Il faut ĂŞtre absolument moderne. Der Palais de Justice de Bruxelles Ein Streifzug von der Querelle des Anciens et des Modernes bis heute.
Eine Arbeit von Carsten GĂźth, Wulf Kramer, Stefan Staehle, & Max Vomhof 1
2
„Ein Buch, auf das niemand wartet, das auf keine formulierte Frage antwortet, das der Verfasser nicht geschrieben hätte, wenn er seiner Lehre wörtlich gefolgt wäre, so ist das bizarre Ding, das ich heute dem Leser unterbreite.“
Georges Bataille
3
4
Inhalt
6. f
Einf체hrung
38
18
Untersuchungen
30 .
Modell
34
Sans Domicile Fixe
Route f
Gegens채tze
Fakten
40
42 . f
46
Palastikus
48 . f
Verh체llung
58 . f
Ghlossik
64 . f
Zeitleiste
66 . f
(Re-) Aktion
70 . f
An Architects Dream
76 . f
Revolution/Autonomie
84 . f
Memorized
92 . f
Grotesque
102
Enlarge your Building
128 . f
Symbol, Muster, Ornament
144 . f
Ruinieren
157 . f
Interview 5
„Meine Freunde und ich sind einmal bei Ein kelheit in den Justizpalast in Brüssel eingedrungen. Dieser unförmige Koloss erd halb gelegenen armen Viertel und stellt sich die reiche Avenue Louise, die wir eines Tage genden Bauplatz verwandeln werden. In dem Gängen,Treppen und Zimmerfluchten macht zunächst ein Bild von unseren Gestaltungsmöglichkeiten, richteten uns dann auf dem eroberten Territorium ein und verwandelten diesen Galgenpalast auf einem Spaziergang unserer Phantasie in einen traumhaften Jahrmarkt, in einen Palast der Lüste, in dem die reizvollsten Abenteuer dem Privileg entsprachen, dass wir sie wirklich erlebten.“ - Raoul Vaneigem1
6
Zitat
nbruch der Dun-
r端ckt die unterh sch端tzend vor es in einen errem Irrgarten von ten wir uns
1 Er galt in den 1960er Jahren als einer der einflussreichsten Theoretiker der Situationistischen Internationalen. Er verfasste u.a. die Basisbanalit辰ten und das Handbuch der Lebenskunst f端r die jungen Generationen (1967).
7
8
9
Dérive - Umherschweifen - nannten die Mitglieder der Situationistischen Internationale ihr Werkzeug der Raumerfahrung. Durch die Fokussierung auf die subjektive Wahrnehmung des Stadtraumes erstellten sie ihre eigene Lesart des urbanen Kontextes - die Psychogeographie. Das Umherirren, das nicht wissen wohin, das sich Einlassen auf spontane Gedanken, der Drift, die unmittelbare Reaktion und Faszination bilden im Gegensatz zu einer klar formulierten und zielorientierten Aufgabenstellung, die Methode, die auch für uns zur Basis unserer Arbeit werden sollte. An einem Punkt angekommen, der für uns ein Ende wie einen Anfang markiert, wollten wir die Möglichkeit nutzen uns auf den Weg zu machen - ohne erkennbares Ziel, doch mit der Überzeugung sich der Architektur zu nähern, sie zu entdecken und zu rekombinieren. Wie Raoul Vaneigem sahen wir im Justizpalast Brüssels das Vehikel, das in der Lage zu sein schien, uns aus unserer gewohnten Umlaufbahn herauszukatapultieren.
10
Dérive
Ein Ungetüm, ungeheuerlich im Stadtraum, von morbider Faszination, ein Relikt, verurteilt von der Geschichte und kurz davor seine Legitimation zu verlieren. Eine Kraft ging von ihm aus - beinahe erkaltet doch noch fühlbar. Wir wollten mehr erfahren, über den Palast, sein Umfeld, seine Geschichte. Wir hatten etwas gefunden - gekommen aus einer längst vergangenen Epoche, war es nun an der Zeit seine Geheimnisse zu ergründen. So wie die situationistische Aneignung des unbekannten Stadtraumes zu neuen und unerwarteten Erkenntnissen führte, so haben wir uns dem Palast angenähert - haben ihn wie Vaneigems Schar erkundet, erfahren - ihn in seine Einzelteile zerlegt. Und wir sind noch weiter gegangen, haben uns nicht aufhalten lassen. Wir sind ausgeschwärmt vom Palast aus in die Geschichte der Architektur. Weit in die Vergangenheit, in die Zeit vor seiner Erbauung, bis zur Zeit der Querelle des Anciens et des Modernes und in großen Schritten zurück in die Gegenwart.
So erschien der Justizpalast mehr und mehr als ein Gefäß. Ein Gefäß in dem sich einerseits die Geschichte der Aufklärung, des Geschmacks und des Bürgertums widerspiegelten, das andererseits aber auch als Blaupause d e s s e n diente, was sich wenige Jahre nach seiner Errichtung fundamentaler architektonischer Kritik ausgesetzt sah. Der Umstand,Teil einer 300-jährigen architektonischen Entwicklung zu sein und gleichzeitig in seiner Bedeutung für eben jene marginalisiert zu werden, birgt für uns das Potential des Palastes - um es mit Raoul Vaneigem zu sagen, wir richteten uns dann auf dem eroberten Territorium ein und verwandelten diesen Galgenpalast auf einem Spaziergang unserer Phantasie in einen traumhaften Jahrmarkt, in einen Palast der Lüste, in dem die reizvollsten Abenteuer dem Privileg entsprachen, daß wir sie wirklich erlebten.
11
dĂŠrive
12
DĂŠrive
Abb. links Photographie Palast 1925 Sicht vom Place de Poelaert
Brüssel, ein nebliger Nachmittag. Auf dem Weg in die Innenstadt, das Pentagon. Eingefasst von der Stadtautobahn, dem ehemaligen Verlauf der Stadtmauer. Unser Ziel sind die Marollen. Einst Obdach der Leprakranken, No Go Area. Die Kranken sind den Arbeitern und die Arbeiter den Migranten gewichen. Geblieben ist einzig der Stolz auf die eigene Identität - nous sommes Marolliens - die eigene Sprache und die eigene Geschichte.
1866 kommt es zum folgenschweren Zusammentreffen des Ortes mit der Geschichte Belgiens. Ein Großteil des Viertels wird diese Veränderung nicht überleben. Ein Symbol für die junge Nation soll entstehen. Der König hat es so gewollt. Brüssel bekommt seinen Justizpalast - der Bauplatz sind die Marollen, das Budget aus dem Kongo, der Architekt Joseph Poelaert. Beim Wettbewerb der zum Bau des Justizpalastes führen sollte, war eben dieser Joseph Poelaert Preisrichter und Wettbewerbsgewinner. Eine für ihn durchaus lohnende Verbindung von Kompetenzen. Der bescheidene Entwurf des Bauwerks und der Kuppel weicht mit der Zeit einer in die Gigantomanie abdriftenden Lösung. Mit dem Segen des Königs, beginnt das Budget jeden Rahmen zu sprengen. Doch für den Fall, dass es jemand wagen würde sein Geschäftsgebaren zu diskreditieren hatte der verrückte Architekt1 schon vorgesorgt: Widerspruch wurde mit der Androhung von Kündigung begegnet gebe es doch niemanden, der in der Lage sei, dieses völlig aus den Fugen geratene Projekt noch zu überblicken, geschweige denn, fertig zu bauen.
1 Joseph Poelaert belgischer Architekt des 19 Jhd. Baute ausschliesslich in Brüssel und Umgebung. Der Justizpalast gilt als sein Hauptwerk. Obwohl er die Vollendung 1883 nicht mehr miterlebte. Joseph Poelaert galt unter seinen Zeitgenossen, im speziellen unter den Bewohnern der Marollen als der "Skieven Architect" der verrückte Architekt.
Die Vernichtung etlicher Straßenzüge und die Vertreibung der Bewohner waren die Folge. Wo sich eben noch kleinteilige Strukturen an den Hang lehnten, dominiert nun die Großform. Dieses Vorgehen blieb seitens der Bewohner nicht ohne Reaktion - die aufgestauten Aggressionen gegenüber dem Erbauer und seiner Schöpfung machten sich am Tag der Eröffnung des Justizpalastes Luft. Dutzende Marolliens stürmten in den Palast und zerstörten oder entwendeten das nagelneue Inventar - schwere Geburt.
Diese Episode ließ eine Ahnung auf das was uns erwarten sollte aufkommen. Wussten wir doch bereits Bescheid über die riesenhaften Abmessungen. Die Bedrohlichkeit seines Äußeren. Ein Symbol für eine allgemein geltende Rechtsprechung sollte der Palast sein - ein Zeichen absoluter Herrschaft war er geworden. Das neue Bauen des sich emanzipierenden Bürgertums entpuppte sich als verkappte Herrschaftsphantasie. Nicht etwa allgemein verbrieftes Recht auf Besitz und Souveränität waren die Grundlage seiner Entstehung, sondern absolute Macht und deren gnadenlose Durchsetzung. --Wettbewerb - gewonnen hat, wer ihn zuerst entdeckt. Kann ja nicht so schwer sein bei geschätzten 150 Metern Höhe und einem Volumen wie dem des Petersdoms. Auf einer Fahrt durch Brüssel meint man oft genug die charakteristische Kuppel in Sicht zu haben - links und rechts der Fahrbahn taucht sie auf, nur um im nächsten Moment wieder zu verschwinden. Fehlanzeige, Mimikry. Brüssel ist ein Architekturmuseum. Bei dieser Kirchen- und Stildichte verlässt uns bald der Mut und die Frage drängt sich auf, ob es nicht besser gewesen wäre sich anhand einer Karte zu orientieren. 13
1 Photographie aus dem Jahr 1924 mit den Marollen im Vordergrund.
Entgegen unserer naiven Einschätzung ist die Stadt beinahe schon bergig - da wird es natürlich schwer, selbst ein so hohes Gebäude zu entdecken. Laufend schiebt sich eine Erhebung vor die andere. Rauf und runter. Das sorgt dafür, dass wir auch die brüsseler Allerweltsstadtkrone ‚Quartier Nord‘ erst dann entdecken als wir genau vor dem sogenannten Manhattan Center stehen.
2 Eingangsbereich von den Marollen aus.
14
Dérive
Unser Bild des Palastes, der seine Umgebung prägt, der über Brüssel thront, scheint zu zerplatzen - jeder Hügel eine Kirche, aber kein Palast. Wir biegen aus dem Straßengewirr. Zu unserer Linken plötzlich der Königspalast, der Ausgang des Stadtparks. Wir richten unseren Blick geradeaus - ein Reiterstandbild. Dahinter sehen wir ihn, verschwommen im Dunst der Stadt, dunkel und riesenhaft. Nun hat er uns gefunden, hat uns beobachtet, während wir noch verloren nach ihm gesucht hatten. Er hat uns in seinen Bann gezogen. Langsam bewegen wir uns in seine Richtung - schätzungsweise noch über einen Kilometer entfernt - ist seine Präsenz schon in dieser Entfernung atemberaubend. Als wir auf dem Vorplatz ankommen, werden wir uns zum ersten Mal bewusst, auf was wir uns eingelassen haben. Man neigt dazu einen Geg-
ner, den man nur von Bildern her kennt, zu unterschätzen. Wie riesige Schwingen umfassen die Seitenflügel den Platz, führen die Kolonnaden zum gewaltigen Portikus. Symmetrie, Ideal. Der Effekt, den dieses Bauwerk einst gehabt haben muss, lässt sich nun langsam erahnen, auf uns wirkt es ungeheuerlich. Wir versuchen uns zu lösen, nicht zu versinken in seiner Erscheinung. Wir brechen aus der Achse - langsam zunächst, versuchen unseren Blick zu ändern, den Palast auch anders wahrzunehmen. Außen herum. So lautet der Plan. Es wird klar, dass sich hier nicht nur Herrschaft eingeschrieben hat, sondern auch deren Verlust - die Vergänglichkeit, der Zerfall. Wo eben die Fassade der Wirkung noch ihren Dienst getan hat, erstrecken sich nun an den dahinter liegenden Gebäudeteilen Gerüste, die den Palast stützen, ihn vor dem Zusammenbruch bewahren. Aus dem Eindruck des übermächtigen Gegners wird der eines weidwunden Tieres.Wir untersuchen sein Fell, seine Zeichnung, seine Male. Es hat uns viel zu erzählen, die Geschichte der Gerechtigkeit ist ihm eingebrannt worden. Götter, Schlachten,
Senatoren, Opfer - alles im Namen des Rechts. Wir fragen uns wo wir solche Informationen heute finden können, die Gebäude gegenüber sind sprachlos - eines hat verspiegelte Scheiben, man sieht nur sich selbst. Die Faszination wächst, diese Dichte und Abwechslung - wir berauschen uns an der Ornamentik, an der Tiefe dieses Bauwerks. Wir atmen Geschichte, nehmen sie auf, spinnen sie weiter. Wir bemerken wie die Größe im Schwinden begriffen ist, wie sie der Erzählung weicht - Symbol, vergessener Raum zwischen den Fenstern. Als wir die der Stadt zugewandte Seite erreichen, hat uns die Realität wieder. Die erhöhte Position des Palastes fällt auf dieser Seite zur umliegenden Stadt steil ab. Am Ende der zweiten geplanten Achse sollten majestätische Rampen die Besucher zum Palast hinaufführen. Dort verläuft heute die Rue des Minimes und keine Achse weit und breit. An dieser Stelle war Schluss mit der Umsetzung des Gestaltungswillen König Leopolds. So stehen sich heute an dieser Straße das untere Portal und billige Sozialwohnungen gegenüber. Pragmatismus bringt sich gegen Symbolik in Stellung. Die Balkone geben den Blick auf den zehn Meter entfernten und hier 200 Meter hohen Bau frei. Harte Kante.
3 Kollonaden im Eingangsbereich Vordergrund griechische Statuen
Unterbau. Wir sind wieder Delinquenten. Es ist kalt, zugig, Menschen eilen vorbei, senken den Kopf, nehmen keine Notiz. Plötzlich Sonne, ein Ausweg. Links eine Müllhalde, rechts Raucherpause. Noch tiefer wagen wir uns hinunter. Prüfen die Türen, verschlossen oder offen. Die Luft wird modrig. Die Frage wohin wir wollen hat sich erübrigt - wir wissen nicht mehr wo wir sind. In den Katakomben scheint der Palast größer und größer zu werden. Sechs Stockwerke Kellerräume, verschlossene Kellertüren. Die Flure sind groß genug für Fuhrwerke. Die Gedanken schweifen um Gefangene, Kerkerhaft, verloren sein - genug! Wir hören Stimmen, nichts wie weg. Um die Ecke, dann - Sonne. Die Welt hat uns wieder. Das Ungetüm hat uns ausgespuckt. Durchatmen. Kurz innehalten. Wir versuchen über das Erlebte zu sprechen, aber außer Allgemeinplätzen hat keiner etwas zu bieten.
Hier betreten wir den Palast.Wir stemmen uns gegen die Portale bis sie uns Eintritt gewähren. Es ist kalt, Wasser tropft von der Decke, es riecht nach Verfall. Unser Blick wandert über die Säulen der Eingangshalle hinauf zur Treppe. Sie führt in das Herz des Palastes. Endlos. Durchschneidet mehrere Stockwerke stets auf ein Ziel fixiert - die Salle des pas perdus - den Saal der verlorenen Schritte. Die Gedanken schweifen ab - von hier aus sollte man ihn betreten, ehrfürchtig und reumütig. Die Treppe führt uns mehrere Minuten hinauf. Überwindet im Inneren des Komplexes den topographischen Unterschied - dehnt ihn aus, lässt ihn unendlich werden. Die Tür ist erreicht, wir treten ein. Ein Schauer, der Blick gleitet nach oben. Man folgt den Ebenen und endet beim Okulus der Kuppel. Reine Leere. Unermesslicher Raum. So sehr wir uns bemühen, der Blick bleibt nicht haften. Immer weiter dehnt sich die Halle aus, wird diffus. In den Ecken überlagern sich die Ebenen. Immer weiter dringt die Phantasie vor. Wo ist Innen? Wo beginnt Aussen? Bilder rotieren. Bevor uns schwindelt wenden wir den Blick ab. Die Reflektion kann noch warten, es Wir werden uns bewusst, das Zentgeht wieder hinein. Zurück auf Start rum ist erreicht. und einfach die Richtung wechseln. Wir sind komplett in seinem Bann, LOS! verloren. Das Ziel ist nun die KupDie erste Ebene ist schnell erreicht, pel, wir wollen dorthin. Wir nehmen die Perspektive wechselt. War man Treppen, fahren in Aufzügen, immer gerade noch Täter und Untertan, so weiter nach oben. Die Flure erscheiwandelt man sich zum Beschäftignen endlos - wir irren im Kreis... ten,Verantwortlichen, Mitwisser. Das Gebäude verändert sich rasend schnell. Detaillierte Choreographien geben den Weg vor, sie kreuzen und überlagern sich. Weiter, wieder hinunter, auf der Suche nach den Gerichtssälen. Endlose Flure, dutzende Meter lang, durchschneiden den 15
16
17
11
13 09
03
04
12
08 02
10
07
05
06
01. Marollen 02. Place Poelaert 03. Kolonnaden 04. Portikus 05. GerĂźste 06. Rue des Minimes 07. Sozialwohnungen 08. Treppe 09. Salle des pas perdus 10. Korridor 11. Raucherpause 12. Keller 13. Ausgang Keller
18
DĂŠrive - Stationen
01
01 Marollen Neben Rampen verbindet ein Aufzug die Marollen mit dem Palast.
02 Strassenflucht Place de Poelaert
03 Kolonnaden Eingangsbereich mit griechischen Statuen.
04 Portikus Eingang vom Place de Poelaert
07 Harte Kante Sozialwohnungen in direkter Nachbarschaft zum Palast
08 Treppe Die l辰ngste Treppe Br端ssels, 3 Minuten Aufstieg
09 Die Salle des pas perdus - die Wandelhalle
10 Korridor Mit B端sten der ber端hmten Juristen
11 Raucherpause Rampe hinunter in die Marollen
12 Keller Wie bei Hempels unter'm Sofa
13 Ausgang Keller
19
20
Palast
21
22
23
„...die ‚provisorisch wirkenden Holzstiegen‘ die es ermöglichten, daß sich im Laufe der Zeit immer wieder in ‚irgendwelchen leerstehenden Kammern und abgelegenen Korridoren kleine Geschäfte, etwa ein Tabakhandel, ein Wettbüro oder ein Getränkeausschank‘ angesiedelt hatten. Auch die Geschichte davon, daß einmal ‚eine Herrentoilette im Souterrain von einem Menschen namens Achterbos, der sich eines Tages mit einem Tischchen und einem Zahlteller in ihrem Vorraum installierte, in eine öffentliche Bedürfnisanstalt mit Laufkundschaft von der Straße und, in der Folge, durch Einstellung eines Assistenten, der das Hantieren mit Kamm und Schere verstand, zeitweilig in einen Friseurladen umgewandelt‘ wurde,...“
W.G. Sebald Austerlitz
24
Bigness
„Ein Paradox von Bigness ist, dass trotz der Berechnungen, die in ihre Planung einfließen - es tatsächlich ihre Stabilität ist - die sie zu der einen Architektur macht, die das Unvorhergesehene organisiert. Anstatt Koexistenz zu verstärken, bezieht sich Bigness auf Freiheitessysteme, die Verbindung maximaler Differenz. Nur Bigness kann eine buntgewürfelte Ausbreitung von Events in einem einzigen Gefäß aushalten. Sie entwickelt Strategien um beides, ihre Unabhängigkeit und ihre gegenseitigen Verflechtungen, innerhalb einer größeren Einheit in einer Symbiose, welche Spezifität eher verschlimmert als sie zu gefährden, zu organisieren. Vielmehr durch Verschmelzung als Reinheit und Quantität als Qualität, schafft es nur Bigness wirklich neue Beziehungen zwischen funktionalen Einheiten, die ihre Identitäten eher ausdehnen als eingrenzen, zu unterstützen. Die Künstlichkeit und Komplexität von Bigness befreit die Funktion aus ihrer defensiven Rüstung um eine Art Verflüssigung zu ermöglichen. Programmatische Elemente reagieren mit sich um neue Ereignisse zu kreieren - Bigness wird wieder zu einem Model programmatischer Alchemie.“
Rem Koolhaas S,M,L,XL
25
26
27
28
„Viele Stunden sind wir durch die Korridore, t r e p p a u f u n d t r e p p a b, an kolossalen Statuen vorbei, durch dieses steinerne Gebirge geirrt, ohne dass uns je ein Mensch nach unserem Begehren gefragt hätte.“
29
Er ist erstaunlich. Beängstigend.
Unser Wertesystem gerät ins Wanken. Die Kategorien sind in Auflösung begriffen. Er lässt keine definitive Deutung zu, er wandelt sich ständig, er erfindet sich neu. Strudel der Bedeutungen, Ideologien haben keinen Platz, sie lösen sich auf - vertauschen sich. Die Mitte verliert ihr Bedeutung, die Peripherie übernimmt die Vorherrschaft, doch nicht für lange. Hinter jeder Ecke ändert sich unsere Sicht auf die Welt. Es ist die Widersprüchlichkeit, die sich mit aller Kraft Bahn bricht. Vergraben unter den Dogmen,plante sie ihre Rückkehr. 30
Gegensätze
Less vs. More
31
Ornament vs. Crime
32
Form vs. Function
33
?
34
Fakten
! 740.000 m3 Volumen - 26.000 m2 Gesamtfläche - 170 m x 150 m - 142 m Höhe - 97,5 m Höhe Salle des pas perdus - 48 m x 22 m - 3.600 m2 - 525 Stufen bis zur Kuppel - Kuppeldiagonale 20 m - Kupferdach 6.400 kg - 6000 m2 Innenhöfe - 245 Gerichtssäle - 27 Hauptgerichtssäle - Portikus 39 m Höhe - öffnung 17,5 m - Bronzetür 10,35 m x 4,35 m - Gewicht 15.000 kg - Treppe Rue des Minimes 80 m lang - 171 Stufen - Insgesamt 4.320 Stufen im Palast - 70 Treppen - alle aneinander gesetzt erreichen eine Höhe von über 1000 m - 25.000 m2 Fensterfläche - Fußboden 65.000 m2 - Kosten 45.000.000 Belgische Francs - Baubeginn 1866 - Fertigstellung 1883 360.000 m3 Mauerwerk - 65.000 LKW-Ladungen 35
36
37
38
Die Untersuchung eines Kolosses.
39
Vom Place Poelaert in das Zentrum des Palastes, die Salle des pas perdus. Das Portal teilt beide Zonen, ist ein enger Durchlass. Aussen die Kolonnaden, Treppen, Umgänge, Statuen und Kassettendecken. Schnitt. Innen riesenhafter Raum, der sich bis zum Himmel ausdehnt. Im Palast geraten die räumlichen Konfigurationen in Bewegung, verkehren sich in ihr Gegenteil. Eine Spiegelung der Realität. Das Innere hat sich nach außen gestülpt - Innen bleibt unbesetzter Raum. Es ist sein Geheimnis, dass wir rekonstruieren, Schicht für Schicht. Tagelang.
40
Untersuchungen
41
SDF SANS DOMICILE FIXE Der Palast thront über Brüssel. Massiger Pol. Doch in seiner Vollständigkeit erscheint uns seine gewaltige Erscheinung erst, wenn wir ihn aus seinem Kontext reissen. Wir schicken ihn auf Reisen - Landurlaub, Städtereise. Er transformiert seine neue Umgebung. Nichts kann sich ihm widersetzen. Neuer und alter Mittelpunkt, Drehpunkt, Angelpunkt. Gebiete werden hierarchisiert, hinten und vorne, oben und unten. Der große Unterscheider.
1 Palast Original 2 Palast XXX 3 Palast Berlin 4 Palast München
42
Untersuchungen
43
001 M채rkisches Viertel "Die Wohnmaschine"
001 Allianz Arena "Das moderne Kolosseum"
44
Untersuchungen
003 Ikea Markt "Der Konsumtempel"
004 Justizpalast "Grösste Anhäufung von Steinquadern"
Was kann den Koloss ersetzen? Symbole der Epochen verschwinden oder wandeln sich. Wohnmaschinen, Konsumtempel, Kolosseen der Moderne der Palast bietet Platz für alle. Sie repräsentieren ihre Zeit auf einemRechteck von 170 mal 150 Metern. Täglich 100 Delinquenten, 10 000 Bewohner, 50 000 Kunden, 100 000 Fans.
45
Palastikus Mit seinem Auftreten setzt er im Stadtraum Akzente. Gespeist wird dieser Eindruck durch das Zusammenspiel seiner Elemente. Eine Melange aus Säulen,Wänden, Skulpturen und Fresken. Sie vermitteln einen bestimmten Eindruck. Der Palast wirkt bedrohlich. Ein Zentrum der Macht.Wie würde sich dieser Eindruck verändern, wenn sich die Erscheinung transformiert? Der Palast bricht zusammen. Die zerklüftete Hülle weicht einem ephemeren Schleier, beginnt zu scheinen - golden. Das Dunkle weicht der heiteren Farbigkeit. Die Manipulation macht es sichtbar - es ist nicht nur ein Palast. Unter seiner Oberfläche schlummern viele Identitäten.
Abb. 2 Aus Blei gegossen
Abb. 1 Wireframed
46
Untersuchungen
Abb. 3 Bubble Gum
Abb. 4 Golden
Abb. 5 Whatever
47
Verhüllung „For while the plan, as a document addressed to the mind, will always be the primary concept, the vertical surface, as a presentation addressed to the eye, will always be the primary percept, will never be other than the beginning of comprehension.“ 1
1 Colin Rowe in Forty, Adrian; Words and Buildings London; 2004
2 Vgl. Le Corbusiers "Die fünf Punkte zu einer neuen Architektur" 4. das lange Fenster: Zwischen Decken und Säulen entstehen im Fassadenbild rechteckige Öffnungen, welche den Räumen eine vollkommene Beleuchtung ermöglichen. Man erhält von Pfeiler zu Pfeiler langgezogenen Fenster, so daß die Zimmer von Wand zu Wand gleichmäßig beleuchtet werden. 5. Die freie Fassade: Durch Vorschieben der Decken vor die tragenden Pfeiler, wodurch eine Art rings um das Gebäude führender Balkon entsteht, wird die Fassade von allen tragenden Bauteilen befreit. Die Fenster können beliebig ausgedehnt werden, zum Vorteil der Gliederung im Innern.
Durch den gestalterischen Paradigmenwechsel zu Beginn des 20. Jahrhunderts - der aufkommenden Forderung nach Transparenz und die steigende Wertschätzung einer klaren Komposition - verlor die Wand neben ihrer tragenden Funktion auch andere Qualitäten, die davor als grundlegend erachtet wurden und die herausragende Stellung der Wand innerhalb des architektonischen Komplexes begründeten. 2 Beispielhaft erscheint diese Wertschätzung der ornamentierten Fassade in der Betrachtung des Justizpalastes. Kaum ein Bereich der Fassadenfläche der nicht damit bedeckt ist. Auf die konstruktiven Besonderheiten wird dabei keinerlei Rücksicht genommen, geschickt und mutwillig werden diese unter Sandsteinplatten und Gips versteckt. Das kann man unehrlich finden und sich angewidert wegdrehen - oder aber versuchen sich darauf einzulassen und den Palast mit den Augen eines Brüsseler Bürgers am Fin de siècle zu sehen. Denn welche Bedeutungen der Architekt Joseph Poelaert dem Betrachter vermitteln wollte, ist mit dem kulturellen Hintergrund und dem damit verbundenen Wissen eines Bürgers aus dem 21. Jahrhundert nicht leicht zu verstehen. Wechselt man die Perspektive, so erkennt man verschiedenste Zeichen - auch ein Schild mit Medusenkopf und eine große Figur über dem Hauptportal. Diese Symbole deuten an, dass der Architekt Joseph Poelaert den Palast Minerva, der römischen Göttin der Weisheit, gewidmet hat. Dies stellt durchaus eine Besonderheit dar - üblicherweise wurden Justizgebäude vorzugsweise der Göttin Themis (Gerechtigkeit) oder Dike (Rechtsprechung) gewidmet. Weitere Zeichen, die den Bau eindeutig als Justizgebäude ausweisen, finden sich auch an allen vier Seiten des Palastes. Skulpturale Allegorien für Weisheit, Gerechtigkeit, Recht und Milde manifestieren sich dort als übermannsgroße Statuen. Diese zeichenhaften Elemente sind Teil des Ornaments, der eine Erzählfunktion übernimmt. „Man darf das ornamentale Dekor nicht mit den ausschließlich symbolischen Figuren verwechseln. Die Or-
48
Untersuchungen
namente sind für das Vergnügen der Augen gemacht und transportieren keine andere Bedeutung als die ihnen innewohnende Ästhetik. Die symbolischen Abbildungen jedoch weisen mal auf ein übergeordnetes Konzept, mal auf eine spezielle Eigenschaft hin.“ 3 Diese symbolhafte Komponente ist jedoch nur ein Aspekt des Ornaments. Betrachtet man weitere Beispiele vor allem im Innern des Palastes, so erkennt man schnell, dass sich die Funktion des Zeichensystems keinesfalls in der Mitteilung von Inhalten erschöpft. Die Vielzahl von Symbolkombinationen - beispielsweise die Gegenüberstellung einer Pharaonenbüste und einer Zeusstatue - und zahlreiche , in erster Linie die Fläche aufbrechende Fresken, vermitteln vor allem Atmosphäre. In diesem Zusammenhang hat das Ornament also primär eine Imaginationsfunktion, die das Gebäude in einer bestimmten Stimmung erscheinen lässt und in einen Kontext setzt.
Ordnung Löst man die Fassade in einzelne Teile auf, treten ihre Ordnungsprinzipien deutlich hervor. Der Baukörper ist von Versprüngen gekennzeichnet, die dem Bauwerk eine reliefartige Oberfläche geben. Zum einen werden hierdurch bestimmte Situationen, wie der Eingangsbereich hervorgehoben, andererseits durch das großflächige Zurücksetzen der Fassadenebene im Fensterbereich auch eine horizontale Gliederung etabliert. Diese Rhythmik wird von einem stark ausgeprägten Sockel und horizontalen Gesimsen unterstützt.Der massive Sockel erhebt den Palast aus seiner direkten Umgebung und unterstreicht die Massivität des Gebäudes, während die Gesimse das Gebäude nach oben hin abschließen.
3 Vandenbreeden, Jos; Loits, André; Le Palais de Justice Brüssel; 2001
Zeichen Im Angesicht der im Palast vorgefundenen Zeichen verstärkt sich die Annahme, dass die Erzählfunktion des Ornaments nur bei einem gesellschaftlichen Konsens, über die Bedeutung und den Wert der verwendeten Zeichen funktioniert. In einer globalisierten Welt, in der sich eine Kulturkreise überlagernde und permanente Kommunikation etabliert hat, ist dieser Konsens jedoch im Verschwinden begriffen. Das Projekt legt seinen Fokus von daher auf die Imaginationsfunktion des Ornaments.
Perforation Das Perforationsverhältnis von 9:1 steht im starken Aufgebrochen wird die Horizontalität vor allem durch Kontrast zu einer Forderung nach maximaler Transpadie Säulen, die teils deutliche Rahmung der Fenster und renz. Zum Großteil konstruktiv bedingt spiegelt dieses turmartige, aus der primären Fassadenebene herausste- Verhältnis dennoch auch die Wertigkeit der Wand in der Architektur des Palastes wider. Wird das Verhältnis hende Aufbauten. nicht als Relation zwischen opaker und transparenter sondern zwischen narrativer und passiver Fläche gesehen, ergibt sich eine gänzlich andere Wahrnehmung.
49
Zeichen Die Feder der Maat Feder, mit der die ägyptische Königin Maat das Gewicht der Seele der Angeklagten wiegt
Gefangene Schlangen Die im Maul des "schlichtenden" Löwens gefangenen und sich äußerlich gleichenden Schlangen symbolisieren Wohlwollen und Unheil.
Schild der Athena Auf dem Schild der Athena befindet sich ein gespaltener Medusenkopf, eine Allegorie für den siegreichen Kampf der Zivilisation gegen alle Kräfte des Bösen.
Säulen Dorische, ionische und korinthische Säulen finden sich auf engstem Raum nebeneinander. Die massiven dorischen Säulen scheinen konstruktiv, die korinthischen sind in der gesamten Fassadenabwicklung nur in den Eingangsbereichen zu finden, während die scheinbar leichteren, ionischen das Bild dekorativ erweitern.
Gesimse Der Sockel und die Gesimse übernehmen zwei Funktionen: Zum einen teilen sie die Fassade in der Horizontalen, zum anderen unterstreicht der fünf Meter hohe Sockel die massive Erscheinung des Gebäudes.
Perforation Das Verhältnis von "narrativer"/opaker zu "funktionaler"/transparenter Fläche ist 9:1
50
Untersuchungen
Original -
Backstein Ansicht des Fassadenauschnitts ohne Ornament - nur Mauerwerk ist sichtbar, da die sichtbaren Steinquader der Fassade nur Blendwerk sind
Relief Von einer "glatten" Fassade kann man nicht nur hinsichtlich der Ornamentierung nicht sprechen. Auch die eigentliche Fassadenebene zeigt deutliche Verspr端nge.
51
Regul채r -
Original -
Inspiriert 52
Untersuchungen
Vor dem Hintergrund einer wiederauflebenden Ornamentdiskussion soll der mit dieser zweiten Funktion verbundene Eindruck - das historische Ornament als stimmungsbildende Haut über der eigentlichen Fassade des Gebäudes - als Ausgangspunkt dienen. Das Vorhaben basiert auf der Überlegung, die Fassade des Palastes - mit ihren Zeichen, ihrer Ordnung und ihrer Perforation - unter Zuhilfenahme parametrischer Tools in eine zeitgenössische Ästhetik zu übertragen und mit einer existierenden Struktur zu konfrontieren. Transformation Aus der Regelmäßigkeit der Rasterfassade bricht die neue Struktur hervor. Die Eintönigkeit verwandelt sich in vielschichtige und abwechslungsreiche Räumlichkeit. Die Charakteristika des Palastes überziehen das bestehende Raster mit einem changierenden Kontinuum das durch seine Tiefe und räumliche Konfiguration eine direkte Wirkung auf den Betrachter entfaltet. Basierend auf den historischen Prinzipien Ordnung, Zeichen und Perforation entsteht eine zeitgenössische Interpretation, die sich die Möglichkeiten des digitalen Entwerfens zu Nutze macht. Nicht im Sinne eines optimierten Leistungsprofils, sondern im Sinne einer sinnlicheren Wahrnehmung.
53
Parametrisches Fassadenmodell 54
Untersuchungen
Perforation -
Zeichen -
Ordnung -
55
56
Untersuchungen
57
Ghlossik
58
Untersuchungen
Stil war eine relative Kategorie geworden, Kleider, die Architekten für Gebäude schneiderten. Man fragte den Kunden was besser passen würde. Und die eigenen Stimmungen beeinflussten die stilistische Aussage zusätzlich. Ich fühle mich heute auch ein wenig gotisch, sie nicht? Doch das Interesse war von kurzer Dauer. Das Rad hatte begonnen sich zu drehen. Schneller, immer schneller. Wahllos begann man zu kombinieren, immer auf der Suche nach neuen Konfigurationen. Aus dem Historismus erwächst ein wilder Eklektizismus: Alles ist nun möglich. Unzählige Kombinationen aus unterschiedlichsten Stilen. Verschneidung, Verschmelzung, Übergang, Konfrontation.
59
60
16 Stills aus der Transformation
61
62
Transformation
63
64
65
(Re -) Ak tion
66
(Re-)Aktion
Hinter seinem beängstigenden Äußeren offenbart der Palast ein reichhaltiges Inneres. Ein Spiegelbild der Kämpfe, die in der Architektur des 19. Jahrhunderts ausgetragen wurden. Die Positionen werden lesbar, treten in Dialog. Wir schlagen die Brücke ins Jetzt.
67
An
Architects
Der Palais de Justice ist als Produkt seiner Zeit auch Ausdruck eines architektonischen Selbstverständnisses. Im Spannungsfeld des Übergangs vom 19. ins 20. Jahrhundert gerät dieses fest gefügte Bild jedoch mehr und mehr in Bewegung. Die Brüche und Abspaltungsvorgänge, die in der Architektur des posteklektischen Zeitalters stattfinden, sorgen auch für ein neues Selbstverständnis der Architektenschaft selbst. Doch was genau kann der Traum der neuen Architekten sein? 68
Dream
69
Thomas Cole The Architects Dream 1840 70
An Architects Dream
Gerade hat er sich von seinen Plänen abgewendet. Nur kurz hält er inne, spürt die warmen Strahlen der Sonne auf seinem Gesicht. Er ist etwas aus der Bildmitte versetzt. Gibt den Blick frei. Gerahmt von Säulen und schweren Brockatvorhängen. Er ist ein Architekt.
Der Klassizismus hatte zu Beginn des 19. Jahrhunderts als uniformer Einheitsstil ausgedient und war von einem freien und ungehemmten Eklektizismus verdrängt worden. Auch der Baumeister, der sich vor allem als Gralshüter der antiken Ideale verstanden hatte, wurde in den Sog der Moden und Stile gerissen. Schnell war das rechte Maß dem goût arbitraire1 gewichen. Das Gewünschte war nun nicht mehr ein vorgegebener Formenkanon, sondern die passende und angemessene Lösung für eine bestimmte Bauaufgabe. In der Geschichte des Bauens waren diese Lösungen bereits eingeschrieben. So war es am Architekten, die losen Fragmente zu einem neuen sinnvollen Ganzen zu vereinigen.
Der Amerikaner Thomas Cole setzte diesem Berufsstand im Jahre 1840 mit seinem Gemälde, „The Architect‘s Dream“ ein Denkmal in Öl. Es ist ein Verweis auf das Selbstbild einer Berufsgruppe. Der Architekt - der Gelehrte, der die Geschichte betrachtet. Der Denker, der darüber sinniert. Der Visionär, der aus dem Vergangenen heraus neue Diesem Moment des Reisens, des Umherirrens in der Geschichte, widIdeen formuliert. met Thomas Cole seine ganze AufIm Vordergrund erkennt man eine merksamkeit. Kirche, sie liegt im Schatten. Sie In diesem Augenblick geschieht markiert mit hartem Kontrast den auch die Leistung des Architekkommenden Tag. Im Hintergrund ten. Hier übersetzt er, Kraft seiner ist die Zeit bereits fortgeschritten, Bildung und Imagination, die Gedie Gebäude schimmern golden in schichte in einen Plan. Es wird klar, der Morgensonne. Ein gewaltiges dass sich der Architekt vor allem Szenario breitet sich vor dem Be- auf eine umfassende Bildung stützt. trachter aus. Gewaltige Kolonnaden Dieses Ideal ist der Ausdruck eines erstrecken sich entlang des in der Jahrhunderts in dem sich die BürBildmitte verlaufenden Gewässers. gerschaft für ihre Herrschaft bereitSie stehen vor einem weiteren tem- macht. Die französische Revolution pelhaften Gebilde, im Hintergrund bereitete das Feld und zeigte den erhebt sich eine Pyramide. Davor Weg in die nationalstaatliche Zivilverläuft oberhalb der Kolonnaden gesellschaft. ein Aquädukt. Zum Wasser hin, vor Dieser Weg vorbei am Adel, führt allem anderen postiert, zwei Tem- über die Salons, Diskutierzimmer pel, Archetypen. Ihre Stufen rei- und wissenschaftlichen Gesellschafchen bis zum Strand. Von dort aus ten. Gab es in diesem Zusammenkommen sie. Die Menschen - sie stei- hang eine bessere Projektion des gen aus ihren Schiffen. Sie betreten sich emanzipierenden Bürgertums, als den Architekten? Gereist und ihr Arkadien.
1 vgl. Kruft, Hanno-Walter; Die Geschichte der Architekturtheorie; München; 1985 S.150
gebildet ist es an ihm, den Ideen des Bürgers Ausdruck zu Verleihen und damit eine neue Zeit einzuläuten. Es dämmert dem Betrachter dass die Projektionen in diesen Berufsstand nahezu unverändert geblieben sind. Die Vorstellung geistert noch immer um das bürgerliche Genie, das aus seinem Studierzimmer heraus die Welt entwirft. Doch hat sich Grundlegendes ereignet. Aus dem gekonnten Rekombinieren wurde ein wütendes Erschaffen. Seit dem Beginn des vergangenen Jahrhunderts wich der Sinn für die eigene Geschichte der Verachtung des Vergangenen. Marinetti bringt es im Futuristischen Manifest 1909 auf den Punkt: „Wir wollen die Museen, die Bibliotheken und die Akademien jeder Art zerstören..!“2 Absolut modern wollten sie sein und die Welt entwerfen. Die Geschichte zählte nicht mehr. In einem pervertierten Hass auf die Akademien und ihr verkrustetes Ausbildungssystem und Ästhetikbewusstsein brechen sie die Brücken zur Vergangenheit endgültig ab. Zur Orientierung dienen nun neue Prämissen. Die Ideale der neuen Zeit sind der Fortschritt, die Klarheit, die Funktion, die Technik und die Ehrlichkeit. In dieser Reihe hatten die teils diffusen, vielschichtigen und widerspr üchlichen Kombinationen des Historismus keine Chance. Die Konsequenz dieser Veränderung wird nirgends deutlicher illustriert als in der berühmten Photographie Le Corbusiers, in der seine Hand schöpfergleich den Plan Voisin(Abb.) präsentiert.
2 Marinetti, Filippo Tommaso; Manifest des Futurismus; Paris; 1909
71
Unter dem Deckmantel der Licht Luft, Sonne Polemik wird Paris dem Erdboden gleichgemacht. Tabula Rasa in Reinform. Medienwirksam in Szene gesetzt durch die Hand Le Corbusiers. Hier dient die Geschichte lediglich noch als marginalisierte Kulisse für die Stadt in der Parklandschaft. Die Kombination von Redundantem weicht dem individuellen Schöpfungsakt, dem Erschaffer und Weltenbauer. Doch drängt sich in diesem Zusammenhang die Frage auf, woraus sich die Ideen der Modernen konstituieren? Woher kommt ihre Inspiration für ihr Werk? Da sich die Geschichte als quasi konterrevolutionär disqualifiziert hatte, mussten sich die Modernen neue Ideenräume erschließen. Es begann die große Neuorientierung. Die geistige Grundlage der Entwürfe sah man nun in den Strömungen der bildenden Kunst, in der Ästhetik der industriellen Massenproduktion, in der Pflanzenwelt. Die Architektur verließ ihren eigenen Kosmos und degenerierte dabei zu einer Nachfolgekunst. 3 Sie hatte die Brücken zu sich selbst abgebrochen. Der damit verbundenen Bezugslosigkeit begegnete sie mit einem absoluten Planungsverständnis, dass sich aus dem geistigen und technischen Status quo definierte und gleichfalls darüber hinauswies. Das Sich-selbstabsolut-setzen sollte die Architektenschaft davor bewahren in der Bedeutungslosigkeit eines Kunsthandwerks zu versinken. Der Endpunkt dieser Entwicklung ist der reine Funktionalismus der sechziger Jahre. In ihm hatte die Architektur einen Raum geschaffen, der frei von jeder Interpretation, den nackten Zahlen unterworfen war - unanfechtbar. Obwohl den Ideen der Moderne schon 1972 mit der Sprengung der Siedlung Pruitt-Igoe ein schwerer Schlag versetzt wurde - Charles Jencks sprach in diesem Zusammenhang vom Tod der Moderne - scheint es sich seit den 1990er Jahren wieder auf dem Vormarsch zu befinden. Diese Zweite Moderne 4 setzt die Prinzipien ihrer Vorfahren fort. Die Überführung des technisch Avanciertesten in Architektur bleibt auch hier der Anspruch der Architektur. Aus Rationalisten werden NeoRationalis72
An Architects Dream
ten aus Konstruktivisten NeoKonstruktivisten aus Organikern NeoOrganiker. Dieser Verweis auf eine angebliche Tradition liefert nun den jeweiligen theoretischen Unterbau. Die Situation in der sich die Architekten befinden ähnelt der in Coles‘ Gemälde. Doch es gibt einen gravierenden Unterschied. War der Eklektizismus des 19. Jahrhunderts ein Ausdruck der modernen Entwicklungen, der Etablierung des Bürgerlichen und der beginnenden Individualisierung, schaffte er es dennoch eine Brücke hin zu einer ganzheitlich betrachteten Vergangenheit zu schlagen, Sinn zu stiften. Diesen Sinn erfüllt die heutige Hinwendung zu den Kunst-Ismen 5 des beginnenden 20. Jahrhundert nicht, ist in ihnen doch der Bruch mit dem Vergangenen eingeschrieben. Man beschränkt sich in seiner eigenen Reflexion auf die Vorgänge des zwanzigsten Jahrhunderts ohne der gesamten Moderne gerecht zu werden. 5 vgl. Arp, Hans; Lissitzky, El; Die Kunstismen 19141924; Zürich, 1925
3 vgl. Barr, Alfred; The evolution of abstract art MoMA New York; 1936
4 vgl. Klotz, Heinrich; Kunst im 20. Jahrhundert; München; 1999
Abb The Architects Wet Dream (Came True) 2011 73
74
Wir befinden uns in der Lage eines Archäologen, der an seiner Ausgrabungsstätte alle Bruchstücke eines Gefäßes gefunden hat, tatsächlich alle. .... sie fügen sich zu einem formschönen Ganzen. Nur stammen sie offenkundig aus den verschiedensten Epochen und Zeitschichten, und das Gefäß, dass sich daraus so mustergültig rekonstruieren lässt, das kann es zu keinem einzigen Zeitpunkt der Menschengeschichte je gegeben haben. Botho Strauß Der junge Mann München,1984 S.130 75
R Revolution
Nicht die gewachsenen Verbindungen der Teile untereinander treten in den Vordergrund sondern deren Unterscheidung. Das Dekor entfernt sich als vormals elementarer Teil von der Wand. Die Wand wird zur reinen Umfriedung.
76
Revolution/Autonomie
A Autonomie
Die beinahe puren stereometrischen KÜrper und deren Massen erzeugen die neue Wucht der Formen. Es ist dieses Konzept, das die Modernen ein Jahrhundert später zur Perfektion bringen werden.
77
Zwischen der Vollendung des Palais de Justice im Jahre 1883 und dem Satz Le Corbusiers, Architektur sei das kunstvolle, korrekte und großartige Spiel der unter dem Licht versammelten Baukörper1 vergehen gerade einmal 39 Jahre. Folgenreiche 39 Jahre. Könnte doch der Unterschied im Vergleich der Architekturen - der Palast auf der Einen und zum Beispiel einem Pavillon de l'Esprit Nouveau auf der anderen Seite - kaum größer sein. 1 Le Corbusier, Vers une architecture, Paris, 1922, Deutsche Ausgabe: Ausblick auf eine Architektur; Berlin,Frankfurt am Main, Wien 1963
Wie kommt es, dass in einem derartig kurzen Zeitraum ein überbordender und maßloser Eklektizismus gegen die mönchische Strenge eines Le Corbusiers eingetauscht wird? Es gehört zum Gründungsmythos dessen, was man rückblickend als architektonische Moderne bezeichnet, dass ein harter Schnitt zwischen dem 19. und dem 20. Jahrhundert postuliert wird. Die Moderne erhebt sich wie der Im Jahre 1933 erscheint in Wien „Von Ledoux bis Le Corbusier - Ursprung und Entwicklung der autonomen Phönix aus der Asche des Historismus. Architektur“. Darin skizziert Kaufmann den Weg der „Mit Mathematik und Erfindungskraft ist heute modernen Architektur, ausgehend von Claude Nicolas alles möglich, wenn man über ausreichend funktionieren- Ledoux, über dessen Schüler Durand, bis hin zum Heroen der Moderne Le Corbusier. Dieser evolutive Ansatz de Hilfsmittel verfügt, und diese Hilfsmittel gibt es.“2 tritt in Opposition zu einer Geschichtsauffassung welche Mittels der neuen Technik und dem eigenen Genie formt die neue Architektur zum Deus ex machina stilisiert. sie ihre Umwelt. Übersetzt den Zeitgeist in Architektur. Als konstituierendes Prinzip, auf dem Kaufmanns Bricht mit dem Vergangenen. Mit der Wiederentde- Argumentation gründet, dient die schon im Titel angeckung der Revolutionsarchitekten Ledoux, Boullée und sprochene Autonomisierung der Architektur. Sie ist das Lequeu durch Emil Kaufmann wird diese Sicht der Ver- Konzept Ledoux‘ sich in Opposition zur damals herrhältnisse jedoch durch eine entscheidende Erkenntnis schenden Konzeption der im Verband gedachten Architektur barocken Ursprungs loszusagen. Ledoux vollzieht ergänzt. den Schritt, den „barocken Verband“3 aufzubrechen und 2 die einzelnen Teile der Bauwerke in „stolze Isoliertheit zu überführen“4. Dem barocken Verband stellt Ledoux ebd. S. 210 das Pavillonsystem gegenüber. 78
Revolution/Autonomie
Dieser Vorgang ist umso bemerkenswerter, berücksichtigt man, dass sich noch der Lehrer Ledoux‘, JacquesFrançois Blondel, dadurch einen Namen gemacht hatte, mit der Veröffentlichung des Cours d‘Architecture die letzte Kodifizierung der architektonischen Normen seit der Renaissance verfasst zu haben5. Um das Wirken Ledoux zu verstehen, muss man sich zuallererst die Prinzipien des barocken Verbandes vor Augen führen.
Nicht die gewachsene Verbindung der Teile untereinander treten in den Vordergrund sondern deren Unterscheidung. Das Dekor entfernt sich als vormals elementarer Teil von der Wand. Die Wand wird zur reinen Umfriedung. Die beinahe puren stereometrischen Körper und deren Massen erzeugen die neue Wucht der Formen. Es ist dieses Konzept, das die Modernen ein Jahrhundert später zur Perfektion bringen werden.
An erster Stelle ist die Hierarchisierung der barocken Bauwerke zu nennen. Kaufmann beschreibt diesen Sachverhalt folgendermaßen - „Ein Teil ist über allen, und dennoch sind alle Teile eins“6. Diese Haltung wird in Bezeichnungen wie „Piano Nobile“ (belle étage) deutlich. In einem baulichen Komplex konzentrieren sich die Massen um ein Zentrum. Um dieses sind die peripheren Bauteile angeordnet und stehen in direkter Verbindung zur Mitte. Diese Anordnung bildet die Basis für ein weiteres Charakteristikum - die Zirkulation innerhalb des Bauwerkes. Diese Bewegung übersetzt für den Benutzer die einzelnen Teile in einen Gesamtkomplex. Die Betonung liegt dabei auf dem Malerischem, dem Zusammenspiel der Räume, Flure und Korridore. Die Prospektkunst des barocken Städtebaus findet ihren direkten Niederschlag in der Enfilade innerhalb der Gebäude.Vordergrund, Mittelgrund, Hintergrund.
Doch wie die Ideale der französischen Revolution im Jahre 1815 durch die Beschlüsse des Wiener Kongresses ein jähes Ende finden, so scheint sich auch innerhalb der Architektur eine restaurative Tendenz durchzusetzen. Den Monarchen Europas gleich, stemmt sich der Historismus gegen die deutlich zu Tage tretenden gesellschaftlichen Neuerungen. Der Justizpalast der Stadt Brüssel ist Teil dieser Geisteshaltung.Vordergründig bürgerlich, repräsentiert er vor allem den Anspruch des belgischen Königshauses. So ist auch die städtebauliche Konfiguration, in der sich der Palast befindet, absolutistischer Stadtplanung geschuldet.
3 Emil Kaufmann Von Ledoux bis Le Corbusier; Wien, 1933 S.13 4 - ebd. S.44 5 - ebd. S.13 6 - ebd. S.19 7 - ebd. S.15 8 - ebd. S.19 Abb. 1 Autonomie der Kuppel
Der Palast bildet den Endpunkt einer langen Achse.An ihr liegen, wie an einer Perlenschnur aufgereiht, royalistische Prachtbauten. Malerischer Städtebau at its best.Auch mit seinem direkten Umfeld wirkt der Palast stereotypisch. Seine Seitenflügel umfassen den Platz Poelaert, fügen ihn zum Teil des Ganzen und in seinem Innern erwartet den Besucher die eindrucksvolle Salle des pas perdus. Kein Hinweis auf den emanzipatorischen Anspruch der Revolutionsarchitektur. Im Gegenteil: Der Palast erscheint als Produkt der Monarchie. Erst die Betrachtung der Pläne lässt einen stutzig werden. Hierin wird die ursprüngliche Konfiguration des Palastes sichtbar. Die im Laufe seiner Geschichte hinzugefügten Teile sind verschwunden und aus dem diffusen
„...es ist anders geworden man weiß nicht recht, warum!“ Jacques-François Blondell 7 Im Gegenteil hierzu formuliert Kaufmann das Credo der Autonomen Architektur - „der Teil sei frei im Rahmen des Ganzen“8. An Beispielen wie den Zollhäusern für Paris, den Barrières illustriert Kaufmann die Wucht der ledoux‘schen Neuerungen.
79
Gesamteindruck tritt die klare Gestalt hervor. Diese offenbart eine bemerkenswerte Konstellation der Baukörper. Während sich der Palast als solcher im Stile eines italienischen Palazzos präsentiert und in sich eine geschlossene Einheit bildet, löst sich die krönende Kuppel in ihrem architektonischen Ausdruck völlig ab. Sie erscheint als autonomes Bauteil, das in seiner Sprache und Konfiguration an die Kapitolbauten der Vereinigten Staaten erinnert. Thematisch unverbunden, wie zufällig zusammengesetzt, wirkt diese Konstellation. Verfolgt man diese Dualität in das Gebäudeinnere hinein, verdeutlicht sich dieser Sachverhalt. Für das Funktionieren des Palastes als Verwaltungsgebäude macht die unter der Kuppel gelegene Salle des pas perdus keinerlei Sinn. Sie besitzt innerhalb des Palastes lediglich eine Symbolfunktion.Wie sich die Teile im Äußeren voneinander abheben, kommt es auch im Innern zur Abspaltung der Zuständigkeiten - von Symbol und Funktionsform. Als einen Hinweis auf die sich autonomisierende Architektur sieht Kaufmann das Aufgipfeln von bedeutungsvollen Bauten. Im Gegensatz zum raumgreifenden und ordnenden Konzept des barocken Verbandes suchen die Bauten nun die Höhe. Diesen Vorgang bezeichnet Kaufmann mit dem französischen Begriff des „pyramider“. Auch im Brüsseler Palais de Justice erfolgt diese Orientierung an der Höhe. Das Streben nach einem höheren Ideal. Es wird deutlich, dass sich die Konstellation der Baumassen des Palastes mit dem Abbild einer Pyramide überlagern lassen.
Revo-
nomie
Es festigt sich in dieser Betrachtung der Eindruck, dass es sich bei den Bauten des Historismus um hybride Formen handelt, deren Ausrichtungen zwischen dem Auto- nomen -und dem Verbandsprinzip schwanken. Es zeigt sich wie unter der Oberfläche eine kontinuierliche Entwicklung stattfindet und dass im Historismus, trotz vordergründiger Rückwärtsgewandtheit, die Autonomisierung ungehindert fortschreitet. Und auch die freie Verwendung der Stile erscheint in diesem Licht vor allem als Indikator autonomen Bauens, lässt sie doch die baulichen Konfigurationen unabhängig vom Dekor denken. In diesem Sinne ist auch in der Anlage des Justizpalastes nicht nur der Niedergang tradierter Vorstellungen zu finden sondern ebenso schon der Verweis auf Kommendes. Die Bauten des Historismus sind selbst integraler Teil einer über hundertjährigen Entwicklung, sind die verborgenen Vorboten Le Corbusiers. 9 Emil Kaufmann Von Ledoux bis Le Corbusier; Wien, 1933 S.18
80
Revolution / Autonomie
Unter der Vergangenheit abgeborgten Hüllen ein völlig neuer Geist. 9
Abb Pyramidaenoverlay
81
001 Castle Howard Yorkshire
001 Unknown
82
Revolution / Autonomie
003 Schloss Belvedere
004 Schloss Schรถnbrunn
83
Archetypen (von griech. archetypos „ursprüngliche Muster“) ein Urbild, Zeichen oder Muster, das durch seine ständige Wiederholung und Dauerhaftigkeit als universelles Konzept oder Situation angesehen wird.
84
Archetypen
85
Memorized
86
Sammlung Kuppelbauten Memory spielen auf: www.spatialforces.org 87
Die Verankerung eines kulturellen Vorgangs im kollektiven Gedächtnis der Menschen setzt vor allem die Kombination mit einem Symbol voraus. So entstehen im Laufe der Zeit neben den, dem menschlichen Wesen unterbewusst eingeschriebenen Bildern1, stets neue Abbildungen zivilisatorischen und intellektuellen Fortschritts. Neben der gewollten Verbindung von Symbol und Anspruch existiert parallel ebenfalls deren Generierung durch die Bewertung eines Vorgangs in seiner Rückschau2. Es stehen sich also innerhalb dieses Vorgangs willkürliche und gewollte Kombinationen gegenüber. Die Frage nach einer sinnhaften Verknüpfung zwischen Anspruch und Bild stellte sich neben Anderen auch den Müttern und Vätern der amerikanischen Verfassung. Die Loslösung vom englischen Mutterland und den in der Declaration of Independence formulierten Ansprüchen 3 bedeuteten für die Siedler eine neue Form der Regierung und des Regiert-Werdens. Unter denen, die diesem Anspruch Bildhaftigkeit verleihen sollten, tat sich im besonderen Thomas Jefferson4, der spätere, dritte Präsident der Vereinigten Staaten, hervor. Jefferson formulierte - fragmentarisch zwar - eine amerikanische Architektur, die sich einem römisch orientierten Klassizismus verschrieb 5. Die Symbolisierung des politischen Anspruches wird auf der Ebene öffentlicher Bauten vor allem in der Errichtung des Kapitols in Washington und dessen zahlreicher Epigonen, in den sich neu konstituierenden Einzelstaaten, ablesbar. Neben der Verwendung des Begriffes Kapitol - ein direkter Verweis auf Rom als politisches System - ist vor allem die Kombination der auf den Betrachter wirkenden Elemente des Bauwerks bemerkenswert. 88
Archetypen
Arche_________ 1 vgl. Jung; Carl Gustav; Die Archetypen und das kollektiv Unterbewusste Olten; 1976
2 vgl. Bilder der Konzentrationslager aus alliiertenFlugzeugen. Die im Raster angeordneten Baracken als Symbol für den straff organisierten, arbeitsteiligen Genozid
3 Auszug: We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness. in The United States Declaration of Independence; Washington 1776 4 Thomas Jefferson *02.04.1743 - 04.07.1826 Dritter Präsident der Vereinigten Staaten 1801-1809 5 Kruft, Hanno-Walter; Die Geschichte der Architekturtheorie; München; 1985 S. 397
Es ergibt sich eine Kombination aus Kuppel Giebel und Säule. Diese ist in ihrem Zusammenspiel in erster Linie redundant und weist zurück auf einen idealen Zustand. Mit Hilfe der Aktivierung dieser Archetypen im Zusammenspiel mit dem politisch Neuen, erfolgt jedoch eine Umprogrammierung auf die Werte der amerikanischen Verfassung. Im Bezug auf die Zeichenhaftigkeit des Kapitols, ist vor allem dessen Reduktion auf die geometrischen Grundformen interessant. Neben der Komponente des Erkennens durch Bildung, treten diese archetypischen Formen in den Vordergrund. Sie besitzen den Vorteil für jedermann lesbar zu sein, da sie Symbolen entstammen, die sich tief in der menschlichen Psyche verankert haben. Aus der Trias Kuppel, Giebel, Säule werden Kreis, Dreieck und Linie. Sie symbolisieren die Beheimatung menschlichen Lebens: die Linie - der Stab, das Dreieck - die Bedachung, der Kreis - die Umzäunung. Diese damit verbundene, starke, mythische Aufladung geht nun also in die Gestalt des Kapitolbaus über. In diesem Moment verbinden sich die archetypischen Vorstellungen mit der politischen Realität der Vereinigten Staaten. Das Symbol hat sich gewissermaßen aktualisiert. Aus der gewollten Kombination entsteht ein eigenständiges Ergebnis.
___typen 6 Groys, über das Neue frankfurt am Main, 2004 S.152
Die Dualität des Zeichens rührt daher, dass es eine kulturell valorisierte Seite hat, also etwas bezeichnet, und zugleich ein profanes Ding ist, also nichts bezeichnet. Zu verschiedenen Zeiten wird mal die eine mal die andere Seite aktualisiert. 6 Das Auf und Ab der Bedeutung von Zeichen führt zu deren Wiederverwertung in genuin unterschiedlichem Kontext. So ist die Aufladung profanisierter Zeichen immer deren Aktualisierung im momentanen Kontext. Profanisierte Zeichen bilden für deren inhaltliche Aufladungen einen Container. Sie sind somit potentiell valorisierbar. Die Hürde die hierbei genommen werden muss, ist das Durchbrechen der automatisierten Rezeption des Betrachters. Jefferson gelingt diese Neusetzung der Kuppel-, Giebel- und Säulensymbolik. Die mögliche Wertigkeit des Containers steht, wie in diesem Falle sichtbar wird, in direktem Zusammenhang zur allgemeinen Lesbarkeit des Zeichens. Je näher man sich dem allgemein Unterbewussten nähern kann, desto größer ist die Wirkung des Zeichens. „Ich persönlich fühle, dass Verfremdung überall dort gefunden wird, wo man Form findet. ... Ein Bild ist keine dauerhafte Referenz an die veränderlichen Vielschichtigkeiten des Lebens, welche durch es gezeigt werden. Seine Aufgabe ist nicht, uns dazu zu bringen die Bedeutung eines Objektes zu erkennen, sondern eine besondere Wahrnehmung davon zu kreieren -- es kreiert eine ‚Vorstellung‘ des Objekts, anstatt als bloßes Erkenntnismittel zu fungieren.“7
7 Sklovskij Art of Technique Moskau, in Lodge; Modern Criticism and Theory: A Reader London London, 1988 S.16-30
„Making things strange“ ist die von Viktor Borisoviç Šklovskij formulierte Strategie zur Wiedersichtbarmachung des objektimmanenten Codes, des Blicks hinter die Fassade. Die automatisierte - profanisierte Wahrnehmung eines Zeichens wird aufgebrochen. Der Betrachter erreicht dies durch die Verschiebung der Wahrnehmung. Im Sinne Groys würde wieder ein valorisiertes Symbol sichtbar werden. In der Nachfolge Šklovskijs, in einer Welt die sie durch die Durchdringung der kapitalistischen Ökonomie und der damit verbundenen Profanisierung durch Konsum bedroht sahen, formulierte auch die Situationistische Internationale ihr Konzept der Revalorisierung von Zeichen. Ihr Mittel war das Detournement - die Zweckentfremdung. Die Zweckentfremdung führt nicht nur zur Entdeckung neuer Aspekte des Talents sie muß, da sie frontal mit allen gesellschaftlichen und rechtlichen Konventionen zusammenstößt, als ein mächtiges kulturelles Werkzeug im Dienst eines richtig verstandenen Klassenkampfes zur Verfügung stehen. Ihre billigen Produkte bilden das schwere Geschütz, mit der in alle chinesischen Mauern der Intelligenz eine Bresche geschossen werden kann.8
8 Debord,Wolman, Gebrauchsanweisung für die Zweckentfremdung Paris, 1956 in Gaillissaires Mittelstädt & Ohrt Der Beginn einer EpocheTexte der Situationisten Hamburg, 2008
Es sind die abgelegten Zeichen, die also das Interesse wecken müssen. Je stärker verwurzelt mit dem Unterbewussten, desto besser. denn um so größer ist ihr Effekt. Die sich stetig verringernde Halbwertszeit der Moden produziert sie ohne Unterlass, gibt ihnen Wert und lässt sie fallen. In diesen Kreislauf müssen die Zeichen zurückgeführt werden. Umprogrammiert. Sie sind zeitgenössische trojanische Pferde!
89
90
91
Grotesque 92
Grotesque
„Wir wollten erfahren welche Räume vonnöten sind um dem Betrachter ein bestimmtes Bild zu liefern. Entworfen sind diese Räume aus der Perspektive des Betrachters heraus. Diese Vorgabe bildete die Basis des Experiments, nicht der Grundriss war ausschlaggebend, sondern die Sichtbeziehung.“
93
„Wir betreten den Palais de Justice durch den Haupteingang und erreichen nach wenigen Metern die Salle des pas perdus. Ein gewaltiger Raum tut sich vor uns auf - unendlich. Neben der übertriebenen Größe und Höhe der Halle sind es vor allem die Säulenreihen, hoch in den Ecken gelegen, die uns stutzig machen, uns aufschauen lassen. Hinter ihnen verliert sich der Raum, weitet sich, wird diffus. Was soll das alles?
Statisch gesehen erscheinen sie nutzlos, sie können auch unmöglich Lasten abtragen. Dahinter scheint es aber auch irgendwie weiter zu gehen. Was gibt es dort zu entdecken? Wir müssen dieser Merkwürdigkeit nachgehen, einen Zugang zu diesen Emporen finden! Als wir genauer hinsehen konnten, breitet sich Erstaunen aus. Die vordergründige Tiefe des Raumes entpuppt sich als geschicktes Arrangement mehrerer Schichtungen. Ein konstruierter Raum - nur sichtbar für den Betrachter am Boden - gaukelt uns Unendlichkeit vor. Vor allem unterstützt er den Effekt der gesamten Anlage den Besucher immer kleiner erscheinen zu lassen. Die Betonung der Riesenhaftigkeit, das Verschwimmen der Raumgrenzen, die Infragestellung von Innen und Außen - all das ist uns schon einmal begegnet. Nur Wo? Eine quälende Frage, die Gedanken schweifen ab. Dann schießt es uns durch den Kopf - ja, das ist es! Piranesi! - die mystischen Stiche von düsteren, und halb verfallenen Gebäuden.“ Wieder zurück begannen wir zu recherchieren, studierten seine Zeichnungen. Vor allem die Carceri. Es war verblüffend festzustellen, dass sich hier eindeutige Parallelen feststellen ließen. Die Raumkonfigurationen der Carceri lassen keinen logischen Rückschluss auf Grundriss oder Schnitt zu, sie spielen mit der Illusion. Im Gegensatz zum Innern des Palastes bleiben sie reine Bildarchitektur, besitzen dabei jedoch ein großes räumliches Potential das sich aus dem Erhabenen, dem Labyrinthischen und dem Unendlichen nährt.
Abb Piranesi - Carceri 94
Grotesque
In uns keimte die Idee diesen Prozess der Illusionierung umzukehren. Wir wollten einmal hinter die Kulissen schauen. Wir wollten erfahren welche Räume vonnöten sind um dem Betrachter dieses eine, bestimmte Bild zu liefern.
Entworfen sind die Räume der Carceri aus der Perspektive des Betrachters heraus. Diese Vorgabe bildete die Basis des Experiments, nicht der Grundriss war ausschlaggebend, sondern die Sichtbeziehungen. Wir versuchten einen dieser Räume dreidimensional zu konstruieren, wir wollten ihn verstehen, trotz des Widerspruchs von Perspektive und Grundriss. Das Ergebnis verblüffte - da hatten wir ihn, den Raum ohne Funktion, mit Treppen die im Nirgendwo enden, oder so steil sind und aus so vielen Stufen bestehen, dass man gar nicht erst auf die Idee käme sie zu steigen, mit Bögen, Brücken, Fenstern. Alle stimmig im Bild angeordnet, und doch sinnfrei in ihrem räumlichen Bezug untereinander.
Abb. Photographien Salle des pas perdu
Es wird klar - die von Piranesi gezeichnete Räume stehen im Gegensatz zur Idee des Ganzen, Ganzheitlichen. Sie sind Fragmente des Raumes, sie zeigen dem Betrachter ein Labyrinth, eine Illusion. Die bewertbaren Kriterien von Architektur sind über Bord geworfen, übrig bleibt dabei, jeglicher funktionaler Strenge enthoben, ein reines Objekt.
95
96
Grotesque
Piranesi is psychogeographical in the stairway.1 1 Guy Debord Potlatch II
97
Abb. Perspektive 1 Raumgroteske
Abb. Perspektive 1 Raumgroteske
98
Grotesque
Abb. Perspektive 2 Raumgroteske
99
100
Grotesque
101
enlarge your 102
Enlarge your Building
Building
„Langsam bewegen wir uns in seine Richtung - schätzungsweise noch über einen Kilometer entfernt, doch ist seine Präsenz schon in dieser Entfernung atemberaubend. Als wir auf dem Vorplatz ankommen, werden wir uns zum ersten Mal bewusst, auf was wir uns eingelassen haben. Man neigt dazu einen Gegner, den man nur von Bildern kennt, zu unterschätzen. Wie riesige Schwingen umfassen die Seitenflügel den Platz, führen die Kolonnaden zum gewaltigen Portikus.“
103
Wenn sich uns die Frage nach architektonischer Qualität stellt, dann einigt man sich im Regelfall schnell auf die Formel, dass die eingesetzten baulichen Elemente in ein sinn -und maßvolles Verhältnis zum Nutzer zu setzen seien und, dass sich eine nachvollziehbare Abbildung des kontextuellen Zusammenhanges erschließe. Ein Bauwerk das sich diesem Konsens widersetzt, setzt sich dementsprechend dem Verdacht aus, gegen die humanen Standards der Architektur zu verstoßen.Wenn sich Bauen über den menschlichen Maßstab hinaus bewegt, Ausdruck der eigenen Hybris wird, scheint der Weg des Scheiterns - wie im Folgenden beispielhaft illustriert - vorgezeichnet. Wohlauf, laß uns Ziegel streichen und brennen! und nahmen Ziegel zu Stein und Erdharz zu Kalk und sprachen: Wohlauf, laßt uns eine Stadt und einen Turm bauen, des Spitze bis an den Himmel reiche, daß wir uns einen Namen machen! denn wir werden sonst zerstreut in alle Länder. 1 Das Ergebnis ist hinlänglich bekannt - auf den Versuch des Turmbaus folgt die babylonische Sprachverwirrung und die Zerstreuung der Völker in alle Winde 2. Allein unter architektonischen Gesichtspunkten betrachtet, besteht die Grenzübertretung des Turmbaus vor allem und zuerst einmal in der Tat des „In-den-Himmel-Bauen“. In ihr wird das (falsche) Streben der Menschen nach Gottgleichheit - symbolisiert durch den Turm - gegenwärtig. Doch vor allem auf einer weiteren, zweiten Ebene geschieht das Übertreten der Norm - es ist die Verknüpfung zwischen dem Streben nach mehr und dessen Abbil Es ist die Generierung eidung. nes Images - das „sich einen Namen machen“. Die Verknüpfung von Anspruch, der über sich selbst hinausgeht und dessen baulicher Entsprechung, generiert eine Differenz zwischen eigenem Selbst und der Vorstellung. Ausdruck und Produzent dieses Scheins wiederum ist die Größe. Fehlt diese Differenz in der Bewertung, regiert also der reine Nutzen, muss sich das Gebaute nicht mit dieser Art der Kritik auseinandersetzen. Zwischen einem Bauwerk reiner Funktionalität und einem Repräsentationsbau besteht folglich ein Bewertungsunterschied. Funktionsbauten entsprechen der Ebene des reinen Seins und sind somit über jede Kritik aus dieser Richtung erhaben. Doch auch innerhalb der Repräsentationsbauwerke ist eine Unterscheidung zu tätigen, die Zurschaustellung scheint legitim, wenn sie einen Verweis auf die transzendente oder 104
Enlarge your Building
1 Moses 11,1-5
2 Moses 11.9 daher heisst ihr Name Babel, dass der Herr daselbst verwirrt hatte aller Länder Sprache und sie zerstreut von dort in alle Länder.
göttliche Sphäre tätigt. So ist die Größe eines Tempels oder einer Kirche ein Zeichen der Verehrung. Sie entstehen mit dem Verweis auf eine höhere Sphäre und stellen im Sinne der verbrauchten Energie und Ressourcen Opfergaben dar. Darüber hinaus sind es Bauwerke, die wenn nicht für die Allgemeinheit betretbar, so doch in ihrem Namen erbaut worden sind. Es gibt also nur einen Weg, sich seiner Verurteilung zu entziehen - sich also monumental zu verewigen und dabei trotzdem den Anspruch auf Akzeptanz zu erhalten. Dieser besteht in der geschickten Verknüpfung der Symbolisierung von eigener Macht mit einem, der Allgemeinheit verbundenen, Versprechen. 3 3 als Bsp. der Justizpalast in Brüssel,mit dem der belg. König Leopold II. es auf geschickte Weise verstand sich unter dem Mantel der Justiz ein eigenes Denkmal zu setzen.
Beispielhaft für diese besondere Kombination entsteht Ende des 19. Jahrhunderts in Chicago eine neue Typologie - das Bürohochhaus. Let us state the conditions in the plainest manner. Briefly, they are these: offices are necessary for the transaction of business; the invention and perfection of the high speed elevators make vertical travel, that was once tedious and painful, now easy and comfortable; development of steel manufacture has shown the way to safe, rigid, economical constructions rising to a great height; continued growth of population in the great cities, consequent congestion of centers and rise in value of ground, stimulate an increase in number of stories; these successfully piled one upon another, react on ground values and so on, by action and reaction, interaction and inter reaction. Thus has come about that form of lofty construction called the „modern office building“. It has come in answer to a call, for in it a new grouping of social conditions has found a habitation and a name.
Louis Sullivan 4 Ausschlaggebend hierfür war die Einführung des Fahrstuhls, die zunehmende Verdichtung der Zentren, die Bevölkerungszunahme und die Verteuerung des Baulandes. Die Geburtsstunde des modernen Bürogebäudes ist ver4 The tall office building artistically considered in Sullivan: Kindergarten chats and other writings New York, 1979 S.202
bunden mit dem Versprechens nach einer menschenwürdigen und angemessenen Beschäftigung der Massen. Aus dem ungelernten Arbeiter entwickelt sich der Angestellte und aus der einst prekären Situation, wird die Planbarkeit des Lebens. Es entstehen die moderne Freizeitgestaltung und der Massenkonsum. Die Symbolisierung von Göttlichkeit oder einem politischen Ideal ist der Sichtbarmachung des gesamtgesellschaftlichen Fortschritts gewichen. Die Größe hatte sich demokratisiert. Die Bauten, die sich nun in den Himmel bewegen, sind die positiven Symbole dieses Vorgangs - die adäquaten Formen ihrer Zeit - rational, wirtschaftlich optimiert und zukunftsorientiert. Es entstand ein genuin amerikanischer Typus - der amerikanische Traum hatte seine bauliche Entsprechung erhalten - war Bild geworden
Abb. Guaranty Building (18941896) Buffalo, NY
Abb. Gustave Doré The Confusion of Tongues 1865
Die grundsätzlich positive Wirkung des Hochhauses beschleunigte sei105
nen Export in die restliche Welt. Einen vorläufigen Endpunkt und beispielhafter Ausdruck dieses Vorgangs stellt die Entwicklung in den Vereinigten Arabischen Emiraten, insbesondere im Emirat Dubai dar. Das ölreiche, aber an Symbolen arme Land sollte stellvertretend für die gesamte Golfregion den Aufbruch in die Zeit nach dem Versiegen der Ölvorkommen vollziehen. Mit einer Mischung aus Tourismus und Finanzdienstleistung - gestärkt durch die Etablierung einer niedrigen Besteuerung und Freihandelszonen - schien man ein probates Mittel gefunden zu haben. Beispielhaft für den Wandel des Landes steht die Entwicklung im Immobiliensektor. Innerhalb der vergangenen zwanzig Jahre wurden zahlreiche Vorhaben realisiert, die durch ihre schiere Größe und Einzigartigkeit auch international eine breite Bekanntheit erfuhren 5. Die Strategie Dubais orientierte sich dabei an dem was Georg Franck unter dem Begriff der „Aufmerksamkeitsökonomie“ subsumierte. Mit einer, alles Andere in den Schatten stellenden, medialen Präsenz, sollte die Vitalität des Handelsplatzes Dubai in Szene gesetzt werden.
5 Burj al Arab, 1999 The Pal Islands, 2001 The World Dubai, 2003 Atlantis Hotel, 2008 6
Abb. Fata Morgana Dubai
7 OMA; Dubai Renaissance Dubai; 2006 http://www.oma.eu/
Die offizielle Notierung des Kurswerts eines persönlichen Franck Kapitals ist die Präsenz der Person in den Medien. Die AufDie ökonomie der Aufmerklagenhöhen und Einschaltquoten belegen schwarz auf weiß samkeit TU Wien , 1993 das Einkommen der präsentierten Personen. Die mediale S. 754 Präsenz der Person selber, nach Dauer und Präsentationsfläche gerechnet, mißt die Investition, die das Medium einsetzt. Der Umfang dieses Einsatzes drückt den Erwartungswert aus, den die attraktive Kraft der Persönlichkeit für das Medium hat. Das Verhältnis dieses Erwartungswerts zum Erfolg der Attraktion ist ökonomisch kein anderes als das zwischen Aktienkurs und Betriebsergebnis.6 Dieses Vorgehen führte zu einer Umwertung des Gebauten in reine Bildarchitekturen. War der Bau eines Bürohochhauses zu Zeiten Sullivans noch stark mit der Notwendigkeit des zu erweiternden Platzangebotes verknüpft, hatte sich in Dubai das Bild verselbständigt. Die dutzenden Türme die in den vergangenen Jahren aus dem Wüstenboden wuchsen, hatten ihre Bedeutung für den Markt, mit dem Zeitpunkt ihrer Fertigstellung, schon längst getätigt. Man erwarb kein Bauwerk, keine Etage mehr, man kaufte Bilder. Und man kaufte sie vor allem, um sie so schnell wie möglich wieder zu verkaufen. Das zwangsläufige Ende dieser Entwicklung - das höchste Gebäude der Welt - ist mittlerweile erreicht. Es ist der Im Jahre 2010 fertiggestellte, 828 Meter hohe, Burj Chalifa. Die Situation, die dabei entstanden ist, erscheint bemerkenswert. Konzipiert als Landmark-Architekturen, kann es im Schatten des Burj keinem anderen Bauwerk mehr gelingen seine ursprüngliche Funktion zu erfüllen. Ihre eigenen Identitäten verkümmern im Angesicht des Höheren - sie gehen auf in einem Meer der Gleichförmigkeit. Die Reduzierung der Einzigartigkeit auf die Höhe der z-Achse schafft schlussendlich immer nur einen Einzigartigen. Die Konsequenz, mit der man auf das Bild setzte, trug zur Entwertung des Realen bei. Die Wünsche und Vorstellung die man an die Bilder knüpfte, waren im wahren Leben nicht konkurrenzfähig. „Das sich einen Namen machen“ führte zu einer Relativierung des Großen, der Gewaltigkeit und der Höhe. Im Wettlauf um die maximale Aufmerksamkeit, ist die Halbwertszeit schon soweit verringert worden, dass die echten Produkte, zum Zeitpunkt ihrer Fertigstellung, schon nicht mehr dem Stand der Erwartungen entsprechen.
„So far, the 21st century trend in city building leads to a mad and meaningless overdose of themes, extremes, egos and extravagance. What is needed is a new beginning, a Renaissance… Dubai is confronted by its most important choice: Does it join so many others in this mad, futile race or does it become the first 21st century metropolis to offer a new credibility?“7
106
Enlarge your Building
107
Gate/Bangkok 2011
108
Enlarge your Building
Pyramide/Dubai 2011
109
Sphere/New York 2011
110
Enlarge your Building
Abb. 1 Étienne-Louis Boullée Leergrab für Newton Frontalansicht
Abb. 2 Étienne-Louis Boullée Pyramidenförmiges Grabmonument mit Säulenportikus in der Zugangsnische
Abb. 3 Étienne-Louis Boullée Stadttor mit hufeisenförmigen Durchgang
111
112
„Sein Traum, den Justizpalast auch noch mit einer Pyramide zu krönen, erfüllte sich nicht.“ 1
1 Joseph Poelaert aus Ursula Muscheler: Die Nutzlosigkeit des Eiffelturms Beck, 2008 Abb. Montage der Originalansicht
113
Jetzt, da der gewaltige Medienrummel die Schöpfung in all ihren Formen erschüttert,was bleibt noch übrig vom Begriff des „Werks“? 1
Der Übergang von der Qualität gebauten Raumes in die Qualität der Bilder beschleunigt sich zunehmend. Die Reduktion auf das Bildhafte, schafft die Basis für die Marginalisierung des Realen. Das Gebaute - das Werk - erscheint zu träge um den sich im täglichen Staccato transformierenden und aktualisierenden Medienzyklen zu folgen.
1 Virilio Panische Stadt Wien; 2004 S.36 5 ebd. S.34
Dass diese Hierarchisierung auch in ihr Gegenteil verkehrt werden kann, zeigt sich beim Blick auf die Werke Etienne Louis Boullées. In ihnen wird Architektur vor allem als Bild wahrgenommen, dieses jedoch in finaler Konsequenz - die Brücke zur Realität scheint abgebrochen. In ihrer völligen Überhöhung der Bauwerke versuchen die Tafeln nicht eine baubare Alternative abzubilden, sondern - um es mit den Worten Boullées zu sagen: „mettre en oeuvre la nature“ - die In-Werk-Setzungder-Natur 2. 2 vgl. Boullée Architektur, Abhandlung über die Kunst Zürich/München; 1987 S. 28
114
Enlarge your Building
Im direkten Bezug zur momentanen Situation, stellt diese Deutung einen fundamentalen Gegensatz dar. Das Bild ist nicht das zeitgenössische Image des Wirklichen, sondern verweist durch seinen Inhalt auf eine allgemeine Konstante, die Natur und zuletzt auf den Menschen selbst. Dies geschieht auf zweierlei Arten - mit der Verlängerung des architektonischen in die Natur hinein und dem Prinzip des Erhabenen. Ersteres soll die Flüchtigkeit natürlicher Situationen in Architektur
binden, sie manifestieren. Die Erhabenheit, als Kontrast zur Erfahrung des Schönen, konfrontiert den Menschen mit seiner eigenen Endlichkeit im Angesicht des Unendlichen und Maßlosen der Natur. 3 Diese Absicht verbindet Boullée mit reinen, auf stereometrische Grundformen reduzierten, Körpern. In ihrer endgültigen Reduktion werden sie zu maximalen Monumenten verbunden mit maximalem Raum. Doch verfolgen diese Bauwerke keinen Selbstzweck, sie sind der Grund vor dem sich die Menschen versammeln, im Zirkus, in der Oper, in der Nationalbibliothek. Boullées Werke sind auch die Ereignisse die er schafft. Diese Verbindung zwischen dem Monument und dem Ereignis finden wir auch bei Gottfried Semper wieder. Eine monumentale Architektur ist in Sempers Sinne immer auch eine bewegliche Architektur - sie ist Träger und Spiegel der Kultur. Der Festapparatus, das improvisierte Gerüst, mit all dem Gepränge und Beiwerke welches den Anlass der Feier näher bezeichnet und die Verherrlichung des Festes erhöht geschmückt und ausgestattet, mit Teppichen verhangen, mit Reisern und Blumen bekleidet, mit Festons und Kränzen, flatternden Bändern und Trophäen geziert, dies ist das Motiv des bleibenden Denkmals, das den feierlichen Akt und das Ereigniss das in ihm gefestet ward den kommenden Generationen
fortverkünden soll. So ist der ägyptische Tempel aus dem Motive des improvisierten Wallfahrtsmarktes entstanden, der gewiss sehr häufig noch in späterer Zeit in ganz ähnlicher Weise aus Pfählen und Zeltdecken zusammengeschlagen wurde, wo irgendein Lokalgott dem noch kein fester Tempel erbaut war in den Geruch besonderer Wunderthätigkeit kam und die wallfahrenden Fellahs Altägyptens in unerwartet zahlreichen Zügen zu seinem Feste herbeilockte.4
tur - des eigenen Selbst und auf der anderen Seite durch das Fest, die Erfahrung eines Miteinanders, des Zusammenschlusses von hohen und niederen Sphären. Hierin sind diese Konzepte ein Appell für Gesellschaft und Gemeinschaft, in Verbindung mit dem Natürlichen.
Maßverhältnisse, die unser Bild von Monumentalität beherrschen, muss sie verstanden werden, sondern als Orte, die Ereignisse, Situationen und Bewegung produzieren. Basis für das selbst-sein und nicht des bloßen Betrachtens - Architekturen als Bühnen des Alltäglichen.
Sie weisen auf den Ursprung des Menschen, der Kultur und des Bauens hin. Eine Übersetzung dieser Grundsätze auf die heutige Zeit verweist auf ein anderes VerständBeide hier skizzierten Ansätze setzen nis des Begriffes Monumentalität. das Monument gezielt in Oppositi- Nicht im Sinne relativer Größen und on zu einer Architektur des reinen Bildes. Dies geschieht auf der einen 4 Seite durch die Erfahrung der Na- 3 Köppler Sinn und Krise moderner Architektur Bielefeld; 2010 S. 69 "Boullée versucht die ästhetischen Sinnmomente des Erhabenen und der Schönheit der Natur, in Bildern des Sommers, des Herbstes etc. in das architektonische Werk zu verlängern, wodurch in dieses Werk deren Bedeutung selbst eingehen soll und dauerhaft würde, was sich als nur flüchtige Erscheinung in der Natur selbst zeigte."
Semper; der Stil in den technischen und tektonischen Künsten, oder praktische Ästhetik. Ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde, 2Bde. Erster Band; Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst Frankfurt am Main; 1860 S.269
Heute, wo die Übermacht der Massenmedien alle Vorbilder und Muster in Echtzeit einholt, kann das Ereignis einzig ein Kontinuitätsbruch sein, ein unzeitgemäßer Unfall, der die Monotonie einer Gesellschaft durchbricht, in der die Gleichschaltung der Meinungen geschickt die Standardisierung der Produktion ergänzt. 5
115
„ Form folgt n i c h t Funktion. Form entsteht nicht von selbst. E s ist die grosse Entscheidung des Menschen, ein Gebäude als Würfel, als Pyramide oder als Kugel zu machen.“
a
a Hans Hollein 116
117
Ansicht Justizpalast von der Rue aux Laines - Wolstraat
118
Ansicht hinduistischer Tempel aus: Living Architecture: India 1969
119
120
Salle des pas perdus - 64 Stills
121
Eismeer Caspar David Friedrich (1774–1840)
122
Dachlandschaft Justizpalast
123
Les CathĂŠdrales artist unknown, 1929
124
„Ein Eklektiker ist ein Philosoph, d e r V o r u r t e i l , Tr a d i t i o n , Altehrwürdigkeit, allgemeinen Konsens, Autorität und alles, was sich der Massenmeinung unterwirft, niedertrampelt... der nichts, was nicht durch Erfahrung oder Vernunft überzeugt, a k z e p t i e r t . . . u n d d e r, ohne Ansehen der Person, von allen Philosophien, die er analysiert hat, unvoreingenommen seine eigene Philosophie ableitet, eigens für sich selbst.“ von: Denis Diderot (*1713 +1784) 125
126
127
symbol muster ornaProjekte / What happened to BoulĂŠe? Symbol, Muster, Ornament 128
129
ment
„Es wäre großartig für unsere ästhetischen Belange, wenn wir für ein paar Jahre vollständig auf die Verwendung von Ornament verzichten würden, so dass sich unsere Gedanken auf die Produktion von Gebäuden konzentrieren könnten, die wohl geformt und schön in ihrer Nacktheit sind. [...] Haben wir diesen Schritt unternommen, könnten wir aus der gewonnenen Sicherheit heraus untersuchen, in welchem Maße eine dekorative Verwendung von Ornament die Schönheit unserer Gebäude betonen würde - welchen neuen Reiz sie „Vorwärts zur Tradition! Das Orihnen geben nament ist tot! Lang lebe das Ornament!“ Mit dieser Formel umschrieb würde.“ Bauhaus Gründer Walter Gropius 1
1 Louis H. Sullivan Ornament in Architecture Chicago, 1892
130
Symbol, Muster, Ornament
den Anspruch an eine Lösung der Ornamentfrage. Die Ablehnung des Alten machte die Entwicklung eines neuen Ornamentes vonnöten, ein Schritt den Gropius begrüßt und der im Gegensatz zur allgemeinen Lesart durchaus einen positiven Bezug der Modernen zum Ornament offenbart. Doch die Ablehnung des unehrlichen und applizierten Ornaments des Historismus und der Gründerzeit führte in ihrer Entwicklung nie wieder zu einer allgemein anerkannten Formensprache des ornamentalen. Ganz im Gegenteil - das Ornament als integrale Bestandteil der Architektur drohte komplett zu verschwinden.
Mittlerweile hat es wieder zurückgefunden in die Diskussionen rund um Architektur, doch wie dauerhaft die Begeisterung die ihm entgegenschlägt sein wird, bleibt abzuwarten. Ornament als Interface Und sodann kommt durch die Anpassung an die Funktion der Bau zu einer weit größeren und besseren inneren Einheit, er wird organischer, indem er die alten Konventionen und Formalismen der Repräsentation verlässt, die ebenso viele Hemmungen bei dem Zustandekommen der notwendigen Gestalt sind. Adolf Behne Der moderne Zweckbau
Bei der so genannten Rückkehr des Ornaments in den Kontext der Architektur kann von einer neuerlichen Zäsur keine Rede sein. Während sich das klassische Ornament durch eine symbiotische Verbindung von Form und Struktur auszeichnete ist das Ornament unserer Zeit vor allem eine architektonische Gehhilfe, welche die verloren gegangenen erzählerischen Aufgaben übernimmt, die ein funktionalistischer Bau in diesem Maße nicht zu leisten imstande ist. An der Konfiguration der Elemente ändert sich durch dieses Applizieren in erster Linie nichts - aus einer minimalistischen Kiste wird hierbei eine minimalistische Kiste mit ornamentaler Hülle. Das was uns als neues Ornament verkauft werden soll, ist in Wahrheit nicht mehr als ein dekoratives Muster. In dieser Funktion gefangen, kann uns selbst die ausgefallenste Medientechnik nur deren eigenen Status Quo vermitteln - ihr Effekt verpufft in der Selbstreferenzialität. Die sich bereits abzeichnenden Entwicklungen innerhalb der Produktion von Architektur - computational design, scripting
tools, mass customization - werden in naher Zukunft jedoch dazu führen, dass sich deren Erscheinungsbild ändern wird. Schon heute zeigen sich Ansätze Hülle und Struktur eines Gebäudes als systemisches Ganzes zu denken, und auch im architektonischen Sinne ganzheitlich zu behandeln. In diesem Zusammenhang scheint auch im Bezug auf die Behandlung des Ornaments eine Neuorientierung angebracht.
DECORATE, DECORATE!
Die überschüssige Energie (der Reichtum) kann zum Wachstum eines Systems (zum Beispiel eines Organismus) verwendet werden.Wenn das System jedoch nicht mehr wachsen und der Energieüberschuß nicht gänzlich vom Wachstum absorbiert werden kann, muß er notwendig ohne Gewinn verlorengehen und verschwendet werden, willentlich oder nicht, in glorioser oder in katastDie Chance die in diesem Prozess rophischer Form. liegt, ist die Re-Integration des OrGeorges Bataille naments als lebendiges Teil des Die Aufhebung der Ökonomie architektonischen Komplexes. Wie die Naht in der Südseehütte Sempers, die gleichsam Ausdruck von Die Debatte um die Renaissance des Technik und der Kunstfertigkeit Ornaments ist eine Scheindebatte, des Menschen ist, sich mit der Zeit die am Wesen des Ornaments vorauch zum schmückenden Orna- beigeht - sie mäandert zwischen der mentalen wandelt, so muss sich baulichen Manifestation von Marauch ein neu gedachtes Ornament kenidentitäten und dem Einsatz als aus der Verbindungslogik der Teil- leistungsfähiger ästhetisch-technischer Schnittpunkt. Dabei birgt ein systeme entwickeln, denn es sensiblerer Umgang mit dieser Thekann nichts Appliziertes sein. matik die Chance den Kosmos der Die Kombination von Form, Ma- Architektur wieder um einen wesentterial und Struktur in einem Denk- lichen Aspekt zu bereichern. prozess macht das Ornament zu einem leistungsfähigen Bestandteil Im Gegensatz zum anhaltenden Opdes Bauens. Die Ästhetik die sich timierungsdrang bildet sich nämlich aus dem Prozess generiert - ein der inhaltliche Kern des Ornaments Zusammenspiel von menschli- aus dessen genauem Gegenteil. Er ist chem Entwerfergeist, algorithmi- in hohem Maße unökonomisch - es scher Logik und den spezifischen ist Verschwendung. Diese EinschreiFähigkeiten der Materialien - bildet bung des mehr als Notwendigen entsteht zwangsläufig - die geselldessen Basis. In diesem Komplex bildet das schaftliche Entwicklung schreitet Ornament wieder die natürliche voran und wandelt die zeitgenössiSchnittstelle zwischen allen Fak- schen Produkte in Zeichen der Vertoren - es vermittelt zwischen gangenheit, in Abfallprodukte des Ratio und Emotion und zwischen Fortschritts. Mensch und Technik. Das Ornament hat sich zum performativen Der Bruch mit diesem Formalisierungsprozess und dessen ÜberfühSymbol erweitert. rung in den stetigen Wandel vollzieht sich anschaulich in Le Corbusiers Schema des Maison Domino. In seiner Fokussierung auf die maximale Flexibilisierung der Nutzung, das Nur-Nützliche wird der Versuch
sichtbar, sich dem Kreislauf des Bedeutungswandels zu entziehen oder ihn zumindest stark zu verlängern. In seiner Gänze gelingt dieser Versuch jedoch erst mit der Etablierung medial nutzbarer Fassaden, die den steten Wandel auch in der Hülle thematisieren. Die Überführung der Bauten und der Bauteile in das Ornamentale wird hierbei unterbrochen. Die Funktion und Deutung changieren ständig - in einem fortschreitenden Opportunismus befreit man sich von allem unnötigen Ballast, erfindet sich ständig neu.In diesem System ohne Redundanzen kennt man kein Innehalten, keine Kontemplation - die Vergangenheit und deren Reichtum sind verschwunden. Einen Gegenpol zu dieser Entwicklung stellt nur das wirklich Ornamentale dar. Nicht nur in der Architektur, aber in der Architektur im besonderen - dienen Bauwerke doch bis dato als Speicher unserer Kultur im Alltäglichen. In der Anreicherung des Nur-Nützlichen mit Elementen des Überflusses, des Grundlosen, des Exzessiven zeigt sich ein Ausweg. Diese Maßnahmen haben keinen Wert - sie sind ein Wert an sich. Sie illustrieren den Weg des Menschen, den Gang durch die Geschichte. Sie produzieren in ihrem Reichtum, ihrem Überfluss, ihrer Verschwendung ein Sich-Selbst-Bewusst-Werden.
131
Idee Bilder waren immer auch Abbilder des Realen. Unter Zuhilfenahme digitaler Werkzeuge scheint sich diese Verbindung Stück für Stück aufzulösen. Bilder sind nicht mehr nur Ab-Bilder sondern formulieren ihre eigene Logik. Bilder sind in unserer heutigen Welt omnipräsent. Doch mit dieser Häufung an Information findet gleichzeitig auch eine Verringerung des Interesses am einzelnen Bild statt. Der Prozess der Verselbständigung und Beschleunigung der Bildproduktion führt zu einer zunehmenden Abwertung des realen Raumes. Es erscheint verlockend diesen Prozess zu manipulieren, oder ihn sogar umzukehren. Das flüchtige Bild festzunageln und mit Hilfe seiner ihm eigenen Logik ein dreidimensionales Ornament zu kreieren.
132
Symbol, Muster, Ornament
ephemer
> BILD + PROCESSING + RHINO > fest
133
PROCESSING Mit Hilfe des Skripts vollzieht sich die Transformation des flachen Bildes in die Dreidimensionalität des Screens. Über eine Verschiebung der Pixel innerhalb des fiktiven Raumes des Bildschirms wird der, über die Webcam eingefangene, Input räumlich verzerrt. Der Betrachtungswinkel ist dabei frei wählbar und macht die neue Dimension der Bilder aus unterschiedlichen Perspektiven erlebbar.
134
Processing
135
Tool Ein zufälliges Bild dient als Grundlage der Verräumlichung. Mit Hilfe einer feinkörnigen Iteration werden die Pixel des Bildes entsprechend dem gewählten Analyseprinzip (beispielsweise Helligkeit oder Farbwerte) ausgewertet.
Dreidimensionalität Gemäß der Ergebnisse aus der Analyse werden die für die Iteration verwendeten Punkte aus der Fläche in den Raum verschoben.
136
Rhino
Selektion Die verschobenen Punkte werden durch Kurven dritten Grades miteinander verbunden. In einem Selektionsverfahren wird die Krümmung der Kurven an den Positionen der Punkte zunächst analysiert und anschließend nur die Punkte ausgewählt, an denen die Krümmung einen bestimmten Wert übersteigt. Die resultierenden Punkte befinden sich an den Extrempunkten und geben so der Dreidimensionalisierung ihren Rahmen.
Triangulation Aus den ausgewählten Punkten wird mit Hilfe der Delaunay-Triangulation ein Dreiecksnetz gebildet, das in einer ersten Annäherung bereits die dreidimensionale Abbildung des Bildes darstellt. In einem rekursiven Prozess werden einzelne Flächen des Netzes entsprechend der Informationsdichte des zugrundeliegenden Bildes weiter unterteilt und mit kleineren Dreiecken besetzt. Dieser Prozess kann zu Verfeinerungszwecken beliebig oft wiederholt werden.
137
138
Rhino
Ergebnis In einem letzten Schritt wird, entsprechend der Position der erzeugten Flächen, der Farbwert des Bildes ermittelt und den Flächen zugeteilt. Die farbige Struktur entspricht nun dem dreidimensionalen Abbild des Ausgangsbildes. Durch den Prozess ist ein Abstraktionsgrad erreicht worden, der ohne die Kenntnis des Inputs keinerlei Rückschlüsse auf die eigentliche Bildinformation zulässt.
Produktion Die Struktur entfaltet ihre Wirkung somit ausschließlich über ihre Geometrie und Farbigkeit und bietet so dem Betrachter die Möglichkeiten der freien Interpretation. (siehe Text Verhüllung)
Nach einer groben Unterteilung der Struktur in Produktionsgruppen werden die Flächen im Verbund mit Hilfe eines Algorithmus abgewickelt, nummeriert und mit Klebelaschen versehen. Von einem Schneidplotter werden die Flächen zunächst bedruckt, dann entsprechend der Knickrichtung gerillt und anschließend ausgeschnitten.
139
140
Symbol, Muster, Ornament
141
142
Symbol, Muster, Ornament
143
ruinieren Projekte / What happened to BoulĂŠe? Ruinieren 144
„In Brüssel wird die Frage nach mehr Raum für den steigenden Platzbedarf der Exekutive mit einem weiteren Umbau des Justizpalastes beantwortet. Doch werden diesmal die Interessen des Denkmalschutzes außen vor gelassen. Zu groß sind die Sachzwänge die die städtische Dichte erzeugt. Argumentiert wird mit der sinnigen Verbindung von Alt und Neu.“ 145
DEGENERATION „In der Medizin spricht man bei Veränderungen formaler, struktureller oder funktioneller Art von Degeneration. Diese geht üblicherweise mit einer Leistungseinschränkung einher.“
SYMBIOSE -
„Symbiose bezeichnet die Vergesellschaftung von Individuen unterschiedlicher Arten, die für beide Partner vorteilhaft ist. Bei Symbiosen zwischen Lebewesen, die sich durch ihre Größe erheblich unterscheiden, bezeichnet man den größeren Partner oft als Wirt, den kleineren als SymWie in der Medizin, so treten auch in der Architektur biont.“ Degenerationsprozesse auf - formal, funktional und strukturell. Das langsame Aufgeben der ursprünglichen Funktion verändert den Bestand, weicht ihn auf. Die Funktionen wandeln sich immer mehr, ohne dass Um diesen schwelenden Konflikt aufzuheben, erdies Änderungen in der Form oder baulichen Struktur scheint es folgerichtig, dass durch einen kontrolnach sich ziehen würden. lierten Eingriff in der geschwächten Struktur etwas Die Form ist wesentlich träger, als die mit ihr verknüpf- Neues etablieren muss, um zur Stärkung des Ganzen te Funktion und ist, solange sie sich als ausreichend beizutragen und dem schleichenden Degenerationsanpassungsfähig erweist, die ungleich stärkere Kom- prozess entgegenzuwirken. ponente der beiden. Durch diesen Vorgang kommt Die geplanten Verbindungen von alter Struktur und es zu einer schleichenden Entfremdung von Form und neuen Funktionen, greift jedoch weiterhin nicht in Funktion. Die Form ist nur noch die reaktionäre Hülle Form und Struktur des Bestehenden ein, da dieses der sich ändernden Funktionen. noch immer einen repräsentativen Wert an sich darstellt. Es kommt zur Überlagerung zweier Systeme, die dadurch synergetische Effekte nutzen können. Diese Konfiguration kann sich zu einer dauerhafte Bereicherung von Wirt und Symbiont entwickeln. Die temporären Konfigurationen werden in diesem Falle verfestigt.
146
Ruinieren
MUTATION -
ZERSETZTE RUINE -
„Die Mutation als biologischer Begriff beschreibt eine dauerhafte Veränderung des Erbgutes innerhalb eines Organismus.Ausgehend von den Erbinformationen einer einzelnen Zelle, überträgt sich die Veränderung auf ihre Tochterzellen und kann somit zu positiven, negativen aber auch keinen Veränderungen in der Erscheinung führen.“
„In der [...] Struktur wird die Zeit sichtbar, in der etwas zur gleichen Zeit vergangen und gegenwärtig ist, das Abwesende im Anwesenden nicht passiv als Vergangenes oder Vergehendes verharrt, sondern schöpferisch wird, sich im Gegenwärtigen realisiert.“
Bei einem ungleichen Verhältnis zweier Funktionen, kann es passieren, dass sich der Symbiont auszudehnen beginnt. Der Symbiont wird Mutant und übernimmt als nun leistungsfähigeres System immer weitere Teile der Struktur. Es wird der Punkt erreicht, an dem die Neubesetzung im Inneren der alten Struktur großflächig sichtbar wird. Die punktuellen Installationen mit fester Nutzung verfestigen sich zu Clustern, deren Nutzung sich zu verändern beginnt. Die Form erzählt zu diesem Zeitpunkt nicht mehr die Geschichte seines Innenlebens, das sich bereits transformiert hat. Neue Funktionen und Einbauten kommen hinzu und vitalisieren den Mutanten, was eine Kettenreaktion in Gang setzt. Die alte Struktur wird von nun an, Stück für Stück, dem Verfall preisgegeben.
Die Entwicklung hat an diesem Punkt ihr Ende gefunden. Die Ruine ist zu einem dauerhaften und fortschreitenden Zustand geworden, funktionslos und unbesetzt, bildet sie das ergänzende Gegenüber des zum Bauwerk gewordenen Parasiten. Durch diesen Prozess übernimmt das Neue die identitätstiftenden Eigenschaften und die Geschichtlichkeit des Alten und fügt sie - diese ständig transformierend - seiner eigenen Erscheinung zu. Die Überreste oszillieren dabei zwischen einer romantischen Sehnsucht und der künstlichen Ruine des Landschaftsgartens. Von letzterer unterscheidet sie sich jedoch durch die, in Kombination mit dem Neuen, provozierte Zersetzung und andauernde Verortung in einem Zustand des Übergangs. Und auch einer romantischen Vereinnahmung begegnet sie, durch das Fehlen jeglichen Bezugs zu einem früheren Idealzustand. Das neue, gleichfalls artifizielle Volumen verwischt durch den Vorgang der Neubesetzung des Alten, die Grenzen zwischen Geschichtsidealisierung auf der einen, und der Fixierung auf ein jenseitiges Heilsverspechen.
147
DIE ZERSETZTE RUINE...
148
ist das Ergebnis einer Vergiftung. ist ein Abfallprodukt. ist überflüssig. ist nicht totzukriegen. ist ein Ort des Übergangs. ist nicht fassbar. ist beweglich. ist Anti Architektur. speichert Situationen. konzentriert Verfall. produziert Überfluss. ist maximale Freiheit. Ruinieren
149
150
Ruinieren
151
152
Ruinieren
153
154
Ruinieren
PLÄDOYER FÜR DEN VERFALL -
Den Verfall zuzulassen, heißt Geschichtlichkeit zu akzeptieren. Die Architektur kann die Vergänglichkeit nicht negieren, sie muss stattdessen den Umgang mit ihr lernen und sie für sich in Anspruch nehmen. Das sich Bewusst werden des Alterns, ist ein Gewinn für das Bauen. Was ist ein Bauwerk, dass keine Nischen, keine Reibungsfläche, keine unbesetzten, weil gealterte Flächen bietet? Ein Bauwerk, das seinen anfänglichen Idealzustand konserviert, kann von nichts, außer von sich selbst erzählen. Das Fortschreiten der Zeit produziert den Übergang des einstmals Idealen hin zum Gebrauchten. Das Imperfekte als Patina der Vergänglichkeit! In die Reinheit und Makellosigkeit haben sich die Geschichten der Menschen eingeschrieben und sind dadurch lesbar geworden. Das Fehlerhafte und Verschlissene rückt in den Fokus. Die Zersetzung des Idealen produziert Verschiedenheit. Ein Archipel unterschiedlicher Möglichkeiten in einem einzigen Komplex. Das Bauwerk wird Spiegel der Geschichten seiner Nutzer.
155
156
Interview
157
1. „Ihr habt einen ungewöhnlichen Ansatz - im Jahre 2011 ein Gebäude zum Thema einer Arbeit zu machen, dessen Erbauung 130 Jahre zurückliegt. Ihr seid doch keine Architekturhistoriker, woher kommt diese Nostalgie? Wulf: Von Nostalgie kann gar keine Rede sein. Ganz im Gegenteilsindwirdavonausgegangen,dasssichgewisse Parallelen zwischen dem heutigem „anything goes“ und dem historistischen Stilverständnis aufzeigen lassen. Die Frage ist doch, was kann man aus einem Gebäude lernen, das den Gedanken des modernen Bauens scheinbar diametral gegenübersteht? Außerdem ging es uns um die Entdeckung eines alternativen Fundus an architektonischem Vokabular, das während unseres Studiums komplett ausgeklammert war! Max: Richtig, doch vor diesen Überlegungen stehen für mich vor allem noch die schwer erklärbare Faszination und die Möglichkeitsvielfalt, die wir von Anfang an mit dem Palast verbunden haben. Ich erinnere mich noch gut an den Abend, an dem Carsten uns von seiner ‚Television‘ erzählt hat. Nachts war ihm der Justizpalast erschienen: das größte Gebäude des 19. Jahrhunderts, mitten in Brüssel, super historistisch, Geschichten von verloren gegangenen Angestellten, Plünderungen, widersprüchlich, irrational, extrem präsent und für uns kaum fassbar. Das macht doch Faszination aus - wir wollten weg von der reinen Entwurfsaufgabe um unsere Erfahrungen reflektieren und verwerten zu können - und außerdem konnte sich jeder von uns mit seinen persönlichen Vorstellungen und Interessen irgendwo im Palast wiederfinden. Der Palast war das Gefäß, das wir brauchten und die ganze Zeit gesucht hatten. Carsten: Wir leben doch auch mehr denn je in einer Zeit die sich alle 10 Jahre wiederholt und nur marginale Veränderungenzulässt.Sozusagenineinerneo-eklektischen Gesellschaft,nurdassdasRepertoireaufdas20.Jahrhundert,oderTeiledavonzusammengeschrumpftist.DieEntstehungdiesesmodischenUmgangsmitFormen,Gewän158
Interview
dern und Typen fällt nun einmal in das 19. Jahrhundert, und der Palast ist sein Höhepunkt in der vulgärsten Form überhaupt. Diese Entwicklung hat die moderne Gesellschaft zu dem gemacht was sie heute ist, nur sie konnte auch eine Moderne mit ihrer Glas-Stahl-Nadelstreifenattitude hervorbringen. Unser Ansatz will diese Strömung nicht negieren, aber endlich mal versuchen die Dinge vor diesem Nullpunkt zu verstehen. Stefan: Und genau hier muss man ansetzen - der Palast als Kristallisationspunkt dessen, für das Moderne steht. Höhepunkt und Hassobjekt - gleichzeitig aber auch Projektionsfläche für - ich sag‘ jetzt auch mal unsere - Wünsche und Vorstellungen. Diese spezielle Konstellation hat im Brüsseler Justizpalast ihre gewaltigste bauliche Entsprechung gefunden - und erstmal war er deswegen interessant. Nicht mehr und nicht weniger.
Stefan: Das ist der Punkt. Dieses präsentieren einer Lösung und deren absolut Setzung ist doch immer ein Verlustgeschäft. Man wirft eine Menge wichtiger Informationen über Bord - vor allem geht die Mannigfaltigkeit und Vielschichtigkeit verloren. Das ist ja irgendwie verständlich, aber es führt in letzter Konsequenz vor allem dazu, dass ein Ergebnis so gut ist wie das andere oder genauso schlecht,weil der größte Teil der Informationen nicht berücksichtigt wird. Ich sehe deshalb, sich auf die Widersprüchlichkeiten einzulassen und ein offenes und diskutierbares Ergebnis zuzulassen, ebenfalls als Kern der ganzen Unternehmung, es ist sozusagen das Programm.
Carsten: Außerdem ist einer der wesentlichsten Aspekte des Entwerfens der, keine Angst vor neuen Dingen, und vor allem keine Angst vor dem Scheitern zu haben. Der Prozess, den wir durchlaufen haben, ist in dieser Arbeit viel wichtiger als das Produkt oder das Ziel. Eine Perspektivverschiebung ist von entscheidender Bedeutung, um den allgemein akzep tierten, professionellen Rahmen zu verlassen. Neue Ideen entstehen durch Prozesse die von Spiel und Chaos geprägt sind, nicht durch routinierte, einstu 2. „Das heißt ja im Umkehrschluss, dass ihr dierte Arbeitsabläufe. Wir wollten die erlernten Abnicht wusstet worauf ihr euch einlasst? Es hätte dann läufe vergessen um neue Erkenntnisse zu gewinnen - Erfahrungen zu machen. Wären wir gescheitert, ja auch ganz anders laufen können?“ hätten wir es einfach noch einmal versucht. Max: (grinst) Wulf: Genau darin bestand ja auch der Reiz. Und Für das was dann passierte sind Spiel und Chaes war auf jeden Fall eine Herausforderung! Da wir zunächst nur den Palast und die Erfahrungen aus dem os, auf jeden Fall zwei gute Schlagworte um den Prozess Besuch auf dem Zettel hatten, mussten wir auf unter- zu beschreiben. schiedlichsten Wegen versuchen, theoretische und Carsten: praktische Ansatzpunkte zu finden. Diese mussten Vor allem Chaos! verknüpft und in ihre existierenden Kontexte einge- (Gelächter) bettet werden. Grundsätzlich erschien es uns einfach wichtig, die Möglichkeit der Diplomarbeit vor allem Wulf: dafür zu nutzen, uns mit grundsätzlichen Themen, wie Chaotisch deswegen, weil wir es erst einmal Ornament, Größe und dem eigenen Selbstverständ- nis auseinandersetzen und eigene Positionen zu schaffen mussten die vielen Themengebiete auf die wir entwickeln. Das kann man in einem regulären Ent- durch den Palast gestoßen sind - wir dachten ja, wir wurfsprozess, der sich mit zunehmender Dauer auf könnten da kurz mal 300 Jahre Architekturentwicklung spezifische Bedingungen zuspitzt, natürlich weniger unter einen Hut zu bringen - zu ordnen und Schwergut als mit unserer Methode. Und für uns bedeutete punkte zu setzen. Auf jeden Fall war das alles andere es immer einen Gewinn, da das Erarbeiten und Er- als ein linearer Prozess, der durch seine Unwägbarkeiten forschen von Inhalten für uns immer im Vordergrund und Neuformulierungen aber immer seine Spannung behalten hat. Im Umgang mit den einzelnen Aufgaben - vor stand. allem in den Projekten mit denen wir uns dem Palast annähern - kann man, denke ich, unsere spielerische Art mit Dingen umzugehen ganz gut erkennen. Man darf die Sachen einfach erstmal nicht zu ernst nehmen s ondern 159
muss ausprobieren und testen - was lässt sich aus einem damit verbundenen Entwurfsprozess fasziniert, weil eine Thema machen, wo kann man Parallelen ziehen oder Be- wesentlich spezifischere und eben auch emotionalere Arzug nehmen? chitektur entstehen kann. Und das vor allem deswegen, weilKategoriengesprengtwerdenundmansichzunächst in einem Designraum bewegt, der noch nicht zu stark von blockierenden Mechanismen eingeschränkt ist.
3. „Ihr thematisiert eine Neuformulierung des entwerferischen Ansatzes, die angesprochene Perspektivverschiebung. Das, was ihr schlussendlich in Magazin und Ausstellung präsentiert, also euer Output, scheint sich ja dadurch gleichermaßen gewandelt zu haben. Kann man da überhaupt noch von Architektur sprechen? Wulf: Ich selbst finde dieses Aufspalten in Kategorien müßig und irgendwie auch komplett bescheuert. Und auch die Frage, wo Architektur anfängt oder aufhört, ist kaum zu beantworten, aber vor allem auch,... Was bringt das denn? Liegt die Spannung nicht in der Grenzüberschreitung, im Verwischen der Disziplinen? Wir wollen Architektur machen, warum sollen wir dafür keine grafischen Mittel verwenden können? Jemand arbeitet als Grafiker warum sollte er nicht räumliche Ansätze haben? Aber um auf die Frage zurückzukommen: Ja man kann bei unserer Arbeit noch von Architektur sprechen. Stefan: Um da mal anzuknüpfen, vielleicht ist sie sogar „echtere“ Architektur - im Sinne einer persönlichen Haltung. Man muss auch einfach einmal anerkennen, dass man als Architekt vor allem immer super ahnungslos ist und versucht damit umzugehen, daraus etwas zu schöpfen. Dazu kommt ja auch die Marginalisierung des Architekten zugunsten des Ingenieurs im Bauprozess an sich, der Architekt ist ein Scheinriese. Manche haben das schon vor 200 Jahren erkannt und versucht sich neu zu positionieren und das vor allem mit Hilfe eines bildhaften Werkgedankens. Darin besteht auch unsere Strategie,Architektur anders zu denken! Max: Genau, es geht uns ja offensichtlich vielmehr um Strategien, Ideen oder Denkanstöße als um gebaute Architektur. Ich denke, dass das Potential des Architekten gerade mit der vermeintlichen Verwischung von Disziplingrenzen so groß ist wie selten zu vor. Man schafft dadurch eben auch die Möglichkeit zur Neubewertung von architektonischer Qualität. Ich für meinen Teil bin vor allem deswegen von den Möglichkeiten neuer Materialien, Technologien und den 160
Interview
Carsten: Also ich habe u.a. lebenswiedererweckende Fleischbälle und eine konsumkritische Utopie namens „Hamland“ während meines Architekturstudiums gemacht. Und ich spreche immer von Architektur. (Gelächter)
4. „Es würde es mich interessieren, was ihr als thematische Schnittmenge - als Quintessenz - eurer Arbeit bezeichnen würdet“? Stefan: Unsere Arbeit ist vor allem das Zusammentragen von Faktoren, die es der Architektur ermöglichen über ihre reine Funktionserfüllung hinauszuweisen. Damit sind vor allem Bilder und Symbole gemeint, die einen Dialog zwischen dem Mensch und dem Artefakt produzieren. Wir wollten Strategien entwickeln mit diesen Dingen umzugehen, ihre Wirkung einzuschätzen. Es ist ein Ratgeber den wir erarbeitet haben, einen Vorschlag den wir unterbreiten.
Max: Der Ansatz ist von daher auch durchaus als Kritik an einer Architekturproduktion zu verstehen, die diese Aspekte außer Acht lässt. Es war für uns eine perfekte Gelegenheit, den eigenen Horizont zu erweitern und auch unlogische und fremdartige Ansätze zu formulieren und zu erkunden. Im Zusammenspiel mit digitalen Entwurfsmöglichkeiten und neuen Produktionsmethoden haben diese Ansätze - beispielsweise im Fassadenprojekt - definitiv mein Verständnis dieser technologischen Neuerungen erweitert.Vor allem was deren Potential angeht, mehr als reine Optimierung zu leisten. Und schlussendlich wollten wir all das in unserem Magazin bündeln, um dem Leser unsere Sicht der Dinge nahezubringen: Die von uns subjektiv erdachten, gemeinsam selektierten und intensiv diskutierten Schnitte durch den Charakter des Palastes.
Carsten: Wir haben Architektur als Selbstversuch gedacht.WirwarenArchäologen, dievon den Überbleibseln vergangener Zeiten fasziniert waren. Dieses Ausgraben alter Artefakte enthält doch eine Forderung: Nämlich nicht nur seine eigene Umwelt und die kontemporäre Entwicklung in sein Arbeiten einfließen zu lassen, sondern sich auch aus dem unerschöpflichen Repertoire der Geschichte zu bedienen, ohne dabei nostalgisch zu werden. Der Erkenntnisgewinn funktioniert durch die Gegenüberstellung beider Wahrheiten. Wir versuchen mit dieser Arbeit, wie Max schon meinte, Wünsche und Hoffnungen zu formulieren, die sich in den einzelnen Projekten wiederfinden, und sich aus der Untersuchung der alten Bausubstanz entwickelt haben. Wulf: Allen Beiträgen gemeinsam ist, dass sie sich, wenn auch auf unterschiedlichste Art, mit der Produktion von Raum auseinandersetzen. Das geschieht größtenteils auf einer Bildebene, aber auch in kleinen Animationen, Interaktiven Elementen oder, dann auch mal eher klassisch, im Modell. Mir ging es vor allem darum, herauszufinden ab wann aus den Dingen, mit denen man sich während des klassischen Entwurfsprozess auf einer konzeptionellen Ebene beschäftigt um sie dann in einen konkreten Entwurf zu überführen, selbst Raum entstehen kann. Welche Qualitäten und Ideen man daraus ziehen oder entwickeln kann. Ein gutes Beispiel ist das Ornament-Projekt, bei dem ja versucht wird, aus einem heute so flüchtigen Ding wie dem Bild, etwas festes, also Raum, zu generieren. Carsten: Und schlussendlich ist es doch einfach nur der Palast!
161
Diese Arbeit entstand w채hrend des Wintersemesters 2010/2011 als Diplomarbeit unter Prof. Markus Allmann und Prof. Dr. phil. Gerd de Bruyn.
162
Impressum
Wir danken: Ben, Jos Vandenbreeden, Pieterjan Ginckels ,Volker Bonacker, Nina Bienefeld, Franziska Bettac, Prof. Markus Allmann, Prof. Dr. phil. Gerd de Bruyn, Prof. Klaus-Jan Philipp, Xenia Günther vom ISW, Volker Turowski, casino IT, Bräutigam Medien, Hausverwaltung Seidenstraße. 163
PRIMäRQUELLEN -
-
Arch+ (Hg.) Nr. 188; Form follows Perfor mance - Arch+ Verlag Aachen; 2008 Bataille, Georges; Die Aufhebung der Ökono mie Matthes & Seitz - Berlin; 2001 Boullée, Etienne-Louis; Architektur,Abhandlung über die Kunst; - Artemis Zürich, München; 1987 Brichetti, Katharina;Von Boullée bis Rossi - Dissertation Universität Kaiserslautern Kaiserslautern; 2001 Conrads, Ulrich; Zeit des Labyrinths Bauwelt Fundamente 136 Birkhäuser Basel, Berlin; 2007 - Debord, Guy; Wolman, Gil; Gebrauchsanweisung für die Zweckentfrem dung Paris; 1956 - in Gaillissaires, Mittelstädt, Ohrt; Der Beginn einer Epoche - Texte der Situatio nisten Hamburg; 2008
-
Forty,Adrian; Words and Buildings Thames & Hudson London; 2004
- - - -
Fischer Frankfurt am Main; 2004
Hübsch, Heinrich; In welchem Style sollen wir bauen? Verlag der Chr. Fr. Müller‘schen Hofbuchhand lung und Hofbuchdruckerey Karlsruhe; 1828 Kaufmann, Emil;Von Ledoux bis le Corbusier; Passer Wien; 1933 Koolhaas, Rem; Delirious New York Rizzoli New York; 1978 Koolhaas, Rem; Imagining Nothingness / Big ness in Koolhaas, Rem; Mau, Bruce; S,M,L,XL The Monacelli Press New York; 1995 Köppler, Jörn; Sinn und Krise moderner Archi tektur; Transcript Bielefeld; 2010 Kruft, Hanno-Walter; Die Geschichte der Architekturtheorie; C.H. Beck München; 1985
-
- Friesen, Hans; Rückblick auf die Stilgeschichte der Architek tur im 20. Jahrhundert in Stil als Zeichen. Funktionen – Brüche – Insze - nierungen. Schriftenreihe der Europa-Universität Viadri na Frankfurt an der Oder; 2006
-
Gleiter, Jörg; Kritische Theorie des Ornaments Dissertation Bauhaus Universität Weimar Weimar; 2001
-
Loos,Adolf; Ornament und Verbrechen Prachner Wien; 2000
-
Groys, Boris; Über das Neue;
-
Mahall, Mona; Serbest,Asli;
164
Literaturverzeichnis
Kuhnert, Nikolaus; Schnell,Angelika; Minimalismus und Ornament in Arch+ (Hg.) Nr. 129/130; Herzog und de Meu ron; Arch+ Verlag Aachen; 1995 Le Corbusier;Ausblick auf eine Architektur in Bauwelt Fundamente 2 Birkhäuser Berlin,Frankfurt am Main, Wien; 1963
How architecture learned to speculate IGMA Stuttgart; 2009
-
Moravánsky,Ákos (Hg.); Architekturtheorie im 20. Jahrhundert; Springer Wien; 2003
-
Philipp, Klaus-Jan; Um 1800:Architekturtheorie und Architektur kritik zwischen 1790 und 1810 Menges Stuttgart; 1997
-
Piranesi, Giovanni Battista; Carceri Insel Verlag Frankfurt am Main; 1965
London; 1988
-
Strehlke, Kai; Das digitale Ornament in der Architektur, seine Generierung, Produktion und Anwendung mit Computer gesteuerten Technologien Dissertation ETH Zürich Zürich; 2008
-
Sullivan; Louis-Henry; The tall office building artistically considered; in Sullivan; Kindergarten chats and other wri tings; General Publishing Company New York; 1979
-
- Sullivan; Louis-Henry; Ornament und Archi tektur Wasmuth Rosenthal, Carl Albert; In welchem Style Tübingen; 1990 sollen wir bauen? in Vandenbreeden, Jos; Loits,André; Romberg`s Zeitschrift für praktische Bau - Le Palais de Justice kunst Collection Bruxelles, ville d‘art et d‘histoire München; 1844 Ministère de la Région de Bruxelles-Capitale Brüssel; 2001 Schäfers, Bernhard; Architektur seit der „Doppelrevolution“. Vaneigem, Raoul; Klassizismus und Historismus im Übergang - Handbuch der Lebenskunst für die jungen Ge zur Moderne nerationen in Edition Nautilus Architektursoziologie Hamburg; 1980 Verlag für Sozialwissenschaften Wiesbaden; 2006 - Virilio, Paul; Panische Stadt; Passagen Verlag Sebald, Winfried Georg;Austerlitz Wien; 2007 Fischer Frankfurt am Main, 2003 - Vöckler, Kai; Die Architektur der Abwesenheit; Parthas Semper, Gottfried; Berlin; 2009 Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten, oder praktische Ästhetik Frankfurt am Main; 1860 ONLINEQUELLEN
-
Sinning, Heike; More is More; Wasmuth Tübingen; 2000
-
Šklovskij,Viktor Borisovič;Art as Technique in Lodge, David; Modern Criticism and Theory:A - Reader Longmans
- - -
-
BLDGBLOG; Fictional Ruins from fictional Worlds http://bldgblog.blogspot.com/2007/01/fictio nal-ruins-from-fictional-worlds.html 05.01.2011; 11.00 Uhr Begerl,Alexander; Entwicklungen des Historismus und dessen Krise in der Moderne 165
-
- Behne,Adolf, Funktionalismus und Rationalis mus http://www.bnhof.de/~ho1253/!%20Bau haus%20HTML/PDF/Funktionalismus%20 und%20Rationalismus.PDF 31.03.2011; 14.30 Uhr - Castells, Manuel; Kehrt die Zeit der Stadtstaa ten wieder? http://www.heise.de/tp/r4/artikel/6/6020/1. html - 20.03.2011; 09.00 Uhr Debord, Guy; Die Gesellschaft des Spektakels http://www.copyriot.com/sinistra/reading/ - theorie/spektakel.pdf 08.01.2011; 14.00 Uhr Debord, Guy; Exercise in Psychogeography in - Potlach II, Information bulletin of the french section of the lettrist international http://www.cddc.vt.edu/sionline/presitu potlatch2.html #exercise 3103.2011; 11.30 Uhr - Dreyer, Claus; Die Transformation der Zeichen in der Archi tektur http://www.semiose.de/index.php?id=497,35 23.01.2011; 17.00 Uhr
-
Franck, Georg; Die Ökonomie der Aufmerksam keit; http://www.iemar.tuwien.ac.at/publications/ Franck_1993a.pdf 23.03.2011; 12.00 Uhr
-
Hollein, Hans;Architektur http://www.hollein.com/index1. - php?lang=de&l1ID=6&sID=19 01.04.2011; 12.00 Uhr
Arch+ (Hg.) Nr. 189; Entwurfsmuster5 Arch+ Verlag Aachen; 2008
-
Kim, Jung-Rak; - Eine Untersuchung zu Giovanni Battista Pira nesis Carceri:
Arch+ (Hg.) Nr. 200; Kritik; Arch+ Verlag Aachen; 2010
- - - -
166
http://books.google.de booksid=dnkJR8IZ7V cC&printsec=frontcover&dq=historismus&hl =de&ei=sspKTcrfIJyAhAelvdzVDg &sa=X&oi=book_result&ct=result&resnum= 7&ved=0CE0Q6AEwBg#v=onepage &q&f=false
Impressum
Die im Architekturcapriccio verborgene Kunst kritik http://deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv idn=971345309&dok_var=d1&dok_ ext=pdf&Filename=971345309.pdf 29.03.2011; 12.30 Uhr Loskant, Philipp; Loos, Le Corbusier und das Ornament http://www.philiploskant.com/pdf/LoosLeCor bu.pdf 02.03.2011; 11.30 Uhr Lüscher, Samuel; Renaissance des Ornaments http://sam.luescher.org/pub/renaissance-des- ornaments---ebook.pdf 20.03.2011; 13.30 Uhr Plottegg, Wolf;Architektur Algorithmen http://plottegg.tuwien.ac.at/buchaa.htm 10.03.2011; 20.00 Uhr Rötzer, Florian; Boom der Großstädte http://www.heise.de/tp/r4/artikel/32/32619/1. html 10.03.2011; 17.30 Uhr Rötzer, Florian; Mit der Größe der Städte wächst auch die Kluft zwischen Arm u und Reich http://www.heise.de/tp/r4/artikel/34/34183/1. html 13.03.2011; 20.30 Uhr Schumacher, Patrick; Let the style wars begin http://www.architectsjournal.co.uk/the-cri tics/patrik-schumacher-on-parametricism-let- the-style-wars-begin/5217211.article 01.02.2011; 13.00 Uhr
SEKUNDÄRQUELLEN -
Aranda, Benjamin; Lasch, Chris;Tooling Pamphlet Architecture 27 Princeton Architectural Press New York; 2006
- - - - - - - - - - -
Arp, Hans; Lissitzky, El; Die Kunstismen 1914- - 1924 Eugen Rentsch Verlag Zürich, 1925 De Bruyn, Gerd; Die enzyklopädische Architek - tur Architektur Denken 2 Transcript Bielefeld; 2008 De Bruyn, Gerd;Trüby, Stephan; architektur_ - theorie.doc Birkhäuser Basel; 2003 Conrads, Ulrich (Hg.); Programme und Manifeste zur Architektur - des 20. Jahrhunderts Bauwelt Fundamente 1 Vieweg Braunschweig; 1994 Etlin, Richard; Symbolic Space; - The University of Chicago Press Chicago; 1994 Gleininger,Andrea;Vrachliotis, Georg; Muster. Ornament Struktur und Verhalten - Birkhäuser Basel, Boston, Berlin; 2009 Gleiter, Jörg;Architekturtheorie heute; - Architektur Denken 1 Transcript Bielefeld; 2008 Klotz, Heinrich; Kunst im 20. Jahrhundert Beck - München; 1999 Lankheit, Klaus; Der Tempel der Vernunft; Birkhäuser Basel; 1968 - Laugier; Marc-Antoine; Das Manifest des Klas sizismus Verlag für Architektur Zürich, München; 1989 Long, Kieran;Young Architects / Die Avant - garde Callwey
München; 2008 Muscheler, Ursula; Die Nutzlosigkeit des Eiffel turms Beck München; 2005 Marinetti, Filippo Tommaso; Manifest des Futurismus; Le Figaro Paris; 1909
Pottmann, Helmut;Asperl,Andreas; Hofer, Mi chael; Kilian,Axel; Architectural Geometry Bentley Institute Press Exton; 2007 Reas, Casey; Fry, Ben; Processing - A Programming Handbook for Visual Designers and Artists The MIT Press Cambridge; 2007 Reas, Casey; McWilliams, Chandler; Form and Code Princeton Architectural Press New York, 2010 Rykwert, Joseph;Adams Haus im Paradies Mann Berlin; 2005 Sitte, Camillo; Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen Birkhäuser Basel, Boston, Berlin; 2002 Tafuri, Manfredo;The Sphere and the Laby rinth; The MIT Press Cambridge, London; 1987 Venturi, Robert; Komplexität und Widerspruch in der Architek tur Bauwelt-Fundamente 50 Vieweg Braunschweig; 1978 Von Buttlar,Adrian; Dolff-Bonekämper, Gabi; Falser, Michael; Hubel,Achim; 167
-
Mörsch, Georg; Denkmalpflege statt Attrappenkult Bauwelt Fundamente 146 Birkhäuser Basel, Berlin; 2011 Welsch, Wolfgang; Unsere postmoderne Moderne Akademie Verlag Berlin; 2002
„I personally feel that defamiliarization (estrangement) is found almost everywhere form is found. ...An image is not a permanent referent for those mutable complexities of life which are revealed through it; its purpose is not to make us perceive meaning, but to create a special perception of the object -- it creates a ‚vision‘ of the object instead of serving as a means for knowing it.“ Viktor Borisoviç Šklovskij „Bigness destroys, but it is also a new beginning. It can reas- semble what it breaks.A paradox of Bigness is that in spite of the calculation that goes into its planning -in fact, through its very rigidities-it is the one architecture that engineers the unpredictable. Instead of enforcing coexistence‘ Bigness depends on regimes of freedoms, the assembly of maximum difference. Only Bigness can sustain a promiscuous proliferation of events in a single container. It deveelops strategies to orga- nize both their independence and interdependence within a larger entity in a symbiosis that exacerbates rather than compromises specificity.Through contamination rather than purity and quantity rather than quality, only Bigness can sup- port genuinely new relationships between functional entities that expand rather than limit their identities.The artificiality and complexity of Bigness release function from its defensive armor to allow a kind of liquefaction; programmatic elements returns with each other to create new events-Bigness returns to a model of programmatic alchemy.“ Rem Koolhaas S,M,L,XL The Grid‘s two-dimensional discipline also creates undreamt of freedom for three dimensional anarchy.The Grid defines a new balance between control and de-control in which the city can be at the same time ordered and fluid, a metropolis of rigid chaos. Rem Koolhaas, Delirious New York
168
169