen, wurden sogar einige Mülltonnen in Brand
gesteckt. Ich realisierte, dass etwas Schreckliches passiert sein musste und griff zur Fernbedienung meines Fernsehers. Egal welches Programm ich wählte, überall liefen Sondersendungen und es war von einem nationalen Notstand die Rede. Der Grippevirus sei viel aggressiver als angenommen hieß es und breitete sich über Nacht ungewöhnlich schnell aus. Krankenhäuser seien überfüllt, der Verkehr zusammengebrochen, öffentliche Verkehrsmittel können nicht mehr genutzt werden. Viele Menschen seien bereits gestorben, die Rede war von mehreren Hundert. Noch viel schlimmer traf mich die Nachricht, dass der Virus bereits in Kanada nachgewiesen wurde. Es war von der Möglichkeit die Rede, die Seuche könne sich zu einer weltweiten Pandemie entwickeln. Eine schreckliche Vorstellung. Die Regierung der Vereinigten Staaten rief den nationalen Notstand aus; man solle das Haus nach Möglichkeit nicht verlassen. Einzige Ausnahme: Die Versorgung mit lebensnotwendigen Ressourcen; allem voran Nahrung, Wasser und Hygieneartikel. Der Notstand erklärte das absurde Szenario, welches sich vor meinem Fenster abspielte. Ich musste schnell handeln und mich für die nächsten Tage mit allem Nötigen eindecken. Ich zog mich rasch um und begab mich auf die Straße.
Nicht nur wegen der Kälte, doch vor allem zur Sicherheit legte ich mir noch einen Schal um den Hals, den ich im Handumdrehen in eine Art provisorischen Atemschutz verwandeln konnte. Auf der Straße bot sich mir dann ein Bild der Verwüstung. Die stark verunsicherten, panischen Menschenmassen verschafften sich gewaltsam Zugang zu den Lebensmittelläden. Sie schlugen Schaufenster ein; einige Schaufensterpuppen dienten dabei als Instrument der fortgeschrittenen Zerstörung. Die Läden wurden im Handumdrehen geplündert und ein jeder versuchte sich mit so vielen Notreserven wie möglich einzudecken. Auch ich musste zusehen, dass ich mich irgendwie für die nächsten Tage mit allem Notwendigen eindecken konnte; war mein Kühlschrank doch regelmäßig leer. Meine Priorität lag daher auf Nahrung, Wasser und Antibiotika. Doch trotz der noch recht frühen Morgenstunden schien ich zu spät zu kommen. Die großen Geschäfte in meiner Straße waren bereits leer geplündert. Ich wollte mein Glück daher bei einem kleinen Laden versuchen, den – so hoffte ich zumindest – die große Masse nicht kennen würde, da er etwas abseits in einer schmalen Seitengasse lag. Nach wenigen Minuten durch ein New York, das wie ein Kriegsschauplatz anmutete, erreichte ich die Gasse mit dem Markt. Ich sollte kein Glück haben. Der Laden war zwar nicht geplündert, jedoch abgeschlossen. Zudem verhinderten massive Gitterstäbe vor dem einzigen Schaufenster das gewaltsame Eindringen. Enttäuscht wollte ich meinen Streifzug
auf der Suche nach Vorräten fortsetzen, da packte mich eine Hand hinterrücks an der Schulter. Erschrocken drehte ich mich um und blickte einem älteren Mann in sein erschöpft wirkendes, faltiges Gesicht und seine müden, glasigen Augen. Vorsichtshalber zog ich den Schal über Mund und Nase und schob den Unbekannten ein gutes Stück von mir weg. Er winkte ab, erklärte mir mit leiser Stimme, dass es der Besitzer des Ladens sei und aufgrund der Berichte in den Medien sein Geschäft vor der sicheren Plünderung bewahren wollte. Gerade als ich begann ihm meine Situation zu schildern, kamen drei zwielichtige Typen auf uns zu, kreisten den Mann und mich ein. Sie hatten unser Gespräch belauscht und forderten den älteren Herrn unmissverständlich auf, seinen Laden aufzusperren. Der Ladenbesitzer gab klar zu verstehen, dass er dieser Forderung nicht nachkommen würde. Ein großer Fehler. Einer der Drei holte aus und schlug dem Mann in die Magengrube. Begleitet von einem dumpfen Stöhnen ging dieser zu Boden und regte sich nicht mehr. Ich wollte die Typen beruhigen, doch keine zwei Sekunden später verpasste man mir einen Schlag auf den Hinterkopf, woraufhin ich ohnmächtig wurde. Wieder bei Bewusstsein, waren die drei Kerle zum Glück verschwunden, der Laden jedoch aufgeschlossen und geplündert. Schlimmer noch, der Ladenbesitzer lag regungslos neben mir auf dem Boden. Ich beugte mich mit brummenden Schädel über den Mann und versuchte ihn wach
zu rütteln. Als ich ihn auf die Seite drehen wollte, bemerkte ich, dass ein Messer in seinem Rücken steckte. Er war tot. Die Kerle haben ihn einfach abgestochen. Ich war geschockt, bekam kaum Luft, fühlte mich wie abgeschnürt. Verzweifelt und trotz des Bewusstseins, dass man dem Mann nicht mehr helfen könne, versuchte ich via Handy einen Notruf abzusetzen. Keine Chance, das Netz war komplett überlastet, an eine stabile Verbindung war nicht zu denken. In diesem Moment realisierte ich, dass es nun um mehr als das Überstehen einiger schwieriger Tage ging; vielmehr stand das nackte Überleben auf dem Programm. Emotional war ich in diesem Moment völlig überfordert. Ich brauchte unbedingt Vorräte, auch wenn ich dabei gewisse Grenzen niemals überschreiten könnte. Bevor ich den Laden oder das, was davon noch übrig war, betrat, deckte ich den alten Mann noch mit seiner Jacke zu. Das war das Mindeste, was ich für ihn tun konnte. Dann widmete ich mich der Versorgung mit dem Nötigsten für die nächsten Tage. An der Wand im Markt hing eine Uhr; es war schon nach halb Zwei und ich somit einige Stunden bewusstlos gewesen. Zum Glück war mehr in den Regalen, als die drei Mörder hätten tragen können. Ich fand noch einige Flaschen Mineralwasser und genug Lebensmittel, um zumindest eine Woche über die Runden zu kommen. Leider ging ich im Hinblick auf die Antibiotika leer aus. Neben zweier Tragetaschen nahm ich auch noch einen Rucksack mit, sodass ich mich schwer bepackt auf den Nachhauseweg machen konnte.
Leicht zu bewerkstelligen war der Rückweg definitiv nicht. Immer wieder baten mich verzweifelte Passanten, meine „Beute“ mit ihnen zu teilen, doch Mitgefühl konnte ich mir nach diesem verrückten Morgen nicht leisten. Ich sah die Verzweiflung in den Augen der Menschen, doch ich musste nun auch mal an mich denken und mein Überleben sichern. In meiner Wohnung angekommen wollte ich den Kühlschrank mit den Lebensmitteln füllen, doch was war das? Das Licht im Kühlschrank ging nicht an. Das typische Summen der Kühleinheit konnte ich auch nicht vernehmen. War etwa der Strom ausgefallen? In der Tat. Fernseher, Telefon, Herd, alles tot. Die Heizkörper waren nur noch lauwarm, die Zentralheizung ruhte. Und das alles bei dieser eisigen Kälte. Ein Glück hatte ich noch einen offenen Kamin im Wohnzimmer und genügend Holz für ein paar Tage. Nach einer warmen Mahlzeit aus der Dose, musste ich an meine Großeltern denken. Wie es ihnen wohl ginge? Waren sie gesund, hatten sie genug zu essen und waren sie überhaupt in Sicherheit? Diese Gedanken zermarterten mir den Kopf. Sie kurzfristig zu erreichen war jedenfalls unmöglich. Auf den Straßen war an ein Durchkommen nicht zu denken, ohne Strom keine Festnetzanrufe und das Mobilnetz war überlastet oder tot; genau wusste ich es nicht. Mein Smartphone hatte ich längst ausgeschaltet, hoffend dass der restliche Saft im Akku noch irgendwie nützlich werden könnte. Ich beschloss den angebrochenen Nachmittag im kuschelig warmen Nachtlager vor dem Kamin zu verbringen. Der Vormittag bot so viele
schreckliche Erlebnisse, die es nun erst einmal zu verdauen galt. Vertieft in meine Gedanken und bei dem Versuch der Verarbeitung des Erlebten, schlief ich irgendwann ein.
Tag 3: Familie
Mitten in der Nacht wurde ich von Schritten geweckt. Es war stockfinster, doch an der Unterkante der Tür zu meinem Apartment sah ich einen Lichtschein, der von einer Taschenlampe stammen musste. Plötzlich waren da noch Stimmen. Ich habe kaum ein Wort verstanden, immerhin konnte ich etwas von Quarantäne und einer „Zone B“ aufschnappen. Ich war verunsichert und verkroch mich unter meiner Decke. Nach einigen Sekunden waren die Stimmen und der Lichtschein wieder verschwunden. Konzentriert hörte ich noch eine Weile in Richtung Tür, bis ich schließlich wieder in den Schlaf fiel. Am nächsten Morgen weckte mich die Kälte, die in meinem Apartment Einzug hielt. Das Feuer im Kamin ging über Nacht natürlich aus und ich fröstelte. Die allmorgendliche Dusche fiel aus gutem Grund flach, die Kombination aus eiskaltem Wasser und einer Zimmertemperatur von gefühlt unter dem Gefrierpunkt klang wenig überzeugend. Der Plan für den heutigen Tag war es, meine Großeltern aufzusuchen, zu sehen, ob es ihnen gut ging, ja, ob sie denn überhaupt noch am Leben waren. Dieser Gedanke nagte zu sehr an mir, um ihn einfach zu ignorieren. Ich musste das Risiko eingehen und machte mich mit ein wenig Proviant und möglichst warmen Klamotten auf den Weg ins Ungewisse.
Draußen herrschte ein völlig konträres Bild im Vergleich zum gestrigen Chaos. Die Straßen waren wie leergefegt. Es herrschte eine trügerische Stille. Verlassene Autos auf den Straßen, leere, geplünderte Geschäfte, brennende Mülltonnen, leichter Schneefall, zum Glück kaum Wind. Kalt war es trotzdem. In der Ferne sah ich zwei Soldaten auf der Straße patrouillieren, das Militär wurde scheinbar über Nacht eingeflogen und sollte nun für Ruhe sorgen. Über den Häusern kreisten in sicherer Entfernung ein paar Hubschrauber. Einer transportierte eine große Kiste, die an einem Seil hing. Hoffnungsvoll dachte ich spontan an den Transport von rettenden Impfstoffen, die binnen weniger Tage alles wieder ins Lot rücken und einem die grausamen Erlebnisse vergessen lassen würden. Der Realist in mir begrub diese Hoffnung jedoch schnell wieder. Plötzlich vernahm ich in der Ferne Schüsse. Vier Gestalten mit Sturmgewehren rannten auf die Soldaten zu, erschossen sie, nahmen ihre Ausrüstung und verschwanden wieder so schnell, wie sie aufgetaucht waren. Reflexartig nahm ich die Beine in die Hand und versteckte mich in der nächsten Seitenstraße zwischen zwei Müllcontainern, zweifelnd an dem, was von Moral und Menschlichkeit nach nur wenigen Tagen noch übrig geblieben sein musste und erstaunt darüber, wie schnell sich die Welt doch in Richtung Verderben wandeln konnte.
Es lagen nun etwa 30 Meilen bis zum Haus meiner Großeltern vor mir. Zunächst bahnte ich mir den Weg durch zahlreiche Hinterhöfe und sorgsam gepflegte Gärten; ich kam gut voran. Je weiter ich mich vom Zentrum entfernte, desto sicherer fühlte ich mich. Auch vom Militär war hier keine Spur zu sehen. Ein paar wenige Menschen begegneten mir auf den Straßen, doch man hielt stets einen Sicherheitsabstand; niemand wollte das Risiko eingehen, sich anzustecken. Nach zirka zwei Stunden Fußmarsch erreichte ich eine Schnellstraße, die mich direkt zu meiner Familie in die Vorstadt führen würde. Den ganzen Weg zu Fuß zurückzulegen wäre unmöglich an einem Tag zu schaffen, geschweige denn den Weg zurück. Glücklicherweise standen auch hier jede Menge verlassene Autos herum. Ich versuchte eines zu finden, das noch lief. Doch bei den meisten Karren wurden die Benzintanks bereits geleert. Neben Nahrung und Wasser waren Benzin und Diesel die aktuell wertvollsten Güter und damit besonders beliebt bei Plünderern. Ich wollte schon enttäuscht aufgeben, da sah ich in einer Einfahrt einen verschneiten Van stehen. Er war nicht abgeschlossen und sprang gleich nach dem zweiten Versuch an – endlich hatte ich auch mal Glück. Auf der Schnellstraße kam ich trotz einiger Hindernisse gut voran. Auf meiner Reise begegnete ich kaum anderen Menschen. Ich hatte mir vorgenommen mitzuzählen, doch weit kam ich nicht. Die magere Bilanz nach mehr als 25 zurückgelegten Meilen: Drei Autos, ein Kleinbus und ganze elf Passanten. Wo waren nur all die anderen Menschen?
Verschanzt in ihren Häusern? Die letzte Meile musste ich wieder laufen, eine Straßensperre verhinderte die Weiterfahrt. Bevor ich ausstieg, warf ich noch einen Blick in das Handschuhfach und wurde einmal mehr überrascht. Ein blankpolierter Revolver lachte mich an, außerdem eine Straßenkarte von New York und Umgebung. Eigentlich bin ich strikt gegen Waffen, doch wenn die Welt scheinbar am Abgrund steht und man die Erlebnisse der letzten zwei Tage Revue passieren lässt, wirft man auch schnell das ein oder andere Prinzip über Bord. Der Revolver verschwand in meiner Jackentasche, ebenso die Karte. Je näher ich dem Haus meiner Großeltern kam, desto stärker wurde dieses komische Gefühl, dass etwas nicht stimmen könnte. Ich machte mir wirklich große Sorgen. Die Jüngsten waren sie ja nicht mehr, aber rüstig, nicht rostig. Doch ein jeder weiß, dass bei ansteckenden Krankheiten kleine Kinder und ältere Menschen am gefährdetsten sind. Ich redete mir immer wieder ein, dass alles in Ordnung sei, versuchte positiv zu denken. Von weitem konnte ich das Haus schon sehen, die Rollladen waren unten, das Star-Spangled Banner wehte einsam im Wind. Alles wirkte verlassen. Die Haustür des Nachbarhauses stand offen. Als ich näher kam, vernahm ich verdächtige Geräusche, die aus dem Bungalow kamen. Vorsichtig warf ich einen Blick nach drinnen, griff in die Jackentasche und hielt mich am Revolver fest. Ein jähes Poltern durchdrang die Stille, eine scheue Katze floh aus dem Haus. Vermutlich erschrak sie sich mehr als ich. Meine sich krampfhaft an den Schießprügel klammernde Hand entspannte sich
langsam wieder. Einen Augenblick später stand ich dann auch schon vor der Tür meiner Großeltern. Ich war so aufgeregt wie am ersten Schultag. Mein Kopf war völlig leer. Ich klopfte an. Keine Reaktion. Ich klopfte fester. Noch immer keine Reaktion. Ich rief nach meiner Großmutter, doch das einzige was sich tat, war das Wackeln eines Vorhangs im ersten Stock des anderen Nachbarhauses. Doch auch nach einiger Zeit des Wartens und erneuten Klopfversuchen, vernahm ich noch immer keine Reaktion. Mich beschlich ein sehr mulmiges Gefühl und so wollte ich es nun durch den Garten an der Terrassentür versuchen. Obwohl es Winter war, konnte man bereits mit einem kurzem Blick erkennen, mit wie viel Liebe und Hingabe meine Großmutter sich um den Garten kümmerte. Auch ohne Blüten oder Blattwerk konnte man die akkurat geschnittenen Formen der Hecken und Büsche problemlos erkennen. Ein paar wenige Schritte weiter, stand ich vor der Terrassentür. Zu meinem Erstaunen war sie nicht abgeschlossen, also betrat ich vorsichtig das Haus und stand im Wohnzimmer. Es war aufgeräumt, alles befand sich an seinem Platz, ganz so wie ich es in Erinnerung hatte. Meine Suche führte mich weiter über die Küche und das Badezimmer, ohne jegliche Spur von meinen Großeltern. Ich stand nun im Flur, vor der Treppe zum ersten Stock. Ein vorsichtig nach oben gerichtetes „Hallo?“ meinerseits blieb leider unbeantwortet. Sorgenvoll und bemüht, keine unnötigen Geräusche zu verursachen, folgte ich der Treppe langsam
nach oben. Mit jeder Stufe nahm das flaue Gefühl in der Magengegend zu. Eigentlich war mir schon klar, dass etwas nicht stimmen würde, doch wer möchte das in so einer Situation schon wahr haben? Angekommen im ersten Stock, stand ich vor der Tür zum Schlafzimmer. Ein leicht modriger Geruch lag in der Luft, ich machte mich auf das Schlimmste gefasst. Vorsichtig nahm ich den Türgriff in die Hand, klopfte mit der anderen Hand leise an. Warum wusste ich selbst nicht, ich hielt es in diesem Moment einfach für richtig. Den Griff heruntergedrückt öffnete ich langsam die Tür. Als sie etwa einen halben Meter offen stand, streckte ich meinen Oberkörper durch den Spalt und lugte in den Raum. Da sah ich sie liegen, meine Großeltern, in ihrem Bett, zugedeckt und völlig regungslos. Sie waren tot, vermutlich friedlich eingeschlafen. Zumindest hoffte ich das. In jenem Moment traf mich ein tiefer Schmerz in der Brust, als würde mir jemand ein Messer mitten ins Herz rammen. Förmlich ungläubig dessen, was ich gerade gesehen hatte, verschloss ich die Tür wieder; konnte den Anblick nicht länger ertragen, wollte es nicht wahr haben. Mit Tränen in den Augen und völliger Leere im Kopf ging ich die Treppe nach unten zurück Richtung Wohnzimmer. Auf der vorletzten Stufe blieb ich stehen und setzte mich hin, die Ellbogen auf die Knie gestützt, den Kopf in die Hände gelegt.
Langsam fing ich an zu begreifen, dass ich nun völlig auf mich selbst gestellt war. Meine Eltern kamen bei einem Autounfall ums Leben. Ich war gerade mal zwei Jahre alt. Meine Großeltern waren immer für mich da, waren mein letzter familiärer Halt. Eigentlich hatte ich mir erhofft, bei Oma und Opa Unterstützung beim Durch- und vor allem Überleben dieser schwieriger Situation zu erhalten, doch nun war alle Hoffnung dahin. Den Rest des Tages verbrachte ich auf der Treppe, allein mit meinen Gedanken an meine Großeltern und vielen Tränen. Einige Zeit später hatte ich mich ein wenig beruhigt, konnte wieder den ein oder anderen klaren Gedanken fassen. Ich wollte meinen Großeltern eine würdevolle Bestattung ermöglichen, doch in diesem Chaos samt gratis Endzeitstimmung war dies unmöglich. Daher beschloss ich sie für die nächsten Tage in ihrem Schlafzimmer ruhen zu lassen und, sobald sich die Lage einigermaßen normalisieren würde, diesen Plan wiederaufzunehmen. Es war schon dunkel als ich die anderen Räume nach brauchbaren Utensilien durchsuchte. Wusste ich doch, dass der verbliebene Saft im Akku meines Smartphones und die installierte Taschenlampen-App für irgendetwas gut sein würden. Ich konnte einige haltbare Konserven sowie einen fast kompletten Kasten Mineralwasser in der Küche ausfindig machen. Der Plan war, diese Vorräte am nächsten Morgen mit nach Hause zu nehmen. Zwar hatte ich noch einige Vorräte übrig, doch so wie es aussah, musste ich noch länger durchhalten als anfangs
erhofft. Dann lag ich mich auf die Couch, hüllte mich in mehrere warme Decken; es war verdammt kalt und ich war sicher, die Nacht über kein Auge zuzubekommen. Doch schon bald übermannte mich die Müdigkeit, die mit der Trauer kam und ich schlief doch noch ein.
Tag 4: Zone B
Wieder wachte ich mitten in der Nacht auf. Mir war als hörte ich schon wieder Stimmen. Die Decken über den Kopf gezogen, traute ich mich nicht auch nur einen Blick zu wagen, doch schon wenige Sekunden später durchdrang das Licht einer Taschenlampe mein spärliches, baumwollenes Schutzschild. Dann waren da ganz deutlich wahrnehmbare Stimmen, zwei an der Zahl, männlich. Sie klangen noch sehr jung. Glücklicherweise schienen sie mich noch nicht bemerkt zu haben. Anhand der Geräusche konnte ich sie ganz klar in der Küche ausmachen. Offensichtlich boten sich mir nun zwei Möglichkeiten: Unter der Decke kauernd abwarten, bis die Beiden wieder verschwinden würden oder sie in der Küche zu stellen. Ein Glück hatte ich noch den Revolver einstecken. Vorsichtig befreite ich mich von den Decken, stand möglichst lautlos auf und näherte mich der Küche. Da standen sie, durchsuchten die hölzernen, weißen Hängeschränke. Sie sahen sehr jung aus, waren bestenfalls Anfang Zwanzig. Ich zog den Revolver aus der Tasche, richtete ihn auf den größeren der Beiden und fasste all meinen Mut zusammen. Mit einem bestimmten „Keine Bewegung! Wer seid ihr und was macht ihr hier?“ begegnete ich den Bengeln. Erschrocken drehten sie sich zu mir um, sahen meinen Revolver und erstarrten förmlich zu Salzsäulen. Sie waren wohl fest davon ausgegangen, hier niemanden anzutreffen.
Ich verlangte eine Erklärung wer sie seien. Der kleinere der beiden Typen stand mir Rede und Antwort. Sie waren Brüder, stammten hier aus der Nachbarschaft und lebten noch bei ihren Eltern im Haus. Der Familie waren die Lebensmittel ausgegangen. Ohne Sprit im Tank ihres Autos und mehrere Meilen bis zum nächsten Supermarkt, blieb ihnen keine andere Möglichkeit als vermeintlich verlassene Häuser zu plündern. Das Haus meiner Großeltern war nicht das erste in der heutigen Nacht gewesen, das sie aufsuchten. Bisher hatten sie immer Glück gehabt, wurden nie erwischt und trafen nie die Hausbesitzer an, verriet mir Mike. Sein großer Bruder Jason hielt sich dezent im Hintergrund. Sie wollten keinen Ärger. Ich steckte den Revolver weg und wir beschlossen die Unterhaltung im Wohnzimmer auf der Couch bei Kerzenlicht fortzuführen. Was die Zwei mir anschließend erzählten, wollte ich zunächst nicht wahr haben. So sei mittlerweile die ganze Welt von diesem aggressiven Grippevirus betroffen. Die Ordnung wie wir sie kannten, sei zusammengebrochen. Millionen Menschen ließen ihr Leben, die Welt war im Chaos versunken. Mike erzählte mir von einem Gespräch zweier Nachbarn, welches er am Tag zuvor aufgeschnappt hatte. Es wird vermutet, dass Terroristen den Virus im Labor züchteten und für die Pandemie verantwortlich seien. Welche Motivation dahinter stecke?
Auf diese Frage wusste er keine Antwort. Denkbar wäre, dass selbst die Verbrecher nicht ahnen konnten, was sie da züchteten und was diese bizarre Kreation auslösen würde. Mir wurde schlecht. Ich wollte keine weiteren Details mehr hören, war restlos bedient. Ich bot den Brüdern an, einen Teil der Vorräte mitzunehmen. Sie waren sehr dankbar, packten zwei Taschen voll mit Lebensmitteln und Getränken. Zum Abschied brachte auch Jason ein Wort heraus. Ein leises aber ehrlich klingendes „Danke“. Ich versuchte wieder einzuschlafen, doch das Restadrenalin in meinem Körper wusste das mehr als effektiv zu verhindern. Als die ersten Sonnenstrahlen auf die altmodische 70er Jahre Tapete an den Wohnzimmerwänden trafen, sammelte auch ich ein paar Vorräte zusammen und machte mich noch ziemlich müde von der unruhigen Nacht auf den Weg zurück zu meinem Apartment. Ich traute mich nicht, einen weiteren Blick ins Schlafzimmer zu werfen, doch ich würde wiederkommen, um meinen Großeltern die versprochene Bestattung zu ermöglichen. Ich verließ das Haus und sperrte die Terrassentür ab. Mir war bewusst, dass das einfache Schloss kein Hindernis für weitere Plünderer wäre, doch ein klein wenig Ordnung aufrecht zu erhalten, fühlte sich in diesem Moment verdammt gut an.
Es war ein weiterer eiskalter Morgen, doch der Himmel war klar und blau und die Sonnenstrahlen wärmten mein Gesicht. Man hätte fast meinen können, es wäre ein ganz normaler Tag und die vergangenen 72 Stunden wären nur ein wirklich schlimmer Albtraum gewesen. Ich verließ die Nachbarschaft auf dem gleichen Weg wie am Tag zuvor in der Hoffnung, der geborgte Van würde an derselben Stelle vor der Straßensperre auf mich warten. Er stand tatsächlich noch da, Schwein gehabt! Nach etwa zehn Meilen Richtung Stadtmitte sah ich in einiger Entfernung Militärfahrzeuge auf der Straße stehen. Langsam näherte ich mich den Soldaten. Einer winkte mir zu und forderte mich kurz daraufhin via Megafon bestimmend dazu auf, auf ihn zuzufahren. Scheinbar handelte es sich um eine Art Verkehrskontrolle. Nichts Böses denkend kam ich der Forderung nach und stellte das Auto direkt neben ihm ab. Meine größte Sorge war in diesem Moment, dass die Soldaten herausfinden könnten, dass mein fahrbarer Untersatz nur „geborgt“ war. Kaum zum Stillstand gekommen, schallte mir ein harsches „Aussteigen, sofort!“ entgegen. Ich stieg aus. Zwei Soldaten mit Atemschutzmasken packten mich an jeweils einem Arm und pressten mich gegen den Van; die Kälte der B-Säule drang in meine rechte Wange ein. Sie schienen sich ausschließlich für mich zu interessieren, dem Auto widmeten sie nicht einen einzigen Blick. Nach einer kurzen aber gründlichen Durchsuchung und der Abnahme meines Revolvers, zerrten sie mich in Richtung eines kleinen Zelts, welches neben den Militärfahrzeugen aufgestellt war. Ich hatte weiche Knie, doch dann
sah ich ein an der Seite angebrachtes, großes rotes Kreuz. Erleichterung kam auf und das Gefühl im Knie zurück. Im Medizinzelt wurde mir ein Militärarzt vorgestellt. Seinen Namen habe ich mir nicht gemerkt, doch sehr wohl seine kurze aber prägnante Erklärung, welchem Zweck diese Aktion dienen sollte: Die weitere Ausbreitung des Virus zu unterbinden. In den vergangenen Tagen habe man versucht, den Stadtkern möglichst lückenlos abzuriegeln, die Ausbreitung einzudämmen und infizierte Personen zu isolieren. Die Stadt sollte von innen heraus geheilt werden. Dazu wurden Quarantäne-Zonen eingerichtet. Nun wolle man verhindern, dass Leute von außerhalb weitere Viren in den Stadtkern tragen. Zumindest sei dies der Plan der Regierung. Wirklich überzeugt war der Doktor davon scheinbar nicht, doch als Militärangehöriger folgt man Befehlen, zweifelt sie nicht an. Er bereitete einen Schnelltest vor, wischte mir mit einem Teststreifen über die Stirn und die Hände. Ein paar Sekunden später lag das Ergebnis des Tests bereits vor. Er sah mich mit einem tiefen Stirnrunzeln an, winkte die zwei Soldaten herbei. Dann ging alles ziemlich schnell. Sie packten mich erneut an den Armen, fixierten mich. Verwundert und nervös fragte ich, was los sei. Der Arzt meinte er sei sich nicht sicher, müsse mir nun eine Spritze verabreichen, ich solle mir aber keine Sorgen machen. Ich hingegen war mir sehr wohl sicher gesund zu sein, fühlte mich körperlich fit, konnte mich nicht daran erinnern auch nur eines der typischen GrippeSymptome zu verspüren. Ein Gefühl der Angst durchdrang Mark und Knochen. Noch bevor ich etwas sagen, geschweige denn mich wehren
konnte, spürte ich wie die Nadel der Spritze meine Haut durchbohrte und schlief ein. Die Schweine hatten mich einfach betäubt. Als ich wieder aufwachte, lag ich in einem Bett. Mir gegenüber befand sich eine Uhr an der Wand. Es war kurz vor neun, ich hatte mehr als einen halben Tag lang geschlafen. Mein Blick wanderte durch den Raum. Es kam mir vor als befände ich mich in einer Art improvisierten Krankenhaus. Plastikvorhänge an der Tür, ein Desinfektionsmittelspender gleich daneben. Die Einrichtung des Zimmers mutete jedoch mehr wie die eines Hotels an. Ich wollte aufstehen, doch meine Hand war mit einem Kabelbinder an das Bett gefesselt. Anstatt in Panik zu verfallen, untersuchte ich meinen Körper auf irgendwelche Schläuche für Infusionen und dergleichen; glücklicherweise ohne Erfolg. Dafür trug ich so ein komisches Nachthemd. Ich fühlte mich nach wie vor völlig gesund, war aufgrund der Aussage des Arztes aber noch immer stark verunsichert und wollte Gewissheit. Die Tür öffnete sich. Eine junge Frau in weißem Kittel und Atemschutz näherte sich meinem Bett. Sie sagte, ich solle keine Angst haben, wäre hier in Sicherheit. Ich nutzte die Gelegenheit und fragte sie wo ich hier sei und wie es um mich und meine Gesundheit stünde. Sie sagte, sie habe nicht viel Zeit und müsse als Krankenschwester noch nach vielen anderen Patienten sehen, würde mir aber einen kurzen Überblick geben. So erfuhr ich, dass das Ergebnis des Tests am Kontrollpunkt vor der Stadt nicht eindeutig ausfiel. Weil man keine Risiken eingehen wollte, wurde ich für weitere Untersuchungen hierher gebracht. Hier, das war das
Plaza, direkt am Rande des Central Parks. Das luxuriöse Hotel wurde in eine von vielen Quarantäne-Einrichtungen umfunktioniert und gehört der sogenannten „Zone B“ an. Während ich geschlafen habe wurden weitere Tests gemacht, die Ergebnisse und damit die völlige Gewissheit über meinen Zustand, würden aber erst am nächsten Morgen vorliegen. Die Schwester ließ mir eine Flasche Wasser, einen Pappbecher und eine Schlaftablette da. Sie meinte es sei besser, ich würde mich die Nacht über ausruhen anstatt mir den Kopf über das ausstehende Testresultat zu zerbrechen. Ich entschied mich dafür, die Tablette zu nehmen und schlief kurze Zeit später ein.
Tag 5: Beitritt
Der Morgen darauf. Ich wurde von der Visite geweckt und war noch nicht richtig wach, wusste aber, dass die nun folgende Diagnose über mein Leben entscheiden konnte. Daher gab ich mir alle Mühe, mich auf die Worte des Arztes zu konzentrieren. Sein Name war Dr. Woolsey, so stellte er sich mir zumindest vor; das typische Namensschild an seinem weißen Kittel fehlte nämlich gänzlich. Sein Händedruck war sehr fest, die Stimme tief und nüchtern. So hinterließ er auf den ersten Blick einen bestimmenden Eindruck. Besser so als irgendein Quacksalber, der um den heißen Brei redet, dachte ich mir. „Der Schnelltest war nicht eindeutig. Es wurde eine geringe Zahl Grippeviren auf dem Teststreifen festgestellt, doch die Anzahl war nicht ausreichend, um mit Sicherheit eine Erkrankung nachzuweisen. Aus diesem Grund wurden Sie unter Berücksichtigung der Quarantäneauflagen für nationale Notstände hierher verlegt und weiteren Tests unterzogen. Gestern haben wir Ihnen Blut abgenommen, das Ergebnis liegt seit wenigen Minuten vor. Ich habe gute Neuigkeiten für Sie. Wir konnten keine der gefährlichen Viren im Blut nachweisen, Sie sind gesund. Wir gehen davon
aus, dass Sie kürzlich Kontakt mit Infizierten gehabt haben müssen, weshalb ein paar wenige inaktive Viren an Ihren Händen und der Stirn hafteten.“, erklärte mir Doc Woolsey. Schlagartig kam mir der Gedanke an meine Großeltern, die Viren mussten von der Türklinke der Schlafzimmertür stammen, was wohl alles erklären würde. Doch ich verschwieg ihm die Geschichte, wollte nicht darüber sprechen. Ich bedankte mich ganz herzlich bei ihm für die guten Neuigkeiten; innerlich fiel eine riesige Last von mir. Meiner nächsten Frage, wann ich denn hier wieder raus könne, kam er zuvor. „Sie müssen jetzt hier raus, wir brauchen jedes Bett“, schallte es mir im Befehlston entgegen. Freundlicherweise hat man über Nacht sogar meine Kleidung gewaschen und desinfiziert. Kaum war die weiße Truppe aus meinem Zimmer verschwunden, stand ich auf und wechselte das Hemdchen gegen meine eigenen, frischen Klamotten. Ein Blick aus dem Fenster verriet mir, dass ich mich mindestens im zehnten Stock befinden musste und offenbarte den Blick auf den Central Park. Der sonst so beliebte Anziehungspunkt für Einheimische und Touristen war menschenleer. Ein wirklich bizarrer Anblick. Auf den Straßen noch mehr Blechlawinen, sogar Müllberge fingen an sich
zu stapeln. Binnen weniger Tage wandelte sich New York von einer pulsierenden Metropole in ein zweites Detroit. Dann betrat ich den Flur. Das Hotel wurde trotz der knappen Zeit in ein voll funktionstüchtiges Krankenhaus umfunktioniert. Neben anderen erspähte ich Wegweiser beschriftet mit „Röntgen“, „OP“ und „Notaufnahme“. Letztere schien sich – wie der Ausgang - im Erdgeschoß zu befinden. Die Aufzüge waren zwar funktionstüchtig, durften aber ausschließlich vom Personal für Krankentransporte genutzt werden. Verständlich. Ich nahm also den kleinen Umweg über das Treppenhaus. Im Erdgeschoß sah es aus wie auf einem Schlachtfeld. Die Notaufnahme machte ihrem Namen alle Ehre. Der Boden war blutverschmiert, Verletzte schrien panisch vor Schmerzen, an jeder Ecke wurde gehustet und geschnieft, verzweifelte Angehörige saßen in einer Art provisorischen Wartezimmer, nur durch Vorhänge getrennt von den notdürftigen und alles andere als klinisch sauberen Behandlungsräumen. Im Krieg konnte es nicht schlimmer sein. Ich wurde von all dem durch eine Plexiglasscheibe abgeschirmt, welche das Foyer in zwei Hälften teilte. So wollte man scheinbar sicherstellen, dass man sich nicht anstecken konnte. An der frischen Luft angekommen, verließ ich die Quarantänezone. Es war wie erwartet bitterkalt und obwohl ich unendlich glücklich war, gesund zu sein und nach Hause zu können, sehnte ich mich irgendwie nach dem warmen Bett im Plaza. Nach einigen Schritten drehte ich mich um, sah
das ehemalige Hotel in voller Pracht. Es war umhüllt von einer riesigen Plane mit einem Kreuz an der Stirnseite und „Zone B“ Schriftzügen an den Ecken. Im Abstand von etwa zehn Metern wurde eine Absperrung samt Stacheldrahtzaun errichtet; das Areal wurde vom Militär bewacht. Dann schlug auch noch das Wetter um. Ein stürmischer Wind zog durch die Häuserschluchten, riesige Schneeflocken schlugen mir ins Gesicht, während Dunstschwaden über den Kanaldeckeln aufstiegen. Trotz Schal im Gesicht war es verdammt ungemütlich, der Nachhauseweg zog sich fürchterlich in die Länge. Teilweise konnte man keine drei Häuser weit sehen, so dicht war die Wand aus Schnee. Als ich endlich meiner Haustür näher kam, konnte ich erkennen, dass irgendetwas an ihr zu kleben schien. Dann stand ich vor ihr und wollte meinen Augen nicht trauen. „POLICE LINE DO NOT CROSS“ stand auf einem gelben Band, welches am Rahmen befestigt und quer über die Tür gespannt war. Ich hatte Angst um meine Wohnung, mein Hab und Gut, allem, was mir noch geblieben war. In diesem Moment war mir die Absperrung völlig egal, ich riss das Band ab und betrat das Haus. Vorsichtig nahm ich Stufe für Stufe des Treppenhauses, stand letztlich im ersten Stock vor der Tür meines Apartments. Vom Inneren drängten mehrere Stimmen nach draußen. Mich beschlich das dumpfe Gefühl, dass meine Wohnung besetzt wurde. Auch wenn es sich als Fehler herausstellen sollte, öffnete ich ohne Nachzudenken die Tür und stürmte
hinein. Ich stand drei Gestalten in verwahrlosten Klamotten gegenüber; meine Einrichtung war total verwüstet. Einer der Drei kam auf mich zu und stieß mich zu Boden. Die anderen Zwei zogen ihre Pistolen. Einer der zwei Bewaffneten stellte sich neben mich und richtete den Lauf der Waffe auf mich. Mein Herz pochte wie verrückt. Er schrie mich an, was ich hier wolle. Bevor ich eine Antwort geben konnte schallte ein lautes „Waffen weg und keine Bewegung!“ aus dem Treppenhaus. Die beiden Kerle mit ihren Waffen ließen von mir ab und zielten in Richtung Tür. In diesem Moment fielen unter ohrenbetäubenden Lärm mehrere Schüsse in schneller Abfolge. Alle drei Besetzer gingen getroffen zu Boden. Im Nu bildeten sich Blutlachen auf dem Laminat. Dann betraten zwei weitere Kerle mit Maschinengewehren meine Wohnung, sahen mich an, wahrnehmend wie gelähmt ich war. „Keine Sorge, Sir. Wir tun Ihnen nichts. Wir sind hier um zu helfen.“, sagte einer der Männer. Ich wusste nicht, wer sie waren, sie trugen keine Uniformen, lediglich einen Aufnäher auf den rechten Ärmeln ihrer Jacken mit einem Greifvogel und den Buchstaben „SHD“ sowie seltsame Uhren mit leuchtenden Ringen. Sie versuchten mich zu beruhigen, brachten mir ein Glas Wasser. Dann erklärte mir einer der Männer, dass sie Feldagenten der Strategic Homeland Division seien. Der Hauptunterschied zu anderen Nachrichtendiensten oder Organisationen bestünde darin, dass die
sogenannte Division den allerletzten Ausweg darstelle. Als solcher lösen die Mitglieder der Division jeden anderen Agenten oder Regierungsangestellten im Feldeinsatz ab. Sie gehören zur ausführenden Gewalt und unterstehen allein dem Präsidenten. Es handle sich bei der SHD in Friedenszeiten um eine verdeckt operierende Organisation, deren Mitglieder in der Gesellschaft fest verankert sind, sich vorbereiten und auf die Aktivierung warten. Die Division hat die Aufgabe sicherzustellen, dass sowohl Schlüsselinfrastrukturen als auch Überlebende geschützt werden. Auf ihrem Streifzug hatten sie die verdächtigen Geräusche aus meinem Apartment gehört und sind keine Sekunde zu spät gekommen. Ich war erleichtert und zugleich erstaunt, dass solche Organisationen wirklich existieren würden. Um sicherzustellen, dass ich nicht auch ein Störenfried sei, fragten sie mich aus und wollten meine Geschichte hören. Ich erzählte den Agenten von mir und den Erlebnissen der letzten fünf Tage. Ich glaube, ich habe sie auf eine gewisse Art und Weise beeindruckt. Der größere der Beiden klopfte mir auf die Schulter und wünschte mir alles erdenklich Gute. Dankend begleitete ich die beiden Agenten bis zur Haustür. Unten angekommen boten sie mir an, sie zu begleiten. Man wäre auf der Suche nach Verstärkung und ich hätte gute Chancen der SHD beizutreten, müsse aber erst noch einige Tests und ein Training hinter mich bringen. Der Gedanke gefiel mir. Ich zögerte kurz, doch dann wurde mir bewusst, dass ich alles verloren hatte, was mir wichtig war: Meine Familie, mein
Zuhause, mein Job, einfach alles. Einzig der Glaube an die Menschheit und eine bessere Zukunft war geblieben. Mit ihnen zu gehen könnte die einzige Möglichkeit sein, wirklich etwas zu bewegen, meinem Leben wieder einen Sinn zu geben. Ich wusste nicht, was mich erwarten oder welche Risiken ich eingehen würde, aber dennoch oder gerade deshalb entschied ich mich für die Division. Die alles entscheidende Frage ist:
Was kostet es zu retten, was übrig bleibt?
Hier beginnt meine Geschichte...
DARK WINTER PRELUDE Wir leben in einer zerbrechlichen und komplexen Welt, einem Netz aus voneinander abhängigen Systemen, auf die wir tagtäglich vertrauen. Fällt eines aus, werden andere folgen und es entsteht ein tödlicher Dominoeffekt, welcher die Gesellschaft schon nach wenigen Tagen lahmlegen kann. In Tom Clancy’s The Division breitet sich eine verheerende Pandemie über New York City aus. Nach und nach versagen grundlegende Versorgungssysteme. Binnen weniger Tage ohne Nahrung und Wasser versinkt die Gesellschaft im Chaos. Die Division, eine geheime Einheit taktisch operierender Feldagenten, wird aktiviert. Dark Winter Prelude erzählt die Geschichte des jungen, aufstrebenden Journalisten David, welcher die tragischen Ausmaße des Ausbruchs miterlebt. Diese fanfiktion versteht sich als möglicher Prolog zu Tom Clancy’s The Division.
Geschrieben & veröffentlicht von MYDIVISION.NET Tom Clancy’s The Division © Ubisoft Weitergabe nur mit Erlaubnis. Nicht für den Verkauf. Weitere Informationen unter www.mydivision.net