Programmheft | 27.09. Philippe Quesne - Garten der Lüste

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27 SEP 2024

PHILIPPE QUESNE. VIVARIUM STUDIO

Der Garten der Lüste

„Sind Sie sicher, dass die Erde nicht die Hölle eines anderen Planeten ist?“
AUS DER GARTEN DER LÜSTE

PHILIPPE QUESNE. VIVARIUM STUDIO

Der Garten der Lüste

fr 27/09

19.30 Uhr

Großer Saal

Festspielhaus St. Pölten

Einführung mit Bettina Masuch 18.30 Uhr, Kleiner Saal

ÖSTERREICH-PREMIERE

Vorstellung in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Dauer: ca. 1 Std. 45 min (keine Pause)

Künstlerische Leiterin Festspielhaus St. Pölten: Bettina Masuch

PHILIPPE QUESNE. VIVARIUM STUDIO Der

Garten der Lüste

KONZEPTION, INSZENIERUNG UND SZENOGRAFIE

Philippe Quesne

KREIERT MIT UND AUFGEFÜHRT VON Jean-Charles Dumay, Léo Gobin, Sébastien Jacobs , Elina Löwensohn , Nuno Lucas , Isabelle Prim, Thierry Raynaud , Marc Susini (Rolle kreiert von Gaëtan Vourc’h)

TEXTE Originaltexte von Laura Vazquez, Textfragmente von William Shakespeare, Dante, Jan Van Ruysbroeck ...

MUSIK Henry Purcell, José Mário Branco, Roy

Orbison, Jérôme Bosch, Giacomo Meyerbeer, Areski Belkacem, Bernard Hermann ...

KOSTÜME UND SKULPTUREN Karine Marques

Ferreira

MITARBEIT SZENOGRAFIE Élodie Dauguet

DRAMATURGIE Éric Vautrin

ASSISTENZ François-Xavier Rouyer

TECHNISCHE MITARBEIT Marc Chevillon

SOUND Janyves Coïc

LICHT Jean-Baptiste Boutte

VIDEO Matthias Schnyder

AUSSTATTUNG Mathieu Dorsaz

STAGE MANAGEMENT François Boulet, Martine Staerk

LICHTTECHNIK Cassandre Colliard

VIDEOTECHNIK Victor Hunziker

SOUNDTECHNIK Janyves Coïc

GARDEROBE Cécile Delanoë

BAU DES BÜHNENBILDS Ateliers du Théâtre VidyLausanne

PRODUKTION UND BOOKING Judith Martin, Elizabeth Gay

PRODUKTION TOUR Aline Fuchs

PRODUKTION VIVARIUM STUDIO Alice Merer, Charlotte Kaminski

Premiere 06. Juli 2023, Festival d’Avignon

Eine Produktion von Vivarium Studio und Théâtre Vidy-Lausanne in Koproduktion mit dem Festspielhaus St. Pölten und Tangente St. PöltenFestival für Gegenwartskultur.

WENN KUNST UND

PHILOSOPHIE

ZUSAMMENSPIELEN

Über Philippe Quesnes

Der Garten der Lüste

In einer kargen, steinigen Umgebung steigt eine achtköpfige Reisegruppe voller illustrer Charaktere aus einem Bus. Unbekannte äußere Umstände zwingen sie dazu, ihre Reise zu unterbrechen. Langsam beginnt die Gruppe, das sich ihnen Dargebotene zu erkunden und zu bevölkern. Ein typisches Ausgangsszenario für Arbeiten von Philippe Quesne, der wie durch ein Mikroskop die entstehende Dynamik rund um die erzwungene Gemeinschaftsbildung untersucht. Im Rahmen des letztjährigen Festival d‘Avignon im Steinbruch von Boulbon uraufgeführt, präsentiert Philippe Quesne seine neueste Kreation nun im Festspielhaus St. Pölten. Bereits seit 20 Jahren schafft der Künstler gemeinsam mit seiner Compagnie Vivarium Studio Theatererlebnisse und hat dabei eine einzigartige theatrale Sprache entwickelt, die durch ihre feinsinnige Verbindung von Wissenschaft, Kunst, Philosophie und Spiel besticht. Seine Arbeiten, die auf Bühnen weltweit aufgeführt werden, verbinden poetische Tiefe und humorvolle Auseinandersetzungen der drängenden Fragen unserer Gegenwart. Zum 20-jährigen Jubiläum der Zusammenarbeit führt Quesne seine bisherigen Arbeiten in der retrospektiven Inszenierung Der Garten der Lüste zusammen und entwirft ein großes Panorama der Menschheitsgeschichte. Philippe Quesne absolvierte eine Ausbildung in Bildender Kunst und Szenografie. Diese Prägung ist in seinem gesamten Werk spürbar und zum wesentlichen Element seines künstlerischen Ausdrucks geworden:

Er nähert sich dem Theater als Künstler, der den Raum, die Objekte und die Körper auf der Bühne mit einer einzigartigen dramaturgischen und visuellen Sensibilität inszeniert. So zeichnen sich seine Arbeiten durch ein sensibles Spiel mit Licht und Klang aus. Doch Philippe Quesne geht es nicht um den schönen Schein: Er präsentiert tiefgründige Untersuchungen der menschlichen Existenz. Sie offenbaren sowohl die Schönheit als auch die Absurdität des Lebens. 2003 gründete er Vivarium Studio und schuf sich damit eine Plattform, um seine künstlerischen Visionen mit festen Kollaborateur:innen umzusetzen. Der Name „Vivarium“ ist dabei Programm: Quesne erschafft in seinen Stücken Mikrokosmen, in denen er das Verhalten von Menschen in verschiedenen gesellschaftlichen und ökologischen Zusammenhängen erforscht. Wie in Versuchsanordnungen beobachtet und hinterfragt er in seinen Inszenierungen das Menschsein in all seinen Facetten – und lädt sein Publikum ein, es ihm gleich zu tun!

In Der Garten der Lüste verhält es sich ebenso. Nicht weniger als die Entwicklung der Menschheitsgeschichte zeichnet Quesne hier nach; die Träumen und Albträume unserer Gegenwart, das Streben nach Glück, der Suche nach Gemeinschaft und der Zerstörung unserer Umwelt. Doch wer einen schweren, düsteren Theaterabend fürchtet, braucht sich nicht zu sorgen: Bei all dem Existenzialismus bleiben Philippe Quesnes Auslotungen immer zart, oft hochpoetisch

und mitunter schreiend komisch. Ein Fest der Imagination, das die Grenzen zwischen Realität und Fiktion, Ernst und Spiel, Philosophie und Kindlichkeit auflöst!

Der Titel des Stücks, Der Garten der Lüste, verweist auf das gleichnamige Gemälde von Hieronymus Bosch aus dem 15. Jahrhundert. Dieses Schlüsselwerk der westlichen Kunstgeschichte, das eine surrealistische Version von Paradies, Sünde und Hölle abbildet, dient Philippe Quesne als Ausgangspunkt für seine umfassende Befragung zum Kern des menschlichen Selbstverständnisses und zur utopischen Vision des Menschen. Jedoch sehen wir das Bild nicht. Quesne nutzt viel mehr Boschs Bildwelten, um sie mit zeitgenössischen Themen und Fragestellungen zu verknüpfen. Doch eine direkte Referenz gibt es dann doch: Das Ei! Entsprungen aus Philippe Quesnes Stück Farm Fatale mischt es sich symbolträchtig in die Inszenierung und deutet einen kurzen Blick auf die Mitteltafel von Boschs Triptychon an.

Im Laufe des Abends organisieren sich die acht Gestrandeten – natürlich streng demokratisch –, beteiligen sich mit Gesängen oder Wortbeiträgen an der

Hieronymus Bosch, Der Garten der Lüste, 1490-1500

Gestaltung der gemeinsamen Zeit oder ziehen sich zurück. Wie ein seit Jahren eingespieltes Team zerlegen sie schließlich ihren Reisebus, um ihn als Bühne für eine Art Talentshow mit Zaubereinlage, Tanz und Live-Musik zu nutzen. Mit Texten und Musik von William Shakespeare, Dante Alighieri, Henry Purcell und Roy Orbison laden die Protagonist:innen dazu ein, über die großen Fragen unserer Zeit nachzudenken und sich zugleich der Kraft der Imagination hinzugeben. Philippe Quesne schafft mit seiner einzigartigen künstlerischen Handschrift einen Raum, in dem das Theater zu einem Ort der Reflexion, des Spiels und der Gemeinschaft wird. In einer Welt, die oft von Unsicherheiten und Ängsten geprägt ist, bietet Quesne uns mit seinem Werk einen Garten der Lüste, in dem wir nicht nur unsere Sorgen, sondern auch unsere Hoffnungen und Träume kultivieren können.

RAUM DER MÖGLICHKEITEN

Philippe Quesne im Gespräch mit dem Dramaturgen Éric Vautrin

Ihre neue Arbeit greift den Titel eines berühmten Gemäldes von Hieronymus Bosch aus dem frühen 15. Jahrhundert auf. Titel haben in Ihrem Schaffensprozess eine besondere Bedeutung. Was hat Sie zu diesem flämischen Maler des 15. Jahrhunderts geführt?

Es ist tatsächlich das erste Mal, dass ich den Titel eines bestehenden Werks übernehme – allerdings ist Der Garten der Lüste kein Werktitel, den Bosch selbst vergeben hat, sondern einer, der sich durch den allgemeinen Sprachgebrauch durchgesetzt hat. Die Kunstgeschichte ist in meinen Stücken immer wieder präsent, wobei ich mich vor allem von Malern wie Pieter

Bruegel, Albrecht Dürer oder Caspar David Friedrich inspirieren lasse, aber auch vom Kino oder der zeitgenössischen Bildenden Kunst. Eine der historischen Hypothesen besagt übrigens, dass Bosch sich von den damaligen Wandertheatergruppen inspirieren ließ. Die Verbindung zwischen den Künsten ist also nicht neu. Abgesehen vom Titel hat es etwas Schwindelerregendes, sich diesem faszinierenden Triptychon zu widmen. Die Interpretationen des Gemäldes haben sich von den letzten 500 Jahren bis hin zu den Surrealist:innen, Philip K. Dick oder der Flower-Power der 1970er-Jahre immer wieder verändert. Auch heute noch gibt es keinen Konsens, weder über dessen Entstehungskontext noch über dessen Bedeutungen. Die Recherche im Vorfeld brachte uns mit verschiedenen Spezialist:

innen und Liebhaber:innen des Gemäldes zusammen, angefangen mit den Konservator:innen des Prado in Madrid, wo es aufbewahrt wird, zu Mittelalterhistoriker:innen wie Pierre-Olivier Dittmar oder großen Bosch-Liebhaber:innen wie José Luis Alcaine, dem Kameramann von Pedro Almodovar, oder der französischen Dichterin Laura Vazquez. Wir nehmen das Gemälde als Ausgangspunkt, als inspirierendes Rätsel, ohne zu versuchen, es zu imitieren oder zu kommentieren.

Wie resonieren Ihre Theaterkreationen mit diesem Gemälde?

Dieses Werk ist sehr erheiternd, denn es ermöglicht, ein umfangreiches historisches, ästhetisches, intellektuelles, spirituelles und psychoanalytisches Territorium zu durchqueren – neben vielen anderen Dingen! In dieser Hinsicht resoniert es mit dem Arbeitsprozess, den wir seit zwanzig Jahren mit Vivarium Studio entwickeln, unserer Art, ein Netz von Verbindungen und Annäherungen rund um einen Titel und gemeinsame Erinnerungen zu knüpfen, indem wir gleichermaßen die Kunstgeschichte und die Humanwissenschaften, die Populärkultur und die soziopolitischen Fragen, die uns bewegen, sowie das Absurde und die Reflexivität heranziehen. Bosch sammelt seine Fragen wie Hinweise auf das, was er erlebte oder prognostizierte. Er lädt die Betrachter:innen ein, dieselben Nachforschungen über

sich selbst anzustellen; und heute gehen wir durch das Bild, indem wir uns wie in einem Science-Fiction-Film an den Hinweisen auf uns selbst und auf unsere Zeit festhalten.

Eine kleine Gemeinschaft, die sich organisiert, eine spezifische Logik für eine alternative Art, ein Gebiet zu bewohnen, eine Katastrophe in der Ferne, die Natur, die unter unerwarteten Aspekten wieder auftaucht und die Beziehung zwischen Natur und Kultur stört ... Das sind in der Tat Begriffe, die Ihre Aufführungen diesem Bild nahe bringen, trotz der Unterschiede zwischen den Epochen!

Es eignet sich also für eine echte Zweckentfremdung! Jedes Detail eröffnet unvermutete Felder, die es zu erforschen gilt. Wir werden das Schicksal einer menschlichen Gemeinschaft teilen, die einer Erfahrung der Suche ausgeliefert ist, dem Aufbau einer möglichen, fantasievollen, poetischen Welt, die ihren eigenen Weg in einer bedrohten Welt erkundet. In welchem Sinne ist das Triptychon zu lesen? Ist die überraschende Mitteltafel ein Versprechen für die Zukunft oder eine längst verflossene Vergangenheit? Steht die Hölle für eine alptraumhafte Zukunft oder im Gegenteil für die Gegenwart? Sollte man überhaupt auf eine Antwort hoffen? Die Voraussetzungen für einen guten Western sind gegeben. Man überschreitet die Schwelle des Tafelbildes und schon ist alles möglich, auch wenn

man natürlich eine Art und Weise finden muss, es für sich selbst zu bewohnen, mit dem, was man vor Ort vorfindet. Schließlich gibt es da noch etwas anderes, vielleicht persönlicheres: In diesem Jahr feiert meine Compagnie Vivarium Studio ihr 20-jähriges Bestehen. Einige Darsteller:innen dieser Aufführung waren bereits 2003 in La Démangeaison des ailes zu sehen. Wenn ich die Erinnerung an unsere Aufführungen durchstreife, finde ich mich vor einem Sammelsurium voller Exemplare und Prototypen wieder: Maulwürfe in Menschengröße, Vogelscheuchen, Hunde, Vögel, fliegende Skelette ... und Höhlen, Fahrzeuge, Asteroiden, mechanische Klaviere, künstliche Inseln ... Eine Erinnerung, die mir rückblickend ebenso vielfältig wie logisch und geordnet erscheint – das ist ein Eindruck, der sich gar nicht so sehr von dem unterscheidet, den ich beim Betrachten des Gemäldes habe, das scheinbar sehr heterogen ist, voller unerwarteter Details, die fast autonom voneinander sind und doch organisiert, fließend, durchkomponiert.

Mit Hieronymus Bosch haben Sie einen Maler wiedergefunden, der die Übergangszeit zwischen Mittelalter und Renaissance verkörpert, ähnlich wie Albrecht Dürer, dessen La Mélancolie Sie 2008 zu La Mélancolie des Dragons inspiriert hatte.

Ja, es gibt dieselbe Spannung zwischen Vergangenheit und Zukunft in Dürers Kupferstich mit seinem

nachdenklichen Engel angesichts der Möglichkeiten des Glaubens und der Wissenschaft. Wenn zum Beispiel das Triptychon von Bosch geöffnet ist, steht links (traditionell das Paradies oder Eden) ein nacktes Paar in gepflegter Landschaft mit schönen, friedlichen Tieren. In der Mitte lebt eine kleine Menschenmenge zusammen mit anderen seltsamen Tieren, Pflanzen und Früchten und Materialien, Wasser, Glas ... Auch hier sind sie nackt, sie tanzen, laufen, entspannen sich. Es ist schwer zu sagen, ob sie irgendwo angekommen sind oder ob sie eingezäunt und unter Aufsicht gestellt werden, wie das Grau des geschlossenen Triptychons vermuten lässt. Auf der rechten Seite wird das Bild dunkel, die Wesen erstarren, sie werden von seltsamen Kreaturen festgehalten und der Raum ist überfüllt mit menschlichen Erfindungen: Häuser (in Flammen), Bücher (auf dem Kopf), Musikinstrumente, Schlittschuhe, Verträge, Partituren ... Man fragt sich, ob es nicht die sich gerade herausbildende Gesellschaft ist, die als furchterregend dargestellt wird. Eine Art von Technophobie? Wie La Mélancolie des Dragons ist auch dieses Gemälde Teil einer Zeit der Ungewissheit, des Wechsels vom Mittelalter zur Renaissance, in der alle traditionellen, technischen, politischen oder spirituellen Anhaltspunkte erschüttert werden. Die Parallelen zu den Übergängen, die wir heute erleben, sind verblüffend: Eine ungewisse Zukunft, von der man deutlich spürt, dass sie dazu führen wird, dass sich die Strukturen radikal ändern und Kulturen, Wissenschaf-

ten, Künste und politischen Organisationen auf neue Weise miteinander vernetzt werden müssen. Um es mit anachronistischen Worten zu sagen: Bosch malte ein „offenes Werk“, das von einem freien Geist stammt.

Der in diesem Jahr verstorbene deutsche Kunsthistoriker Hans Belting hielt es für gesichert, dass Bosch eine Utopie malte, eine Vision der Menschheit ohne den Sündenfall und ohne Schuld, und damit Erasmus und Thomas Moore ankündigte. Seiner Meinung nach basiert Boschs Vision aus demselben Grund eher auf Beziehungen und Annäherungen als auf Perspektive. Könnten Sie sich nicht in diesen Herausforderungen, die sowohl ästhetischer als auch sozialer Natur sind, wiedererkennen?

Rückblickend ist es ziemlich kurios, aber die meisten meiner Aufführungen beginnen mit einem Problem, einer Panne, einem Unfall, der die Anwesenden zwingt, ihren Plan zu ändern – jedenfalls kann man das vermuten – und sich vor Ort mit dem, was sie vorfinden, zu organisieren: Ja, eine Utopie zu verwirklichen, das Wort gefällt mir gut, und sei sie auch nur vorübergehend. Meine Bühnenbilder sind Schauplätze eines Endes und einer Art Initiation, sie ermöglichen oft diese doppelte Lesart. In La Nuit des Taupes (Nanterre-Amandiers, 2016) sind es Maulwürfe, die scheinbar einen unterirdischen Raum räumen und schützen müssen, damit ihre

Artgenossen dort ein Konzert veranstalten können. Caspar Western Friedrich (Münchner Kammerspiele, 2016), zeigt ein in Umstrukturierung begriffenes Museum, das selbst zum Werk wird. In Farm Fatale (Münchner Kammerspiele, 2019) organisieren Vogelscheuchen, die aufgrund des Vogelschwunds arbeitslos geworden sind, ein Piratenradio, um die Erinnerung an die Gesänge zu bewahren, mit anderen in Verbindung zu treten und dann mysteriöse Eier zu schützen.

In Crash Park (TNB Rennes, 2019) werden Überlebende einer Flugzeugkatastrophe zu modernen Robinsons und erschaffen sich die Insel ihrer Träume, so künstlich sie auch sein mag. Diese Ausgangssituation, die oft durch ein defektes Fahrzeug verursacht wird, kann auch als eine Landung genau da gesehen werden, wo wir uns befinden: in einem Theaterraum.

Meine Figuren beteiligen sich an einer Fiktion, der sie sich anschließen, weil sie sie miteinander verbindet. Aber sie landen in einem Bühnenraum und entdecken so unter dem Deckmantel der Fiktion bühnentechnische Elemente, die gewöhnlich in einem Theater zu finden sind und die ihr Projekt unterstützen und ihm dienen. So können sie frei von der Repräsentation zur Fiktion, vom Theater zur Illusion und andersherum übergehen. Das Wichtigste für sie wird die Art und Weise, wie alles – Hilfsmittel, Bilder, Erinnerungen –

positiv auf menschliche und nichtmenschliche Gruppen einwirkt. Ihre Situation ist prekär, fiktional und theatral. Sie bieten an, an die Utopie zu glauben, die sie für die Dauer der Aufführung entwerfen, als eine Möglichkeit, sich – oder uns? – zu versammeln. Gleichzeitig zeigen sie, wie ein Bild entsteht, wie sich eine Utopie zusammenfügt – und ja, in meinem Theater geschieht dies in der Tat durch ein Spiel mit Montage und Gegenüberstellung, denn auch das ist es, ein Utopie-Interview.

Eine Industriehalle im deutschen Ruhrgebiet, das Freilufttheater im Steinbruch von Boulbon in Avignon oder das römische Theater auf der Akropolis in Athen, die Ufer des Genfersees in Vidy-Lausanne, das nationale Dramazentrum in Madrid in der Nähe des Prado ... Die Tournee Ihres Stücks zeichnet eine umfangreiche Karte des europäischen Theaters. Auf welche Weise ist dieses in Ihrer Arbeit präsent?

Ich inszeniere kleine Gemeinschaften, die versuchen, sich einen Raum der Möglichkeiten zu bewahren, einen Ort, an dem sie ein ebenso utopisches wie prekäres Projekt durchführen können, das sie jedoch zusammenbringt. Selbst wenn es sich um Mahlers Lied von der Erde handelt, das ich in Wien inszeniert habe, ist es das, was den Sänger:innen fehlt und was sie zu suchen scheinen, ein Ort, an dem sie sich festhalten können, der sie aufnimmt. Meine Protagonist:innen landen an

Orten, die ebenso Träger von Erinnerungen wie technisch präpariert sind, und sie werden sowohl mit dem einen als auch mit dem anderen spielen. Ich weiß also nicht, ob Kultur das Gedächtnis ist, das Europa nutzen kann, um in die ungewisse Zukunft zu schreiten, oder ein Mittel, mit dem es sich immer mehr daran erinnert, zu landen – anstatt sich weiterhin über der Erde zu bewegen, als wäre nichts geschehen, selbst wenn sie alles um sich herum und sogar das, was sie ermöglicht, zerstört. Ich weiß nicht, ob die Genüsse dieses Gartens unsere Vergangenheit oder unsere Zukunft sind ... Wir werden es sehen.

Das Gespräch (hier in Auszügen) führte Éric Vautrin, Dramaturg des Théâtre Vidy-Lausanne in französischer Sprache im März 2023. Bearbeitung und Übersetzung von Laura Kisser.

PHILIPPE QUESNE

Philippe Quesne (* 1970) ist ein vielseitiger Künstler, der als Regisseur, Bühnenbildner und Bildender Künstler arbeitet. Er versteht Theater als ein kreatives Experiment, bei dem der Text nur eines von vielen Elementen darstellt. Anstatt Geschichten einfach zu erzählen, formt er sie aus verschiedenen Einflüssen – von der Malerei über Grafik bis hin zu dem Unvorhersehbaren des Lebens und der kollektiven Kreativität. Ursprünglich aus der Bildenden Kunst kommend, begann Quesne seine Karriere als Bühnenbildner und schafft nun Theaterräume, die wie lebendige Landschaften wirken. Ob auf der Bühne, in Performances oder Installationen im öffentlichen Raum, Philippe Quesne setzt sich immer wieder mit der Dynamik und der politischen Kraft von Gemeinschaften auseinander. Aus alltäglichen Handlungen und unscheinbaren Ritualen entwickelt er kleine, humorvolle Zeremonien, die zugleich ein Spiegel unserer gesellschaftlichen Schwächen sind. Seit nunmehr 20 Jahren begeistert Philippe Quesne das Publikum bei renommierten Festivals, darunter das Festival d‘Avignon, die Ruhrtriennale und die Berliner Festspiele. Von 2014 bis 2020 leitete er das Theater Nanterre-Amandiers und ist nun Direktor der Ménagerie de Verre in Paris.

VIVARIUM STUDIO

2003 gründete Philippe Quesne die Pariser Theatergruppe Vivarium Studio, die als Versuchslabor für bildstarkes Theater und theatrale Innovationen Künstler:innen verschiedener Disziplinen wie Schauspiel, Bildende Kunst, Tanz und Musik versammelt. In wechselnden Konstellationen erschaffen sie fantasievolle Bühnenwelten, in denen die Grenzen zwischen Realität und Utopie verschwimmen. Die bereits 20 Jahre andauernde Zusammenarbeit hat bereits zahlreiche skurril-fantastische Inszenierungen hervorgebracht, darunter u.a. Les Mélancolies des Dragons (2008), Swamp Club (2013), Farm Fatale (2019) oder Cosmic Drama (2021).

FREIHEIT, WIDERSPRÜCHE UND

AMBIVALENZEN

EMANUEL GAT

Freedom Sonata

Tanz In Emanuel Gats tänzerischer Freiheitshymne veknüpft der Choreograf zu seinem 30-jährigen Jubiläum zwei grundlegend unterschiedliche musikalische Werke – Beethovens letzte

Klaviersonate Nr. 32 in c-Moll op. 111 und Kanye Wests

Album The Life of Pablo – zu einem vielschichtigen Tanzabend. fr 18/10

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ÖSTERREICH-PREMIERE

SHUTTLE-BUS aus Wien

YASMEEN

GODDER . DIKLA

Shout Aloud

Tanz Die Widersprüche und Ambivalenzen in der Lebenswelt ihrer israelischen Heimat sind es, die die Choreografin Yasmeen Godder zur Zusammenarbeit mit Dikla bewogen haben. Die ägyptisch-irakische Sängerin singt live aus ihrem ersten Album und bringt mit acht Tänzerinnen eine kraftvolle und empathische Performance zur Aufführung.

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Oktober 2024

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JOANA TISCHKAU

19.30 Uhr Bühne Yo Bro sa 05 Tanz

19.30 Uhr

mi 09

PAT METHENY

19.30 Uhr Großer Saal Dream Box/MoonDial Tour Musik/Jazz

do 10

MNOZIL BRASS

19.30 Uhr Großer Saal Jubelei – 30 Jahre Mnozil Brass Musik/Blech

fr 11 MIGHTY OAKS

19.30 Uhr Großer Saal Live 2024 Musik/Folk/Pop

mo 14

TONKÜNSTLER-ORCHESTER

19.30 Uhr Großer Saal Sibelius/Lutosławski Musik/Klassik

do 17

RAPHAELA GROMES

19.30 Uhr Kleiner Saal Femmes Musik/Klassik

fr 18

EMANUEL GAT

19.30 Uhr Großer Saal Freedom Sonata Tanz

mo 21

TONKÜNSTLER-ORCHESTER

19.30 Uhr Großer Saal Mozart/De Falla/Beethoven Musik/Klassik/Vokal

fr 25

EASTWOOD SYMPHONIC

19.30 Uhr Großer Saal Kyle Eastwood . Gast Waltzing . Tonkünstler-Orchester Musik/Jazz

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TEAM FESTSPIELHAUS

Elke Cumpelik Büroleitung Geschäftsführung, Thomas Gludovatz, Andreas Gremel Geschäftsführer, Bettina Masuch Künstlerische Leiterin

KÜNSTLERISCHES PRODUKTIONSBÜRO

Constanze Eiselt Leitung, Musikkuratorin, Prokuristin, Sophie Pachner, Katharina Schober-Dufek Stv. Leitung

KULTURVERMITTLUNG & OUTREACH

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