Carsten Krieger Ăœbersetzung Ina Krieger
CARSTEN KRIEGER
lebt im Westen von Irland und ist professioneller Fotograf. Seine einzigartigen Bilder irischer Landschaften sind hoch gelobt und er ist der Autor von zehn Büchern über Landschaften und Tier- und Pflanzenwelten inklusive Ireland: Glorious Landscapes, Beautiful Landscapes of Ireland und Ireland’s Coast. Seine Fotos wurden in Magazinen und Kalendern veröffentlicht und er hat regelmässig Ausstellungen in Irland und im Ausland.
INHALT Karte des Wild Atlantic Way, Seite 4 Einleitung von Carsten Krieger, Seite 5
KAPITEL 1
Von Donegal nach Mayo, Seite 9
KAPITEL 2
Von Mayo nach Clare, Seite 57
KAPITEL 3
Von Clare nach Kerry, Seite 91
KAPITEL 4
Von Kerry nach Cork, Seite 123
EINLEITUNG
D
er Wild Atlantic Way ist nicht einfach über Nacht erschienen. Die etwa 2500 km lange Küstenstrecke an Irlands Westküste gab es schon immer, es fehlte nur der Name. Tourism Ireland (die staatliche Tourismus Organisation in Irland) änderte dies 2014 und eröffnete offiziell den Wild Atlantic Way, eine Reiseroute von der Inishowen Halbinsel im Norden zum Old Head of Kinsale im Süden ... oder anders herum, falls Sie das bevorzugen. Viele der sehenswerten Höhepunkte, die Irland zu bieten hat, findet man entlang dieser Strecke: dramatische Klippen – darunter auch die höchsten Klippen Europas – scheinbar endlose Sandstrände, versteckte Buchten, abgelegene Täler, Irlands höchste Berge und älteste Wälder, aber auch weite Strecken von einsamem Moorland. Eingebettet in diese natürliche Landschaft liegt Irlands gebautes Kulturerbe. Die bunten Städte und Dörfer, uralte Gräber, alte Klosterkirchen, Schlösser und Burgen und die allgegenwärtigen Trockenmauern fügen sich geschickt in die Landschaft ein und sind vielerorts ein Bestandteil derselben. Zu guter Letzt sind da noch die Menschen, die sich in dieser rauhen Landschaft ihren Lebensunterhalt verdienen. Trotz der immensen Schönheit und der reichen Kultur ist der Westen Irlands keine einfache Gegend zum Leben und Arbeiten: Schlechter oder morastiger Boden beschränkt die Landwirtschaft an vielen Orten, schlechte Infrastruktur führt in ländlichen Gegenden zu hoher Arbeitslosigkeit, und über allem hängt das unvorhersehbare und oftmals zerstörerische Wetter. Aber die Menschen im Westen sind das gewöhnt: Während Irlands großer Hungersnot in den 1840ern, als 25% der Gesamtpopulation entweder verhungerte oder gezwungen war auszuwandern, wurde der Westen am härtesten getroffen. Die verbleibenden Ruinen von verlassenen Dörfern sind eine Mahnung an dieses dunkle Kapitel irischer Geschichte. Der Westen war auch der letzte Teil Irlands, der an das Stromnetz angeschlossen wurde: Manche abgelegenen Gebiete wie das Black Valley in der Grafschaft Kerry wurden erst Mitte der 70er Jahre ans Netz angeschlossen, über ein Jahrzehnt nach dem Rest des Landes.
Auch heute noch scheint der Westen ein paar Schritte hinterher zu sein: In vielen ländlichen Gegenden sind die Straßen eng und kurvig und bestehen zum großen Teil aus Schlaglöchern, Broadband Internet gibt es nur auf dem Papier, die Fahrt zum nächsten Supermarkt wird zur Expedition und exotische Getränke wie Latte Macchiato oder Cappuccino haben erst in den letzten Jahren ihren Weg auf die Speisekarten gefunden. Aber diese Unvollkommenheiten (oder wie auch immer Sie es nennen möchten) sind das, was den Westen ausmacht. Man nimmt das Leben nicht zu ernst, sondern lebt es einfach. Hier findet man immer jemanden für eine Plauderei (a chat) und eine Tasse Tee (a cuppa) oder um einem aus irgendeinem Schlamassel herauszuhelfen. Und wenn der Strom über Weihnachten mal wieder ausfällt, zündet man sich ein paar Kerzen an und brät den Truthahn so gut es geht auf dem Camping Kocher. Seit fast zwanzig Jahren fotografiere ich, was man jetzt den Wild Atlantic Way nennt, erst als Besucher, dann als ansässiger Blow-In (so werden alle Zugezogenen genannt, egal ob vom Kontinent oder benachbarten County) in einem kleinen Dorf an der Küste des Atlantischen Ozeans. Dieses Buch war eine großartige Gelegenheit, mich wieder auf den Weg zu machen und neue Motive zu finden, aber auch, um tief in meinen Archiven zu graben und alte Bilder wiederzuentdecken. Das Resultat ist sowohl ein Portrait der Landschaft, Kultur und der Menschen des Wild Atlantic Way als auch ein Rückblick auf meine Fotografie der vergangenen zehn Jahre. Während meiner Reisen hatte ich einige unvergeßliche Momente, wie der wunderschöne Sommerabend am Sheep’s Head, keine Seele weit und breit, oder der Tag in Donegal, an dem niedrige Wolken und ständiger Nieselregen eine magische Stimmung schufen. Leider gibt es auch Bilder, die ich gerne für dieses Buch gemacht hätte, aber für die sich die Gelegenheit nicht ergab: der Sonnenuntergang am Bloody Foreland (nasses und windiges Wetter kam dazwischen), der Blick von Carrauntoohil, Irlands höchstem Gipfel (nasses und windiges Wetter kam dazwischen) und die faszinierende Landschaft im Ballycroy National Park (nasses und ... na, Sie wissen schon ...), um nur einige zu nennen. Ich kann diese Einleitung nicht beenden, ohne den Winter 2013/14 zu erwähnen, der offiziell zum stürmischsten Winter in 143 Jahren gekürt wurde. Eine Reihe von heftigen Stürmen begann kurz vor Weihnachten 2013 und beutelte Irlands Westküste bis zum Februar 2014. In dieser Zeit wurden große Küstenabschnitte zerstört, pünktlich zur offiziellen Einführung des Wild Atlantic Way. Mauern und Straßen wurden weggespült, riesige Felsbrocken wurden mehrere Meter landeinwärts geworfen, und ganze Sandstrände verschwanden einfach. Es war eine beeindruckende Ermahnung (und die fotografische Gelegenheit meines Lebens ...), daß wir hier am Wild Atlantic Way immer noch Mutter Natur auf Gnade und Ungnade ausgeliefert sind. Carsten Krieger, September 2014
Donegal nach Mayo 9
DONEGAL–MAYO U
p here it’s different (Hier oben ist es anders) war der Werbeslogan für die Grafschaft Donegal, und was Slogans angeht, trifft dieser wirklich den Nagel auf den Kopf. Donegal ist wirklich anders. Geologisch betrachtet gehört die nordwestliche Ecke von Irland zu Nordamerika; es gehörte einmal zu einer Landmasse namens Laurentia, während der Rest der Masse, die später Irland werden sollte, mehrere tausend Meilen südlich lag. Vor ungefähr 400 Millionen Jahren kollidierten diese beiden Teile Irlands und formten über einen langen Zeitraum hinweg eine Landmasse. Vielleicht ist diese Verbindung zu Amerika der Grund dafür, dass hier alles etwas dramatischer scheint: die Klippen scheinen etwas höher, die Strände sind ein bißchen länger, und die Berge wirken etwas bedrohlicher. Weiter südlich liegen die Grafschaften Sligo, Leitrim und Mayo, die sanfter erscheinen, aber genauso schön sind mit ihrer Auswahl von verschiedenen Landschaften, die wirklich jedem etwas bieten. Einige von Irlands besten Surf-Stränden findet man zwischen Bundoran und Enniscrone. Für diejenigen, die von allem weg möchten, findet sich Ruhe und Ungestörtheit in den windigen Weiten von Erris und der Mullet Peninsula. Weiter südlich liegt Achill Island, Irlands größte und bekannteste Insel und ein Ort, der dieses besondere Etwas hat, das man nicht mit Worten beschreiben kann. Es ist ein bisschen wie ein Miniatur-Irland, mit Sandstränden, steilen Klippen, Seen, Bergen, Moor, einer Anzahl von historischen Bauwerken und einer sehr lebendigen Kultur. Achill Island ist auch der nördliche Zugang zu einer von Irlands großartigen Buchten und das Ende dieses Teiles der Reise: Clew Bay. Das südliche Ufer der Bucht wird von Irlands heiligem Berg und Mayos unverkennbaren Wahrzeichen, Croagh Patrick, auch bekannt als The Reek, bewacht.
MALIN HEAD FANAD HEAD BUNCRANA
DUNGLOE
DONEGAL TOWN
SLIABH LIAG MULLAGHMORE HEAD DOWNPATRICK HEAD
SLIGO TOWN
CÉIDE FIELDS BELMULLET BALLYCROY
KEEM STRAND
AUGHNIS BALLINA
ACHILL ISLAND CLEW BAY WESTPORT
IRELAND WEST AIRPORT KNOCK
DERRY-LONDONDERRY LETTERKENNY
10 Irlands Wild Atlantic Way
Donegal nach Mayo 11
Linke Seite: Inishowen Leuchtturm in Greencastle, Inishowen Peninsula, Grafschaft Donegal Rechte Seite: Northburg Castle, Greencastle, Inishowen Peninsula, Grafschaft Donegal
12 Irlands Wild Atlantic Way
Donegal nach Mayo 13
Linke Seite: Moville Hafen und Stadt, Inishowen Peninsula, Grafschaft Donegal Rechte Seite: Gryllteiste, Inishowen Peninsula, Grafschaft Donegal
14 Irlands Wild Atlantic Way
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Donegal is surely the most enchanting place in Ireland. Connemara is tribal and epic; Donegal is softer. If anything lies beneath the stony acres of Connemara it would be a battle axe lost in some old fight; in Donegal you might expect to unearth a crock of gold. H.V. Morton, In Search of Ireland
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Oben: The Tower am Malin Head, Inishowen Peninsula, Grafschaft Donegal Unten: Steinhäuser am Meer, Malin Head, Inishowen Peninsula, Grafschaft Donegal
Donegal nach Mayo 15
B
anba’s Crown am Malin Head ist der nördlichste Punkt auf Irlands Festland und benannt nach Banba, einer mythologischen Figur und Teil eines Triumvirates von Göttinnen und Königinnen: Banba symbolisiert den kriegerischen Aspekt Irlands, während ihre Schwestern Fódhla und Éire die spirituellen und weltlichen Aspekte repräsentieren. Der Turm (bekannt als The Tower) am Malin Head wurde 1805 während der Napoleonischen Kriege als Wachturm erbaut und später von Lloyds of London als Signalturm genutzt, um mit vorbeifahrenden Schiffen und dem Leuchtturm auf Inishtrahull Island durch Semaphorsignale Verbindung aufzunehmen.
Top: Licht bricht durch die Wolken, Malin Head, Inishowen Peninsula, Grafschaft Donegal Unten: Trawbeaga, Inishowen Peninsula, Grafschaft Donegal
16 Irlands Wild Atlantic Way
Rechte Seite oben: Doagh Famine Village, Inishowen Peninsula, Grafschaft Donegal Rechte Seite unten: Mary Doherty, Inhaberin von Inishowen Bogwood Sculptures, Inishowen Peninsula, Grafschaft Donegal. Mary Doherty ist seit über fünfzehn Jahren Bildhauerin und arbeitet mit bogwood (Holz, das in den Mooren mumifiziert wurde). Das Holz kann über 6000 Jahre alt sein und hat seinen Ursprung in der Nähe ihres Zuhauses in Culdaff. Es wird gelagert und getrocknet, dann bearbeitet und in die gewünschte Form geschliffen und am Ende mit Bienenwachs behandelt. Linke Seite: Ballyliffin, Irlands nördlichster Golf Club, Inishowen Peninsula, Grafschaft Donegal
Donegal nach Mayo 17
18 Irlands Wild Atlantic Way
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I’d like to stay along with you, and while away the night, with fairy lore and tales of yore, beside the turf fire bright, and then to see laid out for me, a shake-down by the wall, for there’s rest for weary wanderers, in the homes of Donegal. Überliefert, The Homes of Donegal
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Linke Seite: Lough Swilly, von Dunree aus gesehen, Inishowen Peninsula, Grafschaft Donegal Rechte Seite oben: Temple of Deen, Inishowen Peninsula, Grafschaft Donegal Rechte Seite unten: Kinnagoe Bay, Inishowen Peninsula, Grafschaft Donegal
Donegal nach Mayo 19