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„Zu zwölft auf 20 m2“ Burgi, 54 Jahre, neunerHAUS Kudlichgasse Burgi teilt ihr kleines Reich mit ihrer Familie: „Das sind die Katzen Maxi, Schnurli, Cindy und Moritz, die Wüstenrennmäuse Felix und Rocco und fünf Finken, die haben keine Namen“, stellt sie ihre Schar vor. Im Herbst des Vorjahres ist Burgi vom neunerHAUS Hagenmüllergasse umgezogen in die Kudlichgasse, „Zuerst ungern, aber jetzt bringt mich hier keiner mehr weg, da bin ich stur!“ Hart im Nehmen musste sie auch werden, das Leben ist nicht gerade freundlich mit ihr umgegangen. Am Stadtrand von Wien aufgewachsen, hat sie zu früh die Mutter verloren und musste ganz schnell erwachsen werden. Gelernt hat sie Verkäuferin – „ausgelernt“, wie sie betont. Die Arbeit im Supermarkt hat ihr gefallen, aber dann erfüllte sie sich den Berufswunsch, den sie seit ihrem ersten Praterbesuch mit acht Jahren hatte: Mit 18 spielt sie Tod und Teufel in der Geisterbahn. Heimlich, ohne dass die Familie davon wusste. Als einziges Mädel im Team wird sie von den Kollegen beschützt und auch ein bissel verwöhnt. Über ihren späteren Mann ist sie hier im wahrsten Sinn des Wortes gestolpert, als der als Besucher im Geisterbahnwagen an ihr vorbeigefahren ist.

rend die Katzen ihre Streicheleinheiten bekommen. Mindestens einmal am Tag besucht sie Nachbar Karl auf ein Plauscherl und – wie sie verschmitzt hinzufügt – ein Bier. Auch in die hauseigene Kantine, das neunerBEISL, geht sie gern, im Sommer sitzt es sich gut im Garten und wenn „der Chef“ (Anm. Hausleiter Burkhard Mayr) sich dazugesellt, „dann rennt der Schmäh“, schmunzelt sie. Lieblingsprogramm für schlaflose Nächte sind Dracula- und Horrorfilme, offenbar eine Reminiszenz an die Geisterbahnzeit. Christopher Lee, den sie im Prater einmal persönlich kennen gelernt hat, fällt auch heute noch in die Burgi-Kategorie „fescher Zapfn“ (wie übrigens auch die Zivildiener im neunerHAUS). Musikalisch mag sie es sanfter. Bei Liedern wie „Aber dich gibts nur einmal für mich“ oder DJ Ötzis „Ein Stern, der deinen Namen trägt“ kann man den Abend auch sentimental ausklingen lassen. Was wünscht sich Burgi für die Zukunft? „Zwei Papageien hätte ich gerne noch! Aber Spaß beiseite: Ich habe alles und bin dankbar, wenn ich so lange lebe, dass ich meine Tiere versorgen kann und keines zurücklassen muss“.

Ein Arbeitsunfall mit 28, bei dem sie schwer verletzt wird, setzt dem Praterleben ein Ende. Die Tochter soll ins Heim, also stimmt Burgi einer Adoption zu. Als ihr herzkranker Mann stirbt, kommen zum Alkohol noch Drogen dazu und ein viel jüngerer Mann, der sie ausnutzt. Den Drogenentzug schafft Burgi alleine, die Wohnung ist allerdings weg. Ihre größte Sorge sind ihre Tiere, die vorübergehend im Tierheim untergebracht werden. Dem Angebot, einen Wohnplatz im neunerHAUS zu bekommen, stimmt Burgi erleichtert zu, weil hier Haustiere erlaubt sind. Und die bestimmen nun auch den Tagesablauf – um fünf wird aufgestanden, da will die erste Katze gefüttert werden. Burgi genügen zwei bis drei Tassen Kaffee, die kann sie trinken, wäh-

SPENDEN SIE EIN NEUES ZUHAUSE UNTERM DACH! In der letzten Ausgabe der neuerNEWS haben wir Sie um Ihre Spende für das schadhafte Dach des neunerHAUSes Billrothstraße gebeten. Mit den bisher gespendeten 5.000 EURO können wir die erste Kreditrate für die Dachsanierung zahlen. Und dafür danken wir Ihnen ganz herzlich. Um die Dachsanierung und den Ausbau des Dachbodens um weitere vier Wohnplätze fortsetzen zu können, sind wir aber weiterhin auf Ihre Hilfe angewiesen. Bitte unterstützen Sie uns mit Ihrer Spende! Mit beiliegendem Erlagschein oder über eine Direktspende auf www.neunerhaus.at/spenden.htm helfen Sie schnell und wirksam.

neunerNEWS Nr. 11, Juli 2008


EDITORIAL

IM BRENNPUNKT: BARBARA STÖCKL

„Wenn zum Dach über dem Kopf ein Dach für die Seele kommt“

Die Krise des Gesundheitssystems trifft auch das neunerHAUS Unser Anspruch, für obdachlose Menschen in dieser Stadt Wohnplätze zu schaffen und Versorgungslücken zu schließen, war seit Gründung der neunerHAUS-Initiative stets geprägt von der gesellschaftspolitischen Einstellung, dass Politik und öffentliche Verwaltung nicht aus ihrer (zumeist gesetzlichen) Verantwortung entlassen werden dürfen. Wir streben das Miteinander von privatem Engagement, Wirtschaft und öffentlicher Hand an, und es ist mir ein Bedürfnis, Ihnen – als UnterstützerInnen unseres Vereins – transparenten Einblick in unsere Arbeit zu geben. Die Finanzierungskrise der Wiener Gebietskrankenkasse traf auch uns sehr hart. Monatelang wurden wir im Ungewissen gelassen, ob es überhaupt noch zu einer Finanzierung kommt, zehntausende Euro mussten wir vorstrecken – keine einfache Situation für uns. Sonderprojekte für soziale Randgruppen haben in einer Finanzierungskrise dieser Dimension nicht oberste Priorität. Erst seit kurzem haben wir nun Gewissheit, dass die WGKK weiterhin zahlen und die Stadt Wien (FSW, MA40) sich

voraussichtlich beteiligen wird. Sicher ist aber auch, dass wir weiterhin auf Ihre Spenden angewiesen sein werden, um die Kosten sowohl für die Häuser, als auch die sozialarbeiterische und die medizinische Betreuung zu bewältigen. Es geht um nicht weniger, als die Existenzgrundlage hunderter obdachloser Menschen zu sichern und nachhaltig zu verbessern. Dass wir dabei innovative Wege gehen, bleibt nicht unbemerkt: Unsere Wohnhäuser und Projekte werden mit Preisen ausgezeichnet und von in- und ausländischen Regierungsmitgliedern besucht. Zuletzt würdigten der brasilianische und der österreichische Sozialminister unsere neunerHÄUSER mit ihrem Besuch. Eine besondere Freude ist für mich auch der im Dezember 2007 an das Team neunerHAUSARZT verliehene Gesundheitspreis der Stadt Wien. Unser engagiertes ÄrztInnenteam betreut mittlerweile 11 Einrichtungen der Wiener Wohnungslosenhilfe und sichert damit die medizinische Versorgung von mehr als 1.000 PatientInnen. So schön diese Erfolge auch sind, für unsere Arbeit brauchen wir weiterhin Ihre Unterstützung und Solidarität. Dafür danke ich Ihnen schon jetzt und wünsche Ihnen viel Freude mit der neuen Ausgabe der neunerNEWS.

foto: ORF / t.ramstorfer)

Viel Ehr, wenig Geld!

Seit März 2008 widmet sich die

Natürlich gibt es immer auch Missbrauch von Sozialleistungen.

beliebte

TV-Moderatorin

Aber daran kann man weder politisches noch persönliches

Barbara Stöckl in ihrer neuen

Handeln orientieren! Manche Menschen haben diesen Begriff

Sendereihe „Stöckl am Sams-

schnell zur Hand, zu schnell. Wir suchen immer wieder nach

tag“ brisanten und bewegen-

Schuldigen, und hat jemand seine Situation selbst „verschuldet“,

den Inhalten. Gesellschaftlich

dann soll er auch selbst wieder aufstehen, sich selbst helfen und

relevante Themen vermittelt

möglichst die Gemeinschaft nicht belästigen. Wir müssen uns

sie gerne über persönliche

immer und immer wieder überlegen, ob es uns wichtig ist, dass

Geschichten. Persönlich wich-

Österreich ein „Sozialstaat“ ist. Wer das will, muss bereit sein, zu

tig ist ihr auch das Engage-

geben. Solidarität bedeutet, dass diejenigen, die mehr haben, mit

ment für den Verein neuner-

denen, die weniger haben, teilen. Diese Solidarität ist schließlich

HAUS, den sie seit langer Zeit unterstützt.

Menschen, die in der schnellen, fitten, gesunden LeistungsWie sehen/kennen Sie das neunerHAUS, was haben Sie für

gesellschaft gerade nicht mitkommen: weil sie nicht gesund,

einen Eindruck?

nicht fit, nicht schnell und nicht mehr so leistungsfähig sind. Weil

Ich kenne das neunerHAUS als engagiertes Projekt für

ein Schicksalsschlag sie aus der Bahn geworfen hat. Und viel-

Obdachlose. Da ist kein Platz für falsches Mitleid, kein Platz für

leicht auch durch ihre eigene Schuld. Ich möchte gerne auch wei-

„Sozialromantik“, da gibt es die klare Realität: du hast kein Dach

terhin in einem Sozialstaat Österreich leben.

über dem Kopf? Du bekommst eines! Da geht es nicht um Schuld, um Versagen, um Scheitern, sondern um unmittelbare Hilfe für Menschen, die diese Hilfe brauchen. Mir gefällt auch, dass die Leute vom neunerHAUS immer wieder mit originellen und gesellschaftlich relevanten Ideen auf das Thema, ihre Anliegen aufmerksam machen und dabei finanzielle Mittel zusammentragen. „Haubenküche zum Beislpreis“ war so eine Idee, mit der auf das Thema Armut & Ernährung aufmerksam gemacht wurde. Denn arme Menschen sind allzu oft kranke Menschen.

Mag. Markus Reiter, Geschäftsführer

Wie erleben Sie Wohnungslosigkeit/wohnungslose Menschen? Wie gerne schieben wir dieses Problem von uns weg, sehen obdachlose Menschen unter der Brücke, auf der Parkbank als

WUSSTEN SIE, DASS …

etwas weit Entferntes, fast Exotisches. Doch jeder, der schon in

… in Österreich 250.000 Menschen über ein so geringes Erwerbseinkommen verfügen, dass sie unter der Armutsgefährdungsschwelle leben?

… rund 85.000 Haushalte 2006 durch ein Delogierungsverfahren von Wohnungslosigkeit bedroht waren (ca. 2% der österreichischen Haushalte)?

die Situation gekommen ist, zu fallen, zu scheitern, zu stolpern,

… die Wiener Sozialhilfe im Vorjahr um 2,9% angehoben wurde, durch die 6,7%-ige Preissteigerung bei Lebensmitteln für SozialhilfeempfängerInnen aber ein „Loch“ von EUR 132 im Jahr entstand?

… mehr als 14.000 Haushalte tatsächlich delogiert wurden und davon 34.500 Menschen effektiv betroffen waren?

Grundbedürfnis, ein Grundrecht. Wenn zum Dach überm Kopf

… im Jahr 2006 rund 50.000 Menschen in Einrichtungen für Wohnungslose bzw. Flüchtlinge lebten? … es in Österreich rund 1.500 bis 2.000 Menschen gibt, die auf der Straße leben?

Grundlage unserer „Zivilisation“. Es geht um Hilfe für die

… seit 2005 insgesamt 170 BewohnerInnen des neunerHAUSes Billrothstraße den Weg zurück zu einem selbständigen Leben gefunden haben? … das Team neunerHAUSARZT jährlich mehr als 1.000 PatientInnen betreut?

weiß, wie nahe es ist, nicht gleich oder nicht mehr aufzustehen und weiterzugehen. Ein Dach über dem Kopf zu haben ist ein dann auch ein Dach für die Seele dazukommt, hat man vielleicht wieder eine echte Chance auf ein selbstbestimmtes, selbständiges Leben. Es ist keine Schande, in unserer Gesellschaft zu „scheitern“ – es ist eine Schande, wenn wir obdachlosen Menschen nicht helfen! Wie haben Sie in HelpTV den Begriff „Sozialschmarotzertum“ erlebt? Wie definieren Sie persönlich „Solidarität“?

Mobilpass für sozial Benachteiligte

VEREIN NEUNERHAUS FORDERT: GRATISFAHRT FÜR OBDACHLOSE Der Mobilpass bietet MindestpensionistInnen und SozialhilfeempfängerInnen die Angebote der Wiener Linien zu stark ermäßigtem Preis. So will die Stadt Wien die Mobilität sozial Benachteiligter fördern. Konnten bisher etwa 40.000 Menschen die vergünstigten Preise der Wiener Linien nutzen, so sollen zukünftig mehr als 100.000 Personen vom Mobilpass profitieren. Für WienerInnen, die zumindest seit einem Monat eine Unterstützung erhalten, kostet die Netzkarte somit EUR 15,20 (statt EUR 49,50). Mit dem Mobilpass gilt auch ermäßigter Eintritt in den Wiener Bädern und Büchereien. Viele BewohnerInnen der neunerHÄUSER werden in den Genuss des Mobilpasses kommen, für AMS-NotstandshilfeempfängerInnen beispielsweise gilt die Regelung allerdings nicht. Wir fordern daher: Gratis-Mobilpass für Wohnungslose und AMS-NotstandshilfeempfängerInnen. Denn für Menschen, deren Tagesbudget zwischen null und fünf Euro liegt, sind auch EUR 15,20 im Monat unleistbar! Und wir fordern die Abschaffung der Strafverfolgung für jene Menschen, die keinen Mobilpass erhalten, weil sie obdachlos sind und daher weder Schlafplatz noch Meldezettel vorweisen können.


DIE neunerHÄUSER

DIE neunerHÄUSER

Ein neunerHAUS erstrahlt im neuen Glanz Die umfangreichen Renovierungsarbeiten der zweiten Sanierungsphase konnten abgeschlossen werden. Gleichzeitig feiert das „Klientenhotel“ neunerHAUS Billrothstraße seinen dritten Geburtstag. Das 2005 in Betrieb genommene Übergangswohnheim Billrothstraße im 19. Wiener Gemeindebezirk kann heuer auf drei erfolgreiche Jahre zurückblicken. Insgesamt wurden bis Ende 2007 186 Männer und 11 Frauen betreut. Seit Eröffnung des Hauses im Juli 2005 konnten 170 Menschen, die vorübergehend im neunerHAUS Billrothstraße wohnten, in kürzester Zeit wieder selbst Fuß fassen und in eigenständige Wohnungen zurückkehren. Das beweist, dass sich der ursprüngliche Gedanke dieser Einrichtung bewährt hat: manchmal braucht es mehr als nur einen Platz für zwei bis drei Tage oder eine Woche, aber ein Dauerwohnplatz ist für diese wohnungslosen Menschen dann auch nicht passend oder erforderlich. In der täglichen Arbeit mit den Betroffenen hat sich im Verein selbst und in der Beobachtung der Situation innerhalb der Wiener Wohnungslosenhilfe für die MitarbeiterInnen des neunerHAUSes gezeigt, dass manche Menschen, und vor allem

Männer, sich plötzlich durch eine Krise, ausgelöst etwa durch eine Trennung, eine bevorstehende Scheidung, nach einer Haftentlassung oder aufgrund einer Wegweisung, vor dem überwältigenden Problem sehen, auf der Straße zu stehen oder von drohender Obdachlosigkeit betroffen zu sein.

Team neunerHAUS Billrothstraße

Das Konzept „Klientenhotel“ In der Billrothstraße stehen 33 Einzelplätze für Männer und eine Paarwohnung zur Verfügung. In Ausnahmesituationen werden auch Frauen aufgenommen. Das Betreuungskonzept ist genau auf die Problemsituationen dieser Menschen zugeschnitten. Innerhalb von maximal 6 Monaten wird gemeinsam mit den SozialarbeiterInnen daran gearbeitet, das Leben und den Alltag wieder zu stabilisieren und die, durch drohende Obdachlosigkeit ausgelöste Krise zu bewältigen. Bereits in der ersten Phase werden ein Haushalts- und ein Maßnahmenplan erstellt. So gewinnen die SozialarbeiterInnen rasch einen Überblick über die finanzielle Situation und die eventuell vorhandenen Schulden. Weiters werden die unterschiedlichen zukünftigen Wohnmöglichkeiten analysiert und konkrete Schritte zur Erlangung einer Wohnung oder einer anderen geeigneten Wohnmöglichkeit in Angriff genommen. So etwa kann bei Wiener Wohnen eine eigene Wohnung beantragt werden oder es findet sich eine Wohnung am Privatmarkt. Es besteht auch die Möglichkeit der Inanspruchnahme eines anschließenden Betreuten Wohnplatzes in einer anderen geeigneten Einrichtung der Wiener Wohnungslosenhilfe.

Im Vordergrund: Kein Druck und ein menschenwürdiges Leben So wie in allen neunerHÄUSERN steht ein menschenwürdiges

baut. Die dritte Sanierungsphase soll heuer noch in Angriff genommen werden. Geplant ist die komplette Sanierung des mittlerweile maroden Daches. Gleichzeitig soll der Dachstuhl angehoben und vier weitere Wohnplätze geschaffen werden. Dies bedeutet, dass im Jahr durchschnittlich zusätzlich zehn Personen betreut werden können. Die Gestaltung des Gartens wird ein weiterer Schwerpunkt dieser Phase sein. Sanierung als Beschäftigungschance für Betroffene Für die Sanierungsarbeiten wurden zahlreiche konzessionierte Fachbetriebe und Fachleute im Bereich Elektrik, Gas-Wasserund Heizungs-Installationen, Spenglerei, Fliesen und Tischlerei engagiert. Ergänzend zu diesem Trupp an Experten ergriffen einige engagierte BewohnerInnen die Möglichkeit, ihre Fähigkeiten und Kompetenzen bei den Sanierungs- und Renovierungsarbeiten einzusetzen.

Grundsätzlich ist das Selbsthilfepotential vieler dieser Menschen groß, doch in einer derartigen Krise benötigen sie oftmals für einen begrenzten Zeitraum Hilfe, Unterstützung und vor allem einen Platz zum Wohnen und nicht nur ein Bett in einem Schlafsaal. Gerade hier wies aber das System der Wiener Wohnungslosenhilfe eine Lücke auf: es gab Dauerwohnplätze, Notschlafstellen oder Wohnungen im Rahmen des Betreuten Wohnens, jedoch keine adäquaten betreuten Wohnräume für einen befristeten Zeitraum. Mit dem neunerHAUS Billrothstraße ist es gelungen, diese Lücke zu schließen.

„In allen Phasen ist die aktive Mitarbeit und das Einverständnis der KlientInnen von hoher Bedeutung und ausschlaggebend für den Erfolg“, betont Hausleiter Hassan El Sewifi. Er und sein engagiertes Team, bestehend aus zwei SozialarbeiterInnen, stehen den BewohnerInnen während der Zeit im neunerHAUS Billrothstraße mit Rat und Tat zur Seite. Auch das Konzept der Bezugsbetreuung hat sich dort bewährt: jedeR neue BewohnerIn hat vom ersten Tag an eine fixe Ansprechperson, die ihn bis zum Auszug, manchmal auch noch darüber hinaus, begleitet.

neunerHAUS Billrothstraße alt

Leben auch in der Billrothstraße im Vordergrund. Die Männer und Frauen bewohnen jeweils eigene Wohneinheiten mit Kochnische und Nasszelle, sie erhalten ihren eigenen Haustürschlüssel, Besuche sind erwünscht und das Leben mit Hund und Katz erlaubt. Auch gibt es kein Alkoholverbot.

Die begrenzte Wohndauer von 6 Monaten soll grundsätzlich eingehalten werden. Wird aber im Laufe der Betreuungszeit deutlich, dass ein Auszug aufgrund individueller Situationen, wie etwa eine längere Wartezeit auf eine Gemeindewohnung, innerhalb dieser Zeit nicht möglich sein wird, gibt es die Option auf eine Verlängerung.

„Mit Unterstützung der vielen SponsorInnen und MitarbeiterInnen ermöglicht das neunerHAUS Billrothstraße mit seinen 35 Wohnplätzen unzähligen vorübergehend obdachlosen Menschen eine Rückkehr in ein menschenwürdiges Leben“, so neunerHAUS-Geschäftsführer Markus Reiter, „Was noch aussteht ist der Ausbau des Dachbodens mit vier weiteren Plätzen - daran arbeiten wir nun intensiv. Eine erste Sammlung für die Dachsanierung hat bereits EUR 5.000,-- ergeben und ich bin zuversichtlich, dass wir den Ausbau noch heuer angehen können.“

Sanierung des Hauses in drei Phasen Das neunerHAUS Billrothstraße war nicht immer ein Wohnheim für obdachlose Menschen, aber von Anfang an sozialem Wohnen gewidmet. Lange Jahre diente das denkmalgeschützte Baujuwel, das 1926 von der bekannten Wiener Architektin Ella Briggs-Baumfeld als „Ledigenheim“ errichtet wurde, als Studentinnenwohnheim. 2003 wurde es geschlossen und stand dann für mehr als zwei Jahre leer. 2005 gelang es dem Verein neunerHAUS, es käuflich zu erwerben und die Sanierungsarbeiten konnten beginnen. Während im ersten Abschnitt zunächst die Zimmer für die BewohnerInnen, Büroräume, ein Arztzimmer und zwei Gemeinschaftsräume saniert, Holzböden renoviert und neu verlegt, Fliesen, Wasser- und Abflussrohre gelegt und die Räumlichkeiten eingerichtet wurden, standen die Fassade, Fenster und Türen im Zentrum der zweiten Sanierungsphase. Von Sommer 2007 bis Frühjahr 2008 wurde die komplette Fassade saniert, Außenfenster und -türen erneuert oder renoviert, aber auch die Innenräume wurden einer Verschönerung unterzogen. So war der aus Fachkräften und BewohnerInnen bestehende Bautrupp mit dem Ausmalen von Wänden, diversen Montage-, Ein- und Umbauarbeiten beschäftigt. Weiters wurden Möbel gewachst, Böden geölt, Abflussrohre eingebaut, Datenkabel verlegt und auch die Kellerräumlichkeiten ausge-

neunerHAUS Billrothstraße neu


TEAM neunerHAUSARZT

neunerHAUS KURZMELDUNGEN

Gesundheitspreis für das Team neunerHAUSARZT Freude im Verein neunerHAUS. Mitte Dezember 2007 wurde das Gesundheitsprojekt des Vereins, das Team neunerHAUSARZT, mit dem Gesundheitspreis 2007 der Stadt Wien in der Kategorie „ambulante Versorgung“ ausgezeichnet. Überreicht wurde der Preis von der Ausschussvorsitzenden für Gesundheit und Soziales, Frau GR Marianne Klicka. „Diese Wertschätzung unserer Arbeit in der Fachwelt freut uns ganz besonders“, so neunerHAUS Geschäftsführer Mag. Markus Reiter über die Auszeichnung. Auch an Anerkennung von internationaler Seite mangelt es nicht. Ebenfalls im Dezember 2007 hat die WHO eine Case Studie über das Pionierprojekt verfasst, ein eigenes Webfeature ist geplant. Die WHO zeigte sich vor allem von der interdisziplinären Zusammenarbeit und der Ausbildung der ÄrztInnen beeindruckt. Insgesamt werden im Rahmen des Projekts Team neunerHAUSARZT neben den BewohnerInnen der neunerHÄUSER Kudlichgasse und Hagenmüllergasse neun weitere Einrichtungen der Wiener Wohnungslosenhilfe betreut. Mehr als 1.000 obdachlose Menschen werden somit pro Jahr ärztlich versorgt, die sonst keinen Arzt aufsuchen könnten oder würden. Doch warum benötigen ausgerechnet obdachlose Menschen eine eigene medizinische Behandlung? „Wohnungslos zu sein bedeutet nicht nur ein Leben auf der Straße und ohne eigenes Einkommen. Es heißt auch, ein Leben unter großem physischen und psychischen Druck zu führen. Und: Geschätzte 90% aller Obdachlosen sind mehrfach krank“, weiß Markus Reiter. Aufgrund der schwierigen Lebensumstände benötigen Obdachlose all ihre körperli-

Brasilianischer Sozialminister Hohen Besuch bekam der Verein neunerHAUS im April. Auf Einladung von Sozialminister Dr. Erwin Buchinger und dem Fonds Soziales Wien besuchte Patrus Ananias de Sousa, brasilianischer Minister für Sozialentwicklung und Hungerbekämpfung, das neunerHAUS Billrothstraße. Bei seinem Besuch zeigte sich der brasilianische Sozialminister begeistert von dem liberalen Betreuungskonzept des Vereins.

Österreichischer Sozialminister Dr.in Irene Lachawitz, neunerHAUSÄRZTIN

chen Ressourcen, um den Alltag zu bewältigen. Die Gesundheit ist oft das Letzte, dem Aufmerksamkeit geschenkt werden kann. Dr. Walter Löffler, medizinischer Leiter des Team neunerHAUSARZT, erläutert: „Hier ergänzt die umfassende medizinische Betreuung des Team neunerHAUSARZT die Arbeit der SozialarbeiterInnen und hilft mit, die Lebensqualität der Menschen nachhaltig zu verbessern. Denn nur wenn sie gesundheitlich wieder stabil sind, haben Menschen die Kraft, sich anderen wichtigen Themen in ihrem Leben zu widmen und diese in Angriff zu nehmen, wie z.B. die Suche nach einem Wohnplatz oder einer neuen Arbeit.“

Von 11 bis 12 in der Hagenmüllergasse „War der Postler schon da - es ist bereits 11 Uhr?“, dröhnt eine Stimme aus dem Warteraum ins Büro. Ein zustimmendes Murmeln dahinter lässt auf ein paar Wartende schließen. Ich betrete das Büro, sehe Sabines verMitbewohner neunerHAUS Hagenmüllergasse neinendes Gesicht und noch bevor ich den Kopf wenden kann, eröffnen Wortpfeile das Wortgefecht: „Das ist ja unglaublich, jetzt warte ich schon seit 3 Tagen auf mein Geld!“ Herr W. versucht mit grimmiger Miene seiner Beschwerde noch mehr Ausdruck zu verleihen. Hinter ihm Frau P., die ihre Arme in die Hüften stemmt und zustimmend nickt. Flankiert wird sie von Sherry, dem Huskymischling, den sie heute Spazieren führt. Seine Ohren sind gespitzt und es scheint so, als würde er ebenfalls auf eine Antwort warten. Ich erhebe beschwichtigend meine Arme,

Kurzmeldungen

Sherry knurrt und noch bevor ich das Wort ergreifen kann, ergreift es Frau P.: „Alle anderen haben das Geld schon bekommen, nur wir nicht!“, stößt sie verbissen hervor. Sherry knurrt leise. „Kann man da nicht was tun?“, ergänzt Herr W.. Sabine hebt den Telefonhörer. Sherrys Ohren verlieren an Spannung, er beginnt mit dem Schweif zu wedeln. „Wir können ja mal bei der Post anrufen und fragen, ob er heute mit dem Geld kommt“, biete ich an. „Bin gerade dabei“, teilt Sabine mit einem beschwichtigenden Lächeln mit. Die ernsten Mienen weichen aus den Gesichtern und machen einem kleinen Lächeln Platz. Sabine nickt, spricht ein paar Worte und legt den Hörer auf. „Heute wird er mit Geld kommen, wann wissen wir jedoch nicht“, berichtet sie. Die Erleichterung ist förmlich zu spüren. Frau P. lässt sich auf die Couch im Wartezimmer nieder, Herr W. streicht sich erleichtert über die Stirn und atmet tief durch. Auch Sherry scheint zu spüren, dass sein Knocherl fixiert ist und schleckt sich mit der Zunge über die Schnauze. Die eintreffende Frau G. wird gleich von den Wartenden informiert, steckt sich eine Zigarette an und streicht Sherry über den Kopf. Der Warteraum und der Aschenbecher füllen sich. Der Briefträger biegt um die Ecke, als die Kirchenglocken 12 Uhr schlagen. Autorin: DSA Magdalena Berger

Da staunten die BewohnerInnen des neunerHAUS Kudlichgasse im Februar nicht schlecht, als Sozialminister Dr. Erwin Buchinger und Finanzstaatssekretär Dr. Christoph Matznetter mit einem Einkaufswagerl voll gepackt mit Lebensmitteln vorfuhren. Anlass war die Pressekonferenz zum Thema „Inflationsbekämpfung“. Der Einkaufswagen sollte demonstrieren, wie viele Lebensmittel sich ein Konsument um 100 Euro leisten kann. Die spontane Spende wurde von den neunerHAUS-BewohnerInnen mit Freude entgegengenommen.

neunerHAUS-Haubenauflauf 2008 Bereits zum zweiten Mal luden neunerHAUS, s Bausparkasse und Erste Bank am 19. Mai zur Benefizveranstaltung „Haubenauflauf“. Neun österreichische HaubenköchInnen gaben in einem Kochkurs mit anschließendem Flying Dinner ihr Wissen an prominente Gäste, unter ihnen Claudia Stöckl und Opernsänger Herwig Pecoraro, weiter. Fazit des Abends: Viele Köche verderben keineswegs den Brei.

neunerHAUS-Tiere Zwei Studentinnen der FH für Sozialarbeit haben im Zuge ihrer Ausbildung das Projekt V.I.T.U.S. ins Leben gerufen. Wöchentlich versorgt eine Tierärztin kostenlos die Tiere im neunerHAUS. Nach dem Motto: „Geht’s meinem Viecherl gut, geht es auch mir gut“, ergeben sich durchaus positive Auswirkungen auf die TierbesitzerInnen selbst.

IMPRESSUM: Herausgeber: Verein neunerHAUS, Stumpergasse 60, 1060 Wien, Tel.: +43/1/713 59 46, E-Mail: verein@neunerhaus.at, Website: www.neunerhaus.at Koordination: Ruth Gotthardt / Redaktionelle Mitarbeit: Magdalena Berger, Hanna Esezobor, Ruth Gotthardt, Michaela Muttenthaler, Markus Reiter, Eva Winroither Grafik-Design: Gábor Békési / Fotos: Marianne Greber, Teresa Zötl, Verein neunerHAUS Druck: REMAprint GmbH, 1160 Wien, Neulerchenfelder Straße 35 Auflage: 3.000 Stück


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