F체r eine neue Offenheit
Rede des Fraktionsvorsitzenden Christian D체rr zum Neujahrsempfang der FDP-Fraktion im Nieders채chsischen Landtag
Anrede, „Ihre Freiheit ist unser Auftrag!“ Das klingt zunächst einmal nach schwerer Kost am Sonntagvormittag. Aber letztlich sind Sie ja auch deswegen gekommen: Weil Ihnen die Freiheit am Herzen liegt und Sie und wir diese Freiheit nicht auf die leichte Schulter nehmen.
Wir blicken zurück auf ein Jahr, in dem es für Liberale nicht immer leicht war, diesen Auftrag, dieses Herzensanliegen, zu verteidigen und umzusetzen. Wir kennen alle die Schlagzeilen der letzten Monate. Viele von uns wollten die Zeitung morgens lieber gleich im Briefkasten liegen lassen.
Dennoch geht es doch um die richtigen Inhalte. Und hier unterscheidet sich FDP nach wie vor von anderen Parteien. Bei uns weiß man genau wofür wir stehen. Wir sind keine SPD, bei der man nicht wirklich weiß wofür sie steht oder wohin sie will. Und bei denen, von denen wir wissen wofür sie stehen, sind die einen jetzt auch öffentlich für den Kommunismus und die anderen sind für das „Dagegen-Sein“. Letztlich geht es doch um Inhalte und nicht um Umfragen. Und die FDP steht glasklar für bestimmte Inhalte. Wer Freiheit für den wichtigsten Auftrag an die Politik hält, der ist nach wie vor einzig und allein bei der FDP an der richtigen Adresse.
Dass wir die richtigen Inhalte haben, daran kann ein ernsthafter Liberaler keine Zweifel haben, gerade jetzt wo die Wirtschafts- und Finanzkrise überwunden zu sein scheint. Wir haben immer gefordert, aus der Finanz- und Währungskrise die richtigen Lehren zu ziehen. Wir haben immer gesagt, dass es nicht sein kann, dass sich die Verursacher der Krise einfach aus der Verantwortung stehlen können und der Steuerzahler für die Verluste aufkommt.
Anrede, ich habe letztes Jahr an dieser Stelle gesagt, dass wir endlich eine Insolvenzordnung für Banken brauchen, damit Verantwortungslosigkeit im Finanzwesen auch mit Insolvenz bestraft werden kann. Es darf kein „too big to fail“ mehr geben. Ein Jahr später haben wir das Banken-Restrukturierungsgesetz der schwarz-gelben Bundesregierung, das genau das macht: Diejenigen, die ein hohes Risiko eingehen auch für dieses Risiko in Haftung zu nehmen. Das ist liberale Politik in der Regierung.
Beim Rückblick auf das Jahr 2010 sticht ein Ereignis besonders heraus. Das ist die Wahl eines Niedersachsen in das höchste deutsche Staatsamt. Wir alle haben uns sehr gefreut, dass Christian Wulff am 30. Juni zum Bundespräsidenten gewählt wurde. Zwanzig Jahre
nach der Wiedervereinigung ging es auch hier um die Freiheit. Diether Dehm, der damalige Vorsitzende der Linkspartei in Niedersachsen, hat die Wahl zwischen Wulff und Gauck mit der Entscheidung zwischen Hitler und Stalin verglichen. Damit hat er sich aus dem Kreis der Demokraten verabschiedet. Er hat versucht, Gräben aufzureißen und Ost und West gegeneinander auszuspielen, zum Glück ohne Erfolg. Diesen Ewiggestrigen treten wir mir klarer liberaler Politik entgegen. Im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen sind politische Entscheidungen inzwischen von der Linken abhängig. Sie haben mit dem, wie wir den Einzelnen in der Gesellschaft und die Gesellschaft als Ganzes sehen, nichts zu tun. Diese Salon-Kommunisten dürfen keine Verantwortung bekommen.
Der Wechsel von Christian Wulff nach Berlin hat auch einen Wechsel in der Niedersächsischen Staatskanzlei nach sich gezogen. Seit dem 1. Juli 2010 ist David McAllister unser Ministerpräsident. Die Zusammenarbeit von Union und FDP in Niedersachsen bleibt weiterhin vertrauensvoll, fair, und vor allem verlässlich. Und gerade mit David McAllister ist sie auch freundschaftlich. Wie gut schwarz-gelb funktioniert zeigt sich seit 2003 hier bei uns in Niedersachsen.
Anrede, im Jahr 2010 gab es auch den Startschuss für das wichtigste politische Projekt in Niedersachsen in dieser Legislaturperiode, die Schulreform. Die Niedersächsische Oberschule basiert auf dem Vorschlag, den die FDP in die Schuldiskussion eingebracht hat. Das macht uns stolz. Mit der neuen Oberschule kann es gelingen, endlich den jahrzehntelangen Streit um die Schulstruktur zu beenden. Mit der Niedersächsischen Oberschule setzen wir auf flexible Lösungen in den Kommunen vor Ort. So kann Bildung wohnortnah angeboten werden, trotz des demografischen Wandels. Was an den Haupt- und Realschulen gut gelaufen ist, wollen wir an der Oberschule fortsetzen. Gleichzeitig wollen wir die Qualität weiter verbessern durch kleinere Klassen, mehr Sozialpädagogen, mehr Ganztagsunterricht.
Diese Reform ist auch ein klares Bekenntnis zur erfolgreichsten Schulform, die wir haben, dem Gymnasium. Die FDP hat sich massiv gegen die Einheitsschule eingesetzt. Uns geht es um jedes einzelne Kind mit seiner individuellen Begabung. SPD und Grüne hingegen propagieren weiterhin reflexartig, dass eine Schule für alle am besten geeignet sei für die verschiedenen Bedürfnisse der Schüler. SPD und Grüne wollen das Gymnasium nicht mehr, sie haben es selbst zugegeben, und ohne die FDP kämen auf die erfolgreichste Schulform große Schwierigkeiten zu. Das ist ein klares Versprechen an Eltern und Schüler: Die FDP wird weiter der Anwalt des Gymnasiums sein. Niedersachsen wird nicht das Land der
Einheitsschule. Denn zur Freiheit gehört auch die Freiheit, sein Kind auf ein Gymnasium zu schicken. Wer die eine Schule für alle will, der gibt das Gymnasium für alle auf. Das ist mit der FDP nicht zu machen.
Anrede, „Ihre Freiheit ist unser Auftrag“. Das bedeutet nicht nur, dass wir Liberale auf die richtigen Inhalte setzen. Wenn es um Freiheit geht, geht es immer auch um die richtigen Strukturen und Verfahren. Da geht ist immer auch um Transparenz, um das Recht der Menschen, verstehen zu können, was warum und wie entschieden wird. Es geht darum, dass politische Entscheidungen nachvollziehbar sind. Dann sind die Menschen auch bereit, eine Entscheidung zu akzeptieren, die ihnen vielleicht auch einmal nicht recht ist. Zur Demokratie gehört, dass die Bürger verstehen, was passiert. Für die FDP ist es daher von zentraler Bedeutung, dass die aktive Bürgergesellschaft nicht nur eine Worthülse bleibt, sondern gelebte Realität wird. Und in dieser Hinsicht war 2010 ein extrem wichtiges Lehrjahr. Es erfüllt mich mit Sorge, wenn der „Wutbürger“ zum Wort des Jahres gekürt wird. Das ist doch ein deutliches Zeichen dafür, dass etwas im Verhältnis von Bürger und Staat nicht stimmen kann.
Es
stimmt
tatsächlich
etwas
nicht,
wenn
die
Entscheidungen
zu
wichtigen
Infrastrukturvorhaben sich fast über eine Generation hinziehen. Die Machbarkeitsstudie zu Stuttgart 21 wurde 1994 in Auftrag gegeben. Wer damals ein Jahr alt war, der nimmt dieses Jahr zum ersten Mal an der Landtagswahl in Baden-Württemberg teil. Da ist es kein Wunder, dass die Bürger mit dieser Art von Entscheidungsfindung unzufrieden sind. Es ist blamabel für einen Staat, wenn er fast eine ganze Generation braucht, um eine wichtige Entscheidung zu treffen.
Hinzu kommt auch noch politische Heuchelei: In Stuttgart demonstrieren grüne Bahnbefürworter gegen ein Bahnprojekt. Und im Jahr 2002 erklärte Jürgen Trittin als grüner Umweltminister: „Es gibt für Grüne keinen Grund, gegen die Castor-Transporte zu demonstrieren“. In der Opposition im Jahr 2010 stellen sich Grüne in Gorleben an die Spitze der Anti-Atom-Bewegung. Wer soll bei einem politischen Personal mit diesem Verhältnis zu Wahrheit und Aufrichtigkeit eigentlich noch Vertrauen in die Politik haben?
Anrede, im Grunde geht es in der aktuellen Debatte um Komplexität, genauer um eine „doppelte Komplexität.“ Niemand wird bestreiten wollen, dass unsere Welt immer komplizierter wird. Die Sachverhalte, mit denen sich Politik auseinandersetzt, sind hochkomplex und selten
einfach schwarz oder weiß. Im Falle Stuttgart 21 geht es um die Interessen der Anwohner, um hundert Jahre alte Bäume und zugleich um Juchtenkäfer. Es geht um die Chance, ein neues Stadtviertel zu schaffen, das nach neuesten ökologischen Kriterien gebaut werden soll, es geht um ein leistungsfähiges Schienennetz, es geht natürlich auch ums Geld und hinzu kommen noch Aspekte wie Gleichstellung, Behinderung, Datenschutz, Föderalismus, Europarecht, und viele mehr. Die Komplexität der Sachverhalte können wir nicht ändern. Wir leben in einer hochentwickelten Gesellschaft. Das Wissen der Menschheit verdoppelt sich jedes Jahr. Wir können die Realität also nicht einfacher machen. Aber wir können die Entscheidungs- und Beteiligungsprozesse einfacher machen. Wir müssen es sogar. Denn auf die komplizierte Realität hat die Politik noch kompliziertere und für den einzelnen undurchschaubare Verfahren gesetzt.
In den vergangenen Jahrzehnten hat es die Politik geschafft, die komplizierte Wirklichkeit noch
komplizierter
zu
machen.
Dafür
steht
zum
Beispiel
das
Wort
„Planfeststellungsverfahren“. Wer kein Jurastudium absolviert hat, der blickt nicht mehr durch. Da ist es kein Wunder, dass sich die Bürger immer unverstandener, übergangener und ausgeschlossener fühlen. Demokratie bedeutet aber, dass die Bürger teilhaben an der politischen Entscheidungsfindung. Wenn die Menschen das nicht können, weil kein vernünftiger Mensch die Verfahren mehr durchschaut, dann muss eine demokratische Gesellschaft handeln.
Anrede, die protestierenden Bürger haben also recht. Der Politik ging es zwar um gerechte Lösungen. Aber im Grunde wurde nur eine Scheingerechtigkeit geschaffen. Bürgernähe, Transparenz und Teilhabe sind in Wahrheit dafür geopfert worden. Hier ist die liberale Ordnungspolitik gefragt, Demokratiepolitik ist Ordnungspolitik. Aufgabe der Ordnungspolitik ist es, die eigentlichen Mechanismen, die eigentliche Gerechtigkeit der Leistung, die nicht mehr erkennbar ist, wieder freizulegen. Es geht darum, die komplexe Realität zu ordnen. Und diese Ordnung zu ermöglichen ist der Markenkern der FDP. Wir können die Verfahren einfacher machen. Wir wollen nicht scheinbare Gerechtigkeit durch immer kompliziertere Verfahren. Wir wollen, dass die Menschen in die Lage versetzt werden, durch Beteiligung politische Entscheidungen selbst zu beeinflussen. Das ist die wahre Bürgergesellschaft.
All denjenigen, die hoffen, durch ein paar mehr Bürgerentscheide, durch etwas mehr direkte Demokratie, könne man die Sache heilen, werden meiner Ansicht nach am Ende enttäuscht werden. Die Bürger sind durchaus bereit, Entscheidungen einer politischen Mehrheit zu akzeptieren. Der Weg zur Entscheidung aber muss nachvollziehbar sein und die
Entscheidung muss in einem angemessenen Zeitrahmen fallen. Wenn man - auch in Niedersachsen - keine Ortsumgehung in kürzerer Zeit als einem viertel Jahrhundert bauen kann, dann stimmt etwas nicht. Kurze und gleichzeitig transparente Planungsverfahren sind kein Widerspruch.
Anrede, die Lösung, die wir brauchen, besteht aus zwei Teilen. Zum einen brauchen wir eine neue Offenheit. Die staatlichen Institutionen müssen sich verstärkt den Menschen öffnen. Es geht darum, Beteiligung in verschiedensten Formen zu ermöglichen. Diese neue Offenheit braucht es in Parlamenten, in Regierungen und auch in Verwaltungen. Wir Liberale haben dabei keine Angst vor dem Dissens. Eine Konsensgesellschaft wird ganz schnell zur Konkursgesellschaft, das wollen wir verhindern.
Auf der kommunalen Ebene wird diese Offenheit schon sehr gut umgesetzt. Kommunalpolitik ist den Menschen am nächsten. Liberale Kommunalpolitiker sind entscheidend, wenn es darum geht, diese Philosophie vor Ort umzusetzen. Und sie tun es vielfach heute schon, mit Bürgerbeteiligung, mit Glaubwürdigkeit und vor allem mit Offenheit. Bei der Kommunalwahl im September wird es darum gehen, den Menschen zu zeigen, dass für uns Liberale die Bürgergesellschaft nicht nur eine Worthülse ist, sondern dass wir sie jeden Tag aufs Neue umsetzen müssen. Denn für uns Liberale ist klar, dass die kommunale Ebene das Fundament der Demokratie ist.
Zum einen geht es um eine neue Offenheit, zum anderen um Ordnungspolitik. Wir brauchen nicht den Regelungsstaat, der alles vorschreibt. Er ist geschaffen worden durch eine Politik der Ja-Sager. Sie selbst hat die hohen Erwartungen und Ansprüche erzeugt, die sich nicht erfüllen lassen. Wer allen und jedem das Blaue vom Himmel verspricht, der ist gezwungen, Regelungen zu schaffen, die komplizierter und intransparenter werden. Hier ist dringend liberale Ordnungspolitik gefragt. Nur einfache Regelungen sind transparent. Nur an einfachen Systemen kann jeder teilhaben. Und nur einfache und nachvollziehbare Gesetze sind gerecht.
Deswegen fordern wir Liberale schon seit Jahren ein einfacheres Steuersystem. Und nur weil uns derzeit etwas Gegenwind ins Gesicht bläst, lassen wir uns nicht von dieser richtigen Forderung abbringen. Was grundsätzlich richtig ist, hängt nicht allein von der Kassenlage ab. Schon gar nicht, wenn es um die Grundordnung unseres Gemeinwesens geht.
das Protestjahr 2010 hat uns vor Augen geführt, dass wir einen einfacheren, transparenteren und bürgernäheren Staat brauchen. Ob Steuerrecht, Planungsrecht oder Vergaberecht. Die Zeit der Privilegien für lautstarke Partikularinteressen ist vorbei. Die Zeit der komplexen Verfahren ist vorbei. Demokratie wird von Bürgern gemacht und nicht von Richtern, Gutachtern oder Juchtenkäferexperten.
Anrede, wir sind die einzigen, die die Bürger in ihrem Wunsch nach Beteiligung ernst nehmen. Gerade Parteien wie SPD, Grüne und Linke sind die wahren Klientel-Parteien. Die FDP ist nicht erst seit heute die Partei, die sich der Bürgergesellschaft verschrieben hat. Die FDP wird gebraucht, um die Krise zwischen Bürgern und Politik glaubwürdig zu lösen. Wir wollen einfache Verfahren und Regelungen, die eine aktive Bürgergesellschaft überhaupt erst ermöglichen. Nur so entsteht Freiheit. Ihre Freiheit. Unser Auftrag.