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Matthias Franck: Ode wider den tierischen Unernst

Matthias Franck

Ode wider den tierischen Unernst

Jetzt sind es schon neunzig Jahr, als unser stolzer Jubilar noch ein kleines Bäumchen war. Gerade aus der Mutter Schoß, ein paar Zentimeter bloß. In Dresden, einer Stadt im Krieg, glaubte sein Vater nie an einen Sieg. Trotzdem musste er raus ins Feld und kehrte nie zurück in diese Welt. Als die Stadt in Flammen steht, hilft kein Flehen, kein Gebet. Im Februar, in der Bombennacht wird jeder um den Schlaf gebracht. Es brennen Menschen, eine ganze Stadt, was man immer in Erinnerung hat, auch wenn der rechte Mob es ungeniert als deutsches Heldenepos inszeniert.

Mit zwölf Jahren an der Mutter Hand, führt der Weg in ein zerstörtes Land. Kaum auferstanden aus Ruinen, galt es, diesen Wahn zu sühnen. Alles verloren, eines bleibt ihm nur, Erinnerung an eine fast vernichtete Kultur. Das alles wird sein Leben prägen auf all den so verschlungenen Wegen in die neue deutsche Republik. Stets die Frage und der scharfe Blick: Was können wir lernen aus dieser Katastrophe?

Ode wider den tierischen Unernst

Vom Deutschlandlied nur noch die eine Strophe, zu wenig, wenn die braunen Kameraden sich weiter rühmen dürfen ihrer schlimmen Taten. Daraus entsteht das Thema seiner Lebenszeit: Das Wichtigste für alle ist die Freiheit. Genau das war ihm stets Verpflichtung Gab seiner Haltung Struktur und Richtung. Und alle die ihn kennen, wissen: Hier neigt er nicht zu Kompromissen. Es ist der Stolz auf die Männer und die Frauen, die halfen, einen neuen Staat zu bauen, in dem die Menschenwürde unantastbar, ein Grundgesetz, das auch belastbar. Menschenwürde, die für alle zählt, ganz egal wo in unserer weiten Welt, in schweren Stürmen, jederzeit. Dafür zu kämpfen, war er stets bereit. Er zog ins Feld gegen alle Populisten, die sich vor ahnungslosen Wählern brüsten, sie seien das Volk, sie müssten deshalb schreien und sie vom Joch der Demokratie befreien. Da wird er wild, da bietet er die Stirn, bei so viel Quatsch und ohne Hirn, knüpft er die Querdenker sich vor und flüstert Wahrheit ihnen in das Ohr. Denn wer die Welt mit Füßen tritt, dem gibt er diese Botschaft mit: «Wer die Idee der Freiheit nicht verstanden hat, mauert sich ein im Überwachungsstaat.» Wer es noch nicht weiß, dem sag ich’s jetzt: Gerhart Baum war immer Mr Grundgesetz.

Er startete in Köln mit neuem Schwung, denn seine Wut war groß und jung. Ein junger Mann, ein Prädikatsjurist,

1 Motive eines Lebenswegs – Frieden und Freiheitsrechte

erfuhr schon bald, dass es nicht einfach ist, den alten, wackeren Parteisoldaten mal freundlich, mal im Ernst zu raten, sich an der neuen Zeit zu orientieren und nicht nach rückwärts nur zu stieren. Die Gesinnung rund um ihn war ziemlich rechts und Baum war noch ein Junggewächs. Doch er hat was gewagt und durchgehalten. Heute zählt er selber zu den Alten. Und er kann lächelnd sagen voller Schwung: «Meine Wut, Kollegen, meine Wut ist jung!»

Der Gerhart Baum war längst schon wer, da kam der Ruf zum Staatssekretär von Genscher, der wusste immerhin, ein liberaler Kopf, zwar schwierig, doch ein Gewinn für dieses Land und die Partei. Er stach heraus aus diesem Bonner Allerlei. Da Maihofer als Minister ging, weil ihm eine Abhörtraube an der Ferse hing, trat Baum an in schweren Zeiten. Der liberale Kämpfer musste richtig fighten, denn Baader Meinhof hielten dieses Land auf Trab und dachten, wir schaffen mal den Rechtsstaat ab. Genau das wollten diese Terroristen und grinsten überall von ihren Fahndungslisten, bis ein X ihr Konterfei durchschnitt, gefasst, im Knast, wo sie der Teufel ritt. Ein Typ wie Baum, der blieb jedoch besonnen, so hat die Republik mit ihm gewonnen. Sein Thema Freiheit stand oft auf der Kippe, die Wähler auf der Wahlkampf-Wippe, sie waren oft verängstigt und bereit, für die Parole Ordnung und auch Sicherheit, ihr Kreuz bei den Konservativen zu machen,

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da gab’s für ihn kaum was zu lachen. Einer voran ließ sich als Retter feiern nicht nur von Lederhosen Bayern. Franz Josef Strauß, der CSU-Philister, zieh Baum als Bundesunsicherheitsminister. Er selbst vom Typ Amigo-Demokrat, der wusste sehr genau, was er da tat, rief nach noch mehr Staat im Staat, ein Ideal, das er mit seiner CSU vertrat. Radikalenerlass, Gesinnungsschnüffelei, da war Franz Josef selig schnell dabei, und alle, die das nicht vermissten, waren für ihn einfach Kommunisten. Für Baum ein dunkler Punkt in der Erinnerung, doch er wusste damals schon: Meine Wut bleibt jung.

Ob in Brüssel oder für die UNO, er fragte nicht nach cui bono, wenn es galt mit Herz und Hand zu fechten und weltweit den Menschenrechten eine Bresche durch Not und Krieg zu schlagen und gerade für jene was zu wagen, die wir in Sonntagsreden gern beklagen, doch kurz darauf dann still zu Grabe tragen. Mit seiner Frau Renate vergibt er jetzt seit Jahren einen Preis für die, die sich um Menschenrechte scharen, die wie Maria Kolesnikowa im Gefängnis schmoren, weil sie für die Freiheit sich verschworen und nach jedem mutigen Demonstrieren einfach ins Gefängnis abmarschieren. Dann schreien die Schergen: «Ihr seid Idioten!», aber in Wirklichkeit sind sie die Patrioten.

Zur Flüchtlingskrise spricht er klaren Ton: Lasst sie bleiben und wir integrieren sie schon.

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Wir brauchen ihre Kreativität und ihre Kraft und nicht die AfD im braunen Saft. Sie bremsen uns nicht, sie bringen uns weiter. Wir brauchen sie hier, das stimmt uns heiter. Demokratie und Freiheit, das ist Muss in Russland, Peking und in Belarus. Diese Werte sind und bleiben international. Das versteht Baum unter multiliberal. Und dann hat er noch einen besonderen Dreher für die selbst ernannten Putin-Versteher. Die UN-Charta spricht klar in ihrem Vertrag: Der Typ gehört zwingend nach Den Haag. Dort soll er den Richtern ins Auge sehen und zu seinem Morden stehen. Die Stimmen von Tausenden Toten klagen ihn an, den Kreml-Despoten. Jeder Krieg prägt die Erinnerung. Und seine Wut bleibt jung.

Seine Partei muss jetzt Akzente setzen und sich in der Ampel gut vernetzen. Das gefällt ihm, und doch sieht er manches kritisch, Wirtschaft, Umwelt und sozialpolitisch. Dann ist die FDP wieder auf klarem Kurs. Baum selbst nutzt gerne diesen Diskurs. Er entzieht sich nicht dem Blitzlichtgewitter. Er zwitschert nicht, auch nicht auf Twitter. Die sozialen Medien sind oft eine Seuche und sorgen für fette Medienbäuche. Sie produzieren täglich medialen Schmutz, doch Baum will einen sicheren Datenschutz. Wie oft wird alles heute ungebeten vor aller Augen breitgetreten. Doch der Mensch ist mehr als ein Speicherchip. Okay, die neue Technik ist zwar hipp,

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doch eine Löschtaste ist einfach ein Muss gegen diesen zwingenden Algorithmus. All die nimmersatten Suchmaschinen brauchen Grenzen und auch Seitenlinien. Hier sind besonders zu erwähnen diese Kraken – diese Datenhyänen, die alles sammeln und erfassen zu einem Puzzle zusammenfassen, weil wir komplett durchleuchtet sind, das weiß doch heute jedes Kind.

Das Grundgesetz ist wie in Stein geschlagen. Niemals sollte es jemand wagen, die freie Verfassung dieser Republik zu dehnen, zu ändern, je nach Farbenblick. Pfoten weg, ruft Gerhart Baum und klagte. In Karlsruhe, wo das Gericht dann tagte, mal gegen den großen Lauschangriff, gegen Datenspeicherung, bis man begriff, das klingt beim ersten Mal nach nicht so viel, doch kennen sie dein Persönlichkeitsprofil und wissen, was du hörst und machst, ob du in der Küche oder erst im Keller lachst, dann haben sie uns alle längst am Haken, Google, Facebook, die großen Datenkraken. Das sind keine Spiegelgefechte, sondern Attacken auf fest verbriefte Rechte. Am Ende blieb Karlsruhe ganz ruhig und entschied, der Baum hat recht, sodass dann alles blieb, wie es die Verfassungsmänner und -frauen mit Klugheit und einem großen Schuss Vertrauen uns in den Schoß legten wie ein rohes Ei.

Da war der Baum als Glucke schnell dabei. Wenn andere nur noch ihre Enkel küssen,

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nur noch vom Sonnendeck der Luxusliner grüßen, wenn sie mit Joschka, Schröder und Kollegen Kontakte in der Oligarchen-Kaste pflegen und als Berater die Bilanzen von Konzernen hübsch aufpolieren, statt zu lernen, wie man mit Altersweisheit kann erzählen: Wem kann man trauen und wen soll man wählen. Dann schüttelt mein Freund sein weises Haupt und sagt, was garantiert ihm jeder glaubt. Er tut es lächelnd, voller Schwung: «Glaubt mir Freunde, meine Wut bleibt jung!»

Der Tag kommt, wo wir ihn vermissen, weil wir heute ja schon wissen ohne ihn, da geht es kaum, drum pflanzen wir einen Freiheitsbaum.

Ode wider den tierischen Unernst

Abbildung 3: Plakat zur Landtagswahl, mit Burkhard Hirsch, Hans-Dietrich Genscher, Wolfgang Heinz, Liselotte Funcke und Otto Graf Lambsdorff, 1980

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