130523 Johannes Lerchner Finanzspekulationen auf Agrarmaerkten

Page 1

Finanzspekulationen auf Agrarmärkten Handout mit Abbildungen zum Vortrag von Dr. Johannes Lerchner, gehalten im Gesprächskreis Leipzig der NachDenkSeiten.de am 23. Mai 2013 1. Einleitung Problem: Starker Anstieg der Preise für Agrarprodukte in 2007/2008 (Abb.1) Hungersrevolten in mehr als 60 Ländern Mögliche Ursachen: -

Gestiegener Rohstoffbedarf in Schwellenländern (Fleischverbrauch in China und Indien)

-

Verringertes Angebot wegen Unwetterfolgen und Ausfuhrbeschränkungen

-

Zunehmende Aktivitäten von Finanzinvestoren treiben Preise

Streit: Welchen Einfluss haben diese Faktoren auf die Preise, Maßnahmen gegen Spekulation? Aktuell: Studie Uni-Halle (Pies), Gauck-Brief: Einfluss Finanzinvestoren negiert UNCTAD, FootWatch, Flassbeck: Einfluss belegt Ziel der Diskussion: Argumente für Positionen erörtern

2. Historie Altertum: -

Pharaonen mit straffer Getreideverwaltung

-

Athen steuerte Getreidehandel mit harter Hand, Export verboten

Industrielle Revolution (19. Jhd.): -

Marktliberalismus staatliche Eingriffe eliminiert

-

CBOT (chicago board of trade) 1848: Standards für Handel mit Getreide

NachDenkSeiten Leipzig

1

Dr. Johannes Lerchner 23. Mai 2013


-

Warenterminbörsen (Future-Handel s. Abb. 2)

-

Idee: Preisschwankungen vermeiden, nützlich für alle Partner

-

Neu: Börse wurde unmittelbarer Vertragspartner

-

Gefahr: Manipulation, Übertreibung

-

Kapitalkräftige Partner treiben Preise hoch (Beispiel Joseph Leiter, Winter 1898)

-

Regulierungen: Roosevelt: Limit Höchstzahl Verträge in einer Hand

-

Händler ohne physischen Handel mit 500 Standardverträgen begrenzt

Finanzrevolution: -

Papiergeld, anwachsende Menge liquiden Kapitals wird weltweit hin und her geschoben.

-

Gesetze der Massenpsychologie

-

Rohstoffaktien plötzlich lukrativ als Wertanlage.

-

Bisher: Anteil Spekulationskontrakte 20%

-

Nun: Rohstoff-Indexfonds (s. Abb. 3, 4)

-

Agrarprodukte im Goldman-Sachs-Commodity-Index mit 17%

-

Weitere Indexfonds: Dow-Jones, ISB, Pimco, Allianz)

-

Wetten auf Preisentwicklungen

Deregulierung: -

Behinderungen bis 1990: 600 Kontrakte pro Investor, „Glass-Steagall-Act“ trennt konventinelle Bankgeschäfte von Handel und Vertrieb von Wertpapieren (Investment-Banken mit schlechteren Bonitätsnoten)

-

2000: „Gramm-Leach-Bliley-Act“ hebt alle Grenzen für Finanzgewerbe auf. „Commodity Futures Modernization Act“ stellt OTC (over the counter) – Derivate-Geschäfte von Kontrolle frei. Positionslimits wesentlich heraufgesetzt (z. B. 1 % der gesamten Erntemenge pro Handelsteilnehmer.

-

Bestimmte Partner (die selbst physisch handeln) von Positionslimits befreit (als erste GoldmanSachs, dann fast alle anderen)

-

Volumen des OTC-Geschäfts mit Rohstoffderivaten = Siebenfache des Börsenvolumens.

-

2003: 13 Mrd. in Rohstoffderivaten, 2011: 412 Mrd. (börsengehandelt) OTC: 180 Mrd.(Abb.5)

-

Bankgewinne im Rohstoffhandel 9 – 14 Mrd.

NachDenkSeiten Leipzig

2

Dr. Johannes Lerchner 23. Mai 2013


3. Spekulation und Liquidität Pro Spekulation: -

Spekulanten werden gebraucht, um Handel liquide zu halten ( jeder Verkäufer soll einen Käufer finden)

-

These: Fundamentale Daten setzen sich immer durch.

-

Finanzanleger nur besser informiert

-

Spekulanten übernehmen ein Teil des Risikos

Contra Spekulation: -

Volumen der Finanzgeschäfte 20 bis 30 Mal größer als das der realen Geschäfte

-

1999: 20 – 30 % spekulativer Handel, 2006: 80 % Spekulation (s. Abb. 5)

-

Großteil des Engagements der Finanzinstitute im Rohstoffbereich bezieht sich auf reine Geldanlagen. Rohstoffpapiere werden gekauft und verkauft wie reine Aktien. Keine saubere Trennung zwischen Absicherungsgeschäften und Spekulation Verschleierungsmöglichkeiten.

-

Indexinvestoren treten nur als Käufer auf: wetten auf Preissteigerung, Long-Position, d. h. keine Pufferwirkung in anderer Richtung.

-

Nur auf einer Seite des Marktes. Liquidität wird entzogen, d. h. es wird Geld investiert, ohne dass jemals Produkt e geliefert werden sollen.

-

Spekulative Future-Käufer in Konkurrenz zu den Verarbeitern, die Long-Positionen zur Preisabsicherung einnehmen. Treiben den Preis strukturell nach oben.

-

Futures sollten Spotpreise abbilden, jedoch völlig unsystematische Schwankungen der Differenz. Futures sagen die Zukunft nicht voraus (no future in the futures).

-

Herdenverhalten: Markteilnehmer haben alle die gleichen Informationen. Bei Änderung der Informationslage rennen alle in die gleiche Richtung bis die Blase platzt (Suche nach dem größten Dummkopf, search for the biggest fool).

-

Zunahme Volatilität: 2004: 20-30%, jetzt 70% Kosten für Absicherung steigen (z. B. Margins Baumwolle: 2010: 1500-2100 $, 2011: 8400 $)

Spotmarkt-Preise Terminbörse -

These: Indexfonds nur auf Terminmarkt, nicht aktive auf Kassamarkt kein echter Lebensmittelhandel , nur Handel von Preisrisiken

-

Behauptung: Keine Korrelation Rohstoff-Indizes Preise

-

Jedoch: Kritik an Studie Irwin & Sanders, Granger-Kausalitätstest falsch angewandt.

NachDenkSeiten Leipzig

3

Dr. Johannes Lerchner 23. Mai 2013


-

Preis des jeweils nächsten Futures ist der, den die Verwerter bezahlen müssen.

-

Nur Terminbörsen liefern Informationen über die Gesamtlage.

-

Kein Produzent verkauft billiger als an der Terminbörse möglich.

-

Preise für Spotmärkte werden generell über die Future-Märkte gefunden

-

Keiner verkauft Produkte billiger als auf Terminmarkten realisierbar.

Krugman’s Lagerthese: -

Spot-Markt unabhängig vom Future-Markt: Preise richten sich nur nach Angebot und Nachfrage

-

Future-Handel erzeugt keine zusätzliche Nachfrage. Höchstens Lagerung wegen erwarteter Preissteigerung.

-

Erhöhte Lagerung jedoch nicht nachweisbar

-

Finanzmarktakteure sind nicht die Verursacher von Marktungleichgewichten, sondern deren frühzeitige Boten.

jedoch: -

Offizielle Angaben über Lagerbestände von Getreide unvollständig. Private Bestände wenig berücksichtigt.

-

Bau von Getreidesilos boomt.

-

Beispiel Russland: Missernte Weizen Exportverbot Anstieg Weltmarktpreisen, Inlandpreise – 50 % Einlagerung bis Wiederanstieg Weltmarktpreise 18 – 20 Mill. t waren unerkannt eingelagert.

4. Angebot und Nachfrage -

Gründe für erhöhte Nachfrage und verringertes Angebot: Fleischkonsum in China und Indien, Einsatz Mais und Ölsaaten für Biospritgewinnung, Schlechte Getreideernte in 2007/2008.

-

Jedoch: Steigerung Eigenproduktion, Nettoexporteure

-

Ethanolproduktion in USA zusätzliche Nachfrage Mais, 40 % gesamte Maisernte . Aber: andauernde Ethanolproduktion in 2008 Preisabsturz – 70% in zweitem Halbjahr 2008

-

Allgemeine Versorgungslage gemessen an „stocks-to-use-ratio“: Kurzfristig Einfluss deutlich, langfristig nicht: Z. B. Juni 2007 und Juni 2011 gleich, Preise jedoch verdoppelt (Abb. 6).

-

Markt reagierte fast nicht auf Aufhebung des Exportverbots für Getreide aus Russland (Angebot schlagartig um 10% des Weltexports erhöht).

-

Innerhalb von zwei Wochen Preise -20% bei Beginn der Überschuldungsdebatte Griechenland.

-

Ölpreisanstieg trotz guter Versorgung (Lagerfüllung)

NachDenkSeiten Leipzig

4

Dr. Johannes Lerchner 23. Mai 2013


5. Korrelation Rohstoffindizes – Kapitalanlagen -

2012 verhalten sich Rohstoffindex , Ölpreis ähnlich wie Aktienindex SP500, d. h. wie Finanzmarktprodukte. Indiz für nachfrageunabhängige Preiserfindung (Abb. 8)

-

Wieso kann es sein, dass Angebot und Nachfrage für Rohstoffe immer in Übereinstimmung mit Angebot und Nachfrage nach Aktien oder Währungen sind?

-

Struktureller Bruch in Korrelationen nach 2008 wegen High Frequency Trade (besonders hohe Korrelation, im Selkundenbereich, http://mpra.ub.uni-muenchen.de/37486/) kann kein Effekt von Angebot und Nachfrage nach physischen Gütern sein.

-

Spekulation Rohölpreise treibt Agrarpreise (Ölpreis mit 25 % in Getreidepreisen)

-

2007: Rezession in USA und Europa, Ölverbrauch 87,5 85,3 Fass / Tag, jedoch: Ölpreis 95 147 $ / Fass

-

Freies Kapital wegen Immobilienkrise suchte Anlagemöglichkeiten, 10 Mrd. $ in Öl-Futures

-

(s. Abb. 7)

-

Beinah-Kollaps zwang zu Auflösung verfügbarer Anlagen Platzen der Ölpreisblase (-68 % in sechs Monaten)

-

Kopplung Öl- und Nahrungsmittelpreise Abb. 9

-

Kopplung Rohstoffindex – Dollarliquidität Abb. 10

6. Konsequenzen -

Mechanismus zur Untersuchung starker Preissteigerungen

-

Bei Identifikation von Spekulationseffekten: Regulationsbremsen

-

Mengenbegrenzungen für individuelle Spekulationen,

-

Niemand darf handeln, der Gut nicht in einem bestimmten Zeitraum physisch entgegennimmt

-

Bei tatsächlicher Angebotsverknappung: Auflösung von Lagern

(Flassbeck, Beendet die Rohstoffspekulation!, „Kirche im ländlichen Raum“, Mai 2012)

NachDenkSeiten Leipzig

5

Dr. Johannes Lerchner 23. Mai 2013


Abbildungen 1 ‐ 10 Wenn nicht anders angegeben, sind die Abbildungen aus: foodwatch Report 2011, H. Schumann, „Die Hungermacher“

Abb. 1:

http://unctad.org/en/Docs/gds20111_en.pdf, S.10


Abb. 2: Futures‐Handel


Abb. 2: Future ‐ Handel

Abb. 3: Beispiele für Index‐Fonds


Abb. 4

Abb. 5


Abb. 6

Abb. 7


Abb. 8: Kopplung Rohölpreis – Aktienindex ‐ Rohstoffindex http://unctad.org/en/PublicationsLibrary/presspb2012d1_en.pdf


Abb. 9

Abb. 10


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.