Werkzeuge für die Designrevolution

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Werkzeuge für die Designrevolution Designwissen für die Zukunft

IDRV – Institute of Design Research Vienna

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Inhalt

Einstieg 1 Weltangelegenheit 1.1

2 3 4 5 5.1 5. 2

Weltberechnungsmodelle

Wachmacher Kochanleitung Ökobilanzwerkzeuge Universelle Werkzeuge Ein Rezept nach LCA Eine gewagte Ökobilanz

6 Kaffeekiste 7 Schneller Tod 8 Langes Leben 9 Wiederauferstehung 10 Greenwashing 11 Kreativitätswerkzeuge 12 Publikumsbeschimpfung 13 Persönliche Angelegenheit 14 Wie leben? 15 Zukunftskonzepte

Ergänzende Begriffe Referenzen und Empfehlungen Bildverzeichnis zu Aktivitäten des IDRV Akteurinnen und Akteure Werkzeuge für die Designrevolution

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Institute of Design Research Vienna

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Einstieg Proklamation Wir sind Designerinnen und Designer, aber auch Nicht-Designer, Autodidakten, Forschende, Fachkundige, Expertinnen und Experten für das Designwissen der Zukunft. Dieses Wissen haben wir uns an­ geeignet durch Recherche, im Lernpro­zess, im Selbstversuch, in einer experimen­tellen Herangehensweise und in der Praxis, aber vor allen Dingen im Austausch mit wiederum anderen Designerinnen und Designern, Autodidakten, Forschenden, Fach­kundigen, Studierenden, Expertinnen und Experten. Das Wissen, das wir teilen wollen, ist daher auch ein assoziativer Kosmos aus Verweisen – und kein lineares Denkschema. Wir nehmen uns das Recht heraus, in diesem Buch und in unserer Arbeit gesellschaftliche Zusammenhänge infrage zu stellen, ohne daraus eine direkte politische Forderung abzuleiten. Aus der Position des Designs formulieren wir eine radikale Kritik an bestehenden Strukturen, die zukunftsfähige Lebensstile verhindern. Wir fordern eine grundlegende Revision der Rolle des Designs in Richtung einer Demokratisierung von Gestaltung und suchen nach neuen Formen der Partizipation an Designprozessen.

Wir rufen nach der Designrevolution und stellen uns mit Taschenrechnern und Hämmern gewappnet – wirkungsvoll und zugleich mit einer guten Prise Humor – gegen ein übermächtiges System. Wir werden immer mehr und wollen dem System mit einfach anwendbaren Werk­ zeugen und wissensbasierten Taktiken gemeinsam entgegentreten. Dabei nützen wir die vielleicht wichtigste Rolle des Designs: das Kommunizieren und Visua­ lisieren komplexer Zusammenhänge, das Hinweisen auf sowie das Erforschen von anderen Handlungsweisen und möglichen Auswegen. Wir wünschen uns Leute, die selbstbestimmt und emanzipiert handeln, wenn es darum geht, gegen Missstände aufzutreten; die widerständig sind – die sich nicht alles gefallen lassen. Leute, die vielleicht unsere Werkzeuge verwenden oder weiter(e) ent­wickeln. Wir wollen zum Umdenken anregen und gemeinsam be­ginnen, Alternativen zu den vorherrschenden zerstörerischen Lebens­ stilen zu entwickeln. Wien 2014

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Hammer „Werkzeug“ ist eine Metapher für das Selbermachen, das Selbst-in-die-HandNehmen. Wir wollten nicht alles glauben, sondern selbst nachschauen; wollten durch den Blick in das Innere der Dinge erkennen, wie etwas gemacht ist – wie etwas funktioniert. Und vor allem wollten wir anfangen, selbst etwas zu tun; nicht zu warten und erst dann etwas tun, wenn die anderen auch etwas machen. Dafür steht der Hammer. In seiner Vorform als Faustkeil ist er eines der ältesten Werkzeuge der Menschheit, das sich im Design nur gering und in seiner Anwendungsweise gar nicht verändert hat. In seiner Einfachheit ist er von jedem verwendbar – barrierefrei, sozusagen. In unserem Fall ist er Synonym für die Analyse von Gegenständen und Sachverhalten – für das Auseinandernehmen, die Aktion, das Selbst-Agieren und das Widerständige; für das subversive oder direkte Dagegenhalten.

Kochlöffel Der Kochlöffel ist wie der Hammer eine Verlängerung des Arms, seinerseits aber ein Werkzeug zum Umrühren. In unserem Fall ist er ein Sinnbild für das Selber-Kochen. Auch hier steht das Selbst-Agieren im Vordergrund, allerdings nehmen wir den Kochlöffel als Metapher für die Synthese – das Zusammensetzen und Verknüpfen der gewonnenen Erkenntnisse. Der Schritt nach dem Hammer wird sozusagen mit dem Kochlöffel gemacht.

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Weltangelegenheit

Handgep채ckmengen f체r die Reise mit dem Raumschiff Erde.

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Es gibt Momente, in denen man sich fragt, was man wirklich braucht. Auslöser da­für ist allerdings nicht eine philosophische Fragestellung, eine Lebensabschnittskrise oder gar eine Weltkrise. Nein – eine recht banale Situation bringt uns dazu, diese für das Überleben auf dem Planeten Erde substanzielle Frage zu stellen: das Packen eines Handgepäckstücks. Ausgerechnet jene Menschen, die unter dem Pauschalverdacht stehen, für die wirtschaftliche Misere unserer Tage zumindest Mitverantwortung zu tragen, dürfen diese Weltfrage immer wieder anhand des erlaubten Kabinengepäcks trainieren. Eine kuriose soziale Utopie. Menschen, die tausend Mal und mehr verdienen als andere, üben sich tatsächlich in Selbst­be­ grenzung; Tag für Tag. Eine metaphorische Form des solidarischen Maßhaltens mit sozialer Tragweite. Das Ausmaß dieses Akts der Gepäcksolidarität ist allerdings kubik­ zenti­metergenau vorgegeben. Denn das Denk­mal für den größtmöglichen individuell nutzbaren Stauraum im Flugzeug steht auf jedem Flughafen – in Form jenes Ge­­stalt­­käfigs, in den das reale Gepäckstück auf Auf-­ ­­forderung des Bodenpersonals zum Zwecke der Kontrolle eingepasst werden muss.

Passt das Handgepäck nicht in die chromblitzende Stahlrohrskulptur, dann endet hier die gemeinsame Reise von Handgepäck und Passagier. Umgehen lässt sich dieses Pro-­ blem durch den Erwerb eines geeigneten Ge­päckstücks, das – egal wieviel Geld man dafür auf den Tisch legt – immer dieselben Maße hat. Es wird auch nicht durch das Vor­weisen einer Platinkreditkarte größer, sondern bleibt stets bei 55 × 40 × 23 Zenti­metern. Diese kleine Übung in individueller Selbst-­ begrenzung könnte, übertragen auf alle Menschen weltweit – gleich welcher Herkunft oder welchen sozialen Ranges – eine re­­volu­tio­näre Tragweite bekommen. Wir üben hier die Strategie für einen solidarischen, weltverträglichen Lebensstil, bei dem für alle eine radikale Begrenzung des individu­ellen Platz- und somit Energiebedarfs gilt. Geht der Koffer nicht zu, sind wir noch nicht gerüstet für die neue Welt. Eine Welt, in der alle Beschränkungen ebenso einfach zu beschreiben wären wie die Maße des Handgepäcks. Die Schlüsselressourcen der Welt sind die Begrenzungsfaktoren für unsere Reise mit dem Raumschiff Erde. Ein solcher Faktor ist beispielsweise die Biokapazität der Erde oder der globale Energieverbrauch. Die Weltenergiebehörde veröffentlicht die Energiemenge, die die Welt verbraucht. Nimmt man die Anzahl an Menschen auf der Erde und dividiert damit die zur Ver­fügung stehende Energiemenge, erhält man zu den acht Kilogramm Hand­ gepäck noch einen weiteren Faktor, der unsere Reise mit der Welt limitiert: Pro Kopf darf man rund zweitausend Watt Dauer­ leistung verbrauchen.

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Das Gewicht und die Maße sind nicht die einzigen Regeln, die einen sicheren Transport für alle gewährleisten sollen. Gefährliche Dinge dürfen auch nicht mitgenommen werden; eine weitere zukunftsfähige Annahme einer nachhaltigen Lebensweise – nicht nur über den Wolken, sondern auch darunter. Will man wissen, wie wir in Zukunft leben sollten, braucht man sich nur das Kleingedruckte auf dem Boardingpass durchzulesen. Man soll keine radioaktiven Substanzen mitnehmen. Warum? Auf der Erde ist das kein Problem, sie müssen nur gut verpackt sein. Etwa so gut wie die strahlenden Abfälle von Kernkraftwerken. Ein anderes Beispiel? Das Mitführen von Waffen ist nicht erlaubt. Selbst wenn sie in die Tasche passen – die Waffen könnten Schaden anrichten. Und: Sicher ist sicher. Warum gilt das denn nicht auch am Boden? Gase sind ebenfalls verboten. Auf der Erde errichten wir aber neue Gasleitungen, um unseren ungebremsten Energiehunger durch Lieferungen aus jenen Ländern zu stillen, die zur Demokratisierung noch einen weiten Weg haben. Und ist nicht Gas umweltfreundlicher als Kohle? Kohle dürfte man im Flugzeug mitnehmen – seltsam. Der Abbau von Gas wird ja sowieso immer schwieriger; neuerdings kommen sogenannte Energieversorger sogar auf die Idee, in Landschaftsschutzgebieten mit fragwürdigen Technologien Schiefergas zu gewinnen. Fliegen ist ein alter Menschheitstraum. Und die Angst abzustürzen ein verbreitetes Menschheitstrauma. Nun ist die Gefahr des Absturzes in der Flugzeugkabine unmittelbar, der Absturz des Raumschiffs Erde dagegen ist eine abstrakte und unvorstellbare Angelegenheit. Abgestürzte Flugzeuge kennt man aus

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den Nachrichten, abgestürzte Welten haben wir noch nicht gesehen. Lesen wir also im Kleingedruckten weiter: Die Mitnahme von Flüssigbatterien ist verboten, und die Mitnahme von Akkus für unsere technischen Geräte ist auf ein sehr geringes, ungefährliches Maß limitiert. Da haben wir uns schon so gefreut, dass wir die Zukunft mit Elektromobilität meistern werden – und jetzt kommen wir drauf: zu gefährlich. Wenn die Bordkarte für das Raumschiff Erde gelten würde, könnten wir uns vielleicht auch auf der Erde so sicher und komfortabel


fühlen, wie es uns die Fluggesellschaften für die Aufenthaltsdauer im Flieger versprechen. Wir müssten uns bloß an die internationalen Gepäckregeln halten. Die Handgepäckmetapher hat auch eine persönliche, philosophische Dimension, wenn wir lesen, wie wir unser Gepäck einpacken sollen. Eine führende internationale Airline rät uns, in einem „ruhigen Augenblick“ zu entscheiden, was wir wirklich brauchen. Das klingt zwar nach Stress, denn die Ruhe scheint nur einen Augenblick zu währen, aber vielleicht sehen wir für

diesen Moment klarer. Erst die Maße des Koffers helfen uns, uns zu beschränken und darüber nachzudenken, was (für diese Reise) wichtig ist.

Überarbeitete Version des Texts „Handgepäck“, erschienen in: Friedrich von Borries /Jesko Fezer (Hrsg.), 2013:216f.

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1.1

Weltberechnungsmodelle

Mathematik f端rs Kofferpacken.

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Wir sind vielleicht die erste Generation, die das Ausmaß der von uns verursachten Umweltzerstörung und die daraus resul­ tierenden gefährlichen Folgen für nachfolgende Generationen so genau kennt. Wir haben jedenfalls keine Entschuldigung mehr für uninformiertes Handeln. Nachfolgende Generationen werden uns dafür in die Pflicht nehmen können. Die digitale Revolution macht es möglich, dass viele umweltrelevante Informationen einfach, kostenlos und unmittelbar zugänglich sind. Oft heißen die Dokumente „Zusammenfassung für Entscheidungsträger“. In ihnen finden wir aktuelle Zahlen, aber auch Entwicklungen für die nächsten zwanzig, fünfzig oder hundert Jahre. Doch wer sind diese Entscheidungsträger? Politiker und Politikerinnen? – Darauf sollten wir uns nicht verlassen, denn die letzten Klimakonferenzen brachten keinerlei Entscheidungen, die ein entschlos­ senes Vorgehen der „Entscheidungsträger“ gegen die Erderwärmung vorsahen.

Ein weltverträglicher Lebensstil Das IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) hat in seinem aktuellen fünften Sachstandsbericht so klar wie nie zuvor die wissenschaftlichen Beweise für eine vom Menschen verursachte Erd­­er­wärmung vorgelegt. Ihr Vorsitzender, Rajendra Kumar Pachauri, hat seinen Vor­trag auf der Klimakonferenz in Warschau mit einem Zitat von Albert Einstein eröffnet: „Problems cannot be solved at the same level of awareness that created them.“ Wir brauchen in Zukunft ein neues Bewusstsein für ein Design, das sich für nachhaltige Lebensstile einsetzt. Eine gängige Definition von „Sustainable Design“ ist die Balance aus gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Einflussfaktoren. Informiertes Handeln sollte jedoch nicht auf simplifizierten Vorstellungen und guten Absichten, sondern auf Fakten basieren.

Der globale Kampf gegen die Armut und die Erderwärmung gehören heute zu den wichtigsten Herausforderungen unserer Zeit und nachfolgender Generationen. Somit sollten sie auch auf der Agenda des Designs ganz oben stehen. Doch in den Ländern des globalen Nordens ist Design die treibende Kraft von Umweltzerstörung und sozialer Ungleichheit. Ein Lebensstil mit einem gigantischen zerstörerischen Ausmaß wurde zum globalen Vorbild und bedroht die Zukunft des Planeten. Ein weltverträglicher Lebensstil, der für alle Menschen erstrebenswert und auch zu leis­ten möglich ist, sollte daher unser neues Ziel sein – doch was ist „weltverträglich“?

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Der Ökologische Fußabdruck Mathis Wackernagel und William Rees veröffentlichten 1996 ihr Buch Our Ecological Footprint. Reducing Human Impact on the Earth. Komplexe Zusammenhänge, die den Naturverbrauch unserer Lebensweise aufzeigen, lassen sich durch die Biokapazität und den Ökologischen Fußabdruck darstellen. Der Öklogische Fußabdruck eines weltverträglichen Lebensstils ist geringer oder gleich groß wie die verfügbare Biokapazität. Heute verbrauchen wir aber schon 1,5 Erden pro Jahr, und wenn wir so weitermachen, werden es wohl bald drei Erden sein. Die Biokapazität der Erde geht durch den Raubbau immer mehr zurück, und die Erdbevölkerung steigt stetig.

Somit steht pro Kopf in Zukunft auch immer weniger Biokapazität zur Verfügung. Noch gibt es viele Entwicklungsländer, deren Naturverbrauch sehr niedrig ist. Nach heutigen Berechnungen würde die verfügbare Fläche pro Kopf für einen weltverträglichen Lebensstil rund 1,8 globale Hektar betragen. Diese Maßeinheit umfasst die durchschnittliche jährliche Produktivität der biologisch nutzbringenden Land- und Wasserflächen der Welt. Entwickelte Länder haben aber bereits einen Flächenverbrauch, der sehr weit von diesem Ziel entfernt liegt und verbrauchen zum Teil längst ein Vielfaches der verfügbaren Biokapazität.

Anzahl der Erden

3,0

Quelle: World Footprint, www.footprintnetwork.org

2,5 2,0 1,5 1,0 0,5 0,0 1960

1970

1980

1960–2008 Ökologischer Fußabdruck

1990

2000

2010

2020

2030

2008–2050, Szenarien business-as-usual sofortige Reduktion

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2040

2050


Ein Maß für die „menschliche Entwicklung“

übersichtlich, dass Länder mit einem hohen HDI leider auch eine umweltzerstörerische Lebensweise haben. Kein einziges der Länder mit hohem Lebensstandard und damit keines der sogenannten reichen Länder hat einen umweltverträglichen Lebensstil!

Der Ökologische Fußabdruck ist eine gute Referenz für die ökologische Komponente unseres Lebens. Zudem fasst der Human Development Index (HDI) der UNDP (United Nations Development Programme) den Stand der menschlichen Entwicklung für alle Länder auf einer Skala von 0 bis 1 zusammen. Hier werden die Lebenserwartung, der Bildungsstandard und die Kaufkraft der Einwohner eines Landes erfasst. Im aktuellen Human Development Report findet sich ein Diagramm, das den Ökologischen Fußabdruck der Länder mit dem HDI in Beziehung bringt. Und hier sehen wir sehr

gha 11

Quelle: Human Development and Ecological Footprint, www.footprintnetwork.org

10

niedriger HDI

9

mittlerer HDI

hoher HDI

sehr hoher HDI

8 7 6 5 4 3 2 1 0 0,25

0,35

0,45

Landesdurchschnitt pro Person

0,55

0,65

0,75

0,85

0,95

nachhaltige menschliche Entwicklung

verfügbare Biokapazität pro Person (1,8 gha)

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3

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+ 548,36 l Wasser

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Kochanleitung

1 Kilogramm Pasta – Packungsangabe: 100 % Hartweizengrieß Zutaten 13,1 g 8,6 g 6,6 g 5,1 g 1,7 g 2,8 g

Kies/Sand Kalium Phosphor Kalk Halogene andere

Energie

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86,4 g 148,2 g 136,4 g < 0,1 g 0,1 g

Kohle Öl Erdgas Uran andere

138,7 l

Wasser

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Um 1 Kilogramm Pasta herzustellen und dabei der Packungsangabe von 100 Prozent Hartweizengrieß zu entsprechen, bestellen Sie zunächst ein Weizenfeld, düngen es mit 6,6 g Phosphor, mengen 0,6 g Sand, 8,5 g Kalium, 2,5 g Kalk, 1,7 g Halogene und 0,2 g andere Materialien unter. Wässern Sie es mit 133,4 Litern Wasser. Verbrauchen Sie dabei Energie in Form von 20 g Kohle, 70,8 g Öl und 32,7 g Gas. Wird in Ihrem Land Kernenergie erzeugt, so addieren Sie geringe Mengen < 0,1g Uran. Den ge­won­ nenen Weizen bringen Sie nun zur Mühle, mengen 0,2 g Kalk und 0,3 l Wasser hinzu und verbrauchen im Mahlprozess weitere 10,7 g Kohle, 15,2 g Öl und 9,4 g Gas (eventuell geringe Mengen Uran). Für die Weiterverarbeitung des eben erzeugten Hartweizengrießes zu Pasta fügen Sie 2 g Sand, 1,6 g Kalk, 1,4 g andere Materialien und 2,9 l Wasser hinzu und vermengen und formen diese unter einem Energieaufwand von 39 g Kohle, 4,4 g Öl, 65,8 g Gas und dem eventuell anfallenden Uran zu Pasta.

Die Abweichungen zwischen Inhalts-­ angabe und Inhalt Das Beispiel Pasta zeigt, dass die Zutatenangabe mit 100 % Hartweizengrieß auf der Packung sozusagen nur einen Bruchteil der Zutaten preisgibt. Erst ein Blick in die Um­welterklärung EPD (Environmental Product Declaration) auf der Webseite des Pastaherstellers offenbart in Gänze die Zutaten zur Erzeugung dieses einen Kilo­ gramms Pasta aus Hartweizengrieß. Zur Bestimmung des Ökologischen Fußabdrucks bei der Herstellung von Pasta müssen wir neben dem Wasser zum Kochen auch mitrechnen, was bereits bei der Produktion angefallen ist: der Phosphor, welcher in Form von Dünger auf die Weizenfelder gestreut wurde und die Energie, die je nach Produktionsland aus einem unterschied­ lichen Mix diverser fossiler und teils ge­fährli­ cher Brennstoffe gewonnen wird. Die Daten beziehen sich auf einen welt­ weiten Durchschnitt bei der Pastaproduktion und weichen je nach Land ab.

Vergessen Sie nicht, das Korn abzufüllen und die Pasta zu verpacken. Dazu haben Sie 10,5 g Sand, 0,1 g Kalium, 0,7 g Kalk und 1,2 g andere Materialien zur Verfügung und eine Energiemenge von 11,9 g Kohle, 5,6 g Öl, 25,5 g Gas und vielleicht etwas Uran. Für den Transport Ihrer Pasta brauchen Sie nochmals 0,1 g Kalk und Energie in Form von 4,8 g Kohle, 52,2 g Öl, 3 g Gas und etwas Uran. Nun haben Sie es fast geschafft; Sie dürfen die Pasta in einen Topf mit Wasser geben und unter erneutem Energie­ aufwand so lange kochen, bis sie Ihrem Geschmack entspricht.

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Ökobilanzwerkzeuge

Rein in die weißen Kittel! Einen Lebens­zyklus ge­stalten.

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! Den gesamten Lebenszyklus eines Produkts oder Services zu gestalten erfordert situationsabhängige Design­ entscheidungen. Eine jede davon hat direkte und indirekte Auswirkungen auf die Umwelt und den Menschen, die zunächst nicht offensichtlich sind und deren globales Ausmaß zu kom-­ plex ist, um eine solche Entscheidung aus dem Bauch heraus zu fällen. Wer kann schon die Auswirkungen auf die Umwelt in der Rohmaterialgewinnung von Materialien einfach so abschätzen und diese dann noch mit dem LebenszyklusSzenario eines Produkts abgleichen? Es ist fahrlässig, aus dem Bauch heraus zu ent-­ scheiden, welches Material beispiels­weise für einen Fahrradrahmen ökologisch gesehen das bessere ist. Es gibt Material­ bibliotheken, um die optischen und hapti­schen Eigenschaften von Materialien zu testen, Bücher über ihre technischen Eigen­schaften, die sogar für Nicht-Ingen­i­ eure verständlich sind, sowie Schätzungen der Kosten für Beschaffung und Verarbei­ tung. Möglichkeiten, um begründete Entscheidungen zu treffen, sind also bereits vorhanden; doch ein Kriterium, das bisher eher ver­nachlässigt wurde, sind die öko-­ lo­gischen und sozialen Auswirkungen eben-­ dieser Entscheidungen. Hier können wir bisher nicht auf Erfahrungswerte zu­rück­ greifen. Und würden wir die Frage stellen, ob Aluminium oder Stahl die bessere Alter­ native wäre, könnten wir lange Pro- und Kontra-Listen für beide Materialien füllen und die Frage nur mit Wenn und Aber beantworten. Wie im Kapitel „Kochan­lei­tung“ gezeigt, wird für die Herstellung von Pro­dukten eine Vielzahl an Ressourcen aufgewendet, derer wir uns nicht bewusst sind.

Wie in einem Kostenplan werden in einer Ökobilanz die Posten eines Produkts gelistet, mit den Faktoren der Auswirkung multipliziert und die jeweiligen Auswirkungen schließlich addiert. Das Ergebnis einer Ökobilanz kann von unabhängigen Organisationen zu einer Umweltzertifizierung (EPD) eines Produkts oder eines Services ver­arbeitet werden. Eine Ökobilanz bildet die Auswirkungen auf Umwelt und Mensch in den verschiedenen Phasen eines Produkts oder Systems ab und bewertet diese. Das ermöglicht es, die wirkungsvollen Hebel (engl. hot spots) in Bezug auf zukunftsfähige Produkte und Systeme zu finden und informierte Designentscheidungen zu treffen. Im Idealfall geben sie uns Informationen über die ökologischen Auswirkungen bei der Gewinnung der Rohmaterialien, deren Ver­arbeitung, der Distribution des fertigen Produkts, seiner Nutzung bis hin zum Endof-Life-Szenario – also über den gesamten Lebenszyklus. So wird Ökobilanz auch gleich-­ gesetzt mit Life-Cycle-Assessment (LCA) und ist Voraussetzung für das Denken in Ma­ terialkreisläufen. Was jedoch am Ende des Lebenszyklus mit dem Produkt geschieht, muss bei einer Ökobilanz realistisch festgelegt werden.

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Sechs Schritte zu einer Ökobilanz 1. Zu Beginn einer Ökobilanz müssen die Ziele und Anforderungen an die Bewertung der untersuchten Produkte oder Services definiert werden. Ökobilanzen erlauben, die gezeigten und notwendigen Zielvor­gaben aus den Weltberechnungs­ modellen zu überprüfen. Sie ermöglichen es, zwei oder mehrere Produkte miteinander zu ver­­gleichen oder eine Neu- beziehungsweise Weiterentwicklung des alten Pro­dukts zu evaluieren oder nur Veränderungen in einzelnen Stadien des Lebenszyklus zu überprüfen. Für das Stuhl-Beispiel aus dem Kapitel „Kochanleitung“ kann das bedeuten, den aktuellen Stuhl und einen Entwurf in der neuen Produktsprache des Herstellers mit der vorhandenen Ökobilanz zu verglei-­ chen. Der neue Entwurf soll ein Umwelt­ zertifikat erhalten, um in öffentlichen Gebäuden eingesetzt werden zu können.

2. In einem zweiten Schritt muss eine funktionelle Einheit oder eine Serviceeinheit gefunden werden. Diese entspricht der Systemanforderung an die untersuchten Methoden/Produkte. Durch die Annahme einer Verbrauchs- oder funktionellen Nut­­z­ungs­einheit kann eine Breite an Alternativen in der Phase der Nutzung verglichen werden. Die funktionelle Einheit des Stuhls ist es, für 15 Jahre eine Sitzgelegenheit zu bieten.

+ Ziel von Gestaltungsaufgaben für die Zukunft ist nicht mehr ein Produkt, sondern die funktionelle Einheit, den Nutzen oder Service zu gestalten. Dies führt zu Alternativen und erlaubt den Blick über den Tellerrand, welcher das Diktat der Industrie, genau dieses Produkt zu ent­werfen, bricht und eine neue Kultur und damit einen neuen Begriff von Inno­ vation schafft. 3. Als nächstes muss das Szenario für den gesamten Lebenszyklus erstellt werden. Welche Rohstoffe werden benötigt? Wie werden diese verarbeitet? Wie kommt das Produkt zum Nutzer? Wie sieht das Einsatz-­ gebiet des Produkts aus? Unter welchen Bedingungen und wie lange wird es durch-­ schnittlich genutzt? Was geschieht in der Verwertung? Werden die Ressourcen vernichtet (Cradle to Grave) oder in einen Kreis-­ lauf überführt (Cradle to Cradle)? Der Stuhl hat vier Stahlbeine und eine Sitzschale aus Kunststoff (PP), wird in einer Fabrik hergestellt, die den Kunststoff und den Stahl jeweils von einem lokalen Zu­ lieferer bezieht. Die fertigen Stühle werden über Händler in ganz Europa vertrieben.

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Das Gestell und die Sitzschale werden jeweils einzeln in einem Karton verpackt. Nach 15 Jahren wird das Produkt ausgetauscht und entsorgt. Betrachtet wird nur die Entsorgung im Herstellungsland.

Für den Stuhl gilt die Annahme aus den Product-Category-Rules (PCR) für Um­ weltzertifikate von Sitzgelegenheiten, dass sie nach 15 Jahren Nutzung auf dem Müll landen.

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! Es ist notwendig, unterschiedliche Szenarien zu betrachten. Lokale Produktion, unterschiedliche Verkehrswege der Mate­rialien, Verpackungsarten oder Lebensdauer können sich maßgeblich auf die Gesamt­ bilanz auswirken. Legen Sie Systemgrenzen fest, um einen vergleichbaren und über­­schaubaren Rahmen Ihrer Szenarien zu haben. Welche Einflussgrößen beziehen Sie mit ein, und was schließen Sie aus? Die Systemgrenzen müssen so gesetzt sein, dass sie keine für die Ökobilanz relevanten Bereiche ausklammern und realistischen Szenarien entsprechen.

Zu einigen Produktkategorien finden sich bereits EPDs (Umwelterklärungen). Dort werden eingangs die Szenarien und System-­ grenzen definiert. Versuchen Sie sich an diesen Dokumenten zu orientieren. Für bestimmte Produkte sind die Nutzungs­ szenarien für die Ökobilanzierung fest­gelegt und in Product-Category-Rules (PCR) zu finden.

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Distribution

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Life-CycleAssessment

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Die Maschinen im Detail

Moka Express

Mithilfe der universellen Werkzeuge werden die beiden unterschiedlichen Produkte der Kaffeezubereitung zerlegt und gewogen.

Nachdem die Moka Express zerlegt ist, werden folgende Mengen an Material ermittelt:

Kapselautomat

Aluminium

0,218 kg

Beim Kapselautomaten erhalten wir nach mehr als zwei Stunden Arbeit folgende Werte:

Kunststoff

0,018 kg

Kautschuk

0,006 kg

Edelstahl

0,009 kg

ABS PBT6F/sonst. Kunststoff PA 6

0,735 kg 0,06 kg

0,07 kg

0,143 kg

PA66GF

0,22 kg

Plexiglas/Acryl

0,18 kg

Gummi/Silikon

0,017 kg

Kupfer

0,015 kg

Platine

0,05 kg

Elektronik

0,771 kg

Aluminiumkapsel

0,003 kg

Stahl

Karton

0,11 kg

Isolation

0,044 kg

Magnete

0,003 kg

Chrom

0,003 kg

Für den Vergleich wird angenommen, dass beide Maschinen vier Jahre in Gebrauch sind und dreitausend Tassen Kaffee zu­­be­reiten können. Beide Produkte werden in Europa produziert und legen von der Pro-­­ duktionsstätte bis in den Handel in Wien circa sieben­hundert Kilometer mit dem LKW zu­rück. Als Strommix dient der EU-27Durch­schnitt.

! Die elektronischen Bauteile des Kapselautomaten kommen wahrscheinlich von einem Zulieferer, jedoch haben wir hierzu keine genauen Angaben, weshalb als Systemgrenze der europäische Produk­ tionsstandort definiert wird.

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„Wir müssen uns einen Lebensstil schaffen, der es uns ermöglicht, spontan, unabhängig und doch aufeinander bezogen zu sein. Wir sollten nicht an einem Lebens­ stil festhalten, der uns lediglich gestattet, zu ,machen‘ und zu vernichten, zu produzieren und zu verbrauchen – ein Lebensstil, der lediglich eine Etappe auf dem Weg zur Erschöpfung und Verschmutzung der Umwelt ist. Die Zukunft hängt mehr davon ab, daß wir uns Institutionen aussuchen, die ein Leben schöpferischen Tuns fördern, als daß wir neue Ideo­ logien und technische Verfahren ent­wickeln.

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Wir brauchen Maßstäbe, die es uns gestatten, solche Institutionen zu erkennen, die eher persön­liches Wachstum als Süchtigkeit fördern […]“ Ivan Illich, 1971 (1995:81)

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Impressum

Diese Publikation ist ein Folgeprojekt der Ausstellung Werkzeuge für die DesignRevolution des IDRV, die 2012 in Kooperation mit designaustria für das designforum Wien entwickelt wurde und 2013 im designforum Vorarlberg sowie im Designmonat Graz zu sehen war. Herausgeber: IDRV – Institute of Design Research Vienna, Harald Gruendl, Marco Kellhammer, Christina Nägele www.idrv.org

© 2014 by niggli Verlag, Sulgen www.niggli.ch ISBN 978-3-7212-0902-0

© 2014, IDRV – Institute of Design Research Vienna, Autoren und Fotografen Wenn nicht anders vermerkt, unterliegen alle Texte den Verwendungsmöglichkeiten der Creative Commons: Attribution-Non Commercial-ShareAlike 3.0 Unported License: creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/3.0 Diese Publikation ist auch auf Englisch unter der ISBN 978-3-7212-0903-7 erhältlich. Ermöglicht durch die Förderung von:

Autoren: Harald Gruendl, Ulrike Haele, Marco Kellhammer, Christina Nägele Konzept und Redaktion: Harald Gruendl, Marco Kellhammer, Christina Nägele Recherche-Mitarbeit: Alexandra Bischof, Bernhard Ranner Praktikum: Ronja Ullrich, Pia Plankensteiner Lektorat: Christina Bösel, Textschiff Fotos: Chantal Bavaud, S. 54  Stephan Friesinger, S. 27  Felix Groefler, S. 10–15, 32–44, 70, 76, 122f., 140–145, 162f.  Paul Wimmer, S. 4–9, 18f., 48, 64f., 80–97, 105 –108, 112–117, 124–130, 137f., 149 alle anderen: IDRV Gestaltung: grafisches Büro, Wien Druck: gugler, Melk PEFC 70 %, C2C Papier: Pureprint 01

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Dank für die Unterstützung und den Wissensaustausch an: Helmut Antrekovitsch, Linus Baumschlager, Martin Bergmann, Markus Böhm, Gernot Bohmann, breadedEscalope, DANKLHAMPEL, designforum Graz, designforum Vorarlberg, designforum Wien, Severin Filek, Martina Fineder, Sebastian Gann, Günter Haider, Frederik Hedenus, André Hernâni, Magdalena Höller, Günter Horntrich, Sébastien Humbert, Dieter Hundstorfer, Albin Kälin, KAIROS Bregenz, Klasse Oliver Kartak, Renate und Ariane Kromp, Museum für angewandte Kunst Wien, Ezio Manzini, Martina Mara, Manfred Reichelt, Roland Schueler, Spirit Design, Roland Stulz, Christian Teckert, Arnold Teischinger, Ursula Tischner, Carlo Vezzoli, Vienna Design Week, Andrea Wiegelmann, Wolfgang Wimmer, Julia Zimmermann, ZIT-Technologieagentur der Stadt Wien. Und besonderer Dank gilt dem Team von EOOS!


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