Globales Lernen Impulse für die Kinder- und Jugendarbeit der NaturFreunde Ausgabe 4/2016 Solidarität und Freundschaft, der Wunsch nach Leben und Entfalten in Frieden und Freiheit; das alles waren von jeher Werte und Ideale der Naturfreunde, die nicht an nationalstaatlichen Grenzen Halt gemacht haben, sondern schon immer allen Menschen galten. Die Naturfreunde wurden, aus der Arbeiterbewegung heraus, im September 1895 in Wien gegründet. Um 1930 hatten die Naturfreunde rund 200.000 Mitglieder in 22 Ländern. Unter anderem gab es nun Naturfreunde in Deutschland, der Schweiz, Ungarn, Frankreich und in Italien. Heute gibt es in beinahe allen Teilen der Welt Naturfreunde. Seit einiger Zeit bestehen vor allem intensive Kontakte zwischen deutschen und afrikanischen Naturfreund*innen, die sich für Umwelt- und Naturschutz engagieren und im sanften Tourismus tätig sind. Zum Beispiel mit Naturfreund*innen in Senegal, Mali und Togo. Viele Landesverbände und Ortsgruppen suchen den Austausch mit den afrikanischen Naturfreund*innen. Hieraus sind sicherlich auch viele Aktivitäten vor Ort erwachsen. In Kinder- und Jugendgruppen, auf Seminaren, in Workshops und auf Freizeiten wird „Afrika“ thematisiert und mit unterschiedlicher Fragestellung begegnet. In diesem Kontext entstand seitens der Bundesleitung der Naturfreundejugend der Wunsch, den Kindergipfel 2016 mit dem Schwerpunkt deutsch-afrikanische Zusammenarbeit auszurichten. Insbesondere sollten hier auch stereotype Afrikabilder, Klischees und Vorurteile mitgedacht werden. Gemeinsam mit den teilnehmenden Kindern und Jugendlichen sollten diese als solche entlarvt werden und somit ein differenzierteres Bild vom afrikanischen Kontinent entstehen. Die vorliegenden Impulse geben einen kleinen Einblick in Theorien und Themenfelder, die während der Vorbereitungszeit zum Kindergipfel bearbeitet wurden. Sie sind in diesem Afrika
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1. Afrikabilder
Politische Bildung
Methode für den Einstieg in das Thema Afrika Ziele:
Alter: ab 8 Jahren
»» Reflektion von eigenen Vorurteilen und Stereotypen. Sensibilisierung für die Vielfältigkeit des afrikanischen Kontinents
Gruppengröße: ab 10 Personen Dauer: ca. 30 Minuten Ort: Seminarraum
Material:
Zwei Euro paland ka rten (min . A3 ) Ablauf: Der*die Teamer*in legt eine Europa und eine AfrikalandZwei Afr ikaland k karte in einigen Metern Abstand voneinander auf dem Seminararten (min . A3 ) boden aus. Zwischen die Landkarten wird ein Bilderset als Stapel Z wei selbst zusammen abgelegt. Die Bildseite zeigt dabei nach unten. Den Teilnehgestellte B il dersets mer*innen wird nun erklärt, dass auf den Bildern Landschaften und Szenerien aus Europa und aus Afrika zu sehen sind. Die Teilnehmer*innen sollen die Bilder den richtigen Kontinenten zuordnen und zu den entsprechenden Landkarten legen. Hierfür wird je eine Karte vom Stapel gezogen, der gesamten Gruppe gezeigt und offen darüber diskutiert, wohin das Bild gelegt werden soll. Kommt kein Konsens zustande, darf final auch abgestimmt werden. Wenn alle Bilder verteilt sind, löst der*die Teamer*in auf, indem er*sie die beiden verbleibenden Landkarten erneut auf dem Boden ausbreitet und die Bilder den „richtigen“ Kontinenten zuordnet. Die Teilnehmer*innen erhalten anschließend noch etwa 10 Minuten Zeit, sich beide Zuordnungen in Ruhe anzusehen und miteinander zu vergleichen. Anschließend können folgende Fragen im Plenum besprochen werden.
»» Was hat euch überrascht? »» Was passt gar nicht zu dem Bild, das ihr von Europa habt? »» Was passt gar nicht zu dem Bild, das ihr von Afrika habt? »» Woher habt ihr eure Vorstellungen, wie es in Europa bzw. in Afrika aussieht? Tipp für Teamer*innen: Für die Zusammenstellung eines Bildersets empfiehlt es sich,
zunächst selbst zu Afrika und Europa zu assoziieren und eine Liste anzufertigen. Diese kann bei der anschließenden Bildersuche im Internet einfach umgekehrt werden. Man sucht dann also z.B. „Europäische Wüste“ oder „Schnee in Afrika“. NACHHALTIGE JUGENDREISEN
2. Zwischen den Zeilen
Politische Bildung
Vertiefung ins Thema Afrikabilder Ziele:
Alter: ab 12 Jahren
»» Reflektion von uns umgebenden Medienbildern, Wirkung von Medien und kritische Medienanalyse
Gruppengröße: ab 6 Teilnehmer*innen Dauer: ca. 60 Minuten Ort: Seminarraum
Material:
unterschie dliche Ta ges- und Wochenzei tungen unterschie Teilnehmer*innen bekommen zwei bis drei Zeitungen und/oder dliche Ma gazine eine Roll Magazine und sollen zu folgenden Themen Artikel, Bilder und e Packpap ie r (für W andzeitu Überschriften ausschneiden: ng) Klebestift e Sc heren 1. Afrika 2. Europa Pinnnad eln oder K lebeband Der*die Teamer*in bereitet für jedes Thema einen großen Papierbogen vor, auf dem das Thema als Überschrift notiert ist. Die Papierbögen werden auf dem Boden ausgebreitet oder an die Wände gehängt. Die Kleingruppen werden gebeten, ihre ausgeschnittenen Artikel, Bilder und Überschriften auf die entsprechenden Papierbögen zu kleben. Die Plakate werden anschließend gemeinsam betrachtet und gelesen. Ablauf: Die Gruppe wird in Kleinstgruppen aufgeteilt. Je 2 bis 3
Im Plenum soll dann über folgende Fragen reflektiert werden: »» Was fällt auf? »» Worüber wird berichtet? »» Haben wir das so erwartet oder wundert es uns eher? »» Welches Bild von Europa entsteht?
!
»» Welches Bild von Afrika entsteht? Hinweis: Diese Methode eignet sich nicht als Einstieg in das Thema „Afrika“. Ohne
vorherige Auseinandersetzung mit tatsächlichen Lebensrealitäten besteht ansonsten die Gefahr, stereotype Bilder und Klischees zu bestätigen. NACHHALTIGE JUGENDREISEN
3. Heimliche Botschaften
Politische Bildung
Einstieg in das Thema Diskriminierung und Sprachgebrauch Ziele:
Alter: ab 14 Jahren
»» kritische Analyse von alltäglicher Sprache, Reflektieren, Sensibilisierung für alltägliche und oft unbedachte Diskriminierung
Gruppengröße: ab 9 Personen Dauer: 30 bis 45 Minuten Ort: Seminarraum
Material:
Ausreichen d Kopien vom Ar bei tsblatt Stifte
Ablauf: Die Teilnehmer*innen arbeiten zunächst alleine. Sie
lesen das Arbeitsblatt (siehe unten) durch und tragen die Nebenbedeutungen ein, die sie in den aufgeführten Begriffen und Redewendungen als „heimliche Botschaften“ wahrnehmen. Außerdem überlegen sie, ob ihnen „neutrale“ Begriffe und/oder Redewendungen einfallen und tragen ggf. auch diese ein. Danach finden sich die Teilnehmer*innen in Kleingruppen von drei bis vier Personen zusammen und präsentieren sich gegenseitig ihre Arbeitsblätter. Die folgenden zusätzlichen Fragen sollen diskutiert werden: »» 1. Welche Konsequenzen haben diese Worte für das Leben derer, die damit bezeichnet werden? »» 2. Welche bereits bestehenden Bilder werden damit gefestigt? »» 3. Welchen Ursprung könnten diese „heimlichen Botschaften“ haben? Die Teilnehmer*innen werden gebeten, ihre Ergebnisse auf einer Wandzeitung zu visualisieren. Die Wandzeitungen werden anschließend im Plenum präsentiert. Gemeinsam soll überlegt werden, warum wir und andere diese Redewendungen verwenden. Möglichkeiten zur Weiterarbeit
Die Plakate können hängen bleiben und ergänzt werden, wenn im Seminarverlauf weitere Beispiele auftauchen. Bei weiterer Beschäftigung mit dem Thema Sprache/Medien können aus Zeitungen etc. „heimliche Botschaften“ herausgesucht werden. Gibt es Möglichkeiten, diese zu ersetzen? Was verändert sich dann?
NACHHALTIGE JUGENDREISEN
Heimliche Botschaften
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Arbeitsblatt
Begriff/Redewendung Jemandem den schwarzen Peter zuschieben Du Mädchen! Das kommt mir spanisch vor! Hier sieht´s ja aus wie bei den Hottentotten Schwarz sehen Das ist doch voll schwul Das schwarze Schaf sein Warmduscher Du bist doch behindert Eine weiße Weste haben Das schwache Geschlecht
Heimliche Botschaft
Alternative
4. Meinungsbarometer
Politische Bildung
Methoden für den Einstieg in das Thema Rassismus und Critical Whiteness Ziele:
Alter: ab 12 Jahren
»» In ausschließlich weißen Gruppen erörtern die Teilnehmer*innen, welche Bedeutung sie ihrer weißen Hautfarbe zumessen. Die Teilnehmer*innen diskutieren zum Thema Rassismus.
Gruppengröße: ab 6 Personen Dauer: 30 Minuten Ort: Seminarraum oder draußen
Ablauf: Achtung: Das Meinungsbarometer ist nur für ausschließlich weiße Seminargrup-
pen geeignet! Der*die Teamer*in erklärt, dass es bei folgender Methode darum geht, sich zu bestimmten Aussagen zu positionieren. Er*sie legt einen „Raum“ fest, in dem sich die Teilnehmer*innen positionieren können. Die eine Seite des Raumes steht für „ich stimme zu“, die andere Seite steht für „ich stimme nicht zu“. Die Teilnehmer*innen können sich frei zwischen diesen Polen positionieren. Der*die Teamer*in liest nun die Aussagen vor und befragt nach der Positionierung einzelne Teilnehmer*innen, warum sie sich genau hier positioniert haben. Aussagen:
»» Hautfarben haben für mich keine Bedeutung. »» Meine Hautfarbe hat für mich keine Bedeutung. »» Weiße Menschen haben keine besondere Hautfarbe. »» Weiße bilden eben in Europa die Mehrheit, in Afrika hätten sie auch die Probleme als Minderheit. »» Ich habe aufgrund meiner weißen Hautfarbe Vorteile im Leben. »» Im Ausland bin ich auch Ausländer*in. »» Wer gut Deutsch sprechen kann, wird in diesem Land nicht diskriminiert. »» Ich kann nicht rassistisch sein, denn ich habe keinen Kontakt mit Ausländern.
NACHHALTIGE JUGENDREISEN
5. Bin ich weiß?
Politische Bildung
Methode für den Einstieg in das Thema Rassismus und Critical Whiteness Ziele:
Alter: ab 14 Jahren
»» Diskutieren, warum Weiße ihre eigene Hautfarbe oft als farblos und normal erleben und welche Konsequenzen Hautfarben für Lebensmöglichkeiten in der Gesellschaft haben.
Gruppengröße: 10 bis 20 Personen Dauer: 30 Minuten Ort: Seminarraum
Ablauf: Achtung: Diese Methode ist nur für ausschließlich
weiße Seminargruppen geeignet!
Material:
Felix-vonLuschan-Ska la der Hautfa rben (Intern et) A4-Papier Stifte
Die Teilnehmer*innen erhalten je eine Felix-von- Luschan-Skala der Hautfarben (im Internet z.B. bei Wikipedia zu finden). Anhand dieser Skala sollen sie sich zuordnen. Anschließend kommen die Teilnehmer*innen zu zweit zusammen. Sie erhalten eine Kopie der Diskussionsfragen sowie A4-Papier und Stifte und werden gebeten, in den folgenden 20 Minuten die Fragen auf den Kopien zu diskutieren und sich dazu Notizen zu machen. Nach 20 Minuten kommen alle im Plenum zusammen und stellen sich kurz die Diskussionen aus den Zweiergruppen vor und klären ggf. entstandene Fragen. Variante:
Die Teilnehmer*innen werden gebeten, sich zu Gruppen zusammenzufinden, die exakt die gleiche Hautfarbe haben, um zu visualisieren, aus wie vielen Farben Weiß besteht. Diskussionsfragen
1. Warum nennen sich Weiße weiß, obwohl sie doch gar nicht weiß sind? 2. Wann ist Euch das erste Mal aufgefallen, dass ihr „weiß“ seid? 3. In welchen Situationen ist euch eure Hautfarbe bewusst? 4. Was bedeutet Weißsein für euer Leben?
NACHHALTIGE JUGENDREISEN
Zusammenhang auch genau als solcher zu verstehen – als Einblick, als Appetizer, als Anstoß. Die Impulse alleine reichen unserer Ansicht nach also nicht aus, um eine Gruppenstunde, Seminar oder Workshop mit dem Thema „Afrika“ durchzuführen zu können. Weiterführende Buch- und Medienempfehlungen finden sich deshalb auch am Ende dieser Impulse. Außerdem natürlich einige Methoden, die in Gruppenstunden mit älteren Kindern und Jugendlichen durchgeführt werden können.
Frage: Du machst einen mehrwöchigen Urlaub in Südafrika. Du kommst aus dem Urlaub zurück und deine Freunde möchten gerne ein paar Fotos sehen. Was glaubst du, hast du fotografiert und was glaubst du, möchten deine Freunde für Bilder sehen? Ungefähr die oben beschriebenen Bilder? Also Safari, atemberaubende Natur, Giraffen, schwarze Kinder beim Fußballspielen auf einem sandigen Hinterhof – oder hast du Hochhäuser, mehrspurige Autobahnen, Strandpromenaden mit internationalem Publikum und Menschen in Businessanzügen auf dem Weg zur Arbeit fotografiert?
Bilder vom afrikanischen Kontinent knüpfen oftmals an schon bekannte Vorstellungen an, die wir alle aus Reiseführen, Medien, Werbung und von Urlaubsfotos kennen. Es entsteht der Eindruck, als seien alle afrikanischen Länder gleich. Überall gibt es Giraffen und Löwen, die Menschen laufen barfuß und oben ohne über die Felder, die Kinder haben Hunger, müssen zu unmenschlichen Bedingungen arbeiten oder ziehen als Kindersoldaten durch die Lande. Falsch ist das nicht, aber… Afrikabilder Im Zeitalter des medialen Überflusses haben Bilder durch ihre Allgegenwärtigkeit und ständige Wiederholung großen Einfluss. Ist euch schon einmal aufgefallen, welche Bilder auf Fotos, in Büchern, auf Konsumgütern, in den Medien und auf Spendenaktionen klassischerweise mit Afrika in Verbindung gebracht werden? Ländliche Gebiete und Strohhütten, ein Massai in traditioneller Kleidung im Sonnenuntergang, Safari und Giraffen, Slums und Armut, eine weiße Person in strahlender hilfsbereiter Pose umringt von schwarzen Kindern. Was ist daran falsch, zeigt es doch nur die vorgefundene Realität? 2
IMPULSE
Aber natürlich gibt es auch in afrikanischen Ländern eine Ober- und Mittelschicht, Universitäten, Krankenhäuser und Theater und natürlich gibt es auch in Europa Kinderarmut, kriegerische Handlungen und klimatisch bedingte Katastrophen. Eigentlich wissen wir alle das auch. Die Bildersprache in Tageszeitungen, Magazinen und Fernsehen ist aber eine andere. Hier entsteht das Afrika der Krankheiten, Kriege, Krisen und Katastrophen. Hier entsteht das homogenisierte Bild eines „unterentwickelten“, „konflikthaften“, „traditionellen“ und „armen“ Kontinentes. Dem gegenüber steht Europa: reich, fortschrittlich und aufgeklärt.
Afrika ist ein riesiger Kontinent! Die Landschaften, die Menschen, die Lebensweisen, die Städte, die Pflanzen und Tiere sind überall anders, divers und individuell. Wenn ihr also eine Gruppenstunde, eine Freizeit oder ein Seminar plant, das sich mit dem afrikanischen Kontinent beschäftigen soll, überlegt euch, welchen Fokus ihr setzen möchtet.
+ Warum möchtet ihr überhaupt über den afrikanischen Kontinent sprechen? Was ist das Ziel?
+ Über welches Land, welche Länder wollt ihr sprechen?
+ Was wisst ihr über diese Länder? Und woher habt ihr dieses Wissen? Ist die Quelle seriös?
+ Kennt ihr vielleicht jemanden, der aus diesem Land kommt oder könnt ihr z.B. über die IYNF oder die NFI Kontakte zu befreundeten Organisationen und Menschen in diesem Land aufbauen?
Kolonialismus Als Kolonialismus wird die staatlich geförderte Inbesitznahme auswärtiger Territorien bezeichnet. Die Gesellschaft des eroberten Gebiets wird ihrer Eigenentwicklung beraubt. Kolonialismus geht stets mit der Unterwerfung, Vertreibung und/oder Ermordung der ansässigen Bevölkerung durch eine Kolonialherrschaft einher. Der Beginn der Kolonialzeit kann für Europa mit der „Entdeckung“ Amerikas durch Christoph Kolumbus zum Ende des 15. Jahrhunderts festgelegt werden. Das Ende der Kolonialzeit wird zumeist mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges angegeben. Die Theorie des Postkolonialismus (manchmal auch als Neokolonialismus bezeichnet) geht aber davon aus, dass die ehemaligen Kolonien nur politisch befreit wurden, weiterhin aber durch europäische Sichtweisen, Wirtschaftsformen etc. beherrscht werden.
Afrika
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Deutsche Kolonialgeschichte 1871 wurde das Deutsche Kaiserreich gegründet. Damit wurde Deutschland zum Nationalstaat. Gleichzeitig wurde Deutschland im Zuge der Industrialisierung zur wirtschaftlichen Großmacht. Zunächst waren es Industrielle, Kaufleute, Forscher und einige Politiker, die in diesem Zuge eine Notwendigkeit für die Gründung deutscher Kolonien sahen. Der Kolonialismus sollte die gesellschaftlichen Widersprüche und Konflikte ausgleichen, die sich aus der kapitalistischen Entwicklung ergeben hatten. Die Befürworter*innen deutscher Kolonialpolitik argumentierten, dass neue Absatzmärkte für die deutschen Exportprodukte generiert werden müssten. Außerdem wollte man billige Rohstoffe und Luxusgüter einführen. Ein einendes „Herrenmenschengefühl“ und die Teilhabe aller Deutschen an den neuen günstigen Produkten aus den Kolonien sollten soziale Konflikte innerhalb Deutschlands glätten. Deutschland sollte auch in den Köpfen und in den Herzen der Menschen zu einer Nation werden. Zudem bestand Sorge, dass Deutschland von anderen Ländern wie etwa Portugal und Spanien wirtschaftlich abgehängt werden könnte. Die Forderung, dass das Reich bei der „Aufteilung der Welt“ nicht nur zusehen dürfe, sondern die Schwelle zur Weltmacht überschreiten müsse, fand gesamtgesellschaftlich immer größeren Anklang. Unterstützt wurden diese Forderungen durch unzählige Romane und Fortsetzungsge4
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schichten in Zeitungen, in denen die Kolonisation und das Leben in den Kolonien als spannendes Abenteuer beschrieben wurden. Diese Geschichten vermittelten ein Sendungsbewusstsein, mit dem die Deutschen geradezu verpflichtet wären, Afrika „kulturell“ zu missionieren. Viele Deutsche waren zur Auswanderung und vor allem zu einer Beteiligung am Kolonialismus bereit. Die Gründe hierfür waren vielfältig: christliches und/oder fortschrittsgläubiges Überlegenheitsgefühl, wirtschaftliche Not oder Profitinteresse. Dass dieses koloniale Sendungsbewusstsein von der Minderwertigkeit der Kolonisierten ausging, wurde mit einer erschreckenden Selbstverständlichkeit hingenommen. Bismarck (erster Reichskanzler des Deutschen Reiches, 1871 bis 1890) unterstützte die Kolonialbewegung. Er versprach sich von seinem Engagement für deutsche Kolonien einen Wahlerfolg bei den bevorstehenden Reichstagswahlen. Auf der „Kongo-Konferenz“ in Berlin 1884/1885 sicherten sich die europäischen Kolonialmächte – darunter auch Deutschland – gegenseitige Gebietsrechte über afrikanisches Land zu. Der afrikanische Kontinent wurde aufgeteilt. Dabei wurden tatsächlich bestehende Grenzen nicht berücksichtigt, sondern beliebig neue Grenzen gezogen. Dieses Vorgehen ist heute noch an anhand vieler Grenzverläufe afrikanischer Länder zu erkennen. Man sieht, dass die Grenzen nicht „natürlich gewachsen“ sind, sondern reißbrettartig verlaufen. Auswirkungen und Widerstände Die deutschen Kolonialmächte erhoben zunächst in den Kolonien sogenannte „Hüttensteuern“. Diese wurde jedem Haushalt auferlegt. Bis dahin hatten die Menschen sich selbst versorgt. Nun mussten sie sich in Arbeitsverhältnisse und damit auch in Abhängigkeit der Kolonialherren begeben. Mit den Steuern, die in Naturalien, mit Geld oder aber durch Arbeit auf Plantagen abgegolten werden konnten, entstand ein Zwang zur Ar-
beit. Gegen diese Steuer gab es zahlreiche Aufstände. Im März 1905 wurde die „Hüttensteuer“ in Ost-Afrika zu einer „Pro-Kopf-Steuer“, was eine vielfache Erhöhung bedeutete. Um für die Steuer aufkommen zu können, mussten die meisten Menschen auf den Baumwollplantagen arbeiten. Viele von ihnen starben bei oder in Folge dieser körperlich höchst anstrengenden Arbeit. Im Juli 1905 gab es eine Rebellion auf einer der Plantagen. Die ersten Erfolge der Aufständischen bewirkten eine Ausweitung der Kämpfe auf den gesamten Süden und auf weitere Gebiete von Ost-Afrika. Die deutschen Truppen reagierten mit der „Politik der verbrannten Erde“: Sie brannten ganze Dörfer nieder, beschlagnahmten Vieh und Vorräte, vergifteten Brunnen und vernichteten die Ernten auf den Feldern. Damit entzogen sie der widerständigen Bevölkerung die Lebensgrundlage.
Weimarer Republik und des Nationalsozialismus arbeiteten und warben die Kolonialvereine weiter und forderten: „Deutschland muss – Deutschland wird wieder Kolonialmacht werden“. Die ehemaligen Kolonien wurden nie entschädigt. Erst hundert Jahre nach dem Völkermord an den Hereros wurde dieser überhaupt erstmals als solcher von einer deutschen Politikerin benannt: „Die damaligen Gräueltaten waren ein Völkermord, für den man heute vor Gericht verurteilt würde.“(Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD)). Diese Aussage wurde von der Opposition als „teurer Gefühlsausbruch“ der Ministerin kritisiert, der „die entscheidende Wende zu Lasten Deutschlands“ im Streit um Reparationszahlungen bedeuten könne.
Den wohl größten Aufstand gegen die Kolonial herrschaft gab es in 1904 in „Deutsch-Südwest“ ausgehend von den Hereros. General von Trotha erließ bereits 1904 den Befehl, alle Hereros innerhalb der deutschen Kolonie zu erschießen. 1907 war der Aufstand offiziell beendet – von etwa 80 000 Hereros hatten höchstens 15 000 überlebt.
Die nicht von der Hand zu weisenden Verknüpfungen zwischen Nationalstaatlichkeit, Herrenmenschengefühl, Weltmachtbestrebungen, Rassentheorien, Völkermorden und NS-Zeit bedürfen einer Aufarbeitung, die bis heute nicht stattgefunden hat.
Das Ende der Kolonialzeit und die ausbleibende Aufarbeitung
Es gibt nicht den einen Rassismus. Rassismus ist vielmehr ein Phänomen mit unterschiedlichen Ausprägungen. So gibt es den kolonialen Rassismus, den Neo- oder auch kulturellen Rassismus (welcher sich nicht mehr auf unterschiedliche „Rassen“ bezieht, sondern auf unterschiedliche Bewertung von wahrgenommenen Kulturen), den antiislamischen Rassismus und auch im Antisemitismus spielt der Rassismus eine Rolle.
Während des Ersten Weltkriegs bzw. mit seinem Ende wurde die deutsche Kolonialherrschaft über die afrikanischen Gebiete beendet. Nach der Ausrufung der Republik im November 1918 wurde das Reichskolonialamt vom neuen Reichskanzler Friedrich Ebert (SPD) aufgelöst. Durch den Friedensvertrag von Versailles verlor das Reich im Juni 1919 offiziell alle Kolonien. Damit war Deutschlands Kolonialzeit offiziell beendet – seine Kolonialisierungsbestrebungen allerdings längst nicht. Während der
Rassismus
Nach Stuart Hall (Soziologe), geht es bei Rassismus um Abgrenzung und um die Markierung von Unterschieden mit dem Ziel, eine bestimmte Gruppe von gesellschaftliAfrika
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Die Konstruktion des Anderen Rassismus basiert auf einer strikten Grenzziehung zwischen „dem Eigenen“ und „dem Fremden“. Rassismus liegt also nicht erst dann vor, wenn jemand tatsächlich von Rassen spricht, sondern auch dann, wenn stattdessen verallgemeinernd von Kultur, Mentalität und Wesenseigenschaften gesprochen wird. Und zwar immer dann, wenn
chen Zugängen/Teilhabe auszuschließen. Die Gruppen werden nach willkürlich gewählten Kriterien, wie Hautfarbe, Herkunft und kulturellen Gewohnheiten gebildet. Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass es nicht wirklich um diese Unterschiede geht, sondern um dessen geschichtlich-kulturelle Aufladung. Das heißt, es geht nicht wirklich darum, welche Hautfarbe jemand hat, sondern vielmehr darum, welche Bedeutung dieser im Laufe der Geschichte und innerhalb einer Kultur zugeschrieben wurde. Die Ursprünge des modernen Rassismus liegen in der Kolonialzeit und sind somit auch sehr eng verknüpft mit der Industrialisierung und der kapitalistischen Weltordnung. Zu Zeiten der europäischen Aufklärung, in der Freiheit, Brüderlichkeit und Gleichheit postuliert wurde (Achtung: jedoch nur für weiße, bürgerliche Männer!), musste eine Erklärung und Rechtfertigung dafür gefunden werden, warum der größere Teil der Erdbevölkerung nicht zu diesen „freien“ und „gleichberechtigten“ Menschen gehören durfte. So wurde die koloniale Ausbeutung, Versklavung und Unterdrückung mit der angeblich „primitiven“ und „unzivilisierten“ schwarzen Bevölkerung gerechtfertigt, die erst noch zu Menschen erzogen werden müsse. Der Rassismus entstand also als eine Art Rechtfertigungsund Legitimationslegende. 6
IMPULSE
1. so getan wird, als seien Wesen, Kultur und/oder Mentalität ursprünglich und angeboren. 2. davon ausgegangen wird, dass alle Menschen eines Landes (einer Region, einer Gesellschaft) die gleiche Mentalität, das gleiche Wesen und oder die gleiche Kultur haben. 3. Kultur statisch dargestellt wird. 4. die Unterschiede zwischen dem Eigenen und dem Anderen als unüberwindbar dargestellt werden. Beispiele hierfür sind z.B.: „Der Islam unterdrückt seine Frauen.“ „Ausländer sind krimineller als Deutsche.“ „Auf meiner Afrikareise habe ich gelernt, dass die Afrikaner*innen sehr arm sind. Trotzdem sind sie sehr glücklich, tanzen und singen gern.“ „Nordafrikanische Männer belästigen unsere Frauen.“ „Schwarze haben den Rhythmus im Blut.“ „Die (Italiener, Marokkaner, Syrer, etc.) sind halt so.“ „Die Griechen sind selbst schuld an der Finanzkrise, sie haben oft keine Lust zu arbeiten.“ Aber auch mit der Gegenüberstellung von Begriffen wie z.B.: „Entwickelt-unterentwickelt“, „modern-traditionell“, „Stadt-Land“, „zivilisiert-primitiv“,
„helfend-hilfsbedürftig“, „emanzipiert-unaufgeklärt“ wird der Andere hergestellt und gleichzeitig abgewertet. Hierbei ist wichtig zu verstehen, dass es bei beiden Prozessen vor allem darum geht, eine eigene Identität als Deutsche*r (Europäer*in, Weiße*r) herzustellen. Denn erst durch die Abgrenzung von anderen kann das Eigene entstehen. Rassismus dient also nicht nur der Abwertung und Unterdrückung, sondern vor allem auch der Bildung einer Identität. Ich bin doch kein Rassist! Viele Menschen reagieren schockiert und abwehrend, wenn man sie darauf hinweist, dass sie sich rassistisch geäußert haben. Das kann natürlich auch und gerade in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen passieren. Hier kann es hilfreich sein zunächst einmal festzustellen, dass eine rassistische Äußerung Menschen nicht zu Rassisten macht, sondern nur zu Menschen, die in einem rassistischen System aufgewachsen sind. Nur dann kann es auch gelingen, Rassismus als solchen gemeinsam zu entlarven und gegen ihn vorzugehen. Rassismus in der Sprache Sprache ist ein machtvolles Instrument. Sie ermöglicht unser Zusammenleben. Sie prägt unser Denken. Sprache ist niemals neutral. Worte entspringen immer einem historischen Kontext und sind ein Spiegel der Gesellschaft. Daher können Wörter Bedeutungen haben, die über das hinausgehen, was eigentlich gesagt werden wollte. Sprache spielt im Kontext von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (hier Rassismus) eine große Rolle. Victor Klemperer
schreibt dazu in seinem 1947 veröffentlichen Werk, LTI (Lingua Tertii Imperii – die Sprache des Dritten Reiches) „Worte können wie winzige Arsendosen sein: Sie werden unbemerkt verschluckt; sie scheinen keine Wirkung zu tun – und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.“ Die unten aufgeführte Liste rassistischer Wörter erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit – im Gegenteil. Sie gibt lediglich einen kleinen Einblick. Wir empfehlen zur weiteren Vertiefung: Afrika und die deutsche Sprache, Susan Arndt, Antje Hornscheidt (Hg), 2004. N-Wort: Das Wort geht auf lat. „niger“ (= schwarz) zurück. Es wurde von Beginn an rassistisch verwendet und erstmals im 17. Jh. von weißen Europäer*innen als Bezeichnung der Menschen in Afrika gebraucht. Das Wort steht in engem Zusammenhang mit der aus der Kolonialzeit hervorgegangenen Sklaverei. Dieser Begriff ist eng mit der Unterdrückung und Ausgrenzung von Menschen verknüpft. Es stimmt nicht, dass es eine Zeit gab, in der das N-Wort nicht rassistisch war. Mohr: Der Begriff geht auf griech. „moros“ (= dumm) zurück. Der Begriff ist die älteste deutsche Bezeichnung für Schwarze Menschen und von Beginn an negativ. Farbige: Der Begriff ist eine abwertende Bezeichnung der deutschen Kolonialherren Anfang des 20. Jahrhunderts als für die unterworfenen Menschen in den deutschen Kolonien. Zudem stellt sich heutzutage die Frage „Wenn schwarze Menschen „farbig“ sind, was sind dann weiße Menschen? Unfarbig?“
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Verwendet stattdessen die selbst gewählten Begriffe „Schwarze“ oder auch PoC (People of Color) Stamm: Im Kontext des Kolonialismus hat dieser Begriff das Ziel der Herabstufung der Kolonialisierten und stand in Abgrenzung zu der weißen Eigenbezeichnung als Volk. Das Wort wurde aus „Stammbaum“ abgeleitet. Es suggeriert also, dass ein Verwandschaftsgrad zwischen allen Mitgliedern dieser Gruppe besteht; es sich also um eine ursprüngliche und nicht um eine durch politische und kulturelle Prozesse entstandene Gemeinschaft handelt. Benutze je nach Kontext die Begriffe: Dorf, Gemeinde, Gesellschaft etc.. Eingeborene: Wurde im Kontext von Versklavung und Kolonialismus durch Weiße Europäer*innen verwendet und galt für Menschen unterworfener Gesellschaften. Der Begriff impliziert die Abwesenheit von „Zivilisation“ und wurde deshalb nicht auf weiße Menschen angewandt. Benutze stattdessen die Eigenbezeichnung der jeweiligen Menschen, über die du sprechen möchtest. Wenn du die eigenen Bezeichnung nicht kennst, kannst du ganz einfach die äquivalenten europäischen Begriffe verwenden wie z.B.: Bürger*innen, Anwohner*innen etc.. Häuptling: Der Begriff setzt sich zusammen aus dem Wortstamm „Haupt-“ und dem Suffix „-ling“ zusammen. Kritisiert wird, dass die Endung „ling“; eine verkleinernde („Prüfling“, „Lehrling“) und zumeist abwertende Konnotation (Feigling, Wüstling usw.) hat. Zudem entstand der Begriff im Zuge der Kolonialisierung. Hier sollte ganz klar zwischen politischen Machthaber*innen in Europa und den Machthaber*innen der unterworfenen Kolonien hierarchisch unterschieden werden können. Indem man den Machthaber*innen
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IMPULSE
der Kolonien neue Begriffe zuwies, wies man ihnen auch Rollen zu, die eine Gleichrangigkeit oder Vergleichbarkeit mit europäischen Machthaber*innen ausschloss. Benutze stattdessen Eigenbezeichnungen. Wenn du diese nicht kennst, verwende äquivalente europäische Begriffe wie z.B.: Bürgermeister*in, Präsident*in usw.. Entwicklungsland/Dritte Welt: Mit dem Begriff „Dritte Welt“ wird pauschal von einer Gruppe von Ländern gesprochen, denen aus einer westlichen Weltsicht unterstellt wird, dass sie unterentwickelt wären. Wer „Dritte Welt“ sagt, homogenisiert. Er macht also alle gemeinten Länder gleich, obwohl sie sich natürlich in Staatsform, Sprache, Kultur, Strukturmerkmalen etc. unterscheiden. Die gleichzeitige Verwendung des Begriffs „Erste Welt“ zeigt des Weiteren das globale Machtgefälle zwischen den „demokratischen Industriestaaten“ (Erste Welt), den „sozialistischen Industriestaaten“ (Zweite Welt), den „Entwicklungsländern“ (Dritte Welt) und manchmal einer Vierten Welt (der ärmsten, ohne ausländische Hilfe nicht überlebensfähigen Staaten) auf. Oft wird in diesem Kontext alternativ von Ländern des globalen Südens gesprochen. Da hier aber ebenfalls mit „Länder des globalen Nordens“ eine hierarchische Dualität aufgemacht wird, raten wir dazu, entweder die Länder zu benennen, über die gesprochen werden soll, oder die zu thematisierende Problemlage mit Länderbeispielen in den Fokus zu rücken. Schwarzafrika/Schwarzafrikaner*in: „Schwarzafrika“ ist ein kolonialistischer Begriff. Zudem beruht der Begriff auf einem rassistischen Konzept der Einteilung der Welt und seiner Bewohner*innen, da er die angebliche Gemeinsamkeit auf die Hautfarbe seiner Bewohner*innen bezieht. Deshalb
wird der Begriff Schwarzafrika in Afrika zu Recht abgelehnt. Genauso wie die Begriffe „dunkler Kontinent“. Besser sind die geografischen Begriffe wie zum Beispiel: Afrika südlich der Sahara, das subsaharische Afrika, Ostafrika, Westafrika, Zentralafrika, je nach Kontext – oder, noch besser, die genauen Nationenbezeichnungen. Rasse: Es gibt keine menschlichen Rassen! Rassentheorien sind Theorien, die die Menschheit in verschiedene Rassen einteilen. Sie waren vor allem im 19. und im frühen 20. Jahrhundert sehr einflussreich, gelten aber heute als überholt und wissenschaftlich nicht mehr haltbar. Rassentheorien wurden stets genutzt, um Menschen zu unterdrücken. Siehe: Kolonialzeit, NS-Zeit, Apartheit.
von aus, dass sich durch rassistische Diskurse das Weißsein zu einer privilegierten Norm etabliert hat, an der sich alle Menschen in der Gesellschaft orientieren müssen. Das bedeutet, dass es in unserer Gesellschaft als „normal“ gilt, weiß zu sein. Dagegen fallen diejenigen auf, die „nicht-weiß“ sind. Wenn es im Folgenden um die Begriffe „schwarz“ und „weiß“ geht, ist nicht die Vielzahl der menschlichen Hautfarben gemeint. Vielmehr geht es darum, welche Menschen in der Gesellschaft Rassismus erfahren und welche nicht.
Achte auch darauf, nicht unbewusst „Ethnie“ und „Kultur“ synonym für Rasse zu verwenden. Der Punkt ist, es gibt keine klar voneinander abzugrenzenden Menschengruppen. Immer wird es Überschneidungen, Hybriditäten und Kategorien der Gemeinsamkeiten geben.
Ist euch in einer alltäglichen Situation eure Hautfarbe schon mal bewusst aufgefallen? Wenn ihr weiß seid, vermutlich nicht. Anders ergeht es Schwarzen Menschen oder People of Color (PoC). Sie werden in unterschiedlichen alltäglichen Situationen darauf hingewiesen, welche Hautfarbe sie haben. Etwa dann, wenn sie von Menschen gefragt werden „wo sie denn herkommen“, da diese Frage immer impliziert, dass Menschen mit schwarzer Hautfarbe keine (echten) Deutschen sein können.
Afrika: Natürlich ist dieser Begriff kein NoGo. Aber noch einmal zur Erinnerung: Der Begriff meint einen ganzen Kontinent. Bitte redet nicht von der afrikanischen Sprache, der afrikanischen Kultur oder Lebensweise. Diese gibt es nicht! Differenziert!
Sowohl Schwarze als auch PoC sind selbst gewählte Bezeichnungen nicht-weißer Communities. Der Begriff PoC bezeichnet alle Menschen, die von Rassismus betroffen sind bzw. schon einmal rassistische Erfahrungen gemacht haben.
Critical Whiteness Critical Whiteness kann zunächst einmal übersetzt werden mit „Kritisches Weiß-Sein“. Critical Whiteness ist eine wissenschaftliche, aber auch eine politische Theorie. Sie ist in den Sozialwissenschaften anzusiedeln und wurde in den 1990er Jahren in den USA entwickelt. In dieser Theorie geht es vorrangig darum, die Vormachtstellung der als weiß markierten Menschen zu hinterfragen. Sie geht da-
Weiße können, laut der Critical-Whiteness-Theorie, nicht von Rassismus betroffen sein. Weiße können aufgrund ihres Äußeren diskriminiert oder unfair behandelt werden. Solche Erfahrungen sind aber nicht gleichzusetzen mit rassistischen Erfahrungen. Denn um rassistische Erfahrungen zu machen, müssen neben der Ungleichbehandlung, der Diskriminierung und/oder Ausgrenzung weitere Komponenten mit im Spiel sein: Privilegien und Macht. Menschen, die als weiß erkannt/verstanden werden, haben in fast allen Gebieten der Afrika
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Welt Privilegien und Vormachtstellungen inne! Wenn also einzelne Weiße diskriminiert werden, ändert das nichts an der privilegierten Stellung, die Weiße hinsichtlich Ressourcenzugängen und Teilhabe global gesehen haben. Deshalb kann hier auch nicht von Rassismus gesprochen werden. Wer darf sprechen, wer wird gehört? Ein zentraler Punkt der Critical-Whiteness-Theorie ist die Kritik an der Vormachtstellung des europäisch-nordamerikanischen Wissenssystems. Ist euch schon einmal aufgefallen, welche Sprachen in der Regel erlernt werden müssen, um Zugänge/ Teilhabe in der globalen, akademischen Welt zu erhalten? Englisch, Spanisch, Französisch, Deutsch. Kann eine*r von euch nur vier afrikanische Sprachen aufzählen? Wusstet ihr, dass allein in Uganda 43 Sprachen gesprochen werden? Wie viele afrikanische Persönlichkeiten kennt ihr eigentlich? Sagen wir, eine*r unter euch möchte gern ein*e Philosoph*in werden, welche Denker*innen sollte sie*er dann kennen? Aristoteles, Plato, Hegel, Marx, Arendt, Foucault? Genau, die „wichtigen“ kommen aus dem globalen Norden. Kennt ihr nur ein*n einzige*n afrikanische*n Philosoph*in? Es ist naheliegend anzunehmen, dass die Beschränktheit nur damit zu tun hat, in welchem Teil der Welt wir aufgewachsen sind. Dass dem nicht so ist, kann man sehr gut der Rede von Chimamanda Ngozi Adichie (Schriftstellerin) entnehmen. „I was also an early writer. And when I began to write, at about the age of seven, stories in pencil with crayon illustrations that my poor mother was obligated to read, I wrote exactly the kinds of stories I was reading. All my characters were white and blueeyed. They played in the snow. They ate apples. And they talked a lot about the weather, how lovely it was that the sun had come out. Now, this despite the fact that I lived in Nigeria. I had never 10 IMPULSE
been outside Nigeria. We didn‘t have snow. We ate mangoes. And we never talked about the weather, because there was no need to. My characters also drank a lot of ginger beer because the characters in the British books I read drank ginger beer. Never mind that I had no idea what ginger beer was.” (The Danger of a Single Story, Chimamanda Ngozi Adichie Vortrag, TED-Conference, Juli 2009)
Weiterführende Bücher und Materialien
+ Noah Sow, 2009, Deutschland Schwarz Weiss: Der alltägliche Rassismus
+ Susan Arndt, Antje Hornscheid, 2009, Afrika und die Deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk
+ Katharina Oguntoye, May Opitz, 1992, Farbe bekennen
+ Glokal e.V. , 2013, Mit Postkolonialen Grüßen + Engagement Global, Weltkarte „Perspektiven wechseln“
Impressum Herausgeber: Naturfreundejugend Deutschlands, Warschauer Str. 59a, 10243 Berlin Redaktion: Lukas Nicolaisen Kontakt: lukas@naturfreundejugend.de Layout: Nicole Jaecke (fija.de) Fotos: NFJD, außer S 2: Flickr (cashburnd CC BY-SA 2.0) Die „Impulse für die Kinder- und Jugendarbeit der NaturFreunde“ erscheinen in unregelmäßiger Folge und können von Teamer*innen kostenlos über www. naturfreundejugend.de/impulse bezogen werden. Gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.