BUSINESS
k u r i e r. a t
Mittwoch I 3. Juni 2015
2
JEFF MANGIONE
Digitale Auslese
Wirtschaft 4.0. Wer nicht online geht, geht unter. Experte Karl-Heinz Land mahnt Firmen zum Umdenken. VON NICOLE THURN
Die Zukunft hat begonnen. Die Frage ist, wer sie erlebt. Karl-Heinz Land, deutscher Unternehmensberater und digitaler Darwinist, sagt: Nur wer sich der Digitalisierung anschließt, überlebt. Er ist Gast bei der CEO Challenge am18.und19.JuniinStegersbach (www.ceo-challenge.at). KURIER: Herr Land, Sie sagen: Der Großteil der 1000 größten Konzerne der Welt wird in zehn Jahren verschwunden sein. Wie kommen Sie darauf? Karl-Heinz Land: 70 Prozent, ja. Früher war Größe der Unternehmen ein Vorteil – mehr Mitarbeiter,mehr Kapital, mehr Reichweite. Heute ist sie ein Hindernis – sie macht träge. Die Konzerne versuchen, ihre Erfolge von gestern zu erhalten. Aber jetzt kommt eine Zäsur, ein komplett neuer Anfang. Das kapieren viele Unternehmen nicht. Vor sieben Jahren hat Heinrich Deichmann zu mir gesagt: Schuhe werden niemals online gekauft. Zalandohat2014mitSchuheneine Milliarde Umsatz gemacht. Was sind die größten Herausforderungen der Digitalisierung? Es gibt drei Probleme. Die Dematerialisierung: Dinge verschwinden physisch undtauchenonlineauf:Flugticket,Schlüssel,Bücher,Musik. Was sich digitalisieren lässt, wird digitalisiert. Zweitens die Kombinatorik. Innovation kommt aus Grenzbereichen, wenn Technik auf Medizin trifft – ein kleiner WürfelkünstlicherDNAkann das Wissen der Welt speichern. Drittens die Exponentialität: Hätte der VW-Käfer sich entwickelt wie ein IntelChip, würde er 300.000 Meilen schnell fahren und vier
Karl-Heinz Land ist Autor des Buchs „Digitaler Darwinismus – der stille Angriff auf Ihr Geschäftsmodell“
Cent kosten. Der technische Fortschrittistnurdurchunsere Vorstellungskraft und unseren Willen begrenzt. Sie sprechen auch von ökonomischer Umverteilung. Fünf US-Unternehmen – darunter Apple, Google, Facebook – haben zusammen eine doppelt so hohe Marktkapitalisierung wie der deutsche Aktienindex – zu dem Daimler, Audi, die Deutsche Bank, Lufthansa und Siemensgehören.Dieindustrielle Revolution begann mit der Dampfmaschine. In der digitalen Revolution heißt der neue Dampf: Daten. Bekommen die digitalen Player immer mehr Macht? In Zukunft regieren die Software-Plattformen. Vier MilliardenSMShabendieeuropäischen Telcos an Whatsapp und Skype verloren. Die Hilton Gruppe hat mit 4000Hotelsund310.000Angestellten einen Börsenwert von rund 20 Mrd. Dollar. AirBnB hat 600 Angestellte, nicht ein Zimmer – und ist 22 Mrd. Dollar wert. So wie wir früher in Maschinen und Büros gedacht haben, müssenwirheuteinSoftwareund Service denken. Der, der nicht so denkt? Derstirbtaus.Weltmarktführer Kodak verlor gegen Instagram.KodakerfanddieDigitalkamera, hatte aber Angst, sie zu pushen. Die Firma wollte sich nicht kannibalisieren. Ich sage: Besser du kannibalisierst dich selbst, als ein anderer tut es. Können traditionelle Unternehmen mit Start-ups mithalten? Natürlich.WarumhatHiltonniedarangedacht,Airbnb mitanzubieten, wenn die Zimmer überbucht sind?
Haben KMU denn beim digitalen Wettbewerb eine Chance? Wir beraten viele Mittelständler. Sie können die Transformation im Kundenerlebnis umsetzen – mit einem Onlineshop, mit einem digitalisierten Produkt oder einer Service-App. Und bei der Effizienz, indem sie Prozessketten automatisieren. Dann wird das Unternehmen profitabler. DigitalisierunggehörtaufdieEbeneder Geschäftsleitung – und nicht ins Marketing oder in die IT. Wie wirkt sich das Internet auf die Kundenbeziehung aus? Der Kunde ist always on und oft besser informiert als der Verkäufer. Der Konsument will maßgeschneiderte Angebote, überall und sofort, zum besten Preis und in bester Qualität. Unternehmen müssen dazu noch mehr Kundendaten sammelnundMarketingzuihrem Service machen. Werbung nimmt keiner mehr wahr.
Klingt nach Daten-Striptease. Was ist mit Datensicherheit? Dafür gibt es Regeln: Der Kunde muss einwilligen und einen adäquaten Service bekommen. Was das Unternehmen mit den Daten macht, muss transparent sein. Das Unternehmenistverantwortlich, wenn mit den Daten etwas passiert. Und der Kunde kann den Zugriff darauf abschalten – er hat die Macht. Laut US-Forschern ist jeder zweite Arbeitsplatz von der Digitalisierung bedroht. Eher 70 Prozent. Es brechen schneller Arbeitsplätze weg, als wir schaffen können. Dann arbeiten wir eben 20 Stunden pro Woche. Es wird ein Grundeinkommen, eine Wertschöpfungs- und eine Maschinensteuer geben müssen. Doch die Digitalisierung reduziert auch den Ressourcenverbrauch: In 20 Jahren wird dank Carsharing kaum jemand ein Auto besitzen. Die Welt wird eine bessere.
Industrie: Künftig wird nicht produziert, sondern gedruckt 3-D-Druck. Die 3-D-Drucktechnologie dürfte die Industrie revolutionieren. Zu Jahresbeginn hat das chinesische Unternehmen Winsun mit dem Ausdruck einer fünfstöckigenVillamit1100Quadratmeter Wohnfläche für Aufsehen gesorgt. Die Gebäudeteile wurden von einem riesigen 3-D-Drucker in zwei Tagen ausgedruckt. Die Baumasse besteht aus einem Gemisch aus Zement, Glas und Bauschutt. Bauarbeiter werden überflüssig, daher kostet die Villa umgerechnet nur rund 139.000 Euro. Winsun fertigt auch kleine Häuser um rund 3600 Euro. Das kanadische Start-up Mosaic Manufacturing bringt mit „The Palette “ den 3-D-Drucker in den Privathaushalt.ErdrucktPlastikgegenstände und ist um rund
736 Euro vorbestellbar (Auslieferung: April 2016, www.mosaicmanufacturing.com). Der neue Carbon-Drucker „Clip“ klingt vielversprechend für die Industrie. Er „zieht“ in wenigen Sekunden aus flüssigem Plastik GegenständeauseinemGussundist bis zu 100 Mal schneller als andere 3-D-Drucker. Entwickelt wurde er vom Start-up Carbon3D der North Carolina University (carbon3D.com). Auch die Lebensmittelindustrie hat das Druckfieber erfasst. Das deutsche Unternehmen Print2Taste bringt gerade mit Bocusini einen 3D-Drucker für Schokolade, Obst und Patisserie auf den Markt (print2taste.de). Auch etablierte Lebensmittel-Produzenten wie Nudelmacher Barilla experimentieren mit 3-D-Druck.
ELEND IN DOSEN
Leergefischte Meere und Protest gegen schwimmende Fabriken
VON SIMONE HOEPKE
Kaum ein Fisch ist so überfischt wie der Thunfisch. Im Jahr 1950 wurden weltweit andie400.000TonnenThunfisch gefangen, im Jahr 2012 waren es schon fast fünf Millionen Tonnen, geht aus den Zahlen der FAO (Food and Agriculture Organziation of the United Nations) hervor. Die Folge: Manche Thunfischarten sind schon fast ausgerottet, allen voran der Blauflossen-Thunfisch. „Wir empfehlen, weniger Thunfisch zu konsumieren und wenn, bewusst einzukaufen“, sagt Martin Wildenberg von der Umweltschutzorganisation Global 2000.
Wer nicht ganz auf Thunfisch verzichten will, sollte also darauf achten, dass der Fisch zumindest mit Rute und Haken in bestimmten Gebieten gefangen wurde. „Andere Fangmethoden als diese verursachen massenweise den unnötigen, qualvollen Tod anderer Meerestiere – wie Delfinen, Schildkröten, Meeresvögel oder Haien“, betonen Umweltschützer. Geht es um industriell verarbeiteten Fisch, darf man sich freilich auch nicht naiv vorstellen, dass Fischer mit kleinen Booten auf See fahren, dort die Angelrute auswerfen und verharren, bis ein Fischanbeißt.Inderindustriellen Fischerei spannen die
AP / ALVARO BARRIENTOS
Thunfisch. Umweltorganisationen rufen auf, beim Kauf auf die Fangmethode zu achten. Geangelt wird allerdings oft mit kilometerlangen Leinen Stark überfischt: Manche Thunfischarten sind schon fast ausgerottet, allen voran der Blauflossen-Thunfisch
Fischereiflotten mitunter kilometerweite Leinen auf der See, an denen die Haken aufgehängt werden. Auch die sozialen und ökologischen Zustände in den Fischfabriken werden immer wieder angeprangert. „Auf den schwimmenden Fischfabriken gibt es nach wie vor Zwangsarbeit und Menschenhandel. Die EU hat zwar erste Schritte unternommen, um illegales und unreguliertes Fischen in Thailand zu verbieten, der jetzige Bericht zeigt aber auf, dass die Überprüfung der Zulieferkette gerade erst in der Anfangsphase ist und nicht flächendeckend durchgeführt wird“, erklärt Stefan
Grasgruber-Kerl von Südwind. Der Fisch aus solchen Fabriken soll laut Umweltschutzorganisationen auch in Dosen der Marke „Vier Diamanten“ für heimische Supermarktketten verpackt werden,soeinBerichtdeseuropaweiten Supply Cha!ngeProjekts von Südwind und Global 2000. Thunfische stehen außerdem am Ende der Nahrungskette – dadurch reichern sich in ihnen im erhöhten Ausmaß Kadmium und Blei an – das deutsche Umweltministerium empfahl Risikogruppen wie Schwangeren oder StillendendahererstimMärz diesen Jahres, den Thunfisch-Genuss zu vermeiden.