3 minute read
Christian Lindner: Grußwort
from Leutheusser-Schnarrenberger (Hg.): In liberaler Mission. Gerhart Baum und die deutsche Demokratie
by NZZ Libro
Christian Lindner
Grußwort
Gerhart Baum ist seit Jahrzehnten einer der führenden Köpfe des Teils unserer Partei, der sich den Freiburger Thesen der FDP aus dem Jahr 1971 besonders verbunden fühlt. Auch mich hat als Jugendlicher dieses Programm fasziniert. Es ist legendär. Vielleicht – wie ich aus heutiger Perspektive finde – weniger wegen seiner konkreten Inhalte als vielmehr durch die Umstände seiner Entstehung. Es gab der damaligen sozialliberalen Koalition eine weltanschauliche Grundlage aus Sicht der FDP und hat die eigenständige Rolle unserer Partei unterstrichen.
Zu dieser Zeit war Gerhart Baum bereits fünf Jahre Mitglied des Bundesvorstands der Freien Demokraten, dem er insgesamt ein Vierteljahrhundert angehören sollte. Als Teil der umfassenden Bewegung zur Erneuerung der deutschen Gesellschaft Ende der 1960er-Jahre, als Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und als Vorkämpfer des sozialliberalen Parteiflügels hat er maßgeblich dazu beigetragen, jenen Geist in der FDP zu wecken, der sich schließlich im Freiburger Programm manifestierte.
Baum selbst machte in der FDP der sozialliberalen Ära Karriere. Zu nächst als Staatssekretär unter Hans-Dietrich Genscher, dann als Bundesinnenminister prägte er Politik und Geschick der Koalition. Mit der Liberalisierung des Radikalenerlasses ergriff er Partei für Bürgerrechte. Im Zuge der «Bonner Wende» zur CDU/CSU im Jahr 1982 schied er aus der Bundesregierung aus. Man tritt ihm gewiss nicht zu nahe, wenn man sagt, dass er seine Partei seitdem auf einem phasenweise mehr oder weniger schwerwiegenden Irrweg wähnt. Jedenfalls ist er über die vergangenen vier Jahrzehnte der FDP zwar verbunden geblieben, aber keinesfalls als schweigender oder unkritischer Begleiter. Alle Bundesvorsitzenden von Hans-Dietrich Genscher bis zu mir können das bezeugen.
Gerhart Baum kämpft für seine Überzeugungen indessen mit offenem Visier. Jeder weiß, woran er bei ihm ist und welche politischen Positionen seine Zustimmung finden oder auf seinen scharfen Widerspruch stoßen. Diese
Grußwort
Art der zuweilen harten, aber verbindlichen Debatte mag für Führungskräfte herausfordernd sein, ist für den Diskurs und die Politik insgesamt jedoch ein Gewinn. Er reibt sich zudem keineswegs nur an seiner Partei. Ich erinnere mich an eine Fernsehdebatte nach einem dokumentarischen Spielfilmbeitrag zum Luftsicherheitsgesetz, in der die Frage erörtert wurde, ob eine entführte Passagiermaschine von der Luftwaffe zur Abwehr abgeschossen werden dürfe. Baum argumentierte auf einsamem Posten für seine Auslegung der Rechtsordnung des Grundgesetzes, in dessen Zentrum Würde und Freiheit eines jeden Menschen stehen. Auch von seiner Meinung abweichende Umfragen unter den Zuschauerinnen und Zuschauern haben ihn nicht beeindruckt. Übrigens hat mich später verwundert, warum er während der Corona-Pandemie weniger konsequent mit individuellen Freiheitsrechten argumentiert hat.
Seine Unduldsamkeit gegenüber der FDP habe ich mir immer damit erklärt, dass Gerhart Baum stets aus eigener Überzeugung argumentiert, aber eben nie die inhaltliche Klammer einer Partei beschreiben musste, die verschiedene Perspektiven und Aspekte umfasst. Parteivorsitzende müssen eben den Laden zusammenhalten. Und werden am Erfolg gemessen. Leider hat Gerhart Baums lange Laufbahn nicht auch die Verantwortung des Bundesvorsitzenden umfasst. Heute gibt es die klaren Trennlinien der Vergangenheit zwischen «Wirtschaftsliberalen» und «Sozialliberalen» zum Glück nicht mehr. Ich betrachte dies als historischen Erfolg. Denn auch der Wert der Freiheit ist unteilbar – wer sich für wirtschaftliche Freiheit einsetzt, muss sich auch gesellschaftliche Freiheit und Menschenrechte auf die Fahnen schreiben. Und vice versa.
Mindestens so große Verdienste wie als Politiker hat sich Gerhart Baum als Anwalt und Vorkämpfer für Bürgerrechte erworben. Zusammen etwa mit dem engagierten und scharfsinnigen Juristen Burkhard Hirsch und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger als einer Persönlichkeit großer Glaubwürdigkeit hat er wegweisende Urteile vor dem Bundesverfassungsgericht erstritten.
Zu seinem 90. Geburtstag wünsche ich Gerhart Baum viel Glück, Freude und weiterhin Tatendrang. Und dass er auch in Zukunft mit ungebrochener Schaffenskraft seinen Überzeugungen eine so klare, mitreißende und entschiedene Stimme verleiht – innerhalb der Freien Demokraten und gegenüber einer Welt, in der leidenschaftliche Kämpfer für die Freiheit unverzichtbar sind.
Abbildung 2: Kandidatenplakat zur Bundestagswahl, 1980