Schwarze Ponchos

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Bei einer Hochzeit in Salasaca trägt sowohl die Braut als auch der Bräutigam farbenfrohe Kleidung.

Schwarze Ponchos Während die indigene Bevölkerung an vielen Orten der Welt ihr Land und ­große Teile ihrer Tradition schon vor langer Zeit verloren hat, leben die Salasaca ­­­­­ in den ecuadorianischen Anden relativ unabhängig in ihrer Stadt S­ alasaca seit sie vermutlich vor über 500 Jahren von den Inkas dorthin geschickt worden ­waren. Umgeben von Städten, deren Bevölkerung Weiße und Mestizen sind, ­leben die Salasaca stolz ihre Kultur und ihre Traditionen. Seit der V ­ erfassung von 2008 ist Ecuador offiziell „plurikulturell“ und wertschätzt damit alle ­Kulturen in gleichem Maße. Doch die Jahre der Diskriminierung gegen die indigene Bevölkerung, aber auch die Auswirkungen der Globalisierung und der Arbeitsmigration haben Spuren hinterlassen und führten in den letzten ­Jahrzehnten zu einem Verlust an Wissen über Tradition und Kultur in Salasaca. von Natalie Becker


Wenn jemand stirbt kommen viele Menschen ins Haus der Familie des Toten um sie in i­ hrer Trauer zu begleiten. Sie bringen Blumen und Kerzen und erhalten Suppe und „colada morada“.

Eine Melodie liegt in der Luft über den Beton­

ziegelhäusern und kleinen Feldern von Salasaca, die Lautsprecher spielen eine Panflötenversion von „The Sound of Silence“ im ganzen Ort. Für gewöhn­ lich ­dienen die Lautsprecher dafür, die Bürger zu ­informieren wann und wo ein Arbeits­einsatz für die Gemeinschaft, eine sogenannte „­Minga“, ­stattfindet. Doch diese Melodie erklingt zur Ehre eines Toten. Auch die Namen der ­Angehörigen ruft der Laut­ sprecher aus und lädt sie ein zur Totenwache. Im Hof des kleinen Hauses der Familie des ­Toten sammeln sich Familienangehörige, ­Freunde und Nachbarn. Es ist sehr voll, die Menschen ­bringen ­Blumengestecke und Kerzen und begleiten die ­Familie in der Zeit des Abschiednehmens. ­Jeder

­ rauergast ­erhält zu essen und zu trinken während T der ­Toten­wache. In den drei Tagen der ­Totenwache bis zur Beerdigung kocht die ­Familie also ­mindestens zwei oder drei Kühe und riesige ­Mengen von ­Kartoffeln, Mais und Suppe. Alle, die mit dem ­Toten direkt ­verwandt sind, tragen einen runden ­braunen Hut mit goldenen Linien und unterscheiden sich so von ­anderen Verwandten und Freunden. Viele der ­Trauergäste tragen ihre ­traditionelle Kleidung zur Toten­wache und zur Beerdigung.

Anständig gekleidet Die traditionelle Kleidung und ihre spezifischen ­Farben sind der erste Aspekt, den viele Salasaca

­ ennen auf meine Frage welche Traditionen ihnen n am wichtigsten sind oder was ihr kulturelles Erbe und ihre Identität ausmacht. Auch die Kinder haben ­bereits sehr früh die gleiche traditonelle Kleidung wie die Erwachsenen. Die Männer tragen eine weiße Hose und ein weißes Hemd ohne Kragen, gehalten durch einen ­gewebten Gürtel (­chumbi), sowie den ­charakteristischen langen schwarzen ­Poncho (ruana). Die Frauen tragen einen schwarzen Rock (anaku), der aus einem großen schwarzen Stoffstück besteht, das um die Hüfte gewickelt und ebenfalls von einem ge­ webten Gürtel (chumbi) gehalten wird. Dazu tragen sie eine bestickte schwarze oder weiße Bluse, ­mehrere Ketten, ein oder mehrere Schultertücher (bayeta)

in grün, violet, rot oder seltener schwarz, und Ohr­ ringe. Hüte tragen sowohl Männer als auch Frauen. Neben dem braunen Trauerhut und dem alten weißen Hut, der noch bei festlichen Anlässen ­getragen wird, ­tragen die Salasaca normalerweise grüne, braune oder schwarze aus Europa importierte Hüte, die den Hüten ähneln, die in Europa Jäger tragen. Auch noch ein weiterer Teil der Kleidung kommt aus Europa oder den Vereinigten Staaten: die Perlen, die die Frauen an ihren Halsketten tra­ gen. So gut wie jede Frau und jedes Mädchen trägt orange-rote Korallen und vielfarbige Venezianischen Perlen an ­einer oder mehreren Halsketten. Diese ­importierten ­Materialien sind ein wichtiger Bestand­ teil der ­traditionellen Kleidung geworden und kaum


Die Straße von Ambato nach Baños führt durch das Stadtzentrum von S­ alasaca

Miriam Jerez Jimenez schaut Juana Masaquiza Masaquiza zu wie sie in der Nacht vor Allerseelen einen neuen „chumbi“ fertigstellt.

eine Frau würde ohne Halskette zu einem festlichen Anlass gehen. Die meisten Frauen tragen die ­Ketten auch im Alltag. Wie sind die importierten Perlen zur ­Tradition geworden? Welchen Schmuck trugen die Menschen ­bevor sie ­diese Perlen importierten? Viele können mir die Frage nicht ­beantworten. Vor ­langer Zeit waren die ­Perlen ­tatsächlich aus Gold oder ­anderen ­Metallen und ­seltenen Steinen aus den Anden. Doch als ­Korallen und Venezianische Perlen ­importiert ­wurden, ­waren ­diese nicht nur viel billiger sondern auch ­farbiger und ­wurden so schnell zum Material der Wahl und ­ersetzten Gold und Edel­steine. Auf die ­Farben kommt es an. In der Kosmologie der ­indigenen ­Völker Südamerikas hat jede Farbe eine Bedeutung, doch die Bedeutung geht mehr und mehr verloren. „Wir ­haben schon immer Farben geliebt“, ist die Antwort, die ich von vielen Menschen erhalte wenn ich nach den P ­ erlen der Halsketten frage. Während die Perlen aus anderen Ländern und ­Kontinenten kommen, ist es den Salasaca jedoch

wichtig die Stoffe für ihre traditionelle Kleidung selbst und von Hand herzustellen. Jede Frau in Salasaca weiß wie man Wolle von Hand spinnt. Es fasziniert mich wie sie überall, sei es auf dem Weg von A nach B oder bei einer Versammlung, immer und ­überall ­spinnen ­können ohne auf die Wolle oder auf die Spindel zu schauen. Eine Hand dreht die Spindel und ­Zeigefinger und Daumen der anderen Hand zwirbeln einen ­dünnen Faden aus dem Bausch roher Wolle. Diese perfekte Handkoordination setzt viele Jahre Übung voraus. Es erscheint wie eine Tätigkeit aus ­einer ­anderen Zeit, wenn man bedenkt, dass zum ­Beispiel die Menschen in Otavalo, deren Textilien bei ­Touristen bekannt und beliebt sind, Maschinen zum ­Spinnen und Weben verwenden. Doch in Salasaca ist es eine ­wichtige und geschätzte Fähigkeit von Hand zu ­spinnen und auf alten hölzerenen Webstühlen zu ­weben. Viele ­sagen mir, dass sie es sich nicht leisten können die ­traditionelle Kleidung zu kaufen, und


Das Haus von Juan Manuel Masaquiza Masaquiza und seiner Familie ist gleichzeitig ­Werkstatt zum Bau von Instrumenten wie dem Charango und Treffpunkt der Gruppe „Jatun Yawrikuna“ um Musik und Tänze zu proben.

­ aher spinnen und weben sie sie selbst. d „Besonders die alten Menschen sehen es nicht gerne wenn ein Salasaca in Jeans und T-shirt ­draußen auf der Straße ist“, erzählt die 28-jährige ­Veronica ­Chiliquinga Masaquiza, „es ist mir wichtig ­anständig gekleidet zu sein wenn ich zu einer ­Versammlung oder einem Fest gehe, und ich möchte auch, dass ­meine Töchter sich ordentlich ­kleiden. Aber es ist ­teuer, ­daher tragen wir zu Hause meist andere ­billigere ­Kleidung.“ Jede Familie versucht zumindest einen Teil der ­Textilproduktion selbst zu erledigen um die ­Kosten zu reduzieren. Zu allererst braucht man ­Schafe. Die ­Wolle eines Schafes von einem Jahr reicht für ein ­Schultertuch. Für einen Rock oder einen Poncho

braucht man mehr Wolle. Die Wolle wird zuerst ­gekämmt und von Hand gesponnen und danach mit dem hölzeren ­Webstuhl gewoben. Das Spinnen ist eine reine ­Frauensache, während das Weben ­sowohl von ­Männern als auch von Frauen übernommen wird. Wer selbst keinen Webstuhl besitzt muss ihn sich ­zeitweise leihen oder andere Menschen für das Weben seiner Wolle bezahlen. Der Stoff wird mit ­natürlichen Farbstoffen oder mittlerweile teilweise auch mit ­künstlichen Farbstoffen gefärbt und mit ­feinen ­weißen Fäden bestickt. Der schwarze Poncho der Männer ­benötigt noch mehr Zeit und Arbeit. Zwei bis vier Menschen brauchen ein bis drei Tage, in denen sie auf dem ­aufgerollten Stoff herumtreten bis er ausreichend

g­ efilzt und dicht ist. Dieser aufwändige Prozess macht den Poncho so teuer. Auch wenn Freunde oder ­Verwandte beim Filzen des Ponchos helfen so wollen sie während dieser Arbeitszeit zumindest mit Essen und Getränken versorgt werden.

Recht auf eigene Sprache und Namen Das Wort „poncho“ ist spanisch, in Kichwa wird ­dieses Kleidungsstück „ruana“ genannt. Das ­Kichwa von ­Salasaca ist eine von 15 indigenen ­Sprachen und ­Dialekten in Ecuador und gehört zur ­Quechua-Sprachfamilie. Während die Anzahl der Kichwasprecher in Südamerika allgemein abnimmt, ­haben die ­Salasaca kein Problem, dass ihre Sprache

v­ erlorengehen ­würde. Spanisch wird zwar in den ­Schulen unterrichtet und im ­Arbeitsumfeld ­ausserhalb von Salasaca verwendet oder im Gespräch mit ­Menschen von ­außerhalb, die kein Kichwa ­verstehen. Doch in ­Salasaca sprechen die Menschen Kichwa mit Freunden und Familie. ­Spanische Wörter werden in Kichwa integriert und auch die spanische Sprache in Ecuador wird ­beeinflusst durch Kichwa-Wörter. Während Kichwa noch immer keine ­offizielle Sprache ist, ist das sogenannte „Kichwa ­unificado“, das aus den verschiedenen Kichwa-Varianten ­gebildet wurde, seit 2008 als Regionalsprache „zum ­offiziellen Gebrauch für die indigene Bevölkerung“ anerkannt. Das ist noch immer nicht das Gleiche wie die ­Anerkennung als offizielle Landessprache, doch


Die Tänzer und Musiker der Gruppe „Jatun Yawrikuna“ spielen die Situation nach, dass Schafdiebe gefasst wurden und zu einem Prozess nach indigenem Recht abgeführt werden.

­ cuador hat Fortschritte gemacht seit der ­Bewegung E der indigenen Bevölkerung in den 1990ern. ­­­­­ Zumindest in der Verfassung haben alle Kulturen Ecuadors den gleichen Wert und die gleichen Rechte seit 2008. Doch dies muss in den Köpfen und Herzen der Menschen erst noch wirklich ankommen. „Es ist tief drinnen, dass die Kultur der ­indigenen Bevölkerung weniger wert ist und darum erzählen die alten Menschen, die noch immer sehr viel Wissen über die Kultur haben, kaum davon“, sagt der Künstler Danilo Masaquiza Chicaiza, „und viele ­junge Menschen fragen auch nicht, denn sie haben

a­ ndere Interessen.“ Die Sprache war nie verboten und ­wurde durchgehend gesprochen, doch bis zum Ende der 1980er Jahre war es in Ecuador nicht möglich ein Kind mit einem Kichwa-Namen anzumelden. „Meinen ersten Sohn musste ich als Juan Jose anmelden. Er musste bis zu seinem 18. ­Geburtstag warten um seinen Namen in Willka zu ändern“, ­erzählt Juan Manuel Masaquiza Masaquiza, „und beim ­zweiten Sohn musste ich immer noch drei ­Monate warten um ihn mit seinem Namen ­Malku ­anzumelden.“ Juan ­Manuel war einer der ersten in Salasaca der auf Kichwa-­Namen für seine Kinder

­ estand und sich dazu entschied die Haare wieder b lang zu tragen. Bei den nach 2000 geborenen Kindern sind Kichwa-Namen häufiger geworden und mittler­weile entscheiden Männer jeden Alters für sich selbst ob sie die Haare kurz oder lang tragen wollen. Doch s­cheinbar ist selbst das Wissen, dass die Salasaca t­raditionell die Haar lang trugen nicht mehr allen Menschen präsent. Die Verbote der katholischen ­Kirche haben in den Köpfen gewirkt. Eine Frau erzählte mir: „Nur ­Musiker und Männer, die nach Europa gereist sind, tragen ­lange Haare. Die anderen Männer tun so etwas nicht.“

Indigenes Recht Besonders die Weißen und Mestizen der ­umliegenden Städte wissen sehr wenig über ihre Nachbarn in ­Salasaca. Für viele junge Menschen aus einer Gruppe von Jurastudenten der Universität Ambato ist es etwas ungewöhnliches indigene Traditionen zu sehen als ihr Professor Alexandro Vasco sie zu einer ­Präsentation des indigenen Rechtssystems nach Salasaca mitnimmt. Neben dem Justizsystem Ecuadors existiert in Salasaca und auch bei einigen anderen ­indigenen


Wenn eine „minga“ oder eine Versammlung ausgerufen wird muss jeder Haushalt eine Person dorthin schicken. Eine Famile, die einmal niemanden schickt muss eine Strafe bezahlen oder beim nächsten Mal zwei Personen schicken.

Gruppen ein eigenes Rechtssystem, das auch ­weiterhin parallel angewendet wird. In den 1990ern gab es ­einen Vorfall in ­Salasaca, der Schlagzeilen machte, wo eine ­Situation aus dem Ruder lief und zwei ­jugendliche ­Diebe von der ­wütenden Menschenmenge tot­geschlagen ­wurden. Doch die Todesstrafe gibt es bei den ­Salasaca ­eigentlich nicht. Besonders bei ­Menschen, die zum ersten Mal wegen Diebstahl ­angeklagt sind, ist das Ziel der ­Verhandlung, die von den gewählten ­Vertretern gehalten wird, heraus­zufinden warum ­diese Person gestohlen hat und ihm oder ihr dabei zu helfen auf den richtigen Weg zurück zu finden. Die ­angeklagte Person wird mit ­medinischen ­Pflanzen ­gereinigt und von älteren ­Menschen beraten. Für ­wiederholten

Diebstahl und in schwerwiegenden ­Fällen werden Diebe aber auch mit kaltem Wasser oder in einigen Fällen mit der Peitsche bestraft. Das Interesse der Bevölkerung von ­Salasaca bei solchen Prozessen zuzuschauen ist groß. Die Ansage über die Lautsprecher, dass Diebe ­gefangen wurden, kann Hunderte Menschen in eine kleine ­Gemeindehalle ziehen, sogar spät in der Nacht. Die Musik- und Tanzgruppe „Jatun ­Yawrikuna“ spielt die Situation eines Schafdiebstahls nach um ­daran den Jurastudenten das Rechtssystem der ­Salasaca zu ­erklären. Die Gruppe wurde 2005 von Juan ­Manuel Masaquiza Masaquiza, dem Vater von einigen der ­Tä­nzer, g­egründet. Sie üben ­traditionelle Tänze und L­­i­eder aus Salasaca und anderen Teilen ­Ecuadors

und S­üdamerikas auf dem ­staubigen ­Vorplatz des Hauses und treten bei Festen und W ­ ettbewerben auf.

Ein starker Gemeinschaftssinn Die Lautsprecher spielen eine wichtige Rolle für das Funktionieren der Gemeinschaft. Sie ­verkünden nicht nur Todesfälle und Diebställe, in erster ­Linie ­dienen sie dazu die Menschen zu ­Versammlungen und ­Arbeitseinsätzen, den „Mingas“, zu rufen. ­Jeder der 22 Stadtteile von Salasaca wählt seinen ­Präsidenten ­sowie Vertreter und für ganz Salasaca wird ein ­Vorsitzender und der Stadtrat ­bestehend aus acht ­Personen für ­jeweils zwei Jahre gewählt werden. Demo­kratische Entscheidungen und Zusammen­

arbeit für die ­Gemeinschaft sind ein wichtiger Teil des Lebens in ­Salasaca. Schon in der Grundschule wählen die ­Kinder ihre Schülersprecher und Verantwortliche für bestimme Aufgaben und sie lernen die Vorteile der gemeinsamen Arbeitseinsätze. Ein gewähltes Ratsmitglied kann zu einem ­Arbeitseinsatz rufen wenn etwas für die Gemeinschaft getan werden muss. Das kann sein, dass ein ­öffent­liches Gebäude oder ein Platz gebaut oder ­renoviert ­werden soll, die Kirche gestrichen oder die Wasser­kanäle ­gereinigt werden müssen oder jede ­Aufgabe, die der ganzen Gemeinschaft dient. Wenn ein Arbeits­einsatz ausgerufen wird muss jeder Haushalt eine Person ­dorthin schicken. Anwesenheitslisten werden geführt und wenn ein Haushalt einmal ­niemanden schicken


José Ivan Jerez Jimenez kann nur wenige Wochen mit seinen Söhnen Mauricio (7) and Jimy (5) verbringen, den Rest des Jahres arbeitet er in Spanien.

kann muss eine ­Geldstrafe ­gezahlt werden oder es müssen zwei Personen ­dieser Familie zum ­nächsten Arbeitseinsatz kommen. Die ­Anwesenheit und ­Beteiligung ist gut da weitgehend Einigkeit ­darüber besteht, dass die Arbeit für die Gemeinschaft wich­ tig und ­notwendig ist. Selbst eine ­allein­erziehende ­Mutter, die zu jedem Arbeits­einsatz gehen muss, da sie mit ­ihren beiden Töchtern in ­einem eigenen klei­ nen Haus lebt, sagte mir, dass sie die Teilnahme an den Arbeits­einsätzen wichtig und richtig findet, auch wenn es für sie ­ungleich härter ist, da sie viel häufiger mithelfen muss als Menschen, die mit mehreren Er­ wachsenen in ­einem Haushalt leben.

Arbeit finden in der Ferne Familie und Gemeinschaft sind seit je her w­ichtige Werte in Salasaca. Doch da es wenig Erwerbs­ möglichkeiten gibt sind viele Menschen gezwungen auch anderswo Arbeit zu suchen. Aus diesem Grund arbeiten viele Menschen in der Stadt Ambato oder auch weiter entfernt. Besonders junge Menschen, die Geld brauchen um ein Haus zu bauen oder ihre Hochzeit zu finanzieren gehen dorthin wo sie Arbeit ­finden. Die Häuser in Salasaca werden meist von ­ihren Besitzern selbst gebaut mit der Hilfe von Freunden und Verwandten. Jede Familie besitzt auch ein Stück Land und betreibt Nebenerwerbslandwirtschaft. So ist

Wie die meisten Familien hat die Familie von Maria Moreta Jerez ein paar Tiere und ein bisschen Land, wo sie Gras als Viehfutter schneidet. Ihre Tochter Ana del Rocio (9) ­möchte an der Universität studieren wenn sie alt genug ist, genau wie ihre große Schwester.

es sehr verbreitet, dass die Salasaca, die in der Ferne arbeiten, sich Jobs auf Baustellen in Galapagos oder Gemüseplantagen in Spanien suchen. In den letzten fünf Jahren war Jose Ivan ­Jerez ­Jimenez jeweils gut drei viertel des Jahres in ­Spanien um für seine Familie Geld zu verdienen. Der fünf­ jährige Jimy und der siebenjährige Mauricio sind glücklich wenn ihr Vater für einige Wochen nach ­Hause kommt. Er bringt Geschenke und spielt mit i­hnen, doch l­ange bleiben kann er nicht. W­enige ­Wochen später ­bekommt Jose Ivan einen neuen ­Vertrag und muss seine Söhne und seine Frau ­Silvia wieder ­zurück lassen um auf den Gemüsefeldern ­einer Firma in Spanien zu ­arbeiten. Doch er weiß ­wofür er arbeitet: Letztes Jahr konnte er es sich leisten ein

s­ chönes, geräumiges Haus zu bauen und jetzt spart er für die Hochzeitsfeier.

Nebenerwerbslandwirtschaft Die Mehrheit der Menschen besitzt ein kleines b­isschen Land, oft ein bis drei Stücke in verschiedenen Stadt­teilen, und ein paar Tiere wie zum Beispiel ein bis vier Kühe oder Schweine mit deren Nachkommen. Oder ein paar Schafe, oder einen Esel. Sehr wenige ­besitzen ein Pferd oder ein Lama. Fast jede Familie hält einige Hühner, Meerschweinchen und Kanin­ chen. Angebaut werden meistens Alfalfa als Tier­futter und Mais und Bohnen für die Familie. Wenn man durch Salasaca läuft scheint es als ob ­jeder Quadrat­


In den Tagen vor dem „Dia de los DIfuntos“ werden riesige Mengen an Brötchen gebacken und Kaninchen und Meerschweinchen gegrillt.

meter Land ­irgendjemandem gehört. Öffentlichen Raum gibt es nur in Form von Straßen, Plätzen und öffentlichen Gebäuden. Auf den Grenzen der einzelnen Parzellen wachsen vielerorts nach wie vor Agaven. Klein­ geschnitten dienen sie als Futter für die Kühe, und wenn man ein Loch in den Stamm ­einer alten Agave schneidet kann man „tzawar mishki“ sammeln, eine Flüssigkeit, die gegen Schmerzen wie Kopfweh hilft.

Dia de los Difuntos Die Erträge ihrer Äcker bilden auch den Hauptanteil des Essens, das bei Festen aller Art serviert wird. Und es gibt viele Feste im Laufe des Jahres, einige mit christ­ lichem Ursprung, einige mit indigenem ­Ursprung und viele, die eine Mischung aus beidem sind. Zu d­iesen jährlich wiederkehrenden Festen k­ommen noch die Taufen, Hochzeiten und Be­erdigungen hin­ zu. Das Fest, bei dem am meisten Essen geteilt wird, ist jedoch der „Dia de los Difuntos“ (Allerseelen). Die meisten Ponchos, ­Röcke und Schulter­tücher werden

im ­Oktober hergestellt als Vor­bereitung für den „Dia de los Difuntos“, denn zu diesem Anlass möchten alle schöne, neue Kleider tragen. Doch es gibt noch viel mehr vorzubereiten für die Feiertage des „Dia de los Difuntos“, die auch „Finados“ genannt werden. Dutzende Kaninchen und Meerschweinchen und Hunderte Brötchen brät beziehungsweise bäckt jede Großfamilie im großen Steinofen. Wer selbst keinen solchen Ofen hat besucht Freunde oder V­erwandte, die einen haben, und bäckt dort. In den Tagen vor Allerseelen ist der Ofen Tag und Nacht in Gebrauch, denn jeder braucht sehr viel

Brot und Fleisch für das Fest. Eine weitere wichtige Speise ist die „­Colada morada“, eine zähflüssige Süßspeise, deren charakte­ ristische dunkelviolette Farbe von dunklem Maismehl und der typische Geschmack von etwa 20 ­Kräutern, Gewürzen und Früchten stammt, die in einem ­großen Kessel auf dem offenen Feuer gekocht werden. „­Colada morada“ wird auch bei der Toten­wache an die Trauergäste verteilt. Meist ist es die ­Aufgabe der ­Schwiegertochter eines Toten die „­Colada morada“ für die T ­ otenwache zuzubereiten. Wenn alles Essen fertig ist wird es in Plastik­


Am Tag vor Allerseelen streicht Elena Masaquiza Masaquiza die Gräber ihrer Familie nach.


tüten verpackt und in Schultertücher eingeschlagen, so dass die Frauen es auf dem Rücken tragen können wenn sie zum Friedhof gehen. Der „Dia des los Difuntos“ ist ein sehr ­wichtiger ­Feiertag in Salasaca. Wenn alle ­Bewo­hner ­Salasacas plus die Familienmitglieder, die sonst weit weg ­arbeiten und für die Festtage nach ­Hause ­gekommen sind, zusammen zum Friedhof laufen oder fahren, dann füllt sich die Fläche innerhalb der weißen Friedhofswände von Cruz Pamba am Fuss des Katitawa-Hügels, mit Farbe und Leben. Jede Familie trägt große Mengen von Essen und Blumen zum Grab ihrer verstorbenen Angehörigen. Sie setzten sich auf die kleinen Mäuerchen der Gräber, entzünden Kerzen und teilen das Essen mit den lebenden und den toten Angehörigen und Freunden. Nur wenige verfolgen die Messe, die am großen Kreuz des Friedhofs ­gehalten wird. Es ist wichtig eine Liste zu schreiben mit den ­Namen der verstorbenen Angehörigen und diese vom Pfarrer segnen zu lassen, doch am wichtigsten ist es an den Gräbern das Essen zu teilen und zu essen, ­zusammen mit den Lebenden und den Toten. Nur sehr wenige Menschen tragen an ­diesem Tag nicht die traditionelle Kleidung. Diese Feier ­gehört zur Identität der Salasaca. Einzelne Mestizen und Weiße sind auch da, aber nur als Gäste oder als Verkäufer, die Essen, Kerzen, Eis und Zucker­watte vor dem Friedhof verkaufen und teilweise auch auf dem Friedhof. Mit langen Stangen, an denen rosa Zucker­ watte hängt, oder als Eisverkäufer laufen sie durch die Gräberreihen und verkaufen ihre Ware. Es ist ein Meer aus farbigen P­unkten, das die weißen Grab­kreuze ­umspült wenn die ­Menschen über den ­Friedhof ­laufen um mit vielen Freunden und Verwandten das Essen zu teilen und später am Tag auch mehr und mehr ­Alkohol. Auf den ersten Blick ist es ein christlicher Feiertag und für viele Menschen ist es auch nur das. Doch manche Menschen sagen, dass in den Bräuchen mehr steckt.

Eine vermischte Religion Die meisten Salasaca gehören der katholischen ­Kirche an, feiern die Feste der katholischen Kirche und ­sagen, dass sie über eine Religion ihrer ­Vorfahren vor der Einführung des Katho­lizismus kaum etwas wissen. Doch manche ­sagen auch, dass sich durchaus vor­ christliche ­Traditionen erhalten haben. Die Kultur und Religion der ­Salasaca vor der ­spanischen Eroberung ­beeinflusste und ­formte wie die christlichen Feste hier gefeiert werden und hat daher innerhalb der ehemals

Am „Dia de los Difuntos“ gibt es nicht nur viel traditionelles Essen. Kinder wie Jordan Caizabanda Masaquiza freuen sich auch auf Süßigkeiten wie Zuckerwatte und Eis.

auf­gezwungenen ­christlichen Kultur überlebt, auch wenn das nicht mehr so offensichtlich ist und viele auch nicht ­darüber sprechen. Man sagt lieber nichts bevor man etwas möglicherweise nicht Richtiges sagt. So bleiben ­Feste und Traditionen ­erhalten so lange wie es jemanden gibt, der sie feiert, doch das Wissen darüber wird u ­ nvollständig. Ein gutes Beispiel dafür wie stark christliche Lehren und die indigene Kosmovision sich vermischt ha­ ben ist das Symbol des Kreuzes. Die meisten Men­ schen kennen das Kreuz nur als christliches Symbol für den gekreuzigten Jesus Christus. Doch in der

i­ ndigigenen Spiritualität existierte das Kreuz schon lange bevor die christliche Religion in Südamerika eingeführt ­wurde. Das Andenkreuz oder „Chakana“ kommt aus der ­Mythologie der Inka. ­Gegenstände prä­kolumbianischer Kunst, die ein Kreuz zegien, ­wurden oft in christliche K­reuze ­umgewandelt von den ­Er­oberern oder der Kirche. Doch es gibt ­einen Unterschied. Das christliche Kreuz hat eine Seite, die länger ist als die anderen drei, ­während das Anden­ kreuz vier gleiche Seiten hat. Ein alter Mann in schwarzem Poncho be­ tritt die Werkstatt des Künstlers Danilo Masaquiza

­ hicaiza, denn er weiß, dass Danilo sich nicht nur C selbst beigebracht hat Schmuck herzustellen sonder auch alte Kunstgegenstände zu restaurieren. Was der alte Mann zu Danilo bringt ist ein Andenkreuz aus ­Silber. Die sehr feinen Impressionen, die einige der Muster bilden müssen Jahrhunderte alt sein. Es gibt auch tiefere, gröbere Impressionen und ­Muster, die sehr wahr­scheinlich erst später hinzugefügt ­wurden: ein christliches Kreuz und die Buchstaben des ­Namens Maria. Auch Stellen an denen das Kreuz unsachgemäß repariert wurde sind deutlich sichtbar. Das Kreuz ist von einem Fuss ­abgebrochen mit dem es auf einem Stab


mit vielen ­farbigen Bändern aufgesteckt werden kann. Dieser Stab mit dem Kreuz nennt sich „Pindon“ und wird vom „Pindonero“ getragen, der das erste und das letzte von einem Zyklus von Festen ­ausrichtet. Seit 15 Jahren hat es keinen „Pindonero“ mehr gegeben, doch jetzt hat Salasaca wieder einen. Auch bei der feierli­ chen Ernennung des neuen ­„Pindonero“ wird w­ieder deutlich wie eng verflochten die ­Traditionen sind. Der „Pindon“ wird in einem Gottesdienst ­feierlich vom früheren an den neuen „Pindonero“ weitergegeben und vom Pfarrer in der Kirche gesegnet. Für einen Teil der Bevölkerung sind die ­Kultur und die Feste nicht mehr als ein Grund zum feiern und sich betrinken, während auf der anderen Seite ­einige Menschen wie die Gruppe „Jatun Ya­wrikuna“ oder der Künstler Danilo Masaquiza viel Zeit ­investieren um die Weltanschauung und Kultur ihrer Vorfahren zu erforschen, zu sammeln, zu leben und ­weiterzugeben.

Eine Hochzeit in Salasaca Auch Hochzeiten sind voll von Ritualen und ­Symbolen, angefangen mit dem Weg, den das Braut­ paar zur ­Kirche läuft, den Farben und Mustern, die sie tragen, den ­Orten wo die Hochzeitsgesellschaft anhält und tanzt auf dem Weg, und besonders den Hochzeits­ paten, die dem Brautpaar als ­Berater zur Seite stehen und das Paar sowohl durch die Hochzeitsfeierlich­ keiten als auch in ihrem ­gemeinsamen Leben ­begleiten. Außerdem ­geben ältere Menschen der Braut und dem Bräutigam ihren Segen und gute Ratschläge und ­mischen dabei katholische Gebete mit indigenen ­Segenswünschen in einem sehr ­emotionalen Ritual bei dem Braut und Bräutigam einzeln sich von jedem der alten Männer und anschließend von den alten ­Frauen segnen ­lassen, und das einmal im Elternhaus der Braut und einmal im Elternhaus des Bräutigams. Erst nach diesen ­teilweise sehr emotionalen ­Segnungen beginnt das drei Tage dauernde Fest mit sehr viel ­Essen, ­Alkohol und Tanz. Für Braut und Bräutigam ist es ganz schön teuer und anstrengend ein drei Tage langes Fest auszurichten, doch auch die drei Tage ha­ ben ihren Ursprung in der andinen ­Kosmovision. Die drei Tage repräsentieren Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die Aufgabe der Paten ist es Wissen an das junge Paar weiterzugeben, besonders praktisches ­Wissen. Am Ende des ersten Tages der Hochzeit be­ gleiten sie die Frischvermählten ins Schlafzimmer, bringen sie ins Bett und legen die Arme von Braut und Bräutigam umeinander. Dieser Brauch als Teil der Hochzeits­feier hat sich aus einer Zeit erhalten, in der

die Menschen sehr jung geheiratet haben und noch nicht aufgeklärt waren. Heute heiraten viele Paare erst einige Jahre nach ihrer standesamtlichen Heirat kirch­ lich wenn sie das Geld für die Hochzeitsfeier gespart haben. ­Außerhalb des Schlafzimmers geht die Party weiter mit viel Tanz und noch mehr Alkohol. Einige Gäste betrinken sich sehr stark.

Beerdigungsrituale Am folgenden Tag liegt wieder die Melodie von „The Sound of Silence“ in der Luft. Einer der Hochzeits­ gäste hatte sich so stark betrunken, dass er später in der Nacht in seinem Haus an Alkoholvergiftung ­verstoren war. ­Bevor die drei Tage der Hochzeit um waren ­begann also schon wieder die nächste Toten­ wache. „Es ­stecken viele Traditionen in der Art wie wir unsere ­Beerdigungen feiern. Wir nehmen immer die selben Wege durch den Ort wenn wir den Sarg zur Kirche und anschließend zum Friedhof tragen, selbst wenn dies bedeutet, dass man einen steilen Abhang ­hinauf oder durch ein Feld laufen muss. An jeder wichtigen Kreuzung bleiben wir stehen, teilen Essen und ­Getränke und spielen ein Spiel, damit die Seele des Verstorbenen zufrieden ist,“ erklärt Danilo, „unsere Beerdigungen sind nicht nur Trauer. In allen Dingen gibt es in der indigenen Kosmovision eine Dualität. Also gibt es auch Freude und Trauer bei der Be­erdigung.“ Alle Männer, außer direkte ­Angehörige des Toten, spielen ein Spiel mit einem geschnitzten Knochen als Würfel. Wer die höhere Zahl würfelt schlägt dem mit der niedrigeren Zahl auf den Arm. Die Salasaca nehmen sich Zeit ihre toten Freunde und Verwandten ein letztes Mal zu ­begleiten. Mit ihren Gürteln tragen Freunde des Toten den Sarg und auch Kreuz und Sockel des Grabsteins ­mehrere Stunden lang durch den Ort. Bevor der Sarg ­umringt von einer großen Menschenmenge in die Erde ­gelassen wird, werden Essen und Gegenstände des Toten in den Sarg gelegt, die er auf seiner Reise ­brauchen könnte. Doch auf dem Friedhof endet die Feier noch nicht. Am nächsten Abend spielen Familie und Freunde im Haus des Toten und darum herum eine katholische Messe nach und reinigen den Raum mit Heilpflanzen. Diese Rituale dienen dazu die Seele in den Himmel zu senden.

Während ihrer Hochzeit werden Magdalena Yansapanta Chiliquinga und Rosalino Chango Pilla von ihren Hochzeits-Paten Elsa und Fernando ­Robalino begleitet. Auch für ihr zukünftiges Eheleben sind die Paten Helfer und Berater. Es ist Brauch, dass die Hochzeitspaten die Braut und den Bräutigam am Abend des ersten Tages der Hochzeitsfeier zu Bett bringen. Auch einige Gäste schaffen es einen Platz im Schlafzimmer zu ergattern.


Der Bräutigam Rosalino Chango Pilla, sein Hochzeits-Pate und weitere Männer sitzen an einem anderen Tisch als die Braut, ihre Patin und die Frauen.


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