DO IT YOURSELF WIDERSTAND.
240 Zitate 端ber die Taktiken der Situationistischen Internationale
„Wir wissen, dass alle neuen Realitäten selbst provisorisch und für unseren Bedarf zu wenig sind. Wir verteidigen sie, weil uns etwas besseres nicht einfällt und weil darin im Grunde unser Beruf besteht. Doch haben wir nicht das Recht, gleichgültig zu bleiben angesichts der erdrückenden Werte der Gegenwart, werden diese doch garantiert durch eine Gesellschaft der Gefängnisse, auch wenn wir vor den Pforten dieser Gefängnisse leben. Uns liegt nichts daran, möglichst vielen Leuten ähnlich zu sehen – und sei es auch nur aus Stolz. Rotwein und Kaffeehaus-Negation: Die Binsenwahrheiten der Verzweiflung werden nicht den Schlusspunkt der Existenz bilden, die so schwer gegen die Fallen des Schweigens, die zahllosen Arten, sich zu etablieren, zu verteidigen sind. Jenseits dieses ständig gefühlten Mankos, jenseits des unvermeidbaren und unentschuldbaren Verlusts dessen, was wir geliebt haben, geht das Spiel noch weiter; wir existieren. Jede Form von Propaganda ist also recht. Wir müssen einen Aufstand herbeiführen, der uns direkt betrifft und unseren Forderungen angemessen ist.Wir müssen Zeugnis ablegen von einer gewissen Glücksvorstellung, selbst wenn wir diese besiegt wissen, eine Vorstellung, der sich jede Propagandaform vorweg wird anpassen müssen.“
Guy DeBORD
Schluss mit der Nihlistischen Bequemlichkeit
„Der Rotwein und die Negation in den Cafés, die ersten Wahrheiten der Verzweiflung werden nicht das letzte Mittel diese Lebens sein, das sich so schwer verteidigen läßt gegen die Fallen des Schweigens, die tausend Arten sich zu arrangieren.“ Gerard Berreby Documents relatifs a la fondation de l‘Internationale Situationniste,nach der dt. Übersetzung durch R. Ohrt.
Negationist sich offenbar gezwungen sieht - echte oder symbolische Gewalt, Blasphemie, Ausschweifung, Verächtlichmachung, Verspottung - , auch die des Nihilisten. Da der Negationist zu beweisen versucht, daß die Welt nicht so ist, wie sie zu sein scheint, erkennt er, daß die Welt für andere so ist, wie sie zu sein scheint.“ Greil Marcus
„Wir müssen weiter kommen, ohne an irgend einem Aspekt der modernen Kultur oder sogar deren Negation hängen zu bleiben, nicht auf das Spektakel des Endes der Welt wollen wir hinarbeiten, sondern auf das Ende der Welt des Spektakels.“ Guy Debord Der Beginn einer Epoche
„Die kritische Theorie muß sich in ihrer eigenen Sprache mitteilen. Diese Sprache ist die Sprache des Widerspruchs, die in ihrer Form dialektisch sein muß, wie sie es in ihrem Inhalt ist. Sie ist Kritik der Totalität und geschichtliche Kritik. Sie ist kein „Nullpunkt des Schreibens“, sondern seine Umkehrung. Sie ist keine Negation des Stils, sondern der Stil der Negation.“ Guy Debord Gesellschaft des Spektakels These 204
„Nihilismus bedeutet die Welt in ihrem eigenen selbstverzehrenden Impuls einzuschließen; die Negation als Tat macht jedem klar, daß die Welt nicht so ist, wie sie zu sein scheint; doch nur wenn diese Tat derart weitgreifend angelegt ist, daß sie die Möglichkeit offen läßt, die Welt könnte ein Nichts sein, Nihilismus wie Schöpfung könnten sich dieses plötzlich leeren Terrains bemächtigen. Nihilisten sind Solipsisten: keiner existiert außer dem Handelnden, und nur die Motive des Handelnden sind real. Negation ist immer politisch: sie setzt die Existenz anderer Menschen voraus, ja sie ruft sie erst ins Leben. Dennoch sind die Werkzeuge, die zu benutzen der
„Die traditionellen revolutionären Gruppen sahen nur „neue Mittel der Konditionierung. Doch für die SI entspricht die Ausdrucksweise der ‚Medien‘ einer Lebensweise, die vor hundert Jahren nicht existierte. Das Fernsehen indoktriniert nicht, sondern steht selbst mit einer Daseinsweise in Zusammenhang. Die SI zeigte das Verhältnis zwischen Form und Grundlage auf, wo der traditionelle Marxismus lediglich neue Instrumente im Dienste der alten Sache sah.“ Gilles Dauvé
Kritik der Situationistischen Internationale
»Ich bin erregt. Lasse ich die Erregung weiter zu, so bekomme ich Angst. Deshalb sage ich mir: ich bin gar nicht erregt, ich will gar nichts tun. Gleichzeitig spüre ich aber, dass ich dennoch etwas tun will; da ich aber mein ursprüngliches Ziel vergessen habe, weiss ich nicht was. Die Aussenwelt muss etwas tun, was mich aus meiner Spannung befreit und mir doch nicht Angst macht. Sie muss machen, dass ich handle, dann bin ich der Verantwortung enthoben. Sie muss mich ‚ablenken‘, ‚zerstreuen‘, damit das, was ich tue, von meinem ursprünglichen Ziel weit genug entfernt ist. Sie soll das Unmögliche möglich machen: mir Entspannung ohne Triebhandlung verschaffen.«
Die situationistische „Praxis der Theorie“ besteht eben nicht darin, in positivistischer Weise eine Revolutionstheorie zu schreiben, diese der Welt zu präsentieren und die Menschen davon missionarisch zu überzeugen. Sondern es geht ihr darum, das unbewusste, verdrängte, verloren geglaubte revolutionäre Begehren des gesellschaftlichen Individuums mit seinen subversiven Praxen innerhalb der spektakulären Warengesellschaft aufzuspüren, es illusionslos zu dechiffrieren und in einer kohärenten Sprache auszudrücken. Biene Baumeister Zwi Negator »Situationistischer Revolutionstheorie«
O. Fenichel Aufsätze I,302)
„....Allerdings sollte in revolutionsstrategischer Hinsicht an diese nicht eine allzu übertriebene Erwartungshaltung angelegt werden, indem sie etwa von vornherein zu Keimzellen einer zukünftigen Gesellschaft hochstilisiert werden. Im Gegenteil gilt auch hier, dass die verständige Kritik der «Praxis der Theorie» zu enttäuschen wissen muss; sie muss entstandene utopische Hoffnungen wie sogenannte «konkrete Utopien» – weil diese sich in der Katastrophe des spektakulären Kapitalismus glauben einrichten zu können – immer wieder desillusionieren. Insofern ist sie bewusst katastrophistisch. Sie muss das Verständnis dafür bereitstellen, nicht einer revolutionären Ungeduld zu verfallen, sondern die Spannung des Unerträglichen zu ertragen und aushalten zu helfen, nur um sie bewusst weiter revolutionär aufzuladen. Denn jegliches voluntaristisch-aktionistisches Überspringenwollen des Ansichseins sondert sich zwangsläufig von der «wirklichen Bewegung» ab, wird dadurch abstrakt und ist aufgrund dieser Trennung selbst schon spektakulär.“
„Sie (die I.L., Anm.) wollten die erste Revolution in die Wege leiten, die bewußt nicht aus einer Kritik am Leiden an der herrschenden Gesellschaftsordnung hergeleitet wird, sondern aus einer „totalen Kritik ihres Glücksbegriffes“, einer in Taten manifestierten Kritik, einer neuen Praxis des Alltagslebens.“ Greil Marcus
„Diesem «abstrakte[n] Wille[n] zur sofortigen Wirksamkeit» entgegengesetzt, muss – wie Debord betont – «die über das Spektakel hinausgehende Kritik […] vielmehr zu warten verstehen.“ Guy Debord Gesellschaft des Spektakels These 220
„Das Wissen muss ein Können werden.“
Biene Baumeister Zwi Negator Vortrag
Carl Philipp Gottfried von Clausewitz Vom Kriege, 2. Buch, 2. Kapitel
„...,dass ihr Wissen eine Macht werden muß.“ Guy Debord S.I.: Die wirkliche Spaltung in der Internationalen §46
Die Totalität des Scheines, wie das allgemeine Spektakel sie präsentiert, ist blosser Schein einer Totalität, die erst nach ihrer Wiederenteignung und Rückführung in die Lebenswirklichkeit des Alltages sich konkretisiert.
der Bewegung,in dem die Spur der Bewegung selbst gegenwärtig sein muß,äußert sich durch die Umkehrung der etablierten Beziehungen zwischen den Begriffen und durch die Entwendung aller Errungenschaften der früheren Kritik.” Guy Debord
„Wir sollten die moderne Kultur nicht ablehnen, sondern in unseren Besitz bringen, um sie zu verneinen.“ Debord, Rapport »Es ist nicht eine Frage des Herausarbeitens eines Spektakels der Ablehnung, sondern einer Ablehnung des Spektakels. Damit ihre Herausarbeitung künstlerisch sein kann in dem neuen und authentischen Sinne, wie die SI ihn definiert, dürfen die Elemente der Zerstörung des Spektakels nicht länger Kunstwerke sein. Es gibt weder so etwas wie Situationismus oder ein situationistisches Kunstwerk noch gibt es, was das betrifft, einen Situationisten, der Spektakel erschafft.« raoul vaneigm (1961) auf der 5. SI-konferenz
«Von der Romantik bis zum Kubismus folgte dem allgemeinen Verlauf des Barocks schliesslich eine immer stärker individualisierte Kunst der Negation, die sich fortwährend erneuerte, bis zur vollständigen Zerstückelung und Negation der künstlerischen Sphäre.» Guy Debord Gesellschaft des Spektakels These 105
“Dieser Stil,der seine eigene Kritik enthält,muß die Herrschaft der gegenwärtigen Kritik über ihre ganze Vergangenheit ausdrücken.Durch ihn bezeugt die Darlegungsweise der dialektischen Theorie den negativen Geist,der in ihr steckt.(...) Dieses theoretische Bewußtsein
Gesellschaft des Spektakels These 47
Debords erkenntniskritisches Diktum, dass die »Wahrheit dieser Gesellschaft nichts anderes ist als die Negation dieser Gesellschaft«, ist in seiner Allgemeinheit ebenso richtig wie es nach dem Nationalsozialismus, der barbarischen Negation der bürgerlichen Gesellschaft, durch eben diese Allgemeinheit falsch wird. Die Negation orientiert sich hier ausschließlich am Marxschen kategorischen Imperativ aus dem Jahr 1844, nicht aber am Adornoschen, der in Reflexion auf die Katastrophe fordert, alles Handeln so einzurichten, dass Auschwitz sich nicht wiederhole. Die Situationistische Internationale teilte mit der von ihr so scharf kritisierten Linken die Ignoranz gegenüber dem kapitalentsprungenen Antisemitismus, was ihr auch ein Verständnis des Zionismus, der Notwehrmaßnahme gegen diesen Antisemitismus, von vornherein unmöglich machte. Biene Baumeister Zwi Negator, das eine zweibändige »Aneignung« von »Situationistischer Revolutionstheorie«
„Die Katastrophe ist, dass es ‚so weiter’ geht wie bisher.“ Walter Benjamin
„Die Katastrophe ist, dass es ‚so weiter’ geht wie bisher.“
„Heute scheint es jedenfalls manchmal so, als ob wir nach der Politisierung le-
ben und von ihr nichts mehr nur noch, daß man überübrig geblieben ist als die haupt Gegnerschaft artikuNegation - jener ebenso liert.“ unzuverlässige wie vielverDiedrich Diederichsen sprechende Akt,an den sich aus dem Programm zu „Die auch Imperien gerne als Kraft der Negation Geburtsstunde erinnern und Der Marxsche Satz, dass das Sein das Bewusstsein bestimme, wird von den Situationisten streng den Spielfilme zu verklären wörtlich genommen: Die aktionistische Störung, Radikalisierung, Zweckentfremdung, Umwertung lieben.Zumindest gilt dies für und spielerische Inszenierung von konkreten alltäglichen Situationen die sichtbarsten Formen von soll das Bewusstsein der beteiligten Personen aus dem saturierten Tiefschlaf des flächendeckenden oppositioneller Politik. Ennui herausreissen und permanent revolutionieren. Juri Steiner Deren letzte Gewißheit scheint das Nein zu sein, «Die lettristische Provokation bietet immer noch ein Nein, einen Zeitvertreib. Das revolutionäre Denken ist mit seinen Gedanken nicht woanders. ... Alles, was das vom Nein zum Logo bis irgendeine Sache aufrecht erhält, zur Arbeit der Polizei bei. zum Nein zu Deutschland Denn wir wissen,trägt dass alle Ideen und Verhaltensdie schon existieren, unbefriedigend sind. reicht und auf Bewegun- weisen, Die augenblickliche Gesellschaft teilt sich nur in Spitzel, ... Es gibt keine Nihilisten, gen verweisen kann, die in LettristennurundMachtlose. Fast alles ist uns Die Verführung Minderjähriger und der erster Linie als Gegner von verboten. Genuss von Rauschgiften stehen unter Strafe, wie überhaupt alle unsere Gesten, der Leere zu entkometwas definiert werden oder men. Viele unserer Genossen sind wegen Einbruch Wir akzeptieren die Strafen sich selber definieren.Der nicht,imdieGefängnis. man gegen jene verhängt, die sich geworden sind, unter keinen Umständen zu Grund, auf dem man steht, bewusstarbeiten. Wir verweigern darüber jede Die menschlichen Belange müssen die die Werte und Ziele, von Diskussion. Leidenschaft zur Grundlage haben, wenn nicht den Terror.» denen aus man operiert, Internationale Lettriste scheinen keine Rolle mehr zu spielen, entscheidend ist “
New Babylon. Aufstieg und Fall der Stadt Paris Zwischen Second Empire und 1968
, Nr. 2, Paris 1953 in: Berreby, Documents Relatifs, S. 154ff.
«Es gibt keine verkannten Genies, keine auf natürliche Weise wenig bekannten Neuerer. Es gibt nur diejenigen die sich weigern, bekannt und verfälscht zu sein .... diejenigen, die sich nicht manipulieren lassen wollen, damit sie völlig entstellt und dadurch entfremdet in der Öffentlichkeit auftreten und auf den Zustand von Werkzeugen reduziert werden, die ihrer eigenen Sache feindlich oder in der grossen menschlichen Komödie machtlos sind.» Guy Debord Gegen den Film, Hamburg 1978, S. 9.
»Erst später, in den neunziger Jahren, erkannte er, auch wenn er sich von der Vorstellung vom Proletariat als Vollender der Emanzipation nicht gänzlich verabschiedete, daß die Klassenherrschaft, wie er in der Vorrede zur dritten französischen Ausgabe der Gesellschaft des Spektakels formulierte, ‚mit einer Versöhnung geendet hat‘, daß das Proletariat, statt die Feindschaft zu Staat und Kapital zu entwickeln, auf die volle Integration in das fetischistische Warenspektakel gesetzt hat, und daß die falsche Totalität der Gesellschaft nunmehr ohne Negation, ohne Einspruch existiert.« Stefan Grigat Zur Gesellschaftskritik Guy Debord - Der Fetisch im Spektakel
„Die These von der Abschaffung der Kunst meint primär die Abschaffung jeder Art von Repräsentation, um das in der Kunst enthaltene Glücksversprechen im realen Alltagsleben zu verwirklichen.“ Juri Steiner
„Es scheint,daß die große Negation heutzutage nur zu haben ist,wenn man sich auf die ganz andere Seite stellt, jenseits der Binarität, auch der gerade neu wiederaufgebauten zwischen Abendland und Orient,aufdie Seite jenseits des Systems - aber nicht mehr von einem anderen Ort aus, nicht mehr von irgendeiner benennbaren politisch-philosophischen Idee aus ,sondern in dem reinen Wünschen,daß es ein Jenseits einer Ordnung gibt,die so rigide ist,daß alle großen Fragen im Sinne eines globalen Kapitalismus entschieden zu sein scheinen, und gleichzeitig so dereguliert,daß nichts gesichert und kein Recht garantiert ist, daß es ein solches Jenseits geben muß.Vielleicht als reines Potenzial.“ Marcus,Greil Lipstick Traces,Rowohlt,Hamburg,1989
»Die besitzende Klasse und die Klasse des Proletariats stellen dieselbe menschliche Selbstentfremdung dar. Aber die erste Klasse fühlt sich in dieser Selbstentfremdung wohl und bestätigt, weiss die Entfremdung als ihre eigne Macht und besitzt in ihr den Schein einer menschlichen Existenz; die zweite fühlt sich in der Entfremdung vernichtet, erblickt in ihr ihre Ohnmacht und die Wirklichkeit einer unmenschlichen Existenz. Sie ist, um einen Ausdruck von Hegel zu gebrauchen, in der Verworfenheit die Empörung über diese Verworfenheit, eine Empörung, zu der sie notwendig durch den Widerspruch ihrer menschlichen Natur mit ihrer Lebenssituation, welche die offenherzige, entschiedene, umfassende Verneinung dieser Natur ist, getrieben wird.« Karl Marx MEW 2,S.37
New Babylon. Aufstieg und Fall der Stadt Paris Zwischen Second Empire und 1968
“Ich habe noch kein Kunstwerk gesehen,das man an die Wand hängen kann und das die Welt verändert. Es geht doch vielmehr darum,eine kurze Diagnose zu stellen und dann zu zeigen, wie krank die Welt im Augenblick ist.” Christoph Schlingensief
„Das Spektakel ist passiv gewordene Tätigkeit. Die SI entdeckte neu, was Marx in den Grundrissen über die Erhebung des menschlichen Daseins (seiner Selbstveränderung, seiner Arbeit) als einer fremden Macht geschrieben hat, die ihn niederdrückt: ihr gegenüber lebt er nicht mehr, sondern schaut nur noch zu. Die SI verlieh diesem Thema neuen Nachdruck. Doch das Kapital ist mehr als Befriedung. Es braucht die Intervention des Proletariers, wie „Socialisme ou Barbarie“ gesagt hat. Die Überschätzung
des Spektakels durch die SI ist ein Anzeichen dafür, daß sie auf der Grundlage einer gesellschaftlichen Vorstellung theoretisiert, die an der Peripherie der Gesellschaft entstanden ist, und die sie für zentral hielt.“ Gilles Dauvé Kritik der Situationistischen Internationale
DAMIT VERBUNDEN, ENTLEERT SICH AUCH DIE FRAGE NACH EINER GESELLSCHAFTSVERäNDERNDEN oRGANISIERUNG WAHLWEISE IN DER ÜBLICHEN VERNETZUNG „PSEUDoREVoLUTIoNäRER TRÜMMERHAUFEN“ Guy Debord Die Gesellschaft des Spektakels § 220
Bei den üblichen linken Vorstellungen des »Politikmachens« ist der Vermittlungszusammenhang von Theorie und Praxis ein gebrochener, wenn nicht gar ein zerbrochener. Biene Baumeister Zwi Negator, »Aneignung« von »Situationistischer Revolutionstheorie«
«...die Herausbildung der proletarischen Klasse als Subjekt ist die organisation der revolutionären Kämpfe und die organisation der Gesellschaft im revolutionären Augenblick: hier müssen die praktischen Bedingungen des Bewußtseins vorhanden sein, in denen sich die Theorie der Praxis bestätigt, indem sie zu praktischer Theorie wird»
Es sollte sich dann zeigen, dass eine »revolutionäre Praxis« eben keine sein kann, die unmittelbar mit der Tat beginnt, sondern eine, die wie die Situationist_innen um Guy Debord herausgearbeitet haben, sich permanent selbstkritisch reflektiert, das Theoriemoment also das die Praxis übergreifende Allgemeine sein muss. Laut Debord bekämpft eine »revolutionäre Praxis« zwar die Duldsamkeit in allen ihren Formen, ist dabei aber nicht ungeduldig, sondern versteht es zu warten. Biene Baumeister Zwi Negator, »Aneignung« von »Situationistischer Revolutionstheorie«
Guy Debord
„Jede revolutionäre Praxis hat das Bedürfnis nach einem neuen semantischen Feld und der Bestätigung einer neuen Wahrheit gefühlt.“
„Die situationistische Sprach- und Kunstkritik versucht die Beschränkung auf bloße „Überbauphänome-ne“ aufzubrechen und ästhetische wie sprachliche Vermittlungen aus bloßer Ideologie zur „Waffe der Kritik“ und zur „Kritik der Waffen“ in der gesellschaftlichen Basis, dem ganzen alltäglichen Leben zu machen.“ Juri Steiner New Babylon. Aufstieg und Fall der Stadt Paris Zwischen Second empire und 1968
Die »falsche Totalität«, die als widerspruchloses Ganzes behauptet wird, ist dem Denken der Frankfurter Schule entliehen. Die Kritische Theorie, der sich fast alle linken Publizisten, die sich neuerdings mit der SI befassen, verpflichtet sehen, behauptete eine blind herrschende, negative Totalität. Nichts könne in dieser verdinglichten Gesellschaft überleben, was nicht seinerseits verdinglicht wäre. Damit wird der Totalitätsgedanke ohne den PraxisBegriff und ohne den Widerspruchs-Begriff, der für Marx Grundlage der kapitalistischen Totalität ist, gedacht und zu einem geschlossenen System verdinglicht. Das Prozeßhafte und Widersprüchliche in der Gesellschaft wird kassiert. Die Oberfläche - bei der Kritischen Theorie die Kulturindustrie, bei Debord »das Spektakel« - beherrscht in diesen Vorstellungen die Gesellschaft total, der fundamentale Widerspruch, der in der Ausbeutung der lebendigen Arbeit liegt, erscheint als pazifiziert. H., Freiburg aus: Wildcat-Zirkular Nr. 62
genommen linke Argumentations-figuren lange nicht erholt.“ Bunz,Mercedes Yo Entfremdung, DE:BUG Nr.69
In der Sprache des Widerspruchs stellt sich die Kritik der Kultur als vereinheitlicht dar: insofern sie das Ganze der Kultur - ihre Erkenntnis wie ihre Poesie beherrscht, und insofern sie sich nicht mehr von der Kritik der gesellschaftlichen Totalität trennt. Diese vereinheitlichte theoretische Kritik geht allein der vereinheitlichten gesellschaftlichen Praxis entgegen. Guy Debord Die Gesellschaft des Spektakels § 211
„Die Revolution im Dienste der Poesie.“ «Offensichtlich ist das Hauptgebiet, das wir ersetzen und VOLLENDEN werden, die Poesie.» Internationale Situationniste, Nr 1
Das Schicksal des Surrealismus schien gezeigt zu haben, wie schnell die Praxis von „Poesie“, „Revolution“, „Kunst“ und Sprache selbst zu Ideologie erstarren kann, wenn sie als getrennte Domänen nicht wirklich aufgehoben werden: das surrealistische Programm, Kunst und Alltagsleben „im Dienste der Revolution“zusammenzuführen, war spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg gescheitert. Biene Baumeister Zwi Negator, »Aneignung« von »Situationistischer Revolutionstheorie«
„Die restlich verbliebenen Arbeitssubjekte,die an der Revolution noch hätten interessiert sein können,irgendwelche so genannten Kreativen beispielsweise,die lieber nach eigenen Vorstellungen arbeiten wollten und nicht mit einem Reihenhaus zu ködern waren,die hat man in den letzten Jahren mit flachen Hierarchien,selbst bestimmter Selbstständigkeit von Ich AGs bzw.Tischtennisplatten,Obstkörben sowie Playstations am Arbeitsplatz geködert, zumindest solange sich das der Arbeitsplatz noch leisten konnte.Von dem Entzug ihres revolutionären Subjekts,das keine Revolution mehr wollte,davon haben sich im Grunde
Der Beginn einer Epoche
„Die Revolution, wie sie der S.I. vorschwebte, ist nichts Geringeres als das Realwerden der Poesie im Alltag und die Abschaffung der Poesie als Repräsentation. „ Juri Steiner New Babylon. Aufstieg und Fall der Stadt Paris Zwischen Second Empire und 1968
„Ich werde ein Arbeiter sein: das ist die Überlegung, die mich hier zurückhält, auch wenn ein furchtbarer Zorn mich in die Schlacht von Paris treibt wo ja noch immer so viele Arbeiter sterben (…) Jetzt arbeiten? Niemals, niemals. Ich streike! (…) Ich will ein Poet sein, und ich arbeite an mir, um aus mir einen Seher zu machen: (…) Es geht darum, durch ein Entgrenzen aller Sinne im Unbekannten anzukommen.“ Jean Nicolas Arthur Rimbaud (Brief 13.5.1871)
„Alle Macht den Arbeitern!“ „Nieder mit der Arbeit!“ „Arbeit macht frei!“
„NE TRAVAILLEZ JAMAIS.“ „Arbeitet nie!“ Guy DeBORD 1952 an eine Pariser Hauswand gemalt
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„Die Zweckentfremdung ist ein Spiel, das von der Fähigkeit der Entwertung abhängt, alle Elemente der kulturellen Vergangenheit müssen entweder reinvestiert werden oder verschwinden.“ Asger Jorn (Abhandlung über die Zweckentfremdete Malerie, 1959)
„Die Zweckentfremdung zeigt sich also zunächst als Negation des Wertes der vorangegangenen Organisation des Ausdrucks.“ Roberto Ohrt (Der Beginn einer Epoche, S.73)
„Es ist eine neue Art sozialer Sprache; eine Kommunikation, die die Kritik ihrer selbst enthält; eine Technik, die nicht mystifizieren kann, da sie schon von der Form her Entmystifizierung ist.“ Marcus,Greil Lipstick Traces,Rowohlt,Hamburg,1989
«Die beiden wichtigsten grundlegensten Gesetze der Zweckentfremdung sind der Verlust der Wichtigkeit, der bis zum Verlust des ursprünglichen Sinnes gehen kann, und zur gleichen Zeit die Organisation einer neuen bedeutungsvollen Totalität.» Guy Debord
«Diese Methode praktiziert er nicht nur bei Marx, sondern auch bei Hegel, Freud und anderen. Er begründet dies damit, daß die Entwendung das Gegenteil des Zitats sei. Das Zitat verfälsche als theoretische Autorität bereits deswegen, weil es Zitat geworden sei, weil es Fragment sei, das aus seiner Bewegung, seiner Epoche und seinem Bezugsrahmen gerissen sei. Die Entwendung dagegen sei die flüssige Sprache der Antiideologie, die den früheren Wahrheitskern wiederbringe und bestätige.»
„Ist die beste Subversion nicht die, Codes zu entstellen, statt sie zu zerstören?“ Roland Barthes
“Angeeignet wird dann immer das schon Vorhandene,das sich im Prozess der Aneignung genauso wenig verändert wie derjenige,der es sich aneignet.Oder anders:Aneignung wird zur Entfaltung von etwas,das es - wie immer verpuppt - schon gibt.” “In der Idee der Aneignung liegt also ein interessantes Spannungsverhältnis zwischen Vorgegebenem und Gestaltbarem,zwischen Übernahme und Schöpfung,zwischen Souveränität und Abhängigkeit des Subjekts.” Rahel Jaeggi Aneignung braucht Fremdheit, Texte zur Kunst Nr.46 / Juni 2002
„Die SI fand in der Collage ein Mittel,nicht nur den Status des künstlerischen Genies zu hinterfragen,sondern auch die Kunst in ihr Verderben zu stürzen,so wie es bereits ihre geistigen Väter,die Dadaisten versucht hatten.Sie eigneten sich Teile der spektakulären Lebens an und drehten diese per détournement um und produzierten so eine Collage.“ Juri Steiner New Babylon. Aufstieg und Fall der Stadt Paris Zwischen Second Empire und 1968
„Es gab den Vater, den wir hassten, den Surrealismus. Und es gab den Vater, den wir liebten: Dada. Wir waren die Kinder von beiden.“ Michèle Bernstein
„Die einfache surrealistische Handlung besteht darin, mit Revolvern in den Fäusten auf die Straße zu gehen und blindlings soviel wie möglich in die Menge zu schießen.“ André Breton „Die Manifeste des Surrealismus“ Seite 56
„Collage-Technik ist die systematische Ausbeutung des zufälligen oder künstlich provozierten Zusammentreffens von zwei oder mehr wesensfremden Realitäten auf einer augenscheinlich dazu ungeeigneten Ebene - und der Funke Poesie, welcher bei der Annäherung dieser Realitäten überspringt.“ Max Ernst 1962
“If you read the copyright laws, there’s only ‘pay for everything you use’ or parody .But surrealism? Unknown.Collage? Never heard ofit. It’s as ifcollage never happened.” Negativland
“Kurzum,die Collage ist undenkbar ohne das, was die Situationisten Spektakel nannten. Die Collage ist der ins Spektakel eingebaute Selbstzerstörungsmechanismus.Man vergleiche die aus allerlei mechanischen Teilen kunstfertig collagierten Maschinen Tinguelys,die funktionieren,aber nur,um sich selbst zu zerstören. Die Collage neutralisiert das Spektakel durch willkürliches Nebeneinander und beliebige Reihung;sie entlarvt es der Lüge durch analytischen Kontrast;sie macht es lächerlich,durch bewußte Kombinatorik oder Zweckentfremdung von Texten oder Objekten.”
„Die Liebe der Wiederholung ist in Wahrheit die einzig glückliche“, schreibt Constantin, „Sie kennt ebensowenig wie die Erinnerung die Unruhe der Hoffnung, nicht die beängstigende Abenteuerlichkeit der Entdeckung, aber auch nicht die Wehmut der Erinnerung, sie hat des Augenblicks selige Sicherheit. Die Hoffnung ist ein neues Kleid, steif und stramm und glänzend, man hat es jedoch niemals angehabt, und weiß darum nicht, wie es einen kleiden wird oder wie es sitzt. Die Erinnerung ist ein abgelegtes Kleid, welches, so schön es ist, nicht mehr paßt, da man aus ihm herausgewachsen ist. Die Wiederholung ist ein unverschleißbares Kleid welches fest und zart sich anschmiegt, weder drückt noch schlottert. [...] Die Wiederholung ist ein geliebtes Eheweib, dessen man niemals leid wird.“ Kierkegaard Die Wiederholung S.4
Halfbrodt,Michal Stichworte zu einer subversiven Geschichte der Collage
„Der Schein der Kunst, durch Gestaltung der heterogenen Empirie sei sie mit dieser versöhnt, soll zerbrechen, indem das Werk buchstäbliche, scheinlose Trümmer der Empirie in sich einläßt, den Bruch einbekennt und in ästhetische Wirkung umfunktioniert.“ Theodor W. Adorno Ästhetische Theorie. Frankfurt 1972, S.232
“Ihre Wiederholung entspricht damit genau in dem Maße der Logik von Zirkulation und Produktion,auf der der Kapitalismus sich gründet,wie sie sie auch unterminiert;ebenso stört sie den marxistischen Trick,der darin besteht zu glauben,die Entfremdung in eine Selbstbestimmung überführen zu können und dann wäre alles friedlich. Pustekuchen.” Bunz,Mercedes Yo Entfremdung
„...in der wirklich umgekehrten Welt das Wahre ein Moment des Falschen ist“ Hegel & Debord
“Die Ideen verbessern sich. Die Bedeutung der Worte trägt dazu bei. Das Plagiat ist notwendig. Der Fortschritt impliziert es. Es hält sich dicht an den Satz eines Verfassers, bedient sich seiner Ausdrücke, beseitigt eine falsche Idee, ersetzt sie durch eine richtige.” Debord GdS S. 140
„Der Versuch, eine Gegenöffentlichkeit zu
bilden, die sich außerhalb des politischen, wirtschaftlichen und informellen System verorten kann, ist der Überlegung gewichen, das System von innen heraus mit den eigenen Waffen zu schlagen, die Spielregeln zu übernehmen, zu übertreiben oder zu brechen. Das setzt auch die Kenntnis der Spielregeln voraus, sowie die Fähigkeit diese parasitär gegen bestehende einzusetzen oder so zu verbiegen,dass die oft absurde Logik dahinter sichtbar werden kann.“
“Die herrschende Ideologie organisiert die Banalisierung der subversiven Entdeckungen und verbreitet sie im Überfluß, nachdem sie sie sterilisiert hat.” Guy Debord Rapport
«Die Entwendung ist die flüssige Sprache der Antiideologie.»
Juri Steiner New Babylon. Aufstieg und Fall der Stadt Paris Zwischen Second Empire und 1968
„Wenn die Philosophie ihr Grau in Grau malt, dann ist eine Gestalt des Lebens alt geworden, und mit Grau in Grau läßt sich nicht verjüngen, sondern nur erkennen; die Eule der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug.“ Hegel
«Die Grösse der Kunst beginnt erst mit einbrechender Dämmerung des Lebens zu erscheinen.» Guy Debord Die Gesellschaft des Spektakels S.105
„Die kommenden Revolutionen stehen vor der schweren Aufgabe, sich selbst zu verstehen. Sie müssen ihre Sprache völlig neu erfinden, und sich gegen alle Rekuperationsversuche verteidigen, die man für sie vorbereitet.“ Anonymer Situationist (eventuell Debord, kein Nachweis)
„Die
hier kurz behandelten Verfahren werden nicht als eine eigene Erfindung ausgegeben, sondern im Gegenteil als eine ziemlich allgemein verbreitete Praxis, dessen Systematisierung wir beabsichtigen. Die Theorie der Zweckent-
fremdung an und für sich interessiert uns kaum. Wir finden sie aber mit fast allen konstruktiven Aspekten der prä-situationistischen Übergangsperiode verbunden. Ihre Bereicherung durch die Praxis scheint uns also notwendig zu sein. Wir verschieben die weiterentwicklung dieser Thesen auf eine spätere Zeit.“ Debord & Gil J. Wolman Les Levres nues, nr.8,1956
„Alle kulturellen Produkte sind Gemeingut (daher hatten ihre Zeitschriften ein Anti- Copyright),eine Trennung zwischen Autor und Leser existiert nicht und Quellen werden keine angegeben,denn alle Ideen schweben frei im Raum,werden durch die Geschichte hochgespült oder versinken.“ Clabauter Referat über die Geschichte und Theorie der Lettristischen Internationale und der Situationistischen Internationale
„Das Urheberrecht bildete sich an der Innovation Gutenbergs und entwickelte sich mit jeder neuen Medientechnologie weiter.Es galt zuallererst dem Investitionsschutz der Drucker- Verleger.In der französischen Revolution wurden dann auch sogenannte moralische oder urheberpersönlichkeitsrechtliche Aspekte festgeschrieben,die im kontinentaleuropäischen Recht einen stärkeren Schutz genießen als im anglo-amerikanischen Copyright. Der Schutz der
moralischen und materiellen Interessen des Urhebers wissenschaftlicher und künstlerischer Werke ist dann sogar in die universelle Menschenrechtserklärung eingegangen. Dort heißt es aber auch,j eder habe das Recht,frei am kulturellen Leben der Gemeinschaft teilzunehmen, sich der Künste zu erfreuen und an den wissenschaftlichen Fortschritten teilzuhaben.“ Volker Grassmuck
„Eigentümer sein, heißt, sich ein Gut anzueignen, von dessen Genuss man andere ausschließt. Indem der Besitzende von dem tatsächlichen Eigentumsrecht ausschließt, dehnt er sein Eigentum auf die Ausgeschlossenen aus [...], ohne die er nichts ist. Als Ausgeschlossene nehmen sie durch die Vermittlung des Besitzenden teil eine mythische Teilhabe also, denn so organisieren sich am Anfang alle Stammesund Gesellschaftsbeziehungen, die nach und nach dem Prinzip des Zwangszusammenhangs folgen, wonach jedes Mitglied von der Gruppe abhängt.“ Raoul Vaneigem Basisbanalitäten
„Das Falsche bildet den Geschmack und stützt das Falsche, indem es vorsätzlich die Möglichkeit der Bezugnahme auf das Authentische beseitigt. Selbst das Echte wird, sobald dies möglich ist, imitiert, damit es dem Falschen besser ähnelt.“ Guy Debord Kommentare XVII
“Man besitzt das nicht,was man selber produziert hat, ist also ausgebeutet und enteignet; man verfügt und bestimmt nicht über das,was man tut,ist also machtlos und unfrei; und man verwirklicht sich nicht in seinen eigenen Tätigkeiten,ist also
sinnlosen,verarmten und instrumentellen Verhältnissen ausgesetzt,Verhältnissen,mit denen man sich nicht identifizieren kann und in denen man mit sich entzweit ist.” Aneignung braucht Fremdheit,Rahel Jaeggi,Texte zur Kunst Nr.46 «Unser Hauptgedanke ist der einer Konstruktion von Situationen – d.h. der konkreten Konstruktion kurzfristiger Lebensumgebungen und ihrer Umgestaltung in eine höhere Qualität der Leidenschaft.»
moderne Revolution ernsthaft wird.“ Mittels solcher entwendenden, experimentellen Wiederaneignung und Herstellung von Kohärenz könnten sich auch die Proletarisierten selbst als gesellschaftliches Subjekt rekonstruieren, d.h. sich aus ihrem Objektstatus, der Situation passiver Betrachter_innen spektakulärer Vergegenständlichungen (Architektur, Werbeästhetik, visuelle Medien etc.) aktiv emanzipieren und ihre Ohnmacht überwinden.“ Biene Baumeister Zwi Negator, »Aneignung« von »Situationistischer Revolutionstheorie«
„Das gewöhnliche Leben, das bisher vom Versorgungsproblem bestimmt wurde, kann rationell beherrscht werden- diese Möglichkeit steht im Mittelpunkt aller Konflikte unserer Zeit-, und das Spiel muss in das gesamte Leben eindringen, es muss mit seiner räumlichen und zeitlichen Borniertheit radikal brechen.......die schön Verwirrung des Lebens bis zur Vollkommenheit zu treiben.“ R. Ohrt
„Langeweile ist konterrevultionär!“
Guy Debord in Roberto Ohrt, Der Beginn einer Epoche, S. 39.
„Die Konstruktion setzt die Destruktion voraus.“ Walter Benjamin
«Langeweile haben wir, wenn wir nicht wissen, worauf wir warten» Walter Benjamin
„Das kommende Kunstwerk ist die Konstruktion eines leidenschaftlichen Lebens.“ Guy Debord
«Situation ist für Kirkegaard nicht, wie für Hegel die objektive Geschichte, durch Konstruktion im Begriff fassbar, sondern allein durch die spontane Entscheidung des autonomen Menschen.» Th.W. Adorno: Kirkegaard
“...wir liegen vor dem Fernseher wie verprügelte Hunde und tragen an unserer Kleidung die Abzeichen der Unternehmen wie Sklaven.Wir leben in einem Narrenparadies.” Lasn,Kalle Culture Jam- How to reverse america´s suicidal consumer binge- and why we must,Quill Press
in: Gesammelte Schriften: Bd. 2, 1974, S. 70.
„Als strategische Momente zur „Konstruktion von Situationen“ sollen diese Techniken allen damit spielerisch Experimentierenden als kohärente Assoziation ermöglichen, „sich erst den revolutionären Ausgangspunkt zu schaffen, die Situation, die Verhältnisse, die Bedingungen, unter denen allein die
»Ich bin erregt. Lasse ich die Erregung weiter zu, so bekomme ich Angst. Deshalb sage ich mir: ich bin gar nicht erregt, ich will gar nichts tun. Gleichzeitig spüre ich aber, dass ich dennoch etwas tun will; da ich aber mein ursprüngliches Ziel vergessen habe, weiss ich nicht was. Die Aussenwelt muss etwas tun, was mich aus meiner Spannung befreit und mir doch nicht Angst macht. Sie
muss machen, dass ich handle, dann bin ich der Verantwortung enthoben. Sie muss mich ‚ablenken‘, ‚zerstreuen‘, damit das, was ich tue, von meinem ursprünglichen Ziel weit genug entfernt ist. Sie soll das Unmögliche möglich machen: mir Entspannung ohne Triebhandlung verschaffen.« (O. Fenichel: Aufsätze I,302). „Der Mensch, dieser entschiedene Träumer von Tag zu Tag unzufriedener mit seinem Los, vermag kaum alle die Dinge ganz zu begreifen, die er zu gebrauchen gelernt hat und die ihm zu seiner Gleichgültigkeit geführt haben oder zu seiner Anstrengung, denn er hat eingewilligt zu arbeiten zumindest hat er sich nicht gesträubt, sein Glück zu versuchen. André Breton „Die Manifeste des Surrealismus“ Erstes Manifest Seite 11
„...eine welt voller genüsse ist zu gewinnen. wir haben dabei nichts zu verlieren, als die langeweile.“
Stadt entzieht, ja diese zweckentfremdet....die Auswertung der archivierten Protokolle des Umherschweifens soll die wahren Stadtpläne ergeben, aus denen sich die Wege herauslesen lassen, die zu einer Stadt führen, die für den Menschen gebaut ist, der sie bewohnt. Das Umherschweifen ist die Zweckentfremdung der Stadt. “ Juri Steiner, New Babylon. Aufstieg und Fall der Stadt Paris Zwischen Second Empire und 1968
anselm jappe s. 123 + index
«Angesichts der Notwendigkeit, ganze Städte schnell zu bauen, ist man dabei, Friedhöfe aus Stahlbeton aufzustellen, in denen sich grosse Bevölkerungsmassen zu Tode langweilen müssen.» Asger Jorn in: L‘Internationale Situationniste, in: Der Beginn einer Epoche, S. 84.
„In der Stadt langweilen wir uns, und nur wer sich enorm müde läuft, kann noch Geheimnisse auf den Straßenschildern entdecken.“ Gilles Ivain Formular für einen neuen Urbanismus
„Das Umherschweifen ist eine Bewegungsart, die sich durch ihre Ziel- und Planlosigkeit, durch ihre Absage an die Hörigkeit ausgetretener Pfade, ihren Verzicht auf alle bisherigen Bewegungs- und Handlungsmotive den funktionalisierten Zwing-Strukturen der
„Das Konzept des Umherschweifens ist untrennbar verbunden mit der Erkundung von Wirkungen psychogeographischer Natur und der Behauptung eines konstruktiven Spielverhaltens, was es in jeder Hinsicht den klassischen Begriffen der Reise und des Spazierganges entgegenstellt.“ (S.I. Nr. 2)
«1953-54 haben wir es drei oder vier Monate praktiziert: das ist die äusserste Grenze, der kritische Punkt. Ein Wunder, dass wir daran nicht gestorben sind. Wir hatten eine eisern schlechte Gesundheit.» Guy Debord In girum imus nocte et consumimur igni, S. 67f.
“Jeder kann losrasen.Wir klagen ein,dass das mit voller Haftung betrieben wird.” Christoph Schlingensief
„Die Hauptbeschäftigung der Bewohner wird das ständige Umherschweifen sein. Die Veränderung der Landschaft von einer Stunde zur anderen wird dafür sorgen, dass man sich vollkommen fremd fühlt.“ Gilles Ivain Formular für einen neuen Urbanismus
Die Psychogeographie ist dabei „die Erforschung der genauen Gesetze und exakten Wirkungen des geographischen Milieus, das bewußt eingerichtet oder nicht, direkt auf das emotionale Verhalten des Individuums einwirkt.“ Guy Debord Rapport
„Deshalb pflegte ich oft Samstagabends, nachdem ich Opium genommen hatte die Märkte und Plätze von London zu durchwandern. Manche dieser Streifzüge führten mich weit weg, denn ein Opiumesser ist zu glücklich, als daß bei ihm die Zeit eine Rolle spielte. Und manchmal führten meine Versuche, mich nach nautischen Prinzipien heimwärts zu steuern, indem ich mich nach dem Polarstern richtete und mich nordwestlich halten wollte, statt alle Kaps und Landzungen zu umschiffen, an denen ich auf der Hinreise vorübergekreuzt war, plötzlich in solch verschlungene
Probleme von Alleen, solch rätselhafte Kreuzungspunkte, solche Sphinxrätsel von Straßen ohne Durchfahrten, daß sie wahrscheinlich selbst den Wagemut eines Gepäckträgers verspottet oder den Verstand eines Droschkenkutschers verwirrt haben würden. Manchmal kam es mir so vor, als sei ich der erste Entdecker dieser » Terrae incognitae«, und es überkam mich ein leiser Zweifel, ob sie je schon in den Stadtplänen von London verzeichnet worden seien.“ Thomas de Quincey, Bekenntnisse eines englischen Opiumessers (1821)
„Wir alle sind, ohne uns dessen unbedingt bewußt zu sein, mit der Idee der Psychogeographie vertraut, denn der anziehende oder abstoßende Charakter bestimmter orte ist jedem bekannt. Hat man beispielsweise mehre Möglichkeiten zum Supermarkt zu laufen, wird man je nach Stimmung eineandere Strecke auswählen. Hat man es eilig, wählt man den kürzeren Weg, der leider an einer lauten, vierspurigen Straße entlang führt. Um dem Lärm der Straße zu entgehen, vertieft man sich vielleicht in seine Gedanken und entflieht innerlich der trübsinnigen Umgebung. Dann wieder macht man extra einen Abstecher, weil dieser an interessanten orten vorbeiführt, vielleicht einer Straße mit Schaufenstern und Cafés oder an einer Parkanlage in Mitten der Großstadt.Jeder hat seine alltäglichen Zeremonien, die nicht nur von Funktionalität bestimmt sind.“ Claudia Basrawi .ein Vortrag vüber Psychogeographie
„..Dieses Viertel, das ganz aus Flitterkram besteht, wo die Schundwarenverkäufer von der Gefühlsverirrung einer ganzen Volksschicht profitieren, dieses Viertel, das einen fast kochelschwarzen Glanz in den Augen hat – es warzu früh für die Nachtlokale und zu spät fürs Kino - , ließ uns durch seine Maschen aus Dunkelheit schlüpfen und auf den Platz Saint-Georges entkommen, den die Rue Laferrière mit ihrem Halbkreis von Küssen für uns vergeblich umgab. Am unteren Ende der Rue Notre-Dame-de- Lorette, genau in Höhe des Augenarztes, in dessen kunterbunter Auslage eine kleine bebrillte Frauenbüste mit einer Frisur à la 1907 steht, die wir unter uns Die künftige Schönheit zu nennen pflegten, ..“ louis aragon pariser landleben
„Aragon geht es darum, das „Wunderbare des Alltäglichen“ ebenso einzufangen wie das schwindelerregende jeweilige „Moderne“ eines in stetigem Vergehen und Wandel begriffenen Werdens. Das Buch ist gleichzeitig Verteidigung und Illustration des Surrealismus, wie Aragon ihn versteht. Kern dieses Surrealimus ist das von der Phantasie produzierte neue Rauschmittel „Bild“ bzw. dessen „zügelloser, leidenschaftlicher Gebrauch“, d.h. dessen „unkontrollierte Hervorrufung um seiner selbst
willen“ und „um der unvorhersehbaren Störungen und Verwandlungen willen, die es im Bereich der Vorstellung nach sich zieht“. Wolfgang Babilas uni münster
„...Aragon - der Paysan de Paris, von dem ich des Abends im Bett nie mehr als zwei bis drei Seiten lesen konnte, weil mein Herzklopfen dann so stark wurde, daß ich das Buch aus der Hand legen mußte.“ Walter Benjamin
„Die Menschen können nichts um sich herum sehen, was nicht ihr Gesicht ist, alles spricht zu ihnen von ihnen selbst. Selbst ihre Landschaft ist beseelt.“ Karl Marx
«Wenn du durch die Strassen läufst, fuhr sie fort, musst du jeden einzelnen Schritt sorgfältig bedenken. Andernfalls ist ein Sturz unausbleiblich. Du musst ständig die Augen offenhalten, nach unten, nach vorne und nach hinten sehen, stets auf der Hut vor anderen Leuten und auf das Unvorhersehbare gefasst. Ein Zusammenstoss kann tödlich enden. (...) Man hat sich auf die unsichtbaren Gräben, die jäh auftauchenden Steinhaufen, die flachen Furchen einzustellen, damit man nicht stolpert und sich verletzt. (...) Nach und nach nimmt dir die Stadt jegliche Sicherheit. Du kannst dich nie auf einen Weg festlegen, und überleben kannst du nur, wenn du nichts nötig hast. Du musst auf der Stelle haltmachen, dein Vorhaben fallenlassen und umkehren können. Schliesslich gibt es nichts, was es nicht gibt. Und darum musst du lernen, die Zeichen zu deuten. Versagen die Augen, hilft manchmal die Nase weiter. Mein Geruchssinn ist unnatürlich scharf geworden. Trotz der Begleiterscheinungen – dem plötzlichen Ekel, der Benommenheit, der Angst, die mit dem Gestank in meinen Körper einzieht – schützt er mich in besonders gefährlichen Situationen, zum Beispiel wenn ich um eine Ecke biege. (...) Entscheidend dabei ist, dass man sich nicht daran gewöhnt. Denn Gewohnheiten sind tödlich. Selbst beim hundertsten Mal muss man allem und jedem entgegentreten, als ob man es nie zuvor gesehen hätte. Ganz gleich wie oft, es muss immer das erste Mal sein. Das ist so gut wie unmöglich, ich weiss, aber es ist eine unumstössliche Regel. paul auster „im land der letzten dinge“
„Der Spielraum des Umherschweifens ist mehr oder weniger genau danach bestimmt, ob diese Tätigkeit die Erforschung eines Geländes oder verwirrende emotonale Ergebnisse bezweckt. Nicht zu vernachlässigen ist die Tatsache, dass diese beiden Aspekte vielfach interferieren, so dass es unmöglich ist, einen im reinen Zustand auszusondern. Schließlich kann aber z.B. der Gebrauch von Taxis eine ziemlich klare Trennungslinie bedeuten: Fährt man während des Umherschweifexperiments mit einem Taxi zu einem bestimmten Ort oder einfach zwanzig Munuten nach Westen, so sucht man vor allem das persönliche Gefühl des Sich-Fremd-Fühlens. Bleibt man dagegen bei der direkten Erforschung eines bestimmten Gebietes, so gibt man der Erforschung eines psychogeographischen Urbanismus den Vorrang.“ Guy Debord Theorie des Umherschweifens
“It must be considered that there is nothing more difficult to carry out nor more doubtful of success nor more dangerous to handle than to initiate a new order of things; for the reformer has enemies in all those who profit by the old order, and only lukewarm defenders in all those who would profit by the new order; this lukewarmness arising partly from the incredulity of mankind who does not truly believe in anything new until they actually have experience of it.” Niccolò Machiavelli
«Die Entwicklung des städtischen Milieus ist die kapitalistische Dressur des Raumes. Sie steht für die Wahl einer bestimmten Materialisierung des Möglichen und schliesst andere aus.» «In den neu gebauten Vierteln beherrschen zwei Themen alles: der Autoverkehr und der Komfort zuhause. Sie sind die erbärmlichen Ausdrucksformen des bürgerlichen Glücks, und jedes Interesse am Spiel fehlt ihnen.» Constant in L‘Internationale Situationniste, Nr. 3, in Der Beginn einer Epoche, S. 80.
„Über nationale Grenzen hinweg und ungeachtet der uneinheitlichen Benennungen entstand in den letzten Jahren ein Netzwerk kreativer Kritik, bei deren Interventionen in die kulturelle Grammatik der Dominanzkultur sich politische und künstlerische Formen gerne mit Humor und Lust am Spiel verbinden.“ Sonja Brünzels Reclaim the Streets: Karneval und Konfrontation, dérive 2.
„Das totale Spiel und die Revulotion des Alltagslebens sind ein und dasselbe.“ anselm jappe s. 120 + index „Wir haben schon bemerkt, dass dieser Begriff des „Nur-Spielens“ keineswegs die Möglichkeit ausschließt, dieses „Nur-Spielen“ mit äußerstem Ernst durchzuführen.“ Huizinga «Wir haben schon auf das Bedürfnis, Situationen zu konstruieren, aufmerksam gemacht, eine der grundlegenden Begierden, auf die sich die nächste Zivilisation gründen muss. Dieses Bedürfnis nach einem absoluten Schaffen war immer aufs engste mit dem Bedürfnis verquickt, mit der Architektur, der Zeit und dem Raum zu spielen.»
„Dieses Projekt kann man mit den nach dem Prinzip der optischen Täuschung angelegten chinesischen und japanischen Gärten vergleichen (mit Unterschied jedoch, dass diese Gärten nicht dazu bestimmt sind, dass man ganz in ihnen lebt) oder mit dem lächerlichen Labyrinth im Pariser Botanischen Garten, an dessen Eingang die Dummheit ihren Gipfelpunkt mit dem Schild erreicht:
Spielen ist im Labyrinth verboten! - o arbeitslose Ariadne!“ Ivan Chtcheglov
„Wir haben einfach Öl hingebracht, wo Feuer war.“ Guy Debord
Revolutionäre Avantgarde Politische Aspekte der Revolutionären Avantgarde von Alexander Tcherevko Die Avantgarde fand sehr früh den Einzug in die politische Sprache der revolutionären Parteien und Bewegungen. Die Fragestellung besteht darin, in wie fern waren die Kunstbewegungen ausschlaggebend für die Bildung der politischen Meinung und wann ging die Avantgarde als Kunstbewegung ins Politische über? Der Professor für Literatur Peter Bürger behauptet im Buch „Der französische Surrealismus,“ dass erst mit der Studentenbewegung im Jahr 1968 die revolutionäre Kunst politisch wurde. „Mit der französischen Studentenbewegung war der Surrealismus in die Gegenwart eingebrochen; zugleich zwang deren Verlauf zu der Einsicht, dass anarchischer Protest leer laufen konnte.“ (Peter Bürger „Der französische Surrealismus“ Seite 9) Die Frage ist: „Wo fängt das Politische an?“ Die Avantgarde als die Idee des Fortschritts, muss eine Vorreiterrolle erfühlen und die Radikalität der Umsetzung muss jegliche Zweifel an der Richtigkeit der Bewegung ausmerzen. Die Revolution der Avantgarde (auch als politischer Akt) dient zur Auflehnung gegenüber dem Vorbestehenden. Die gesellschaftlichen und institutionellen Werte, werden nicht mehr akzeptiert und durch das Streben nach neuer Ausdifferenzierung, werden diese infrage gestellt. Die Revolution ist in diesem Sinne das Instrument mit dem man sich von dem bestehendem befreit und mit dem man zu Freiheit gelangt. Deswegen ist die Aussage vom Herrn Bürger bedenklich, da das Instrument schon mit dem Akt der Kunst sich gegenüber der bestehenden Kunstideologie stellt. Die Kunst als kulturelles Medium der Gesellschaft beinhaltet ein Wertesystem, welches in der Avantgardebewegung in erster Linie angegriffen wird. Die Werte sind Vorstellungen die dazu beitragen die Gesellschaft zu formen bzw. zu politisieren. Also kann man behaupten, dass schon in der Kunst die ersten politischen Ansätze sichtbar werden. „So wurde Dada geboren aus einem Bedürfnis
nach Unabhängigkeit, nach Misstrauen gegenüber der Gemeinschaft“ (Tristan Tzara „Sieben Dada Manifeste“ S.40) Das Bestreben nach der Unabhängigkeit, folgt aus der Erkenntnis, dass man nicht als Individuum agiert. Das Bestreben sich vom bestehenden loszulösen, wird von der Energie der Unzufriedenheit und des Misstrauens getragen. Diese Kraft ist ungebunden und ungerichtet, weil das neue Erkenntnis noch keine Form hat, sie ist gezwungenermaßen ein „Gegen...“ Für die Dadaisten ebnet diese Energie den Weg für die Vision der gesellschaftlichen Befreiung. Die Kunst und die Literatur als kultureller Aspekt der Gesellschaft, bietet ein Medium der die Ausdrucksweise der Dadaisten umsetzt und veranschaulicht. Die als Anti-Kunst bekannter Stil, basiert auf der Werteablehnung, Revolution, Anarchie, Zerstörung und bestärkt sich durch die Undefinierbarkeit des Dadaismus, was zufolge hat, dass man die weit reichenden Dimensionen des Dada nicht erfassen kann. (Eine Ebene des Unangreifbaren „Dada ist nichts“ aber auch irgendwie alles.) Ein Aufstand gegen die Kunst von Seiten der Künstler. Den Kontrast zum Alltäglichen der mit der Bewegung erreicht wurde, könnte man als Freiheit für damaligen Avantgardeabschnitt betrachten. Die Erkenntnis der Zwänge des Systems von dem man sich befreien will. Der Akt der Befreiung drückt den Wunsch nach Freiheit aus, Freiheit von: Institutionen, Gesellschaft, Kunst Institutionen. Es ist der Beginn der Freiheit als Autonomie, der sich im Wunsch nach Unabhängigkeit und Emanzipation äußert. (gesellschaftliche Befreiung) Die surrealistische Bewegung knüpft an die Auslöser der dadaistischen Bewegung an. „Revolte gegen eine als Zwang empfundene Gesellschaftsordnung, Wille zur totalen Umgestaltung der zwischenmenschlichen Beziehungen und Streben nach einer Vereinigung von Kunst und Leben.“ (Peter Bürger „Der französische Surrealismus“ Seite 12) „Die einfache surrealistische Handlung besteht darin, mit Revolvern in den Fäusten auf die Straße zu gehen und blindlings soviel wie möglich in die Menge zu schießen.“ (André Breton „Die Manifeste des Surrealismus“ Seite 56) Diese überspitzte Aussage macht deutlich wie ernst das Anliegen ist, die gesellschaftliche, politische und individuelle Befreiung vom System einzuleiten. Der Appell richtet sich auch an die Wahrnehmung/Erkennung
dessen was uns umgibt, mit „dem Prinzip der Erniedrigung und Verdummung“ (André Breton „Die Manifeste des Surrealismus“ Seite 56) der Massen, deutet Breton an, dass die Einfügung in das System reibungslos abläuft, der Mensch aber nicht im Stande ist es zu erkennen. Die Surrealisten glauben an das Unbewusste, was in jedem Menschen verborgen ist. Dieses Unbewusste tritt erst heraus wenn man sich in einem Rausch- oder Traumzustand befindet. Die Freilegung des Unbewussten, wird als die unabhängige, authentische und leitende Energie verstanden, die das Individuum als solches definiert und ihn von äußerlichen Zwängen löst. Die Surrealistische Idee war, durch die Kunst eine Sensibilisierung des Menschen zu erreichen, durch die er von sich selbst aus Erkenntnisse gewinnt und nach ihnen handelt. „Gesellschaftliche und geistige Veränderung“(Peter Bürger „Der französische Surrealismus“ Seite 31) Die Surrealisten wollten dem Menschen die individuelle, politische und die gesellschaftliche Freiheit ermöglichen, eine globale Freiheit von den Zwängen, zu dem Individuellen/Unbewusstem Leben. Im Vordergrund ist die individuelle Freiheit. Im Jahr 1927 folgt der Beitritt von André Breton in die kommunistische Partei. „Die Kultur interessiert die Surrealisten in ihrem„Werden“ und dieses erfordert erst die Veränderung der Gesellschaft durch die proletarische Revolution.“ (André Breton „Die Manifeste des Surrealismus“ Seite 103) Die Absicht das Proletariat mit surrealistischen Mitteln zu erreichen, scheitert an der Wahrnehmung und Bildung der Massen. Die Surrealisten sprechen nicht die Sprache des Proletariats, sondern eher die Bürgerliche und Akademische. Der Beitritt zeigt, dass um den Gedanken des Surrealismus zu verbreiten man nach einer Quelle gesucht hat, die das revolutionäre Denken und die Masse verbinden konnte. Die Bewegung nimmt politische Züge an, sie versucht eine Symbiose mit dem Kommunismus einzugehen. In den Jahren geniest die Kommunistische Partei Frankreichs (KPF) eine große Aufmerksamkeit und großen Einfluss in der Arbeiterklasse. In wie fern kann der Mensch selbstständig ohne Input zu einer Erkenntnis kommen (Betrachtung des Proletariats) und welche Macht übt die Kunst, die Politik und Freiheit aus? In dem Moment, in dem man die Gesellschaft versucht zu verändern und es Idealerweise durch die Massen selbst geschieht, hat die Revolution einen politischen Erfolg erzielt.
Der Widerspruch zu den anfänglichen Formulierungen der surrealistischen Motivationen, führt darauf hinaus, dass aus der Idee der Freiheit die Ideologie des Beherrschens entstanden ist. „Wo fängt das Politische an?“ Die Idee, dass der Mensch aus sich selber heraus revolutionär wird, ist sehr utopisch. In dem Fall der Symbiose von Surrealismus und Kommunismus wird ein Input von den Führenden, für die Einzelnen ausgegeben um die Massen zu erreichen. Somit entsteht eine Machtposition die mit dem Gedanken/Denkweise die Massen verführt oder verführen will. Kunst, Politik und Freiheit sind Machtsubstanzen. Die Macht wird dazu benutz um den Massen den Weg zu weisen oder die zu beherrschen. Die Erkenntnis, dass die Macht wie die Freiheit, Politik, Kunst, Leben und das Unbewusste jedem vorbehalten sind, geht verloren. Der Anfangsgedanke sich von bestehendem zu befreien, in dem man als revolutionärer Mensch, um revolutionär zu bleiben, sich jeden Tag aufs Neue dem vorhandenen gesellschaftlichen Denken gegenüber tritt, ist nicht mehr vorhanden. Das Bestreben der Situationisten folgt den emanzipierenden Veränderungen von der Gesellschaft und dem Leben. {Versuch der Lösung von den bestehenden gesellschaftlichen Strukturen durch Liebe, Subjektivität, Kunst und Fantasie zu einem Ort, an dem Genuss, Zufall und Menschlichkeit entstehen kann.} „Wir meinen zunächst, dass die Welt verändert werden muss. Wir wollen die am weitesten emanzipierende Veränderung von der Gesellschaft und den Leben, in die wir eingeschlossen sind“ (Rapport über die Konstruktion von Situationen) Das Leben zum Kunstwerk als Vision, wird bei den Situationisten mit theoretischen und praktischen Herstellungen der Situation zu erreichen versucht. Das Leben wird als zu gestaltende Element angesehen, das man mit dem Spiel konzipiert. Die Substanz aus dem Spiel entfesselt Energie die nicht von äußeren Einflüssen beschränkt wird. Man fühlt sich befreit und versucht die Freiheit in die künstlerischen und politischen Aktionen umzusetzen. Die Freiheit aus Möglichkeiten. {Der Mensch ist unmittelbar frei, gleichberechtigt, sich selbst verwaltend, kreativ; er kann sich seinen Leidenschaften hingeben und keinerlei unnötigen Zwänge mehr unterliegen.} Die Aktion führt die Situationisten zu der Freiheit die ihnen ermöglicht dieselbe zu Reproduzieren. Situation = Aktion „Es ist gerade
unsere Angelegenheit bestimmte Aktionsmittel anzuwenden und neue zu erfinden, die auf dem Gebiet der Kultur und der Lebensweise leichter zu erkennen sind, aber mit der Perspektive einer gegenseitigen Beeinflussung aller revolutionären Veränderungen angewandt werden“ (Rapport über die Konstruktion von Situationen) Der Guy Debord spricht auch von der Notwendigkeit der Umwälzung des alltäglichen Lebens und Aufhebung der großen Trennung der Individuen voneinander durch eine revolutionäre Praxis der Selbstverwaltung. In dem man sich als Frei versteht, kann man die Substanz der Freiheit zu Handlungsfähigkeit und Gestaltung des eigenen Lebens nutzen. Die Reflexionsebene auf der man den gesellschaftlichen Einfluss/Macht erkennt, erzeugt die Interpretation und den Spielraum für die Situationisten. Die Ansätze für die revolutionäre Entwicklung der Avantgarde lassen sich bei den Dadaisten klar erkennen. „Der neue Künstler protestiert: er malt nicht mehr (symbolische und illusionistische Reproduktion), sondern er schafft direkt Felsen...” (Tristan Tzara „Sieben Dada Manifeste“ S.42) Die Auswirkungen der Avantgarde werden erst kurz vor ihrem Ausklang deutlich. „Ihr Sieg ist ihre Niederlage“ (Christoph Menke „Ästhetische Souveränität – Nach dem Scheitern der Avantgarde“ Seite 301) „Die avantgardistische Hochschätzung der Kunst erscheint vor allem auch deshalb so abwegig, weil sie so erfolgreich war“(Christoph Menke „Ästhetische Souveränität – Nach dem Scheitern der Avantgarde“ Seite 301) Erfolg einer (politischen, künstlerischen) Bewegung beginnt bei der Überzeugung der Massen, dieser Erfolg wird als Massenprodukt an den Mann gebracht und bedient sich der kapitalistischen Ideologie. „Sie erklärt die Kunst zu etwas, das uns vormacht, wie wir unser Leben einzurichten haben; darin liegt die orientierende, die richtungweisende Kraft, die die Avantgarde der Kunst (und damit: sich selbst) zu sprach“(Christoph Menke „Ästhetische Souveränität – Nach dem Scheitern der Avantgarde“ Seite 304) „Denn was das avantgardistische Ästhetisierung wollte, ist das Gegenteil dessen, zu dem es sich in seiner Verwirklichung verkehrte: Freiheit oder Autonomie.“ (Christoph Menke „Ästhetische Souveränität – Nach dem Scheitern der Avantgarde“ Seite 301) Nach einem Prinzip zu denken, ist alles andere als Freisein.
Die Überzeugung schränkt dich in deinem autonomen Handeln ein, somit ist der Zwang der Bewegung, ein Zwang der Anpassung. „Das, was ein Mittel zum Gewinn von Freiheit sein sollte, in der Konsequenz seiner gegenwärtig beobachtbaren Verwirklichung zu einer neuen Qualität im schönen Schein verpackter Unfreiheit geführt hat.“ (Christoph Menke „Ästhetische Souveränität – Nach dem Scheitern der Avantgarde“ Seite 302) „Logik der Verkehrung der politischen Emanzipation. Diese Verkehrung besteht darin, dass die politisch-revolutionären Avantgarden als Kampf gegen die traditionelle Herrschaft von Personen antreten und in einer totalen Unterwerfung unter die „Macht der Dinge“ enden.“ (Christoph Menke „Ästhetische Souveränität – Nach dem Scheitern der Avantgarde“ Seite 302) „Das Lehrstück des sowjetischen Kommunismus zeigt, dass die politische Emanzipation aus personaler Herrschaft nur herausführt, um nach dem „lächerlichen“ Zwischenspiel der bürgerlichen Gesellschaft und Politik – in einer verwalteten Welt zu enden.“ (Christoph Menke „Ästhetische Souveränität – Nach dem Scheitern der Avantgarde“ Seite 303) „Die Avantgarde überschätzt die Möglichkeit der politischen Emanzipation, indem sie ihr zutraut, verwirklichen zu können, was die Kunst ihr vormacht.“ (Christoph Menke „Ästhetische Souveränität – Nach dem Scheitern der Avantgarde“ Seite 303)
AVANTGARDISTISCHE KRITIK von Stefan Staehle beweglich, schnell, die Frontlinie bildend - so lassen sich die Merkmale beschreiben, die gemeinhin mit der Avantgarde verbunden werden. Doch bilden diese nur die Grundlage für die wesentlich bestimmende Eigenschaft dieses Truppenteils, die sich daraus ergibt, dass sie im Falle einer Verlangsamung ihrer Truppenbewegung oder ihres Innehaltens während des Vormarsches Gefahr läuft ihre exponierte Stellung, durch das sich nähernde Hauptheer, zu verlieren. Sie wird sich somit wieder in die Reihen eingliedern müssen. Sollten sich nun zusätzlich noch das Gros der Armee entschließen, den Rückzug anzutreten läuft sie nun vollends Gefahr ins Hintertreffen zu geraten, zur Nachhut, zur Arrieregarde zu werden -abgehängt und mit Rückzugsgefechten beschäftigt (1). Diese hier beschriebenen, rein militärischen Zusammenhänge beschreiben in ihren Wechselwirkungen und Zusammenhängen die Funktionsweisen aller Avantgarden und avantgardistischen Strömungen in ihrem programmatischen Kern. Denn während sie einerseits zur Erkundung beitragen, den Kampfplatz sondieren, das Terrain säubern und den Vormarsch der Truppen sichern und als Erste auf dem Schlachtfeld präsent werden, sind diese Tätigkeiten immer einem höchst flüchtigen Kontext unterworfen, der direkt die Legitimation der Vorkämpfer bedroht. Diese Umstände verdammen die Avantgarde ihre Marschrichtung konsequent fortzusetzen um ihr Wesen zu erhalten. Hieraus ergeben sich die Charakteristika, die vom Auftauchen des Begriffes der Avantgarde außerhalb seiner militärischen Diktion im ausgehenden 19. Jahrhundert, über seine Hochphase in den Diensten der Macht, im Russland der Oktoberrevolution und im italienischen Faschismus, bis zu seiner Marginalisierung und Entwertung mit der einsetzenden Postmoderne im Europa der Nachkriegszeit, die Handlungen der Avantgarden maßgeblich beeinflusst haben. In diesem Zusammenhang wird auch der geschichtliche Rahmen dieser Strömungen erkennbar - die Lebenszeit der Avantgarden ist in großen Teilen kongruent mit dem was gemeinhin als das Projekt der Moderne verstanden wird (2). Sie sind Begleiterscheinungen dessen
was sich rückblickend als deren prägendste Faktoren erwiesen hat – erstens der kapitalistisch organisierte Akkumulation von Geld -und Warenwerten und zweitens dem Prinzip der tayloristischen Arbeitsteilung. Nun wird man natürlich anführen, dass sich die künstlerische Kritik der Avantgarden vor allem an den verkrusteten Strukturen der Akademien abarbeitet und sich in einer konträren Position gegenüber dem konservativen Bürgertum in Stellung brachte - dass es sich also um kulturelle- und ästhetisch kritische Positionen handelte.(3) Diese Haltung allerdings kann nicht zu einer konsequent befriedigenden Erkenntnistiefe führen, da sie zu kurz greift und die herrschenden sozioökonomischen Zusammenhänge größtenteils ausblendet. Nur an diesem Punkt aber kann eine differenzierte Betrachtung von avantgardistischer Kritik in Kunst und Leben ansetzen. Die erhobenen Forderungen nach neuen künstlerischen Organisationsformen, nach der Internationalisierung der Kunst, der Emanzipation der Frau, die Formulierung von theoretischen Grundlagen, nach Abstraktion, der Ablehnung der Hierarchien und der insgesamt stark zunehmenden Politisierung der Künste (4) kulminieren in dem Ansatz Kunst und Leben zu verschmelzen und ein integrales Gesellschaftsmodell zu entwerfen. Dieser Entwurf einer neuen Gesellschaft, die sich aus den Trümmern der vorangegangenen erheben sollte, wendet sich direkt gegen die fortschreitende Ausdifferenzierung und Trennung der Lebens –und Seinsbereiche, im Sinne der marx’schen Entfremdung. Während sich die sozialistische Kritik, an diesem Zustand der Ausbeutung und Unfreiheit, vor allem gegen die Armut und die Ausbeutung der Arbeiterschaft und die sich ausbreitenden Entsozialisierung der Gesellschaft wendet, speist sich die Quelle der künstlerischen Empörung aus der Entzauberung und der fehlenden Authentizität der Dinge und der immer weiter zunehmenden Unterdrückung des Einzelnen durch den Markt(5). Die finalen Forderungen der Avantgarden zielen also darauf ab die Aufhebung der Entfremdung des modernen Menschen durch die Anstrengungen der Kunst zu ermöglichen. Die Wiedererlangung der menschlichen Autonomie und das Wiedererkennen existentieller Werte stehen dabei im Vordergrund. Mit dieser Um –und Neubewertung der künstlerischen Aktivität im gesellschaftlichen Kontext geht vor allem Positivierung und Steigerung des ideellen Wertes des eigenen Schaf-
fens einher. Aus der abbildenden, bürgerlichen Kunst erwachsen nun Methoden, die zur Seins –und Sinnbestimmung der Rezipienten dienen und ihn zur Authentizität führen sollen. Die Abbildung und Hinleitung auf ein neues Menschen –und Gesellschaftsbild bilden in dieser Zeit die neue Triebfeder der Künste, doch dogmatisiert und radikalisiert sie die Kunst und ihre Theorien auch in nie da gewesener Weise. Es ist die Zeit der Kunst-Ismen (6) und Manifeste. Um diesem Kult der Authentizität herum gerieren sich die nun entstehenden avantgardistischen Ismen, egal ob Abstraktivismus, Dadaismus, Futurismus, Kompressionsmus, Kubismus, Simultanismus, vor allem als kommende Heilsbringer (7) für die an sich selbst krankende Gesellschaft. Um sich in diesem Konkurrenzkampf zu behaupten und sich Gehör zu verschaffen, ist es für sie notwendig eine klare Trennlinie zwischen sich und dem Gegner zu ziehen. Dies kann in diesem Fall nicht mehr durch die Rückbesinnung und Reaktivierung vergangener Werte und Traditionen geschehen. Die Brücken zur Vergangenheit hat der fortschreitende Kapitalismus hinter sich verbrannt und deren Werte vereinnahmt. Hiermit ist die Kritik der künstlerischen Avantgarden zum gleichen Schicksal verdammt wie einst ihre militärischen Vorgänger – dem unbedingten Drang immer weiter in den noch leeren, unbesetzten Raum vorzustoßen und damit den Abstand zwischen sich und der nachfolgenden Masse so groß wie möglich zu halten. Um diesem drohenden Verhängnis zu entkommen, entwickelt die Avantgarde Strategien, um ihre Visionen und Szenarien des Zukünftigen nicht in Gefahr zu bringen, als Ausdruck der herrschenden und ungerechten Verhältnisse wahrgenommen zu werden
niger Anstrengungen, die sich vor allem in der aufkommenden Theoriefreudigkeit der Künstler niederschlägt. Als besonders ergiebig zur Schaffung des Neuen erwies sich der Mensch an sich, so barg die „Entdeckung“ des Unterbewusstseins vor allem einen reichen Schatz neuer Schaffensbereiche. So zerrte die Kunst das Deviante und Abnorme ans Licht um sich darin dem Wesen des menschlichen Seins zu nähern. Die Gültigkeit der drei Dimensionen wird in Frage gestellt – und die Zeit betritt die Bühne der Kunst(8). Und auch die Technik des Ingenieurs gerät zu einem Idealbild des modernen Kunstschaffenden(9). Von nun an sind die Quellen, aus denen die Kust schöpft ebenso wie die Ausdrucksformen des etablierten Kunstbetriebs der Dynamik unterworfen, welche die Strategie des „Neuen“ freisetzt. So gerät die Kunst vor allem dadurch in Bewegung, dass sich die neuen Strömungen nicht mehr auf eine Ausdrucksform, wie das Bild, allein beschränken lassen wollen – die Schaffung eines Mehrwertes durch das Neue erfordert auch den Abriss der Barrieren zwischen den künstlerischen Einzeldisziplinen. Im Bereich der Darstellung entsteht als Antwort auf die immer komplexer werdenden thematischen Zusammenhänge ein sich immer weiter verstärkender Abstraktionsgrad. Diese Hilfsmittel zur Produktion des Neuen sind die Waffen mit denen sich die Avantgarde gegenüber dem Konservativismus in Stellung bringt – und gleichzeitig bergen sie ins sich den Kern des ihres Scheiterns. Durch den stetig wachsenden Anspruch an Neuerung und dem sich verschärfenden Innovationsdruck erwächst innerhalb der avantgardistischen Strömungen eine stetig zuspitzende Radikalisierung und Dogmatisierung der propagierten Inhalte und ihres Ausdrucks. Doch was, Das Neue. wenn sich die Erforschung des Unterbewussten erschöpft, die Zeit ihren Platz in der Kunst Nur durch die Fixierung auf das dato unbekannte geschaffen hat und sich die Verheißungen des und Innovative, kann es der Kunst gelingen sich technischen Fortschrittes in ihr Gegenteil vervon der Anschuldigung der Komplizenschaft kehren? Auch die Frage was nach Malewitschs mit der alten Ordnung frei zu machen und ihren schwarzem Quadrat noch radikal sein kann, beEmanzipationsanspruch bekräftigen. Das Neue droht den Fortschrittsgedanken der Kunst. Hierist unschuldig, rein und birgt die Hoffnung auf in zeigt sich vor allem die Kehrseite der Innodas Kommen eines neuen Ideals. Des Weiteren vationsdynamik avantgardistischer Kritik – den artikuliert das Neue den unbedingten Willen sich schon sehr bald abzeichnenden Endpunkzur Innovation und die Progressivität seines ten der künstlerischen Radikalität ist sie schutzErschaffers. Mit der zunehmenden Dogmatisie- los ausgeliefert. Und um aus diesem Vorgang rung dieser Anschauung beginnt ein hektisches ausbrechen zu können, müsste sie ihre eigentTreiben innerhalb des modernen Kunstbetriebes. liche Existenzberechtigung verleugnen, die sie Um das Neue zu finden, bedarf es zunächst ei- ja direkt aus ihm ableitet. Wie sollte die avant-
gardistische Kritik aber weiterhin ein Lieferant des Neuen bleiben, wenn sich ihre Innovationskraft sukzessive zu erschöpfen schien - und wie konnte angesichts dieser Umstände die Kunst weiterhin in der Lage sein, die Vorstellung eines neuen Ideals aufrechterhalten, wie konnte sie weiterhin absolut modern sein (10)? Neben der Zuspitzung des Abstrakten und spektakulär Innovativen muss in diesem Zusammenhang ein weiterer ausschlaggebender Sachverhalt ins Feld geführt werden. Die Kritik der Avantgarde läuft mit ihrer Produktion des Neuen Gefahr sich selbst in Frage zu stellen, da sie einerseits einer Entschleunigung ihrer eigenen Produktionsdynamik ausgesetzt ist und andererseits die kritisierten Verhältnisse eine immer größer werdende Resistenz gegen die Formen ihrer Kritik entwickeln. Das System des Kapitalismus ist immer wieder in der Lage sich mit der erhobenen Kritik zu verschmelzen und sie zu antizipieren – er entwickelt sich ständig weiter und verändert hierbei seine Erscheinungsform – ohne allerdings seine grundlegenden Prinzipien zu verraten. Die
Zweckentfremdung
An diesem Punkt ständiger Mutation, am Prozess selbst, muss die Kritik also ansetzen um ihre Aktualität zu wahren. Um den Prozess der Entfremdung, der sich als einzige Konstante innerhalb des flüchtigen kapitalistischen Systems erweist, erkennbar zu machen, greifen Teile der Avantgarde als ultima ratio auf die Trennung von Inhalt und Form zurück. (11) Hiermit sollen neue Zusammenhänge und Deutungsebenen sichtbar werden – die Zweckentfremdung als Mittel zur Bekämpfung der Entfremdung. Mit der Neubesetzung des Inhaltes durch die Umdeutung ist ein weiterer Weg gefunden Neues und Innovatives zu produzieren, ohne sich der direkten Gefahr der Abwertung und Umdeutung der eigenen Produkte auszusetzen. Sie macht sich eine prinzipielle Logik der Kultur zu Eigen, in der etablierte kulturelle Werte eine Abwertung erfahren, während sich das bis dato profane einer Wertsteigerung unterzieht(12). Kann diese Vorgehensweise zwar auf Dauer der von ihr angewendeten Praxis ebenfalls nicht standhalten, so ist sie doch in der Lage die Kritik in einem hohen Maße zu flexibilisieren. Denn während sich Erkenntnisse des wissenschaftlichen und geistigen Fortschritts mit der Zeit abschwächten, an Strahlkraft verloren und sich in das Gesamt-
system einfügten, versetzte die Vorgehensweise der Zweckentfremdung die Künstler in die Lage ihre Kritik direkt an der Dynamik der Bild -und Warenwelten selbst anzusetzen und sich damit mit ihr zu entwickeln um somit ihre Rolle als Vorreiter dauerhaft auszuführen. Die Form der Zweckentfremdung setzt den Vorgang der menschlichen Entfremdung unter Druck, da jede ihrer neuartigen Entwicklungen im Augenblick ihres Entstehens Gefahr laufen ihre Bedeutung zu verlieren und sich gegen das System selbst zu wenden. Beispielhaft für diesen Prozess erscheinen hier die russischen Formalisten um Sklovskij, deren Aktivitäten sich um den Begriff der „ostranenie“ entwickelten. Hierbei sollten die Dinge des Alltags, die in ihrer Erscheinung nur noch automatisiert wahrgenommen werden können zu Gegenständen der Kunst gemacht werden, was ihnen mithilfe ihres innewohnenden Differenzpotentials ihre wahre Bedeutung zurückgeben würde. (13) Der Vorgang der Zweckentfremdung scheint sich in seiner Beständigkeit als deutlich vitaler zu erweisen, als die rein auf Zuspitzung beruhenden Methoden der Kritik. So ist zu erklären, dass er sich auch im Methodenschatz der letzten Avantgardebewegung (14), der Situationistischen Internationalen wieder findet. Hier erhält er den Namen Detournement – die Zweckentfremdung im Sinne einer Entwertung und Umdrehung (15). Es markiert den Schlusspunkt der immer weiter entwickelten Methoden der avantgardistischen Kritik, kann aber dennoch ihr Scheitern nicht verhindern. Ein Grund dafür könnte darin liegen, dass sich die nun immer deutlicher zu vernehmenden avantgardekritischen Stimmen durchsetzen, die dem Prinzip der Authentizität und Singularität bzw. dem Prinzip des „alles oder nichts“ ein pluralistisches „sowohl als auch“ entgegensetzen. Oder handelt es sich bei der Auflösung der Situationistischen Internationale 1972 um einen künstlerischen Selbstmord angesichts eines zu mächtigen Gegners? Sicherlich spielen diese Faktoren eine Rolle, doch scheinen sie zu kurz zu greifen. So attackieren die Situationisten das Avantgardekonzept selbst, indem sie sich in ihrer Selbstdefinition nicht etwa als Avantgarde verstehen, sondern als ‚enfants perdus’, als verlorener Haufen im militärischen Sinne bezeichneten(16). Dieses Umgehen der klassischen Avantgardedefintion und die Ablehnung des Begriffes Situationismus selbst, macht deutlich wie gefährlich der Begriff der Avantgarde für die damaligen
Künstler schon geworden war – die Methoden und Aussagen der Avantgarden befanden sich schon größtenteils in den Händen ihrer Gegner. So tritt die Situationistische Internationale zwar ebenso wie ihre Vorgänger an, die Differenz zwischen Kunst und Alltagsleben zu überwinden und die Totalität des kapitalistischen Arbeitsleben zu bekämpfen, doch können in ihrer Denkweise die Ziele nicht allein mit der Kritik des Künstlers erreicht werden, sondern müssen auf breite Unterstützung bauen, sie müssen die Welt in ihrer Totalität angreifen.(17) So wird in der Auflösung der Situationisten Internationale das Verschmelzen von künstlerischer und sozialer, politischer Kritik ermöglicht, indem künftig, die Situationisten und ihre Aufgabe überall sein sollen.(18) Diese Verflüchtigung hin zur Nichtlokalisierbarkeit, die damit verbundene Abkehr von reiner Glaubenslehre und Dogmatismus sind die Antwort auf den neuen Anspruch der Zeit – hierin liegt der Verdienst der Situationisten.
05.
vgl. Boltanski/Chiapello, Der Neue Geist des Kapitalismus
06.
Arp/Lissitzky. Kunst-Ismen
07.
ein innerweltliches Erlösungspathos ergriff die Avantgarde, Klaus von Beyne, Theorie der Avantgarde
08.
Kubismus, Futurismus (Bocchioni)
09.
El Lissitzky, Der Ingenieur
10.
il faut être absolument moderne Rimbaud
11. 12.
vgl. Boris Groys, Über das Neue
13.
vgl. Frank Kessler, Ostranenie, in new german critique 68
14.
vgl. Beyne, Theorie der Avantgarde
15. vgl. Hans Ullrich Reck, Vorlesungen zur Geschichte der Künste im medialen Kontext, Köln
je grandioser ihr Anspruch ist (der Anspruch der Kunst), umso mehr liegt ihre wahre Verwirklichung jenseits von ihr. Diese Kunst ist 16. notwendig Avantgarde und diese Kunst existiert nicht. Ihre Avantgarde ist ihr Verschwinden. 17. G. DEBORD 18.
QUELLEN 01.
ist die Truppe in Bewegung, so bildet ein mehr oder weniger starker Haufe ihre Vorhut, nämlich die Avantgarde, welche, im Fall die Bewegung rückwärts geschieht, zur Arrieregarde wird Clausewitz, Vom Kriege 02.03.04
vgl. Beyne, Theorie der Avantgarde
vgl. Instant Urbanism xx
vgl. BBZN, Situationistische Revolutionstheorie Guy Debord, Rapport zur Konstruktion von Situationen vgl. BBZN, Situationistische Revolutionstheorie
ARCHITEKTUR UND LEIDENSCHAFT von Simon Fehrle
„In der Stadt langweilen wir uns und nur wer sich enorm müder läuft kann noch Geheimnisse auf Straßenschildern lesen.“(1) Künstler und Architekten der Avantgarde sind seit jeher damit befasst, die Welt nach ihren eigenen, oftmals eher kuriosen Maßgaben umzugestalten. So hatten auch die Mitglieder der Situationistischen Internationale ihr eigenes Verständnis von Politik, Gesellschaft und Architektur. Die Situationisten sind radikal antikapitalistischer Gesinnung, aber ihre gleichfalls radikale Ablehnung aller Formen zentraler Regierung hielt sie zugleich davon ab, sich eine politische Revolution zu erträumen, die lediglich eine Machtform durch eine andere ersetzen würde. Stattdessen entwickeln sie das Prinzip des „Einheitlichen Urbanismus“, demzufolge Architektur „das einfachste Mittel sei, um die Realität zu formen, um Träume zu erzeugen.“ (2) Zusätzlich sollen weitere Kritikpunkte am städtischen Umfeld mit dem so genannten Unitären Urbanismus behoben werden. Diese zielen vor allem auf mangelnde Leidenschaft und Poesie in der Stadtgestaltung ab. Die Situationisten sind überzeugt davon, dass die Städte beherrscht werden von banalen funktionalen Elementen. Die Gesellschaft wird durch Produktion und Komfort beherrscht. Die kalte Architektur, die nur dazu dient Funktionen zu übernehmen soll nicht länger die Städte bestimmen. Die Vision des Unitären Urbanismus soll den Städtebau in seinen Grundsätzen verändern. Grundlegend soll die Leidenschaft eines Jeden zur Stadtgestaltung geweckt werden. So ist die Idee, die Architektur dem Individuum zu überlassen und die Stadtgestaltung ebenfalls. Die Stadt ist nicht mehr als reiner Lebensraum zu verstehen. Sie verändert sich zum dynamischen Kunstobjekt und ihre Architektur wird wandelbar sein. Die Stadt soll sich durch den radikalen Gebrauch bestimmter künstlerischer Techniken und Praktiken nach dem Willen der Bewohner verändern. Durch die Konstruktion neuer Um-
welten in Verbindung mit Verhaltensexperimenten wollen die Situationisten das Leben derer neu definieren, die in diesen Strukturen zu leben haben. Wichtig hierbei ist, dass die Architektur als einfachstes Mittel gilt, Raum und Zeit zu gestalten. Die Realität wird nicht einfach reproduziert, sondern durch eine spezifisch architektonische Durchdringung von Raum und Zeit derart verändert, dass sie Träume evoziert. Bei der Konstruktion neuer Umwelten handelt es sich also nicht nur um plastische Gliederung und Umgestaltung urbaner Texturen, sondern um eine Einfluss nehmende Modulation, die sich in die ewige Kurve des menschlichen Verlangens einschreibt. Jedes Individuum bringt dabei seine Leidenschaft mit ein und so wird die Gesellschaft von den Sehnsüchten aller getragen. Das Ludische oder Spielerische war den Situationisten dabei von zentraler Wichtigkeit. Damit soll die Freizeit, ihrerseits ermöglicht durch die fortgeschrittene Mechanisierung der Arbeit, produktiv und kreativ umgewertet werden. Zwei wesentliche Techniken bzw. Spielregeln in dieser Interaktion zwischen Mensch und Raum sind das Umherschweifen und die Zweckentfremdung. Das Umherschweifen ist eine Technik des eiligen Durchgangs durch abwechslungsreiche Umgebungen. Diese experimentelle Verhaltensweise ist geknüpft an die Bedingungen der städtischen Gesellschaft. Der Begriff des Umherschweifens ist untrennbar verbunden mit der Erkundung von Wirkungen psychogeographischer Natur und der Behauptung eines konstruktiven Spielverhaltens, was ihn in jeder Hinsicht den klassischen Begriffen der Reise und des Spaziergangs entgegenstellt. Eine oder mehrere das Umherschweifen praktizierende Personen verzichten für eine mehr oder weniger lange Zeit auf die ihnen im allgemeinen bekannten Bewegungsbzw. Handlungsgründe, auf die ihnen eigenen Beziehungen, Arbeiten und Freizeitbeschäftigungen, um sich den Anregungen des Geländes und den ihm entsprechenden Begegnungen hinzugeben. Die Technik der Zweckentfremdung entnimmt ein ästhetisches vorgefertigtes Element aus seinem funktionalen Umfeld. Es findet eine Eingliederung jetziger bzw. vergangener Kunstproduktionen in eine höhere Konstruktion der Umwelt statt. Demnach kann es also weder eine situationistische Malerei noch eine situationistische Musik, wohl aber eine situationistische Anwendung dieser Kunstmittel geben. In ihrem ursprünglichen Sinne ist die Zweckentfremdung
innerhalb der alten Kulturgebiete eine Propagandamethode, die deren Abnutzung und den Verlust an Bedeutung zu erkennen gibt. Der Sinn hinter dieser Vision ist also das Erschaffen von konstruierten Situationen. Doch was ist eigentlich eine Situation? Sie ist die Verwirklichung eines höheren Spiels oder genauer gesagt die Aufforderung zum Handeln in Leidenschaft. Die revolutionären Spieler aller Länder können sich innerhalb der Situationistischen Internationale vereinigen, um damit anzufangen, aus der Vorgeschichte des alltäglichen Lebens hinauszukommen. Und zwar durch die kollektive Organisation von Ereignissen. Auf dieser Grundlage wird die Architektur zu einem mit voller Absicht konstruierten Moment des Lebens. Im Mittelpunkt der Vision der Situationisten steht also das Erschaffen von neuen aufregenden Situationen, das heißt die konkrete Konstruktion kurzfristiger Lebensumgebungen in eine höhere Qualität der Leidenschaft. in eine höhere Qualität der Leidenschaft. Es gibt zwei interessante Beispiele, in denen diese Visionen Form annehmen. Sie handeln von einem leidenschaftlichen Verlangen, das sich in Architektur ausdrückt. 1. Der niederländische Künstler und Architekt Constant Nieuvenhuys rief in den späten 50iger Jahren, als er Mitglied der Situationistischen Internationale war, das Projekt New Babylon ins Leben. Wie seine situationistischen Mitstreiter wandte sich auch Constant gegen die grassierende bevorzugte Berücksichtigung automobiler Bedürfnisse bei der Stadtplanung, die das Ende der Straße als sozialem Raum ankündigte. Seine Lösung des Problems ging dahin, die gesamte materielle Struktur von Neu-Babylon oberhalb der Erdoberfläche auf eine Reihe von Pfeilern zu setzen, unter denen dann sämtlicher Verkehr laufen sollte. In den Räumen von Neu-Babylon selbst eröffnete sich so die Möglichkeit des Spiels, das heißt des reinen Handelns. Die großen, offenen Innenräume sollen permanent umgestaltet werden. Die Bewohner von Neu-Babylon würden ungehindert durch diese Räume wandern, in Herbergen schlafen, und vom Zufall geleitet auf die in die Stadtstruktur eingelassenen Labyrinthe und Stimmungsräume stoßen: den lauten Raum mit seinen grellen Farben und ohrenbetäubendem Lärm, den leisen Raum mit seinen schallgeschützten Wänden, den erotischen SpielRaum, und so weiter. Der ganze Innenraum sollte klimatisiert sein, mit absichtlich gesteuerten Schwankungen der Temperatur, Luftfeuchtig-
keit und Lichtmenge. Der Gesamteffekt würde so laut Constant einer „wohltuenden Gehirnwäsche“ (3) gleichkommen: ihr Design sollte verhindern, dass die Einwohner je einer abstumpfenden Routine zum Opfer fallen würden. Den ambitionierten Theoretikern der Situationistischen Internationale allerdings war Neu-Babylon nicht gut genug. Constants durchaus konkret gemeinte Entwürfe scheinen die Gruppe beunruhigt zu haben. Constants Bereitwilligkeit, eine aus durchweg neuen Gebäuden und Strukturen bestehende Stadt zu planen, widersprach Guy Debords Ansicht, dass die Schönheit jeder Stadt gerade im Prozeß der „Sedimentierung“ (4) liegt, dank welchem einzelne Spuren ihrer Vergangenheit sogar die aggressivsten Formen kapitalistischer Neubebauung überleben können. Constants Begeisterung für Technik brachte ihn schließlich in unüberbrückbaren Konflikt mit seinen situationistischen Genossen. 1960 trat er aus der Gruppe aus, und im folgenden Jahr wurde er in ihrer Zeitschrift als „hinterhältiges Subjekt“ (5) verurteilt, „das sich schamlos als Agent einer Integration der Massen in die kapitalistische technische Zivilisation verkauft.“ (6) In New Babylon, gedacht als Modell einer idealen Welt, kann man tatsächlich ein spektakuläres High-Tech-Szenario sehen, in dem das autoritäre Denken im Gewand des „Spielerischen“ durch die Hintertür wieder eintritt. Die ökologischen Implikationen von Constants High-Tech-Vision sind gleichfalls horrend: „In diesen immensen Strukturen sehen wir die Möglichkeit verwirklicht, die Natur zu unterwerfen und das Klima unserem Willen gemäß zu gestalten“ schrieb Constant im Jahr 1959. (7) Dennoch hat Constants Vorstellung einer auf Wandel, Flexibilität und spielerische Kommunikation ausgerichteten Stadt Architekten wie Rem Kohlhaas beeinflusst. 2. New Babylons hochartifizielle „psychogeographische“ Beschaffenheit erinnert in vieler Hinsicht an Edgar Allan Poes Erzählung „Im Park von Arnheim“. Ein unermesslich reicher Mann widmet sein Leben der Vervollkommnung seiner selbst und der Verschönerung der Welt. Poe beschreibt diesen Mann namens Ellison als einen von überirdischer innerer und äußerer Schönheit, Feinfühligkeit und Kunstsinnigkeit geprägten Charakter. Von seinem Vermögen kauft er ganze Landstriche, die er nach dem Vorbild einer idealen Naturlandschaft in ein künstliches Paradies, das heißt in ein vollkommenes Kunstwerk verwandelt. Nach Ellisons Theorie
wurde unsere Erde ursprünglich für Erdengel geschaffen, und die Spuren der Zivilisation darauf sind Ausdruck für die Zerstörung jenes paradiesischen Urzustands der Erde als Ort, wo sich unterschiedliche Seinsbereiche wechselseitig durchdringen. In diesem Sinne gelingt es Ellison mit dem Park von Arnheim, einen mythischen und poetischen Raum zwischen zwei Welten zu etablieren. Wie in einer umgekehrten Hadeslandschaft ist dem Park jedes Zeichen von Verfall und Sterblichkeit genommen. In ihm drückt sich das Ideal einer auf die Transzendenz von Raum und Zeit angelegten Kunst aus, die sich als Absolutes gegen die Endlichkeit behauptet. Man befährt mit einer Barke einen herrlichen Fluss, dessen Ufer perfekt von Menschenhand nachgebildet sind. Nach und nach verlässt der Besucher das irdische Gefielt und findet sich in den Auen des Paradies wieder. Dieses ist geprägt von exotischen Vögeln, betörender Farbenpracht und ätherischen Düften und nichts anderes als eine Architektur aus Sehnsucht und Verlangen. Quellen: (1) Gilles Ivan: Formular für einen neuen Urbanismus, Frankreich, 1953 (2) Constant Nieuwenhuys: Une autre ville pour une autre vie, Frankreich, 1959 (3) Constant Nieuwenhuys: Description de la zone jaune, Frankreich, 1960 (4) Guy Debord: Die Gesellschaft des Spektakels, Berlin (5) Tobi Norris: Constant – New Babylon, USA (6) Tobi Norris: Constant – New Babylon, USA (7) Constant Nieuwenhuys: Une autre ville pour une autre vie, Frankreich, 1959
freie Handlung. „Das befohlene Spiel ist kein Spiel mehr. Es kann höchstens der Eindruck des Spielens erweckt werden.“ Das Spiel stellt keine Verpflichtung dar, und kann somit einfach unterlassen werden. Es dient zur Erholung vom von Brigitte Leschtar täglichen Leben, es unterscheidet sich vom Alltäglichen durch seinen Platz und seine Dauer und findet außerhalb der Grenzen des Raums „Das Spiel steht außerhalb des Prozesses der und der Zeit statt und kann jeder Zeit als Ganunmittelbaren Befriedigung von Notwendigkei- zes oder in Sequenzen wiederholt werden. Das ten und Begierden“ und ist damit losgelöst von Spiel ist unabhängig, da es seinen Verlauf und den Lebenszwängen des Menschen. Das Spiel ist seinen Sinn in sich selbst findet. Innerhalb eines eine „freiwillige Handlung oder Beschäftigung, Spiels hat die reale Welt keine Bedeutung. Durch die innerhalb gewisser festgesetzter Grenzen die strenge räumliche Begrenzung des Spiels von Zeit und Raum nach freiwillig angenomme- auf seinen „Spielplatz“, trägt es zur Schaffung nen, aber unbedingt bindenden Regeln verrich- einer klaren Ordnung bei. Spielen liegt zwar tet wird, ihr Ziel in sich selbst hat und beglei- außerhalb jeder moralischen Wertung wie gut tet wird von einem Gefühl der Spannung, der und böse, wahr oder unwahr, es kann jedoch Freude und einem Bewusstsein des Andersseins dem ästhetischen Bereich zugeordnet werden als das gewöhnliche Leben.“ (Johan Huizinga) durch seinen Rhythmus und seine Harmonie.
Das Spiel zwischen Poesie und Spektakel
Johan Huizinga stellte den „Homo ludens“, den spielenden Menschen, im 19. Jahrhundert dem „Homo faber“, dem schaffenden Menschen, der industriellen Produktion des 18. Jahrhunderts gegenüber. Die menschliche Kultur entstand seiner Meinung nach aus einer Weiterentwicklung einer schon immer vorhandenen Spieltradition. Die Kultur sei die Folge des Strebens nach einem gesellschaftlichen Ideal. Sie sollte den in ihr lebenden Personen eine Existenz ermöglichen, die über die bloße Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse und das Streben nach Macht hinaus geht. Die daraus entstehende Harmonie hat eine gesellschaftliche Ordnung, ein rhythmisches Leben und eine gekräftigte Gesellschaftsgliederung zu Folge. Das Beherrschen und Verändern der Natur nach den Wünschen der Menschen, das Bestreben des „Homo faber“, zählt ebenfalls zu den Merkmalen einer Kultur. Jedoch muss diese Beherrschung durch jeden Einzelnen kontrolliert werden.
Die Elemente des Spiels lassen sich auch in der Poesie finden. Der Aufbau jeder poetischen Form an sich äußert sich als Spiel. Das symmetrische und rhythmische Einteilen der Sprache, Reim und Assonanz, das Verhüllen des Sinns und der künstliche Aufbau einzelner Phasen spiegeln alle die Definition des Spiels wieder. Das Ziel der Dichtung und des Spiels ist es Spannung zu erzeugen.
Das Spiel war für Huizinga der wesentliche Bestandteil der menschlichen Kultur und bedingte die Freiheit. Dieser Ansicht war auch Herbert Marcuse: „In einem einzigen Ballwurf des Spielenden liegt ein unendlich größerer Triumph der Freiheit des Menschenwesens über die Gegenständlichkeit als in der gewaltigsten Leistung technischer Arbeit.“
Dieses Potential wollte sich auch Guy Debord und die Situationistische Internationale zu nutzen machen. Die „Revolutionierung des Alltags“ zur Rückgewinnung der Selbstbestimmung der Gesellschaft durch eine „Vielfalt der Leidenschaften und spielerische Betätigung“ war das erklärte Hauptanliegen der Situationisten. Sie waren der Meinung, dass das Gleichgewicht zwischen homo ludens und homo faber zerstört wurde. Der schaffende Mensch hatte die
Laut Definition Huizingas ist das Spiel eine
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Spiel eine grundlegende menschliche Aktivität zu sein scheint, die Kreativität, Energie und Kraft freisetzen, verfestigte Strukturen durchbrechen und Innovation hervorbringen kann. Das Spiel könnte das Potential haben die Elemente einer Situation so zu verändern, dass Neues und Unbekanntes entsteht und Lösungen für scheinbar nicht lösbare Probleme gefunden werden können. „Das Spiel ist ein Kampf um etwas oder eine Darstellung von etwas.“ (Johan Huizinga).
Beherrschung über die von ihm geschaffene Welt der Waren verloren. Die Gesellschaft hatte sich zu einem Spektakel entwickelt, das die Menschen in einer Bilderwelt gefangen hielt. „Das Spektakel ist nicht ein Ganzes von Bildern, sondern ein durch Bilder vermitteltes gesellschaftliches Verhältnis zwischen Personen. Das Spektakel kann nicht als Übertreibung einer Welt des Schauens, als Produkt der Techniken der Massenverbreitung von Bildern begriffen werden. Es ist vielmehr eine tatsächlich gewordene, ins Materielle übertragene Weltanschauung. Es ist eine Anschauung der Welt, die sich vergegenständlicht hat.“ (Guy Debord). Die Ansätze zur Veränderung der gesellschaftlichen Wirklichkeit durch ästhetische Konzepte und entsprechender Praxis zeigten sich auch schon bei den Vorgängern der Situationistischen Bewegung. Die Lettristen der fünfziger Jahre propagierten das „freie Spiel der Leidenschaft“ und auch die Gruppe Cobra, gegründet von Asger Jorn und Constant, nahmen sich den, nach seinen Wünschen und Begierden lebenden Homo ludens zum Vorbild.
rive“, das ziellose „Umherschweifens“ sollte die Entfremdung der Menschen überwinden und ihnen ein Teil ihrer Freiheit zurück geben. Die Lettristen ließen sich durch unbekannte Stadtteile treiben, von der Architektur leiten und richteten sich nur nach ihren momentanen Lüsten. „…In diesem bewegten Raum des Spiels und der freigewählten Variationen der Spielregeln kann die Autonomie des Ortes wiedergefunden werden, ohne eine neue ausschließende Bindung an den Boden einzuführen, und dadurch die Wirklichkeit der Reise und des als Reise verstandenen Lebens zurückbringen, einer Reise, die in sich selbst all ihren Sinn hat.“ (Guy Debord, „Die Gesellschaft des Spektakels“ Nr.178)
Die „Situationistische Internationale“ führten diese Spielformen zu Rückgewinnung der Selbstbestimmung fort und bedienten sich zusätzlich eines weitern, dem „Détournement“. Die Zweckentfremdung von bereits bestehenden ästhetischen Elementen, ein Mittel zur Sabotage des Spektakels, in dem nichts Neues geschaffen wurde, sondern Bestehendes verändert wurde. Das spielerische, freie Umherschweifen war für sie die Zweckentfremdung der Stadt und sollte sie zum Erfahrungs- und Dem Künstlerverein Cobra und den Lettristen Erlebnisraum, zum Spielplatz, machen. Die Sium Isidore Isou ging es jedoch zunächst vorran- tuationistische Internationale verfeinerten das gig um die Befreiung der Kunst aus ihren elitä- „Dérive“ immer weiter und entwickelte daraus ren Zwängen und um ihre Zugänglichkeit für die „Psychogeographie“, bei der ganze Straßenalle Menschen. Isou strebte eine Dichtung für die züge genau darauf untersucht wurden ob und Masse an, die ohne Erklärungen von Sachver- wie ihr Durchschreiten Lust oder Unlust bereiständigen auskam. Die also dem „Intuitiven“ des tete. Die festgehaltenen Ergebnisse waren die Spielens wieder näher kam. Seiner Meinung nach Grundlage von Kritik an urbanen Strukturen. hatte die Sprache als kreative Quelle ausgedient. Deshalb bestand die Notwendigkeit ein „reine- Für Debord und die Situationisten waren die res und tiefgründigeres Element des Poesiema- Städte von Zeichen des Überflusses übersät, von chens“ zu finden, den Buchstaben. In dieser Auf- „Befehle(n) von Coca Cola“, ein (Zeichen-)Syslösung und Zerstörung der Dichtung erkannten tem, das sich provokativ und subversiv durch ein einige Lettristen, unter ihnen auch Guy Debord, „globales, leidenschaftlich aufregendes Spiel“ den Begin der Revolution des Alltags. Die „lett- verändern lasse. Diese aktuellen Strukturen der ristische Poesie“, die Satz und Worte in willkür- Trennung der Einheiten lehnten sie strikt ab. Dieliche Lautverbindungen zerlegt, „schreit nach ei- se Trennung, im Marxschen Sinne, war für die nem zerschmetterten Universum“ (Guy Debord, S.I. maßgeblich beteiligt am Kapitalismus. Trenin Roberto Orth: Phantom Avantgarde, S.40). nung erzeuge eine Mangelsituation, die wiederum Voraussetzung für die Welt der Waren sei. Die Revolution wurde von Guy Debord und Gil Wolman mit der Gründung der “ Lettristischen Die bestehenden Strukturen ließen sich nach Internationalen“ vorangetrieben mit dem Ziel Meinung der S.I. nur aus der Gesellschaft heeine „Stadt des Spiels“ zu errichten. Zu diesem raus verändern, von den Mitgliedern, die ofZweck erfanden sie die „Wissenschaft“ des „Dé- fen für neue Spielregeln seien und bereit ihr
alltägliches Leben zu überdenken und ihm zu entkommen. Durch spielerische, konstruierte Situationen, die in den Alltag einfließen sollten, wollten sie diese Menschen erreichen. Ihre Theorie der „Konstruktion von Situationen“ war sehr stark von der „Theorie der Momente“ von Henri Lefebvre geprägt. Auch Lefebvre ging davon aus, dass das Leben nur im Alltag geändert werden könne. Seine Momente, der Versuch zur totalen Verwirklichung einer Möglichkeit, seien nur innerhalb der Alltäglichkeit zu finden, „wir können zu den Momenten die Liebe, das Spiel, die Ruhe, die Erkenntnis usw. rechnen. Ihr Aufzählung ist niemals erschöpfend, denn nichts steht der Erfindung neuer Momente im Wege.“ (Lefebvre 1970, Bd. 3, S.180). Hier zeigen sich deutliche Parallelen zur „Theorie der Situation“, die ebenfalls den Alltag als größtes Reservoir zur Bildung von Situationen sah. Diese Situationen sollten ein kurzes Entfremden, ein spontanes Ausleben von Leidenschaft ermöglichen. Ihre Konstruktion sei „die kollektive Organisation einer einheitlichen Umgebung und des Spiels von Ereignissen“ sowie ein „konkret und mit voller Absicht konstruiertes Moment des Lebens.“ (Gallissaires u.a. 1995, S.51) Die S.I. forderte die Überprüfung der „Spielmöglichkeiten im alltäglichen Leben“, die gesamte Kultur sollte überprüft werden „um schließlich zu einer Theorie des Spiels und zur Praxis der bewussten Umgebungskonstruktion“ zu gelangen. (S.I. Nr. 3/Dezember 1959). Durch das Konstruieren von Situationen, im Rahmen eines kreativen, leidenschaftlichen Spiels, sollten in der vom Kapitalismus durchgeplanten Welt kurze Phasen von Selbstbestimmung erzeugt werden. Diese Sequenzen des Spiels sollten zur Enttäuschung dienen. Durch das konstruieren von eigenen Situationen mit selbstbestimmten Handeln würde sich die vermeintliche Naturhaftigkeit des gesellschaftlichen Seins auflösen. Das Spektakel, das die Realität ersetzt hat, besetzt hat, muss durch die Flucht aus der Wirklichkeit überwunden werden um die Realität wieder sichtbar zu machen. „Das gesamte neue Verhalten wird ein Spiel sein, und jeder lebt sein Leben aus Lust am Spiel, indem er sich nur für die Emotionen interessiert, die beim Spiel mit seinen endlich ausführbaren Wünschen entstehen. Die ersten Elementarwerkzeuge dieser Revolution stellen unseres Erachtens diese entwertenden Mittel der industriellen Kunst dar, gerade deswegen, weil sie zunächst die Werk-
zeuge eines Vergnügens sind.“ (Pinot-Gallizio)
Quellen: Adamek-Schyma, Bernd „Psychogeografie heute: Kunst, Raum, Revolution?“ Archplus „Situativer Urbanismus“ Böckelmann, Frank „Situationisten, Subversive und ihre Vorgänger“ Debord, Guy „Die Gesellschaft des Spektakels“ Berlin 1996 Debord, Guy „Potlatch. Informationsbulletin der Lettristischen Internationale“ Berlin 2002 Debord, Guy; Wolman, Gil J. „Gebrauchsanweisung für die Zweckentfremdung“ Grasshoff, Richard „Der befreite Buchstabe“ 2001 Huizinga, Johan „Homo ludens“ Hamburg 2004 Ohrt, Roberto „Phantom Avantgarde“ Hamburg 1997 Ohrt, Roberto „Das große Spiel.“ Hamburg 2000 Schneider, Oliver „Wege aus dem Spektakel?“ Seifert, Anja „Leitmotive im 20 Jahrhundert: Körper, Maschine Tod.“ 2002 Zischke, Hoachim „Homo ludens. Oder: das Leben ist Spielen.“ 2008 http://karaat.com /art.critic
und