Leutheusser-Schnarrenberger (Hg.): In liberaler Mission. Gerhart Baum und die deutsche Demokratie

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In liberaler Mission

Gerhart Baum und die deutsche Demokratie Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Hrsg.) NZZ Libro

In liberaler Mission

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Hrsg.)
NZZ Libro

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© 2022 NZZ Libro, Schwabe Verlagsgruppe AG, Basel

Lektorat: Birgit S. Knape, Mainz Redaktion: Ewald Grothe, Gummersbach Umschlag: TGG Hafen Senn Stieger, St. Gallen Gestaltung, Satz: Claudia Wild, Konstanz Druck, Einband: BALTO Print, Litauen

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ISBN Print 978-3-907396-07-0

ISBN E-Book 978-3-907396-08-7 www.nzz-libro.ch

NZZ Libro ist ein Imprint der Schwabe Verlagsgruppe AG.

Inhalt

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Vorwort

Lindner:

1 Motive eines Lebenswegs – Frieden und Freiheitsrechte  15

Matthias Franck: Ode wider den tierischen Unernst 16 Franz und Sonja Negele: Ein Schulfreund seit Jugendtagen 24 Günter Verheugen: Im Zentrum des sozialen Liberalismus 28

Theo Schiller: Auf dem Weg zur liberalen Erneuerung 36 Roland Appel: «Bäume für unsere Umwelt –Gerhart Baum für unseren Rechtsstaat» 44

Hans Vorländer: Ein liberaler Freigeist in der FDP 55 Johannes Hürter: Der Politiker und Zeitzeuge Gerhart Baum aus der Sicht des Historikers – das Beispiel Staat und RAF 62

Edda Müller: Ein Politiker mit klarem Kompass 68

Robert Leicht: Das lange politische Leben nach dem Amt 76

Ewald Grothe: Aktenkundig und archivwürdig 82

Bernhard F. Reiter: Mein Freund, der Baum, oder: fahren und auch mal gefahren werden 84

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9 Christian
Grußwort 11

2 Anwalt für Menschenrechte in Deutschland und der Welt  93

Jürgen Bönninger: Der Dresdner Baum 94

Ahmad Mansour: Vaterfigur der Freiheit 98

Wolfgang Kaleck: Man muss nicht immer Parteifreund sein 103

Michael Schaefer: Der Menschenrechtsbaum 106

Elmar M. Giemulla: Neue Sphären – Baum und die Luftfahrt 114

Claus Kreß: Gerhart Baums wacher Sinn für die Bedeutung des Völkerstrafrechts 120

Michaela Lissowsky: Der Menschenrechtsverteidiger 128

Nikolaos Gazeas: Gerhart Baum und Alexej Nawalny 133

Julius Freytag-Loringhoven: Mit den Freunden der Freiheit in Russland. Gerhart Baum als Mutspender in Zeiten der Prüfung 138

Günter Wallraff: «Gegen das Vergessen: Mahnen und Fordern!» 148

Sandra Maischberger: Mein Baum – leidenschaftlicher Politiker und begnadeter Erzähler 153

3 Hüter des Grundgesetzes  157

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Deine Wut soll jung bleiben 158

Peter Schantz: Gerhart Baum in Karlsruhe – ein leiden schaftlicher Streiter für die Freiheit vor dem Bundes verfassungsgericht 163

Friederike und Alexander Hirsch: Burkhard Hirsch –Ein ungeschriebener Brief 171

Andreas Paulus: Freiheit, Menschenrechte, Grundgesetz 176

Julius Reiter: Väterlicher Freund und Anwalt der Freiheit 185

Max Schulze: «Haben Sie Zeit? Es gibt einiges zu besprechen.» 193

Heribert Prantl: Die Freiheitsstatue 199

Reinhold Beckmann: Kolossal, liberal! 203

6 Inhalt

Streitbarer Liberaler und politisches Vorbild

Marco Buschmann: Die ganze Freiheit, die wir meinen 208

Johannes Vogel: Ein großartiger Ratgeber und ein Pfeiler unserer Demokratie 214

Konstantin Kuhle: Menschenrechtspolitik ist immer Einmischung 218

Gyde Jensen: Ein politisches Vorbild 223

Ralf Fücks: Das Recht ist eine Waffe 227

Franziska Brandmann: Ein Überzeugungstäter 231

Maximilian Reiter: Ein ewig jung Gebliebener 236

5 Kulturfreund  245

Claudia Roth: Es ist der aufrechte Gang 246

Helmut Lachenmann: Keineswegs tonlos – ein Kämpfer für die Freiheit der Kunst 248

Jürgen Flimm: Das Geheimnis des Glücks 250 Manos Tsangaris: Baum-Fragen 254

Oliver Scheytt: Können wir uns Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen? Zum Wirken des Kulturpolitikers Gerhart Baum 262

Oliver Keymis: Freundschaft in Freiheit 268

Christine Fischer: Ein Baum-Bilder-Bogen 271

Gerhard Rühm: Akrostichon für G. B. 276

Karl-Heinz Paqué: Nachwort: Ein unbeugsamer Liberaler 277

Lebenslauf Gerhart Baum

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

der Abbildungen

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207
281
285 Verzeichnis
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Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Vorwort

Liebe Leserinnen und Leser!

Einen Band zum 90. Geburtstag von Gerhart Baum herauszugeben, ist für die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit ein besonderer Anlass. Wir ehren damit einen hochverdienten liberalen Politiker, würdigen sein Leben und Wirken und verbreiten die Botschaft eines nach wie vor engagierten Kämpfers für Menschenrechte und sozialen Liberalismus. Für mich als Her ausgeberin sind dies überzeugende Gründe, aber persönlich ist es noch viel mehr: Ein Buch zu Gerhart Baums rundem Geburtstag ist für mich eine große Ehre, ja eine Herzensangelegenheit, denn Gerhart Baum verkörpert den Markenkern des politischen Liberalismus.

Umso mehr freue ich mich, dass es mit einem sehr ehrgeizigen Zeitplan gelungen ist, über 40 Autorinnen und Autoren für dieses Vorhaben zu gewinnen. Weggefährten, Zeitgenossen sowie Beobachterinnen und Beobachter berichten in kurzen Essays, Gedichten oder einem Interview über ihre Erlebnisse mit Gerhart Baum, ihre gemeinsamen Ideen und Aktionen; sie erzählen das, was sie mit ihm und seinem Wirken verbinden. Die sehr per sönlich gehaltenen Schilderungen aus Politik und Kultur sind so vielfältig wie Gerhart Baums Engagement. Sie, liebe Leserinnen und Leser, sind also eingeladen, sich mitnehmen zu lassen auf eine abwechslungsreiche Reise in die deutsche Geschichte von gestern und heute sowie auf die Erkundung liberaler Positionen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Ich freue mich, dass die vielen Mitwirkenden an diesem Band ein leben diges Bild der facettenreichen Persönlichkeit Gerhart Baums zeichnen. In sechs Abschnitten wird dem streitbaren Liberalen, dem Menschenrechtsan walt, dem Streiter für das Grundgesetz, dem Medienmenschen und dem Kulturfreund nachgespürt. Der Band wird zudem noch durch rund 50 Fotos angereichert, die zum überwiegenden Teil aus dem stiftungseigenen Archiv des Liberalismus stammen.

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Vorwort

Das Buch wäre nicht zustande gekommen, wenn nicht unser Kurato riumsvorsitzender Ludwig Theodor Heuss seinen Verlag NZZ Libro dafür zur Verfügung gestellt hätte. Mit dem Verlagsleiter Helmut Stalder gab es eine enge, zuverlässige und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Für Rat und vielfache Hilfe danke ich Renate Liesmann-Baum und Julius Reiter und Ewald Grothe vom Archiv des Liberalismus für die Redaktion.

Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, wünsche ich viel Vergnügen mit dem Buch. Genießen Sie alle Facetten dieses Politikers in liberaler Mission, im Kampf für die deutsche Demokratie, die internationalen Menschenrechte und eine weltumspannende Kultur. Alles Gute, lieber Gerhart, und ad multos annos!

Abbildung 1:

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Mit Christian Lindner und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger bei der Bundespressekonferenz über die geplanten Sicherheitsgesetze, 26.06.2017

Christian Lindner Grußwort

Gerhart Baum ist seit Jahrzehnten einer der führenden Köpfe des Teils unse rer Partei, der sich den Freiburger Thesen der FDP aus dem Jahr 1971 besonders verbunden fühlt. Auch mich hat als Jugendlicher dieses Programm fasziniert. Es ist legendär. Vielleicht – wie ich aus heutiger Perspektive finde – weniger wegen seiner konkreten Inhalte als vielmehr durch die Umstände seiner Entstehung. Es gab der damaligen sozialliberalen Koalition eine weltanschauliche Grundlage aus Sicht der FDP und hat die eigen ständige Rolle unserer Partei unterstrichen.

Zu dieser Zeit war Gerhart Baum bereits fünf Jahre Mitglied des Bun desvorstands der Freien Demokraten, dem er insgesamt ein Vierteljahrhundert angehören sollte. Als Teil der umfassenden Bewegung zur Erneuerung der deutschen Gesellschaft Ende der 1960er-Jahre, als Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und als Vorkämpfer des sozialliberalen Parteiflügels hat er maßgeblich dazu beigetragen, jenen Geist in der FDP zu wecken, der sich schließlich im Freiburger Programm manifestierte.

Baum selbst machte in der FDP der sozialliberalen Ära Karriere. Zunächst als Staatssekretär unter Hans-Dietrich Genscher, dann als Bundesin nenminister prägte er Politik und Geschick der Koalition. Mit der Liberalisierung des Radikalenerlasses ergriff er Partei für Bürgerrechte. Im Zuge der «Bonner Wende» zur CDU/CSU im Jahr 1982 schied er aus der Bundesregierung aus. Man tritt ihm gewiss nicht zu nahe, wenn man sagt, dass er seine Partei seitdem auf einem phasenweise mehr oder weniger schwerwiegenden Irrweg wähnt. Jedenfalls ist er über die vergangenen vier Jahrzehnte der FDP zwar verbunden geblieben, aber keinesfalls als schweigender oder unkritischer Begleiter. Alle Bundesvorsitzenden von Hans-Dietrich Gen scher bis zu mir können das bezeugen.

Gerhart Baum kämpft für seine Überzeugungen indessen mit offenem Visier. Jeder weiß, woran er bei ihm ist und welche politischen Positionen seine Zustimmung finden oder auf seinen scharfen Widerspruch stoßen. Diese

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Grußwort

Art der zuweilen harten, aber verbindlichen Debatte mag für Führungskräfte herausfordernd sein, ist für den Diskurs und die Politik insgesamt jedoch ein Gewinn. Er reibt sich zudem keineswegs nur an seiner Partei. Ich erinnere mich an eine Fernsehdebatte nach einem dokumentarischen Spielfilmbeitrag zum Luftsicherheitsgesetz, in der die Frage erörtert wurde, ob eine entführte Passagiermaschine von der Luftwaffe zur Abwehr abgeschossen werden dürfe. Baum argumentierte auf einsamem Posten für seine Auslegung der Rechtsordnung des Grundgesetzes, in dessen Zentrum Würde und Freiheit eines jeden Menschen stehen. Auch von seiner Meinung abweichende Umfra gen unter den Zuschauerinnen und Zuschauern haben ihn nicht beeindruckt. Übrigens hat mich später verwundert, warum er während der Corona-Pande mie weniger konsequent mit individuellen Freiheitsrechten argumentiert hat. Seine Unduldsamkeit gegenüber der FDP habe ich mir immer damit erklärt, dass Gerhart Baum stets aus eigener Überzeugung argumentiert, aber eben nie die inhaltliche Klammer einer Partei beschreiben musste, die verschiedene Perspektiven und Aspekte umfasst. Parteivorsitzende müssen eben den Laden zusammenhalten. Und werden am Erfolg gemessen. Leider hat Gerhart Baums lange Laufbahn nicht auch die Verantwortung des Bundesvorsitzenden umfasst. Heute gibt es die klaren Trennlinien der Vergan genheit zwischen «Wirtschaftsliberalen» und «Sozialliberalen» zum Glück nicht mehr. Ich betrachte dies als historischen Erfolg. Denn auch der Wert der Freiheit ist unteilbar – wer sich für wirtschaftliche Freiheit einsetzt, muss sich auch gesellschaftliche Freiheit und Menschenrechte auf die Fahnen schreiben. Und vice versa.

Mindestens so große Verdienste wie als Politiker hat sich Gerhart Baum als Anwalt und Vorkämpfer für Bürgerrechte erworben. Zusammen etwa mit dem engagierten und scharfsinnigen Juristen Burkhard Hirsch und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger als einer Persönlichkeit großer Glaubwürdigkeit hat er wegweisende Urteile vor dem Bundesverfassungsgericht erstritten.

Zu seinem 90. Geburtstag wünsche ich Gerhart Baum viel Glück, Freude und weiterhin Tatendrang. Und dass er auch in Zukunft mit ungebrochener Schaffenskraft seinen Überzeugungen eine so klare, mitreißende und entschie dene Stimme verleiht – innerhalb der Freien Demokraten und gegenüber einer Welt, in der leidenschaftliche Kämpfer für die Freiheit unverzichtbar sind.

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13 Abbildung 2: Kandidatenplakat zur Bundestagswahl, 1980

1 Motive eines Lebenswegs

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–Frieden und Freiheitsrechte

Matthias Franck

Ode wider den tierischen Unernst

Jetzt sind es schon neunzig Jahr, als unser stolzer Jubilar noch ein kleines Bäumchen war. Gerade aus der Mutter Schoß, ein paar Zentimeter bloß. In Dresden, einer Stadt im Krieg, glaubte sein Vater nie an einen Sieg. Trotzdem musste er raus ins Feld und kehrte nie zurück in diese Welt. Als die Stadt in Flammen steht, hilft kein Flehen, kein Gebet. Im Februar, in der Bombennacht wird jeder um den Schlaf gebracht. Es brennen Menschen, eine ganze Stadt, was man immer in Erinnerung hat, auch wenn der rechte Mob es ungeniert als deutsches Heldenepos inszeniert.

Mit zwölf Jahren an der Mutter Hand, führt der Weg in ein zerstörtes Land. Kaum auferstanden aus Ruinen, galt es, diesen Wahn zu sühnen. Alles verloren, eines bleibt ihm nur, Erinnerung an eine fast vernichtete Kultur.

Das alles wird sein Leben prägen auf all den so verschlungenen Wegen in die neue deutsche Republik. Stets die Frage und der scharfe Blick: Was können wir lernen aus dieser Katastrophe?

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Ode wider den tierischen Unernst

Vom Deutschlandlied nur noch die eine Strophe, zu wenig, wenn die braunen Kameraden sich weiter rühmen dürfen ihrer schlimmen Taten. Daraus entsteht das Thema seiner Lebenszeit: Das Wichtigste für alle ist die Freiheit. Genau das war ihm stets Verpflichtung Gab seiner Haltung Struktur und Richtung. Und alle die ihn kennen, wissen: Hier neigt er nicht zu Kompromissen. Es ist der Stolz auf die Männer und die Frauen, die halfen, einen neuen Staat zu bauen, in dem die Menschenwürde unantastbar, ein Grundgesetz, das auch belastbar. Menschenwürde, die für alle zählt, ganz egal wo in unserer weiten Welt, in schweren Stürmen, jederzeit. Dafür zu kämpfen, war er stets bereit. Er zog ins Feld gegen alle Populisten, die sich vor ahnungslosen Wählern brüsten, sie seien das Volk, sie müssten deshalb schreien und sie vom Joch der Demokratie befreien. Da wird er wild, da bietet er die Stirn, bei so viel Quatsch und ohne Hirn, knüpft er die Querdenker sich vor und flüstert Wahrheit ihnen in das Ohr. Denn wer die Welt mit Füßen tritt, dem gibt er diese Botschaft mit: «Wer die Idee der Freiheit nicht verstanden hat, mauert sich ein im Überwachungsstaat.» Wer es noch nicht weiß, dem sag ich’s jetzt: Gerhart Baum war immer Mr Grundgesetz.

Er startete in Köln mit neuem Schwung, denn seine Wut war groß und jung. Ein junger Mann, ein Prädikatsjurist,

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Motive eines Lebenswegs – Frieden und Freiheitsrechte

erfuhr schon bald, dass es nicht einfach ist, den alten, wackeren Parteisoldaten mal freundlich, mal im Ernst zu raten, sich an der neuen Zeit zu orientieren und nicht nach rückwärts nur zu stieren. Die Gesinnung rund um ihn war ziemlich rechts und Baum war noch ein Junggewächs. Doch er hat was gewagt und durchgehalten. Heute zählt er selber zu den Alten. Und er kann lächelnd sagen voller Schwung: «Meine Wut, Kollegen, meine Wut ist jung!»

Der Gerhart Baum war längst schon wer, da kam der Ruf zum Staatssekretär von Genscher, der wusste immerhin, ein liberaler Kopf, zwar schwierig, doch ein Gewinn für dieses Land und die Partei. Er stach heraus aus diesem Bonner Allerlei. Da Maihofer als Minister ging, weil ihm eine Abhörtraube an der Ferse hing, trat Baum an in schweren Zeiten.

Der liberale Kämpfer musste richtig fighten, denn Baader Meinhof hielten dieses Land auf Trab und dachten, wir schaffen mal den Rechtsstaat ab. Genau das wollten diese Terroristen und grinsten überall von ihren Fahndungslisten, bis ein X ihr Konterfei durchschnitt, gefasst, im Knast, wo sie der Teufel ritt.

Ein Typ wie Baum, der blieb jedoch besonnen, so hat die Republik mit ihm gewonnen. Sein Thema Freiheit stand oft auf der Kippe, die Wähler auf der Wahlkampf-Wippe, sie waren oft verängstigt und bereit, für die Parole Ordnung und auch Sicherheit, ihr Kreuz bei den Konservativen zu machen,

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da gab’s für ihn kaum was zu lachen. Einer voran ließ sich als Retter feiern nicht nur von Lederhosen Bayern. Franz Josef Strauß, der CSU-Philister, zieh Baum als Bundesunsicherheitsminister. Er selbst vom Typ Amigo-Demokrat, der wusste sehr genau, was er da tat, rief nach noch mehr Staat im Staat, ein Ideal, das er mit seiner CSU vertrat. Radikalenerlass, Gesinnungsschnüffelei, da war Franz Josef selig schnell dabei, und alle, die das nicht vermissten, waren für ihn einfach Kommunisten. Für Baum ein dunkler Punkt in der Erinnerung, doch er wusste damals schon: Meine Wut bleibt jung.

Ob in Brüssel oder für die UNO, er fragte nicht nach cui bono, wenn es galt mit Herz und Hand zu fechten und weltweit den Menschenrechten eine Bresche durch Not und Krieg zu schlagen und gerade für jene was zu wagen, die wir in Sonntagsreden gern beklagen, doch kurz darauf dann still zu Grabe tragen. Mit seiner Frau Renate vergibt er jetzt seit Jahren einen Preis für die, die sich um Menschenrechte scharen, die wie Maria Kolesnikowa im Gefängnis schmoren, weil sie für die Freiheit sich verschworen und nach jedem mutigen Demonstrieren einfach ins Gefängnis abmarschieren. Dann schreien die Schergen: «Ihr seid Idioten!», aber in Wirklichkeit sind sie die Patrioten.

Zur Flüchtlingskrise spricht er klaren Ton: Lasst sie bleiben und wir integrieren sie schon.

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Ode wider den tierischen Unernst

Motive eines Lebenswegs – Frieden und Freiheitsrechte

Wir brauchen ihre Kreativität und ihre Kraft und nicht die AfD im braunen Saft. Sie bremsen uns nicht, sie bringen uns weiter. Wir brauchen sie hier, das stimmt uns heiter. Demokratie und Freiheit, das ist Muss in Russland, Peking und in Belarus. Diese Werte sind und bleiben international. Das versteht Baum unter multiliberal. Und dann hat er noch einen besonderen Dreher für die selbst ernannten Putin-Versteher. Die UN-Charta spricht klar in ihrem Vertrag: Der Typ gehört zwingend nach Den Haag. Dort soll er den Richtern ins Auge sehen und zu seinem Morden stehen. Die Stimmen von Tausenden Toten klagen ihn an, den Kreml-Despoten. Jeder Krieg prägt die Erinnerung. Und seine Wut bleibt jung.

Seine Partei muss jetzt Akzente setzen und sich in der Ampel gut vernetzen. Das gefällt ihm, und doch sieht er manches kritisch, Wirtschaft, Umwelt und sozialpolitisch. Dann ist die FDP wieder auf klarem Kurs. Baum selbst nutzt gerne diesen Diskurs. Er entzieht sich nicht dem Blitzlichtgewitter. Er zwitschert nicht, auch nicht auf Twitter. Die sozialen Medien sind oft eine Seuche und sorgen für fette Medienbäuche. Sie produzieren täglich medialen Schmutz, doch Baum will einen sicheren Datenschutz. Wie oft wird alles heute ungebeten vor aller Augen breitgetreten.

Doch der Mensch ist mehr als ein Speicherchip. Okay, die neue Technik ist zwar hipp,

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Ode wider den tierischen Unernst

doch eine Löschtaste ist einfach ein Muss gegen diesen zwingenden Algorithmus. All die nimmersatten Suchmaschinen brauchen Grenzen und auch Seitenlinien. Hier sind besonders zu erwähnen diese Kraken – diese Datenhyänen, die alles sammeln und erfassen zu einem Puzzle zusammenfassen, weil wir komplett durchleuchtet sind, das weiß doch heute jedes Kind.

Das Grundgesetz ist wie in Stein geschlagen. Niemals sollte es jemand wagen, die freie Verfassung dieser Republik zu dehnen, zu ändern, je nach Farbenblick. Pfoten weg, ruft Gerhart Baum und klagte. In Karlsruhe, wo das Gericht dann tagte, mal gegen den großen Lauschangriff, gegen Datenspeicherung, bis man begriff, das klingt beim ersten Mal nach nicht so viel, doch kennen sie dein Persönlichkeitsprofil und wissen, was du hörst und machst, ob du in der Küche oder erst im Keller lachst, dann haben sie uns alle längst am Haken, Google, Facebook, die großen Datenkraken. Das sind keine Spiegelgefechte, sondern Attacken auf fest verbriefte Rechte. Am Ende blieb Karlsruhe ganz ruhig und entschied, der Baum hat recht, sodass dann alles blieb, wie es die Verfassungsmänner und -frauen mit Klugheit und einem großen Schuss Vertrauen uns in den Schoß legten wie ein rohes Ei.

Da war der Baum als Glucke schnell dabei. Wenn andere nur noch ihre Enkel küssen,

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1 Motive eines Lebenswegs – Frieden und Freiheitsrechte

nur noch vom Sonnendeck der Luxusliner grüßen, wenn sie mit Joschka, Schröder und Kollegen Kontakte in der Oligarchen-Kaste pflegen und als Berater die Bilanzen von Konzernen hübsch aufpolieren, statt zu lernen, wie man mit Altersweisheit kann erzählen: Wem kann man trauen und wen soll man wählen. Dann schüttelt mein Freund sein weises Haupt und sagt, was garantiert ihm jeder glaubt. Er tut es lächelnd, voller Schwung: «Glaubt mir Freunde, meine Wut bleibt jung!»

Der Tag kommt, wo wir ihn vermissen, weil wir heute ja schon wissen ohne ihn, da geht es kaum, drum pflanzen wir einen Freiheitsbaum.

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23 Ode wider den tierischen Unernst Abbildung 3: Plakat zur Landtagswahl, mit Burkhard Hirsch, Hans-Dietrich Genscher, Wolfgang Heinz, Liselotte Funcke und Otto Graf Lambsdorff, 1980

Franz und Sonja Negele

Ein Schulfreund seit Jugendtagen

Lieber Gerhart,

anlässlich Deines 90. Geburtstages im Oktober dieses Jahres gehen die Gedanken an unsere gemeinsame Jugendzeit im Tegernseer Tal in die Jahre von 1946 bis 1950 zurück. Du bist in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 zusammen mit Deiner Mutter und Deinen Zwillingsgeschwistern Peter und Ursula aus dem brennenden Dresden nach Bayern geflohen und nach einer lebensbedrohenden Flucht im Tegernseer Tal gelandet. Nach einem mehrmaligen Quartierwechsel im Tal endete die Odyssee in Bad Wiessee, Ortsteil Abwinkl, in einem Sommerhaus, in idyllischer Lage unmittelbar am Ufer des Sees; ein scheinbarer Glückstreffer, doch wegen der leichten Bau weise als Wohnung im rauen Klima des 725 Meter hoch gelegenen Alpensees für eine Mutter mit drei Kindern kein idealer Ort.

Hier begann unsere gemeinsame Geschichte. Meine Eltern besaßen unweit von Deiner Zuflucht ein kleines Fremdenheim, bis an den Rand mit Kriegsvertriebenen gefüllt. Wir wurden beide 1932 geboren und besuchten das im Jahr 1946 gegründete Gymnasium in Tegernsee, im ehemaligen «Sen gerschloß». Weil wir Nachbarkinder waren, die gleiche Klasse besuchten und den gemeinsamen Schulweg nutzten, kamen wir uns bald näher. Ein weiterer Ort verband uns Buben, es war ein Bootsverleih in Deiner unmittelbaren Nähe, ein Treffpunkt der Abwinkler Buben, der uns Gelegenheit bot, uns beim Übersetzen des Fährschiffes nach Tegernsee und beim Auftakeln des Segelbootes nützlich zu machen. In dieser trübseligen Nachkriegszeit waren wir froh über jede mögliche Abwechslung. Bei diesen Tätigkeiten haben wir uns bald angefreundet.

Im Klassenzimmer saßen wir nebeneinander. Mich haben von Anfang an Deine Selbstsicherheit, die Du als Großstadtkind aus Dresden mitge bracht hattest, Deine schulischen Leistungen und Dein frühzeitiges Interesse für Literatur, Musik, Kunst und Zeitgeschichte beeindruckt und mir Ansporn

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Ein Schulfreund seit Jugendtagen gegeben. Schon bald stellten wir Mitschüler fest, dass Du uns voraus warst, doch immer bescheiden, aber durchaus kämpferisch aufgetreten bist, wenn Du Deine Überzeugungen verteidigt hast. Unvergesslich bleibt mir in Erin nerung, als wir im Fach Deutsch von unserem Oberstudienrat, einem ehemaligen Offizier, das Thema «Die Lage eines Landes bestimmt sein nationa les Schicksal» bearbeiten sollten. Deine Argumentation lief der Intention des Lehrers völlig zuwider. Der militärische Umgang mit den Schülern und die nationalen Denkweisen des ehemaligen Offiziers lösten bei Dir, lieber Gerhart, starken Widerspruch aus. Du hast Dir bei der Behandlung des Themas große Mühe gegeben, die Argumente des Lehrers zu widerlegen, der durch seine Themenstellung die Notwendigkeit kriegerischer Entscheidungen im Falle Deutschlands zu begründen versuchte. Fast wäre es durch die Hartnäckigkeit Deiner Argumentation zu einem Eklat gekommen.

Gleichzeitig gab es jedoch an unserer Schule auch eine Lehrerpersönlichkeit, die, einer glücklichen Fügung folgend, eine völlig andere Geistes haltung besaß. Adolf Grote war ein ehemaliger Privatgelehrter, der dem Stefan-George-Kreis nahestand, eine umfangreiche Privatbibliothek besaß und diese uns zur Verfügung stellte. Damals ein Glücksfall in der Zeit des Mangels. Er hat uns in privaten Gesprächen in die Literatur eingeführt, uns die Werke Thomas Manns nähergebracht, Passagen aus «Tonio Kröger» vorgelesen und uns damit eine neue Welt eröffnet. Du hast diese Stunden mit Adolf Grote als prägend empfunden, die Dein späteres Leben, Deine politische Laufbahn mitbestimmten. Auch für mich bedeuteten diese Treffen einen Gewinn in meiner persönlichen Entwicklung und späteren Lebenssicht. In einem Artikel («Es bleibt eine Bescheidenheit, die ich später in unse rem Land oft vermisst habe». In: Tegernseer Tal, Heft 174, 2021) über Deine Tegernseer Zeit hast Du geäußert, dass damals in diesen Gesprächen Deine Leidenschaft für die Politik geweckt wurde und schon zu dieser Zeit Dein Kampf gegen die verbliebenen Nationalsozialisten begonnen hat. Du hast versichert, dass dieser Lehrer durch sein geistiges Vorbild in Dir «das Feuer für ein kämpferisches Freiheitsbewusstsein geweckt und Deinen Einsatz für den Aufbau einer Demokratie bestärkt» hat. – Er hat gleichsam die Uhr aufgezogen für Dein späteres erfolgreiches Wirken in der Politik.

Lieber Gerhart, nicht nur in Deinen frühen geistigen Höhenflügen bist Du mir in guter Erinnerung, Du hast Dich auch gerne an Tätigkeiten, die

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Motive eines Lebenswegs – Frieden und Freiheitsrechte

einem Heranwachsenden im Alter von 15 Jahren entsprechen, beteiligt. Wir haben mit unseren erbärmlich ausgestatteten Fahrrädern kleine Runden in unserer näheren Umgebung gedreht, größere Fahrten waren wegen der Mängel an den Rädern nicht möglich. Unsere Hauptbeschäftigung war immer wieder das Flicken von Fahrradschläuchen, weil die Fahrradmäntel völlig abgefahren und neue unerschwinglich waren. Im Winter habe ich mich redlich bemüht, Dir das Skifahren beizubringen, leider mit völlig unge eigneten Mitteln: ellenlange Holzskier mit einer uralten Riemenbindung und normale Wanderstiefel, an denen die Bindung nur notdürftig über den Schuhrand angebracht werden konnte. Trotzdem hast Du unter diesen Umständen meine Bemühungen, Dich zum Skifahren zu motivieren, akzep tiert, vermutlich um mich nicht zu enttäuschen. Dir war klar, dass im Tegernseer Tal der Skisport einen hohen Stellenwert hat. Du hast damals nicht aufgegeben und warst gewohnt, auch unter schwierigen Verhältnissen durchzuhalten. – Freundschaft auszuhalten, ist nicht immer einfach!

Alle diese gemeinsamen Erfahrungen in Notzeiten haben unsere Verbindung gestärkt und zu meiner großen Freude bis heute erhalten. Deine Bindungen an das Tegernseer Tal, die sich in diesen Jahren von 1945 bis 1950 entwickelt haben und von einer tiefen Sympathie zum Tal, den Bergen und vor allem dem See bestimmt sind, locken Dich immer wieder zu einem Kurzaufenthalt an den Tegernsee. Wie Du mir einmal erzählt hast, verfolgst Du sogar wiederholt Wettermeldungen und die Berichte über die Schneelagen im Tal; ich vermute fest, dass Dir das Tal während Deines Aufenthalts in den Nachkriegsjahren zur zweiten Heimat geworden ist. Du hast auch wiederholt an Schülertreffen der ehemaligen Mitschüler des Gymnasiums Tegernsee teilgenommen und damit die Verbundenheit zu diesem Ort und den Mitschülern gezeigt. Wir alle sind stolz, einen solchen prominenten Mit schüler in unseren Reihen zu wissen; in allen Gesprächen erzählen die Ehemaligen voller Bewunderung, dass sie Dich in Fernsehtalks erlebt haben und von Deinen Beiträgen in diesen Gesprächen beeindruckt waren.

Lieber Gerhart, mich freut besonders, dass wir vor etwa 75 Jahren gemeinsam auf der Ruderbank des Fährschiffes von Wiessee nach Tegernsee saßen und aus Leibeskräften ruderten, um gegen den starken Wind das Ufer zu erreichen. Ich denke gerne zurück, wie wir zusammen den Schulweg nach Tegernsee über das Eis angetreten haben, kurz vor dem Ufer eingebro

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Ein Schulfreund seit Jugendtagen

chen sind und den anschließenden Unterricht in stocksteif gefrorenen Hosen ertragen mussten. Gerne erinnere ich mich, wie Du einmal in Tegernsee einige Brotwecken besorgt hast, wir zu zweit mit dem Brot auf dem Rad saßen und den abschüssigen Weg zur Anlegestelle des Fährboots hinunterfuhren, nicht mehr rechtzeitig bremsen konnten und samt Brot im See lande ten. Damals in den Notzeiten ein schlimmes Erlebnis, heute ein Grund zum Schmunzeln … Solche gemeinsamen Erlebnisse bleiben in unserer Erinne rung und sind mit der Grund dafür, dass unsere Freundschaft noch heute besteht. Danke für Deine Treue!

Lieber Gerhart, Du hast mit Deiner beispiellosen Beharrlichkeit und Energie, Deinem Kampfgeist, Deinem Glauben an die Werte der Freiheit und Demokratie, aber auch an die Notwendigkeit eines sozialen Gewissens, an Ehrlichkeit und Mitmenschlichkeit in der Politik Zeichen in Deinem Leben gesetzt; alle, die Dir näherstehen, empfinden großen Respekt vor Deiner Person und Deinem Lebenswerk.

Abbildung 4:

Als Student an der Universität Köln, 1954

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Günter Verheugen

Im Zentrum des sozialen Liberalismus

Meine erste Begegnung mit Gerhart Baum verlief etwas einseitig: Er hat mich überhaupt nicht wahrgenommen. Wir befinden uns im Jahr 1960. Die Szene ist ein Ausflugslokal in Mehlem bei Bonn, direkt am Rhein. Es tagt dort der Landesrat der nordrhein-westfälischen Jungdemokraten. Ich war frisch installierter Kreisvorsitzender der Jungdemokraten in Köln-Land, und die Tagung in Mehlem war für mich das erste überörtliche politische Treffen meines Lebens. Aber es ist nicht nur deshalb in meiner Erinnerung geblieben. Auf der Tagesordnung stand der Antrag, ein Ausschlussverfahren gegen einen gewissen, mir völlig unbekannten, Gerhart Baum zu eröffnen. Die «Anklage» wurde vom Vorsitzenden des Gremiums, einem gewissen, mir ebenfalls völlig unbekannten, Dr. Burkhard Hirsch vertreten. Was Baum im Einzelnen vor geworfen wurde, weiß ich nicht mehr genau, aber es muss mit Äußerungen zu tun gehabt haben, die er im Hinblick auf den massiven Einfluss ehemaliger Nationalsozialisten in der nordrhein-westfälischen FDP gemacht hatte.

Da Gerhart Baum sechs Jahre später Bundesvorsitzender der Jungde mokraten wurde, hat es mit dem Ausschlussverfahren wohl nicht geklappt. Wenn ich heute darüber nachdenke, fallen mir an dem Erlebnis in Mehlem drei Dinge auf: Erstens, dass die politischen Lebenswege von Gerhart Baum und Burkhard Hirsch sich schon sehr früh gekreuzt haben und dass nicht vorherzusehen war, dass die beiden einmal ein wahrhaftiges DioskurenPaar im Kampf für den Rechtsstaat sein würden. Zweitens, dass es Gerhart Baum immer mit Widersachern zu tun hatte. Er musste immer kämpfen und sich behaupten, und dabei ist er von Natur aus kein Streithammel, sondern eher auf Harmonie bedacht. Drittens fällt mir auf, dass er, der 1945 schon alt genug war, die Schrecken des Krieges und der Flucht bewusst zu erleben, den unheilvollen Ideen und Taten der NS-Diktatur nicht die geringste neue Chance in Deutschland mehr erlauben wollte.

Unsere gemeinsame Zeit bei den Jungdemokraten war relativ kurz, tat sächlich nur acht Jahre. Das waren allerdings Jahre, in denen sich in der Bun

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Im Zentrum des sozialen Liberalismus

desrepublik ein fundamentaler Wandel Bahn brach. Der Mief der AdenauerÄra wich dem sozialliberalen Projekt. Am Ende dieser acht Jahre war auch die politische Jugendorganisation, der wir angehörten, eine andere geworden. Ebenso aber auch die sogenannte Mutterpartei, die FDP. Die Jungdemokraten in NRW waren Anfang der 1960er-Jahre in ihrem Selbstverständnis nicht die programmatische Avantgarde der FDP, sie waren ihre Nachwuchsorganisation. In ihren Spielregeln, Ritualen und Verfahren waren sie eine getreuliche Kopie der NRW-FDP mit ihrer massiven national-liberalen Schlagseite. Man trug Anzug und Krawatte, man redete sich selbstverständlich mit «Sie» an, und wenn man mit über 30 noch dabei war, hatte man die politische Jugendarbeit schon längst als Sprungbrett für die eigene politische Karriere entdeckt.

Bei Gerhart Baum war das nicht so. Er sah sich selbst in der freisinnigen, linksliberalen Tradition, die in anderen Landesverbänden der FDP durchaus lebendig und einflussreich war. In NRW war Baums Haltung lange Jahre eine Minderheitenposition, die von den Parteigranden mit größtem Miss trauen beobachtet wurde. Lange bevor das Schlagwort aufkam, hatte er sich bereits für den Marsch durch die Parteigliederungen entschieden. Auf mich, den deutlich Jüngeren – nach Jungdemokraten-Maßstäben waren wir eine ganze Generation auseinander –, hat Gerhart Baum großen Einfluss gehabt. Er wies mich ein in die Lage des politischen Liberalismus in der Bundesrepublik und verankerte in mir als zentralen gesellschaftlichen Wert das Ideal der Freiheit. Es war Gerhart Baum, der mir klarmachte, dass die großen Volksparteien nicht die Bannerträger der Freiheit sein konnten, sondern dass sie der Konkurrenz einer durch und durch liberalen Partei bedurften. Aber genau da, in der Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit, lag das Dilemma. Die Mende-FDP der 1960er-Jahre erfüllte den hohen liberalen Anspruch von Gerhart Baum und seinen Freunden eben nicht. Er hielt es deshalb für notwendig, und ich schloss mich dieser Auffassung an, dass zwei Dinge getan werden mussten, um diesen Zustand zu ändern. Die FDP musste sich erstens befreien von der Rolle des Mehrheitsbeschaffers für die Konservativen, sie musste koalitionsfähig auch mit der SPD werden, und sie musste dazu ihre programmatische Verengung auf die materiellen Interessen des Mittelstandes überwinden. Im Lauf der 1960er-Jahre kam zweitens dann immer dominierender noch die Außen- und Deutschland-Politik als Feld der Abgrenzung gegenüber der CDU/CSU und als Annäherung an die

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SPD hinzu. Dieses Politikfeld erwies sich schließlich als ausschlaggebend für die Neuausrichtung der FDP ab 1968 mit der Übernahme der Parteiführung durch Walter Scheel und Hans-Dietrich Genscher. Gerhart Baum gehörte zu den Ersten in der FDP, die erkannt hatten, dass die sogenannte deutsche Frage nur lösbar sein würde, wenn die nach dem Zweiten Welt krieg entstandenen Grenzen nicht infrage gestellt werden würden. Szenenwechsel. Es ist Ende März 1967. Auf dem Standstreifen der Auto bahn irgendwo zwischen Bielefeld und dem Ruhrgebiet steht ein nicht mehr ganz neuer, leicht ramponierter Ford mit Kölner Kennzeichen. In der Auto bahnböschung liegen lang ausgestreckt Gerhart Baum und ich, beide so erschöpft, dass die gemeinsame Heimfahrt vom FDP-Parteitag in Hannover für ein Nickerchen unterbrochen werden musste. Dieser Parteitag war die erste große Machtprobe zwischen dem stärker gewordenen progressiven Flügel der FDP und der Parteiführung mit ihrem rechten Anhang. Das Streitthema war die Deutschland- und Außenpolitik. Dass es zu einer geradezu dramatischen Zuspitzung kam, lag nicht nur an den Jungdemokraten, es lag auch an Beiträgen aus der Führungsgruppe und aus der liberalen Öffentlich keit. Hier ist vor allem Hans-Wolfgang Rubin zu nennen mit seinem Artikel «Die Stunde der Wahrheit» in der Zeitschrift liberal. Es lag aber auch an ver änderten Zeitumständen. Mächtige Publizisten wie Rudolf Augstein und Henri Nannen, beide unübersehbar präsent auf dem Hannoveraner Partei tag, und viele andere spürten den Wind des Wandels. In der SPD hatte Egon Bahr bereits vor längerer Zeit die Formel vom «Wandel durch Annäherung» geprägt. Wir Jungdemokraten verstanden diese Formel nicht als Bereitschaft zu einer gesellschaftlichen oder gar ideologischen Anpassung, sondern ganz wörtlich als die Bereitschaft, aufeinander zuzugehen, über gemeinsame Interessen zu reden und wenn möglich gemeinsame Lösungen zu finden. Uns war klar, dass dies nur langsam und Schritt für Schritt gehen würde, uns war aber auch klar, dass zwei zentrale Hindernisse überwunden werden mussten: Die Nichtanerkennung der DDR als deutscher Staat und die Nichtanerkennung der Oder-Neiße-Grenze als endgültige polnische Westgrenze. Aus diesem Grunde legten die Jungdemokraten für den Parteitag in Hannover einen entsprechenden Antrag vor. Gerhart Baum hatte ihn zu vertreten. Er war ein Jahr vorher in Mölln zum Bundesvorsitzenden der Jungdemokraten gewählt worden, gegen einen sehr starken, demagogisch hochbegab

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ten Mitbewerber. Die leidenschaftliche Diskussion auf diesem Parteitag fand ein überraschendes Ende durch einen Kompromissvorschlag, den HansDietrich Genscher vom Krankenbett aus an den Parteitag schickte. Er besagte, dass die Lösung der deutschen Frage nicht an territorialen Fragen scheitern dürfte. Gerhart Baum glaubte damals, dass dieser Kompromiss eine Niederlage der Jungdemokraten auf dem Parteitag verhinderte. Tatsächlich war es aber auch so, dass diese Formel den Streit nicht zum Erliegen brachte. Der zog sich noch weitere drei Jahre hin und endete erst mit dem Austritt des Mende-Flügels aus der FDP im Jahr 1970.

Während seiner Amtszeit als Bundesvorsitzender der Jungdemokraten war die Zusammenarbeit zwischen Gerhart Baum und mir sehr eng. Als Chef redakteur der Jungdemokraten-Monatszeitschrift Stimmen der jungen Genera tion hatte ich das wichtigste publizistische Instrument der Jungdemokraten in den Händen und machte davon auch ungeniert Gebrauch. Gerhart Baum war als Herausgeber der Zeitschrift mein Vorgesetzter, aber er sah seine Verant wortung nicht in der Lenkung der Redaktion, sondern er bemühte sich ständig, uns den Rücken freizuhalten. Ich weiß nicht, ob er immer einverstanden war mit den gelegentlich sehr unkonventionellen Positionen, denen wir in den Stimmen Raum gaben, aber sein Anliegen war die Meinungsvielfalt. Natürlich waren wir uns in den großen Linien einig. Damals ging es vor allem darum, die inhaltliche und personelle Erneuerung der FDP so schnell voran zutreiben, dass im Jahr 1969 nach der Bundestagswahl die Große Koalition von einer sozialliberalen Koalition abgelöst werden würde. Das ist gelungen, wenn auch die FDP dabei haarscharf am Untergang vorbeischrammte.

An dieser Stelle eine Beobachtung, die Gerhart Baum machte und die ich teile: Die zeitgeschichtliche Forschung, aber auch die publizistische Bearbeitung im Hinblick auf die Vorgeschichte der sozialliberalen Koalition blendet regelmäßig die Rolle der Progressiven in der FDP aus. Der Erneuerungsprozess der FDP ging im Wesentlichen von den Jungdemokraten aus. Sie wurden zur programmatischen Vorhut, unterstützt von den auch vor handenen fortschrittlichen Kräften in der FDP. Das führte zu einem neuen Selbstverständnis, mit einem neuen Programm und neuer Führung, und schuf die Koalitionsfähigkeit mit der SPD. Das war eine Politik des langen Atems, an die leider nur selten oder nie erinnert wird, für die aber Gerhart Baum ganz exemplarisch steht.

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Nach der Regierungsbildung 1969 trennten sich zunächst unsere Wege. Gerhart Baum arbeitete weiter in seinem Beruf und stieg in der nordrheinwestfälischen FDP langsam auf. Ich ging mit Genscher ins Innenministerium und war dort unter anderem sein Verbindungsmann zum linken Flügel in der FDP. Nach der Bundestagswahl 1972 trafen Gerhart Baum und ich uns im Bundesinnenministerium wieder. Baum war über die Landesliste der FDP in den Bundestag gekommen und Genscher ernannte ihn, für viele, auch für Gerhart Baum selbst, überraschend, zu seinem Parlamentarischen Staatssekretär. In dieser Funktion wuchs Gerhart Baum sehr schnell in die Rolle eines engen Beraters und Vertrauten von Genscher hinein, was wohl auch damit zusammenhing, dass Baum aus Dresden und Genscher aus Halle stammte. Ich glaube, dass die Nähe zu Hans-Dietrich Genscher für Gerhart Baum prägend wurde. Baum zeigte Genscher gegenüber bis zum Ende der sozialliberalen Koalition immer äußerste Loyalität. Ich konnte auch beobachten, dass Genscher später das dezidiert linksliberale Profil des Bundesinnenministers Baum ausdrücklich guthieß.

Von 1978 bis 1982 saßen Gerhart Baum als Bundesminister und ich als Generalsekretär der Partei zusammen im Präsidium der FDP. Nicht alle in diesem Gremium fanden Baums Rolle als Repräsentant eines liberalen, tole ranten, aber auch streitbaren Rechtsstaates wirklich gut. Tatsächlich war er im personellen und programmatischen Gesamttableau der FDP ein Eckpfei ler. Es ist ganz interessant, dass das Unbehagen an seinem betont liberalen Kurs über die FDP hinausging. Ich war dabei, als es im Koalitionsgespräch 1978 um die Nachfolge von Werner Maihofer als Innenminister ging. Bundeskanzler Helmut Schmidt war überhaupt nicht angetan von dem Vor schlag, Gerhart Baum zu ernennen. Schmidt wollte Graf Lambsdorff auf diesem Posten sehen, biss aber bei Genscher auf Granit. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Gerhart Baum der einzige der FDP-Bundesminister war, der bis zum Ende der Koalition zuverlässig zu Helmut Schmidt stand. Gerhart Baum hatte manchen Sturm in der Öffentlichkeit auszustehen, zum Beispiel als er es gewagt hatte, eine öffentliche Diskussion mit dem frü heren RAF-Terroristen Horst Mahler zu führen. Von viel weitreichenderer Bedeutung war allerdings eine ganz andere Auseinandersetzung. Der uralte Richtungsstreit zwischen dem sozialliberalen und dem wirtschaftsliberalen Flügel der FDP hatte sich ab 1976 erneut zugespitzt. Gerhart Baum leitete eine

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sogenannte Perspektivkommission, die einen Vorschlag zur programmati schen Weiterentwicklung machen sollte. Das Projekt war aber von Anfang an infrage gestellt, weil gleichzeitig eine sogenannte Wirtschaftskommission ein gesetzt wurde, die von Lambsdorff angeführt wurde. Beide Kommissionen legten damals unterschiedliche Vorschläge vor. Wäre es nach Gerhart Baum und seiner Kommission gegangen, hätte die FDP ein attraktives Angebot für die Umweltbewegung, die Anti-Kernkraftbewegung, die Frauenbewegung und die Friedensbewegung werden können, denn sie schlug eine Erweiterung und Aktualisierung der berühmten Freiburger Thesen von 1971 vor. Das deutsche Parteiensystem hätte sich möglicherweise ganz anders entwickelt, wäre die FDP damals diesem Vorschlag gefolgt. Aber der Wirtschaftsflügel setzte sich durch, und die Entscheidung mit der größten Symbolkraft war die Zustimmung zum weiteren Ausbau der Kernenergie. Ich erinnere mich, dass Gerhart Baum damals sehr niedergeschlagen war, denn er ahnte bereits, dass damit der Beginn des Niedergangs der sozialliberalen Koalition markiert wurde, und fürchtete, dass wesentliche Politikfelder der Zukunft nun anderen zum Zugriff überlassen wurden, was sich später bewahrheitete.

In der Endphase der sozialliberalen Koalition belastete eine schwere Vertrauenskrise in den Führungsgremien der FDP die Handlungsfähigkeit der Partei aufs Äußerste. Es war kaum mehr zu erkennen, wer mit wem welche Pläne verfolgte. Gremiensitzungen wurden belanglos, weil keiner mehr zu sagen wagte, was er wirklich dachte, weil alles sofort an die Medien durchgestochen wurde. Jahre später erzählte mir ein Bonner SPIEGEL-Redakteur, dass DER SPIEGEL nicht nur einen oder zwei, sondern gleich fünf Informanten im FDP-Präsidium hatte. In dieser Krisenzeit rückten Gerhart Baum und ich noch enger zusammen. Zusammen mit dem Vorsitzenden der Bundestagsfraktion, Wolfgang Mischnick, versuchten wir, eine Art Stabilitätsachse innerhalb der FDP zu sein, da der Zustand der FDP die sozialliberale Koali tion ins Taumeln brachte. Deshalb waren wir beide auch wie vor den Kopf geschlagen, als Mischnick im Juni 1982 seinem heimatlichen Landesverband Hessen auf der Landesebene einen Koalitionswechsel hin zur CDU empfahl. Gerhart Baum und ich sahen damals keine vernünftige Alternative zur bestehenden Bonner Koalition. In der SPD gab es ähnliche Sorgen, und das führte dazu, dass mit Wissen und Billigung von Willy Brandt der SPD-Bun desgeschäftsführer Peter Glotz und ich an einem Konsenspapier arbeiteten,

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das für die Koalition einen neuen Vorrat an Gemeinsamkeiten aufzeigen sollte. Dabei spielten die Themen, die Gerhart Baum repräsentierte, eine zentrale Rolle. Mit seiner liberalen Rechtsstaatspolitik und seinem Bestehen auf den Vorrang des Umweltschutzes vor Gewinnstreben und ökonomischem Nutzen repräsentierte Gerhart Baum wie kaum ein anderer neue Wählerbe dürfnisse und darunter insbesondere die der jungen Generation, die inzwischen die Grünen für sich entdeckt hatten. Letztlich führte der Plan, die Koali tion inhaltlich neu zu beleben, zu keinem Ergebnis, weil sehr schnell klar wurde, dass eine solche Neuorientierung mit Helmut Schmidt nicht zu machen war. Erst im Nachhinein ist Gerhart Baum und mir klar geworden, dass wir in unserem Denken zu sehr auf die FDP fixiert waren. Wir hatten das ganze Ausmaß der Konflikte und Querelen in der SPD schlicht unterschätzt. Gerhart Baum wusste genau, dass ein Koalitionswechsel das Ende sei ner Politik bedeuten würde. Er war längst zum Hassobjekt der CSU und der CDU geworden. Der Hauptgegner war Franz Josef Strauß, der keine Gele genheit ausließ, Gerhart Baum auch in persönlich herabsetzender Weise zu attackieren. Baum wurde ständig mit Rücktrittsforderungen aus dem Strauß-Lager konfrontiert, und uns fiel auf, dass im Lauf der Zeit der Widerspruch aus der FDP immer leiser wurde und in Teilen der Partei ganz aus blieb. Im Sommer 1982 war klar, dass die Koalition wohl nicht mehr zu retten war. Uns war, als befänden wir uns in einem Nebel, der immer dichter wurde. Selbst jetzt, 40 Jahre später, hat sich der Nebel noch nicht völlig gelichtet. Wir wissen beide immer noch nicht, ob es in der FDP einen gehei men Plan gab, die Koalition zu beenden, oder ob das Agieren der FDP eine nicht mehr steuerbare Eigendynamik bekam. Jedenfalls wurde in keinem einzigen Bundesgremium der FDP damals je über einen möglichen Koalitionswechsel gesprochen. Auch das Ende der Koalition ist bis heute nicht ganz klar: Hatte Schmidt die FDP-Minister entlassen oder waren sie zurückgetreten? Jedenfalls gelang es Schmidt damals, öffentlich die Verantwortung für das Scheitern der Koalition allein bei der FDP abzuladen und so die Erosion seiner eigenen Machtbasis zunächst zu verbergen.

Die auf das Ende der sozialliberalen Koalition folgende interne Auseinandersetzung in der FDP war so heftig und unversöhnlich, dass die Existenz der Partei auf dem Spiel stand. In einer ersten Phase waren sich die Gegner des Koalitionswechsels, die sich um Gerhart Baum und einige andere schar

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ten, einig: Die Entscheidung über mögliche Koalitionsverhandlungen mit der CDU/CSU sollte von einem Parteitag getroffen werden, und es sollte zu einem Wechsel in der Parteiführung kommen. Aber es kam anders. Auf dem Berliner Parteitag wurde Genscher als Parteivorsitzender bestätigt und der Koalitionswechsel gebilligt. Damit standen die Sozialliberalen in der Partei vor der Frage, bleiben oder gehen, und wenn Letzteres, wohin. Jeder musste diese Entscheidung für sich selber treffen. Gerhart Baum entschied in dem Augenblick, als er die Wahl zum stellvertretenden Parteivorsitzenden annahm. Ich glaube nicht, dass er sich hätte anders entscheiden können, obwohl ihn die Parteiführung in den Koalitionsverhandlungen längst fallen gelassen hatte. Die Entscheidung, einem Mann wie Baum einen Friedrich Zimmermann (CSU) als Innenminister folgen zu lassen, bestätigte eindrücklich, dass mehr als ein bloßer Koalitionswechsel stattgefunden hatte: Es war ein vollständiger Bruch mit der sozialliberalen Vergangenheit. 1982 entschied ich mich für einen anderen Weg als Gerhart Baum. Aber uns beide eint bis heute, dass wir Sozialliberale sind.

Abbildung 5:

Mit William Borm, Helga Schuchardt und Günter Verheugen auf der Konferenz «Noch eine Chance für die Liberalen» in Köln, 27.–28.02.1982

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Freiheit als Antrieb und Ziel

Gerhart Baum ist die soziale Seele des deutschen Liberalismus. Sein Leben ist ein Spiegel der deutschen Nachkriegsgeschich te. Als junger Mann überlebte er die Bombardierung Dresdens im Keller des brennenden Elternhauses. Als Innenminister kämpfte er gegen den Terror der RAF. Als Anwalt verteidigt er die Verfassung vor unverhältnismäßigen Eingriffen des Staates. Der sozialliberale Politiker widmet sein Leben der Demokratie, dem Rechtsstaat und den Menschenrechten und gehört seit Jahrzehnten zu den markantesten Stimmen in der Politik.

Gerhart Baum ist die soziale Seele des deutschen Liberalismus. Sein Leben ist ein Spiegel der deutschen Nachkriegsgeschichte. Als junger Mann überlebte er die Bombardierung Dresdens im Keller des brennenden Elternhauses. Als Innenminister kämpfte er gegen den Terror der RAF. Als Anwalt verteidigt er die Verfassung vor unverhältnismäßigen Eingriffen des Staates. Der sozialliberale Politiker widmet sein Leben der Demokratie, dem Rechtsstaat und den Menschenrechten und gehört seit Jahrzehnten zu den markantesten Stimmen in der Politik.

In diesem Buch, herausgegeben von Mitstreiterin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zu Gerhart Baums 90. Geburts tag, blicken rund 50 Zeitgenossen, Weggefährten und Freunde auf sein vielfältiges Wirken und zeichnen das Bild dieses Ausnahmepolitikers, der als das liberale Gewissen der Repu blik gelten darf. Mit Beiträgen von Reinhold Beckmann, Marco Buschmann, Udo Lindenberg, Christian Lindner, Sandra Maischberger, Ahmad Mansour, Wolfgang Niedecken, Heribert Prantl, Claudia Roth, Günter Verheugen, Günter Wallraff und vielen weiteren.

In diesem Buch, herausgegeben von Mitstreiterin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zu Gerhart Baums 90. Geburtstag, blicken rund 40 Zeitgenossen, Weggefährten und Freunde auf sein vielfältiges Wirken und zeichnen das Bild dieses Ausnahmepolitikers, der als das liberale Gewissen der Republik gelten darf. Mit Beiträgen von Marco Buschmann, Christian Lindner, Sandra Maischberger, Günter Verheugen, Edda Müller, Ahmad Mansour, Heribert Prantl, Theo Schiller, Reinhold Beckmann, Udo Lindenberg und vielen weiteren.

ISBN 978-3-907396-07-0 www.nzz-libro.ch www.nzz-libro.de
ISBN 978-3-907 396-07-0 9 783907 396070

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