Thierry Moosbrugger
50 × besser streiten
Wege zur Lösung
NZZ Libro
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ISBN Print 978-3-907396-66-7
ISBN E-Book 978-3-907396-67-4
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Für Elisha, Yael und Tobit
Streiten ist doof. Immer. Streiten ist aber auch normal, streiten ist auch unvermeidlich, streiten gehört auch zum Leben. Wie Steuern zahlen und wie Grippe.
Nichtsdestotrotz: Streiten ist doof. Immer.
Wenn mir Menschen erwidern, streiten sei doch etwas Gutes, klingelt sofort meine Alarmglocke und ich frage mich, …
… braucht er die starken Emotionen im Streit, um sich selbst zu spüren, weil er nur so Zugang zu den eigenen Gefühlen hat?
… braucht sie die Eskalation, um in den Kampf-Modus zu kommen, weil sie sich nur so durchsetzen kann?
… braucht er den Streit, um Spannungen abzubauen, weil er nie gelernt hat, wie das auch konstruktiv gehen könnte?
… braucht sie die heftigen negativen Emotionen, um die tiefere Auseinandersetzung mit dem Partner zu vermeiden, weil die Themen tiefer liegen und unangenehm sind?
Die Sprache gibt ebenfalls einen Hinweis: Wenn wir Konflikte oder unterschiedliche Meinungen konstruktiv austragen, dann «diskutieren» wir engagiert und kontrovers, oder wir «ringen» um eine Lösung.
Von Streit reden wir erst dann, wenn wir uns durch Emotionen oder Angriffe persönlich infrage gestellt fühlen und uns so zu wehren beginnen, dass es auch für das Gegenüber schwierig wird, ruhig zu bleiben.
Deshalb bleibe ich dabei: Streit ist ein falscher Weg, um Probleme zu lösen, Streit ist doof, auch wenn er unausweichlich ist.
Ziel: Wachsen!
Passend finde ich den Satz: «Herumbrüllen hilft nicht. Reflektieren hilft».1
Statt Streit schönzureden, halte ich es für sinnvoller, besser streiten zu lernen. Das Ziel dabei ist immer: die negative Streitenergie raschestmöglich verstehen, auflösen oder umwandeln, damit konstruktive Wege oder Win-win-Lösungen entstehen.
Konfliktkommunikation läuft anders
In Konflikten funktioniert Kommunikation anders als im Alltag – das ist ein roter Faden durch dieses Buch.
Im Streit ist irgendetwas in Schieflage: Ich fühle mich vom Gegenüber infrage gestellt oder angegriffen, verletzt, beleidigt, ungerecht behandelt; die Beziehung ist in Gefahr; ich möchte meine Meinung, meine Absicht, mein Ziel, meine Idee durchsetzen.
Dabei ist mein emotionales Zentrum im Alarmzustand, und deshalb wird ein grosser Teil meiner Energie und meines Bewusstseins dafür benötigt, diese innere Verunsicherung wieder zu stabilisieren. Das bedeutet:
– Mein Bewusstsein ist mit meinen Argumenten, meinen Emotionen, meinen Zielen beschäftigt. Also mit mir selbst.
– Die Folge: Nur wenig Kapazität bleibt übrig für das, was sich hinter dieser Oberfläche versteckt.
– Und natürlich bleibt am wenigsten Energie übrig für das, was mein Gegenüber eigentlich sagen möchte.
Meine eigene Kommunikation ist also gestört, und umso schwerer fällt es, die gestörte Kommunikation meines Gegenübers einzuordnen oder adäquat darauf zu reagieren. Mit anderen Worten: Es ist kompliziert. Nichts funktioniert wie sonst.
Der «magische Blick»
In Konfliktsituationen verhält es sich ein wenig wie bei den «Magic Eye»-Bildern (auch Stereoskopie genannt), die eine Weile lang sehr populär waren. Oberflächlich sehe ich nur ein Wirrwarr von Farben und Strichen. Erst wenn ich das Bild nahe an mein Gesicht halte, meine Augen gleichzeitig auf «Weitsicht» einstelle und mir Zeit nehme, erhält die wirre Oberfläche einen dreidimensionalen Charakter und erscheint plötzlich ein klares «Bild hinter dem Bild».
So verhält es sich auch beim Streiten. Um im oberflächlichen Streit weiterzukommen, müssen wir unsere alltäglichen Kommunikationsgewohnheiten verlassen.
Eine Kiste mit kleinen Werkzeugen
Es gibt zahlreiche wertvolle, interessante und lehrreiche Konfliktlösungstheorien. Einige davon sind das «Hintergrundrauschen», das dieses Buch erst möglich gemacht hat.
Abb. 1: Ein «Magic Eye»-Bild (auch Stereoskopie genannt): Oben die oberflächliche Erscheinung, unten das Tiefenbild. Es erscheint, wenn ich die alltägliche Sehgewohnheit breche.
Hier jedoch geht es um viele spezifische Ideen und konkrete Anwendungen. Das ist die Idee dieses Buchs: Eine Werkzeugkiste mit ganz unterschiedlichen praktischen Vorschlägen, um jeweils auswählen zu können, was mir gerade am meisten entspricht.
Wie lese ich dieses Buch?
Kategorien: Die 50 Werkzeuge sind auf fünf Kategorien verteilt, und Sie werden rasch merken, dass es Überschneidungen gibt. Verschiedene Werkzeug könnten auch in einer anderen Kategorie auftauchen, einzelne Ideen sind eng mit anderen verwandt oder verweisen aufeinander.
Ideenvielfalt: Es gibt Ideen, die funktionieren auch in anderen Spezialsituationen, unabhängig von Konflikten (z. B. wenn ich ein Projekt vorstellen muss, oder in einer Teamsitzung, oder wenn ich mit meinen Kindern ein Wochenende plane). Einige Ideen haben einen präventiven Ansatz, einige sind analytisch, andere kreativ oder wirken gar paradox. Einige Ideen funktionieren nur zu zweit, andere realisieren Sie sinnvollerweise für sich allein.
Probieren geht über studieren: Eben, es ist wie bei einer grossen Werkzeugkiste: Es scheint ein grosses «Chrüsimüsi» (ein Glossar aller Helvetismen finden Sie im Umschlag), damit für möglichst viele Situationen ein Werkzeug da ist, oder sogar mehrere. Probieren Sie herum, welches Sie am einfachsten oder am liebsten benützen.
Keine Leseordnung: Sie können das Buch von vorn nach hinten lesen oder von hinten nach vorn, nach dem Zufallsprinzip einzelne Kapitel aufschlagen oder sich von den Titeln leiten lassen. Sie bestimmen, was Ihnen nützt.
Kapitelprinzip: Jedes Kapitel besteht aus drei Teilen. Ein Grundtext, ergänzt durch lose weiterführende Gedanken (Bonus), und eine mögliche Umsetzung in die Praxis.
Rezepte zum Weiterentwickeln: Alles ist vorläufig und unabgeschlossen. Lassen Sie sich inspirieren! Entwickeln Sie Ideen weiter oder ändern Sie sie ab. Denn für Ihre Streitsituationen gibt es keinen besseren Spezialisten und keine bessere Fachfrau als Sie selbst.
Wichtig ist, dass Sie in Streitsituationen besser zu konstruktiven Lösungen kommen und so rasch wie möglich einen Kaffee oder ein Bier trinken gehen können.
Neue Vorschläge? – Danke!
Haben Sie eines der Werkzeuge verbessert? Gute Erfahrungen damit gemacht? Oder schlechte? Kennen Sie selbst ein «Besser streiten»-Tool, das hier fehlt?
Lassen Sie es mich wissen! Ich freue mich, von Ihren Erfahrungen zu lernen.
Basel, im Herbst 2023
Thierry Moosbrugger
PS: Mehr zum Thema finden Sie unter www.50xbesserstreiten.ch.
zwischen Toleranz und Korinthenkackerei
Wenn es am Ende des Monats um den Betrag geht, den Sie für Ihre Arbeit erhalten, sagt die Französin: «Je gagne 5000 balles.» Der Schweizer sagt: «Ich verdiene 5000 Stutz». Dasselbe Resultat, und eine ganz andere Atmosphäre, die die Worte verbreiten. Auf Französisch könnte ich meinen, Arbeiten sei wie ein Spiel im Casino, bei dem ich am Ende des Monats immer mit einem Gewinn nach Hause fahre.
Auf Deutsch wiederum klingt es eher nach harter, schon fast trotzig erledigter Krampferei, an deren Ende mir das Geld zusteht, schon fast als Teil meiner Persönlichkeit.
Ähnlich verhält es sich, wenn ich in der Küche sage: «Ich zaubere ein Nachtessen für meine Lieben» oder «Ich stopfe die jaulenden Hyänenschnauzen».
Die Poesie der Sprache liegt darin, dass Worte neben der Sachaussage mehrere Bilder in sich tragen können. Und je nach Umfeld erreicht uns das eine Bild in einem Wort stärker als ein anderes. Ist die Atmosphäre entspannt und vertrauensvoll, fällt der Umgang mit den unterschiedlichen Ebenen zumeist leicht.
Konflikte jedoch sind kommunikative Ausnahmesituationen: Ich fühle mich auf irgendeine Art angegriffen oder infrage gestellt. Ob es dabei um eine unterschiedliche Meinung zu einem Sachthema geht, um das unaufgeräumte Zimmer meiner Tochter oder um die Kritik meines Chefs an meinem aktuellen Projekt – Hirn, Herz und Seele sind in einem Alarmzustand.
Und in diesem fragilen Zustand ist gerade die reiche Vielschichtigkeit der Sprache ein Hort der Missverständnisse und der Eskalation.
Deshalb ist in Konfliktsituationen eine achtsame Sprache enorm wichtig.
Wenn es in den folgenden Beispielen also um einzelne Wörter geht, dann nie im Sinne der Korinthenkackerei oder Tüpflischysserei, sondern immer vor dem Hintergrund einer emotionalen Notsituation.
«Und» statt «aber» – die Hand und die Wand
«Du darfst noch ein bisschen lesen, aber um acht Uhr löschst du das Licht.» –
Ein Standardsatz in den Kinderzimmern der Welt. Was das Kind dabei hört, sagt der Held Jon Snow im Fantasy-Epos Game Of Thrones so: «Alles, was vor dem ‹Aber› gesagt wird, ist Pferdescheisse.»1
Genau. Der Zwerg im Buch, der gerade einem Drachen begegnet, und mein neues Legoflugzeug, bei dem ich nur noch den Flügel fertigbauen muss – das ist meinen Eltern egal. Wichtig ist nur, wann die Lichter ausgehen. Der Lockdown im Kinderzimmer als göttliche Ordnung.
«Aber» in einer Pantomime dargestellt – eine einfache Aufgabe: Beim Wort «aber» geht der Zeigefinger lehrmeisterlich in die Luft – Punkt gewonnen. Die Geste sagt dabei: «Achtung! Jetzt pass auf, weil ich der Boss bin und jetzt das Wichtige kommt!»
So wird aus der Leseerlaubnis eine Drohung, bestenfalls ein Zugeständnis, bei dem vom Kind ungesagt mindestens ein schlechtes Gewissen gewünscht wird.
Was im Kinderzimmer gilt, gilt auch in der Elternstube, auch wenn sie selten einem epischen Schlachtfeld gleicht.
«Ja, du hast mir wirklich schöne Blumen gekauft, aber ich musste meine Mails checken.» Wer auch immer Ihnen die Blumen geschenkt hat, wird sich nach dieser Formulierung hinter die Mails zurückgesetzt fühlen.
Denn das Wort «aber» zieht bildlich eine Wand auf, und der erste Teilsatz verschwindet dahinter. Wir haben uns daran gewöhnt, die Argumente des Gegenübers mit «aber» zu beantworten. Wir spielen uns oft vor, damit die Argumente des anderen wertzuschätzen (wir «erwähnen» sie ja). Und wir stellen dabei unsere eigene Seite strahlend vor die Wand. «Sie haben recht, aber …» heisst unter dem Strich: «Sie haben nicht alles bedacht, und ich sage Ihnen jetzt, was bei Ihnen falsch ist.»
Auf diese Art bildet «aber» immer erst mal eine Front und stellt meine Erkenntnis über die des Gegenübers.
Aber (!): Es gibt einen Ausweg. Und der ist ausgerechnet das unscheinbare, unterschätzte Wörtchen «und». Denn: Wenn «aber» eine Wand ist, dann ist «und» eine Hand.
«Bis acht Uhr darfst du noch lesen, und dann löschst du das Licht.» – Lesen Sie es laut, das tönt automatisch anders.
«Und» verbindet Teilsätze gleichwertig, ohne den ersten Gedanken implizit abzuwerten. Statt die Teilsätze durch eine Wand zu trennen, schafft «und» Brücken und reicht die Hand.
Das tönt banal, und es hat eine beinahe universelle Wirkung. Probieren Sie es aus und ersetzen Sie in sämtlichen Sätzen «aber» durch «und».
Als ich mir so selbst im Alltag zuhörte, war ich überrascht, wie diese «Kommunikation der kleinen Fronten» den Alltag durchwirkt. Ich war entsetzt, wie oft ich mit «aber» mikroskopische Abwertungen vornahm. Ich war verblüfft, wie problemlos sich «aber» durch «und» in fast jedem Fall ersetzen liess. Und ich war erstaunt, wie diese kleine Änderung für Entspannung in Streitgesprächen sorgen kann.
Zuletzt: Ja, Sprachgewohnheiten sind Despotinnen. Wenn ich Texte schreiben muss, bin ich immer wieder verärgert, wie mich mein «Aber»-Embargo zwingt, Gedanken besser zu fassen, statt auf die vertraute Wand- und Frontenmechanik zurückgreifen. Aber (!) es lohnt sich.
Bonus
«Aber ich will ‹aber› sagen dürfen!»
Wir sind in unserer Alltagssprache gewohnt, Dinge ständig negativ zu bewerten, ohne dass wir uns dessen bewusst sind.
Gleichzeitig gibt es viele Menschen, die sich in ihrem Alltag als zu nachgiebig erleben. Sie sagen oft «Ja» zu etwas und bereuen es im Nachhinein.
Von solchen Menschen erlebe ich oft spontanen Widerstand dagegen, «aber» durch «und» auszutauschen. Sie haben den Eindruck, noch nachgiebiger zu werden, wenn sie mit «aber» keine Grenze mehr ziehen können.
Diese Befürchtung ist nachvollziehbar, und sie ist wichtig. Tatsächlich ist es in Konflikten wichtig, seine eigenen Grenzen zu spüren und auszudrücken. Und gerade das «und statt aber»-Prinzip ist eine ideale Übung, mir bewusst zu machen, was ich wirklich sagen will und was mir wichtig ist.
Denn das «aber» hat sich so in unsere Sprachgewohnheiten eingewoben, dass wir seine «mikro-destruktive» Funktion kaum mehr wahrnehmen.
Wenn ich also Mühe damit habe, mich selbst abzugrenzen, dann ist der «Aber-Verzicht» auch ein Verzicht auf Abwertung. Mit dieser kurzfristigen Mauer ist nämlich nichts gewonnen. Und das «und» ist kurzfristig vielleicht mühsam, ja, und (!) es ist langfristig gewinnbringend.
Vielmehr hilft mir gerade der bewusste Verzicht auf negative Sprachmuster, mir besser darüber klarzuwerden, was ich wirklich ausdrücken möchte. Klar, das ist mühsam. Aber (!) niemand hat gesagt, dass die Entwicklung meiner Persönlichkeit ein Ponyhof ist.
Praxis
1. Schreiben Sie fünf Sätze auf, die ein «aber» beinhalten – Sie brauchen nicht lange zu überlegen.
2. Wechseln Sie das «aber» durch ein «und» aus, betrachten Sie den Satz oder lesen Sie die beiden Varianten laut.
3. Wie hat sich der Satz nun verändert? Wie stehen die Aussagen in den beiden Satzteilen zueinander? Wie «fühlen» sich die Sätze an, wenn sie durch «und» getrennt sind statt durch «aber»?
Satz 1: , aber wird zu , und Satz 2: , aber wird zu , und Satz 3: , aber wird zu , und Satz 4: , aber wird zu , und Satz 5: , aber wird zu , und
Beispiel:
1. Ein Satz mit «aber»:
Das Menü in diesem Fünf-Sterne-Restaurant hat mir geschmeckt, aber die Nudeln waren versalzen.
2. Austausch von «aber» durch «und»:
Das Menü in diesem Fünf-Sterne-Restaurant hat mir geschmeckt, und die Nudeln waren versalzen.
3. Eindrücke im Vergleich:
– Mit «aber» bleiben die versalzenen Nudeln als entscheidender Eindruck zurück.
– Mit «und» kommen mir die Nudeln lediglich wie ein Nachsatz zum Schmunzeln vor.
– Der ganze Rest des Menüs (der frische Salat, das zarte Gemüse und das leckere Dessert) bleibt mit «und» eigenständig und «unberührt» von den versalzenen Nudeln.
– Wenn ich den Satz mit «und» höre, dann gehe ich davon aus, dass es im Ganzen ein guter Restaurantbesuch war. Mit «aber» macht es auf mich den Eindruck, dass durch die versalzenen Nudeln eine betrübte Erinnerung zurückbleibt.
– Mein Gesamturteil über den Abend ist mit «und» besser als mit «aber».
Harmlos, aber toxisch: «Aber» unter der Lupe
Das unscheinbare Wort «aber» ist vielleicht eines der mächtigsten Wörter der Sprache überhaupt. Omnipräsent im Alltag und in Streitgesprächen, sind sich nur die Wenigsten bewusst, was das Wort für eine Wirkung besitzt. Kurz gesagt: «Aber» ist der Wolf im Schafspelz, der Scharfrichter im Mönchsgewand, die Verurteilung in Form eines Diskussionsbeitrags.
Eine Wertschätzung dieses Wort-Superwesens ist deshalb nichts anderes als richtig.
«Aber»-Sätze tönen vorerst eigentlich meist harmlos:
«Das Hotel hatte ein tolles Frühstücksbuffet, aber die Zimmer waren kühl.»
«Meine Chefin redet laut, aber sie ist intelligent.»
«Am Morgen schien die Sonne, aber am Mittag regnete es.»
«In der ersten Halbzeit dominierte Union Berlin, aber in der zweiten Halbzeit stürmte nur der FC Basel.»
Mit der Lupe betrachtet, gibt es zwei Grundsätze:
Erster Grundsatz: «Aber» drückt zuerst immer auf irgendeine Art einen Gegensatz aus (toll/kühl, laut/intelligent, Sonne/Regen, zwei gegnerische Fussballteams). Verbinde ich die Teilsätze stattdessen mit «und» – «Das Hotel hatte ein tolles Frühstücksbuffet und kühle Zimmer.» –, dann ist «kühl» wie durch Zauberhand kein Gegensatz von «toll» mehr, sondern einfach eine weitere Eigenschaft des Hotelaufenthalts.
Zweiter Grundsatz: Mit «aber» beurteile ich die beiden Satzteile, und der zweite Teil ist für mein Gesamturteil entscheidend.
Wenn ich «Das Hotel hatte ein tolles Frühstücksbuffet, aber kühle Zimmer.» umkehre und sage: «Das Hotel hatte kühle Zimmer, aber ein tolles Frühstücksbuffet.» – da wird sofort klar, in welchem Beispiel das Hotel mehr Bewertungssterne erhält. Und das funktioniert mit den anderen Beispielsätzen genau gleich.
Die Formel lautet also: Aber = Gegensatz + Bewertung (unwichtig vor wichtig).
Dieser Grundsatz gilt überall, wirklich überall. Wo ich sage: «Sie haben recht, aber dies und das haben Sie noch vergessen», da signalisiere ich, dass das Gegenüber unter dem Strich eben falsch liegt. Wenn ich hingegen formuliere «Sie haben noch dies und das vergessen, aber sie haben recht», dann mache ich meine Zustimmung deutlich.
Im Alltag verwenden wir das Wort «aber» fast immer unbedacht und geben dabei nur allzu oft unsere unbewusste Bewertung preis.
Oder wir zeigen gar, dass die angebliche Wertschätzung des Gegenübers («Sie haben ja recht, aber …») nur ein rhetorischer Trick ist, um Verständnis
vorzutäuschen und dann unsere eigene Position umso krachender zu demonstrieren.
Auch dies geschieht oft unbewusst und führt nicht selten zur Verwunderung über eine zunehmende Verhärtung der Atmosphäre: «Aber (!) ich habe doch gesagt, er habe da und dort recht, wieso hat er nur so aggressiv reagiert?»
Wo ich in Konflikten und Streitgesprächen Lösungen finden will, ist eine wertschätzende Sprache sinnvoll.
Unbedacht verwendete «Aber»-Konstruktionen tragen die Gefahr in sich, Diskussionen zu kontaminieren und zu vergiften.
Wenn ich das Wort «aber» aber (!) sparsam und gezielt einsetze, ist es mächtig wie ein Atomkraftwerk, aber ohne Entsorgungsproblem. Und dieser Vergleich zum Schluss war vielleicht lustig, aber wahrscheinlich eher unnötig.
Bonus
Gegensätze im Alltag
In Konflikten ist Kommunikation ein filigranes Ding, ähnlich wie ein Mobile. Ein nicht sorgfältig platziertes Element kann das ganze Gebilde zum Kippen bringen, und im Nu sind die verschiedenen Ebenen heillos verwickelt. Gerade weil wir das Wort «aber» so oft benützen, hat es in Konflikten viel unsichtbare Macht über die Atmosphäre. Im Alltag ist das anders, hier sind die Beziehungen stabil. «Alles vor dem Aber ist Pferdemist» gilt auch im Alltag. Aber (!) wir können das Ungleichgewicht besser einschätzen und relativieren, als wenn wir emotional angegriffen sind.
Souverän ohne Aber
Wenn ich direkt angesprochen werde, hilft es auch mir selbst, auf ein «aber» zu verzichten. Nur zu oft bringt mein «aber» mich selbst nämlich dazu, in eine Rechtfertigungs- oder Verteidigungshaltung zu gehen.
Da fragt mich ein Freund zum Beispiel:
«Gehen wir wieder einmal miteinander essen?» Darauf antworte ich: «Ja, gern, aber diese Woche geht nicht, ich kann erst nächste Woche.»
Mein Freund hat mich gar nicht für diese Woche gefragt. Dennoch tönt meine Antwort danach. Und sie vermittelt, dass ich gerade Stress habe, der durch meinen Freund noch vergrössert wird, weswegen ich ihn erst mal abwehren muss. Dabei kann ich die «Aber»-Formulierung ersatzlos streichen und sagen:
«Ja, gern, ich kann nächste Woche.»