Zwischen Wissenschaft und Kunst
Bilder aus über 500 Jahren
François G. Baer Yves BaerZwischen Wissenschaft und Kunst
Bilder aus über 500 Jahren
NZZ Libro
Impressum
Autoren:
•François G. Baer •Yves BaerGestaltung: François G. Baer, Zürich
Lektorat:
Regula Walser, Zürich
Korrektorat:
Ruth Rybi, Gockhausen-Zürich
Anna Ertel, Göttingen
Satz und Bildbearbeitung: toolboox – Visuelles und Editoriales, Zürich
Druck:
BALTO print, Vilnius, Printed in the EU
© 2024
NZZ Libro, Schwabe Verlagsgruppe AG, Basel.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN Print 978-3-907396-51-3
www.nzz-libro.ch
NZZ Libro ist ein Imprint der Schwabe Verlagsgruppe AG.
Die Autoren danken Dr. Urs Leu, Leiter Sammlung Alte Drucke und Rara der Zentralbibliothek Zürich und Dr. Dennis Hansen, Universität Zürich, für ihre Durchsicht und wertvollen historischen Hinweise. Für allfällige Irrtümer sind ausschliesslich die Autoren verantwortlich.
Dr. Jochen Hesse, Leiter der grafischen Sammlung der Zentralbibliothek Zürich, danken wir für die bildnerischen Impulse bei der Bildersuche
Die folgenden Institutionen unterstützten den Druck dieses Buches:
Else v. Sick Stiftung
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Inhalt
6 Handelnde Personen
8 Zürich – im Gespräch mit der Welt
12 Conrad Gessner: Arzt, Zoologe, Botaniker, Philologe, Physiker – zudem ein wunderbarer Zeichner
24 Fabelwesen wie Chimären, Drachen, Einhörner oder Harpyien
26 Ein Spiegel der städtischen Gesellschaft: das Ständebuch von Jost Amman
28 Conrad Meyer bringt die zürcherische Orthodoxie mit flämischer Weltläufigkeit in Einklang
36 Jan Hackaert malt um 1660 Het Meer van Zürich
38 Johann Jakob Scheuchzer will die Wissenschaft mit Gottes Schöpfung in Einklang bringen
48 David Herrliberger beobachtet die Bräuche seiner Zeit
60 Klangbilder: die Cris de Paris und die Ancient cries of London
62 Johann Caspar Ulinger verleiht dem Dresdener Barock eine Schweizer Note
70 Johann Balthasar Bullinger porträtiert mit Grandezza die Kleinstadt Zürich
78 Giovanni Battista Tiepolo: Geschichten für Wissbegierige
80 Johann Rudolf Schellenberg sieht auch Kleines gross
90 Leidenschaft für blühende Pflanzen: Pierre-Joseph Redouté
92 Johann Heinrich Wüest und die Erhabenheit der Natur
98 Caspar Wolf versucht, die Tektonik der Alpen in Gemälde zu übertragen
100 Johann Heinrich Lips zeichnet für Lavater und Goethe
108 Eine Malerclique in Rom – und Goethe mittendrin
110 Mit Captain James Cook in der Südsee: Joseph Banks und Sydney Parkinson
112 Heinrich Rudolf Schinz will sein Wissen nicht für sich behalten
120 Auf dem Chimborazo: Alexander Humboldt und Aimé Bonpland
122 Hans Conrad Escher von der Linth erfindet das Panorama
130 Karl Bodmer entdeckt seine wahre Berufung in Amerika
138 John James Audubon entdeckt Amerikas Vogelwelt
140 Jean Jacques Wild vermisst den Pazifik und wird wissenschaftlicher Künstler in Australien
152 Hans Jakob Oeri zieht es statt nach Amerika oder in die Südsee nach Russland
154 Eduard Imhof – der Beherrscher des Schattens
162 Zürich, Paris und New York aus der Vogelperspektive
164 Sonja Burger vereint die klassische Zeichenkunst mit den Anforderungen der heutigen Zeit
172 Die Stadt von gestern und morgen – heute (re-)konstruiert
174 Nachwort: Anna Waser als wissenschaftliche Zeichnerin
180 Die grafischen Techniken
182 Glossar
184 Personenregister
186 Quellen- und Literaturverzeichnis
190 Bildnachweis
Handelnde Personen
Conrad Gessner
26.3.1516, Zürich – 13.12.1565, Zürich. Arzt, Naturforscher, Altphilologe, Humanist, Polyhistor und Enzyklopädist. Er war Stadtarzt und gleichzeitig Universalgelehrter, begründete die Zoologie und entdeckte die botanischen Höhenstufen.
12
Johann Heinrich Lips
29.4.1758, Kloten – 5.5.1817, Zürich. Zeichner, Kupferstecher. Mit 14 Jahren wird er von Lavater in Zürich gefördert und in Rom von Goethe für dessen «Entreprisen» in Weimar angeworben. Am Ende seines Lebens gilt er als einer der besten Kupferstecher seiner Zeit.
Conrad Meyer
3.10.1618, Zürich – 15.1.1689, Zürich. Lehre bei seinem Vater. 1638–42auf Wanderschaft, in Frankfurt bei Matthäus Merian. Nach seiner Rückkehr nach Zürich wirkte er als Maler, Zeichner undRadierer und war eine führende Künstlerpersönlichkeit.
28
Heinrich Rudolf Schinz
30.3.1777, Zürich – 8.3.1861, Zürich. Verfasser von Monografien zu einzelnen Tierarten und zur Fauna. Medizinstudium in Würzburg und Jena,ab 1798 Arzt in Zürich, 1804 Lehrer am med. Institut, 1833 Professor fürNaturgeschichte an der Universität Zürich.
112
David Herrliberger2.8.1672, Zürich – 23.6.1733, Zürich. Botaniker, Studium an der Universität Utrecht. Scheuchzer war Arztund ein Naturforscher, der durch seine Deutung von Fossilien als Überbleibsel der Sintflut bekannt wurde. Sein Meisterwerk ist die Kupferbibel 38
31.1.1697, Zürich – 25.5.1777, Zürich. Zeichner und Kupferstecher, Herausgeber von Druckgrafiken und illustrierten Druckschriften zur Landeskunde. Schöpfer der Ausruff-Bilder und der Zürcherischen KleiderTrachten
24.8.1767, Zürich – 9.3.1823, Zürich; ab 1823: Escher von der Linth. Seidenfabrikant, Bauingenieur, Kartograf, Maler, Politiker. Er leitete die LinthKorrektur und gründete ein staatswissenschaftlichesInstitut,das1833 in der Universität Zürich aufging. 122
11.2.1809, Zürich – 30.10.1893, Paris. Zeichner, Maler, Radierer, Lithograf, Zinkstecher und Jäger. Von grosser Bedeutung für die Ethnologie sind seine von 1832 bis 1834 in Nordamerika gezeichneten und aquarellierten Indianer- und Landschaftsbilder. 130
Personen
Johann Jakob Scheuchzer Hans Conrad Escher Karl BodmerJohann Caspar Ulinger
27.4.1704, Herrliberg – 14. 7.1768, Zürich. Kupferstecher und Porträtmaler. In jungen Jahren Maler an deutschen Fürstenhöfen, zuletzt in Dresden. Ab 1733 wieder in Zürich, wo er sich mit Stichen für Herrliberger und der Planvedute von Zürich Meriten erwirbt.
62
Johann Balthasar Bullinger Hans Rudolf Schellenberg30.11.1713, Langnau a.A. – 31.3.1793, Zürich. Lehrjahre bei Giambattista Tiepolo, Landschafts- und Porträtmaler, Kupferstecher und ab 1773 Professor an der neu gegründeten Kunstschule Zürich. Berühmt sind seine Veduten der Stadt Zürich um 1700 70 80
Jean Jacques Wild Eduard Imhof
4.1.1740, Basel – 6.8.1806, Töss bei Winterthur. Maler, Illustratorund Entomologe. Er zeichnete und radierte vor allem für Lavater und Johann Heinrich Sulzers Kennzeichen der Insekten. Weniger bekannt sind seine Wiedergaben von Blumen und Sträuchern.
Johann Heinrich Wüest
14. 5.1741, Zürich – 7.4.1821, Zürich. Lehre als Flachmaler, Autodidakt als Landschaftsmaler. Studienaufenhalte in Amsterdam und Paris. 1769 Rückkehr nach Zürich, wo er seine eigene Sprache in imposanten und idyllischen Naturbildern entwickelte.
92
Sonja Burger .. sowie:
1824, Zürich – 3.6.1900, Melbourne. Er trat 1872 der Challenger-Expedition der Royal Society als Sekretär und offizieller Künstler bei. Als John James Wild kennt ihn die Wissenschaft für seine Forschungen über die Fauna und Strömungen des Pazifiks.
25.1.1895, Schiers – 27. 4.1986, Erlenbach. Prägte mit seinen schattenplastischen Reliefdarstellungen das moderne Kartenbild. 1925 Gründung des Instituts für Kartografie der ETH Zürich.Von 1960 bis 1978 Leiter der Arbeitsgruppe «Atlas der Schweiz».
26.2.62, Zürich. Nach der Ausbildung im Vorkurs und in der Fachklassefür Wissenschaftliches Zeichnen und Illustration an der SfG Zürich und als medizinische Zeichnerin am Unispital Zürich ist sie seit 1986 selbstständigerwerbende Illustratorin.
Jost Amman 26
Jan Hackaert 36
Johann Melchior Füssli 38
Giovanni Battista Tiepolo 78
Pierre-Joseph Redouté 90
Caspar Wolf 98
Johann Wolfgang Goethe 108
Joseph Banks und Sydney
Parkinson 110
Carl Joseph Brodtmann 112
Alexander Humboldt und Aimé Bonpland 120
John James Audubon 138
Hans Jakob Oeri 152
Raphael Volery 172
und last but not least:
Anna Waser 174
Handelnde Personen 7
Zürich – im Gespräch mit der Welt
» Im Laufe des 15. Jahrhunderts hatte sich die Stellung der Stadt Zürich als Vorort der Eidgenossenschaft faktisch durchgesetzt, was ihr Streben nach Weltläufigkeit und ihre Entwicklung zur offenen Handelsstadt förderte. Neben den Handelswaren setzte sich Zürich bald mit den kommenden ideellen Einflüssen aus Italien, den holländischen, flandrischen sowie denselbstständigen Handelsstädten des Deutschen Reichs auseinander. Nicht zuletzt die Ideen der Renaissance und die Katastrophe von Marignano im Jahr 1515, bei der etwa 800 Zürcher aus Stadt und Landschaft ihr Leben liessen, bewogen den Leutpriester am Grossmünster, Huldrych Zwingli, erst die Bevölkerung und dann die politischen Entscheider – darunter auch die Äbtissin des Fraumünsters – zu religiösen und gesellschaftlichen Reformen zu bewegen. Was als lokales Ereignis begann, weitete sich in kürzester Zeit zu einer star-
ken Belastung der Beziehungen innerhalb der Eidgenossenschaft aus und breitete sich, in Verbindung mit der lutherischen Bewegung in Deutschland und den Verfolgungen der Hugenotten in Frankreich und den Umbrüchen im England der Tudors, zu einer Zeitenwende über ganz Europa aus.
Wichtigster Grund der raschen Verbreitung der Reformationsbewegung war die Erfindung des Buchdrucks mit den gegossenen Lettern, mit denen man Bibeln, Pamphlete, wissenschaftliche Werke oder amtliche Mitteilungen auf Papier statt Pergament in jeder gewünschten Auflage herstellen konnte. So hatte sich das Drucken und Verlegen von Büchern und grafischen Blättern seit dem Beginn des 16. Jahrhunderts in ganz Europa rasant verbreitet und eine Kulturrevolution ausgelöst. Neue Berufe waren geschaffen worden wie jene der Papierer, Schriftgies-
Ausschnitt aus dem Murerplan, einem kolorierten Holzschnitt der Stadt Zürich aus der Federdes Zürcher Glasmalers und Kartografen Jos Murer aus dem Jahr 1576. Dieser hatte die Stadt Meter für Meter erwandert und vermessen und auf grosse Blätter gezeichnet, die schliesslich reduziert auf mehrere Holztafeln kopiert und geschnitten wurden und anschliessend zum druckbaren Stadtplan zusammengeleimt auf der Druckpresse von Christoph Froschauer gedruckt wurden.
«Der uralten wytbekannten Statt Zurych gestalt und gelaegenhait / wie sy zuo diser zyt in waesen / ufgerissen und in grund gelegt / durch Josen Murer / und durch Christoffel Froschaower / zuo Eeren dem Vatterland getruckt / Im M.D.LXXVI. Jar.»
ser, Schriftsetzer oder Illustratoren, welche die Werke in Holzschnitt-, Kupferstich- oder später noch in Lithografietechnik umsetzten.
Wissenschaftsort und Inspirationsquelle
Der erste Buchdrucker in Zürich war Christoph Froschauer (um 1490–1564), der das Handwerk bei seinem Onkel in Augsburg erlernt hatte. 1515 kam Froschauer nach Zürich zu Hans Rüegger und baute mitihm eine Druckerei auf. Nach Rüeggers Tod 1517 übernahm er die Druckerei und heiratete dessen Witwe. Kurz darauf verlieh ihm die Stadt das Bürgerrecht, sodass er fortan im Staatsauftrag drucken durfte. Für Zwingli druckte er Predigten und programmatische Schriften, 1529 auch die Zürcher Bibel. Froschauer war ein gewiefter Geschäftsmann, der, so wie er die Wirkung
des Murerplans erfasst hatte, so auch gleich in der Zürcher Bibel deren Verbreitungspotenzial erkannte, und es den englischen Glaubensbrüdern ermöglichte, rasch eine protestantische Bibel in ihrer Sprache lesen zu können: «The whole Byble, that is the Holy Scripture of the olde and newe Testament faythfully translated into Englishe by Myles Coverdale, and newly oversene and correcte. Zurich: Printed by Christoph Froschauer for Andrewe Hester, 1550». Conrad Gessners Werke wurden für die Bibliotheken und die Gelehrten des ganzen Kontinents zu Must haves – nicht nur ihrer erforschten Texte wegen, sondern gerade auch wegen der zahllosen von Gessner selbst gezeichneten lebendigen und in präziser Holzschnitttechnik umgesetzten Illustrationen, die wie das Chamäleon oder das Rhinozeros noch heute faszinieren, als frühe Icons der Neuzeit ins Weltgedächtnis eingingen.
Zürich im Winter. Blick von Osten gegen die Stadt. Kupferradierung von ConradMeyer, 24,3x 14,6 cm, um 1649. Aus der Folge von Neujahrsblättern der Burgerbibliothek Zürich auf die Jahre 1646/49mit Darstellungen der vier Jahreszeiten.
Von 1570 bis Ende der 1620er-Jahre wurde Zürich von dramatischen Kälte- und Nässeperioden und Pestzügen heimgesucht, darauf folgte in Mitteleuropa der Dreissigjährige Krieg, der auch die Zürcher Rheingrenze touchierte – eine ungemein harte Zeit. Das geografisch und gesellschaftlich kleinräumige Staatswesen vermochte schliesslich die Massenarmut aufzufangen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu erhalten. Nach dem Westfälischen Frieden 1648 nannte sich Zürich nicht mehr Reichsstadt, sondern Republik Zürich und stellte sich damit auf die gleiche Stufe wie Genua und Venedig, was zur leidigen Folge hatte, dass sich die Bürgerschaft der Stadt mit immer schärferen Vorschriften zur Erlangung des Bürgerrechts abschottete. Der Kultur schadete dies vordergründig nicht, in Zürich, aber auch in Winterthur etablierten sich Künstler, die sowohl die freie Kunst in Form von Malereien, Tapetenbildern wie auch die angewandte Kunst für wissenschaftliche, gewerbliche oder private Auftraggeber pflegten. Johann Balthasar Bullinger stellte, als er etabliert war, kritisch fest: «zu Zürich ist die Malerei ein Handwerk und den schlechtesten gleich an eine Zunft gebunden. Muss 3 Jahrlang lehrnen und 2 Jahr reisen, dann ist man ein Künstler, das Gott erbarm!» Denn die Zürcher Kunstmaler waren der gleichen Ordnung in derselben Zunft unterstellt wie die Flachmaler. Zum Glück waren Illustratoren und Kupferstecher gesuchte Leute und wurden junge Talente von Altmeistern wie Johann Caspar Füssli und Literaten wie Johann Caspar Lavater unterstützt. Für die «freie
Kunst» waren die Restriktionen der Zunftordnung zu erdrückend und die Grösse der Stadt wohl zu bescheiden, wie das Beispiel von Johann Heinrich Füssli – der Sohn Johann Caspars – zeigt, der seine genialen Werke als «the wild Swiss Fusely» in London schuf.
Die äussere und die innere Welt
Mitte des 17. Jahrhunderts nahm Conrad Meyer die Tradition der Froschauers, die geistige Welt Zürichs zu dokumentieren, wieder auf. Von ihm wissen wir, wie die Urzelle der heutigen Zentralbibliothek in der Wasserkirche und die Zürcher Tischsitten auszusehen hatten, aber vor allem auch, wie achtungsvoll die nähere und weitere Umgebung Zürichs und ihrer Bewohner geschildert wurde. Zudem war er einer der Mitbegründer der Neujahrsblätter. Er, sein Vater und sein Bruder waren es auch, die die Technik des Kupferstichs und der Radierung mit grosser Könnerschaft und als bleibende Errungenschaft einführten. Fast gleichzeitig machte ein junger Student des Carolinums, Johann Jakob Scheuchzer, auf sich aufmerksam, als er dem Rat mitteilte, dass ihm die Ausbildung zum Theologen nicht genüge und er sich lieber im Ausland zum Arzt weiterbilden wolle. Was dem Rat einleuchtete und Scheuchzer ein Stipendium einbrachte, das dieser sein Leben lang rechtfertigte. Mit seiner Physica Sacra schrieb er ein gigantisches Werk, das durch die beigegebenen 753 grossformatigen Kupferstiche Johann Melchior Füsslis, die Gedanken der Physikotheologie anschaulich machte, und mit der Nova Helvetiae tabula geographica mit den narrativen Randbildern von Johann Melchior Füssli, erschien 1712 die berühmte Schweizerkarte.
Die nachfolgenden drei Grafiker – David Herrliberger, Johann Caspar Ulinger und Johann Balthasar Bullinger – waren genaue Beobachter ihrer Welt. Sie hatten in ihren jungen Jahren die Walz ins Ausland genutzt, um ihr technisches Können für ihre Kupferstiche zu vervollkommnen, und ihre Augen geschult, um Menschen, Szenen, Bauten und Landschaften à point wiederzugeben.
Wegen eines Unfalls in der Jugend war es Johann Rudolf Schellenberg nicht vergönnt, sich mehr als im Umkreis von Basel, Zürich und Winterthur umzusehen, aber seine Freundschaft mit Anton Graff und die beruflichen Herausforderungen, die der Entomologe Johann Heinrich Sulzer und dann Johann Caspar Lavater an ihn stellten, machten aus ihm einen unbe-
stechlichen Beobachter der nahen Naturwelt und der menschlichen Physiognomie.
Ebenfalls in jungen Jahren machte Heinrich Lips die Bekanntschaft mit Johann Caspar Lavater, fürden er Zeichnung um Zeichnung, Kupferstich nach Kupferstich für dessen Physiognomischen Fragmente schuf, und dabei zum ersten Mal den jungen Goethe, der ebenfalls Lavater zudiente, kennenlernte. Seine Walz führte ihn über Deutschland nach Rom, wo er wiederum den «Ausbrecher» Goethe traf – nur um später dessen Werke in Weimar zu illustrieren … Ende des 18. Jahrhunderts wurden die Alpen als Lebensraum und als pittoreske Staffage «entdeckt». Mit seinem Bild des Rhonegletschers wurde Johann Heinrich Wüest berühmt und bediente damit auch die neue Kunstrichtung der Romantik. Hans Konrad Escher, später mit «von der Linth» nobilitiert, durchwanderte die Alpen nicht nur, um sie zu malen, vielmehr benutzte er seine Zeichnungen auch in seiner Funktion als Geometer, der die Landschaft der sumpfigen Linthebene lebenswert sanieren wollte. Und Eduard Imhof zeichnete und malte die Berge – wohl einmalig auch jene hohen Gipfel des Himalaya –, um Erkenntnisse für die perfekte Raumdarstellung in der Kartografie zu gewinnen.
Zwischen 1824 und 1852 präsentierte Heinrich Rudolf Schinz populärwissenschaftliche Bücher, in
denen Säugetiere,Vögel, Amphibien und Fische beschrieben und abgebildet wurden. Die handkolorierten Lithografien stammten zumeist von Karl J. Brodtmann, einem Grafiker und Lithografen, der wissenschaftliche Genauigkeit mit einem hohen ästhetischen Anspruch zu verbinden verstand.
Weder Karl Bodmer noch Jean Jacques Wild konnten sich als Jugendliche vorstellen, dass sie über abenteuerliche Umstände zu Pionieren der nordamerikanischen Indianerforschung oder der australischen Meeresbiologie und Mitschöpfer der ersten grossen Erfassung der Tierwelt des australischen Kontinents werden würden. Beide waren zudem grosse Künstler, wenn auch, wie im Fall des Dr. John James Wild – in seiner Heimatstadt völlig vergessen!
Wenn wir diese Porträtreihe mit Sonja Burger beschliessen, so deshalb, weil sie sich so exemplarisch in diese Galerie brillanter visueller Gestalter einreiht und zudem eine Frau ist. Sie beschliesst aber auch eine über 500-jährige Tradition, nicht nur hier, sondern weltweit: Wissenschaftliche Zeichnungen und Darstellungen werden kaum mehr mit Bleistift, Pinsel und Radiernadel auf Papier gezeichnet und gemalt oder gestochen, sondern von Gestaltern, die mit virtuellen Stiften und Pinseln und mithilfe rechnerischer Unterstützung arbeiten, – was eine neue, andere Geschichte wird. •
Conrad Gessner: Arzt, Zoologe, Botaniker, Philologe, Physiker – zudem ein wunderbarer Zeichner
Conrad Gessner war im bewegten Zürich des 16. Jahrhunderts ein eigentlicher Multitasker. Sein Interesse galt der Erforschung der Welt, er konnte fliessend Latein, Griechisch und Hebräisch, beherrschte Deutsch, Französisch, Italienisch, Niederländisch und Arabisch. Er war gleichzeitig Stadtarzt und Universalgelehrter mit Verbindungen in die halbe damalige Welt, begründete die Zoologie und entdeckte die botanischen Höhenstufen.
» Conrad Gessner wurde als fünftes von acht Kindern «uff den palmtag» am 16. März 1516 in Zürich geboren. Er war der Sohn eines Kürschners, dessen Lohn nicht ausreichte, um die Familie zu ernähren, und verbrachte deshalb einen Gutteil seiner Kindheit ausserhalb des Elternhauses. Mit fünf Jahren kam er zu seinem Grossonkel Johannes Frick, einem Kaplan des Zürcher Grossmünsters. In dessen Garten entdeckte er seine Begeisterung für die Natur. Zugleich besuchte er drei Jahre lang die Deutsche Schule, um dann an die Lateinschule des Zürcher Grossmünsters zu wechseln.
Mit zehn Jahren kam Gessner zu seinem Lehrer Oswald Myconius, bei dem er drei Jahre lang lebte, bevor er 1529 in das Haus von Johann Jakob Ammann zog. Gleichzeitig ersuchte er den Zürcher Reformator Huldrych Zwingli um ein Stipendium, um an das Carolinum, die reformierte Hochschule Zwinglis, wechseln zu dürfen. Es wurde ihm gewährt und er konnte dort weiterhin Sprachen studieren und die theologischen Veranstaltungen Zwinglis besuchen. Als 1531 an der Lateinschule – als erstes und zugleich einziges im 16. Jahrhundert – ein auf Altgriechisch gesprochenes Theaterstück inszeniert wurde, spielte Gessner, als jüngstes Mitglied der Gruppe und wohl seiner ausserordentlichen Griechischkenntnisse wegen gleich zwei Rollen. Doch kurz darauf starb Zwingli – wie auch Gessners Vater – in Kappel am Albis in der Schlacht gegen die Katholiken. Für den jungen Mann war der Verlust des Mentors eine grosse Katastrophe.
Auf Vermittlung von Bekannten konnte er dennoch mit einem kleinen Stipendium zuerst in Bourges und dann in Paris studieren, verweilte dort
von 1533 bis 1534 aber ziemlich orientierungslos. Er schrieb, dass er dort «die verschiedenen Schriftsteller ohne gewisses Ziel, Griechen und Lateiner, Dichter, Geschichtsschreiber, Ärzte, Philologen» durchflogen habe und sich mit «mutwilliger Nachlässigkeit» auf kein Studiengebiet habe festlegen wollen. 1536 kehrte er nach Zürich zurück, wo er während fast zwei Jahren als Lehrer arbeiten konnte und Barbara Singysen heiratete – eine Entscheidung, die von seinem Umfeld missbilligt wurde. Im selben Jahr jedoch bat Gessner seinen Mentor Oswald Myconius um finanzielle Unterstützung, um nochmals im Ausland Medizin studieren zu können. Im Frühjahr 1537 begann er tatsächlich ein Medizinstudium an der Universität Basel, das er aber bereits nach zehn Monaten wieder abbrach, weil ihm eine Griechischprofessur an der neu gegründeten reformierten Akademie in Lausanne vermittelt wurde. Diese Stelle war für ihn ausgesprochen attraktiv, war er doch durch seine frühe Heirat auf ein reguläres Einkommen angewiesen. In den freien Stunden, die ihm blieben, beschäftigte
Tabula da singulis pandectarum, Einteilungen der Theologie. Gessner unterteilte die Wissenschaften in 21 Fachgebiete. Die
Nummern am rechten Randdes Diagramms bezeichnen die Kapitel vor dem Textbeginn.
Die Spinne sitzt in der Mitte des Netzes, Araneus in media tela, Vorlagezeichnung ausdem Gessner-Platter-Album, Amsterdam.
Von dem Mossreigel, De Ardeastel minore aus Gessners Historiae animalium liber III, handkolorierter Holzschnitt, Froschauer, Zürich 1555.
er sich mit den bekannten Heilpflanzenwerken der Antike: Dioscurides, Theophrast, Plinius, Paulus von Aegina und Aretaios, über die er kleine Publikationen verfasste.
Im Herbst 1540 reiste er nach Montpellier, um an der berühmte Medizinschule Kontakte zu gelehrten Ärzten zu knüpfen und so neue wissenschaftliche Kenntnisse zu erwerben. Da ihm dies nicht wie erhofft gelang, kehrte er Frankreich nach nur wenigen Wochen enttäuscht den Rücken. In Basel nahm er vermutlich im Spätherbst desselben Jahres sein Medizinstudium wieder auf. Den Januar 1541 verbrachte er auf der Messe in Lyon, wo er wichtige Kontakte knüpfte. Im Februar erwarb er in Basel bereits den
Doktortitel für Medizin. Er hatte dank seiner Kenntnisse der antiken Sprachen zahlreiche medizinische Bücher in den Originalsprachen gelesen und sich quasi als Autodidakt Kenntnisse der antiken und mittelalterlichen Medizin angeeignet. Wenn man die Zeit berechnet, die Gessner effektiv in sein Medizinstudium investierte, so zeigt sich, dass er 1537 während maximal zehn Monaten, und 1540 während etwa zwei Monaten in Basel und die Ärzteausbildung nach lediglich zwölf Monaten mit der Promotion zum Doktor der Medizin abschloss, während er obendrein noch einem Broterwerb nachging. Auch für die Zeit der Renaissance erscheint diese Studiendauer als aussergewöhnlich kurz.
Er war nun also Arzt in Zürich. Noch wichtiger war für ihn, dass er als Professor für Naturgeschichte am Carolinum angestellt worden war, weil er damit auch seine weitausholenden und zeitraubenden Studien, respektive seine Schriftstellerei, begründen konnte.
Das Wissen sammeln und ordnen
Die 1540er Jahre waren in Europa eine unruhige Zeit, die Folgen der Reformation waren noch nicht ausgestanden. Einerseits waren noch nie so viele Bücher produziert worden, andererseits waren gerade ältere Bücher gefährdet, verloren zu gehen oder durch den Bildersturm vernichtet zu werden. Für Gessner
drängte es sich auf, alle vorhandenen Bücher und deren Autoren aufzulisten und die gedruckte und ungedruckte Buchproduktion auf Lateinisch, Griechisch und Hebräisch zu verzeichnen.
Im ersten, 1545 von Christoph Froschauer publizierten Teil seiner Bibliotheca universalis führte er – nach Wissenschaftsgebieten geordnet – alle Fragen und Probleme auf, die sich der menschliche Geist in den verschiedenen Epochen seiner Entwicklung gestellt und zu beantworten versucht hatte. Auf über 1000 Seiten notierte er rund 10000 Werke, alphabetisch geordnet mitsamt Inhaltsangaben, im zweiten Teil schlüsselte er die Bücher nach Wissenschaften auf und verwendete dafür eine Systematik von 21 Fachgebieten, wie sie sein Lehrer Konrad Pellikan am Buchbestand der Stiftsbibliothek des Grossmünsters bereits seit 1532 erprobt hatte. Dafür entwickelte er die Technik des Hinausschreibens, des Arbei-
tens mit bibliografischen Zetteln, um das Gelesene in immer neuen Anordnungen zusammensetzen zu können – für uns heute selbstverständlich und dank der Technik des «copy & paste» nicht mehr anders denkbar.
Die Historia animalium
Zwischen 1551 und 1558 erschien seine besonders bekannt gewordene Historia animalium, in der er Vierbeiner, Vögel, Wassertiere sowie Schlangen und Skorpione zeichnete und beschrieb, darunter auch Fabelwesen wie das Einhorn. In Anlehnung an Aristoteles’ gleichnamige Schrift gliederte er das Tierreich in vier Hauptgruppen, die er jeweils in einem Band abhandelte: lebendgebärende Vierbeiner (Säugetiere), eierlegende Vierbeiner (Echsen, Amphibien), Vögel und Fische und schliesslich postum in einem
Gefleckte Fluss-Muselae, gefangen in Böhmen und Kaiser Maximilian überbracht. Der Augsburger Chirurg Johannes Thanmüller sandte diese an Gessner. Aus dem Gessner-PlatterAlbum, Amsterdam.
Von dem Kamel, handkolorierter Holzschnitt aus der Historiae animalium von Conrad Gessner.
Ein Ochse, De Quadrupedius, handkolorierter Holzschnitt aus der Historiae animalium von Conrad Gessner.
fünften Band, über die Schlangen. Insgesamt umfasst sein Werk über 1000 Tiere aus vier Kontinenten mit sehr schönen Holzschnitten.
In der Historia animalium, seiner fünfbändigen Tierenzyklopädie, hatte Gessner alles zusammengetragen, was er über Tiere erfahren konnte. Er hatte eigene Forschungen angestellt, Tiere seziert und –als wohl allererster Zürcher – Meerschweinchen aus Übersee in seinem kleinen Privatzoo gehalten.
Dennoch hatte er auch unwissenschaftliche Aussagen übernommen, die das spätantike Werk Physiologus überliefert hatte, beispielsweise dass der Pelikan bei Nahrungsmangel seine Jungen mit seinem eigenen Blut füttere. Zudem beschrieb Gessner auch 25 Fabeltiere, deren Existenz er aber meist anzweifelte, nicht aber die des Einhorns, von dem in Wunderkammern und mancher Apotheke ein «Horn» gezeigt wurde, das sich tatsächlich aber als der Stosszahn des Narwals erwies. Ihn interessierte vor allem die Beziehung der Tiere zum Menschen: Sind sie ihm nützlich, sei es als Haustier oder Wildtier? Sollte man sie züchten, hegen, pflegen? Wie jagt oder fängt man sie? Und – ist das jeweilige Tier essbar und – falls ja – wie wird es zubereitet? Welche
Tiere liefern wichtige Rohstoffe, z. B. für Arzneimittel (was für das Einhorn ja zutraf)? Aber auch die Symbolik einzelner Tiere in der Literatur und Kunst interessierte ihn.
Bilder, die ihre Zeit überleben
Die Historia animalium enthält an die 1000 Holzschnitte. Einige davon prägen unser Bildgedächtnis bis heute, wie beispielsweise das Nashorn von Dürer oder die Giraffe aus Istanbul aus Bernhard von Breydenbachs Peregrinatio in terram sanctam, die schliesslich auch in einer Weltkarte des Kaisers von China landete. Dabei hatte Gessner lange nicht alle Lebewesen in seinem Thierbuch selber gesehen, auch wenn er sie so beschrieb, als stünde er neben ihnen. Das erste Nashorn, das nach Europa gebracht wurde, oder den Elefanten von Papst Leo X. kannte er nur von Bildern. Beim «Rhinoceros» übernahm er den Holzschnitt von Dürer, der das Tier auch nicht selber gesehen hatte. Zwei Meerschweinchen, die Gessner von einem Augsburger Freund bekam, dürften die ersten Boten aus der Neuen Welt gewesen sein, die den Weg nach Zürich fanden.
Von den Hunden und dem Wolff, kolorierter Holzschnitt aus dem Thierbuch von Conrad Gessner.«Unter den Jaghunden sind wiederumb etliche genaturet dem grossen Wilde nachzustellen, etliche aber den kleinen und forchtsamen Thieren … Etliche haben allerley Tugenden an ihnen, als die, so Spühr- und Jaghunde genennet werden.» Die Abbildungen der Hunde wie auch die des Rhinozeros entstanden in Anlehnung an Werke von Albrecht Dürer.
Wenn er konnte, hielt er seine empirischen Untersuchungen in der Natur selbst zeichnerisch mit Feder und Aquarell fest. So gibt es eine Zeichnung des Waldrapps, der lange als Fabeltier galt, weil er hierzulande ausgestorben war, oder die eines Schneehuhns, das Gessner selbst entdeckt hatte, denn er war von den Alpen begeistert, unternahm mehrere Reisen, unter anderem ins Veltlin oder 1555 auf den
Von den Schlangen, kolorierter Holzschnittaus dem Thierbuch von Conrad Gessner.
Von dem Straussen, aus dem «Vogelbuch oder aussfuhrliche Beschreibung vnd lebendige ja auch eygentliche Controfactur vnd Abmahlung aller vnd jeder Vögel, wie dieselben vnter dem weiten Himmel allenthalben gefunden vnd gesehen werden» Frankfurter Ausgabe des Vogelbuches von Conrad Gessner, um 1600.
Darstellung und Beschreibung des Haubentauchers («Düchel») in einer Frankfurter Ausgabe des Vogelbuches von Conrad Gessner, um 1600. «Diese Geschlecht alle haben breitlechte Nägel an den Zechen.»
Pilatus, wo ihm wohl als Erstem die Klimazonen auffielen. Aber Gessner konnte oder wollte keine Reisen in ferne Länder machen und war deshalb auf Berichte von Kollegen in aller Welt angewiesen und führte eine ausgedehnte Korrespondenz. Dasselbe galt für seine Bildersammlung. Wenn es ging, beauftragte er bekannte Künstler, aus Zürich Hans Asper, der offensichtlich neben den Persönlichkeiten der Zürcher Reformation auch Tiere porträtieren konnte, und Jos Murer, den Glasmaler, Kartografen, Porträtisten, Dramatiker und eben Schöpfer der Vorlagezeichnungen zur Botanik und Anatomie der Historia animalium
Den Illustratoren öffneten sich durch Gessners Arbeiten neue Aufgabenbereiche, so fertigten sie eine Vielzahl von Tier- und Pflanzenstudien für seine
geplanten Publikationen an und die Zeichner lernten auf diese Weise die neusten naturwissenschaftlichen Publikationen aus ganz Europa und damit auch die Arbeitsweise ihrer Kollegen kennen. Gessner stellte ihnen jeweils seine persönlichen Arbeitsunterlagen, Bücher über Zoologie und Botanik, Tierfelle sowie gepresste Pflanzen, zur Verfügung und selbstverständlich nutzten sie die zahlreichen Holzschnitte in den über 60 Publikationen und die umfangreiche Sammlung von Pflanzen- und Tierzeichnungen Gessners als Inspirationsquelle.
Gessners Thierbuch erlebte verschiedene Bearbeitungen. Er selbst gab 1553 die Icones animalium heraus, die sich auf die Abbildungen und wenig Text beschränkten und sehr populär wurden. Das Werk war bereits 1585 restlos ausverkauft. Gessner wurde bis ins 18. Jahrhundert als zoologische Autorität zitiert, seither ist sein Werk von historischer Bedeutung.
Die Natur im Allgemeinen und im Besonderen
Zürich konnte sich Gessners wissenschaftlichem Ruf nicht länger verweigern, 1554 wurde er zum Stadtarzt ernannt und vier Jahre später folgte noch die Ernennung zum Kanonikus, was vor allem als finanzielle Absicherung für seine Forschungstätigkeit zählte, die er weiterhin mit grossem Einsatz betrieb. Passend dazu hatte er 1552 unter einem Pseudonym das als Thesaurus de remediis secretis betitelte und 1555 ins Deutsche übersetzte Werk veröffentlicht, welches das Wissen über Chemie bzw. Alchemie, Arzneimittel und Medizin zusammenstellte und auch nach neuen Wegen in der Heilkunde suchte. So kritisierte er den nach der Astrologie verordneten Aderlass als Hum-
Scaligers Allocamellus. Wildes indisches Schaf. «Indien» war damals auch Südamerika. «Georg Fabriciuus hat es gesehen und liess es 1560 malen.» Das «Schaf» ist wohl ein Alpaka.
bug und veröffentlichte als Erster bislang geheime Rezepte in einem Arzneimittelbuch, das auch gleich zum Bestseller wurde.
Gessner unternahm nun nur noch gelegentliche kurze Reisen, so nach Venedig, Augsburg, zur Buchmesse nach Frankfurt oder zu Exkursionen in die Schweizer Berge. Auf einer von diesen, die ihn auf den Pilatus führte, begleitete ihn der Scheibenreisser und Illustrator Grosshans Thomann und fertigte darauf die ersten Zeichnungen zur Alpenflora an. Mit seinen Beobachtungen der vegetativen Höhenstufen wurde Gessner 1555 zum Begründer der Pflanzengeografie. Alexander von Humboldt sollte Ende des 18. Jahrhunderts Gessner bestätigen und mit der Gliederung der Anden die entscheidenden Massstäbe für spätere Stufenmodelle formulieren.
Pavian, Cynocephalus von Theodorus Beza, aus dem Thierbuch von Conrad Gessner.
Krustentiere aus der Historia animalium lib. IIII. qui est de piscium et aquatilium animalium natura, 1558 von Froschauer gedruckt. 38x 24,5 cm.
Das Chamäleon war wiedasNashorn Albrecht Dürers ein «pièce de resistance» Conrad Gessners.
Gessner konnte gar nicht anders, als mehrspurig zu arbeiten, seine Interessen und seine Sammlungen waren zu universell, um ein Thema nach dem anderen abzuarbeiten, zumal er seine eigenen Naturbeobachtungen höher gewichtete als die tradierten Erkenntnisse der Antike und des Mittelalters. So beschreibt er im botanischen Werk Stirpium historia von 1553 die Bedeutung von Pflanzenteilen, speziell der Blüten und Früchte für die Systematik der Pflanzen. Im Corpus Venetum de Balneis von 1553 publizierte er Analysen von Heilquellen und 1565 verfasste er De omni rerum fossilium genere mit einer systematischen Einteilung der Fossilien und Minerale in
15 Klassen. Dieses kleine Büchlein über Fossilien ist für die Geschichte der Paläontologie von besonderer Bedeutung, weil es die erste durchgehend illustrierte Publikation zum Thema ist, auch wenn der Begriff Fossilien damals eine breitere Bedeutung hatte. Die zahlreichen Abbildungen von Belemniten, Ammoniten, fossilen Seeigeln, Seesternen und Fischzähnen stammten meist aus seiner eigenen Sammlung. Einige Objekte überlebten bis heute: eine fossile Krabbe, ein Seeigelstachel, ein Sternstein (geschliffene Koralle) und eine Siegelerde. Nach dem Tod Gessners im Dezember 1565 kaufte der Basler Arzt Felix Platter die Fossiliensammlung.
Historia Plantarum
Sein Ziel, die Historia Plantarum, eine Gesamtdarstellung des Pflanzenreichs, zu schaffen, blieb unvollendet. Teile daraus aber wurden bereits 1751 durch Casimir Christoph Schmidel unter dem Titel Opera botanica veröffentlicht. Der Nachlass wies Gessner etwa 200 botanische Zeichnungen zu, die anderen Blätter stammen von Dritten oder wurden ihm von seinen Partnern im In- und Ausland zugeschickt. Rund 1000 der 1500 Pflanzenzeichnungen dürften aufgrund der Wasserzeichen im Papier in der Schweiz und vorwiegend in Zürich entstanden sein. Herbarien waren
für Gessner und viele Zeitgenossen nur ein Notbehelf: So schrieb Gessner am 17. Oktober 1563 an Felix Platter, dass er den ganzen Sommer über damit beschäftigt gewesen sei, blühende und grüne Pflanzen zu zeichnen. Im bevorstehenden Winter aber, wenn er keine frischen Pflanzen habe, sei er gezwungen, sich getrockneten zuzuwenden. Zudem verlören die Herbarien während des Trocknens ihre Farbechtheit.
Deshalb sollte nach Gessners Vorstellung eine perfekte wissenschaftliche Illustration alle Pflanzenbestandteile und verschiedenen Vegetationszyklen umfassen und ihr Erscheinungsbild so getreu wie
Belemniten aus dem Basler Gessner-Platter-Album mit Mineralien, Fossilien und Steinen. Basel, 1565.
Versteinerter Krebs aus der Sammlung Gessners, die heute im Naturhistorischen Museum Basel aufbewahrt wird. Für den Holzschnitt wurde sie zeichnerisch ergänzt. Der Holzschnitt gibt das Fossil seitenverkehrt wieder.
Die Welt im Grossen und Kleinen, von Nahem oder von neuen Horizonten und fernen Meeren. Für die angewandte Kunst wurde Zürich seit dem 16. Jahrhundert ein guter Platz für Wissenschaftler und Künstler. Es etablierten sich Grafiker, die sowohl die freie Kunst in Malereien, Tapetenbildern als auch in der angewandten Kunst für wissenschaftliche, gewerbliche und private Auftraggeber bedienten. Als präzise Beobachter hielten sie im heimischen Umfeld oder auf Expeditionen in die Alpen oder nach Übersee ihre Eindrücke mit wissenschaftlicher und künstlerischer Präzision fest und sind mit den europäischen Meistern ihrer Epoche auf Augenhöhe. Werke aus über 500 Jahren von Künstlern wie Conrad Gessner, Johann Jacob Scheuchzer, Johann Heinrich Lips, Hans Rudolf Schellenberg, Karl Bodmer, Jean Jacques Wild oder Sonja Burger versetzen immer wieder in Staunen.
www.nzz-libro.ch
ISBN 978-3-907396-51-3