Neunernews Sept. 2016

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NEUNERNEWS NR. 29 / September 2016

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EDITORIAL

Liebe LeserInnen, wie Ihnen vielleicht schon am neunernews-Titelbild aufgefallen ist, porträtieren wir diesmal in unserer Coverstory gleich zwei Personen. Konkret sind es zwei Freundinnen, die sich gegenseitig unterstützen, wenn es darauf ankommt. Damit greifen wir einen Themenkomplex auf, der nur selten mit obdach- und wohnungslosen Menschen in Verbindung gebracht wird: Freundschaften, Familie, Beziehungen. Gerade für Menschen in Krisensituationen sind soziale Beziehungen ein wichtiger Stabilisierungsfaktor. Kontakt zu Familienangehörigen und FreundInnen erleichtern den Weg aus der Isolation und zurück zur Normalität. Deswegen zielt die soziale Arbeit im neunerhaus nicht nur auf Wohn- und Einkommenssicherheit ab, sondern auch auf die Förderung von sozialen Kontakten. Eine herausfordernde Aufgabe, die viel Zeit, Feingefühl und jede Menge Know-How erfordert. Dafür benötigt das neunerhaus Ihre finanzielle Unterstützung. Jede einzelne Spende ist ein echter Freundschaftsbeweis und sichert die Fortsetzung der ambitionierten sozialen Arbeit im neunerhaus. Vielen Dank. Ihre Redaktion Mehr zur Coverstory finden Sie auf der Rückseite der aktuellen neunernews.

2015 AUF EINEN BLICK Die Nachfrage an medizinischer Versorgung von neunerhaus steigt laufend an! ANZAHL DER PATIENTiNNEN IM JAHRESVERGLEICH 3.559

2.650

24.252 2013

2014

32 % männlich

weiblich

nicht versichert

45 %

68 %

55 %

versichert

NEUNERHAUS MEDIZINISCHE VERSORGUNG UND ALTERSSTRUKTUR

PatientInnen 135 274

bis 25 Jahre

689

bis 35 Jahre bis 45 Jahre

721 818

bis 55 Jahre älter

922

Vom Baby bis zu höchstbetagten Menschen

3 Wochen jüngste PatientIn

2

Behandlungen insgesamt

2015

VERTEILUNG DER PATIENTiNNEN NACH GESCHLECHT UND VERSICHERUNGSSTATUS

bis 16 Jahre

neunerhaus bedankt sich herzlich für die kostenlose Zurverfügungstellung von Fotos und Gestaltung!

PatientInnen 2015

Im Vergleich zu 2014 hat sich die Anzahl der PatientInnen um ein Viertel erhöht.

Alter

NEUNERNEWS NR. 29 neunerhaus – Hilfe für obdachlose Menschen, Margaretenstraße 166/1. Stock, 1050 Wien Tel.: +43/1/990 09 09-900, E-Mail: verein@neunerhaus.at, www.neunerhaus.at ZVR-Zahl: 701846883, DVR-Nr.: 2110290 HERAUSGEBERiN: Sandra Klement, Markus Reiter; CHEFRDEDAKTION: bettertogether/ Astrid Kasparek; REDAKTION neunerhaus: Sandra Klement; AUTORiNNEN: Astrid Kasparek, Sandra Klement, Veronika Vlcek; FOTOS: A. Kasparek, C. Liebentritt, M. Mazohl, J. Pöschl, J. Rauch, W. Schrittwieser, M. Thums; GESTALTUNG: Schrägstrich Kommunika­ tionsdesign; DESIGN: Büro X; DRUCK: Donau Forum Druck

+25 %

2.842

140 Behandlungen wurden übersetzt

95

Jahre

älteste PatientIn

21

Sprachen

wurden nachgefragt

Über Videotelefonie besteht die Möglichkeit, ÄrztInnengespräche zu dolmetschen.


INTERVIEW

AUSGESETZT SEIN Sozialminister will er nicht sein, aber zu tun gibt’s mehr als genug in der Sozialpolitik, meinte Kabarettist Alfred Dorfer im Gespräch mit neunerhaus Geschäftsführer Markus Reiter. „Jö, der Herr Weber kummt uns besuchen“, freuten sich die BewohnerInnen des neunerhaus Kudlichgasse und begrüßten Alfred Dorfer mit frenetischem Applaus. Der beliebte Kabarettist schenkte bei seinem Kurzbesuch nicht nur bereitwillig Kaffee und Bier an die HausbewohnerInnen aus, er nahm sich auch Zeit für ein neunernews-Exklusivinterview. Markus Reiter: Herr Dorfer, wir freuen uns sehr über Ihren Besuch im neunerhaus Kudlichgasse. Die BewohnerInnen hier sind aus den unterschiedlichsten Gründen in der Obdach- bzw. Wohnungslosigkeit gelandet. Scheidung, Jobverlust, Verschuldung, Delogierung – das kann schnell gehen. Waren Sie auch schon mal wohnungs- oder obdachlos? Alfred Dorfer: Nein, Gott sei Dank nicht. Aber ich war mal im Ausland und hab‘ alles verloren. Mein Handy, mein Pass, mein Geld – alles war plötzlich weg. Ich bin dagestanden und wusste nicht wohin und was tun. Diese Aus­ gesetztheit, die Orientierungs- und Hilflosigkeit – das war wirklich schrecklich. So ähnlich stell ich mir es vor, wenn man die Wohnung verliert und plötzlich vor dem Nichts steht. Wüssten Sie, wo Sie hingehen und Hilfe bekommen könnten, wenn Sie plötzlich auf der Straße stehen würden? Na ja, ich habe gute Freunde, wo ich wahrscheinlich unterkommen könnte und die mir sicher helfen würden. Ich weiß aber auch Bescheid, dass es viele karitative Stellen gibt, wo man hingehen kann und wo man Unterstützung bekommt. Aber ich gehöre glücklicherweise zu der privilegierten Spezies Mensch, die genügend Geld verdient, um sich Wohnen leisten zu können.

» ICH WÜRDE ALLES DARAN SETZEN, DASS SICH NIEMAND VOR ARMUT FÜRCHTEN MUSS « Was würden Sie als erstes tun, wenn Sie morgen zum Sozial­ minister ernannt werden? Ich würde das Amt nicht annehmen, weil ich es nicht kann. Ich hab‘ Schauspieler gelernt und sonst nix. O.k. das mag in der heutigen Zeit kein wirklicher Hinderungsgrund sein, Politiker zu werden. Also ich würde alles daran setzen, dass sich niemand mehr vor Armut fürchten muss. Ich denke dabei vor allem an alleinerziehende Mütter, die gezwungen sind so rasch wie möglich wieder arbeiten zu gehen. Die Jobs haben, bei denen sie nicht einmal genug verdienen, um zu überleben. Da gäbe es viel zu tun in der Sozialpolitik.

und Humor ernste politische Probleme transportieren lassen? Lässt sich mit Kabarett etwas bewirken? Ja, das glaube ich schon. Lachen schafft die nötige Distanz zu den Problemen, die wir haben. Lachen öffnet die Menschen und eröffnet neue Perspektiven. Wenn ich ernste Themen in lustige Texte verpacke, dann bringe ich die Leute eher zum Nachdenken, als mit erhobenem Zeigefinger und langatmigen Analysen. Das heißt nicht, dass das andere nicht auch wichtig ist, aber ich glaub schon, dass ich meinem Publikum meistens etwas zum Grübeln mitgebe.

Kabarett ist ja auch politisch. Glauben Sie, dass sich mit Satire

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NEUNERHAUS HAGENMÜLLERGASSE

ALLEINSEIN IST EINFACH NICHT GUT Im neunerhaus gibt’s auch Platz für FreundInnen, PartnerInnen und Familie. Und NachbarInnen, die sich unterstützen und von denen du alles haben kannst. Text: ASTRID KASPAREK / Fotos: MICHAEL MAZOHL, ASTRID KASPAREK

„Die Oma kocht und backt sooo gut.“ Der 9-jährige Daniel und der 11-jährige Raphael besuchen ihre Oma regelmäßig im neunerhaus Hagenmüllergasse und schwärmen von ihren Kochkünsten. Auch Tochter Verena läuft das Wasser im Mund zusammen, wenn sie an den Apfelstrudel ihrer Mutter denkt. Sie ist glücklich, dass ihre Buben nach dem Hort quasi nur ums Eck zur Oma in die Hagenmüllergassse gehen können. Denn als Verkäuferin muss die junge Frau mehrmals die Woche bis 18.30 Uhr

und länger im Geschäft bleiben, auch Samstagsdienste sind die Regel. Manchmal schlafen die Kinder auch bei der Oma: „Platz ist in meiner neunerhausWohnung immer für meine Enkerln“, betont die 63-jährige Wienerin und drückt die Kids fest an sich. Die beiden Buben lassen sich das geduldig gefallen – „aber nur weil‘s die Oma ist“, brummelt der Ältere. Bevor Oma Hanni in die Hagenmüllergasse eingezogen ist, hat sie fast zwei Jahre lang bei ihrer Tochter und

den beiden Enkelkindern gewohnt – auf 54 m2. Warum? Verenas Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen: „Ich lass‘ doch meine Mutter net auf der Straße leben.“ Es war schon sehr eng. Hannis Probleme begannen, als ihr Lebensgefährte krank wurde und ins Pflegeheim musste. Sie war nicht im Mietvertrag eingetragen, die Wohnung wurde auf-

NACHBARN ZUM WÜNSCHEN

Kudlichgassen-BewohnerInnen philosophieren über das Thema Freundschaft. „Wir haben uns hier im neunerhaus Kudlichgasse kennengelernt - in der Waschkuchl samma ins Reden kommen.“ Seitdem sind Ernstl, Lea und Manfred befreundet. „Der Manfred und seine Frau Anita kochen immer für alle, wir sind a richtig z'sammg'schweißte Clique“, schmunzelt Lea. Ernstl hat seine Wohnung durch Scheidung verloren, Manfred verlor ein Jahr vor der Pensionierung seinen Job und konnte die Miete nicht mehr bezahlen. Und Lea wurde von ihrem Lebensgefährten verlassen. Die Wohnung konnte sie sich alleine jedoch nicht mehr leisten. Unterstützung durch Freunde oder Familie gab es keine. „Mein Bruder und meine Eltern sind gestorben. Meine Familie ist jetzt da in der Kudlichgasse“, betont Lea und zeigt mit dem Finger auf die beiden Herren neben ihr. „Da Ernstl is mei Zuhörer und Psychiater. Wenn i net allein sein will, dann klopf i afoch an bei eahm, setz mi hin und

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quatsch – dann geht’s ma glei wieder besser.“ Die drei sind sich einig: „Wir kümmern uns um einander – des is net so wie im Gemeindebau, wo du monatelang allein und krank im Bett liegst, bis'd stirbst.“ Lea: „Wenn sich der Ernstl einen Tag lang net rührt, dann bin ich scho bei eahm und frag was los is. Oder ob er was braucht. Und umgekehrt is des genauso. Solche Nachbarn kann man sich wirklich nur wünschen.“


NEUNERHAUS HAGENMÜLLERGASSE

EIN OFFENES OHR UND PLATZ FÜR MATRATZEN Elisabeth Hammer, fachliche Leitung Soziale Arbeit im neunerhaus, über Orte, die guttun. Familie, Freundschaften, Beziehungen – Themen, die nicht unbedingt mit obdach- und wohnungslosen Menschen in Verbindung gebracht werden. Wieso?

gelöst und sie musste von einem Tag auf den anderen ausziehen. „Die Wohnsituation bei meiner Tochter und ihren Kindern war schon sehr eng und ich wollte den Jungen ja nicht am Nerv fallen. Drum hab‘ ich mich in der städtischen Unterkunft für wohnungslose Menschen in der Gänsbachergasse angemeldet“, erzählt sie weiter. Dort war es einfach unerträglich. Für Tochter Verena war das dort aber „einfach unerträglich“. Ein 6m2-Zimmer, Gemeinschaftsküche, Gemeinschaftsdusche, Gemeinschaftsklo. „Nein, dort habe ich die Mama nicht schlafen lassen können und so hat sie halt ca. zwei Jahre bei uns gewohnt.“ Dieses „bei uns“ ist gleich ums Eck vom neunerhaus Hagenmüllergasse. „Da hab ich mich einfach erkundigt, ob es hier nicht eine Wohnmöglichkeit gibt für mich“, erzählt Hanni weiter. „Und ich hab‘ Glück gehabt. Im Mai hab‘ ich einziehen können. Ich fühl mich total wohl hier und ich bin ruhiger geworden. Jetzt bin ich auf der Warteliste für ein Pensionistenheim in der Nähe. Ich will schon im 3. Bezirk bleiben – da bin ich daheim, da hab‘ ich meine Familie.“

Oma Hanni hat in ihrer Wohnung im neunerhaus Hagenmüllergasse immer Platz für ihre beiden Enkelkinder. „Ich koche für sie und manchmal übernachten sie auch bei mir“, freut sich die aktive 63-Jährige, die von den Enkerln heiß geliebt wird.

Hammer: Unsere Gesellschaft ist nach wie vor vom Klischeebild des arbeitslosen, alleinstehenden, männlichen Vagabunden geprägt. Längst aber sind Menschen unterschiedlichster sozialer Schichten und Altersstufen von Obdach- und Wohnungslosigkeit betroffen. Hier hinken die Strukturen der institutionalisierten Wohnungslosenhilfe jedoch noch ziemlich nach. Da wird bei der Beratung Familie gar nicht mitgedacht, so als hätte diese Person keine Eltern, keine Partner, keine Kinder. Wie kann aber z.B. für wohnungslose Menschen Besuchsrecht umgesetzt werden, wenn es im Zimmer keinen Platz für eine zusätzliche Matratze gibt? Welche Schwerpunkte setzen die neunerhaus-Sozial­ arbeiterInnen diesbezüglich in der Beratungs- und Betreuungsarbeit? Hammer: Wir versuchen nicht nur die materielle Perspektive – also Wohnung und Einkommen – sondern auch soziale Beziehungen in die Beratungsge­spräche miteinzubeziehen. In den meisten Erstgesprächen steht die Frage nach Unterkunft und soziale Absicherung im Vordergrund. Dass die Person z.B. ihr Kind seit Jahren nicht mehr gesehen hat, kommt erst beim dritten oder vierten Treffen zur Sprache. Wir unterstützen die BewohnerInnen dann auch dabei, wenn sie wieder bei der Familie andocken wollen. Wieso stellen soziale Beziehungen für Menschen in Krisensituationen oft eine Herausforderung dar? Hammer: Freundschaften sind Orte, die guttun, stärken und zur Entwicklung anregen. Wohnungslose Menschen haben oft schlechte Erfahrungen mit Beziehungen hinter sich. Da heißt es wieder Vertrauen und Rückhalt aufbauen. Allein das Erleben von Gemeinschaft kann dabei sehr hilfreich sein. Freundschaften bilden einen Ankerpunkt im Leben, man trifft sich zum Essen, zum Kaffeetrinken, das bringt Struktur und Stabilität in den Alltag. Im neunerhaus wird dieses Miteinander bestmöglich gefördert.

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MEDIZINISCHE VERSORGUNG

LOTTO-SECHSER DURCH NEUNERHAUS Medizinische Versorgung und soziale Arbeit gehen im neunerhaus Hand in Hand. ÄrztInnen, zahnärztliche AssistentInnen, die Ordinationsassistentin und Sozialarbeiterinnen bilden ein interdisziplinäres Team zur Linderung von gesundheitlichen UND sozialen Problemen. Text: ASTRID KASPAREK / Fotos: CHRISTOPH LIEBENTRITT, JOHANNA RAUCH

Dienstagvormittag, das Wartezimmer in der neunerhaus Arzt- und Zahnarztpraxis ist wie immer gesteckt voll. Männer, Frauen und Kinder warten geduldig, bis sie aufgerufen werden. Ein gewohntes Bild – ähnlich sieht es auch in zig anderen Wiener Arztpraxen aus. Und doch ist es im neunerhaus ganz anders. „Wie ich das erste Mal hierher in die neunerhaus Zahnarztpraxis gekommen bin, war ich echt überrascht“, erzählt Jürgen, der mit 850 Euro Pension keine großen Sprünge machen kann – schon gar nicht, was die Sanierung der Zähne

angeht. „Ich bin bei der Tür rein und es kam eine lächelnde junge Frau auf mich zu. Anstatt nach der E-Card zu fragen, hat sie mir einfach die Hand geschüttelt und mich mit einem ‚Hallo – wir sind hier alle per du – ich bin die Susi‘ begrüßt. Und sie hat mich gefragt, was sie für mich tun kann. Das hat mich schon seit Jahren niemand mehr gefragt und ich hab‘ mich gefühlt wie zu Weihnachten und Ostern zugleich. Seitdem bin ich Stammpatient hier.“ Ähnlich ist es Alfred ergangen. Er hatte bei seinem ersten Besuch in der

neunerhaus Zahnarztpraxis „monströse Ruinen im Mund“, wie er es selbst bezeichnet. Angst und kein Geld. Bereits als Kind war jeder Zahnarztbesuch ein Horror für ihn und deshalb ist er auch nie hingegangen. Bis alle Zähne kaputt waren. Nach seiner Scheidung wurde Alfred obdachlos. Den Betrag, den ein Zahnarzt üblicherweise für ein Gebiss verlangt, konnte er einfach nicht aufbringen. „Ich war todunglücklich. Ich wollt‘ nimmer lachen und die Aussichten auf einen Job sind ohne Zähne gleich null.“ Ein Freund hat Alfred dann dazu überredet, sich doch einmal die neunerhaus Zahnarztpraxis anzuschauen. „Ich bin hinkommen, da war schon fast Dienstschluss. Die Magdalena hat sich trotzdem Zeit genommen. Das werde ich ihr nie vergessen“, beteuert Alfred. Magdalena Elsnegg ist Sozialarbeiterin und im neunerhaus speziell im Bereich der medizinischen Versorgung tätig. „Alfred ist zur Rezeption gekommen, wo ich gemeinsam mit Lilli, unserer Ordinationsassistentin, die erste Ansprechpartnerin bin. Bei einem Erstgespräch braucht es Feingefühl und Zeit. Es geht darum den Menschen zu vermitteln, dass sie auch ohne festen

Stammpatient Alfred I. hat seine Angst besiegt und kommt nun regelmäßig in die neunerhaus Zahnarztpraxis.

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MEDIZINISCHE VERSORGUNG

Dr. Stephan Gremmel, 33, geboren in Wien. Der Allgemeinmediziner arbeitete in Wiener Spitälern, in der länd­ lichen Basisversorgung, als neunerhaus Arzt in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe sowie in der neunerhaus Arztpraxis.

Wohnsitz oder aktiver Versicherung willkommen sind. „Durch die obligatorischen Fragen in den Spitälern und Ordinationen nach E-Card und Adresse müssen die Leute sofort ihre Lebensumstände preisgeben – und das ist eine große Hürde im Gesundheitssystem für Menschen, die sich schämen, weil sie sich in einer prekären Lebenssituation

» BEI UNS SIND ALLE MENSCHEN WILLKOMMEN « Magdalena Elsnegg, neunerhaus befinden. Viele wohnungs- und obdachlose Menschen genieren sich, Hilfe in Anspruch zu nehmen“, erklärt die Sozialarbeiterin. Alfred hat seine Wohnungslosigkeit aber gleich angesprochen. Dann ging alles sehr rasch. Alfred: „Wir haben in zwei Stunden alles besprochen und Magdalena hat auch gleich mit mir einen Antrag auf einen Wohnplatz bei der Wohnungslosenhilfe gestellt. Magdalena war wie ein Lotto-Sechser für mich. Ohne sie würde ich heute noch ohne Zähne auf der Straße leben.“ Mittlerweile ist Alfreds Wohnsituation stabil. Er macht gerade eine Kochlehre. Eine Stelle ist bereits in Aussicht. In die neunerhaus Zahnarztpraxis kommt er nach wie vor. „Dort treff‘ ich immer Leute, die ich mag. Übers neunerhaus lass i nix kommen, dort haben sie mir die Angst genommen.“

HIER BIST DU RICHTIG! Seit Juni dieses Jahres gibt es im neunerhaus einen neuen ärztlichen Leiter. Der Allgemeinmediziner Dr. Stephan Gremmel erklärt, wie sich die medizinische Versorgung im neunerhaus von der Betreuung in anderen Einrichtungen des Gesundheitssystems unterscheidet.

Die Arbeit in der neunerhaus Arztpraxis ist sehr vielseitig. Neben medizinischer Akutversorgung bieten wir auch hausärztliche Betreuung für Menschen in prekären Lebenssituationen an. So werden in der neunerhaus Arztpraxis auch regelmäßige Blutdruck- und Blutzuckerkontrollen durchgeführt und die PatientInnen erhalten eine langfristige therapeutische Begleitung. Doch Regelmäßigkeit und Termintreue stellen für viele obdach- und wohnungslose Menschen eine große Herausforderung dar. Aus diesem Grund gibt es in der neunerhaus Arztpraxis auch keine Terminvergabe. Wir verweisen auf unsere Öffnungszeiten und jede/r kann kommen, wann er oder sie will. Medizin und Sozialarbeit Der Großteil unserer PatientInnen in der neunerhaus Arztpraxis ist nicht krankenversichert. Daher nimmt die medizinische Versorgung im neunerhaus eine Sonderrolle im Gesundheitssystem ein. Wir kümmern uns um jene Menschen, die sonst keinen Zugang zum Gesundheitssystem finden und versorgen sie auch mit Medikamenten, die sie ohne Rezept nicht bekommen würden. Die Gründe, warum Menschen keinen Anspruch auf Leistungen aus einer Sozialversicherung haben, sind vielfältig. Im neunerhaus sind zwei Sozialarbeiterinnen fix im Bereich der medizinischen Versorgung angestellt, um sich genau diesen Fragen zu widmen. Immer wenn Arzt- und/ oder Zahnarztpraxis geöffnet sind, ist der Empfang doppelt besetzt – durch eine Ordinationsmanagerin und eine Sozialarbeiterin. Gleich beim Erstkontakt am Schalter beginnt die

Abklärung, was die Person braucht und ob es dabei auch einen sozialarbeiterischen Auftrag gibt. Egal ob mit oder ohne E-Card Gerade diese interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Medizin und Sozialarbeit ist bei obdach- und wohnungslosen Menschen besonders wichtig. In einer normalen Krankenkassen-Ordination besteht meist schon aus Zeitgründen nicht die Möglichkeit, dass sich ÄrztInnen oder Ordinationshilfen um die Abklärung sozialer Fragen kümmern. Wenn jemand keine E-Card hat, heißt es dann leider oft: 50 Euro Einsatz oder die PatientIn kann gleich wieder gehen. Wir wollen den Menschen, die zu uns kommen, vermitteln: Du bist hier richtig, wir kümmern uns um dich. Und genau das ist es, was alle Menschen brauchen, nicht nur obdach- oder wohnungslose. Aus diesem Grund ist es unser Ziel, dass die medizinische Versorgung neunerhaus als integrierter Bestandteil des österreichischen Gesundheitssystems wahrgenommen wird und nicht als Parallelsystem für die Armen.

Kostenlose medizinische Betreuung in der neunerhaus Zahnarztpraxis: Mo, Di, Mi und Fr von 9:00–13:00 Uhr neunerhaus Arztpraxis: Mo, Mi u. Fr von 10–13 Uhr, Di 14–17 Uhr, Do 9–12 Uhr Margaretenstraße 166/1. Stock, 1050 Wien, Tel: 01 990 09 09 500, arztpraxis(at)neunerhaus.at

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KURZMELDUNGEN

NEUNERHAUS TIERARZTPRAXIS

Seit über fünf Jahren gibt es die neunerhaus Tierärztliche Versorgungsstelle. Einzigartig in ganz Österreich werden hier die Vierbeiner obdach- bzw. wohnungsloser Menschen von ehrenamtlichen TierärztInnen und AssistentInnen kostenfrei behandelt. Seit Mitte April 2016 steht die neunerhaus Tierarztpraxis auf der Liste der spendenbegünstigten Organisationen des BM für Finanzen. Die Registrierungsnummer lautet SO 2678. Für SpenderInnen bedeutet das, dass sie Spenden steuerlich geltend machen können. Bitte Spendenbelege bis zu sieben Jahre lang aufbewahren. Herzlichen Dank für Ihre Unterstützung! ACHTUNG – ACHTUNG: Die Tierarztpraxis befindet sich für die kommenden Monate an einem neuen Standort: Stumpergasse 40, 1060 Wien. Öffnungszeiten: Mo. und Mi. 13:00 bis 14.00 Uhr, Fr. 10.30 bis 11.30 Uhr

16. NEUNERHAUS KUNSTAUKTION Mo., 7. November 2016 Einlass ab 18.00 Uhr im MAK-Wien Stubenring 5/Eingang Weiskirchnerstraße 3, 1010 Wien Auktion: 19.00 Uhr

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48 STUNDEN VON ASTEN Für die meisten Menschen unvorstellbar – für Extremsportler Rainer Predl Realität: ein 48-Stunden-Benefizlauf. Mit großen Erwartungen startete der Ultraläufer am 7. Juli 2016 seinen 48-Stunden-Lauf in Asten bei Linz. Mit einer Spendenaktion während der 48 Stunden unterstützte Rainer Predl das neunerhaus. Er ging mit dem Ziel ins Rennen, den österreichischen Rekord von 375 km zu brechen. Trotz Knieproblemen, Hitze, Regen, Wind gab der 26-Jährige nicht auf und hielt die 48 Stunden durch. Am Ende hatte er 274 Runden und somit 326,6 km geschafft. Den anvisierten Rekord von 375 km erreichte Predl zwar nicht, verbesserte seinen persönlichen Rekord jedoch um fast 50 km. „Im Vergleich zu meinen ersten drei 48-Stunden-Läufen konnte ich mich deutlich verbessern. Für mich war es sehr wichtig, dass die 300er-

Marke gefallen ist – lieber wäre mir die 400er gewesen, aber das Kapitel ist noch nicht zu Ende“, so Rainer Predl trotz Schmerzen unmittelbar nach dem Lauf über einen neuen Angriff auf den österreichischen Rekord. Das neunerhaus ist beim nächsten Mal gerne wieder dabei!

Extremsportler Rainer Predl hat auch beim bisher „härtesten Lauf seines Lebens“ ein Lächeln auf den Lippen

SINFONIA ACADEMICA – KLASSISCHE MUSIK-MATINÉE Das akademische Symphonieorchester „Sinfonia Academica“ verbindet seine Passion fürs Musizieren mit dem guten Zweck. Am 9. Oktober 2016 spielen die Sinfonia Academica eine Benefizmatinée im Wiener Konzerthaus, Mozartsaal. Unter der Leitung von Marta Gardolin ´ska steht Joseph Haydns Symphonie Nr. 83 sowie die Ouverture „Königin Jadwiga“ des polnischen Komponisten Karol Kurpin ´ski auf dem Programm. Als Solist konnte das Orchester den großartigen Alfredo Ovalles für Beethovens Klavierkonzert Nr. 4 gewinnen. Bereits zum zweiten Mal spendet das professionell agierende Amateur-Orchester den gesamten Erlös dem neunerhaus. Sonntag, 9. Oktober 2016 11:00 Uhr Wiener Konzerthaus, Mozartsaal Lothringerstraße 20, 1030 Wien Karten unter www.konzerthaus.at/ kalender oder direkt an der Konzerthauskassa


KURZMELDUNGEN

Gemeinsam feierten BewohnerInnen, AnrainerInnen und Markus Reiter (GF neunerhaus), Ralf-Wolfgang Lothert (JTI Austria GmbH), Barbara Klaar (neunerhaus) Hermine Mospointner und Ing. Gerhard Blöschl (Bezirk Favoriten) v.l.n.r.

WIR SIND KUDLICH: FEST UND AUSSTELLUNG Eigene vier Wände, gute Nachbarschaft – und keine Vorurteile mehr: Das sind die Ziele der BewohnerInnen des neunerhaus Kudlichgasse. Unter dem Motto „Wir sind Kudlich“ luden sie am 3. Juni zum Nachbarschaftsfest in den nahe­ gelegenen Beserlpark ein, um den AnrainerInnen die Gelegenheit zu bieten, Stereotype über obdachlose Menschen abzubauen, indem man sich einfach besser kennenlernt. Die Initiative der neunerhaus-BewohnerInnen wurde mit zahlreichen BesucherInnen und guter Stimmung belohnt. Die Favoritner Bezirksvorsteherin Hermine Mospointner lobte bei der feierlichen Eröffnung das Engagement der BewohnerInnen. Ein umfangreiches Festprogramm sorgte für jede Menge Spaß und Abwechslung. An der Grill-Bar wurden Hunger und Gusto gestillt, Tier- und Pflanzenliebhaber konnten ihre Erfahrungen mit den gemeinsamen Hobbies austauschen und es gab praktische Tipps und Tricks, die den Umgang mit Hund und Blumenbeet erleichtern. Auch für die Unterhaltung der Kinder war gesorgt. Musikalische Gustostückerln boten The Real Holy Boys, Wiener Brut, die Mondscheing’schwister sowie Eva Billisich & Mr. Holliwood. Im Anschluss an das Fest wurde am 22. Juni in der Bezirksvorstehung Favoriten die Fotoausstellung „Wir sind Kudlich“ präsentiert. Motto der Ausstellung: „Wien ist so vielfältig, wie die Menschen, die hier wohnen. Die Kudlichgasse in Favoriten auch.“ Bis 10. September konnten sich die FavoritnerInnen im Bezirksamt Favoriten ein persönliches Bild vom neunerhaus Kudlichgasse und dessen BewohnerInnen machen. Ein herzliches Dankeschön an unsere UnterstützerInnen: Bezirksvorstehung Favoriten, cyberlab digitale Entwicklungen, Fonds Soziales Wien, JTI, Wohnbauvereinigung für Privatangestellte (WBV-GPA).

SOMMERFEST MIT GRILL UND SPASS Der Sommer muss gefeiert werden, schließlich kommt er nur einmal im Jahr. Dieses Motto wird im neunerhaus Hagenmüllergasse auch aktiv gelebt und so gab es Anfang Juli wieder ein heißes Sommerfest. Für die kulinarischen Köstlichkeiten vom Grill sorgte bereits zum 5. Mal die Firma L’Oréal, die mit dieser Corporate Volunteering Aktion „ein bissl was an Menschen zurückgeben möchte, die es nicht so gut im Leben haben“, erklärte Dr. Andrea Schmoranzer-Jerabek, General Manager von L’Oréal Luxe. Die Managerin war das erste Mal zu Besuch im neunerhaus Hagenmüllergasse und freute sich über die Herzlichkeit, die ihr von den BewohnerInnen entgegengebracht wurde. Diese wiederum freuten sich über die köstlichen Grillkoteletts und bedanken sich herzlich für das sommerliche Grillvergnügen.

JAHRESBERICHT 2015 Der aktuelle Jahresbericht ist da! Unter www.neunerhaus.at zum online Blättern oder zum Bestellen der Printversion! Wir berichten über das grenzenlose Engagement der neunerhaus MitarbeiterInnen, beschreiben die Qualität unserer Arbeit, bieten Einblick in die Lebensrealitäten unserer BewohnerInnen und liefern Zahlen und Fakten. Fotos und Gestaltung des Berichtes wurden kostenlos zur Verfügung gestellt. Wir danken herzlich!

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Frühe Hilfen Unterstützung für Familien Familien brauchen Unterstützung, damit sie ihren Kindern gute Rahmenbedingungen für das Aufwachsen bereitstellen können. Sei es durch soziale Netzwerke (Familie, FreundInnen, NachbarInnen, Bekannte) oder durch Unterstützung und Hilfe von Fachleuten und Institutionen. Dies gilt insbesondere für Familien in belastenden Situationen. Hier setzen Frühe Hilfen an.

Entgeltliche Einschaltung

Das Leben mit einem Kind bringt viel Freude Manchmal kann es aber auch verunsichern und überfordern, weil das Kind mehr Aufmerksamkeit braucht, als man geben kann. Oder weil es Spannungen im familiären Umfeld gibt oder das Geld nicht mehr reicht. Hier bieten die Frühen Hilfen Unterstützung an.

VORSORGEMITTEL DER BUNDESGESUNDHEITSAGENTUR

Ein kostenfreies Angebot Frühe Hilfen sind ein kostenfreies Angebot für alle Schwangeren und Familien mit Säuglingen und Kleinkindern in belastenden Lebenssituationen. Das reicht von persönlicher Beratung über Begleitung bei Behördenwegen bis hin zu Anleitung und Unterstützung bei Pflege, Versorgung und Erziehung des Kindes.

Frühe Hilfen in allen Bundesländern In allen Bundesländern stehen Frühe-Hilfen-Netzwerke zur Verfügung. Weitere Infos sowie ein Netzwerk in Ihrer Nähe finden Sie auf der Frühe Hilfen Website.

Mehr Informationen: www.fruehehilfen.at 10


IM RAMPENLICHT

WENN ANDERE FEIERABEND MACHEN Als „pädagogische AbendbetreuerInnen“ wissen Doris Klaunzner und Emir Numanovic genau, wieviel Potential in der Freizeit steckt. Text: ASTRID KASPAREK / Foto: MARKUS THUMS

Sie sind da, wenn’s Feierabend wird. Drei- bis viermal in der Woche, meist von 18 bis 22 Uhr sind die pädagogischen AbendbetreuerInnen in den neunerhaus Wohnhäusern im Einsatz. Manchmal öfter, manchmal länger, häufig auch am Wochenende. Sie helfen den BewohnerInnen im Alltag und bei Konflikten, achten auf die Hausordnung, hören zu und sind zum Quatschen da. „Es gibt immer recht viel zu tun, denn wir haben im Schnitt fünf bis zehn Neueinzüge im Monat“, erzählt die ausgebildete Lebens- und Sozialberaterin Doris Klaunzner. „Bei uns“, das ist das neunerhaus Billrothstraße. Es bietet 43 Einzelwohnplätze für Männer, Frauen und Paare zur kurzfristigen Überbrückung einer akuten Wohnungslosigkeit. Nach etwa sechs Monaten gelingt es meist, eine eigene fixe Wohnung zu finden. Beziehungsaufbau ist wichtig. „Gerade weil ein ständiges Kommen und Gehen herrscht, ist Beziehungsaufbau wichtig“, sagt Klaunzner. „Als viele alleinstehende Frauen im Haus wohnten, haben wir zum Beispiel einen Frauenausflug organisiert“, erzählt sie. „Wir waren auch schon Bootfahren und Eis essen. Im Moment wird regelmäßig gemeinsam gekocht. Die Hilfsbereitschaft wächst mit der Zahl der gemeinsamen Aktivitäten“, so Klaunzner, die seit mehr als 15 Jahren im Sozialbereich tätig ist. Die BewohnerInnen helfen einander, wenn ein Schlüssel verloren wurde oder eine Krise auftritt. Es entstehen Begleitdienste für Arztbesuche und Einkäufe. Die BewohnerInnen des neunerhaus Billrothstraße sind auffallend heterogen. Hier leben Menschen im Alter zwischen 18 und 75 Jahren aus bis zu 14 unterschiedlichen Ländern. Darunter MalerInnen, MusikerInnen, ArchitektInnen, viele ehemals Selbständige. Erspar-

Doris Klaunzner und Emir Numonavic sehen in der pädagogischen Abendbetreuung einen wichtigen Beitrag zur Beziehungs­ arbeit in den neunerhäusern.

tes zur Bezahlung von Provisionen für eine andere Wohnung ist selten vorhanden, Kredit gibt’s meist keinen, weil das Arbeitseinkommen nicht regelmäßig oder zu gering ist. Etwa ein Viertel der BewohnerInnen hier ist berufstätig. „Dieses ‚ganz unten sein‘ kann so schnell gehen. Ich erkenne das jeden Tag, an dem ich im Haus bin“, betont Klaunzner. „Bei mir kommt dann oft so eine Demut auf. Das Leben ist wie ein offenes Gefäß – es kann immer in beide Richtungen gehen.“ Weg aus der Isolation. Raus aus dem Leiden, das Leben wieder ein bisschen genießen können. „Kreativität lenkt ab von den vielen Problemen, die das Gros unserer BewohnerInnen zu bewältigen hat“, erklärt Emir Numanovic.

Der ehemalige selbständige Journalist arbeitet seit sieben Jahren im neunerhaus Kudlichgasse, wo er unter anderem das vorhandene kreative Potenzial der BewohnerInnen fördert. Der größte Unterschied zu Klaunzners Arbeit ist, dass Numanovic‘s KlientInnen dauerhaft im Haus wohnen und sich dadurch langjährige Dynamiken ergeben. Umso wichtiger ist Abwechslung. Es wird Theater und Musik gespielt, getanzt, gemalt oder der Garten umgestaltet. Numanovic: „Ich erinnere mich an einen Bewohner, der jahrelang nicht gesungen hat und plötzlich entdeckte: Ich kann singen. Und ich singe gut. So entsteht eine Basis für selbstbewusste Weiterentwicklung – und ein Weg raus aus der Isolation.“

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DAS BIN ICH

ICH KANN WIEDER ICH SELBER SEIN Text: ASTRID KASPAREK / Foto: CHRISTOPH LIEBENTRITT

„Freunde brauchst zum Überleben – in guten und in schlechten Zeiten.“ Ricki grinst Ilse zu, die neben ihr sitzt und Kaffee trinkt. Die beiden Frauen leben seit einigen Monaten im neunerhaus

ausschlaggebend für den Weg in die Krise. „Ich trau mich seitdem nicht mehr alleine auf die Straße, Arbeiten gehen ist unmöglich geworden – es ist einfach gar nix mehr gegangen. Und wennst

» HIER HAB’ ICH ECHTE FREUNDE GEFUNDEN – WIR HALTEN EINFACH Z’SAMM « Ilse und Ricki, BewohnerInnen neunerhaus Hagenmüllergassse Hagenmüllergasse, im selben Stockwerk. Ricki ist im Vorjahr eingezogen, Ilse im Februar. „Wir zwa san uns irgendwie zuag'rennt“, erzählt Ricki von ihrem ersten zufälligen Treffen vor dem Haustor. „Über uns're Hunde sind wir ins Reden gekommen, wir san beide Äußerln gegangen mit uns'ren Lieblingen“, erzählt Ilse. „Jetzt gemma oft gemeinsam raus. Wenn eine was braucht, versucht die andere zu helfen.“ Ricki hat sich bei einem Unfall den Arm gebrochenen, den die rothaarige Mitfünfzigerin aus Angst vor der Narkose nicht operieren lassen will. „Die Ilse färbt mir Gott sei Dank immer die Haare, weil ich kann den gebrochenen Arm nicht richtig bewegen. Und wir helfen uns gegenseitig aus, wennst amal zu wenig Geld am Monatsende über hast.“ Zu wenig Geld am Monatsende, um die Miete für eine Untermietwohnung bezahlen zu können und ein traumatisierendes Gewalterlebnis waren bei Ilse

nur daheim sitzt und nimmer furt gehst, verlierst auch deine Freunde. Mit der Zeit waren auf einmal alle weg. Der Job war weg und die Wohnung hab i nimmer zahlen können“, erzählt Ilse. Im Rahmen ihrer Traumatherapie wurde sie von einer Sozialarbeiterin zur Wohnungslosenhilfe begleitet und dort ans neunerhaus vermittelt. „Hier bin ich ruhiger geworden, weil hier im Haus hat jeder seine Geschichte. Das ist beruhigend, weil da sind Leute, die die Situation kennen und die Verständnis haben.“ Ricki begleitet Ilse, wenn sie nicht alleine einkaufen oder zum Arzt gehen will. Als halbe Südtirolerin kennt Ricki das Leben auf der Straße bereits aus ihrer ehemaligen Heimat. „Mein Freund Dieter und ich waren zwei Jahre lang in Südtirol mit Zelt, Schlafsack und Hund namens Nudl unterwegs und haben auf der Straße geschlafen. Gelebt haben wir vom Äpfelklauben, da hast 8 bis 12 Euro pro

Stunde verdienen können. Fitnesscenter hast danach aber keines mehr braucht“, schmunzelt Ricki. Zurück in Wien hatten die beiden nichts zu Wohnen. Dieter konnte bei seinem Vater wohnen, Ricki kam provisorisch bei einem Freund unter, der jedoch bald darauf verstarb. Eine befreundete Sozialarbeiterin hat ihr dann vom neunerhaus erzählt – „und so bin ich hierher in die Hagenmüller­gasse gekommen“, schließt Ricki ihre Erzählung. „Hier kann ich so sein wie ich bin, ich muss mich nicht verstellen. Hier sind alle gleich – und ich habe wieder echte Freunde gefunden.“

IHRE SPENDE VERÄNDERT LEBEN! Obdach- oder wohnungslos zu sein bedeutet, mitunter am Rande der Gesellschaft zu leben. Nicht nur ein schützendes Dach fehlt, sondern auch medizinische Versorgung. Mit Ihrer Spende mittels beiliegendem Zahlschein oder online helfen Sie uns, obdachlosen Menschen ein Dach über dem Kopf und dringend not­ wendige medizinische Betreuung zu geben. Vielen Dank! Spendenkonto RLB NÖ-Wien: IBAN: AT25 3200 0000 0592 9922 | BIC: RLNWATWW www.neunerhaus.at


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