NOV 2024
YASMEEN GODDER .
YASMEEN GOODER . DIKLA
Shout Aloud
Dauer: ca. 70 Minuten (keine Pause)
Choreografien der Gegensätze
Die Arbeit von Yasmeen Godder
Acht Tänzerinnen, neun Musiker:innen, eine Sängerin – die Bühne bebt vor Energie, wenn die Musik von Dikla und die Choreografie von Yasmeen Godder in Shout Aloud aufeinandertreffen. Inzwischen ist die israelische Sängerin ein Star; als Yasmeen Godder im Jahr 2000 Ahava Musica, Diklas erstes Album für sich entdeckte, war die Sängerin dem Mainstream allerdings noch unbekannt. Gerade in Tel Aviv angekommen, schlief sie auf Sofas von Freund:innen, kellnerte, ließ sich von der Energie der Stadt überwältigen. Diklas Kindheit in Be’er Sheva war randvoll mit verschiedenen musikalischen Eindrücken: Aus den Fenstern der Nachbarschaft drang klassische Musik, Rock, Pop und Metall, die Eltern, ihrerseits aus ägyptischen und irakischen Familien, hörten arabische, türkische und ägyptische Musik genauso wie Songs aus Amerika und Israel. Ein wildes akustisches Erleben, dessen Diversität sich in der Musik spiegelt, die Dikla seit vielen Jahren selbst produziert: niemals auf ein spezifisches Genre festzulegen, immer eine Verbindung verschiedener musikalischer Traditionen und Einflüsse. Dass Diklas Musik alle Kategorien sprengt, ist für Yasmeen Godder das Faszinierende. In der Weitläufigkeit der Einflüsse erkennt die Choreografin teilweise ihre eigene künstlerische Sozialisation. Und findet darüber hinaus noch weitere Verbindungen: „Auch wenn wir versuchen, Leichtigkeit zu leben – Dikla und ich sind nicht leicht. Wir haben beide diese Dunkelheit und Tiefe.“
Tatsächlich drückt sich in den Körpern der Tänzer:innen, mit denen Yasmeen Godder arbeitet, stets etwas Widerständiges aus. Oft wirkt es, als ob Intention und Ausdruck, inneres Gefühl und nach Außen gerichtete Expression partout nicht zusammenpassen wollen. Charak-
teristisch sind die verdrehten Augen, verkrampften Hände, Körper in Überspannung, von Fingern deformierte Gesichter, verhärtete Muskeln, übertrieben sexualisierte Gesten. Ein vielfältiges Bewegungsmaterial des Unverfügbaren, das in Variationen in Yasmeen Godders frühen Stücken immer wiederkehrt – womit sie einen größtmöglichen Kontrast geschaffen hat zu jenen Qualitäten, mit denen andere israelische Choreograf:innen bekannt geworden sind, allen voran Ohad Naharin, der seit 1990 die berühmte Batsheva Dance Company leitet: Weichheit, Stärke, Harmonie, Fluidität, mit-sich-selbst-identisch-sein. Betrachtet man Yasmeen Godders frühe Produktionen von Two Playful Pink (2003) und Strawberry Cream and Gunpowder (2004) über I‘m mean, I am (2006) und Storm End Come (2011) bis hin zu See her change (2013), kommt einem, bei aller Unterschiedlichkeit der Themen und Ansätze, vor allem der Begriff ‚grotesk‘ in den Sinn. Etwas zugespitzt formuliert: In der Schaffensphase von ungefähr 2003 bis 2015 war Godder zweifellos eine Künstlerin des ‚Grotesken‘ – in einem ganz ursprünglichen Sinne: Statt mit dem Absurd-Fantastischen, Hässlichen oder Bizarren zu arbeiten, vereinte sie in ihren Choreografien Gegensätze wie Grauen und Komik, Lächerlichkeit und Bedrohung, Zartheit und Monstrosität. Gerade deswegen wirken in diesen Stücken die dargestellten Expressionen nicht überwältigend, sondern ambivalent und mehrdeutig; oft sind sie schwer zu interpretieren, lösen Befremden, ja Verstörung aus.
Dabei hat die israelische Choreografin immer vermieden, ihre gesellschaftlichen Bezugspunkte allzu deutlich offenzulegen. Und dennoch ist klar: Yasmeen Godder bezieht sich in ihrer künstlerischen Arbeit auf die sie umgebende, konkrete Wirklichkeit, die sich in vielschichtiger Weise in ihren Produktionen spiegelt und dabei nie einen Zentimeter in platte Polit-Agitation abrutscht. Ihre körperliche Kunst ist – bis heute – die feinsinnige und subtile Verarbeitung einer hochkomplexen Wirklichkeit.
Mit den Jahren sind ihre Stücke abstrakter und in ihren Aussagen weniger direkt geworden. Dabei gibt Yasmeen Godder niemals ihr geschärftes gesellschaftspolitisches Bewusstsein auf, sie findet nur einen anderen Fokus. Lautete z.B. eine der Aufgaben für die Tänzer:innen in den ersten Jahren „Zeige dich in einer Weise, als seist du eine extreme Form deiner selbst – um damit etwas Authentisches von dir zu offenbaren“, gilt ihr Interesse zunehmend den verbindenden Momenten der menschlichen Interaktion.
Als einen Wendepunkt ihres künstlerischen Interesses nennt die Choreografin das deutsch-israelische Forschungsprojekt Störung/Hafra‘ah von 2015, bei dem Menschen mit Parkinson, professionelle Tänzer:innen und Wissenschaftler:innen zusammenkamen, um gemeinsam Bewegung zu erforschen und Ansätze zu ent-
wickeln, die Parkinson-Erkrankten zugutekommen. Die Choreografin, die bis dahin überwiegend mit einem festen Stamm an professionellen Tänzer:innen gearbeitet hatte, öffnete von da an die Türen des Studios für Menschen verschiedener Altersklassen, Köperlichkeiten und Bedürfnisse. In diesem Kontext haben die Choreografin und ihre Tänzer:innen die eigenen Fähigkeiten noch einmal ganz neu entdeckt: als Mittel, Menschen im wahrsten und im übertragenen Sinne zu berühren und zu bewegen. Damals, so sagt Yasmeen Godder heute, habe sie verstanden, dass Tanz der Grund sein kann, dass Gemeinschaft entsteht – aus der einfachen Tatsache, weil sich Menschen regelmäßig treffen, berühren, austauschen, miteinander tanzen. Aus diesen Begegnungen entwickelte sich ab 2019 die Serie Practicing Empathy: Bühnenproduktionen, für die die Choreografin und ihre Mitstreiter:innen erforschen, wie durch Tanz und performative Begegnungen alternative Wege des Zusammenseins geschaffen werden können und welche Rolle dabei der Faktor Empathie spielt. Viele Fragen haben das Projekt geleitet: Ist Empathie eine Fähigkeit oder ein Gefühl? Ist sie emotional oder kognitiv? Eine Charaktereigenschaft oder trainierbar? Was löst Empathie aus? Kann sie toxisch werden? Wie viele Gefühle anderer Menschen können wir ertragen? Einen intensiveren Austausch kreieren, Verständigung schaffen, auch, wenn sie unmöglich erscheint – Yasmeen Godders Interesse an echten, wirksamen Begegnungen ist kontinuierlich gewachsen. Den Wunsch, Menschen unterschiedlicher Herkünfte und Identitäten zusammenzubringen, lebt sie auf verschiedenen Ebenen aus: mit dem Öffnen des Studios für die Nachbarschaft in Jaffa/Tel Aviv, im Rahmen eines arabisch-jüdischen Kindergartens und natürlich als Künstlerin mit dem potenziellen Publikum. Dazu passen die Bewegungsworkshops für Frauen aus arabischen und jüdischen Communities, die sie seit der Corona-Pandemie mit der Tänzerin und Choreografin Nur Garabli anbietet und mit denen sie zusammen u. a. den arabischen Dabke tanzen und in Mindfullness-Sessions ihren körperlichen Reaktionen nachspüren. Sich anfassen, an den Händen halten, körperlich begegnen – auf diese einfache Weise seien sich die Frauen nahegekommen, hätten sich einander geöffnet. Was nicht immer einfach war und ist, schon gar nicht in einer menschlich, gesellschaftlich und politisch extrem aufgewühlten Zeit wie der nach dem 7. Oktober 2023. Doch auch, wenn danach die Workshops eine Weile lang pausierten, treffen sich die Frauen inzwischen wieder. Es hat sich gezeigt: Die durch den Tanz entstandenen Vertrauensverhältnisse sind nicht selbstverständlich, nicht unerschütterlich, aber sie halten über viele Schwierigkeiten und Schmerzen hinweg.
Von diesen Erfahrungen maßgeblich beeinflusst ist auch die Arbeit mit der Gruppe ausschließlich weiblicher Tänzerinnen in Shout Aloud.
und Biografie
Im Zusammenspiel mit der Musik Diklas lassen sich die Tänzerinnen auf der Bühne auf ein Ritual ein, finden ihre eigenen Stimmen, ihre Freude und Ausgelassenheit, unterstützen einander. Sie verkörpern damit eine Überzeugung, die Yasmeen Godder vor langer Zeit formuliert und nie verloren hat, obwohl sie als Realistin weiß, dass es nicht einfach ist: Durch Tanz kann alles besser werden – weil er, als Kunstform und offene Praxis, Begegnung schafft, Berührung und Verständigung, weil er Menschen zusammen statt auseinander bringt. Und damit wichtiger ist denn je – nicht nur im Nahen Osten.
DR. ELISABETH NEHRING
YASMEEN GODDER
wurde in Jerusalem geboren und wuchs in New York City auf. Dort studierte sie Tanz und war tief mit der Punk Szene Manhattans verbunden. 1999 kehrt sie nach Israel zurück und gründet in Jaffa ihr Studio und ihre Tanzcompagnie. Als Choreografin tourt sie seit 1997 weltweit – u. a. im Lincoln Center Festival, Tokyo International Festival, Montpellier Dance Festival, tanzhaus nrw, Kunstenfestivaldesarts und Künstler*innenhaus Mousonturm und gewann zahlreiche Preise – u. a. einen Bessie Award und den Shimon PerezPreis für ihren herausragenden Beitrag zu den deutsch-israelischen Beziehungen. Mit der Sängerin Dikla arbeitete Godder erstmals 2001 zusammen, als sie Boker Tov (Good Morning) von Diklas erstem Album in ihrem Stück HALL nutzte. Ihr Studio in Jaffa bildet für Godder bis heute eine zentrale Basis. Es ist Recherche- und Produktionsstätte und zugleich Ort der Begegnung, an dem sie Profitraining unterrichtet und Projekte mit verschiedenen Personengruppen initiiert, wie mit Parkinsonerkrankte und der arabisch-jüdischen Community. Diese Projekte haben auf Yasmeen Godders künstlerische Praxis großen Einfluss.
DIKLA
ist Musikproduzentin, Komponistin, Schauspielerin und eine der erfolgreichsten Sängerinnen Israels. Aufgewachsen in der Wüstenstadt Be’er Sheva als Kind einer ägyptisch-irakischen Familie hat sie keine akademische Musikausbildung erhalten. Als Schule dienten ihr die Klänge in ihrem Elternhaus: Lieder der großen arabischen Sänger:innen Oum Kulthum und Farid al-Atrash, der Vertreter:innen des frühen israelischen Pops und US-amerikanische Beats. Diese Einflüsse und mehr treffen sich in Diklas Musik, sodass die Sängerin als eine Verbindung aus Oum Kulthum, Rita und Madonna, und als Diva des hebräisch-arabischen Rock beschrieben wird. Dikla wurde zunächst als Songwriterin für die namhaften Sänger:innen Sharit Hadad, Dudu Aharon und Shlomo Artzi bekannt. Zwar wurde ihr erstes Album Ahava Musica 2001 sofort zu einem der fünf besten Alben des Jahres gekürt, ihr Durchbruch als Sängerin gelang Dikla aber erst 2014 mit ihrem vierten Album Ve Im Preda. Neben intensiven Konzertreisen und der Arbeit mit Yasmeen Godder verkörpert Dikla aktuell die ägyptische Diva Oum Kulthum in einem Musical in Tel Aviv.
TIPP TANZQUARTIER WIEN
METTE INGVARTSEN: Rush
Tanz/Performance Rush von Mette Ingvartsen ist ein Solo für und Tribut an ihre langjährige Mitstreiterin Manon Santkin: Wie ein Chamäleon wechselt die Tänzerin ihre Gestalt, während sie ihre eigene, intime Geschichte innerhalb des umfangreichen Werkkörpers performt.
fr 06 + sa 07/12 EUR 25/20/12
Tanzquartier Wien, Halle G
KONZEPT, CHOREOGRAFIE & LEITUNG Yasmeen Godder
LYRICS, KOMPOSITION & GESANG Dikla
TANZ & CO-KREATION Tamar Kisch, Inbal Aloni, Anat Vaadia, Dor
Frank, Nur Garabli, Mor Demer, Ilana Sarah Claire Bellahsen, Ofir
Yannai, Yael Wachman (2. Besetzung)
KEYBOARD & COMPUTER Or Kudai
SCHLAGZEUG Yarden Biton
GITARRE Yiftach Shachaf
GITARRE, BAGLAMA, OUD, BOUZOUKI Shauli Izhak
GEIGE İrmak Ulke, Johanna Riethmüller
NEY, EWI Mattan Goldman
DARBUKA Ariel Abitbul
DARBUKA, RiQ Liron Meyuhas
BÜHNE Ofer Laufer
LICHT Nadav Barnea
KOSTÜME Shahar Avnet
MAKE-UP & HAARE DIKLA Shimon Shoshan
DRAMATURGIE Itzik Giuli
DRAMATURGIE KÜNSTLER*INNENHAUS MOUSONTURM Anna Wagner
MUSIKPRODUKTION & ARRANGEMENT Tom Elbaz
PROBENLEITUNG Einat Betsalel
ASSISTENZ BEWEGUNGSMATERIAL Tamar Kisch
TONREGIE Orgad Marciano
PRODUKTIONSLEITUNG Omer Alsheich
MANAGEMENT & VERWALTUNG YASMEEN GODDER COMPANY
Zohar Eshel-Acco
PRODUKTIONSLEITUNG KÜNSTLER*INNENHAUS MOUSONTURM
Katja Armknecht
PRODUKTION KÜNSTLER*INNENHAUS MOUSONTURM Paula Noack, Greta Klein
Eine Produktion von Künstler*innenhaus Mousonturm, Schauspiel Frankfurt und Yasmeen Godder Company. Koproduziert von HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste Dresden. Gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes, von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und vom Kulturfonds Frankfurt RheinMain. Die Yasmeen Godder Company wird unterstützt vom israelischen Ministerium für Kultur und Sport, dem Israeli Lottery Council for Culture und dem Tel Aviv Council.
Ein besonderer Dank an Etty & Michael Kenny, die Israelische Oper - Zach Granit und dem Suzanne Dellal Centre für ihre Unterstützung.
Dezember 2024
mo 02 TONKÜNSTLER-ORCHESTER
19.30 Uhr Schubert/Widmann/Brahms
Musik/Klassik
do 05 DER NUSSKNACKER
15.00 Uhr Musiker:innen des Tonkünstler-Orchesters
Musik/Kammermusik für junges Publikum
fr 06
UKULELE ORCHESTRA OF GREAT BRITAIN
19.30 Uhr It‘s Christmas Time!
Musik/Crossover
do 12 JULIA HAGEN . LUKAS STERNATH
19.30 Uhr Debussy/Franck/Rachmaninow
Musik/Klassik
sa 14 MICHAEL KEEGAN-DOLAN .
19.30 Uhr TEAĊ DAMSA MÁM
Tanz/Live-Musik
mo 16 TONKÜNSTLER-ORCHESTER
19.30 Uhr Messiah
Musik/Klassik/Vokal
Jänner 2025
mi 01 NEUJAHRSKONZERT
18.00 Uhr Alfred Eschwé/Jakob Lehmann . mo 06 Tonkünstler-Orchester
11.00 Uhr Musik/Klassik/Vokal
16.00 Uhr
mi 08
18.00 Uhr
sa 04 ALLES WALZER! EIN NEUJAHRSKONZERT
11.00 Uhr FÜR FAMILIEN
Jakob Lehmann . Tonkünstler-Orchester Musik/Klassik für die ganze Familie
mi 15 WINTER-WERKSCHAU
19.00 Uhr Festspielhaus-Communities Tanz/Vokal/Lesung
fr 17 OUM
19.30 Uhr Dakchi
Musik/World
sa 18 HUNGRY SHARKS
19.30 Uhr Destination FCKD
Tanz für junges Publikum
mo 20 TONKÜNSTLER-ORCHESTER 19.30 Uhr Brahms/Dvořák Musik/Klassik
do 23 ANA CARLA MAZA
19.30 Uhr Caribe Musik/Klassik/Latin
fr 24 SIDI LARBI CHERKAOUI . BALLET DU 19.30 Uhr GRAND THÉÂTRE DE GENÈVE . EASTMAN Ihsane Tanz/Live-Musik
Februar 2025
sa 15 SERGE AIMÉ COULIBALY . 19.30 Uhr FASO DANSE THÉÂTRE C la vie
Tanz/Live-Musik
mo 17 TONKÜNSTLER-ORCHESTER
19.30 Uhr Korngold/Strauss Musik/Klassik
do 20 THOMAS GANSCH BLASMUSIK
19.30 Uhr SUPERGROUP Blasmusik goes Hollywood Musik/Blech
fr 28 CAMERON CARPENTER
19.30 Uhr Ciné-Konzert: Nosferatu von Friedrich Wilhelm Murnau Musik/Film/Improvisation
Karten & Information
+43 (0) 2742/90 80 80 600 karten@festspielhaus.at www.festspielhaus.at
IMPRESSUM Herausgeber, Verleger und Medieninhaber Niederösterreichische Kulturszene Betriebs GmbH, Kulturbezirk 2, 3100 St. Pölten, T: +43 (0) 2742/90 80 80, www.festspielhaus.at. Für den Inhalt verantwortlich Thomas Gludovatz, Andreas Gremel. Künstlerische Leiterin Bettina Masuch. Musikkuratorin Constanze Eiselt. Redaktion Marlene Jann. Termin-, Programm- und Besetzungsänderungen vorbehalten. Fotografieren, Ton- und Videoaufzeichnungen nicht gestattet. - 50 % FÜR ALLE