OBS-Arbeitspapier 54
Lutz Mükke
Mediale Routinen und Ignoranz? Die Sahel-Einsätze der Bundeswehr im öffentlichen Diskurs Kurzfassung der Studie
Auf einen Blick
Redaktioneller Vorspann
Experten aus Mali, Niger und Deutschland
In wenigen Tagen wird der Deutsche Bundestag
kritisieren medial „übervereinfachte Reali-
über die Fortsetzung der Sahel-Mandate debat-
tätswahrnehmungen“ der Sahel-Konflikte;
tieren und entscheiden. Deshalb hat sich die
ein Ausblenden von Parlamentsdebatten
OBS entschieden, die wichtigsten Ergebnisse
stößt auf Unverständnis.
unserer Untersuchung des Medienjournalisten
Zu den Militäreinsätzen wird nicht hinter-
und Afrikanisten Dr. Lutz Mükke zu veröffentli-
gründig im Sahel recherchiert. Es gibt kei-
chen. Wir wollen mit der Vorabpublikation der Zu-
ne Reportagen und keine investigativen
sammenfassung auf die weitere innenpolitische
Recherchen aus dem Sahel.
Diskussion einwirken. Die noch anstehenden
Korrespondenten berichten aus Kapstadt,
parlamentarischen Beratungs- und Entschei-
Paris, Berlin und Rabat; also 2400 bis
dungsprozesse scheinen offen zu sein. Entschei-
6000 km entfernt von Bamako/Mali.
dend aber ist, dass wir vom Mediensystem einen
Hochrangige französische und deutsche
deutlich ernsthafteren Umgang mit dem Thema
Regierungsvertreter dominieren die Infor-
Krieg und Kriegseinsätze fordern.
mationsquellen; wichtige Quellengruppen aus Afrika kommen so gut wie nie zu Wort.
Die historische Niederlage des Westens in Afgha
Zum Komplex „Terrorismus“ wird nicht
nistan, die Irak- und Libyen-Desaster, Syrien, der
hintergründig aufgeklärt.
Stellvertreterkrieg im Jemen und nicht zuletzt der
Von breiter Information und nachhaltiger
aktuell eskalierte Russland-Ukraine-Krieg geben
Beförderung eines gesellschaftlichen Dis-
mehr als genug Anlass für Redaktionen, ihre Kri-
kurses kann keine Rede sein.
sen- und Kriegsberichterstattung zu professionalisieren. Diese notwendige Professionalisierung
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Mediale Routinen und Ignoranz?
ist wichtig für die benötigten hintergründigen und
Zeitraum 5. April 2021 bis 4. Juni 2021; Visualisie-
qualitätsvollen demokratischen Diskurse über
rungen bleiben unberücksichtigt. Die Ergebnisse
diese Themenkomplexe – und damit darüber, wie
der Inhaltsanalyse wurden anschließend mit Ex-
sich die Bundesrepublik zu diesen Konflikten ver-
perten aus Mali, Niger und Deutschland diskutiert.
hält. (GF der OBS, Frankfurt/M. im Frühjahr 2022)
Zwar können die Ergebnisse nicht verallgemeinert werden, sie sind aber mehr als eine Momentaufnahme, weil sie auch Rückschlüsse auf die Dis-
Die Situation Seit 2013 verlängert der Bundestag jährlich die Einsatzmandate der Bundeswehr in Mali und der
kurstiefe in der Bundesrepublik zulassen.
Ergebnisse der Inhaltsanalyse
Sahel-Region. Der mit Abstand größte laufende
Im Untersuchungszeitraum wurden in den ana-
Bundeswehreinsatz, bei dem im Sommer 2021
lysierten Medien 41 Online-Artikel zum Themen-
1.100 Soldaten im Einsatz waren, ist die Multi
komplex veröffentlicht. Die Parlamentsdebatte
dimensionale Integrierte Stabilisierungsmission
spielt in diesen Berichterstattungen so gut wie
der Vereinten Nationen in Mali, MINUSMA. Zu-
keine Rolle. tagesschau.de kommt zum Beispiel
dem ist die Bundeswehr mit einem Mandat für die
über eine 95-Sekunden-Nachricht (19. Mai 2021)
Ausbildung malischer Streitkräfte durch die Euro-
und das Statement „(...) hat der Bundestag eine
päische Union, EUTM, vor Ort. Verzahnungen und
Verlängerung und Verstärkung des Bundeswehr-
Berührungspunkte gab oder gibt es u. a. mit der
mandats für Mali abgenickt“ nicht hinaus (1. Juni
Aufstellung der G5-Taskforce mit Mauretanien,
2021). Der Einfluss von Nachrichtenagenturen auf
Burkina-Faso, Tschad, Niger, Mali; mit der franzö-
die analysierte Berichterstattung ist hoch. Etwa
sischen Militär-Operation Barkhane (vorher Ope-
60 Prozent aller Beiträge sind Eins-zu-eins-Ab-
ration Serval); der Bundeswehr-Mission Gazelle;
drucke von Agenturmeldungen oder basieren auf
der Takuba Task Force und mit US-amerikanischen
Agenturmaterial. Besonders einflussreich sind
Präsenzen. MINUSMA gilt derzeit als gefährlichs-
die französische Nachrichtenagentur AFP und
ter UN-Einsatz. Intention ist, die Region zu stabili-
die deutsche Presseagentur dpa. Zwar stammen
sieren und Terrorismus zu bekämpfen.
auch etwa 40 Prozent aller Beiträge von Korrespondenten. Allerdings berichten diese von den
Methode
Standorten Kapstadt, Paris, Berlin und Rabat aus, zwischen 2400 und 6000 km entfernt von Bama-
Unsere Untersuchung fragt, wie sich die Sahel-
ko/Mali. Keines der untersuchten Medien hielt es
Region sowie die Bundestagsdebatten und die
für angebracht, eigene Reportagen aus der Sahel-
Abstimmungen über die Verlängerungen der
Region oder komplexere Recherchen, investiga-
Sahel-Einsätze 2021 in führenden deutschen
tive Beiträge oder Storytellings zu platzieren. Die
Massenmedien niederschlugen. Untersucht wur-
gesamte Berichterstattung ist stark nachricht-
den die Berichterstattungen der Leitmedien Zeit
lich-berichtend geprägt. Leitartikel, Interviews,
Online, FAZ.NET, Bild.de und tagesschau.de im
Porträts oder Rezensionen zum Thema kommen
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Lutz Mükke
nicht vor, lediglich zwei Kommentare. Eintönigkeit
marginale Rolle. Ähnliches gilt für islamistische
herrscht auch bei der Ressort-Verortung: Fast alle
Extremisten, Terroristen und verschiedene be-
Beiträge erscheinen unter den Rubriken „Politik“
waffnete Gruppen, etwa der Tuareg. Auch diese
und „Ausland“. Wirtschafts- und Kulturressorts
werden so gut wie nicht abgebildet, sondern lau-
veröffentlichten nichts zum Themenkomplex.
fen lediglich als bedrohlicher Subkontext mit. In keinem einzigen Fall wird über sie näher aufge-
Alle Beiträge beschäftigen sich mit den Themen
klärt, obwohl sie als Hauptgrund der Militärinter-
„Krieg, Krise, Putsch“, wobei zwei Ereignisse
ventionen proklamiert wurden und werden.
Berichterstattungshochs auslösten – ein Staatsstreich in Mali und der Tod des Präsidenten des Tschad. Die Aktivitäten der Bundeswehr werden zwar oft holzschnittartig hinterfragt, aber nie vor
Einordnungen und Empfehlungen der Experten
Ort hintergründig recherchiert. Der geografische
David Dembélé, investigativer Datenjournalist
Fokus der Berichterstattung liegt auf vier Län-
aus Bamako/Mali, verweist darauf, dass den Mili
dern: Mali, Frankreich, Deutschland und Tschad.
täreinsätzen im Sahel in Deutschland „höchstes
Zu einem geringen Teil werden regionale Betrach-
Interesse“ zukommen sollte. Dass es im zeit
tungen über die Sahel-Region angestrengt.
lichen Zusammenhang mit der Bundestagsdebatte keine unabhängigen journalistischen Recher-
Zu hinterfragen ist auch die Zusammensetzung
chen und Reportagen der vier Medien aus den
der „Informationsquellen“ der Sahel-Berichter-
Sahel-Ländern gab, findet er „paradox“. Unab-
stattung. Mit weitem Abstand dominieren hoch-
hängige Journalisten und Redaktionen müssten
rangige französische und deutsche Regierungs-
bei hochrelevanten Themen wie Militäreinsätzen
vertreter, gefolgt von malischen Militärs sowie
bzw. Krieg und Frieden deutlich mehr leisten, er-
hochrangigen EU- und UN-Vertretern. Auch Ver-
klärt auch Ibrahim Manzo Diallo, Chefredakteur
lautbarungen der westafrikanischen Regional
der Gruppe Aïr Info und des Radiosenders Radio
organisationen ECOWAS, der Afrikanischen Union
Sahara FM aus Agadez, Niger. Helmut Asche,
und der Vereinten Nationen werden wiedergege-
emeritierter Afrikanistik-Professor und Initiator
ben. Auffällig: Ca. 60 Prozent aller Quellen sind
der Sahel-Initiative der Vereinigung für Afrikawis-
nichtafrikanisch. Ganze afrikanische Gruppen
senschaften in Deutschland (VAD), erklärt, dass
von Quellen kommen gar nicht oder nur in raren
die Mandatsverlängerungen im journalistischen
Einzelfällen zu Wort: Geschäftsleute, Wissen-
Feld offensichtlich „für einen Routinevorgang“ ge-
schaftler, Religionsvertreter, Künstler, Musiker,
halten würden, was insbesondere 2021 falsch ge-
Schriftsteller, Studenten ... Sie sind für die am
wesen sei. Selbst die Regierungsfraktionen hätten
journalistischen Produktionsprozess Beteiligten
Sahel-Papiere erarbeitet, ebenso das Auswärtige
weder als Handlungsträger noch als relevante
Amt. Auch die Parlamentsentscheidungen selbst
Quellen von besonderer Bedeutung. Auch Hilfs-
seien keine Routine gewesen. Die Grünen hätten
organisationen, traditionell starke Kommuni-
sich etwa bei der Ausweitung des EUTM-Mandats
katoren in Subsahara-Afrika, spielen nur eine
enthalten, was u. a. für Aufregung in der fran-
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Mediale Routinen und Ignoranz?
zösischen Botschaft in Berlin gesorgt habe, die
wehr als Parlamentsarmee verpflichtet dazu, mit
den Diskurs in Deutschland genau beobachtet.
diesem Themenkomplex demokratisch-diskursiv
Dass unter den Autoren der analysierten Beiträ-
umzugehen und Meinungsbildungsprozesse über
ge kein einziger afrikanischer Journalist ist, emp-
Truppen-Entsendungen ins Ausland zu durchlau-
findet Diallo als „Verachtung“ und Affront. Asche
fen. Parlamentarische Debatten und massenme-
dazu: „In der Phase der politischen Entscheidung
diale Diskurse sind dafür grundlegend. Anhand
nicht einmal einen afrikanischen Autor, um einen
der analysierten Berichterstattung konnte sich
Gastkommentar gefragt zu haben“, drücke die
die bundesdeutsche Öffentlichkeit aber weder
„Geringschätzung des Themas aus“ und zeige,
substanziell über die Bundestagsdebatten noch
dass die Redaktionen „den berechtigten Teil der
hintergründig über die Geschehnisse in der
neueren Postkolonialismus-Debatte noch nicht
Sahelzone informieren. Von umfänglicher Infor-
ernst genommen“ hätten. Diallo weist darauf hin,
mation und Beförderung eines gesellschaftlichen
dass sich die Berichterstattung in immer gleichen
Diskurses kann nicht die Rede sein.
Frames bewege. Journalismus hätte jedoch die Aufgabe, diese permanent zu hinterfragen, was
Dr. Lutz Mükke, Journalist und Afrikanist, Afrika-Reporter, Gründungsmitglied von Africa Vaga bonds; u. a. Autor des Sachbuchs „Journalisten der Finsternis“, einer Analyse zum Zustand deutscher Afrika-Berichterstattung.
nur ginge, wenn man sich nicht fortwährend auf Propaganda und Verlautbarungen von Regierungen, deren Militärs und internationalen Organisationen stütze. Dass ganze Gruppen von wichtigen Quellen wie afrikanische Experten, Geschäftsleute, Intellektuelle, Künstler und Religionsvertreter so gut wie nicht zu Wort kommen, „tut weh“ und sei „inakzeptabel“. Zumal die in Deutschland ge-
Herausgeber und Redaktion: Otto Brenner Stiftung, Jupp Legrand, Wilhelm- Leuschner-Straße 79, 60329 Frankfurt am Main, Tel.: 069-6693-2810, E-Mail: info@otto-brennerstiftung.de, www.otto-brenner-stiftung.de
führten Debatten über die Militäreinsätze „direkt die Zukunft der Sahel-Länder betreffen“, so Diallo. Um „übervereinfachte Realitätswahrnehmungen“ abzubauen, müsse deutlich stärker investiert werden, u. a. in Rechercheteams, in langfristige Entsendungen von erfahrenen Krisen- und Kriegs-
OBS-Arbeitsheft 109
rationen mit afrikanischen Journalisten.
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Witte, Syben – Erosion von Öffentlichkeit
reportern und -Korrespondenten sowie in Koope-
Fazit OBS-Arbeitsheft 109
Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland Erosion von Öffentlichkeit Freie Journalist*innen in der Corona-Pandemie
räumt dem Thema Frieden in Artikel 1 höchsten Stellenwert ein. Die Festschreibung der Bundes
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