OBS-Arbeitspapier 63
Frühbrodt – Konzerne im Klimacheck
OBS-Arbeitspapier 63
Lutz Frühbrodt
OBS-Arbeitspapier 63
Konzerne im Klimacheck
Konzerne im Klimacheck ‚Integrated Business Reporting‘ als neuer Ansatz der Unternehmensberichterstattung
‚Integrated Business Reporting‘ als neuer Ansatz der Unternehmensberichterstattung
www.otto-brenner-stiftung.de
EIN PROJEKT DER OTTO BRENNER STIFTUNG FRANKFURT AM MAIN 2023
OBS-Arbeitspapier 63 ISSN: 2365-1962 (nur online) Herausgeber: Otto Brenner Stiftung Jupp Legrand Wilhelm-Leuschner-Straße 79 D-60329 Frankfurt am Main Tel.: 069-6693-2810 Fax: 069-6693-2786 E-Mail: info@otto-brenner-stiftung.de www.otto-brenner-stiftung.de Autor: Prof. Dr. Lutz Frühbrodt Studiengangleiter „Fachjournalismus und Unternehmenskommunikation“ (Master) Technische Hochschule Würzburg-Schweinfurt Münzstr. 19, 97070 Würzburg E-Mail: lutz.fruehbrodt@thws.de Redaktion & Lektorat: Benedikt Linden (OBS) Satz und Gestaltung: Isabel Grammes, think and act Druck: AC medienhaus GmbH, Wiesbaden Titelbild: FAHMI/AdobeStock.com Redaktionsschluss: 01. Oktober 2023
Die Otto Brenner Stiftung …
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In den Arbeitspapieren werden die Ergebnisse der Forschungsförderung der Otto Brenner Stiftung dokumentiert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Für die Inhalte sind die Autorinnen und Autoren verantwortlich. Download und weitere Informationen: www.otto-brenner-stiftung.de
... ist die gemeinnützige Wissenschaftsstiftung der IG Metall. Sie hat ihren Sitz in Frankfurt am Main. Als Forum für gesellschaft liche Diskurse und Einrichtung der Forschungsförderung ist sie dem Ziel der sozialen Gerechtigkeit verpflichtet. Besonderes Augenmerk gilt dabei dem Ausgleich zwischen Ost und West. ... initiiert den gesellschaft lichen Dialog durch Veranstaltungen, Workshops und Koopera tionsveranstaltungen (z. B. im Herbst die OBS-Jahrestagungen), organisiert Konferenzen, lobt jährlich den „Otto Brenner Preis für kritischen Journalismus“ aus, fördert wissenschaftliche Untersuchungen zu sozialen, arbeitsmarkt- und gesellschaftspolitischen Themen und legt aktuelle medienkritische und -politische Analysen vor. ... informiert regelmäßig mit einem Newsletter über Projekte, Publikationen, Termine und Veranstaltungen.
... veröffentlicht die Ergebnisse ihrer Forschungsförderung in der Reihe „OBS-Arbeitshefte“ oder als Arbeitspapiere (nur online). Die Arbeitshefte werden, wie auch alle anderen Publikationen der OBS, kostenlos abgegeben. Über die Homepage der Stiftung können sie auch elektronisch bestellt werden. Vergriffene Hefte halten wir als PDF zum Download bereit unter: www.otto-brennerstiftung.de/wissenschaftsportal/ publikationen/ ... freut sich über jede ideelle Unterstützung ihrer Arbeit. Aber wir sind auch sehr dankbar, wenn die Arbeit der OBS materiell gefördert wird. ... ist zuletzt durch Bescheid des Finanzamtes Frankfurt am Main V (-Höchst) vom 4. November 2020 als ausschließlich und unmittelbar gemeinnützig anerkannt worden. Aufgrund der Gemeinnützigkeit der Otto Brenner Stiftung sind Spenden steuerlich absetzbar bzw. begünstigt.
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Aktuelle Ergebnisse der Forschungsförderung in der Reihe „OBS-Arbeitshefte“ OBS-Arbeitsheft 112
Leif Kramp, Stephan Weichert
Whitepaper Non-Profit-Journalismus
Handreichungen für Medien, Politik und Stiftungswesen
OBS-Arbeitsheft 111*
Janis Brinkmann
Journalistische Grenzgänger
Wie die Reportage-Formate von funk Wirklichkeit konstruieren
OBS-Arbeitsheft 110*
Henning Eichler
Journalismus in sozialen Netzwerken
ARD und ZDF im Bann der Algorithmen?
OBS-Arbeitsheft 109*
Barbara Witte, Gerhard Syben
Erosion von Öffentlichkeit
Freie Journalist*innen in der Corona-Pandemie
OBS-Arbeitsheft 108*
Victoria Sophie Teschendorf, Kim Otto
Framing in der Wirtschaftsberichterstattung
Der EU-Italien-Streit 2018 und die Verhandlungen über Corona-Hilfen 2020 im Vergleich
OBS-Arbeitsheft 107*
Leif Kramp, Stephan Weichert
Konstruktiv durch Krisen?
Fallanalysen zum Corona-Journalismus
OBS-Arbeitsheft 106*
Lutz Frühbrodt, Ronja Auerbacher
Den richtigen Ton treffen
Der Podcast-Boom in Deutschland
OBS-Arbeitsheft 105*
Hektor Haarkötter, Filiz Kalmuk
Medienjournalismus in Deutschland
Seine Leistungen und blinden Flecken
OBS-Arbeitsheft 104*
Valentin Sagvosdkin
Qualifiziert für die Zukunft?
Für Spenden mit zweckgebundenem Verwendungszweck zur Förderung von Wissenschaft und Forschung zu den Schwerpunkten:
Zur Pluralität der wirtschaftsjournalistischen Ausbildung in Deutschland
• Angleichung der Arbeits- und Lebensverhältnisse in Ost- und Westdeutschland (einschließlich des Umweltschutzes) • Entwicklung demokratischer Arbeitsbeziehungen in Mittel- und Osteuropa • Verfolgung des Zieles der sozialen Gerechtigkeit
Ingo Dachwitz, Alexander Fanta
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OBS-Arbeitsheft 103*
Medienmäzen Google
Wie der Datenkonzern den Journalismus umgarnt
OBS-Arbeitsheft 102*
Wolfgang Schroeder, Samuel Greef u. a.
Bedrängte Zivilgesellschaft von rechts
Interventionsversuche und Reaktionsmuster * Printfassung leider vergriffen; Download weiterhin möglich.
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Vorwort
Vorwort
Die „Besitzer von Kapital“ sind in den letzten Jahren immer reicher geworden, während viele Menschen gleichzeitig mit niedrigen Löhnen zu kämpfen haben – um die daraus folgende gesellschaftliche Polarisierung zu vermeiden, sei es also nur gerechtfertigt von Unternehmen zu erwarten, dass sie nicht nur eine gute „finanzielle Performance“ liefern, sondern auch einen „positiven Beitrag für die Gesellschaft“ erbringen. Neben sozialen Aspekten müsse dabei auch transparent gemacht werden, „wie Unternehmen an das Thema Nachhaltigkeit herangehen“. Was sich nach einem Statement einer engagierten Aktivistin anhört oder wie die Forderung eines Politikers klingt, sind Zitate von Larry Fink, dem Vorstandsvorsitzenden des weltweit größten Vermögensverwalters BlackRock. Fink schrieb die Zeilen über die sozialen und ökologischen Verpflichtungen von Unternehmen 2018 und 2020 in seinem jährlichen Brief an Kolleg:innen in den Vorstandsetagen weiterer Vermögensverwaltungen, Fonds und Konzerne. Er verdeutlich damit eine Entwicklung, die seit einigen Jahren in Wirtschaftswissenschaften, Politik und Teilen der Wirtschaft bemerkbar ist und die mit einer zentralen Annahme des Neoliberalismus – das Unternehmen einzig und alleine ihren Investor:innen und damit der Profitmaximierung verpflichtet seien – bricht: Firmen werden zunehmend verstanden als in soziale, räumliche und ökologische Zusammenhänge eingebettete Akteur:innen, die Verantwortung für ihre Arbeitnehmer:innen, Kund:innen und Regionen tragen. Gewerkschaften, Umweltverbände und Aktive aus sozialen Bewegungen, die für soziale Gerechtigkeit und ein umweltverträgliches Wirtschaften streiten, dürften diesen (späten) Perspektivwechsel begrüßen. Die Schlussfolgerung Finks, dass „die Öffentlichkeit“ jetzt und künftig also mehr Informationen zu den genannten Aspekten unternehmerischen Wirkens brauche, scheint allerdings von denjenigen, die für die Herstellung dieser Öffentlichkeit verantwortlich sind – „die“ Medien – nicht unbedingt geteilt zu werden. Das ist zumindest die These von Lutz Frühbrodt, Professor für Fachjournalismus und Unternehmenskommunikation an der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt, der sich für die Otto Brenner Stiftung mit Defiziten der deutschen Wirtschaftsberichterstattung beschäftigt hat. Nachdem die Stiftung in der Vergangenheit bereits mit zahlreichen Studien dem wirtschaftspolitischen Journalismus in Deutschland einen mangelnden Pluralismus an Perspektiven und zitierten Akteuren nachweisen konnte, rückt
1
Konzerne im Klimacheck
OBS-Autor Frühbrodt nun die klassische Unternehmensberichterstattung in den Mittelpunkt seiner Untersuchung. Die Ergebnisse sind bemerkenswert: Durch seine Analyse von Bilanz-Pressekonferenzen und Hauptversammlungen verschiedener deutscher Konzerne sowie der dazugehörigen Medienberichte zeigt er, dass Nachhaltigkeit generell nur ein Randphänomen der Unternehmensberichterstattung ausmacht. Obwohl gesetzliche Regelungen Unternehmen zunehmend verpflichten, Daten und Kennzahlen zu sozialen und ökologischen Aspekten zu publizieren, wird diese Datenbasis kaum für eine ganzheitliche Betrachtung der Firmen von den Medien genutzt. Es bleiben sogar Themen ausgeblendet, wenn sie auf den untersuchten Veranstaltungen durch Management, Investor:innen oder Aktivist:innen zur Sprache kommen. Ungeachtet der Veränderungen und Bedarfe in Wirtschaft, Politik und Wissenschaft informieren die Berichte weiterhin nur über ‚klassische‘ Finanzkennzahlen und ökonomische Aspekte der Unternehmensstrategien. Frühbrodt, langjährig auch als Journalist mit Theorie und Praxis der Unternehmensberichterstattung bestens vertraut, bleibt nicht bei der Defizitbeschreibung stehen, sondern skizziert konkrete Schritte zur Verbesserung der misslichen Lage. Integrated
Business Reporting nennt der Autor seinen Ansatz, den er hier erstmals zur Diskussion und Anwendung in der Praxis vorstellt. Er identifiziert geeignete Messgrößen für die Klimabilanz einer Firma, liefert konkrete Hinweise, wo Journalist:innen die notwendigen Informationen erhalten, und verweist auf Fallstricke, die es zu vermeiden gilt. Mit seiner Checkliste für eine klimabewusste Unternehmensberichterstattung eignet sich die Untersuchung für die unmittelbare Anwendung in der Praxis. Und mit idealtypischen Beispielartikeln im Sinne einer ökonomische und ökologische Aspekte integrierenden Perspektive erweist sich die Untersuchung als wichtiges Angebot und Baustein für die journalistische Ausbildung. Hinsichtlich der anstehenden Veränderungen hätten Unternehmen „die Verantwortung und die ökonomische Pflicht, ihren Aktionären ein klares Bild [ihrer Aktivitäten diesbezüglich] zu vermitteln“, schreibt Fink am Ende seines klimabewegten Briefes 2020. Medien hingegen, so lässt sich anschließen, haben ihren Leser:innen gegenüber die Pflicht, diese Bilder zu prüfen, von schönen Worten zu reinigen und mit kritischem Blick auf Ziel- und Interessenkonflikte beständig zu hinterfragen. Das gilt im Übrigen auch für die Selbstdarstellungen von BlackRock.
Jupp Legrand Geschäftsführer der OBS
2
Frankfurt am Main, im Oktober 2023
Inhalt
Inhalt
1
Einleitung.................................................................................................................5 1.1 Das Ziel: Ein klimabewusster Wirtschaftsjournalismus.....................................................6 1.2 Aufbau und Methodik der Studie......................................................................................9
2
Der empirische Befund: Nachhaltigkeit als wirtschaftsjournalistisches Randphänomen................................ 11 2.1 Die Wandlungen des deutschen Wirtschaftsjournalismus................................................ 11 2.2 Wissenschaftliche Methodik und Untersuchungsobjekte................................................ 14 2.3 Die Bilanz-Pressekonferenzen........................................................................................17 2.4 Die Hauptversammlungen.............................................................................................. 24 2.5 Zwischenbilanz............................................................................................................. 30
3
Wie Unternehmen klimaneutral werden wollen und sollen........................................ 31 3.1 Unternehmen und Nachhaltigkeit: Von CSR zu ESG..........................................................31 3.2 Was es genau mit der Klimaneutralität von Unternehmen auf sich hat............................. 34
Exkurs: Der europäische Green Deal und das deutsche Klimaschutzgesetz...................... 36
3.3 Europäische Berichtspflichten und deutsche Nachhaltigkeitsberichte............................38 3.4 Freiwillige Klimazertifikate: Moderner Ablasshandel?.................................................... 44 3.5 ‚Greenwashing‘ und wie die EU dagegen vorgehen will...................................................46 3.6 Zwischenbilanz............................................................................................................. 47
4
Integrated Business Reporting: Indikatoren zur Messung der Öko-Bilanz eines Unternehmens................................. 49 4.1 Scope 1-3: Der absolute Ausstoß an Treibhausgasen...................................................... 49 4.2 THG-Vergleiche innerhalb und zwischen Unternehmen................................................... 54 4.3 Anteil von Klimazertifikaten an der THG-Bilanz............................................................... 61 4.4 Weitere relevante Öko-Indikatoren................................................................................. 63 4.5 Zwischenbilanz.............................................................................................................68
3
Konzerne im Klimacheck
5
Integrated Business Reporting in der Praxis.............................................................72 5.1 Fallbeispiel: Bericht über die Jahresbilanz der Würth-Gruppe.......................................... 72 5.2 Fallbeispiel: Feature über die Hauptversammlung der Deutschen Telekom...................... 75 5.3 Zwischenbilanz............................................................................................................. 78
6
Handlungsempfehlungen und Ausblick....................................................................79 6.1 Das Klima-Thema in der Wirtschaftsredaktion................................................................ 79 6.2 Integrated Business Reporting reloaded: Soziales und Governance einbinden................82
Literaturverzeichnis..............................................................................................................86 Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen............................................................................ 91 Hinweis zum Autor................................................................................................................ 91
4
Einleitung
1 Einleitung
„Da gibt es einen riesengroßen Missstand!“
(2022). Das Forscherteam von der Universität
Luisa Neubauer geht mit den deutschen Medien
Hamburg hat die „Tagesschau“ im Zeitraum von
hart ins Gericht. „Jahrzehntelang gab es so et-
2007 bis 2022 analysiert und kam bei seiner
was wie einen regulären Klimajournalismus gar
quantitativen Auswertung zu dem Ergebnis, dass
nicht. Die Klimakrise hat in den Medien oft nur
die Nachrichtensendung bis 2018 fast nur über
in mikroskopischem Maße stattgefunden.“ Die
die UN-Klimakonferenzen und kaum über weite-
Klimaaktivistin kritisiert, dass auch jetzt noch
re Klima-Themen berichtet hat.
das Klima-Thema eine Randerscheinung in der medialen Berichterstattung bleibe. Umrahmt
2019 stieg die Berichterstattung stark an und
wird Luisa Neubauer bei ihrer Medienschelte
wurde thematisch vielfältiger, um danach aber
von jeweils zwei führenden Journalist:innen des
wieder abzuflachen. Auffällig dabei: Kurzfristige
öffentlich-rechtlichen Rundfunks und von Tages-
Krisenereignisse, aber auch medial konkurrie-
zeitungen. Das Quintett diskutiert Mitte Juni 2023
rende Dauerkrisen wie die Corona-Pandemie und
auf der Jahreskonferenz der Journalisten-Vereini-
der Ukraine-Krieg bekommen dabei offensicht-
gung Netzwerk Recherche. Der treffende Titel des
lich Vorrang in der redaktionellen Aufmerksam-
Podiums: „Wie eine zeitgemäße Klimaberichter-
keit. Die Klima-Krise hat hier aufgrund ihres eher
stattung aussehen müsste – und warum es sie
‚schleichenden‘ Charakters einen strukturellen
bis heute nicht gibt“ (Netzwerk Recherche 2023).
Malus hinsichtlich ihres Nachrichtenwertes.
Der Tenor bei den Medienverantwortlichen lau-
Darüber hinaus haben Tschötschel et al. (2022)
tet: „Ja, es gibt Versäumnisse, aber wir wollen
das Gesamtprogramm von Das Erste, ZDF und
besser werden und sind schon auf einem guten
WDR vom 25. Juli 2021 bis 30. September 2022
Weg.“ So sagt Barbara Junge, Chefredakteurin
ausgewertet. Ihr Ergebnis: „Klima“ findet vor-
der „taz“: „Die Gesellschaft hat versagt, die Jour-
nehmlich in Wissenschaftsmagazinen und Talk-
nalist:innen auch. Die Branche hat aber auch
shows statt. Selten seien mehr als vier Prozent
wahnsinnig aufgeholt.“ Entspricht dies wirklich
der Sendeminuten der Klima-Thematik gewid-
den Tatsachen? Oder ist das eher eine gefühlte
met. Das Fazit: „Die analysierten Fernsehpro-
Wahrnehmung? Bisher gibt es kaum Forschung
gramme sind bislang noch weit davon entfernt,
zum Thema – von wenigen Ausnahmen abge-
das Klima als wirkliches Top- und Querschnitts-
sehen. Die wichtigste, da umfassendste Unter-
thema ihrer Berichterstattung zu präsentieren.“
suchung ist die Studie von Tschötschel et al.
(Tschötschel et al. 2022: 580–81) Die Analyse
5
Konzerne im Klimacheck
der öffentlich-rechtlichen Sender bildet sicher
Hessischen Rundfunks, die neuen Kompetenz-
nur einen, wenngleich wichtigen Ausschnitt aus
zentren der ARD ins Spiel. Ab 2024 werden drei
der deutschen Medienlandschaft. Aber man
redaktionelle Pools auf den Themenfeldern
kann davon ausgehen, dass es bei der großen
Verbraucher, Gesundheit und eben Klima die
Mehrheit der anderen, privatwirtschaftlich orga-
ARD-Sender mit überregionaler Berichterstat-
nisierten Medien nicht sehr viel anders aussieht.
tung versorgen. „Wir sind aber auch noch nicht gut genug ausgebildet“, räumt Holzner ein. „Wir
Luisa Neubauer, führende Aktivistin der deut-
müssen auch innerhalb der jeweiligen Ressorts
schen Fridays-for-Future-Bewegung, ist deshalb
Klima-Kompetenz aufbauen. Mehr Klima-Exper-
nicht die einzige Klima-Bewegte, die mehr Klima
tise bekommen wir ganz banal gesagt durch
berichterstattung fordert. Auch aus den Medien
Fortbildung.“ (Netzwerk Recherche 2023) Es geht
selbst kommen immer wieder Impulse. So haben
also nicht nur um die Quantität, sondern auch
engagierte Journalist:innen zusammen mit eini-
um die Qualität der Berichterstattung.
gen Wissenschaftler:innen die Initiative „Klima vor Acht“ ins Leben gerufen. Mit dem Titel wollen die Initiator:innen mehr TV-Sendezeit für das Klima-Thema in der Primetime einfordern.
1.1 Das Ziel: Ein klimabewusster Wirtschaftsjournalismus
Zugleich spielt der Claim auf die Abendsendung
Auch für den Wirtschaftsjournalismus und sei-
„Wirtschaft vor Acht“ im ersten ARD-Programm an,
nen Bruder, den Finanzjournalismus, gilt si-
die bis vor einigen Jahren noch „Börse vor Acht“
cherlich, dass die Einbindung der Klimathema-
hieß (Klima vor Acht 2022). Es geht also um Prio
tik bei weitem noch nicht optimal funktioniert.
ritäten. Klimajournalismus ist ohne Frage zu ei-
Ohne Frage ist der Wirtschaftsjournalismus
nem wichtigen Medienthema, stellenweise auch
über die Jahre ‚grüner‘ geworden – und zwar
zu einem eigenständigen Ressort gewachsen –
in dem Sinne, dass er verstärkt Nachhaltig-
das allerdings keinen besonderen Fokus auf die
keits- und Klimathemen aufgreift. So berichten
Wirtschaft und vor allem Unternehmen legt. Des-
Wirtschaftsreporter:innen regelmäßig über den
halb sollte das Klima auch nicht die Börsen- und
hohen Wasserverbrauch von Teslas „Gigafacto-
schon gar nicht die Wirtschaftsberichterstattung
ry“ in Brandenburg und mögliche Auswirkungen
ersetzen und verdrängen. In der Klima-Runde bei
auf die Grundversorgung. Verschiedene Medi-
der Netzwerk-Recherche-Konferenz besteht viel-
en haben über den chinesischen Ultra-Fast-
mehr breiter Konsens darüber, dass sich Klima
Fashion-Händler Shein recherchiert und dessen
als Querschnittsthema durch alle Redaktionen
grüne Werbeversprechen als teilweise irrefüh-
ziehen sollte (vgl. hierzu auch Olanigan 2023).
rend kritisiert. Und Wirtschaftsmedien setzen sich durchaus auch mit strukturell relevanten
So bringt zum Beispiel Gaby Holzner, Programm-
Themen auseinander, beispielsweise damit,
direktorin und stellvertretende Intendantin des
wie die Luftfahrtbranche ihre CO2-Emissionen
6
Einleitung
reduzieren kann. Die Liste ließe sich beliebig
systematischer Weise das Gesamtbild eines Un-
fortsetzen.
ternehmens entstehen zu lassen.
Um diese stärker ereignisgetriebenen Einzelfälle
In der klimajournalistischen Fachöffentlichkeit
mit ihrem spezifischen ‚Öko-Einschlag‘ soll es
besteht weitestgehend Konsens darüber, dass
in der vorliegenden Arbeit jedoch nicht gehen.
sich dafür der Treibhausgas-Ausstoß (THG-Aus-
Sie sind richtig und wichtig. Das Postulat lautet
stoß) eines Unternehmens innerhalb eines Ge-
vielmehr, dass der ökologische bzw. klimapoliti-
schäftsjahres am besten eignet. Viele (vor allem
sche Aspekt grundsätzlich immer berücksichtigt
größere) Unternehmen haben inzwischen Klima
werden soll – im Wirtschaftsjournalismus allge-
strategien entwickelt und in deren Rahmen Ziele
mein und in der Unternehmensberichterstattung
definiert, wie sie ihre Emissionen von CO2 sowie
im Besonderen. Dies bedeutet nicht, dass die
anderer klimaschädlicher Gase reduzieren und
Klima-Komponente die dominante Rolle spielen
mittelfristig Klimaneutralität erreichen können.
oder im Vordergrund stehen muss. Wenn Unter-
Zwischen 1990 und 2022 konnte die Bundesre-
nehmen heute jedoch nicht mehr nur als reine
publik ihren jährlichen CO2-Ausstoß von 1.055
„Geldmaschinen“, sondern ganzheitlich als so-
auf 666 Millionen Tonnen, also um fast 38 Pro-
ziale Akteure dargestellt werden sollten, muss
zent, reduzieren (vgl. Tabelle 1). Der Anteil der
die Klima-Komponente immer mitgedacht wer-
Wirtschaft (Energiewirtschaft, Industrieprozes-
den. Die vorliegende Arbeit will zeigen, dass dies
se, verarbeitendes Gewerbe, Landwirtschaft)
bei (fast) allen Formaten möglich ist: Bei den
am Gesamtausstoß ist in diesem Zeitraum von
Klassikern Bilanz-Pressekonferenz und Haupt-
64 auf 60 Prozent gesunken, was vor allem da-
versammlung, aber zum Beispiel auch beim Un-
ran liegt, dass die Energieerzeuger inzwischen
ternehmensporträt oder Aktiencheck.
in toto ‚grüner‘ produzieren. Allerdings bezieht sich dieser Wert nur auf ‚Wirtschaft‘ im enge-
Wie fast überall in den Medien haben sich auch
ren Sinne. So sind zum Beispiel die indirekten
im Wirtschaftsjournalismus zunehmend erzähle-
Auswirkungen der Autoproduktion, nämlich der
rische Formate durchgesetzt (Stichwort „Story-
CO2-Ausstoß von Fahrzeugen in privater und be-
telling“). Doch Müller (2017: 29–30) verweist zu-
ruflicher Nutzung (Logistik), separat im Sektor
recht darauf, dass die Grundlage des Wirtschafts-
‚Verkehr‘ erfasst (Umweltbundesamt 2023).
journalismus nach wie vor aus empirischen Daten besteht. Dazu zählen Inflationsraten und
Der jährliche THG-Ausstoß einzelner Unterneh-
Exportüberschüsse einer Volkswirtschaft ge-
men sollte jedoch in weiten Grenzen gemessen
nauso wie Absatzzahlen und Renditequotienten
werden, um die Folgen des Unternehmenshan-
von Unternehmen. Ganz in diesem Sinne sollte
delns für das Klima angemessen zu erfassen.
ein moderner Wirtschaftsjournalismus auch mit
Konkret bedeutet dies, dass die Emissionen aller
‚grünen‘ Daten arbeiten, um in messbarer und
Bereiche eines Unternehmens, von der Güter-
7
Konzerne im Klimacheck
produktion über den Energieverbrauch bis zu
Diese Form des klimabewussten, nachhaltigen
vor- und nachgelagerten Produktionsprozes-
Wirtschaftsjournalismus wird im Folgenden als
sen, erfasst werden sollten (in der Fachdebat-
Integrated Business Reporting (IBR) bezeichnet.
te werden die verschiedenen Bereiche auch als
Der Begriff setzt sich zusammen aus ‚Business
‚Scopes 1-3‘ bezeichnet, siehe Kapitel 4.1). Die-
Reporting‘, der englischen Bezeichnung für
ser – wohlgemerkt gängige – Ansatz der brei-
Unter nehmensberichterstattung, und ‚Integra-
ten Erfassung unterstreicht, dass Unternehmen
ted Reporting‘. Letzterer, in der Unternehmens-
nicht nur allein für sich, sondern für ihre gesamte
kommunikation gängiger Terminus steht dafür,
Lieferkette verantwortlich sind. Diese Sichtweise
dass Unternehmen nicht mehr in traditioneller
sollten auch Wirtschaftsjournalist:innen stärker
Weise ausschließlich Finanzkennzahlen bilanzi-
verinnerlichen.
ell ausweisen, sondern diese um ökologische
Tabelle 1:
Jährlicher CO2-Ausstoß der BRD nach Sektoren (1990, 2022)
1990 CO2-Menge (in Millionen Tonnen)
Anteil in Prozent
CO2-Menge (in Millionen Tonnen)
Anteil in Prozent
Energiewirtschaft
428
40,5
247
37
Verarbeitendes Gewerbe
184
17,5
111
17
Verkehr
161
15
147
22
Haushalte und Kleinverbraucher
203
19,5
116
17
Militär und weitere kleine Quellen
12
1
1
0,2
Diffuse Emissionen aus Brennstoffen
4
0,5
2
0,3
Industrieprozesse
60
5,5
41
6
Landwirtschaft
3
0,5
3
0,5
Gesamt
1.055
100
668
100
davon Wirtschaft
675
64
402
60,5
Quelle: Eigene Darstellung nach Umweltbundesamt (2023).
8
2022
Einleitung
und soziale Aspekte ergänzen, auch in quanti-
worden (siehe Kapitel 2.2 sowie den Online-An-
tativer Weise. Im Rahmen dieser Studie stehen
hang1 der Studie zur Begründung der Auswahl).
zwar ökologische und vor allem Klimaaspek-
Die untersuchten Unternehmen werden im Ver-
te im Vordergrund. In einem nächsten Schritt
lauf der Studie noch in anderen Kapiteln (vor al-
sollte das Integrated Business Reporting aber
lem Kapitel 4 und 5) beispielhaft mit ihren Klima
auch verstärkt die soziale Dimension von Un-
maßnahmen erwähnt und analysiert.
ternehmen berücksichtigen, um einen rundum ganzheitlichen Blick auf Unternehmen zu ermög
Kapitel 3 stellt die wirtschaftsphilosophischen
lichen (siehe Kapitel 6.2).
und regulierungspolitischen Grundlagen der anzustrebenden Klimaberichterstattung über Un-
1.2 Aufbau und Methodik der Studie
ternehmen dar. So ist in jüngerer Zeit ein Wandel im Selbstverständnis von Unternehmen zu
Der deutsche Wirtschaftsjournalismus hat sich
beobachten, weg von einer Organisation, die
gerade in den vergangenen drei Jahrzehnten als
ausschließlich der ökonomischen Transaktion
durchaus innovationsfreudig erwiesen. Er hat
dient, hin zu einem Sozialgefüge, das eine mo-
es allerdings bisher nicht vermocht, eine Unter-
ralische Verantwortung für Mensch und Umwelt
nehmensberichterstattung mit systematischer
trägt. Auch die Politik ist bezüglich der Transpa-
Klimabilanzierung zu adaptieren. Dabei sind
renzpflichten von Unternehmen klimapolitisch
die notwendigen Daten, um beispielweise den
aktiv geworden, vor allem die EU-Kommission.
jährlichen Treibhausgas-Ausstoß zu ermitteln,
Eine neue Richtlinie, die Unternehmensprakti-
mittlerweile meist verfügbar. Ein Teil der Unter-
ken des „Greenwashing“ unterbinden soll, wird
nehmen bindet sie sogar offensiv in ihre Presse-
ebenso vorgestellt wie der European Green Deal,
arbeit ein.
ein umfangreiches Set an Maßnahmen, mit dem deutlich mehr Nachhaltigkeit in die europäische
In Kapitel 2 soll die Hypothese der unzureichen-
Wirtschaft getragen werden soll. Bis 2026 weiten
den medialen Klimabilanzierung durch ausge-
sich die damit einhergehenden Berichtspflich-
wählte Beispiele empirisch belegt werden. Dazu
ten zu Öko- und Sozialindikatoren auf rund
sind die Bilanz-Pressekonferenzen der Unter-
15.000 Unternehmen in Deutschland aus – eine
nehmen Energie Baden-Württemberg (EnBW),
unschätzbare Quelle für die journalistische Ar-
Deutsche Bahn, Deutsche Telekom sowie der
beit (Müller 2023).
Würth-Gruppe analysiert und mit der jeweiligen Medienresonanz abgeglichen worden. In glei-
Kapitel 4 bildet den Kern der Studie und disku-
cher Weise sind die Hauptversammlungen von
tiert verschiedene Indikatoren für die Klima- und
EnBW und der Deutschen Telekom untersucht
Umweltbilanz von Unternehmen. Sie stellen das
1
Der Online-Anhang findet sich auf der Infoseite zur Studie unter www.otto-brenner-stiftung.de.
9
Konzerne im Klimacheck
Handwerkszeug des Integrated Business Re-
in der Praxis einsetzen lässt. Zum einen wird ein
porting dar. Im Mittelpunkt steht die CO2-Bilanz
Bericht über die Bilanz-Pressekonferenz vom
eines Unternehmens, deren verschiedene As-
Mai 2023 des Industriekonzerns Würth-Gruppe
pekte erläutert werden. Anhand einer Reihe von
erstellt, zum anderen ein Feature über die Haupt-
Beispielen wird demonstriert, wie Wirtschafts-
versammlung der Deutschen Telekom im April
journalist:innen aussagekräftige Daten für ein
2023. Bei der Hauptversammlung hat die Tele-
Unternehmen erstellen können. Es wird zudem
kom selbst das Thema Nachhaltigkeit in den Mit-
gezeigt, wie sich Unternehmensvergleiche in-
telpunkt gestellt. Die Klima-Komponente muss
nerhalb einer Branche vornehmen lassen. Dabei
auch dann zwar nicht zwangsläufig die zentrale
wird der Indikator der Emissionsintensität einge-
Rolle in der Berichterstattung spielen. Die Bei-
führt, der vereinfacht gesagt aus dem jährlichen
spiel-Artikel zeigen jedoch, dass sie in angemes-
Treibhausgas-Ausstoß pro ‚Umsatzmilliarde‘ des
sener Weise berücksichtigt werden kann – und
Unternehmens besteht. Der Katalog möglicher
auch sollte.
Öko-Indikatoren wird sodann erweitert durch die Vorstellung weiterer geeigneter Kennzahlen. Ein
Kapitel 6 fasst in seinem ersten Teil die wich-
besonderes, kritisches Augenmerk wird auf den
tigsten Ergebnisse der Studie zusammen und
Anteil von Klima-Zertifikaten an der THG-Bilanz
gibt Handlungsempfehlungen für Redaktionen.
gelegt. Den Abschluss von Kapitel 4 bildet eine
Im zweiten Teil, dem Ausblick, sollen mögliche
Matrix für den Klima-Check von Unternehmen.
nächste Schritte erläutert werden. Ziel sollte
Sie soll als praktische Handreichung für die jour-
es sein, das Integrated Business Reporting auf
nalistische Arbeit dienen.
soziale Aspekte – und dabei vor allem auf das Thema Lieferketten – auszuweiten. Es wird klar:
In Kapitel 5 geht es anwendungsbezogen weiter.
Mit dem Ansatz des Integrated Business Repor-
Anhand von zwei journalistischen Artikeln wird
ting kann ein neues Verständnis von Wirtschafts-
gezeigt, wie sich Integrated Business Reporting
journalismus entstehen.
10
Der empirische Befund: Nachhaltigkeit als wirtschaftsjournalistisches Randphänomen
2 Der empirische Befund: Nachhaltigkeit als wirtschaftsjournalistisches Randphänomen Der deutsche Wirtschaftsjournalismus hat in
von EnBW und Deutsche Telekom verfahren (Ka-
jüngerer Zeit mehrere Wandlungen durchlau-
pitel 2.4).
fen, doch bei den Themenfeldern Ökologie und Soziales zeigt sich vor allem die Sparte Unternehmensberichterstattung bislang noch wenig verändert (Kapitel 2.1). Deutsche Wirtschafts-
2.1 Die Wandlungen des deutschen Wirtschaftsjournalismus
medien greifen zwar punktuell Nachhaltigkeits-
Nimmt man die Gründung der Bundesrepublik
themen auf, meist einzelne Projekte oder auch
1949 zum Ausgangspunkt, so hat sich der Wirt-
Skandale. Sie berichten aber weder systema-
schaftsjournalismus in (West)Deutschland in
tisch noch quantitativ nachvollziehbar, das
den ersten rund vier Jahrzehnten kaum verändert.
heißt anhand von messbaren Kennzahlen, über
Obgleich „Wirtschaft“ zu den klassischen Res-
die ökologische (und soziale) Nachhaltigkeit
sorts zählt und damit vor allem eine ‚General-In-
von Unternehmen. Mehr noch: Der deutsche
terest-Thematik‘ darstellt, kamen Wirtschaft- und
Wirtschaftsjournalismus ignoriert selbst dann
Finanzjournalismus selbst in Tageszeitungen in
ökologische Themen, wenn sie unmittelbar mit
der Regel als zielgruppenspezifischer Fachjour-
spezifischen Unternehmen zusammenhängen
nalismus daher. „Elitär“, „unverständlich“ und
und/oder von diesen selbst getriggert werden.
„abgehoben“ – mit diesen Etiketten versieht die Kommunikationswissenschaftlerin Claudia Mast
Für diese Hypothesen werden im vorliegenden
(2003: 79) den Wirtschaftsjournalismus alter
Kapitel empirische Belege geliefert. So wurden
Schule. Ein Insider-Journalismus, vornehmlich
die Bilanz-Pressekonferenzen der Unternehmen
ausgerichtet an den Interessen von Manager:in-
Energie Baden-Württemberg (EnBW), Deutsche
nen und Profi-Anleger:innen.
Bahn, Deutsche Telekom sowie der Würth-Gruppe beobachtet und ausgewertet (Kapitel 2.2). Mit
In den vergangenen drei Jahrzehnten hat sich
Hilfe einer Medienresonanzanalyse wird gezeigt,
der deutsche Wirtschaftsjournalismus in dy-
in welchem Umfang überregionale und ausge-
namischer Weise verändert und erlebte gleich
wählte lokale Medien ökologische und soziale
mehrere Häutungen. Im Zeichen des großen Ak-
Themen aufgegriffen haben, die die Unterneh-
tienbooms, ausgelöst durch die Börsengänge
men in ihren Pressekonferenzen angesprochen
von Deutscher Telekom und Deutscher Post ab
haben (Kapitel 2.3). Im selben Procedere wird
Mitte der Neunziger Jahre, florierte zunächst ein
für die zwei beobachteten Hauptversammlungen
Wirtschaftsjournalismus, der vor allem Kleinan-
11
Konzerne im Klimacheck
leger:innen die Welt der Wirtschaft erklären und
von Verbraucher:innen und Kleinanleger:in-
Anlagetipps geben wollte. Bekanntestes Beispiel
nen – war eine der einschneidenden Verände-
dürfte die „Börse vor Acht“ gewesen sein, pro-
rungen und Folge der Erschließung neuer Ziel-
minent platziert kurz vor der ARD-„Tagesschau“
gruppen. Komplexe Sachverhalte müssen nun
(Karle 2021). Als 2003 die Börsenblase platzte
verstärkt für ein Laienpublikum verständlich er-
und sich viele Kleinanleger:innen zurückzogen,
klärt, Einzelereignisse stärker in die größeren Zu-
entwickelte das Gros der Wirtschaftsredaktionen
sammenhänge eingeordnet werden. Hinzu tritt
Konzepte für Verbraucherjournalismus. Ob Tabel-
eine dritte Komponente: das Storytelling – eine
len mit Mobilfunk-Tarifen oder Leistungsverglei-
Entwicklung, die seit einigen Jahren im Journalis-
che von Hausratversicherungen, im Mittelpunkt
mus generell starken Anklang findet. Vereinfacht
stand und steht bei dieser Form des Wirtschafts-
formuliert geht es darum, Ereignisse und Ent-
journalismus der finanzielle Gebrauchswert.
wicklungen mit Akteur:innen zu verbinden und diese im Rahmen einer bestimmten Dramaturgie
Im Gefolge der großen Finanz- und Eurokrisen
handeln zu lassen. Zusammengefasst ließe sich
von 2008/09 und 2012/13, aber auch im Zuge
sagen: Im Wirtschaftsjournalismus geht es um
einer zunehmenden Ökonomisierung des Alltags
den Dreiklang aus „Erzählen, erklären, einord-
vieler Normalbürger:innen hat sich das Konzept
nen“ (Frühbrodt 2020: 3–9).
des Nutzwert-Journalismus erweitert. Welche konkreten Auswirkungen hat diese Krise für mich
Angesichts dieser Wandlungen stellt sich die
und meine Ersparnisse? Was bedeutet diese
Frage nach dem Status Quo des deutschen
wirtschaftspolitische Entscheidung für mich und
Wirtschaftsjournalismus. In einem Interview
meinen Arbeitsplatz? Diese und ähnliche Fragen
mit dem Fachmedium Wirtschaftsjournalist gab
greift moderner Wirtschaftsjournalismus auf und
Vendeline von Bredow, Korrespondentin für
versucht, möglichst (meist in Euro) messbare Ant-
europäische Wirtschaftspolitik des international
worten zu liefern. In den vergangenen Jahren hat
führenden Wirtschaftsmagazins Economist, ihre
sich zudem eine Art Crossover-Wirtschaftsjourna-
Einschätzungen diesbezüglich ab. So attestier-
lismus herausgebildet. Damit sind journalistische
te sie den Wirtschaftsjournalist:innen, dass sie
Produkte gemeint, die Aspekte aus den verschie-
gründlich recherchierten, sehr akkurat, ja fast
denen Unterressorts des Wirtschaftsjournalis-
schon granular berichteten und „dauernd mit
mus miteinander verbinden, zum Beispiel aus
den Unternehmen sprechen.“ Sie kritisierte aber
der Wirtschaftspolitik und dem Bereich Manage-
auch, dass die Journalist:innen Schwächen da-
ment/Personalführung (Frühbrodt 2020: 10).
bei zeigten, das „big picture“ zu zeichnen, und dass „der deutsche Wirtschaftsjournalismus
Die um 180 Grad gedrehte Berichtsperspektive –
generell sehr zahm ist“ (Messner 2022: 12, 14).
weg von der traditionellen Sicht der Unterneh-
Diese grundsätzlich affirmative Haltung gegen-
men und Manager:innen hin zu den Interessen
über Unternehmen resultiert offenbar daraus,
12
Der empirische Befund: Nachhaltigkeit als wirtschaftsjournalistisches Randphänomen
dass die große Mehrheit der Wirtschaftsjourna-
(beispielsweise Mobilität, Landwirtschaft oder
list:innen in Deutschland Wirtschaft prinzipiell
die ‚Freizeitindustrie‘).
nach den Gesetzen der Marktlogik erklärt. Kritik und Kontrolle beschränken sich somit meist auf
Insofern ist es von enormer Bedeutung, dass
strategische und persönliche Fehler, zielen aber
Wirtschaftsjournalist:innen neben dem rein
weniger auf Grundsätzliches ab.
ökonomischen den ökologischen und sozialen Aspekt stets mitdenken. Es gehört zur gesell-
Eine Reihe von Megatrends der vergangenen drei
schaftlichen Verantwortung von Wirtschafts-
Jahrzehnte spricht indes dafür, dass auch Wirt-
journalist:innen, ein ganzheitliches Bild von Un-
schaftsredaktionen ihren Blick weiten sollten:
ternehmen zu zeichnen – und dies umso mehr, wenn sich sogar die Unternehmen durch eigene
Die ökonomische Globalisierung hat dazu ge-
Aussagen und Handlungen verstärkt dazu be-
führt, dass viele Unternehmen, darunter auch
kennen, ihre gesellschaftliche Verantwortung
Mittelständler, weite Teile ihrer Produktion
wahrzunehmen. Ein ganzheitliches Unterneh-
von den Industrieländern in andere Teile der
mensbild erweitert die mit Finanzkennzahlen
Welt ausgelagert haben. Damit ist es auch
unterfütterten betriebswirtschaftlichen Aspekte
wichtiger geworden, die gesamte Lieferkette
um ökologische und soziale Indikatoren (Früh-
daraufhin zu analysieren, ob Menschen- und
brodt 2020: 49–50). Die dafür benötigten Fakten
Arbeitsrechte eingehalten werden.
und Zahlen liefern die meisten größeren Unter-
Die Digitalisierung, mithin die disruptive Ent-
nehmen schon seit einigen Jahren, in Gestalt von
wicklung Künstlicher Intelligenz, wird vermut-
Nachhaltigkeitsberichten.
lich zu Automatisierung und Rationalisierung und zum Verlust von Arbeitsplätzen bis hin
Henrik Müller (2017: 29–30) schreibt, dass –
zum Verschwinden ganzer Berufssparten füh-
ganz im Geiste der Zeit – hochkomplexe Wirt-
ren. Also drängt sich auch hier neben dem
schaftsthemen (wozu auch die Klima-Kompo-
ökonomischen der soziale Aspekt auf.
nente zählt) durch Storytelling verständlich und
Die Klimakrise evoziert den Handlungsimpe-
anschaulich gemacht werden sollten. Er regt aber
rativ, bei der Produktion von Wirtschaftsgü-
auch an, dass stets die „empirische Evidenz“ in
tern Treibhausgase zu vermeiden, aber auch
Form verlässlicher aggregierter Daten vorhanden
Erneuerbare Energien und klimafreundliche
sein müsse, als analytische Grundlage des Wirt-
Technologien zum Einsatz zu bringen.
schaftsjournalismus und um potenziellen „faktischen Verzerrungen“ entgegenzuwirken. Dieses
Gerade die Klima-Komponente betrifft nicht nur
Daten-Postulat wird noch durch den Umstand
die Energieerzeugung, sondern weite Teile der
verstärkt, dass es für Wirtschaftsjournalist:innen
industriellen Produktion wie Automobil-, Che-
zunehmend schwieriger wird, direkte Kontakte
mie- und Textilsektor sowie andere Branchen
in die Vorstandsetagen der Unternehmen auf-
13
Konzerne im Klimacheck
zubauen und Hintergrundgespräche zu führen
2. EnBW: Energie Baden-Württemberg, kurz:
(Kaden 2021: 37). Die Öko-Indikatoren von Un-
EnBW, ist nach Umsatz gerechnet (2022:
ternehmen sind dagegen (meist) frei zugänglich,
56 Milliarden Euro) die Nummer drei unter
Wirtschaftsjournalist:innen nutzen sie jedoch
Deutschlands Energiekonzernen. Die Ener-
bisher noch zu selten als Quellenmaterial – wie
gieerzeuger sind diejenigen Unternehmen
die folgende Stichprobe unterstreicht.
in der deutschen Wirtschaft, die bei weitem die meisten Treibhausgase ausstoßen. EnBW
2.2 Wissenschaftliche Methodik und Untersuchungsobjekte
agiert als integrierter Energiekonzern: Das Unternehmen hat zwar in den vergangenen Jahren seine Anstrengungen verstärkt, Strom
Um die vorangegangenen Aussagen empirisch
mit Erneuerbaren Energien zu erzeugen, setzt
zu unterfüttern, wurde eine Analyse auf Basis
aber auch weiterhin teilweise auf Kohle und
einer Stichprobe vorgenommen. Dafür wurde auf
Erdgas.
den in der Mediensoziologie verbreiteten Ansatz des „Theoretical Sampling“ (auch „Grounded
3. Deutsche Bahn AG: Der Staatskonzern (Um-
Theory“ genannt) zurückgegriffen: Es wurden
satz 2022: 56,3 Milliarden Euro) kämpft mit
Untersuchungsobjekte herangezogen, die sich
einem Imageproblem, das vor allem durch
am besten dazu eignen, ein Maximum an Aus-
die chronische Unpünktlichkeit seiner Züge
sagekraft zu erzielen und die Theoriebildung zu
entstanden ist. Die Bahn versucht, ihren Ruf
befördern (Dimbath/Ernst-Heidenreich/Roche
aufzupolieren, indem sie ihre Nachhaltigkeit
2018; Lamnek 2010: 183–186). Ein weiteres Aus-
hervorhebt, zum Beispiel mit wiederholten
wahlkriterium bestand darin, dass Medien in ih-
Verweisen darauf, dass sie ihre ICE-Flotte
rem jeweiligen Wirtschaftsteil regelmäßig über
ausschließlich mit Ökostrom betreibe. Zur
diese Unternehmen berichten.
Deutsche Bahn AG gehört allerdings auch die Logistik-Tochter Schenker, die hauptsächlich
So ist die Wahl auf die folgenden vier Unterneh-
mit LKWs unterwegs ist.
men gefallen: 4. Würth Gruppe: Der schwäbische „Schrau1. Deutsche Telekom: Der Bonner Konzern ist
benkonzern“ gilt als Weltmarktführer im Be-
im Börsenindex DAX notiert und zählt mit ei-
reich der Montage- und Befestigungstechnik
nem Umsatz von 114 Milliarden Euro (2022)
(Umsatz 2022: 20 Milliarden Euro). Das Fami-
zu den größten Unternehmen Deutschlands.
lienunternehmen rund um den Gründer Rein-
Telekom-Vorstandschef Timotheus Höttges
hold Würth ist durch seine Kunstförderung
gehört zu den ersten deutschen Konzern-
weithin bekannt geworden. Anfang 2023 geriet
chefs, die sich das Thema Nachhaltigkeit auf
der Konzern aber durch einen kleinen „Um-
die Fahnen geschrieben haben.
weltskandal“ in die Schlagzeilen (siehe un-
14
Der empirische Befund: Nachhaltigkeit als wirtschaftsjournalistisches Randphänomen
ten). Das Thema „messbare Nachhaltigkeit“
Charakter hinausreichen, müssen die besag-
ist relativ neu für das Unternehmen: 2023 hat
ten Events deswegen eine „Geschichte“ bie-
die Gruppe erstmals einen Nachhaltigkeits
ten. Viele Unternehmen versuchen inzwischen
bericht vorgelegt.
jedoch durchaus erfolgreich, diesem medialen Anspruch gerecht zu werden. Darüber hinaus
Als fünftes Unternehmen sollte ursprünglich
sind Bilanz-PK und HV aus folgenden Gründen
Gerry Weber herangezogen werden, denn gera-
ausgewählt worden:
de in der Textilbranche spielen ökologische und soziale Fragen eine wichtige Rolle. Der börsen-
Bei der Bilanz-PK handelt sich um eine re-
notierte Konzern aus Halle/Westfalen erwirt-
gelmäßig stattfindende Veranstaltung sowohl
schaftete 2021 einen Umsatz von rund 260 Mil-
von größeren, börsennotierten Unternehmen
lionen Euro. Im April 2023 musste Gerry Weber
als auch Mittelständlern. Für die Unterneh-
jedoch Insolvenz in Eigenverwaltung anmelden
men ist sie von zentraler Bedeutung. Wie zu-
und führte deshalb im Untersuchungszeitraum
sätzlich die HV bei börsennotierten Unterneh-
vom 1. Februar 2023 bis 31. Juli 2023 weder
men gehört sie zum Standard-Repertoire der
eine Bilanz-Pressekonferenz noch eine ordent-
Unternehmensberichterstattung.
liche Hauptversammlung durch. Obwohl keine
Die relative Ähnlichkeit im Ablauf dieser
Veranstaltungen des Unternehmens beobach-
Events ermöglicht eine gute Vergleichbarkeit
tet werden konnten, finden Informationen zur
von Unternehmen verschiedener Größe und
Nachhaltigkeit von Gerry Weber an einigen Stel-
Branchen.
len Eingang in die Studie. Sie basieren auf dem
Einige Unternehmen wie die Deutsche Tele
aktuellen Nachhaltigkeitsbericht des Konzerns
kom oder die Würth-Gruppe veröffentlichen
(Gerry Weber 2023).
zur PK im nicht-finanziellen Teil ihrer Geschäftsberichte (meist knapp gehaltene)
Die wirtschaftlichen Events dieser Unter-
Kennzahlen zu ihrer ökologischen Perfoman-
nehmen, die analysiert wurden, sind deren
ce, während die expliziten Nachhaltigkeits-
Bilanz-Pressekonferenzen (BPK) für das Ge-
berichte mit ausführlicheren Informationen
schäftsjahr 2022. Bei der Deutschen Telekom
zu einem anderen Zeitpunkt veröffentlicht
und EnBW wurden außerdem die Hauptver-
werden. Andere Unternehmen (Deutsche
sammlungen (HV) untersucht. Die Deutsche
Bahn, EnBW) publizieren zeitgleich mit der
Bahn und die Würth-Gruppe sind nicht börsen-
Bilanz-PK einen integrierten Bericht, der
notiert und führen deshalb keine öffentlichen
den ‚klassischen Geschäftsbericht‘ mit dem
HV durch. Viele Redaktionen packen Bilanz-PK
Nachhaltigkeitsbericht kombiniert und somit
und HV in die Schublade eines weniger wich-
detaillierte Öko-Indikatoren auflistet (vgl.
tigen „Terminjournalismus“. Soll die Bericht-
zu den verschiedenen Berichtsformen Kapi-
erstattung über einen rein protokollarischen
tel 3.4 sowie Kapitel 4.2). Dies ermöglicht es
15
Konzerne im Klimacheck
zu überprüfen, ob diese unterschiedlichen
der Arbeitsbeziehungen betrifft (Mayer 2020:
Kommunikationsstrategien auch Auswirkun-
33). ESG gilt als wichtige Chiffre für Investor:in-
gen auf die Berichterstattung haben.
nen, gewinnt aber auch für Regulierungsfragen
Einige Unternehmen (wie hier die Deutsche
an Bedeutung (siehe für die Entwicklung des
Telekom) geben kurz vor ihrer Hauptversamm-
Konzeptes Kapitel 3.1).
lung ihren Nachhaltigkeitsbericht heraus. Der Hintergrund für diese zeitliche Nähe: Anle-
Über die Auswertung der Bilanz-PK und HV hi-
ger:innen interessieren sich zunehmend für
naus wurde die jeweilige Pressemitteilung des
Nachhaltigkeitsthemen. Diese thematisieren
Unternehmens berücksichtigt und ausgewertet.
sie auch zunehmend auf den HV. In einem zweiten Schritt wurde eine MedienWas genau wurde nun unter die Lupe genom-
resonanzanalyse durchgeführt. Es wurde ana-
men? Der Autor dieser Studie hat an allen sechs
lysiert, welche Themenaspekte die überregio-
Events – ob in Präsenz oder virtuell durchge-
nalen Tageszeitungen (Süddeutsche Zeitung,
führt – live teilgenommen; es handelt sich also
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Welt, Han-
um eine teilnehmende Beobachtung. Er hat den
delsblatt, Börsenzeitung) sowie regionale Ta-
jeweiligen Veranstaltungsverlauf protokolliert
geszeitungen aus dem direkten geografischen
und Kategorien zugeordnet: Ob Reden des Ma-
Umkreis der Unternehmenszentrale in ihrer
nagements, Fragen der Journalist:innen, Fra-
Berichterstattung über die Unternehmen auf-
gen und Kommentare von Aktionär:innen sowie
gegriffen haben. Im Falle der Deutschen Tele-
die Antworten des Managements darauf einen
kom zum Beispiel der Bonner Generalanzeiger
ESG-Bezug aufweisen – oder nicht. ESG stellt
und die Rheinische Post. Die Recherchen für
ein Konzept dar, dass durch die Definition spe-
die Medienresonanzanalyse wurden mit Hilfe
zifischer Kriterien die Berücksichtigung von Um-
von „WISO – Die Datenbank für Hochschulen“
welt-, Nachhaltigkeits- und Sozialfragen in der
durchgeführt. Hierfür wurden Recherchen einen
Führung von Unternehmen erfassbar, messbar
Tag vor dem jeweiligen Ereignis und bis fünf
und dadurch vergleichbar macht. Das ‚E‘ steht
Tage nach dem Ereignis vorgenommen. Die
für ‚environmental‘, also die Klima- und Um-
Recherche wurde jeweils durch eine einfache
weltkomponente des Konzeptes, das ‚S‘ ist das
Google-Suche ergänzt. Bei den Zeitungen, die
Synonym für ‚social‘, beschreibt folglich die so-
nicht in WISO verfügbar sind (Süddeutsche Zei-
zialen Standards innerhalb des Unternehmens
tung, Frankfurter Allgemeine Zeitung) wurde in
und bei allen weiteren Gliedern der Wertschöp-
den Archiven dieser Medien recherchiert (siehe
fungskette und das ‚G‘ ist der Symbolbuchstabe
den Online-Anhang zur Studie für die Protokol-
für ‚Governance‘, auf Deutsch so viel wie ‚(gute)
le der Pressekonferenzen und Hauptversamm-
Unternehmensführung‘, was beispielsweise for-
lungen sowie eine Auflistung aller analysierten
malisierte Führungsprozesse und die Gestaltung
Medienartikel).
16
Der empirische Befund: Nachhaltigkeit als wirtschaftsjournalistisches Randphänomen
2.3 Die Bilanz-Pressekonferenzen
Deutschen Telekom. Entsprechend zahlengespickt ist auch die Pressemitteilung gehalten.
Im Folgenden sind die Ergebnisse der Bilanz-Pressekonferenzen für jedes Unternehmen
An einigen Stellen bringt Höttges allerdings auch
aufgeführt. Zum Ende des Kapitels werden die
Nachhaltigkeitsaspekte ins Spiel, vor allem beim
Kernergebnisse in einer Tabelle gebündelt dar-
Thema Energiesicherheit des Unternehmens.
gestellt.
Dies greifen die anwesenden Journalist:innen in der anschließenden, rund 45minütigen Frage-
Deutsche Telekom
und-Antwort-Runde allerdings in keiner Weise
Timotheus Höttges amtiert seit Anfang 2014 als
auf. Im Vordergrund stehen vielmehr Fragen zum
Vorstandschef des größten Telekommunika
bevorstehenden Mehrheitserwerb an dem Toch-
tionsunternehmens in Europa. Relativ bald nach
terunternehmen T-Mobile USA, zum Ausbau des
seinem Amtsantritt hat er (ökologische) Nach-
Glasfasernetzes in Deutschland sowie zu Fein-
haltigkeit zu einem wichtigen Thema des Bonner
heiten der Gewinn- und Verlustrechnung.
Konzerns erklärt. Im Oktober 2022 veranstaltete die Telekom einen „Nachhaltigkeitstag“, an
Fast deckungsgleich zu den PK-Fragen fällt die
dem alle Vorstandsmitglieder teilnahmen und
Berichterstattung aus. Am Morgen der Bilanz-PK
Höttges – basierend auf konkreten Zahlen – die
stellt die Telekom auch ihren testierten Ge-
weitere Reduzierung der CO2-Emissionen seines
schäftsbericht der interessierten Öffentlichkeit
Unternehmens ankündigte. Es waren allerdings
zur Verfügung. Im nicht-finanziellen Teil, der
kaum Journalist:innen größerer Publikumsmedi-
24 Seiten umfasst, finden sich konkrete Anga-
en anwesend, entsprechend schwach fiel auch
ben zum THG-Ausstoß des Unternehmens. In der
das Medienecho aus.
Berichterstattung finden sie keinerlei Berücksichtigung.
Bei der Bilanz-PK (in Präsenz, mit der Möglichkeit der virtuellen Teilnahme) für das Geschäftsjahr 2022 am 23. Februar 2023 in der Bonner Konzernzentrale spielen Nachhaltigkeit und Öko-Indika-
Bilanz-Pressekonferenzen
toren so gut wie keine Rolle. Nicht nur Finanzvor-
Unternehmen nutzen die Bilanz-Pressekonfe-
stand Christian Illek dekliniert das Zahlenwerk
renz, kurz: Bilanz-PK, um Auskunft über das
der Finanzergebnisse durch, auch Höttges steigt
abgelaufene Geschäftsjahr zu geben. Börsen-
bei seinen Ausführungen tief in die Gewinn- und
notierte Aktiengesellschaften unterliegen ei-
Verlustrechnung des Konzerns ein. Daneben
ner Publizitätspflicht, das heißt sie müssen
redet er über strategische Entscheidungen und
in regelmäßigen Abständen bestimmte Fi-
Maßnahmen. Die Betonung von Kennziffern bei
nanzkennzahlen veröffentlichen. Sie nutzen
der Bilanz-PK hat eine längere Tradition bei der
diese Gelegenheit, um nicht nur pflichtgemäß
17
Konzerne im Klimacheck
Investor:innen und andere Interessierte am
zerne eine Pressemitteilung sowie ihren Ge-
Kapitalmarkt, sondern auch eine breitere
schäftsbericht bzw. integrierten Bericht. Die
interessierte Öffentlichkeit zu informieren –
Bilanz-PK ist dann unterteilt in den Redepart
über die Bilanz-PK und die darüber wiede-
des Managements sowie die Frage-und-Ant-
rum berichtenden Wirtschafts- und Finanz-
wort-Runde zwischen Journalist:innen und
medien.
Management. Teilnehmer:innen auf Unternehmensseite sind neben dem Kommunika-
Bei seiner Bilanz-PK präsentiert das Unter-
tionschef als Moderator die/der Vorstands-
nehmen seine „Jahresbilanz“, deren Zahlen
chef/in und der Finanzvorstand, manchmal
meist aber nicht aus der Bilanz im engeren
auch andere Vorstände.
buchhalterischen Sinne stammen, sondern aus der Gewinn- und Verlustrechnung, also
Der Vorstand versucht in aller Regel, das
Umsatz, Reingewinn, Gewinn-Zwischengrö-
Unternehmen von seiner betriebswirtschaft
ßen oder auch Finanzkennzahlen für einzelne
lichen Schokoladenseite zu präsentieren oder
Kontinental- oder Ländermärkte ausweisen.
zumindest plausible Erklärungen zu präsentie-
Weitere Kernelemente sind Ausführungen des
ren, wenn das Geschäftsjahr nicht besonders
Managements zur Unternehmensstrategie
gut gelaufen ist. Die Journalist:innen stellen
sowie aktuelle oder künftige Vorhaben (wie
oft sehr spezifische und teils auch kritische
etwa Firmenübernahmen). Hinzu kommt eine
Fragen, um Informationen für ihren Bilanz-
Prognose für das laufende Geschäftsjahr, die
check in Artikelform zu bekommen. Während
meist auch quantitative Zielgrößen definiert.
es früher in der Berichterstattung vor allem da-
Die Bilanz-PK findet meist im ersten oder spä-
rum ging, ein Bild vom Gesamtzustand eines
testens zu Beginn des zweiten Quartals eines
Unternehmens zu zeichnen, sind in jüngerer
Geschäftsjahres statt.
Zeit andere Herangehensweisen hinzugekommen. So wird zum Beispiel ein spezifischer,
Auch viele größere, zum Teil auch mittelstän-
besonders interessant erscheinender Aspekt
dische Unternehmen, die nicht börsennotiert
wie etwa der mögliche Verkauf eines Tochter-
sind, richten Bilanz-PK aus. Da sie aber we-
unternehmens herausgegriffen, während die
niger Zahlen präsentieren müssen oder auch
wichtigsten Kennzahlen nur kurz referiert wer-
wollen, liegt der Schwerpunkt hier stärker auf
den (Frühbrodt 2020: 20–26).
qualitativen Aussagen. Oft laden diese Unternehmen dann zu einer „Jahrespressekonferenz“ und nicht zu einer „Bilanz-PK“ ein.
Energie Baden-Württemberg (EnBW) Die Energie Baden-Württemberg AG (EnBW) ist
18
Der Ablauf hat meist eine feste Dramaturgie.
mit 56 Milliarden Euro Umsatz (2022) das dritt-
Einige Stunden vor Beginn der Bilanz-PK ver-
größte Energieunternehmen in Deutschland. Ur-
öffentlichen vor allem börsennotierte Kon-
sprünglich setzte der Konzern auf fossile Ener-
Der empirische Befund: Nachhaltigkeit als wirtschaftsjournalistisches Randphänomen
gien und Atomkraft. Das Land Baden-Württem-
Die Pressemitteilung zur Bilanz-PK konzentriert
berg, das mit 46,75 Prozent an EnBW beteiligt ist,
sich auf Zahlen der Gewinn- und Verlustrech-
hat unter ihrem grünen Ministerpräsidenten Win-
nung, verbunden mit der Information zum früh-
fried Kretschmann einen Kurswechsel durchge-
zeitigen Kohle-Ausstieg (EnBW 2023b). In sei-
setzt: Der langjährige Vorstandschef Frank Mas-
nem Redepart deutet Finanzvorstand Thomas
tiaux (2012–2022) baute den Anteil Erneuerbarer
Kusterer die einzelnen Kennzahlen und greift an
Energien an der Stromerzeugung auf 40 Prozent
einigen Stellen auch das Thema Nachhaltigkeit
aus. Ende 2022 übernahm Andreas Schell den
auf. So habe EnBW am Kapitalmarkt einige „grü-
Staffelstab von Mastiaux.
ne“ Anleihen begeben, die bei den Investor:innen auf großes Interesse gestoßen seien. In der
Die Bilanz-PK von EnBW fand am 27. März 2023
fast einstündigen Frage-und-Antwort-Runde stel-
in Stuttgart statt; Journalist:innen konnten sich
len die Journalist:innen insgesamt 36 Fragen,
aber auch virtuell zuschalten. Die Nachricht des
sieben davon fallen in den Bereich ‚ökologische
Tages lautete: EnBW zieht seinen Ausstieg aus
Nachhaltigkeit‘. Diese Fragen drehen sich um ei-
der Energieproduktion mit Kohle um zwei Jahre
nen vermeintlichen Bearbeitungsstau beim Bau
auf 2028 vor. In seiner Rede lässt Vorstandschef
von Photovoltaik-Anlagen sowie um die geplante
Schell Finanzkennzahlen weitgehend außen vor
Umstellung von Kohle auf Wasserstoff als Ener-
und konzentriert sich auf die strategische Aus-
gieträger. Die meisten Fragen der Journalist:in-
richtung des Konzerns: Der vorgezogene Kohle-
nen zielen jedoch auf andere Themen, die, wenn
Ausstieg dient als „Beweis“ dafür, dass EnBW
überhaupt, eher indirekt mit Nachhaltigkeit zu-
seinen Kurs in Richtung Erneuerbare Energien
sammenhängen: einzelne Aspekte der Finanz-
forciert – mit Solarparks und Offshore-Großpro-
kennzahlen, Auswirkungen des Kohleausstiegs
jekten für Windkraft. Vorstandschef Schell hebt
auf die Arbeitsplätze und einzelne Versorgungs-
aber auch hervor, dass EnBW seine THG-Emissio
standorte, die mögliche Wiederinbetriebnahme
nen von der „Science-Based Targets initiative“
von Atomkraftwerken etc.
(SBTi) überprüfen lasse, um seine definierten Klimaziele zu erreichen. Die SBTi ist eine Initiati-
Zum Tag der Bilanz-PK hat EnBW seinen integrier-
ve mehrerer Organisationen, unter anderem der
ten Bericht für 2022 veröffentlicht, der alle we-
Umweltorganisation World Wildlife Fund (WWF),
sentlichen Öko-Indikatoren aufweist. Die Presse
um Unternehmen bei der Festlegung von Emis-
mitteilung zur Bilanz-PK enthält im tabellari-
sionsreduktionszielen zu unterstützen, die im
schen Teil neben vielen Finanzkennzahlen auch
Einklang mit aktuellen Erkenntnissen der Klima-
drei Öko-Indikatoren (zum Beispiel den Anteil
wissenschaft stehen (vgl. dazu auch Kapitel 4.2).
Erneuerbarer Energien an der gesamten Energie-
Zu der Zusammenarbeit mit der SBTi hat EnBW
produktion), wenn auch keine Angaben zu den
eine separate Pressemitteilung veröffentlicht,
THG-Emissionen. Das Zahlenmaterial zur Nach-
um die Relevanz der Nachricht herauszustellen
haltigkeit fällt bei der Berichterstattung aller-
(EnBW 2023a).
dings völlig unter den Tisch. Die meisten Medien, 19
Konzerne im Klimacheck
egal ob bundesweit erscheinend oder regional,
an der Bilanz-PK teil. Bahn-Chef Richard Lutz
tun das Naheliegende: Sie beschäftigen sich vor-
und Minister Wissing als Vertreter des Kapital-
wiegend mit dem früheren Kohle-Ausstieg von
eigners geben zunächst jeweils kürzere State
EnBW, dem weiteren Ausbau der Erneuerbaren
ments zu den Koalitionsbeschlüssen ab. Da-
Energien sowie den wichtigsten Finanzkennzah-
nach können die teilnehmenden Journalist:in-
len. Dies alles mit jeweils unterschiedlichen Ge-
nen Fragen zu diesem Themenkomplex stellen.
wichtungen. Allerdings bringen die Autor:innen
Nachhaltigkeit spielt hierbei überhaupt keine
keine belastbare Zahlen ins Spiel, wenn es zum
Rolle. Die ursprünglich geplanten Reden von
Beispiel um die Erneuerbaren Energien geht.
Vorstandschef Lutz und Finanzvorstand Levin Holle entfallen wegen Zeitmangels – sie liegen
Deutsche Bahn
aber in Schriftform vor. In seiner Rede hebt Lutz
Bei der Deutschen Bahn handelt es sich nicht
an zwei Stellen in allgemeiner Form hervor, dass
nur um einen sehr großen Mobilitäts- und Lo-
die Deutsche Bahn mit ihren klimafreundlichen
gistikkonzern, sondern auch um ein hochgradig
Mobilitätslösungen zum Kampf gegen den Kli-
politisiertes Unternehmen. Die DB AG befindet
mawandel beitrage. Ansonsten ist von Nach-
sich zu 100 Prozent in Staatsbesitz und wird im-
haltigkeit keine Rede. Zum Tag der Bilanz-PK
mer wieder zum Objekt, man könnte auch sagen:
legt die DB AG ihren integrierten Bericht vor,
Spielball verkehrspolitischer Debatten. Ihr teils
der auch die wichtigsten Öko-Indikatoren ent-
marodes Schienennetz, ruppige Tarifauseinan-
hält. Zur PK erhalten die Journalist:innen außer-
dersetzungen und ihre scheinbar chronische Un-
dem ein digitales Kompendium mit aktuellen
pünktlichkeit bringen die Bahn immer wieder in
„Daten und Fakten“ des Konzerns. Darin sind
die Schlagzeilen.
neben Leistungs- und Qualitätszahlen (Zahl der Reisenden, Kundenzufriedenheit etc.) und
So ist es auch kein Wunder, dass die Bilanz-PKs
vielen Finanzkennzahlen auch Öko-Indikatoren
der Deutsche Bahn AG meist einen verkehrspoli
(zum Beispiel der Anteil Erneuerbarer Energien
tischen Einschlag aufweisen. So auch bei der vir-
am Stromverbrauch, der THG-Ausstoß und die
tuellen Bilanz-PK für das Geschäftsjahr 2022 am
Recyclingquote) aufgelistet.
30. März 2023. Kurz zuvor hat der Koalitionsausschuss der „Ampel“-Regierung getagt und dabei
Weder in dem 20-minütigen Frage-Antwort-Part
unter anderem beschlossen, die Deutsche Bahn
nach den Statements von Vorstandschef und
mit einem 20-Milliarden-Euro Paket zur Netz
Verkehrsminister noch in der 40-minütigen
sanierung auszustatten und eine Netzinfrastruk-
Frage-und-Antwort-Runde zum Unternehmen
turgesellschaft ins Leben zu rufen.
thematisieren die Journalist:innen Nachhaltigkeitsaspekte. Im Vordergrund stehen im ersten
Aus diesem Anlass nimmt Bundesverkehrs
Teil die geplante Infrastrukturgesellschaft und
minister Volker Wissing (FDP) außerplanmäßig
die Frage, wann etwaige Qualitätsverbesserun-
20
Der empirische Befund: Nachhaltigkeit als wirtschaftsjournalistisches Randphänomen
gen bei der Bahn spürbar werden. Im zweiten
Nachhaltigkeit nur am Rande vor. Das Manage-
Teil sind die Fragenden vor allem daran interes-
ment präsentiert zunächst Geschäftszahlen,
siert, warum der Verkauf des Tochterunterneh-
dann folgen Video-Einspieler, mit denen Würth
mens DB Schenker noch nicht über die Bühne
zeigen will, wie es seine Logistik digitalisiert
gegangen sei und wie die kränkelnde Gütersparte
und automatisiert. Hierbei wird unter anderem
DB Cargo wieder auf Vordermann gebracht wer-
angesprochen, dass durch das spezifische Zu-
den könne.
schneiden von Kartonagen Ressourcen eingespart werden können. Am Ende seiner Ausfüh-
Dies spiegelt sich in der Medienresonanz wider,
rungen betont der Vorstandsvorsitzende Robert
auch wenn hier teils andere Akzente gesetzt wer-
Friedmann, dass „Nachhaltigkeit ein zentraler
den. So liegt der Schwerpunkt auf der Sanierung
Bestandteil der Unternehmensstrategie“ sei,
des maroden Schienennetzes und der schwa-
ohne weitere Ausführungen diesbezüglich. Er
chen Pünktlichkeitsquote. Sofern Zahlen refe-
verweist auf den ersten Nachhaltigkeitsbericht,
riert werden, sind es reine Finanzkennzahlen.
den die Würth-Gruppe für die Jahre 2020–2022
Klimapolitische Aussagen und Aspekte werden,
parallel zur BPK veröffentlicht habe. Darin ste-
wenn überhaupt, meist nur in einem Halbsatz
hen Zahlen zu eng definierten THG-Emissio-
erwähnt, so etwa bei der FAZ und der WAZ. Die
nen – solche, die durch vor- und nachgelagerte
Ausnahme bildet die Berliner Zeitung, die in ei-
Prozesse anfallen, werden nicht eingerechnet.
nem Absatz auf die Klimaziele der Bundesregie-
Auch in der Pressemitteilung findet der Bericht
rung in Zusammenhang mit der Bahn eingeht.
kurze Erwähnung, ohne auf Inhalte einzuge-
Öko-Indikatoren sucht man bei allen untersuch-
hen – im Vordergrund stehen ökonomisch-
ten Medien vergebens.
finanzielle Aussagen.
Würth-Gruppe
Die Frage-und-Antwort-Runde im Anschluss an
Die Würth-Gruppe hat im Jahr 2022 einen Umsatz
die Reden des Managements und die Video-Ein-
von fast 20 Milliarden Euro erzielt und gilt damit
spieler dauert nur 15 Minuten; die Fragen zielen
als Weltmarktführer für Montage- und Befesti-
in erster Linie auf die Investitionen in die Un-
gungstechnik. Das im schwäbischen Künzelsau
ternehmenslogistik und finanzielle Einzelaspek-
ansässige Familienunternehmen ist vornehmlich
te. Von den überregionalen Medien berichten
im Großhandel aktiv, genießt aber auch eine ge-
die FAZ, die Welt sowie das Handelsblatt. Hier
wisse Bekanntheit in einer breiteren Öffentlich-
wie auch in den untersuchten Regionalmedien
keit – vor allem durch seine hauseigenen Kunst-
(Heilbronner Stimme, Südwestpresse) stehen
museen.
die Finanzkennzahlen sowie die Würth-Logistik eindeutig im Mittelpunkt, Nachhaltigkeitsthe-
Bei der virtuellen Bilanz-PK für das Geschäfts-
men sowie ESG-Kriterien und Kennzahlen zum
jahr 2022 am 4. Mai 2023 kommt das Thema
THG-Ausstoß kommen nicht vor.
21
22
Termin/ Ort
23.02.2023/ Bonn
27.03.2023/ Stuttgart (digital)
Unternehmen
Deutsche Telekom
EnBW
Integrierter Bericht. Aktueller THG-Ausstoß im Wirtschaftsbericht ‚versteckt‘. Positiv: Längerfristiger Vergleich über den THG-Ausstoß in der angehängten „Mehrjahresübersicht“ möglich.
Klassischer Geschäftsbericht, veröffentlicht am Morgen der PK. Ausführliche THG-Infos im nicht-finanziellen Teil leicht auffindbar.
Geschäftsbericht
Titelzeile: „EnBW zeigt Stabilität in einem herausfordernden Geschäftsjahr 2022“. Appell des Vorstandschefs, die Energiewende zu beschleunigen, deshalb vorgezogener Kohleausstieg 2028. Finanzkennzahlen und Ausblick. Tabellarische Übersicht der Kennzahlen enthält auch Angaben zur „Ziel-Dimension“ Umwelt.
Titelzeile: „Deutsche Telekom hält Kurs und übertrifft Jahresziele für 2022“. Umsatz und Gewinn, Geschäft in Deutschland/USA/Europa. Verkauf einer Tochtergesellschaft.
Pressemitteilung
Verbunden mit dem Kohleausstieg 2028 legen Vorstandschef Schell wie Finanzvorstand Kuster den Schwerpunkt auf den Ausbau Erneuerbarer Energien.
Umsatz, andere Finanzkennzahlen und Strategie stehen im Vordergrund. Vorstandschef greift an einigen Stellen ESG-Aspekte auf.
Reden der Vorstände
Der Großteil der Fragen hat keinerlei ESG-Bezug, sondern rein ökonomischen Charakter. Einige Fragen zu Photovoltaik-Anlagen und zur Umstellung von Kohle auf Wasserstoff bei der Strom erzeugung.
Keine Frage zu ESG-Themen vonseiten der Journalist:innen. Vorstandschef thematisiert selbst ESG-Kritierien sowie langfristige Energielieferverträge.
Frage-undAntwort-Runde
Der Kohleausstieg und dessen Folgen stehen im Vordergrund. Einige Medien thematisieren zudem den Ausbau der Erneuerbaren Energien und deren Bedeutung für die Finanzkennzahlen. Keine konkreten Werte für den THG-Ausstoß.
Keine ESG-Thematisierung.
Medienresonanz
Ökologische und soziale Nachhaltigkeit als Thema bei den Bilanz-Pressekonferenzen 2023 ausgewählter Unternehmen
Tabelle 2:
Konzerne im Klimacheck
04.05.2023/ Künzelsau (digital)
WürthGruppe
Quelle: Eigene Darstellung.
30.03.2023/ Berlin (digital)
Deutsche Bahn
Erster Nachhaltigkeitsbericht der Würth Gruppe für 2020–2022 wird zur PK veröffentlicht. Die gelisteten Emissionen sind eng definiert.
Integrierter Bericht. Ausführliche Informationen zum THG-Ausstoß im Kapitel „Grüne Transformation“. Tabellarischer Dreijahres-Vergleich des THG-Ausstoßes.
Titelzeile: „Würth-Gruppe mit zweistelligem Umsatzplus erneut auf Rekordkurs“. Finanzkennzahlen dominieren, daneben neue Automatisierungsstrategie in der Logistik. In einem Absatz wird kurz erwähnt, dass Würth seinen ersten Nachhaltigkeitsbericht veröffentlicht.
Titelzeile: „Kunden kommen nach Pandemie zurück. Mit Rekordumsatz wieder schwarze Zahlen“. Finanzkennzahlen und verkehrsbezogene Zahlen (Fahrgastaufkommen etc.) dominieren. Ergänzungsmaterial zur PK („Daten und Fakten“) enthält Abschnitte über „Soziales“ und „Ökologie“ mit konkreten Angaben zu THG-Ausstoß, Lärmschutz und Abfall-Recycling. Lediglich Verweis auf Premiere des Nachhaltigkeitsberichts sowie einige kurze Verweise (z. B. in Video-Einspielern über die Logistik).
Vorstandschef bezeichnet die DB AG zwei Mal als treibende Kraft der Klimaund Verkehrswende. Keine konkreten Zahlen.
Keine Frage zu ESG-Themen vonseiten der Journalist:innen.
Keine Frage zu ESG-Themen vonseiten der Journalist:innen.
Keine Erwähnung.
Spärliche ESGThematisierung.
Der empirische Befund: Nachhaltigkeit als wirtschaftsjournalistisches Randphänomen
23
Konzerne im Klimacheck
Keiner der Journalist:innen kommt indes auf
sammlungen der Deutschen Telekom und von
die Idee, den ersten Nachhaltigkeitsbericht der
Energie Baden-Württemberg aufgeführt. Zum
Würth-Gruppe unter die Lupe zu nehmen. Einen
Ende des Kapitels werden die Kernergebnisse in
Anlass mit Nachrichtenwert hätte es gegeben.
einer Tabelle gebündelt dargestellt.
Denn zu Beginn des Jahres 2023 deckten die
Süddeutsche Zeitung und der NDR in einer ge-
Für die einzelnen Unternehmen ist Folgendes be-
meinsamen Recherche auf, dass das Würth-Ma-
obachtet worden:
nagement 2022 sehr viele Flüge von weniger als 300 Kilometer Entfernung unternommen hat.
Deutsche Telekom
Solche Kurzstreckenflüge verursachen durch die
Da die Deutsche Telekom bei ihren insgesamt
kurzen Start- und Landeintervalle einen beson-
drei Börsengängen zwischen 1996 und 2001 ihr
ders hohen THG-Ausstoß (Heubl 2023). Würth
Stammkapital breit in sogenannte Volksaktien
gelobte daraufhin, die Zahl dieser klimaschäd
gestreut hat, sind die Hauptversammlungen des
lichen Flüge zu reduzieren (Stegmaier 2023). Der
Konzerns immer gut besucht. Zur Präsenz-HV am
Würth-Vorstandschef referierte bei der Bilanz-PK
5. April 2023 im Bonner World Conference Center
auch über den Geschäftsverlauf im ersten Quar-
kommen mehr als 2.000 Aktionär:innen. Schnell
tal – Journalist:innen hätten ihn diesbezüglich
wird klar, dass an diesem Tag das Thema Nach-
beispielsweise fragen können, wie die ‚Flug
haltigkeit gespielt werden soll, zumindest von
bilanz‘ von Würth in diesen ersten drei Monaten
Seiten des Managements. Auf der Bühne steht
des Jahres ausgefallen ist.
ein großes Logo der Telekom, das ‚T‘, aber nicht wie üblich im konzerntypischen Magentarot,
Die Hauptergebnisse der empirischen Auswer-
sondern auf der Vorderseite mit Grünpflanzen
tung der vier Bilanz-Pressekonferenzen sind in
dekoriert.
Tabelle 2 zusammengefasst. Beide Parts der zweiteiligen, insgesamt fast ein-
2.4 Die Hauptversammlungen
stündigen Rede von Telekom-Chef Timo Höttges drehen sich um Nachhaltigkeit, wobei der Be-
Bei den Hauptversammlungen haben die Jour-
griff hier als eine Art Klammer dient und eher
nalist:innen reinen Beobachterstatus. Das Privi
für strategisches, langfristiges Handeln steht. So
leg des Fragens und Kommentierens fällt den
werden etwa auch „solides Haushalten“, „bes-
Aktionär:innen zu. Dies ist insoweit bedeutsam,
tes Netz bauen“, „verlässlicher Partner für die
als vor allem für institutionelle Anleger wie In-
Kund:innen“ und „Digitalisierung vorantreiben“
vestmentfonds Nachhaltigkeitsaspekte für ihre
unter das Dach der Nachhaltigkeit geschoben.
Anlageentscheidungen von zunehmender Be-
Trotz dieses dramaturgischen Kunstgriffs spricht
deutung sind (Index Association Industry 2023).
Höttges an diesem Tag aber auch ökologisch und
Im Folgenden sind die Ergebnisse der Hauptver-
sozial relevante Themen an. So will die Telekom
24
Der empirische Befund: Nachhaltigkeit als wirtschaftsjournalistisches Randphänomen
künftig ihre Handys nicht mehr allein nach dem
rinnen entlasten Vorstand und Aufsichtsrat
Preis einkaufen, sondern auch auf eine möglichst
für deren Arbeit im abgelaufenen Geschäfts-
klimaneutrale Produktion der Geräte achten. Mit
jahr – oder auch nicht, was allerdings eher
Hilfe von digitalen „Bewegungsmeldern“ sollen
die Ausnahme bildet. Denn die viel zitierte
nachts die Übertragungsnetze heruntergefahren
„Aktionärsdemokratie“ bedeutet nicht „Ein:e
und so erheblich Strom eingespart werden. Hött-
Investor:in, eine Stimme“. Vielmehr bemisst
ges nennte weitere Projekte, teils verbunden mit
sich das Gewicht der Stimmen nach der An-
konkreten Zahlen, teils ohne.
zahl der Aktien, die ein:e Anleger:in hält. Konkret: Große internationale Fondsgesellschaften wie Black Rock haben ungleich größeren
Die Hauptversammlung Zu den Hauptversammlungen (HV) der großen
Einfluss als Kleinaktionär:innen, den sie eher hinter den Kulissen und im Vorfeld einer HV ausüben.
DAX-Konzerne strömen oft mehrere Tausend Aktionär:innen. Insofern bildet die HV ein
Der Ablauf einer Hauptversammlung ist zwei-
Barometer für die Stimmungslage unter den
geteilt: Im ersten Teil eröffnet die/der Vorsit-
Anteilseigner:innen eines Unternehmens.
zende des Aufsichtsrats die Veranstaltung.
Zu den HV von Unternehmen der kleineren
Danach hält die/der Vorstandvorsitzende
Börsen-Indizes (MDAX, SDAX etc.) kommen
eine bis zu einstündige Grundsatzrede.
deutlich weniger Aktionär:innen. Bis vor rund zehn Jahren galten Hauptversammlungen als
Im zweiten und deutlich längeren Teil findet
Routine-Veranstaltungen, heute verlaufen sie
die sogenannte Generaldebatte statt. Dabei
oft sehr viel kontroverser und haben dadurch
melden sich verschiedene Redner:innen zu
Nachrichtenwert.
Wort:
Rein nominell bildet die Hauptversammlung
Vertreter:innen großer deutscher Fonds-
das oberste Beschlussorgan einer Aktien-
gesellschaften wie der DWS der Deutschen
gesellschaft – über dem Aufsichtsrat und
Bank, Union Investment der Volks- und Raif-
dem Vorstand. Im Umkehrschluss bedeutet
feisenbanken sowie die Deka, der Vermö-
dies, dass Unternehmen mit anderen Gesell-
gensverwalter der Sparkassen. Inzwischen
schaftsformen (GmbH, OHG, KG etc.) keine
schicken die Fondsgesellschaften oft auch
Hauptversammlungen durchführen. Die HV
ihre Nachhaltigkeitsexperten als Redner:in-
findet einmal pro Jahr statt, nachdem das
nen zu den HV.
Unternehmen seinen testierten Geschäftsbe-
Sprecher:innen der Aktionärsvereinigungen
richt veröffentlicht und die Bilanz-PK durch-
DSW (Deutsche Schutzvereinigung für Wert-
geführt hat. Die anwesenden Anteils:eigne-
papierbesitz) und SdK (Schutzgemeinschaft
25
Konzerne im Klimacheck
der Kapitalanleger), die rund 40.000 Aktio-
‚hinter der Bühne‘ die PR-Manager:innen zu-
när:innen vertreten. Sie nehmen auf der HV
sammen mit Fachpersonal aus den jeweiligen
meist Stellung zu Strategie, Aktienkurs und
Konzernbereichen nach intensiver Recherche
Dividende des Unternehmens.
die Antworten erstellen, die die Vorstände
Eine Sonderrolle unter den Aktionärsvereini-
dann auf der HV vortragen (Frühbrodt 2020:
gungen spielt der Dachverband der Kritischen
27–32).
Aktionärinnen und Aktionäre. Die Kritischen Aktionäre prangern traditionell menschen unwürdige Arbeitsverhältnisse von Partner-
In der folgenden Generaldebatte kommen zu-
unternehmen an. Sie haben sich also schon
nächst die Vertreter der großen Investmentfonds
früh beim Thema Lieferkette engagiert. Zu-
zu Wort. Union Investment, der Fonds der Volks-
sätzlichen Aufwind hat der Dachverband in
und Raiffeisenbanken, hat sogar seinen für
den vergangenen Jahren durch eine punk-
Nachhaltigkeit zuständigen Experten entsandt.
tuelle Zusammenarbeit mit der „Fridays for
Zwei der drei Fonds-Repräsentanten sprechen
Future“-Bewegung erfahren, insbesondere
Nachhaltigkeitsaspekte an. Einer von ihnen will
durch sporadische Redeauftritte von Klima
wissen, inwieweit die Nachhaltigkeitsverspre-
aktivistin Luisa Neubauer bei Hauptversamm-
chen der Telekom konkret an die Pariser Klima-
lungen von Energiekonzernen.
ziele gebunden seien, ein anderer, wie stark sich
„Freie“ Kleinaktionär:innen, manchmal aber
das „von oben“ propagierte Nachhaltigkeits
auch Einzelaktionär:innen mit größeren
bewusstsein auch bei den Telekom-Mitarbei-
Aktien paketen. Auch ihre meist sehr sub-
ter:innen in der Fläche etabliert habe. Die Fonds-
jektiven und emotional vorgetragenen Ein-
vertreter stellen allerdings auch kritische Fragen
lassungen sind häufig von inhaltlicher Rele-
zu anderen Themen wie der Dividendenhöhe und
vanz. Oft sprechen sie Aspekte der Corporate
der politisch brisanten Zusammenarbeit mit dem
Governance (‚gute Unternehmensführung‘)
chinesischen Netzausrüster Huawei.
an, zum Beispiel mutmaßlich überzogene Vorstandsvergütungen. Kleinaktionär:innen
Die Vertreter der Aktionärsvereinigungen schla-
thematisieren aber auch zunehmend Nach-
gen in eine ähnliche Kerbe. Die Deutsche Schutz-
haltigkeitsaspekte.
gemeinschaft für Wertpapierbesitz (DSW) und die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK)
26
Die Redner:innen in der Generaldebatte kom-
sind grundsätzlich stärker an Themen wie Un-
mentieren in der Regel bestimmte Aspekte
ternehmensgewinn, Aktienkurs und Dividende
des Unternehmens, genauso oft richten sie
interessiert. Nur der Vertreter des Dachverbands
aber auch Fragen an das Management. Diese
der Kritischen Aktionär:innen will unter ande-
sind oft zahlreich und sehr spezifisch, sodass
rem vom Management wissen, ob der Telekom
Der empirische Befund: Nachhaltigkeit als wirtschaftsjournalistisches Randphänomen
Menschenrechtsverletzungen in ihrer Lieferkette
weils nur auf ein bis zwei Absätzen. Die Telekom
bekannt seien.
hat ihren jährlichen Nachhaltigkeitsbericht am 28. März 2023 veröffentlicht, also eine Woche
Auf Hauptversammlungen sprechen Aktionär:in-
vor der HV. Dieser findet bei den Publikums
nen häufig auch Probleme bei der Unternehmens-
medien keinerlei Resonanz.
führung, dem dritten ESG-Pfeiler, an. So auch bei der Telekom-HV. Einige institutionelle Vertreter,
Energie Baden-Württemberg (EnBW)
aber auch diverse Kleinaktionär:innen kritisieren
EnBW gehört größtenteils dem Land Baden-Würt-
zum Beispiel die mangelnde fachliche Kompetenz
temberg sowie den Verbünden südwestdeut-
neuer Mitglieder des Aufsichtsrats und die aus
scher Gebietskörperschaften. EnBW ist dennoch
ihrer Sicht überhöhten Vergütungen für den Vor-
an den Börsen Frankfurt und Stuttgart gelistet,
stand. Einige Aktionär:innen fordern aber auch
allerdings befinden sich noch nicht einmal
Auskünfte zu Spezifika der Nachhaltigkeitsstra-
0,4 Prozent in Streubesitz. Diese geringe Zahl
tegie der Telekom ein, etwa zur Reduktion des
könnte suggerieren, dass die Hauptversammlun-
CO2-Ausstoßes. Einer will wissen, warum die Stra-
gen von EnBW reine Formsache seien. Dies ist
tegie aus seiner Sicht erst so spät komme.
jedoch nicht der Fall, zumindest nicht bei der virtuellen HV am 3. Mai 2023 in Stuttgart.
In der folgenden HV-Berichterstattung kommt das Thema Nachhaltigkeit indes kaum vor, die
Der Vorstandsvorsitzende Andreas Schell greift
Medien ignorieren die Schwerpunktrede von
in seiner Rede nicht nur finanzielle Aspekte wie
Vorstandschef Höttges fast vollständig. Aufge-
die Dividende auf, sondern schneidet auch eine
griffen wird dagegen ein kurzes Statement von
ganze Reihe von Nachhaltigkeitsthemen an. Er
ihm, das er in seine Rede eingeflochten hat:
betont, dass EnBW den Ausbau der Erneuerba-
der nun abgeschlossene Mehrheitserwerb an T-
ren Energien weiter vorantreiben wolle und stellt
Mobile USA. Dies ist – verständlicherweise – die
dabei auch regulierungspolitische Forderungen.
Nachricht des Tages. Da es sich allerdings nur
Er hebt aber auch hervor, dass EnBW einen „kla-
um den Vollzug eines Geschäfts handelt, eher
ren Plan“ habe, wie es seine eigenen, breit ge-
eine kleine. Das zweite große Thema lautet: Hua-
fassten THG-Emissionen reduzieren werde, um
wei. Denn die Kooperation mit dem chinesischen
bis 2035 klimaneutral zu werden. Zum Schluss
Netzausrüster könnte der Telekom gerade in den
seiner Ausführungen erklärt Schell, dass EnBW
USA Ärger bereiten. Das Thema ist ohne Frage
seinen „Strategieprozess 2030“ eingeleitet
brisant, aber auch nicht eben neu. Lediglich
habe, um die Energiewende zu beschleunigen –
der Bonner Generalanzeiger und der der WDR
dazu gehörten unter anderem die Bereinigung
in einem Online-Artikel greifen die Nachhaltig-
des Produktportfolios und eine veränderte Un-
keitsversprechen von Höttges auf, allerdings je-
ternehmenskultur.
27
Konzerne im Klimacheck
In der anschließenden Generaldebatte melden
zu Erneuerbaren Energien. Auch er zeigt sich
sich die Vertreter:innen der bekannten Aktio-
skeptisch, ob EnBW die Energiewende im eige-
närsvereinigungen zu Wort sowie auch einige
nen Haus ernsthaft genug verfolge. Ein anderer
Kleinaktionäre. Während die Vertreter von SdK
Kleinaktionär will wissen, wie nachhaltig das
und DSW wie gewohnt Fragen stellen und Kom-
Unternehmen jenseits der Energieproduktion
mentare abgeben, die sich in Einzelaspekten auf
wirtschafte. So will er den Energieausstoß aller
die Wirtschaftlichkeit und Rentabilität des Unter-
Vorstandsmitglieder im Jahr 2022 in Erfahrung
nehmens beziehen, spricht der Dachverband der
bringen. Die meisten seiner Fragen zielen auf
Kritischen Aktionär:innen vor allem ökologische
Coporate-Governance-Aspekte ab, etwa auf die
und teils soziale Themenpunkte an. So kritisiert
Vorstandsvergütung im Verhältnis zur allgemei-
dessen Vertreter scharf den strategischen Kurs
nen Einkommensspreizung im Unternehmen.
von EnBW, der zum effektiven Gegensteuern
Insgesamt sprechen die HV-Redner:innen ne-
gegen den Klimawandel bei weitem nicht aus-
ben ökonomisch-finanziellen und Aspekten der
reiche. Obwohl sich EnBW als grün verkaufe,
Unternehmensführung somit zahlreiche ökolo
sei es in Wirklichkeit nach wie vor „ein fossiler
gische und soziale Themen an.
Brennstoffkonzern“. So seien die CO2-Emissionen in den vergangenen Jahren um 17 Prozent
Diese finden allerdings keinen Eingang in die
angestiegen.
Berichterstattung der Medien, die die EnBW-HV ohnehin nur mit wenig Aufmerksamkeit beden-
Zudem will der Vertreter wissen, welche men-
ken. Die Welt, die Heilbronner Stimme sowie die
schenrechtlichen Risiken EnBW bei seiner Liefer-
Stuttgarter Zeitung bringen längere (Agentur-)
kette identifiziert und welche Gegenmaßnahmen
Meldungen, deren Schwerpunkt auf dem neu-
man bisher getroffen habe. EnBW beziehe wegen
en Strategie-Prozess von EnBW und den Investi
des Ukraine-Krieges keine Kohle aus Russland
tionsplanungen von Vorstandschef Schell liegen.
mehr und habe diese durch Steinkohle-Impor-
Die Aktionär:innen kommen überhaupt nicht zu
te aus Kolumbien ersetzt. Es sei aber weithin
Wort. Einzig die FAZ veröffentlicht einen ausführ-
bekannt, dass es im kolumbianischen Bergbau
lichen Korrespondenten-Bericht: Er ist ein Pot-
immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen
pourri aus verschiedenen Aspekten. Immerhin
komme. Eine Kleinaktionärin, die sich als Funk-
wird darin erwähnt, dass einige Aktionär:innen
tionärin von zwei regionalen Umweltverbänden
die Unwägbarkeiten der Wasserstoff-Strategie
zu erkennen gibt, vertieft später das Thema noch
von EnBW kritisieren.
einmal. Die Hauptergebnisse der empirischen AuswerEin weiterer Kleinaktionär konfrontiert den Vor-
tung der zwei untersuchten Hauptversammlun-
stand mit einem umfangreichen Fragenkatalog
gen sind in Tabelle 3 zusammengefasst.
28
05.04.2023/ Bonn (Präsenz)
03.05.2023/ Stuttgart (virtuell)
Deutsche Telekom
EnBW
Quelle: Eigene Darstellung.
Termin/ Ort
Unternehmen
Integrierter Bericht zur BPK am 27. März 2023 erschienen.
Nachhaltigkeitsbericht am 28. März 2023 erschienen.
Geschäftsbericht
Titelzeile: „EnBW-Hauptversammlung: massive Investitionen in die Beschleunigung der Energiewende geplant“. Dividendenvorschlag, Ergebnissteigerung 2023 geplant, Strategieprozess „EnBW 2030“ gestartet.
Titelzeile: „Deutsche Telekom stellt Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt ihres Handelns“. Zentrale Punkte der Rede des Vorstandschef stehen im Mittelpunkt. Nur kurze Erwähnung der abgeschlossenen Übernahme der Mehrheit bei T-Mobile USA.
Pressemitteilung
Vorstandschef geht sehr spezifisch auf die Rolle des Unternehmens bei der Energiewende ein.
Zweiteilige Rede, bei der jeweils „Nachhaltigkeit“ (eher breit definiert) im Mittelpunkt steht. Klare Aussagen zu Klimapolitik und sozialer Verantwortung bzw. über einschlägige Maßnahmen des Unternehmens.
Rede Vorstandschef
Fragen, Kommentare und Kritik von den Aktionär:innen zielen vor allem auf den Konzernkurs bei der Energiewende ab, thematisieren aber auch Fragen der Lieferkette.
Einzelne Vertreter:innen von Fondsgesellschaften thematisieren Aspekte der ökologischen Nachhaltigkeit, die Redner:innen der Aktionärsvereinigungen hingegen nicht. Auch die Kleinaktionär:innen stellen kritische Fragen und kommentieren in Einzelaspekten die ökologische Nachhaltigkeit. Der Dachverband der Kritischen Aktionäre fragt zudem nach der Lieferketten-Verantwortung der Telekom. Alle Vertreter:innen greifen Fragen der Unternehmensführung auf.
Generaldebatte
Ökologische und soziale Nachhaltigkeit als Thema auf der Hauptversammlung 2023 ausgewählter Unternehmen
Tabelle 3:
Geringes Medienecho. Fokus liegt auf dem Strategiewechsel. Ökologische Aspekte werden nicht spezifisch thematisiert.
Eindeutiger Schwerpunkt liegt auf der aktuellen Nachricht des Mehrheitserwerbs an T-Mobile USA sowie auf den vermeintlichen Risiken der Zusammenarbeit mit dem chinesischen Netzausrüster Huawei. Die Nachhaltigkeitsrede des Vorstandschef wird fast vollständig ignoriert – mit Ausnahme des Bonner Generalanzeigers und des WDR, die das Thema kurz streifen.
Medienresonanz
Der empirische Befund: Nachhaltigkeit als wirtschaftsjournalistisches Randphänomen
29
Konzerne im Klimacheck
2.5 Zwischenbilanz
nete Rolle. Meist werden sie von den Manager:innen und Aktionär:innen thematisiert,
Der deutsche Wirtschaftsjournalismus hat in den
dagegen so gut wie gar nicht von den Me-
vergangenen Jahrzehnten mehrere Wandlungen
dienvertreter:innen.
durchlaufen und damit sowohl seine Anpas-
Die Berichterstattung über die Ereignisse wird
sungsfähigkeit als auch seine Innovationsdy-
eindeutig von Finanzkennzahlen (Umsatz,
namik unter Beweis gestellt. In einem nächsten
Gewinn/Verlust, Höhe der Dividende etc.)
Schritt sollte der Wirtschaftsjournalismus – und
dominiert sowie von strategischen Fragen
dabei vor allem die Unternehmensberichterstat-
(Neuausrichtung des Geschäfts, Firmenüber-
tung – verstärkt dazu übergehen, einen ganz-
nahmen u. Ä.). Damit folgt sie Mustern, wie
heitlichen Blick auf Unternehmen zu wagen.
sie sich bereits vor Jahrzehnten ausgeprägt
Neben den rein ökonomisch-finanziellen sind
haben.
somit auch ökologische und soziale Aspekte als Teil des Tagesgeschäfts aufzugreifen. Die empi-
Frappierend dabei ist, dass die Wirtschaftsjour-
rische Stichproben-Analyse der (Berichterstat-
nalist:innen sogar dort, wo das Thema Nachhal-
tung über die) Bilanz-Pressekonferenzen und
tigkeit durch Management oder Investor:innen
Hauptversammlungen der vier untersuchten Un-
zur Sprache kommt, nicht auf den Zug aufsprin-
ternehmen zeigt indes, dass die Klima-Thematik
gen. So scheint es, als hätten zum Beispiel bei
bisher so gut wie keine Rolle spielt und schon gar
der Hauptversammlung der Deutschen Telekom
nicht messbare Werte zur Anwendung kommen:
im April 2023 die anwesenden Journalist:innen eine teils völlig andere Veranstaltung erlebt als
30
Quantitative Öko-Indikatoren, vor allem in
die teilnehmenden Aktionär:innen. Darüber hi
Gestalt des THG-Ausstoßes, werden so gut
naus sind die Unternehmen meist auskunftsbe-
wie gar nicht bei den Bilanz-PK erwähnt, nur
reit und bieten Informationen zum Beispiel in ih-
marginal bei den HV. Dies gilt für die Aus-
ren Berichten auch offensiv an – nicht nur in Hin-
führungen des Managements, die Fragen der
blick auf vermeintliche ‚Öko-Highlights‘, die sich
Journalist:innen und Aktionär:innen und vor
gut in die PR einbinden lassen, sondern auch
allem für die später folgende Berichterstat-
auf konkrete Daten. So drängt sich der Eindruck
tung.
auf, als wären Unternehmen, Investor:innen und
Auch qualitative Aspekte ökologischer Nach-
Aktionär:innen den Wirtschaftsjournalist:innen
haltigkeit spielen nur eine sehr untergeord-
beim Thema Nachhaltigkeit weit voraus.
Wie Unternehmen klimaneutral werden wollen und sollen
3 Wie Unternehmen klimaneutral werden wollen und sollen Inzwischen nennt sich fast jedes Unternehmen
ternimmt die EU einen Vorstoß, um das ‚Green
‚nachhaltig‘. Viele geben zudem an, ‚klimaneu-
washing‘, den Missbrauch umweltbezogener
tral‘ werden zu wollen. Oder es schon zu sein.
Werbeaussagen, einzudämmen (Kapitel 3.5).
Stehen in der Regel ernsthafte Absichten dahinter? Oder ist das vor allem grünes Marketing? Um diese Frage zu beantworten, muss zunächst genauer untersucht werden, ob und wie Unter-
3.1 Unternehmen und Nachhaltigkeit: Von CSR zu ESG
nehmen ihr Selbstverständnis in der jüngeren
Was ist ein Unternehmen? Welche Rolle spielt
Vergangenheit verändert haben (Kapitel 3.1) und
es in der Wirtschaft, welche in der Gesellschaft?
was es mit dem Begriff ‚klimaneutral‘ bzw. dem
Und: Welche konkreten Funktionen hat ein Un-
Konzept der Klimaneutralität auf sich hat (Kapi-
ternehmen, welche Ziele soll es verfolgen? Lange
tel 3.2). Danach wird in einem Überblick gezeigt,
Zeit waren die vorherrschenden Antworten inner-
welche klimapolitischen Auflagen Unternehmen
halb der akademischen Disziplinen der Volks-
befolgen müssen – in der Europäischen Union
wirtschaftslehre und vor allem der Betriebs-
und in Deutschland („Exkurs“). In den vergan-
wirtschaftslehre recht eindeutig. Die meisten
genen Jahren ist zudem eine EU-weite Berichts-
orientierten sich dabei an dem wegweisenden
pflicht von Konzernen für ökologische und sozia
Aufsatz „The Nature of the Firm“ des britischen
le Standards eingeführt worden, die bis 2026
Wirtschaftswissenschaftlers Ronald Coase aus
ausgeweitet wird (Kapitel 3.3).
dem Jahr 1937 (Coase 1937). Demnach sind Unternehmen in marktwirtschaftlichen Systemen
Die Europäische Union will bis 2050 klimaneutral
Organisationen der Güter- und Leistungsproduk-
werden, Deutschland sogar schon bis 2045. So-
tion, die allein auf Gewinnmaximierung ausge-
viel vorweg: Um dieses Ziel zu erreichen, genie-
legt sind und dazu vor allem die sogenannten
ßen die einzelnen Unternehmen ein hohes Maß
Transaktionskosten – alle Kosten, die für die
an Freiheit, das sie oft auch ausnutzen – im posi-
Organisation und Abwicklung des Güteraustau-
tiven, allerdings auch im negativen Sinne. So kau-
sches entstehen (Vertrags- und Verhandlungs-
fen viele Klima-Zertifikate auf dem ‚freien‘ Markt,
kosten, Transportkosten etc.) – verringern sollen.
der aber nicht nur intransparent ist, sondern auch
Unternehmen können demnach per Definition
durch fragwürdige Praktiken auffällt (Kapitel 3.4).
keine moralische bzw. gesellschaftliche Verant-
Viele Unternehmen nutzen diese Zertifikate, um
wortung tragen, bestenfalls Einzelpersonen wie
sich ein grünes Image zu geben. Immerhin un-
Manager:innen (Minssen 2008: 247–254).
31
Konzerne im Klimacheck
Ziele wie Umwelt- und Klimaschutz, wie sie seit
Wirtschaftsphilosophie, die im Mainstream der
einigen Jahrzehnten verschiedene gesellschaft-
Wirtschaftswissenschaften meist wenig Gehör
liche Akteure einfordern, ordnen Unternehmen
gefunden haben (Hübscher/Neuhäuser 2021:
diesem Bild zufolge dem Ziel der Gewinnmaxi-
226). Allerdings hatten beispielsweise die Wirt-
mierung unter bzw. setzen sie nur dann um, wenn
schaftswissenschaftler Berle und Means (1932)
dies der Rendite förderlich ist. So wurden zum
bereits kurz vor Coase ein Buch veröffentlicht,
Beispiel Konzepte wie das des „Shared Value“,
nach dem Unternehmen durchaus soziale Ver-
des ‚geteilten Gewinnes‘, entwickelt, bei dem
antwortung tragen – nicht zuletzt auch für ihr
sowohl das Unternehmen als auch die Gesell-
eigenes Handeln und dessen Auswirkungen.
schaft vom Klimaschutz profitieren, das Unter-
Dieser Ansatz fand zunächst jedoch kaum Be-
nehmen vor allem durch ein besseres Image und
achtung. In den 1970ern wurde er in den USA
eine höhere Wettbewerbsfähigkeit (Hübscher/
allerdings verstärkt in der unternehmerischen
Neuhäuser 2021: 224). Genau diese Vorgehens-
Praxis aufgegriffen – auch vor dem Hintergrund
weise lässt in Teilen der Öffentlichkeit und damit
des ideologischen Wettstreits zwischen Markt-
auch der Wirtschaftsmedien den Eindruck entste-
wirtschaft und einer (zumindest der eigenen The-
hen, dass Unternehmen unaufrichtig agieren und
orie und Rhetorik nach) auch soziale Aspekte
sich nur für den Klimaschutz oder soziale Belan-
berücksichtigenden Planwirtschaft – bevor er
ge einsetzen, wenn es unumgänglich erscheint
in den 1990ern ein weiteres Comeback feierte:
und/oder weil es bei den Kund:innen besser
Diesmal in Gestalt der sogenannten Corporate
ankommt. Vorbehalte entstehen aber auch da-
Social Responsibilty (CSR).
durch, dass Unternehmen einzelne Aktionen in verzerrender Weise für sich zu nutzen suchen
Als integraler CSR-Bestandteil gilt das Konzept
(Stichwort ‚Greenwashing‘, vgl. Kapitel 3.5).
der Corporate Citizenship (CC), der ‚unternehmerischen Bürgerschaft‘, nach dem ein Unterneh-
Allerdings war diese Konzeptualisierung von
men quasi wie ein:e Bürger:in – nur nicht als na-
Unternehmen in den Wirtschaftswissenschaften
türliche, sondern als juristische Person – Teil der
nie unumstritten. So gibt es immer wieder Versu-
Gesellschaft und deshalb mit entsprechenden
che von Wissenschaftler:innen, die systemische
Rechten wie Pflichten ausgestattet ist. Konkrete
Logik ökonomischer Marktstrukturen konzep-
Form nimmt das CC vor allem durch von Unter-
tionell in die moralische Logik der Lebenswelt
nehmen finanzierte Projekte der (meist lokalen)
der Bürger:innen zu integrieren. Das Ziel dieser
Kulturförderung oder der Förderung von gesell-
Überlegungen besteht darin, Unternehmen stär-
schaftlich benachteiligten Personengruppen an.
ker als soziales Gefüge und nicht nur als „Trans-
CSR ist dagegen breiter definiert als unterneh-
aktionsraum“ zu verstehen und so die Markt-
merische Verantwortung für soziale und umwelt-
wirtschaft lebensdienlicher auszurichten. Doch
politische Belange, die durch die Einhaltung be-
handelt es sich vowiegend um Ansätze aus der
stimmter Kriterien bzw. durch Ergreifen spezifi-
32
Wie Unternehmen klimaneutral werden wollen und sollen
scher Maßnahmen wahrgenommen werden soll.
Vor allem institutionelle Investoren haben be-
Wichtig dabei: CSR-Maßnahmen erfolgen immer
reits vor längerer Zeit erkannt, dass durch die
auf freiwilliger Basis, die über die gesetzlichen
Klimakrise grundlegende Transformationspro-
Vorgaben, sofern vorhanden, hinausgehen.
zesse auf die Wirtschaft zukommen, die mit enormen unternehmerischen Risiken verbunden
Den CSR-Maßnahmen liegen ethische Leitlinien
sein können. Die Investoren-Perspektive hat Ein-
für Unternehmen zugrunde, die sich meist aus der
gang gefunden in verschiedene nichtstaatliche
pragmatisch-lösungsorientierten akademischen
Initiativen (zum Beispiel dem Carbon Disclosure
Disziplin der ‚Business Ethics‘ – verwandt, aber
Project, vgl. Kapitel 5.3) und in die sogenannte
nicht identisch mit der deutschen ‚Wirtschafts-
EU-Taxonomie, dem 2020 von der EU-Kommis
ethik‘ – aus dem angelsächsischen Kulturraum
sion lancierten Klassifikationssystem zur Bewer-
ableiten. Diese Disziplin entwickelt in erster Li-
tung von Technologien und Unternehmensinves-
nie bestimmte Standards, deren (Nicht-)Erfül-
titionen unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit
lung durch Unternehmen dabei in Kennzahlen
(vgl. Kapitel 4.4 und siehe Mayer 2020: 121–123).
gemessen werden kann. Insbesondere von der
Über die so in Regulierungsvorschriften gegosse-
abstrakter philosophisch angelegten deutschen
ne ESG-Logik und damit verbundene Kennzahlen
‚Wirtschaftsethik‘ wird dieser Ansatz zuweilen
und Kriterien lässt sich eine weitgehend quanti-
auch als „Katalog-Ethik“ abgetan, „an die sich
tative Vergleichbarkeit zwischen Unternehmen
Unternehmen dann hauptsächlich zum Zweck der
herstellen, die sich auch Wirtschaftsjournalist:in-
Berichterstattung und des Reporting […] halten.“
nen für ihre Analysen zunutze machen können
(Heidbrink/Lorch/Rauen 2019: 141–142)
und sollten. Die Klima-Indikatoren finden Eingang in die Nachhaltigkeitsberichte von größe-
An dieser quantitativen Herangehensweise lässt
ren Unternehmen, die durch EU-Richtlinien zu
sich sicher kritisieren, dass so eine tiefe Veran-
dieser Berichterstattung verpflichtet sind (vgl.
kerung von CSR-Prinzipien in der Unternehmens-
Kapitel 3.4).
kultur nicht automatisch vorangetrieben wird. Sie bietet aber auch den Vorteil einer zahlenbasierten
Das ESG-Konzept korrespondiert mit dem
Transparenz und damit Kontrollmöglichkeiten –
Modebegriff der Nachhaltigkeit (im Englischen
was gerade auch für die wirtschaftsjournalisti-
‚sustainability‘). Dieser etwas schwammige
sche Arbeit sehr hilfreich und sinnvoll sein kann.
und mittlerweile geradezu inflationär einge-
Investor:innen sehen dies schon länger so (Index
setzte Terminus bedeutet ursprünglich, dass
Association Industry 2023). In der Finanzwelt hat
bei Produktion und Konsum vor allem auch die
sich deshalb das bereits erwähnte ‚ESG‘-Konzept
Bedürfnisse nachfolgender Generationen be-
etabliert, das mittlerweile den klassischen CSR-
rücksichtigt werden sollen, was vor allem eine
Dreiklang aus „Wirtschaft-Ökologie-Soziales“ er-
Gegenposition zum Raubbau an natürlichen
setzt bzw. weiterentwickelt hat.
Ressourcen darstellt. Der Kerngedanke geht
33
Konzerne im Klimacheck
auf den sächsischen Berghauptmann Hanß Carl von Carlowitz zurück, der Anfang des 18. Jahr-
3.2 Was es genau mit der Klimaneutralität von Unternehmen auf sich hat
hunderts das Postulat aufstellte, dass sich der Holzeinschlag bei der Waldbewirtschaftung an
Der Begriff ‚klimaneutral‘ wird mittlerweile fast
der natürlichen Produktivität der Wälder orien-
so inflationär genutzt wie ‚nachhaltig‘. Viele Un-
tieren solle, um so ihren Erhalt für nachfolgen-
ternehmen strengen ihn an, um ihre Produkte
de Generationen zu sichern. Dieser ökologische
besser zu vermarkten. Mittlerweile reicht das An-
Nachhaltigkeitsansatz verweist aber auch auf
gebot vom klimaneutralen Babybrei über ‚100 %
einen systemimmanenten Konflikt: Bereits Carlo
CO2-neutrale‘ Wandfarbe bis hin zum klima
witz’ Diktum rief sogleich Proteste der Unter-
freundlichen SUV. Unternehmen heften sich aber
schichten hervor, denn diese betrachteten den
auch als gesamte Organisation das Label klima-
Kahlschlag beim damals vorherrschenden Wild-
neutral an. Wie zum Beispiel der US-Tech-Konzern
wuchs als Gewohnheitsrecht zur Existenzsiche-
Google. Doch was genau bedeutet ‚klimaneutral‘
rung. Bis in die Gegenwart hinein werden gegen
bzw. neutral für das Klima zu sein? Eine gängige,
ökologische Maßnahmen immer wieder Vorwür-
sehr allgemeine Definition besagt, dass mensch-
fe vorgebracht, diese gingen zulasten sozialer
liche Aktivitäten in Summe das Klima nicht be-
Belange – beispielsweise wenn es heißt, es
einflussen (dürfen). Es ließe sich auch von einer
würde in Kauf genommen, Kinder (ver)hungern
Netto-Null-Emission (‚Net Zero‘) sprechen, es
zu lassen, nur um seltene Käferarten zu schüt-
also insgesamt zu keinem Konzentrationsanstieg
zen.
von klimaschädlichen Gasen kommt.
Ott (2021: 308–313) verweist zudem auf die aus
Im öffentlichen Sprachgebrauch, vor allem der
seiner Sicht teilweise konfligierenden 17 „Sus-
Unternehmen selbst, kann ‚klimaneutral‘ Ver-
tainable Development Goals“ (SDG), die die
schiedenes bedeuten. Die am stärksten verbrei-
Vereinten Nationen 2015 als globalen Leitfaden
teten Varianten sind:
verabschiedet haben. Neben primär sozialethischen Zielen wie Geschlechtergleichheit, hoch-
CO2-Neutralität: Gemeint sind ausschließlich
wertige Bildung und Verhinderung von Hunger
die Kohlendioxid-Emissionen, die in Deutsch-
bilden hier Maßnahmen zum Klimaschutz eben-
land 87 Prozent der gesamten Treibausgase
falls ein Ziel. Ähnlich ausgerichtete Ziele wie die
ausmachen.
Sicherung einer guten Wasserversorgung und
Treibhausgas-Neutralität: Hier sind neben
-qualität und der Biodiversität kommen hinzu
CO2 auch alle weiteren Treibhausgase einbe-
und sind eingebettet in ein – im Vergleich zum
zogen. Zu diesen weiteren klimaschädlichen
ESG-Konzept – sehr viel breiteres Verständnis
Gasen gehören vorwiegend Distickstoffmono-
von Nachhaltigkeit, das sich inzwischen auch
xid (N2O, ‚Lachgas‘) und Methan (CH4), das
immer mehr im öffentlichen Gebrauch etabliert.
vor allem in der Landwirtschaft entsteht und
34
Wie Unternehmen klimaneutral werden wollen und sollen
um ein Vielfaches schädlicher ist als CO2. Um
nen Wertschöpfung liegen. Bei dieser – auch
eine THG-Gesamtbilanz erstellen zu können,
‚Offsetting‘ genannten – Variante finanziert
werden die Emissionseinheiten anderer Gase
das Unternehmen meist Klimaprojekte wie
in CO2-Äquivalente (in Millionen Tonnen) um-
Aufforstungen im globalen Süden (vgl. Kapi-
gerechnet, das heißt die einzelnen Gasarten
tel 3.4). Diese Klimamaßnahmen können die
erhalten einen ‚CO2-Faktor‘.
Unternehmen mit ihrer eigenen Klimabilanz verrechnen. Einige Unternehmen werden ohne
Darüber hinaus sind noch zwei weitere Parame-
solche Kompensationsgeschäfte klimaneutral
ter für die Bestimmung von Klimaneutralität rele
(Grothe/Teller 2021; Stiftung Familienunter-
vant:
nehmen 2023: 3–5), aber nicht alle Unternehmen (beispielsweise in der Zementindustrie)
Die Bilanzierungsgrenzen: Einige Unterneh-
können ihren THG-Ausstoß produktionsbe-
men bezeichnen sich als ‚klimaneutral‘ und
dingt massiv verringern. Deshalb erscheinen
meinen damit ausschließlich ihre direkten
Kompensationen an bestimmten Stellen der
Emissionen, also ihre eigene Produktion plus
Wirtschaft als notwendiges Übel. Allerdings
den dafür notwendigen Energieeinsatz, zum
nutzen Unternehmen das Offsetting auch, um
Beispiel durch Heizen oder Kühlen (dies wird
sich ‚freizukaufen‘ bzw. um Marketing zu be-
unter der Bezeichnung Scope 1 – Produk
treiben: Bestimmte Produkte – oder gar das
tion – und 2 – Energieeinsatz – erfasst, vgl.
gesamte Unternehmen – können so als klima-
Kapitel 4.1). Genau genommen gehören aber
neutral deklariert werden.
auch die indirekten Emissionen in der vorund nachgelagerten Wertschöpfung dazu,
Die verschiedenen Komponenten abwägend,
zum Beispiel die Emissionen von Zulieferern
soll hier im weiteren Verlauf eine engere Defi-
und der THG-Ausstoß, den Kund:innen durch
nition von Klimaneutralität Anwendung finden:
die Nutzung der Produkte erzeugen (Scope 3).
Gemeint ist eine Netto-Null-Treibhausgas-Neu
Grundsätzlich gibt es drei Wege, um sich als
tralität, die direkte wie indirekte Emissionen
Unternehmen der Klimaneutralität anzu
einbezieht. Da sich in einigen Branchen THG-
nähern: Vermeiden, vermindern, verrechnen.
Emissionen (noch) nicht vollständig vermeiden
Klimapolitisch gilt das Vermeiden als Königs-
lassen, wird ein einstelliger Prozentanteil von
weg, etwa durch den Einsatz erneuerbarer
Kompensationen an der THG-Gesamtmenge ak-
Energien. Reduzieren lässt sich der THG-Aus-
zeptiert. Die Gesamtmenge bezieht sich auf ein
stoß zum Beispiel durch den Verzicht auf
Basisjahr, in dem das Unternehmen seine Klima-
Dienstreisen und das Nutzen von recycelbaren
ziele bekanntgegeben hat. Es erscheint sinnvoll,
Verpackungen. Beim Verrechnen oder Kom-
dass Wirtschaftsjournalist:innen diese Defini
pensieren fördert das Unternehmen klima
tion als Basis und Maßstab für ihre eigenen Be-
freundliche Projekte, die außerhalb der eige-
wertungen nutzen.
35
Konzerne im Klimacheck
Exkurs: Der europäische Green Deal und das deutsche Klimaschutzgesetz
sollen vor allem durch Regulierung und finanzielle Förderung sowie durch öffentlichen Dialog diese Ziele erreicht werden (Dröge 2022).
Die meisten Unternehmen in Deutschland genießen weitgehende Freiheit, in welchem Ausmaß
Dazu gehören unter anderem ein Europäisches
und in welcher Weise sie ihren THG-Ausstoß re-
Klimaschutzgesetz, ein Aktionsplan für die Kreis-
duzieren und Klimaneutralität erreichen wollen.
laufwirtschaft sowie das Maßnahmenpaket „Fit
Allerdings haben die äußeren Einflüsse stetig
for 55“, mit dem der THG-Ausstoß bis 2030 auf
zugenommen. So etwa der Druck von Investor:in-
55 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 sin-
nen (vgl. Kapitel 3.1) und aus der Öffentlichkeit
ken soll. Die Standardisierung umweltbezoge-
durch Klimabewegungen wie Fridays for Future.
ner Angaben bzw. eine CSR-Berichtspflicht zählt
Viele Unternehmen versprechen sich aber auch
ebenfalls dazu (vgl. Kapitel 3.4) sowie eine Straf-
einen Imagegewinn durch nachhaltiges Han-
fung des Europäischen Systems für Emissions-
deln. Vor allem größere Unternehmen haben
handel, das gewissermaßen das Herzstück der
sich deshalb in den vergangenen Jahren mess-
europäischen Klima-Regulierung bildet.
bare Klimaziele gesetzt und zu deren Erreichen Klimastrategien entwickelt. Über die vergange-
Mit Hilfe des Emissionshandels reguliert die Eu-
nen zwei Jahrzehnte ist zudem ein größeres poli
ropäische Union die stärksten ‚Klimaverschmut-
tisches Rahmenwerk auf europäischer und na-
zer‘ unter den Unternehmen. 2005 hat die EU
tionaler Ebene entstanden, das aus staatlichen
das sogenannte Emission Trading System ein-
Regulierungsvorschriften wie aus finanziellen
geführt, um die THG-Emissionen dieser Unter-
Förderprogrammen besteht. Davon sind vor al-
nehmen schrittweise zu senken. Das marktba-
lem energieintensive Branchen direkt betroffen,
sierte Instrument funktioniert so: Die EU gibt in
andere Teile der Wirtschaft aber zumindest in-
Form von Zertifikaten ‚Verschmutzungsrechte‘ an
direkt.
Unternehmen aus, die über Börsen-Plattformen gehandelt werden können. Ein Unternehmen hat
Seit 2005 hat die Europäische Union umfassen-
nun drei Optionen:
de Maßnahmenpakete entwickelt, um in ihren Mitgliedsländern den THG-Ausstoß spürbar zu
Es nutzt seine Zertifikate vollständig.
reduzieren (vgl. dazu Europäischer Rat o. D.).
Es reduziert seine Emissionen und verkauft
2019 hat die EU-Kommission mit dem European
seine überschüssigen Zertifikate.
Green Deal einen Strategieplan verabschiedet,
Es stößt mehr THG aus, als es an Zertifikaten
mit dem die Europäische Union bis 2050 zum
erstanden hat – und muss dafür entweder
ersten klimaneutralen Kontinent avancieren
vorab mehr Zertifikate von anderen Unter-
soll. Im Zieldreieck von Sicherung der Energie-
nehmen kaufen oder aber eine Strafe zahlen,
versorgung, Umweltverträglichkeit und Wirt-
wenn es diese zusätzlichen Zertifikate nicht
schaftlichkeit (inklusive Wirtschaftswachstum)
vorweisen kann.
36
Wie Unternehmen klimaneutral werden wollen und sollen
Die Zahl der jährlich ausgegebenen, gültigen
Verkehrsbetreiber, vor allem der Flugverkehr
Zertifikate wird kontinuierlich reduziert, womit
innerhalb der EU, aber auch die Schifffahrt
sich der Marktpreis für das einzelne Zertifikat
und der Straßenverkehr.
immer weiter erhöht – es sei denn, die Nachfrage sinkt, weil sehr viele Unternehmen gleich-
Mit dem Emission Trading System werden indes
zeitig ihre THG-Emissionen gesenkt haben. Der
nur ca. 40 Prozent der Emissionen erfasst, die
große Vorteil des Systems besteht darin, dass
in der Europäischen Union in die Atmosphäre
das Gesamtergebnis in Gestalt der politisch
steigen. Um auch die anderen Emissionen mit
vorgegebenen Mengenziele erreicht wird, ohne
zu berücksichtigen, sind zusätzlich nationale
dass jeder Akteur die gleiche THG-Menge ein-
Regelungen und Maßnahmen erforderlich. Ende
sparen muss (Umweltbundesamt 2022; Zenke/
2019 hat in Deutschland die Große Koalition aus
Telschow 2022).
Union und SPD zu diesem Zweck das Brennstoff emissionshandelsgesetz verabschiedet, das auf
2023 hat die EU die Bestimmungen für den Emis-
nationaler Ebene ein Emissionshandelssystem
sionshandel verschärft. So werden die Ziele zur
für die Sektoren Wärme und Verkehr eingeführt
THG-Reduktion von 43 auf 62 Prozent bis 2030
hat (nEHS). Dieses System sieht ab 2021 eine
erhöht. Um dies zu erreichen, wird die Menge der
steigende CO2-Bepreisung für die Sektoren Ver-
Zertifikate doppelt so schnell reduziert wie bisher
kehr und Wärmeerzeugung vor, ab 2024 auch
(um 4,4 Prozent pro Jahr). Auch die größtenteils
für die Abfallwirtschaft. Bis 2025 legt das Gesetz
kostenlos ausgegebenen Zertifikate für Unterneh-
Festpreise fest, danach werden CO2-Zertifikate
men aus besonders energieintensiven Branchen
versteigert. Das nEHS gilt nur für Bereiche, die
sollen schrittweise auslaufen (o. V. 2023a).
nicht vom Europäischen Emissionshandel erfasst werden und setzt dort an, wo die Brenn-
Zudem ist der Kreis der Branchen, die am Emis-
stoffe in Verkehr gebracht werden, etwa beim
sionshandel teilnehmen müssen, ausgeweitet
Heizen oder Autofahren (Stiftung Familienunter-
worden. Er umfasst nach aktuellem Stand:
nehmen 2023: 21; Vollmer 2022). Ab 2024 sind die nEHS-Emissionen zudem berichtspflichtig.
Energiewirtschaft: Unternehmen, die mit Hilfe fossiler Brennstoffe (Kohle, Öl, Gas) Ener-
Das nEHS bildet den Kern des Klimaschutzplans
gie erzeugen.
vom Oktober 2019. Dazu gehört ebenso das Bun-
Produzierendes Gewerbe: Unternehmen, die
des-Klimaschutzgesetz. Es soll – wie der Euro
Stahl, Aluminium, Zement, Glas oder Papier
pean Green Deal – dazu dienen, das vom Pariser
herstellen, sowie große Teile der chemischen
Klimaschutzabkommen gesetzte Ziel zu errei-
Industrie.
chen, die Erderwärmung bis 2050 unter 1,5 Grad
Weitere energieintensive Branchen, vor allem
im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu hal-
im Rohstoffsektor (Steinkohlebergbau, Raffi-
ten. Im Bundes-Klimaschutzgesetz wird das Jahr
nerien, Kokereien etc.).
2045 (ursprünglich 2050) als Deadline für das 37
Konzerne im Klimacheck
Erreichen der Klimaneutralität festgeschrieben –
arden Euro. Hinzu kommen die Einnahmen aus
also fünf Jahre vor der Europäischen Union ins-
dem europäischen und deutschen Emissions-
gesamt (Bundesministerium für Wirtschaft und
handelssystemen, die sich 2022 auf 13 Milliar-
Klimaschutz 2022; Saurer 2022).
den Euro summierten und in den sogenannten Klima- und Transformationsfonds flossen, mit
Für die Jahre 2030 und 2040 sind Zwischenziele
dem die Energieeffizienz von Unternehmen er-
definiert. Im März 2021 erklärte das Bundesver-
höht werden soll (Stiftung Familienunternehmen
fassungsgericht allerdings Teile des Bundes-
2023: 20–21).
Klimaschutzgesetz für verfassungswidrig, weil für die Zeit nach 2030 keine konkreten Etappenziele formuliert wurden. Damit werde die Last der THG-Reduktion unverhältnismäßig auf die
3.3 Europäische Berichtspflichten und deutsche Nachhaltigkeitsberichte
jüngeren Generationen verlagert. Die Ampel-
Die in Kapitel 3.1 vorgestellte ‚Katalog-Ethik‘ hat
Koalition aus SPD, Grünen und FDP hat das Bun-
sich in Forschung und Praxis weitestgehend als
des-Klimaschutzgesetz deshalb im August 2022
Konsens zur Erfassung und Messung der Unter-
novelliert und die quantitativen Ziele verschärft,
nehmensnachhaltigkeit etabliert – und ist ten-
ohne allerdings konkrete Maßnahmen für die Re-
denziell an quantitativ messbaren Zielen ausge-
duktion des THG-Ausstoßes zu beschließen. Für
richtet. Der Begriff ‚Katalog‘ suggeriert allerdings,
den Zeitraum 2031-2040 hat die Koalition Etap-
dass Unternehmen selbst entscheiden, welche
penmarken eingeführt, jedoch nur für die Wirt-
‚besten Stücke‘ sie für ihre öffentliche Übersicht
schaft insgesamt (plus Gebäude) und nicht für
ausstellen. Dies stimmt insofern, als Unterneh-
die einzelnen Sektoren (wie es für das Jahrzehnt
men bisher relativ frei entscheiden können, wel-
zuvor der Fall war). 2023 hat die Ampel-Koalition
che Indikatoren sie für ihre ESG-Berichterstattung
die Sektoren-Ziele schrittweise wieder zurückge-
auswählen und welche sie lieber unter den Tisch
nommen, obwohl einige Sektoren in den Vorjah-
fallen lassen. Die Katalog-Metapher ist aber auch
ren ihre Klimaziele deutlich verfehlt hatten (o. V.
tendenziell irreführend, denn über die Zeit hat
2023b). Dies passt in das Gesamtbild: Wenn
sich ein relativ festes Set an relevanten Öko-In-
Deutschland seine Treibhausgase weiter nur in
dikatoren herausgebildet, das fast alle Unterneh-
der jetzigen Größenordnung verringert, wird es
men in ihr Reporting aufnehmen (vgl. Kapitel 4).
die angestrebte Klimaneutralität im Jahr 2045 auf keinen Fall erreichen (Reyer 2023).
Wie aber entscheiden Unternehmen, welche Indikatoren sie berichten und welche nicht? Um diese
Ein weiterer Pfeiler des deutschen Klimaschutz-
Priorisierung nachvollziehen zu können, bietet es
plans: Der Bund unterstützt klimapolitische Maß-
sich für Wirtschaftsjournalist:innen an, sich die
nahmen der Wirtschaft von 2021 bis 2025 durch
‚Wesentlichkeitsanalyse‘ der Unternehmen anzu-
diverse Förderprogramme in Höhe von 93 Milli-
schauen. Eine solche Analyse ist ab 2024 gesetz-
38
Wie Unternehmen klimaneutral werden wollen und sollen
lich vorgeschrieben und macht auch auf meist
zumindest bei zukunftsgerichteten Aussagen
ansehnliche Weise transparent, welche Aspekte
spekulativen Charakter haben müssen (May-
von Nachhaltigkeit zu den Topthemen des Unter-
er 2020: 106). Diese Schätzungen werden in
nehmens gehören (Mayer 2020: 45–47).
der Regel auch nicht veröffentlicht. Wie das Ergebnis einer auf dieser Grundlage erstellten
Allgemein verbindlicher Ausgangspunkt für die
Wesentlichkeitsanalyse in grafischer Darstel-
entsprechende Analyse der Unternehmen ist der
lung aussieht, zeigt Abbildung 1 am Beispiel
Grundsatz der ‚doppelten Wesentlichkeit‘ (vom
des mittelständischen Unternehmens Schwörer
englischen ‚double materiality‘), der aus der
Haus.
klassischen Rechnungslegung stammt. Es wird erfasst, was relevant ist – alles andere findet
Die Wesentlichkeitsmatrix des schwäbischen
keine Erwähnung. Das Adjektiv ‚doppelt‘ bezieht
Holzfertighaus-Herstellers listet auf, welche The-
sich dabei auf zwei Perspektiven, die das Unter-
men und Einflüsse für das Unternehmen relevant
nehmen einnimmt:
sind (outside-in) und welche Unternehmenseinflüsse für die Außenwelt in Gestalt der Stakehol-
outside-in: Alle Außeneinflüsse auf das Un-
der (inside-out) Bedeutung haben. Dazu hat das
ternehmen, die das Geschäftsmodell und da-
Unternehmen zunächst eine interne Analyse vor-
mit auch das Geschäftsergebnis beeinflussen
genommen und dann eine Umfrage unter seinen
(können), darunter eben auch die Auswirkun-
Stakeholdern durchgeführt. Die in der Wesent-
gen der Klima-Krise.
lichkeitsanalyse zusammengeführten Ergebnis-
inside-out: Alle Einflussfaktoren des Unter-
se können zu einer Anpassung der Nachhaltig-
nehmens nach außen, vor allem auf seine An-
keitsstrategie oder gar des Geschäftsmodells
spruchsgruppen (‚Stakeholder‘) im weitesten
führen.
Sinne – nicht nur Inverstor:innen, Kund:innen und Anwohner:innen, sondern auch ‚stum-
Die Wesentlichkeitsanalyse ist aber – wie ein-
me‘ Stakeholder wie Klima und Biodiversität
gangs erläutert – auch wichtig für die Kommuni-
(Mayer 2020: 45–48, 101–102).
kation des Unternehmens, das heißt die als herausragend identifizierten Themen finden meist
Die jeweiligen Auswirkungen (‚Impacts‘) sollen
Eingang in die entsprechenden Berichte, be-
in der Analyse möglichst in messbaren Größen
vorzugt sollte dies basierend auf validen Kenn-
dargestellt werden, etwa welche Auswirkungen
zahlen geschehen. Dabei können verschiedene
CO2-Emissionen auf das Geschäftsergebnis
Dokumente als Kommunikationsformat dienen:
und dessen künftige Entwicklung haben. Es ist allerdings auch klar, dass sich solche Ursa-
Im jährlichen Geschäftsbericht von Unterneh-
che-Wirkung-Zusammenhänge bestenfalls auf
men müssen wesentliche Nachhaltigkeits
Basis von Schätzungen ermitteln lassen und
aspekte zumindest kurz erfasst werden.
39
Konzerne im Klimacheck
atz 1),
arbeiter/innen
erantwortung
Der jährliche Nachhaltigkeitsbericht enthält
Seit einigen Jahren veröffentlichen Unterneh-
ausführliche ESG-Informationen. Meist er-
men auch sogenannte integrierte Berichte.
scheint er zu einem anderen, meist späteren
Diese kombinieren den Geschäftsbericht mit
Zeitpunkt als der Geschäftsbericht.
dem Nachhaltigkeitsbericht.
EITSANALYSE
wortung
ng in der Lieferkette
chaftliches Umfeld
Abbildung 1: Bewerten Sie die einzelnen Nachhaltigkeitsaspekte nach ihrer derzeitigen Relevanz Wesentlichkeitsmatrix von SchwörerHaus 2021/22 für Unternehmen wie Schwörer
erantwortung
ortung
itarbeiter/innen
schnittliche n der Lieferkette Kapitel in der
chaftliches Umfeld
Wirtschaftlicher Erfolg und Stabilität
wortung
g in der Lieferkette
chaftliches Umfeld
tung der defiShortlist“, unhaltigkeitskatedie aktuelle ktiven Einschätden kommenen für die stellung bildet ende Priorisie-
121 externe r an der Befran transparentes bnis ist in diend. So gehören her Erfolg“, sungen“ und entlichsten Fakmen wie rantwortung“ ung zu sein.
sehr hoch
Bedeutung für unser Unternehmen (Outside-in)
arbeiter/innen
Zukunftsfähige Innovationen und Baulösungen Rohstoffverfügbarkeit Maßnahmen zur Beschäftigungssicherung Kundengesundheit und -sicherheit
Nachhaltiger Einsatz von Ressourcen
Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz
Maßnahmen zum Klimaschutz
Rechtskonformes Handeln
Klimafreundliche Produkte
Krisenmanagement
Lokale Partnerschaften
Nachhaltige Logistik Aus- und Weiterbildung zur Qualifizierung
Diversität, Chancengleichheit und faire Arbeitsbedingungen Standards in der Lieferkette Digitale Verantwortung
hoch
erantwortung
Regionaler Mehrwert
Beteiligung Anspruchsgruppen
hoch
sehr hoch
Wirkung unserer Geschäftsaktivitäten (Inside-Out)
tungen aller ichkeitsanalyse:
Unternehmen
Produkt- und Kundenverantwortung
Gesellschaftliches Umfeld
Verantwortung in der Lieferkette
Verantwortung für Mitarbeiter/innen
Ökologische Verantwortung
Quelle: SchwörerHaus (o. D.: 21). Der Nachhaltigkeitsbericht deckt den Berichtszeitraum 01.10.21–30.9.2022 ab.
40
21
Wie Unternehmen klimaneutral werden wollen und sollen
Wie ist der aktuelle Stand? Es gibt Unternehmen,
Der Deutsche Nachhaltigkeitskodex (2011) ist
vor allem Konzerne, die ihre Nachhaltigkeits-Per-
im Aktiengesetz verankert und fordert börsen-
formance schon seit Längerem in jährlichen
notierte Unternehmen dazu auf, sich jährlich zu
Nachhaltigkeitsberichten bilanzieren. Und zwar
den 20 Empfehlungen des Kodex (Strategie, An-
freiwillig. Größere Unternehmen müssen seit
reizsysteme, klimarelevante Emissionen, Men-
einigen Jahren jedoch öffentlich über ihre Öko-
schenrechte etc.) zu erklären (Deutscher Nach-
und Sozialbilanz Auskunft geben. Und ande-
haltigkeitskodex o. D.). Bei Nicht-Einhaltung
re, vornehmlich kleinere und mittelständische
muss eine Erklärung für die Gründe abgegeben
Unternehmen, werden in den nächsten Jahren
werden. Der Nachhaltigkeitskodex ist letztlich ein
berichtspflichtig. Die Menge der öffentlich ver-
freiwilliges Transparenzinstrument und dient(e)
fügbaren Klimadaten von Unternehmen nimmt
eher als Übergangslösung, bis neue gesetzliche,
also stetig zu, was die journalistische Berichter-
EU-basierte Regelungen gegriffen haben oder
stattung enorm erleichtern dürfte.
noch greifen werden. Gleichwohl ist vor allem die Datenbank des Deutschen Nachhaltigkeitskodex
Insgesamt wurde und wird die Berichtspflicht in
von journalistischem Interesse, in der auch mit-
Deutschland bzw. in der EU sukzessive ausge-
telgroße, nicht börsennotierte Unternehmen
weitet, sie ist aber auch zunehmend spezifiziert
ihre Entsprechenserklärungen veröffentlichen.
worden, wie die nachfolgend dargestellten, ein-
Dort sind mehr als 1.000 Unternehmen erfasst,
zelnen Entwicklungsstufen belegen:
die zum Großteil bisher nicht berichtspflichtig sind – von den Berliner Verkehrsbetrieben bis
Mit dem Bilanzmodernisierungsgesetz (2004) hat
zum Zweiten Deutschen Fernsehen.
der deutsche Gesetzgeber die Pflicht für große Kapitalgesellschaften eingeführt, wesentliche
Im Jahr 2014 hat die EU-Kommission eine Richt
Nachhaltigkeitsaspekte in einer sogenannten
linie verabschiedet, die vor allem größeren Un-
nicht-finanziellen Erklärung zu erläutern. Diese ist
ternehmen eine Berichtspflicht auferlegt. 2017
in der Regel Teil des Lageberichts im Geschäfts-
ist mit dem CSR-Richtlinien-Umsetzungsgesetz
bericht, kann aber auch separat veröffentlicht
das deutsche Recht an die EU-Richtlinie ange-
werden. Wenn Unternehmen ihren ausführlichen
passt worden. Seitdem unterliegen folgende
Nachhaltigkeitsbericht zu einem späteren Zeit-
Unternehmensarten einer Berichtspflicht (vgl.
punkt veröffentlichen, kann auch der nicht-finan-
Mayer 2020: 109):
zielle Teil des Geschäftsberichts journalistisch genutzt werden, zum Beispiel anlässlich einer
große Kapitalgesellschaften mit mehr als
Bilanz-Pressekonferenz. Denn in der Regel ste-
40 Millionen Euro Jahresumsatz und 250 Be-
hen dort bereits valide Zahlen (zum Beispiel zum
schäftigten,
Treibhausgas-Ausstoß des Unternehmens), die
kapitalmarktorientierte Unternehmen in der
sich dann meist noch ausführlicher im späteren
Rechtsform von Handels- und Kommandit
Nachhaltigkeitsbericht finden.
gesellschaften, 41
Konzerne im Klimacheck
Unternehmen, die mehr als 500 Mitarbei-
eine durchschnittliche Mitarbeiterzahl im
ter:innen im Jahresdurchschnitt beschäftigen
Geschäftsjahr von mindestens zehn Beschäf-
sowie
tigten.
Banken und Versicherungen. Damit wird die Zahl der berichtspflichtigen Die betroffenen Unternehmen müssen Risiken
Unternehmen von derzeit 500 auf schätzungs-
und Ergebnisse auf den ESG-Feldern Umwelt,
weise 15.000 ansteigen (Müller 2023; Stiftung
Soziales und Unternehmensführung dokumen-
Familienunternehmen 2023: 15–16).
tieren. Dabei lehnen sich die meisten an die Systematik der Global Reporting Initiative (GRI)
Die Berichte unterliegen dann auch einer – aller-
an. Die internationale Multi-Stakeholder-Stif-
dings beschränkten – externen Prüfpflicht. Das
tung (Investoren, Vereinte Nationen etc.) hat
zweite große Ziel, die Vereinheitlichung, steht in
umfassende Standards für die ESG-Berichter-
engem Zusammenhang mit dem Anspruch der
stattung einzelner Branchen ausgearbeitet und
EU-Kommission, die nicht-finanzielle Bericht-
entwickelt diese ständig weiter. Nach dem Ge-
erstattung mit der klassischen Finanzberichter-
setz von 2017 haben Unternehmen allerdings
stattung gleichzustellen. Die betroffenen Unter-
weitgehende Freiheit, worüber sie in welchem
nehmen müssen dann ihre Nachhaltigkeitsstra-
Umfang berichten. Zudem gibt es bisher auch
tegie, ihre Klimaziele und Zwischenergebnisse
keine Pflicht, den Nachhaltigkeitsbericht von
veröffentlichen. Darüber hinaus müssen sie
einem/einer externen Prüfer:in testieren zu las-
ihre Maßnahmen und quantitativen Ergebnis-
sen – wie dies bei Geschäftsberichten der Fall
se nach der Logik der Taxonomie-Verordnung,
ist, die von Wirtschaftsprüfer:innen zertifiziert
des EU-Klassifikationssystems für betriebliche
werden müssen.
Finanzströme (vgl. Kapitel 4.4), dokumentieren. Das Klassifikationssystem sieht für die Oberka-
Mit ihrer im Dezember 2022 vorgestellten neuen
tegorie ‚Umwelt‘ (‚enviromental‘) die Unterkate-
CSR-Richtlinie will die EU-Kommission die Be-
gorien Klimaschutz, Anpassung an den Klima-
richterstattung stärker vereinheitlichen und wei-
wandel, Wasser und Meeresressourcen, Kreis-
tet zudem die Berichtspflicht sukzessive aus:
laufwirtschaft, Umweltverschmutzung sowie
So sollen die neuen Standards (siehe unten) ab
biologische Vielfalt und Ökosysteme vor. Hinzu
2024 für alle Unternehmen gelten, die bereits
kommen unter ‚Soziales‘ (‚social‘) vier weitere
jetzt berichtspflichtig sind. In zwei Schritten
Kategorien (Gleichberechtigung, Arbeitsbedin-
müssen dann bis 2027 auch kleinere Unterneh-
gungen, Menschenrechte, demokratische Pinzi-
men berichten, die zum Bilanzstichtag mindes-
pien) sowie die Einzelkategorie ‚Unternehmens-
tens zwei der folgenden drei Kriterien erfüllen:
führung‘ (‚Governance‘, vgl. Müller 2023).
42
Bilanzsumme ab 350.000 Euro,
Diese sogenannten Standards waren anfänglich
Umsatzerlöse ab 700.000 Euro oder
mit insgesamt 84 Offenlegungspflichten verbun-
Wie Unternehmen klimaneutral werden wollen und sollen
den, die im Laufe des Konsultationsprozesses
dagegen bisher eher selten für ihre Arbeit ge-
zur Richtlinie bis Juli 2023 allerdings keine wirk-
nutzt (vgl. Kapitel 2).
lichen Pflichten mehr waren. Die EU-Kommission relativierte die Anforderungen insofern, als sie lediglich in einer Wesentlichkeitsanalyse thematisiert sein müssen – die das Unternehmen selbst durchführt. Ein Wegfall des Themas ‚Kli-
Die Nachhaltigkeitsberichte in Deutschland tätiger Unternehmen
maschutz‘ in den Berichten des Unternehmens
Seit 1994 hat das Institut für ökologische Wirt-
ist dadurch möglich, auch wenn er begründet
schaftsforschung zusammen mit dem Verein
werden muss. Andere Aspekte, beispielsweise
„future“ ein Ranking von Nachhaltigkeitsbe-
derjenigen der biologischen Vielfalt, können je-
richten in Deutschland tätiger Unternehmen
doch ohne weitere Begründung in der Bericht-
durchgeführt – letztmalig für das Berichtsjahr
erstattung des Unternehmens weggelassen
2021. Dabei wurden die nach Umsatz bzw.
werden. Die Umweltschutzorganisation WWF
Bilanzsummer 100 größten Unternehmen un-
kritisiert daher, dass der Wegfall einer durchge-
tersucht sowie kleine und mittelständische
henden Offenlegungspflicht zu erheblichen Da-
Unternehmen, die ihre Nachhaltigkeitsbe-
tenlücken führen wird und so die Vergleichbar-
richte aus eigener Initiative einreichen (2021
keit von Unternehmen erschwert (World Wildlife
waren es 39 freiwillige Einreichungen). Die
Fund 2023).
wichtigsten Ergebnisse dieser Analysen:
Tatsächlich ist die bisherige Qualität der Bericht-
Nur 62 der 100 größten Unternehmen veröf-
erstattung in Hinsicht auf Verständlichkeit, Re-
fentlichten einen eigenständigen Nachhaltig-
levanz, Repräsentativität sowie Vergleichbarkeit
keitsbericht oder einen integrierten Bericht.
sehr durchwachsen und deshalb verbesserungs-
Jeder fünfte Bericht war ein integrierter Be-
bedürftig. Die meisten Unternehmen nutzen ihre
richt.
Nachhaltigkeitsberichte gezielt als PR-Instru-
Fast drei Viertel der Großunternehmen gab
ment, selbst wenn sie ihre objektive Berichts-
an, klimaneutral werden zu wollen, bei den
pflicht in Hinblick auf die bereitgestellten Daten
kleinen und mittleren Unternehmen war es
erfüllen. Einige berichten sehr ausführlich und
knapp die Hälfte. Oft blieb aber offen, was
präzise, andere wiederum ergehen sich in wol-
die Unternehmen genau unter Klimaneutrali-
kigen Ausführungen und führen lediglich eigene
tät verstehen (vgl. Kapitel 3.2).
Highlights an, die kein fundiertes Gesamtbild
Die qualitativ besten Nachhaltigkeitsberich-
vom Unternehmen zulassen. Nachhaltigkeits
te lieferten bei den Konzernen die Deutsche
berichte richten sich in der Regel an Investor:in-
Telekom, die Rewe-Gruppe und der Pharma
nen, Partnerunternehmen, einschlägig engagier-
hersteller Merck. Bei den kleinen und mittle-
te Nichtregierungsorganisationen sowie interes-
ren Unternehmen waren es der Möbelherstel-
sierte Laien. Journalist:innen haben die Berichte
ler Assmann, die Pure Taste Group (Lebens 43
Konzerne im Klimacheck
baum) und die Brauerei Neumarkter Lamms-
vollständig zu vermeiden. Teils können Unter-
bräu.
nehmen auch sehr hohe Kosten entstehen, wenn
Die quantitativen Angaben der Unternehmen
sie klimaschädliche Emissionen reduzieren woll-
zum Klimaschutz und zu Menschenrechten in
ten oder müssten – ein Grund für die Etablierung
der Lieferkette, also außerhalb des Unterneh-
des EU-Zertifikate-Handel (Kreibich et al. 2021:
mens, waren oft lückenhaft.
13). Diese Unternehmen sind darauf angewie-
Die meisten Unternehmen sind deutlich aus-
sen, ihre Klimabilanz zumindest teilweise durch
kunftsfreudiger, wenn es um Ziele und He
sogenanntes Offsetting, also Klimaschutz-Maß-
rausforderungen geht als bei konkreten Maß-
nahmen außerhalb der eigenen Wertschöp-
nahmen und messbaren Indikatoren (vgl. In-
fungskette, auszugleichen.
stitut für ökologische Wirtschaftsforschung/ future e. V. 2022: 3).
‚Außerhalb‘ meint in der Regel, dass in völlig anderen sozioökonomischen Bereichen und auch anderen geografischen Regionen als denen der
3.4 Freiwillige Klimazertifikate: Moderner Ablasshandel?
eigenen unternehmerischen Tätigkeit ein Ausgleich vorgenommen wird. In geringem Maße werden beim Offsetting technische Maßnah-
Da nur knapp die Hälfte des THG-Ausstoßes in
men zur CO2-‚Beseitigung‘ (zum Beispiel durch
der Europäischen Union direkt über den Zertifi-
CO2-Abscheidung und Speicherung) finanziert,
kate-Handel reguliert und auch in der Bundesre-
die bisher aber in keinem günstigen Kosten-Nut-
publik nur Teile erfasst werden, haben die meis-
zen-Verhältnis stehen (Franck 2022; Stiftung Fa-
ten Unternehmen weitgehende Wahlfreiheit, wie
milienunternehmen 2023: 4). Vielmehr handelt
und in welchen Etappen sie ihre Klimaneutralität
es sich meist um die Schaffung von natürlichen
erreichen. Es gilt zwar der Grundsatz: „Vermeiden
CO2-Senken in Ländern des globalen Südens,
ist besser als kompensieren“, doch hat dieser
vornehmlich Aufforstungsprojekte oder den Bau
in erster Linie die Wirkmacht eines moralischen
von Windparks und Solaranlagen.
Imperativs. Also greifen viele Unternehmen auf das Instrument der freiwilligen Kompensation
So führt etwa das Aufforsten von Gebieten zu ei-
zurück. Dieser Markt wird teils von öffentlichen
nem größeren Baumbestand. Ökologisch intakte
Anbietern wie der UN, zum großen Teil aber von
Bäume wiederum ziehen CO2 aus der Atmosphäre
Privatunternehmen organisiert.
und speichern es. Die (geschätzte) Menge an Treibhausgasen, die durch diese Projekte redu-
Ohne Frage gibt es Sektoren (zum Beispiel die
ziert wird, kann sich das projektfinanzierende
Landwirtschaft) und Branchen in der Wirtschaft
Unternehmen gutschreiben und mit seinem ei-
(beispielsweise die Zementindustrie), in denen
genen THG-Ausstoß verrechnen. Theoretisch
es bisher keine technisch hinreichenden Lösun-
könnte ein Unternehmen also seine THG-Emis-
gen gibt, um den THG-Ausstoß weitestgehend
sionen in der eigenen Wertschöpfung nicht nur
44
Wie Unternehmen klimaneutral werden wollen und sollen
reduzieren, sondern sich mit Hilfe von Zertifika-
Kunden sind neben US-Konzernen wie Boeing
ten vollständig ‚freikaufen‘, ohne an der eigenen
und Disney auch deutsche Unternehmen wie
Produktionsweise etwas zu verändern. Die NGO
SAP und Bayer. Der italienische Modekonzern
Foodwatch hat diesen Mechanismus daher –
Gucci hat auf seiner Webseite damit gewor-
nicht ganz zu Unrecht – als „modernen Ablass-
ben, klimaneutral zu produzieren – auf Basis
handel“ gebrandmarkt (Foodwatch 2022: 9, 48).
von Verra-zertifizierten Zertifikaten. Kurz nach
So gibt es einige Konzerne wie die Modemarke
der Veröffentlichung von Zeit und Guardian hat
Gucci, die ihre Klimabilanz ausschließlich über
das Unternehmen diese ‚Information‘ wieder
solche Zertifikate finanziert haben. Die meisten
entfernt. Und der Verra-Vorstandschef hat in-
Unternehmen nutzen Klimaschutz-Zertifikate je-
zwischen sein Amt ohne Angabe von Gründen
doch ‚nur‘ partiell, um beim Klimaschutz besser
aufgegeben (Fischer/Knuth 2023b).
dazustehen. Der Zeit-Artikel beruft sich unter anderem auf Eine vollständige Finanzierung der Klimabilanz
zwei wissenschaftliche Studien, die Autor:innen
über Zertifikate ist auch nicht kompatibel mit
haben aber auch ausgiebig vor Ort und in Daten-
den Klimaschutzzielen des Pariser Abkommens
banken recherchiert. Ihr erschreckendes Ergeb-
von 2015. Mit dem Abkommen haben sich zu-
nis: 94 Prozent der Zertifikate dürften „wertlos“
dem viele Schwellen- und Entwicklungsländer
sein, weil mit ihnen de facto kein CO2 eingespart
verpflichtet, nationale Klimaschutzziele zu set-
worden sei. Ein gemeinsames Rechercheprojekt
zen und zu realisieren. Damit ist der ‚offene‘
des Online-Magazins Flip und der Wirtschafts-
Bereich für Zertifikate geschrumpft. Offiziell
woche agiert zwar nur auf der Basis einer Stich-
zumindest. Der Markt boomt dessen ungeach-
probe („Selbstversuch“), ist aber nicht minder
tet weiter. Was umso fataler ist, als sich der
aufschlussreich. Hier kauft der Autor äußerst
freie Markt für Klimaschutz-Zertifikate nicht nur
preisgünstig CO2-Zertikate für ein brasiliani-
als sehr intransparent, sondern obendrein als
sches Staudamm-Projekt im Online-Shop der
teilweise unseriös erwiesen hat. Wie Recher-
Vereinten Nationen. Die Zertifikate verkauft ein
chen der Wochenzeitung Die Zeit sowie des bri-
brasilianisches Handelsunternehmen, das sich
tischen Guardian zeigen, „wurden über Jahre
mehr oder minder als Briefkastenfirma ent-
offenbar Millionen CO2-Zertifikate verkauft, die
puppt. Zudem kommen bei einer Vor-Ort-Recher-
es nicht hätte geben dürfen. Die Recherchen le-
che durch den Journalisten starke Zweifel auf,
gen nahe, dass zahlreiche Waldschutzprojekte
ob das Projekt nicht auch ohne den Verkauf der
ihre Kompensation um ein Vielfaches überbe-
Zertifikate realisiert worden wäre (Dietsch 2023).
werteten, weil die Regeln des wichtigsten Zer-
Damit würde das Zertifizierungskriterium der so-
tifizierers auf dem Markt das zulassen – und
genannten Zusätzlichkeit nicht erfüllt werden.
die Aufsicht versagt.“ (Fischer/Knuth 2023a:
Was bedeutet, dass das Projekt nicht ohne den
19) Der besagte Zertifizierer heißt Verra und
zusätzlichen Anreiz eines Zertifikats in Angriff
kontrolliert rund 80 Prozent des Marktes. Seine
genommen worden wäre. 45
Konzerne im Klimacheck
Die Beispiele machen deutlich, dass es haupt-
gemeinhin als effektives Marketinginstrument,
sächlich an der Überprüfbarkeit und tatsäch
um vor allem jüngere Generationen zu erreichen.
lichen Überprüfung der aufgestellten Kriterien
Deshalb ist der Anreiz hoch, sich als Unterneh-
mangelt. So gibt es zwar noch eine Reihe weite-
men mit diesen Etiketten zu schmücken oder für
rer Kriterien, um die Seriosität einer Maßnahme
einzelne Produkte den Eindruck zu erwecken, sie
zu prüfen, zum Beispiel:
würden klimaneutral hergestellt.
Das Projekt muss dauerhaften Charakter
Eine aktuelle Studie des Verbraucherzentrale
haben, mithin kein vorübergehendes Vor-
Bundesverband zeigt, dass das Etikett „Klima-
führ-Projekt sein und
neutral – CO2-kompensiert“, also basierend auf
die Umweltintegrität muss gewährleistet
zugekauften Zertifikaten, dabei noch größere
sein, das heißt das Projekt darf keine negati-
Imagegewinne erzielt als einfach nur „klimaneu-
ven sozialen Nebeneffekte haben – sich also
tral“, wahrscheinlich aus mangelnder Kenntnis
nicht negativ auf die Arbeits- und Lebensbe-
der Verbraucher:innen (Zühlsdorf et al. 2023:
dingungen der Menschen in der betroffenen
58). So hebt zum Beispiel der Mineralöl-Konzern
Region auswirken (vgl. Franck 2022; Kreibich
Shell hervor, dass er den Wert seiner THG-Emis-
et al. 2021: 14).
sionen (im Vergleich zu 2016) bis 2030 halbieren wolle. Der angegebene Wert bezieht allerdings
Erkennbar wird jedoch, welche genaue Prüfung
nicht die Emissionen mit ein, die durch die Nut-
notwendig ist, um beide Ansprüche fundiert
zung von Shells Mineralöl-Produkten entstehen.
evaluieren und einschätzen zu können. Wirt-
Werden diese mitbetrachtet, machen Autoab-
schaftsjournalist:innen sollten grundsätzlich
gase und Heizemissionen mehr als 90 Prozent
dem Einsatz von Klima-Zertifikaten kritisch ge-
der THG-Emissionen des Konzerns aus (Heuser/
genüber stehen und überprüfen, dass gemäß
Rohrbeck 2023; Shell o. D.)
der Definition von Klimaneutralität in Kapitel 3.2 höchstens ein einstelliger Prozentanteil an Zer-
Mit diesen Praktiken laufen Unternehmen aller-
tifikaten zum Erreichen des Null-Emission-Ziels
dings auch Gefahr, Vorwürfe des ‚Greenwashings‘
eingesetzt wird.
auf sich zu ziehen, sich also ein nachhaltiges Image zu geben, das nicht oder zumindest nicht
3.5 ‚Greenwashing‘ und wie die EU dagegen vorgehen will
vollständig den Tatsachen entspricht. Greenwashing ist mittlerweile zu einem gesellschaftspolitischen Problem geworden, jedenfalls aus Sicht
Trotz aller fragwürdigen Praktiken auf dem ‚frei-
von Bundesumweltministerin Steffi Lemke. „Fakt
en‘ Zertifikate-Markt scheinen viele Unterneh-
ist: Wir erleben seit einiger Zeit eine regelrechte
men gern zuzugreifen. Mit Begriffen wie ‚bio‘,
Flut an Greenwashing“, sagte die Umweltminis-
‚nachhaltig‘ oder ‚klimaneutral‘ zu werben, gilt
terin im Mai 2023 in einem Interview mit Zeit
46
Wie Unternehmen klimaneutral werden wollen und sollen
Online und Flip. „Es gibt massive Versuche, die
diese vor allem eine Reaktion auf verstärkten
eigenen Gewinne zu steigern, indem mit frag-
öffentlichen Druck ist, beispielsweise vonseiten
würdigen Umweltversprechen geworben wird.“
der Klima-Bewegung. Wahrscheinlich haben die
(Heuser/Rohrbeck 2023)
Erwartungen von Investor:innen sogar eine noch größere Rolle gespielt. Entscheidend ist jedoch,
Bereits jetzt haben Unternehmen und Verbän-
dass sich langsam aber sicher eine ganzheitliche
de die Möglichkeit, über das Gesetz gegen
Betrachtung von Unternehmen Bahn bricht, was
unlauteren Wettbewerb gegen falsche Werbe-
sich beispielweise in der EU-Taxonomie und im
sprechen, also auch gegen Greenwashing, ju-
ESG-Konzept niederschlägt.
ristisch vorzugehen. Eine neue Richtlinie der EU-Kommission wird die Werbung mit umwelt-
Während sich viele Unternehmen in Richtung
bezogenen Aussagen allerdings noch stärker
eines ganzheitlichen Selbstverständnisses ent-
und spezifischer regulieren. Nach der „Green
wickeln, heften sich inzwischen noch mehr
Claims Directive“ vom März 2023 müssen Unter-
Unternehmen die Labels ‚nachhaltig‘ oder so-
nehmen künftig den ökologischen Nutzen eines
gar ‚klimaneutral‘ an, weil es dem Zeitgeist ent-
Produkts verständlich und präzise formulieren
spricht und Vorteile im Marketing bringt. Wie
und diesen Nutzen außerdem unabhängig wis-
gezeigt wurde, ist ‚Klimaneutralität‘ aber ein
senschaftlich nachweisen. Allerdings muss die
recht dehnbarer Begriff – vor allem in Bezug auf
EU-Richtlinie noch vom Rat der Europäischen
Unternehmen. Strikt ausgelegt bedeutet Klima-
Union und vom Europäischen Parlament ver-
neutralität, dass ein Unternehmen sämtliche
abschiedet werden und dürften in diesem Pro-
Treibhausgas-Emissionen (inklusive Methan,
zess eher aufgeweicht als verschärft werden.
Lachgas etc.) auf Null herunterfährt und dieses
Die nationale Umsetzung der Richtlinie wird
Ziel ausschließlich durch die technische Re-
wahrscheinlich erst ab 2025 erfolgen (Courten
duktion und/oder Einsparung klimaschädlicher
2023).
Emissionen erreicht.
3.6 Zwischenbilanz
Großzügig interpretiert lässt sich der Begriff allerdings auch so verstehen, dass ein Unterneh-
Bei vielen Unternehmen hat sich das Selbst-
men rein rechnerisch seine CO2-Emissionen auf
verständnis darüber, was ein Unternehmen ist
Null reduziert, dies also allein über den Erwerb
bzw. sein sollte, mit der Zeit gewandelt – von
von Klimaschutz-Zertifikaten auf dem ‚freien‘
einer reinen ‚Transaktionsmaschine‘ hin zu ei-
Markt erreichen kann. In einigen Branchen lässt
nem Sozialgefüge mit großem Einfluss auf die
sich dieser Offsetting genannte Vorgang kaum
Außenwelt, gerade auch auf das Klima. Man
vermeiden, in den meisten anderen kommt die-
mag die Ernsthaftigkeit dieser Positionierung
ses Prozedere jedoch einem modernen Ablass-
bezweifeln und kann darauf verweisen, dass
handel gleich, denn die ‚Klimasünden‘ werden
47
Konzerne im Klimacheck
nicht abgestellt, sondern einzig bezahlt – und
ren Gesamtzahl über die nächsten zweieinhalb
dies offenbar zu Vorzugspreisen.
Jahrzehnte kontinuierlich verringert wird. Auf Bundesebene gibt es (abgesehen von wenigen
Wer zumindest auf dem Papier ‚klimaneutral‘ ist,
Ausnahmen) nur Zielvorgaben für grob definierte
setzt dieses Label gerne für sein eigenes Marke-
Sektoren wie Verkehr und Industrie. Eine Steue-
ting ein, um vor allem jüngere, klimabewusste
rung erfolgt allein über die jeweils zuständigen
Zielgruppen zu erreichen. Wenn sich die ‚Um-
Ministerien. Damit überlässt die Politik den ein-
rechnung‘ insbesondere auf einzelne Produkte
zelnen Unternehmen viel Freiheit und Verantwor-
bezieht, sind werbliche Behauptungen wie ‚kli-
tung.
maneutral produziert‘ in ethischer Hinsicht problematisch, wenn nicht gar rechtlich bedenklich.
Eine Stellschraube gegenüber Unternehmen –
Die EU-Kommission hat deshalb eine Richtlinie
und ein reicher Fundus für eine klimabewusste
gegen ‚Greenwashing‘ auf den Weg gebracht –
Unternehmensberichterstattung – besteht aller-
die allerdings erst ab ca. 2025 in Deutschland
dings in der Transparenzpflicht. So hat die EU
greifen dürfte. Sobald das Greenwashing kon-
sukzessive eine obligatorische Dokumentation
sequent unterbunden wird, wird sich auch das
eingeführt, in deren Rahmen zunächst Großun-
Vertrauen von Wirtschaftsjournalist:innen ge-
ternehmen jährliche Nachhaltigkeitsberichte mit
genüber Unternemensangaben erhöhen und so
qualitativen Aussagen und quantitativen Anga-
möglicherweise eine größere Neigung entste-
ben vorlegen müssen. 2023 hat die EU-Kommis-
hen, verstärkt Klimaaspekte in die Unterneh-
sion die Berichtspflicht ausgeweitet, sodass
mensberichterstattung einzubinden.
in einigen Jahren in Deutschland schätzungsweise 15.000 Unternehmen Angaben zu Klima,
Die EU-Kommission agiert darüber hinaus als
Sozialem und Unternehmensführung machen
Treiber für die grüne Transformation, allerdings
müssen. Auf den letzten Metern ist die Berichts-
stets unter starker Berücksichtigung von Wirt-
pflicht zwar noch verwässert worden – gerade
schaftsinteressen. Immerhin: Bis 2050 will die
in Hinblick auf einheitliche Angaben. Doch ins-
Europäische Union als erster Kontinent volle
gesamt zeichnet sich ab, dass Journalist:innen
Klimaneutralität erreichen, Deutschland sogar
künftig einen deutlich besseren Zugang und eine
schon bis 2045. Die EU setzt bei besonders
breitere Datenbasis für den Klimacheck von Un-
energieintensiven Branchen an, die im Rahmen
ternehmen haben werden. Ein Potential, das un-
des Europäischen Emissionshandelssystems
bedingt für die Unternehmensberichterstattung
Verschmutzungsrechte erwerben müssen, de-
genutzt werden sollte.
48
Integrated Business Reporting: Indikatoren zur Messung der Öko-Bilanz eines Unternehmens
4 Integrated Business Reporting: Indikatoren zur Messung der Öko-Bilanz eines Unternehmens Wie klimafreundlich agieren Unternehmen jen-
teil dieses sogenannten Offsetting zu recher-
seits öffentlichkeitswirksamer Aktionen, mit
chieren (Kapitel 4.3).
denen sie sich als besonders grün und nachhaltig präsentieren wollen? Wie zielführend ist
Das ‚Klima-Bild‘ eines Unternehmens lässt sich
die Klimastrategie eines Unternehmens? Um
durch weitere Öko-Indikatoren abrunden: Die
diese und ähnlich gelagerte Fragen beantwor-
Konformität von Investitionen mit der EU-Taxono-
ten zu können, ist es notwendig, eine quantitativ
mie, den Wasserverbrauch, die Energieeffizienz,
basierte Analyse vorzunehmen und in das ein-
die Recyclingquote und andere. Die Informatio-
schlägige Zahlenwerk einzusteigen. Die zentrale
nen und Zahlenwerte finden sich in den Nachhal-
Größe für den Klima-Check eines Unternehmens
tigkeitsberichten und integrierten Berichten von
ist der Ausstoß von Treibhausgasen pro Zeitein-
Unternehmen. Eine Stichprobe zeigt allerdings,
heit (zum Beispiel ein Jahr). Dabei werden diese
dass sie dort mitunter nur bruchstückhaft do-
Werte in die sogenannten Scopes 1 bis 3 diffe-
kumentiert sind (vgl. Kapitel 4.4). In Kapitel 4.5
renziert, die die jeweiligen Emissionsquellen in-
wird nicht nur eine Zwischenbilanz gezogen,
nerhalb des Unternehmens und außerhalb des
sondern auch eine Matrix für einen Klima-Check
Unternehmens berücksichtigen (Kapitel 4.1).
entwickelt, die die zuvor diskutierten Kriterien zusammenführt. Die Matrix dient als grundlegen-
Um fundierte Bewertungen vornehmen zu kön-
de Orientierungshilfe für ein Integrated Business
nen, müssen die THG-Werte eines Unternehmens
Reporting.
allerdings über einen längeren Zeitraum betrachtet werden. Um Klimabewusstsein und -strategie von Unternehmen beurteilen zu können, sollten auch Wettbewerber einer Branche miteinander
4.1 Scope 1-3: Der absolute Ausstoß an Treibhausgasen
verglichen werden. Eine sinnvolle Messgröße
Wenn Klimaneutralität als Netto-Null-Emission
bildet dazu die „Emissionsintensität“, die den
von Treibhausgasen eines Unternehmens de-
jährlichen THG-Ausstoß ins Verhältnis zur Größe
finiert wird (vgl. Kapitel 3.2), dann erscheint
des jeweiligen Unternehmens setzt, abgebildet
es nur folgerichtig zu messen, wie weit dieses
über den Jahresumsatz (Kapitel 4.2). Da relativ
Unternehmen von diesem Ziel noch entfernt ist
viele Konzerne ihre THG-Emissionen bilanziell
oder sich ihm schon angenähert hat. Im Umkehr-
durch gekaufte CO2-Zertifikate kompensieren
schluss bedeutet dies: Der zentrale Indikator ist
(vgl. Kapitel 3.5), erscheint es geboten, den An-
die absolute Menge an Treibhausgasen (CO2 und
49
Konzerne im Klimacheck
andere), die das Unternehmen innerhalb eines
Business Council for Sustainable Development/
bestimmten Zeitraums ausstößt.
World Resources Institute 2004).
Die „THG-Bilanz“ eines Unternehmens lehnt
Bei den THG-Emissionen wird zwischen drei Ar-
sich an das Greenhouse Gas Protocol (GHG
ten unterschieden:
Protocol) von 2001 an und gilt als international etablierter Standard, an dem sich die meisten
Scope 1: Umfasst alle direkten Emissionen des
großen Unternehmen orientieren. Im internatio-
Unternehmens (Verbrennung fossiler Energieträ-
nalen Kontext wird bei Unternehmen auch vom
ger, Herstellungsprozess von Gütern und Dienst-
„Corporate Carbon Footprint“ gesprochen. Das
leistungen, vorgelagerte Transporte und Distri-
GHG Protocol hat der US-amerikanische Think
bution etc.).
Tank World Resources Institute gemeinsam mit dem wirtschaftsnahen World Business Council
Scope 2: Bündelt alle indirekten Emissionen aus
for Sustainable Development entwickelt (World
zugekauften Energien (Strom, Wärme, Kälte).
Abbildung 2:
Schematische Darstellung der Emissionsquellen Scope 1-3 bei Gerry Weber
CO2 & weitere Emissionen Geschäftsreisen
Vermietete Objekte
Abfälle aus dem Betrieb Gemietete Objekte
Transport (nachgelagert)
Brennstoff- oder Energiebezogene Emissionen
Weiterverarbeitung
kt
kt
ire
ind e3 Sc op
ire
Quelle: Gerry Weber (2023: 37), eigene Darstellung.
ind
Vorgelagerte Wertschöpfungskette
Direkte Emissionen des Fuhrparks
e3
Eingekaufter Strom für den Eigenbedarf
Direkte Emissio nen aus Einrichtungen des Unternehmens
op Sc
Eingekaufte Güter und Dienstleistungen
Eingekaufte Wärme, Dampf und Kühlung
Scope 1 indirekt
Nutzung der verkauften Produkte
Scope 2 indirekt
Anfahrt der Mitarbeitenden
Transport (vorgelagert)
50
Franchise Betriebe
GERRY WEBER
Nachgelagerte Wertschöpfungskette
Integrated Business Reporting: Indikatoren zur Messung der Öko-Bilanz eines Unternehmens
Scope 3: Berücksichtigt alle Emissionen der vor-
Das Bilden von Näherungswerten ist nicht die ein-
und nachgelagerten Wertschöpfungskette. Da-
zige (mögliche) Kritik am GHG-Ansatz. Des Weite-
bei wird unterschieden zwischen:
ren wird oft angeführt, dass er zu grobkörnig und damit lückenhaft sei. Und dass die Unternehmen
Upstream (vorgelagert): THG-Emissionen aus
quasi nach Belieben bestimmen könnten, wie und
den sogenannten Vorketten, die aus der Her-
in welchem Umfang sie ihre THG-Werte ermitteln
stellung von Roh- und Grundstoffen entste-
(vgl. dazu auch Kapitel 3.3). So können Unter-
hen (etwa Kunststoffe, Stahl, Aluminium),
nehmen beispielsweise selbst definieren, wo ihre
sowie Emissionen aus der Abfallbehandlung
‚Außengrenzen‘ verlaufen. Da die Ermittlung und
inkl. der Entsorgung verkaufter Endprodukte.
Veröffentlichung der Scope 3-Emissionen freiwil-
Außerdem Geschäftsreisen und Arbeitswege
lig ist, hätte ein Unternehmen somit die Möglich-
der Beschäftigten von Zuhause zur Arbeits-
keit, zumindest einen Teil seiner Scope 1- und
stätte und zurück.
Scope 2-Emissionen definitorisch und rechne-
Downstream (nachgelagert): Emissionen, die
risch in den Scope 3-Bereich auszulagern. Und
durch Transporte und Nutzung der verkauf-
nicht alle Unternehmen geben öffentlich Auskunft
ten Endprodukte sowie durch deren Recycling
über ihre Scope 3-Emissionen (Franck 2022; Gro-
entstehen.
the/Teller 2021: 7).
Der Modehersteller Gerry Weber aus dem west-
Die Kritikpunkte mögen größtenteils berechtigt
fälischen Halle stellt in seinem Nachhaltigkeits-
sein. Fakt ist jedoch: Die erdrückende Mehrheit
bericht 2022 dar, aus welchen Quellen die ver-
der Unternehmen in Deutschland wie weltweit
schiedenen Scope 1-3-Emissionen kommen (sie-
arbeitet mit den GHG-Protokoll-Standards. Al-
he Abbildung 2). Diese Quellen sind weitgehend
ternative Ansätze haben sich bisher noch nicht
typisch für Unternehmen.
durchgesetzt. Andere Zugänge zu unternehmensspezifischen Daten existieren nicht. So lautet die
In den meisten Fällen werden die THG-Emissio
Erkenntnis unter Abwägung aller Faktoren: Für
nen nicht in vollem Umfang direkt vor Ort ge-
Wirtschafts- und Finanzjournalist:innen bleibt
messen. Die Werte werden vielmehr auf Basis
es das Mittel der Wahl, auf die Scope 1-3-Werte
des tatsächlichen Verbrauchs von Brennstoffen
zurückzugreifen, wenn sie die Öko-Bilanz eines
und emissionserzeugender Aktivitäten des je-
Unternehmens bewerten wollen. Dabei sollten
weiligen Unternehmens berechnet. Dafür wer-
ihnen die Unzulänglichkeiten dieser Methode
den sogenannte Emissionsfaktoren angesetzt,
stets bewusst sein. Eine vertrauensbildende
aus denen der THG-Ausstoß ermittelt wird. Es
Maßnahme von Seiten der Unternehmen bestün-
handelt sich also nicht um punktgenau reale,
de sicherlich darin, ihre Klimabilanz von einem/
sondern um Näherungswerte.
einer externen Prüfer:in testieren zu lassen. Eine
51
Konzerne im Klimacheck
neue EU-Richtlinie zur Berichtspflicht sieht dies
Insofern erscheint also immer die Gesamtschau
auch für die Zukunft vor (vgl. Kapitel 3.4).
von Scope 1, 2 und 3 sinnvoll, wenn nicht gar zwingend. Folglich sollte von journalistischer
Die Debatte – gerade um die Scope 3-Werte –
Seite immer überprüft werden, ob der von ei-
kommt nicht von ungefähr. So zeigt ein Blick
nem Unternehmen angegebene Gesamtwert des
auf Tabelle 4, dass der THG-Fußabdruck der
THG-Ausstoßes auch tatsächlich Scope 1 bis 3
Deutschen Bahn sich zu zwei Dritteln aus Sco-
umfasst und nicht nur Scope 1 und 2. Vorsicht
pe 3-Emissionen zusammensetzt. Dies ist bei
ist auch angesagt, wenn Unternehmen neue Kli-
den meisten Unternehmen der Fall, vor allem in
maziele ausrufen. Dann ist zu checken, ob diese
den Branchen Logistik und Verkehr. So entste-
auch Scope 3 berücksichtigen. Auch das ist nicht
hen zum Beispiel bei Autos rund ein Drittel der
immer der Fall, wird von Unternehmensseite je-
Emissionen bei der Herstellung (Scope 1 und 2),
doch längst nicht so klar und offensiv kommuni-
zwei Drittel erst während der Nutzungsphase
ziert wie das vermeintlich ambitionierte Klima-
(Scope 3). Es gibt aber auch Branchen, in denen
ziel.
die Verteilung umgekehrt ist: Ein Hersteller von Dämmmaterialien dürfte einen hohen THG-Aus-
Einige Klimawissenschaftler:innen wie Kreibich
stoß bei seiner Herstellung und in den vorgela-
et al. (2021: 10) sehen die Berücksichtigung
gerten Produktionsstufen haben. Der praktische
der Scope 3-Werte eher skeptisch, weil sie die
Einsatz der klimaschädlich produzierten Dämm-
Gefahr der Doppelzählung in sich trügen. So
stoffe dürfte sich aber positiv auf die Klimabilanz
würde dann zum Beispiel die Auslieferung von
privater Haushalte auswirken und damit einen
Kleidungsstücken an Händler in der Klimabilanz
tendenziell niedrigen Scope 3-Wert erzeugen.
eines Modeherstellers erscheinen, aber eben auch beim beauftragten Logistik-Unternehmen.
Tabelle 4:
Der Klimawissenschaftler Jens Teubler hält dem
THG-Bilanz der Deutsche Bahn AG im Jahr 2022 (in Millionen Tonnen CO2-Äquivalente)
entgegen, dass es bei der Berücksichtigung von Scope 3 vor allem um einen „Perspektivwechsel“ gehe, der die Folgewirkungen einzelner
Scope 1
3,07
Scope 2
3,05
Scope 3
12,11
Gesamtmenge
17,92
Quelle: Deutsche Bahn (2023: 78), eigene Darstellung.
52
Wertschöpfungsprozesse nachvollziehbar und messbar machen solle. Bei einer gesamtwirtschaftlichen Bilanzierung von THG-Emissionen der Wirtschaft fällt dieser Perspektivwechsel weg, hier müssen Doppelzählungen – die auch für Scope 2-Emissionen anfallen können – vermieden werden (vgl. Franck 2022).
Integrated Business Reporting: Indikatoren zur Messung der Öko-Bilanz eines Unternehmens
Interview
„Wie hält es die Telekom mit dem Klima, Frau Kubin?“ Viele Unternehmen werben mit ihrer Nachhaltig-
wickelt, die in Hinblick auf ihre Nachhaltigkeit
keit. Doch wie laufen die Prozesse hinter den Ku-
überprüft werden müssten? Wir passen also kon-
lissen, im Unternehmen selbst, ab? Ein Interview
tinuierlich an und schärfen immer wieder nach.
mit Melanie Kubin-Hardewig, Konzernverantwortliche für Nachhaltigkeit bei der Deutschen
Nehmen Sie dabei auch externe Expertise in An-
Telekom. Das Interview wurde am 10. August
spruch?
2023 per Videokonferenz geführt.
Wir arbeiten mit Beratungsfirmen und Wissenschaftler:innen zusammen, engagieren uns aber
Frau Kubin-Hardewig, wie legt die Deutsche
auch in Verbänden, um bei dem Thema vorne
Telekom ihre Klimastrategie fest?
dabei zu sein. Das ist schon seit vielen Jahren
Wir setzen uns schon seit den 1990er Jahren
unser Anspruch.
strategische Klimaziele und berichten seit fast zehn Jahren sehr umfangreich darüber. Im Haus
Welche Rolle spielt dabei Telekom-Chef Hött-
haben wir speziell für das Klima ein kleines
ges? Hat er bestenfalls ein offenes Ohr für Ihre
Team, das aber mit allen anderen Abteilungen
Anliegen? Oder gibt er selbst Impulse?
des Konzerns zusammenarbeitet. Sei es mit dem
Das geht in beide Richtungen. Tim Höttges gibt
Einkauf, dem Controlling oder dem Reporting.
selbst Anregungen wie übrigens auch andere
Wie bei einem klassischen Strategieprozess fin-
Vorstandsmitglieder. Wir gehen aber natürlich
den regelmäßig Reviews statt.
auch auf den Vorstand zu, denn unsere Aufgabe besteht darin, Trends zu erkennen und zu analy-
Was passiert da genau?
sieren. Das Thema Nachhaltigkeit ist zudem eine
Kontinuierlich, aber bezüglich der Klimastrate-
Angelegenheit des Vorstands. Entscheidungen,
gie spätestens alle zwei Jahre überprüfen wir,
wie zum Beispiele neue Klimaziele, werden dort
welche neuen strategischen Themen kommen
getroffen. Die Wege sind übrigens kurz, denn un-
von außen auf uns zu, was machen Zulieferer
ser Bereich ist direkt dem Vorstand zugeordnet.
und Wettbewerber auf dem Feld, was wünschen sich die Konsument:innen und, natürlich, was
Das klingt nach einem einfachen Job und nicht
hat sich zwischenzeitlich bei uns getan. Haben
nach dicken Brettern, die durchbohrt werden
sich beispielsweise neue Geschäftsmodelle ent-
müssen.
53
Konzerne im Klimacheck
Bei einem Thema, das in einem Unternehmen
wir sind natürlich durch die steigende CO2-Be-
auch mit weiteren Zielsetzungen konkurriert,
preisung für Heizen und Verkehr betroffen. Wir
müssen Sie Wege finden, wie Sie Türen öffnen
haben zudem staatliche Vorgaben für die Ener-
und Alliierte finden, wie Sie mit Ihren Ideen über-
gieeffizienz, was vor allem unsere Rechenzen
zeugen. Sie müssen aber auch akzeptieren, dass
tren betrifft. Und es gibt eine zunehmende Pro-
es beim Thema Nachhaltigkeit oft verschiedene
duktregulierung in Richtung Kreislaufwirtschaft
Wege zum Ziel gibt.
und Abfallvermeidung.
Die Deutsche Telekom gehört als Dienstleister
Macht das die Produkte dann nicht teurer?
zu den weniger energieintensiven Unterneh-
Nicht unbedingt. Wir engagieren uns seit Jah-
men. Haben Sie weitgehende Freiheit darin, wie
ren für nachhaltige Produktverpackungen. So
nachhaltig Sie agieren bzw. wie ambitioniert die
haben wir zunächst einen Standard für unse-
Klimaziele sind, die Sie sich setzen? Anders for-
re hauseigenen Produkte gesetzt: Kein Plastik
muliert: Werden Sie als Telekom so gut wie gar
mehr, keine Mineralölfarben, möglichst wenig
nicht staatlich reguliert?
Innenverpackung, alles recycelbar. Da kam an-
Eine staatliche Regulierung sollte meiner An-
fänglich auch die Frage auf, ob Seidenpapier
sicht nach nur immer dann stattfinden, wenn
nicht mehr Geld koste als ein Plastik-Layer.
die Marktakteure keine vernünftige Selbstregu-
Aber wir haben bisher bei nur einem einzigen
lierung hinbekommen. In der Tat sind wir nicht
Produkt wirklich ein Kostenthema gehabt, das
verpflichtet, am europäischen und deutschen
unsere Designer dann aber auch lösen konn-
Handel für Emissionsrechte teilzunehmen. Aber
ten.
4.2 THG-Vergleiche innerhalb und zwischen Unternehmen
ten. Entweder haben die Journalist:innen selbst den Vorjahreswert parat oder – noch besser – das betreffende Unternehmen stellt offensiv
Wenn die Werte über den THG-Ausstoß von Un-
Vergleichswerte und Veränderungsraten zur Ver-
ternehmen regelmäßig(er) publiziert werden,
fügung. Bis es soweit ist, sollten klimabewuss-
werden Wirtschaftsjournalist:innen sehr schnell
te Wirtschaftsjournalist:innen darauf drängen,
beurteilen können, ob der Scope-Wert des Vor-
diese Zahlen künftig automatisch von den Un-
jahres eines Unternehmens eine positive oder
ternehmen zur Verfügung gestellt zu bekommen.
negative Entwicklung darstellt – ähnlich wie bei
Bis auf Weiteres müssen und können sie die
Umsatz und Gewinn von Unternehmen, die sie
THG-Werte allerdings in den einschlägigen Doku-
bereits über einen längeren Zeitraum beobach-
menten selbst recherchieren (siehe Info-Kasten).
54
Integrated Business Reporting: Indikatoren zur Messung der Öko-Bilanz eines Unternehmens
die Scope 1-3 von vornherein eigeninitiativ Wo können Zahlen zum THG-Ausstoß
veröffentlichen.
recherchiert werden? Bisher veröffentlichen nur wenige Unter-
Dies ist oft unvermeidbar, wenn man – zumal
nehmen aus eigener Initiative offensiv ihre
längere – Zeitreihen erstellen möchte, um mit-
Scope 1-3-Bilanzen, zum Beispiel im Rahmen
tel- bis längerfristige Entwicklungen aufzeigen
ihrer Bilanzpressekonferenz. Dies dürfte sich
zu können. Dazu noch einmal zurück zum Bei-
allerdings im Laufe der nächsten Jahre än-
spiel Deutsche Bahn. Der integrierte Bericht der
dern, wenn das ‚Klima-Thema‘ auch für Unter-
DB AG für das Geschäftsjahr 2022 zieht zwar
nehmen zunehmend an Relevanz gewinnt.
rein prozentuale Vergleiche der Jahre 2018 bis 2022 mit dem Basisjahr 2006, absolute Zahlen
Die Scope-Werte befinden sich meist im
werden jedoch nur für den Zeitraum 2020 bis
nicht-finanziellen Teil der Geschäftsberichte
2022 angegeben (Deutsche Bahn 2023: 69, 78).
von Unternehmen, wo sie auch erläutert und
Die Deutsche Bahn hat als Ziel ausgegeben, bis
kommentiert werden. Sie werden bei größe-
2040 klimaneutral zu werden, also eine Netto-
ren Unternehmen aber spätestens mit dem
Null-Emissionsbilanz vorweisen zu können. Ein
Nachhaltigkeitsbericht veröffentlicht. In inte-
relativ ambitioniertes Ziel, denn die Bundes
grierten Geschäftsberichten sind sie auf je-
republik im Ganzen soll erst fünf Jahre später
den Fall enthalten.
klimaneutral werden.
Für Wirtschaftsjournalist:innen ist die Recher-
Um eine längere Entwicklung bei den Scope-Wer-
che der Scope-Werte mit einem gewissen Auf-
ten aufzeigen zu können, müssen folglich auch
wand verbunden, der vor allem hinderlich ist,
frühere integrierte Berichte der Deutschen Bahn
wenn sie tagesaktuell unter Zeitdruck arbei-
konsultiert werden. Abbildung 3 zeigt, wie sich
ten. Hierbei können aber KI-Software-Tools
der THG-Ausstoß (Scope 1-3) bei der Deutschen
behilflich sein, die auch pdf-Dokumente sys-
Bahn in den vergangenen zehn Jahren verändert
tematisch durchkämmen. Der Einsatz dieser
hat.
Tools ist vor allem dann sinnvoll, wenn Vergleichswerte über mehrere Jahre innerhalb ei-
Die Abbildung verdeutlicht, dass die Deutsche
nes Unternehmens bzw. zwischen Unterneh-
Bahn ihren THG-Ausstoß in den vergangenen
men ermittelt werden sollen (vgl. Kapitel 4.2).
zehn Jahren keineswegs konsequent verringert
Denn dafür müssen mehrere pdf-Dokumente
hat. Eine positive Entwicklung setzt erst ab 2017
ausgelesen werden.
ein. Lag der THG-Ausstoß 2012 bei 21,85 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente, so schwankte der
Die einfachste Variante für den Klima-Check
Wert in den Folgejahren, um sich bis 2017 auf
besteht freilich darin, dass die Unternehmen
einen Höchststand von 22,0 Millionen Tonnen 55
Konzerne im Klimacheck
CO2-Äquivalente einzupendeln. Bis 2022 sank
dahinter‘ zu recherchieren und zu erzählen, das
er auf 17,92 Millionen Tonnen CO2-Äquivalen-
heißt die quantitativen Werte mit den qualitati-
te, also um knapp 20 Prozent. Wenn die Bahn
ven Hintergründen anzureichern.
die CO2-Ausstoß Verminderung im Tempo von 2012–2022 fortschreibt, erreicht sie erst 2069
Ein Benchmarking, also der Vergleich auf Grund-
die Null-CO2-Emissionsgrenze (bei einer Ver-
lage einer festgelegten Bewertungssystematik,
minderung wie 2017–2022 im Jahre 2042, eigene
liegt natürlich auch nahe. So lassen sich die
Berechnung).
Werte beispielsweise mit den eigenen Prognosen der Deutschen Bahn abgleichen. Die Bahn
Besonders auffällig ist allerdings der ‚Corona-Ef-
hat im Rahmen ihrer Klima- und Umweltstrategie
fekt‘ im Jahr 2020: Wie in der gesamten deut-
außerdem noch weitere Ziele ausgegeben. Dazu
schen Wirtschaft hat hier ein Einbruch der wirt-
zählen unter anderem:
schaftlichen Aktivitäten infolge der Pandemie auch zu spürbar niedrigeren Emissionen geführt.
Bis 2030 sollen die ‚spezifischen‘ – also al-
Die Zahlenreihen sprechen einerseits für sich.
lein auf die Verkehrsleistung bezogenen –
Andererseits laden sie dazu ein, die ‚Geschichte
THG-Emissionen halbiert werden.
Abbildung 3:
THG-Ausstoß der Deutschen Bahn AG 2012–2022 (in Millionen Tonnen CO2-Äquivalente) 25
Millionen Tonnen CO2
20 15 10 5
Scope 1
Scope 2
20 22
20 21
20 20
20 19
20 18
20 17
20 16
20 15
20 14
20 13
20 12
0
Scope 3
Quellen: Deutsche Bahn (2023: 78); Deutsche Bahn (2021: 260); Deutsche Bahn (2019: 263); Deutsche Bahn (2017: 275); Deutsche Bahn (2015: 275), eigene Darstellung.
56
Integrated Business Reporting: Indikatoren zur Messung der Öko-Bilanz eines Unternehmens
Ebenfalls bis 2030 will die Bahn den Anteil
Eine weitere Möglichkeit, THG-Werte nicht nur
Erneuerbarer Energien am DB-Bahnstrommix
isoliert zu betrachten, besteht in Branchenver-
auf 80 Prozent erhöhen.
gleichen. Wie klimafreundlich produzieren ein-
Bis spätestens 2038 sollen alle Eisenbahn-
zelne Unternehmen in einer Branche? Welche
unternehmen der Deutschen Bahn (also Per-
Wettbewerber schaffen es, ihren THG-Ausstoß
sonennah- und -fernverkehr sowie Güterver-
kontinuierlich zu reduzieren – und welche nicht?
kehr) auf Ökostrom umgestellt werden.
Wie gerade beim ‚Corona-Effekt‘ der Deutschen
Ab 2025 werden alle Werke, Gebäude und
Bahn zu sehen war, führt geringere wirtschaft-
Bahnhöfe der DB AG vollständig mit Ökostrom
liche Aktivität und damit weniger Umsatz – in
versorgt.
absoluten Zahlen gerechnet – auch zu einem niedrigeren THG-Ausstoß. Um folglich sinnvolle
Für einen Check, wie gut oder schlecht die Deut-
Vergleiche zwischen Unternehmen zu ermög
sche Bahn auf dem Weg zu diesen Einzelzielen
lichen, muss der THG-Ausstoß ins Verhältnis
ist, sind die Scope 1-3-Werte zu grobkörnig. Hier
zum Umsatz des Unternehmens gesetzt werden.
muss man tiefer in den integrierten Berichten der
Diese Größe lässt sich als „Emissionsintensität“
Deutschen Bahn recherchieren.
(Zepelin 2022) bezeichnen.
Tabelle 5:
THG-Ausstoß, Umsatz und Emissionsintensität führender deutscher Energieerzeuger (2020–2022)* Unternehmen/Jahr
2020
2021
2022
Scope 1-3 (in Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten)
60,1
77,7
55,7
Umsatz (Mrd. €)
19,7
32,1
56
Emissionsintensität (CO2/Mrd. €)
3,1
2,42
0,99
Scope 1-3 (in Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten)
93,2
112,3
114,5
Umsatz (Mrd. €)
13,7
24,6
38,4
Emissionsintensität (CO2/Mrd. €)
6,8
4,57
2,98
Scope 1-3 (in Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten)
115,3
108
86,8
Umsatz (Mrd. €)
60,9
77,4
115,7
Emissionsintensität (CO2/Mrd. €)
1,9
1,39
0,75
EnBW
RWE
E.ON
Quellen: EnBW (2023c: 305); E.ON (2023: 338); RWE (2023: 7). *Uniper als größter Anbieter (Umsatz 2022: 274 Milliarden Euro) fehlt in diesem Vergleich, da es hier für 2020 keine vergleichbaren Scope 3-Daten gab.
57
Konzerne im Klimacheck
Ein Vergleich der Emissionintensitäten erfolgt in
THG-Ausstoß verantwortlich ist und welche Fort-
Tabelle 5 am Beispiel führender Konzerne der
schritte die Unternehmen zwischen 2020 und
Energiebranche. So weist E.ON 2020 zwar in ab-
2022 dabei gemacht haben, ihre Produktion auf
soluten Zahlen noch den höchsten THG-Ausstoß
Erneuerbare Energien umzustellen.
aus, macht aber auch bei weitem den höchsten Umsatz. Bereits ab 2021 ändert sich das Bild:
Dies sind sicher nur erste, relativ einfache Fin-
RWE wird absolut zur größten ‚CO2-Schleuder‘,
gerübungen für ein Integrated Business Repor-
obwohl es nur ein Drittel des Umsatzes von
ting, das den Klima-Faktor beim wirtschafts-
E.ON macht. Relativ betrachtet – gemessen am
journalistischen Berichten über Unternehmen
THG-Ausstoß pro ‚Umsatzmilliarde‘ (pro eine
berücksichtigt. Es geht zweifellos noch aus-
Milliarde Euro Umsatz) – produziert RWE durch-
gefeilter, was allerdings auch den Aufwand
gehend am umweltschädlichsten, weist also die
deutlich erhöht. So hat das Wirtschaftsmaga-
höchste Emissionsintensität auf.
zin Capital 2021 und 2022 zusammen mit dem Marktforschungsunternehmen Statista ein
Abbildung 4 zeigt die Emissionsintensität der
Ranking der 100 klimafreundlichsten Unter-
Konzerne im direkten Vergleich. Dadurch lässt
nehmen vorgenommen. Dazu wurden Emissi-
sich noch einmal sehr plastisch darstellen, wel-
onsdaten von mehr als 2.000 börsennotierten
cher der drei Player für den relativ niedrigsten
Unternehmen, großen Mittelständlern und Fami-
Abbildung 4:
Die Emissionsintensität führender deutscher Energieerzeuger 2020–2022 (Millionen Tonnen CO2-Äquivalente/Milliarde Euro Umsatz) 8
6,8
Emissionsintensität
7 6
4,57
5 4 3
3,1 1,9
2
2,98
2,42 1,39
1 0
2020
2021 EnBW
RWE
2022 E.ON
Quelle: EnBW (2023c: 305); E.ON (2023: 338); RWE (2023: 7), eigene Darstellung.
58
0,75
0,99
Integrated Business Reporting: Indikatoren zur Messung der Öko-Bilanz eines Unternehmens
lienunternehmen ausgewertet (Zepelin 2022;
Gerade mit den beiden letzten Punkten werden
Zepelin 2021).
zwei wichtige Komponenten für einen Umweltcheck von Unternehmen thematisiert. Beim Car-
Neben dem Ranking (vgl. Tabelle 6) lautete eines
bon Disclosure Project (CDP) handelt es sich um
der Hauptergebnisse der Auswertung: Die 100 Un-
eine ursprünglich britische, inzwischen weltweit
ternehmen mit dem stärksten Klimabewusstsein
agierende Nichtregierungsorganisation. CDP wird
haben ihre Emissionen 2019/20 gegenüber dem
zwar teilweise von der Industrie finanziert, hat
Vorjahreszeitraum um 50 Prozent senken kön-
sich aber seine politische Unabhängigkeit und
nen. Dies klingt nach einer imposanten Quote,
damit seine klare klimapolitische Ausrichtung
bezieht sich aber eben nur auf die Top 100-Unter-
bewahrt. So haben CDP-Analysen für die zu-
nehmen teils sehr unterschiedlicher Größe aus
nehmende Zahl klimabewusster Investor:innen
unterschiedlich energieintensiven Branchen. Was
großes Gewicht. Im Wesentlichen reichen Mit-
aber fast noch schwerer wiegt: Es wurden nur die
gliedsunternehmen Klimadaten ein – vorrangig
Scope 1 und Scope 2-Werte bei der Berechnung
zum THG-Ausstoß, aber auch anderen Öko-Indi-
zugrunde gelegt, weil die Datenbasis für die Sco-
katoren wie Wasserverbrauch – sowie Informa
pe 3-Werte zu „rudimentär“ gewesen sei. Dies
tionen zu ihrer Klimastrategie und zum Stand der
schränkt die Validität des Capital-Ranking ein.
Umsetzung.
Gleichwohl weist das Studiendesign auch ei-
CDP sammelt das Material in einer umfassen-
nige bemerkenswerte Charakteristika auf. So
den Datenbank und wertet die Daten aus. Die
wurde die Bewertung in zwei Säulen unterteilt.
öffentlich zugänglichen Auswertungen bezie-
Die erste bestand allein aus der Emissionsre-
hen sich allerdings nicht auf die spezifische
duktion und ging mit 80 Prozent in die Bewer-
Klima-Performance von Unternehmen (zum
tung ein. Die übrigen 20 Prozent setzten sich
Beispiel ‚Welche Fortschritte hat Unternehmen
aus sogenannten Zusatzkriterien zusammen:
XY bei der Reduzierung seines THG-Ausstoßes gemacht?‘). Vielmehr wird mit dem „Corporate
Seit wann erhebt das Unternehmen systema-
Environmental Action Tracker“ die Transparenz
tisch Emissionsdaten?
und Vollständigkeit bei der Klimaberichterstat-
Veröffentlicht es Scope 3-Daten bzw. zumin-
tung von Unternehmen, Branchen, Ländern und
dest Teile davon (upstream/downstream)?
Kommunen überprüft und in Gestalt aggregier-
Welches Rating hat das Unternehmen beim
ter Datensätze publiziert (vgl. zum Beispiel CDP
Klimastandard „Carbon Disclosure Project“
2023). Insofern eignen sich die CDP-Daten in
(CDP) erhalten?
erster Linie, um zu checken, ob und in welchem
Lässt das Unternehmen seine THG-Emissio-
Ausmaß ein Unternehmen seine Klimabilanz of-
nen von der Science Based Targets initiative
fenlegt und wie es dabei innerhalb einer Bran-
(SBTi) kontrollieren?
che abschneidet.
59
Konzerne im Klimacheck
Tabelle 6:
Klima-Ranking deutscher Unternehmen von Capital und Statista (2022)
Rang
Unternehmen
Bewertung zur Treibhausgas-Reduktion Gewichtung: 80 Prozent
Gewichtung: 20 Prozent
Compound Annual Reduction Rate (CARR)(*1) (max. 100 Prozent)
Berichtszeitraum
Zusatzkriterien (S3 = Scope-3-Daten werden erhoben, R15 = CO2-Report ab 2015, SBTiEngagement, CDP-Rating A bis D)
Ergebnis
Bewertung der Zusatzkriterien (von max. 20 Punkten)
Gesamtpunktzahl (von max. 100 Punkten)
1
Bergfreunde
60,24 %
2018–2020
S3; SBTi
12
79,70
2
Zalando
33,35 %
2015–2020
R15, S3; SBTi; CDP: A
20
79,39
3
Puma
39,76 %
2015–2020
R15, S3; SBTi; CDP: B
18
79,37
4
Porsche (VW-Tochter)
32,29 %
2015–2020
R15, S3; SBTi; CDP: A-
19
78,06
5
Telefónica Deutschland
41,59 %
2015–2020
R15, S3; CDP: A
14
75,94
6
Nürnberger Versicherung
70,31 %
2017–2020
S3
5
75,82
7
Bayer
16,23 %
2015–2020
R15, S3; SBTi; CDP: A
20
74,09
8
Deutsche Telekom
14,87 %
2015–2020
R15, S3; SBTi; CDP: A
20
73,67
9
Siemens
14,46 %
2015–2020
R15, S3; SBTi; CDP: A-
20
73,54
10
BMW
14,24 %
2015–2020
R15, S3; SBTi; CDP: A
20
73,48
Quelle: Eigene Darstellung nach Zepelin (2022).
60
Integrated Business Reporting: Indikatoren zur Messung der Öko-Bilanz eines Unternehmens
Die zweite Komponente ist die Zertifizierung
„Compound Annual Reduction Rate“, vgl. Zepe-
durch die Science Based Targets initiative (SBTi).
lin 2022). Durch diverse weitere Umrechnun-
Die SBTi wird gemeinsam vom CDP, dem WWF,
gen unter Berücksichtigung der Zusatzkriterien
dem World Resources Institute und UN Global
steht am Ende eine maximal mögliche Summe
Impact getragen. Unternehmen, die sich von
von 100 Punkten für jedes Unternehmen (siehe
der SBTi zertifizieren lassen, entwickeln eine
Tabelle 6).
Klimastrategie, deren CO2-Reduktionsziele im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen ste-
Das Capital/Statista-Projekt, das 2023 nicht
hen, mithin dazu beitragen, dass sich die Erde
fortgeführt wurde, zeigt die Unzulänglichkeiten
bis 2050 nicht mehr als 1,5 bzw. höchstens zwei
und Beschränkungen solcher Vergleichsindizes
Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen
mit einem branchenübergreifenden, wenn nicht
Niveau erwärmt. Zu den SBTi-Standards gehört
gesamtwirtschaftlichen Radius auf. Es hat aber
beispielsweise, dass alle Scope 3-Emissionen
auch deren Möglichkeiten ausgelotet. Wenn sich
erfasst werden müssen und Klimazertifikate
in den kommenden Jahren die Datenbasis bei
nicht auf die eigene THG-Bilanz angerechnet
den Unternehmen verbessern wird, allein schon
werden dürfen. Die Maßstäbe sind also stren-
durch klimapolitische Vorgaben der EU, werden
ger als beispielsweise die des GHG-Protokolls
zunehmend fundierte und präzise Vergleiche
(Science Based Targets initiative o. D.). Wie in
und Indizes möglich werden.
Kapitel 2 beschrieben, will auch das in dieser Studie untersuchte Unternehmen EnBW seine THG-Emissionen mit Begleitung durch die SBTi ‚Paris-konform‘ machen (EnBW 2023a).
4.3 Anteil von Klimazertifikaten an der THG-Bilanz Unternehmen sollten in erster Linie THG-Emissio
Für die Hauptkomponente des Capital/Statis-
nen vermeiden und reduzieren. Die Kompensa
ta-Rankings – die Emissionsreduktion bzw. die
tion durch den Kauf von Klimazertifikaten gilt als
jährliche Reduktionsrate – wurden zunächst
die ökologisch und klimapolitisch schlechteste
die THG-Emissionen eines Unternehmens zum
Alternative, zumal ihr der Ruch des „modernen
Stichjahr 2020 (oder falls nicht verfügbar: 2019)
Ablasshandels“ (Foodwatch) anhaftet (vgl. Ka-
durch den Umsatz dividiert (wie beim Vergleich
pitel 3.5). Der Anteil des THG-Ausstoßes, der mit
der Energiekonzerne oben, vgl. Tabelle 5 und
Kompensationsprojekten außerhalb des Unter-
Abbildung 4). In einem weiteren Schritt wurde
nehmens verrechnet wird, an den Scope 1-3-Ge-
die Emissionsintensität ins Verhältnis zu einem
samtemissionen ist folglich ein Indikator dafür,
Vergleichswert gesetzt, der zwischen drei und
wie engagiert und ernsthaft ein Unternehmen
fünf Jahre zurücklag. Daraus wurde die durch-
an seiner ökologischen Ernsthaftigkeit arbeitet.
schnittliche Prozentrate der jährlichen THG-Re-
Vereinfacht kann festgehalten werden: Je gerin-
duktion errechnet (Capital bezeichnet diese als
ger der Anteil, desto größer das Engagement.
61
Konzerne im Klimacheck
Viele Projekte, mit denen Konzerne in Entwick-
einem Monitoring der Science Based Targets
lungs- und Schwellenländern CO2-Senken finan-
initiative (SBTi) unterzieht, rechnet die Telekom
zieren, gelten entweder als unseriös oder werden
die Kompensationen allerdings sowieso nicht
zu großzügig mit der CO2-Bilanz des Projektfinan-
auf die THG-Bilanz an (vgl. Kapitel 4.2 und siehe
ziers verrechnet. Möglicherweise ist dies auch der
Deutsche Telekom 2023: 88, 120).
Grund, warum Unternehmen bei diesem Thema gegenüber der Öffentlichkeit eher einsilbig sind
Inwiefern sich dies in Zukunft ändert, wird sich
und es für Wirtschaftsjournalist:innen schwer ist,
zeigen. So will die Telekom bis Ende 2025 bei
an valide Informationen heranzukommen. Dies
den Scopes 1 und 2 klimaneutral werden: „Ver-
gilt teilweise auch für die vier Untersuchungs
bleibende Emissionen [sollen] über geeignete
objekte dieser Studie.
Offsetting-Maßnahmen ausgeglichen werden.“ (ebd.) Dies soll zum Beispiel durch Aufforstung
Am konkretesten gibt die Deutsche Telekom
gelingen, die dann vornehmlich auf freien Flä-
Auskunft. So heißt es in ihrem Nachhaltigkeits-
chen in Deutschland angestrebt wird. Damit
bericht, dass 2022 fast 58.000 Tonnen CO2 kom-
steigt allerdings wieder der Anteil der Kompen-
pensiert worden seien. Rund 37.000 Tonnen sei-
sationen, der dann nicht mehr Veranstaltungen,
en durch Erneuerbare-Energien-Projekte ausge-
sondern vornehmlich die THG-Emissionen der
glichen worden, rund 12.000 Tonnen durch ‚Car-
Telekom-Autoflotte und Konzerngebäuden aus-
bon-Removal-Projekte‘, bei denen CO2 dauerhaft
gleichen soll.
der Luft mit Hilfe einschlägiger Technologien entnommen wird. Das Offsetting der restlichen
Auch das SBTi-Mitglied EnBW verrechnet seine
9.000 Tonnen CO2 wird nicht erläutert. Auf Nach-
Kompensationen nicht. In ihrem integrierten Be-
frage heißt es, dass damit Veranstaltungen des
richt für 2022 heißt es in einem Absatz mit dem
Unternehmens durch Klimaprojekte im globalen
Titel „Der letzte Schritt zur Klimaneutralität“,
Süden kompensiert worden sind (Kubin-Harde-
dass EnBW bei Scope 1 und 2 bis 2035 klima-
wig 2023).
neutral werden wolle. Und: „Nicht reduzierbare, verbleibende Treibhausgasemissionen werden
58.000 Tonnen CO2 machen knapp 25 Prozent
wir durch die Unterstützung anerkannter Klima-
des Telekom-Gesamtemissionen Scope 1-2 im
schutzprojekte nach höchsten Standards kom-
Jahr 2022 in Höhe von 233.000 Tonnen aus. Der
pensieren.“ (Energie Baden-Württemberg 2023:
Löwenanteil der Telekom-Emissionen entsteht
38) Unklar bleibt, ob und in welchem Umfang
jedoch im Scope 3-Sektor, sodass sich die Ge-
EnBW bereits jetzt kompensiert. Dies wird von
samtemissionen Scope 1-3 auf 12,5 Millionen
der Konzernpressestelle auch nicht auf Nachfra-
Tonnen CO2-Äquivalente beliefen. Der Kompen-
ge beantwortet. Dort heißt es, dass bei Tochter-
sationsanteil würde damit auf ein halbes Pro-
gesellschaften, die bereits nach Scope 1 und 2
zent schrumpfen. Da sich die Deutsche Telekom
klimaneutral seien, kompensiert werde, so auch
62
Integrated Business Reporting: Indikatoren zur Messung der Öko-Bilanz eines Unternehmens
teilweise bei Geschäftsreisen und klimaneutralen
von CO2-Emissionen, an zweiter die Reduktion.
Veranstaltungen. „Bei den CO2 Kompensationen
„Im letzten Schritt werden alle nicht vermeid-
ist es für uns grundsätzlich essenziell, dass es
baren und nicht reduzierbaren Treibhausgas
sich um tatsächliche, zusätzlich eingesparte
emissionen in zertifizierte Klimaschutzprojekte
Emissionen handelt“, schreibt EnBW-Presse-
investiert, favorisiert im Bereich Biodiversität.“
sprecherin Martina Evers (Evers 2023).
(Würth-Gruppe 2023a: 44) Auf weitere Angaben verzichtet der Konzern. Auf Nachfrage macht
Im Integrierten Bericht der Deutschen Bahn feh-
Würth keine quantitativen Angaben zu den er-
len konkrete Angaben zu CO2-Klimaschutzzertifi-
worbenen Klima-Zertifikaten, verweist aber da
katen und deren Bedeutung für die THG-Emissi-
rauf, dass diese auch nicht mit den tatsächlichen
onen des Konzerns. Es gibt lediglich an einigen
THG-Emissionen verrechnet würden, die im
Stellen indirekte Hinweise darauf, wenn zum Bei-
Nachhaltigkeitsbericht angegeben werden. Das
spiel in einem Abschnitt über Materialaufwand
Offsetting betreibt der Konzern laut Pressestelle
von gestiegenen Bezugspreisen für CO2-Zerti-
vor allem im Bereich der Biodiversität, da diese
fikate die Rede ist oder wenn bei der bilanziel-
„ein wesentlicher Bestandteil für ein intaktes
len Bewertung der Vorräte (Roh- und Betriebs-
Ökosystem“ sei (Würth 2023c).
stoffe etc.) angemerkt wird, dass dabei auch die Klimazertifikate berücksichtigt seien (Deutsche
Für Wirtschaftsjournalist:innen ist das Zertifi-
Bahn 2023: 150, 236). Da der Staatskonzern
kate-Thema ohne Frage ein ‚dickes Brett‘. Denn
auch SBTi-Mitglied ist, rechnet er sich Kompen-
entweder machen die Unternehmen gar keine
sationszertifikate nicht auf seine CO2-Bilanz an,
quantitativen Angaben oder sie befinden sich
heißt es auf Nachfrage (Stötzel 2023). Und weiter
gut versteckt und oft noch unvollständig in den
heißt es: „Restemissionen, die sich nicht vermei-
Nachhaltigkeitsberichten. Hier gilt es aus jour-
den lassen, werden wir ab dem Jahr 2040 gemäß
nalistischer Perspektive, immer wieder nachzu-
SBTi neutralisieren. Hierzu erarbeiten wir eine
haken und zu insistieren, dass diese zentralen
Strategie zur dauerhaften Entfernung und Bin-
Informationen vollumfänglich veröffentlicht wer-
dung von THG-Emissionen aus der Atmosphäre –
den – bis die Unternehmen beginnen, diese Da-
zum Beispiel durch technische Verfahren oder
ten freiwillig zu publizieren.
naturbasierte Lösungen.“ Konkrete Angaben zum Umfang der aktuell eingesetzten Zertifikate macht die Deutsche Bahn jedoch nicht.
4.4 Weitere relevante Öko-Indikatoren In Deutschland existiert derzeit kein Gesetz,
Die Würth-Gruppe hat 2023 erstmals einen Nach-
das alle Unternehmen verpflichtet, regelmä-
haltigkeitsbericht für den Zeitraum 2020 bis
ßig bestimmte messbare Klima-Indikatoren zu
2022 veröffentlicht. In diesem heißt es kurz und
veröffentlichen. Eine begrenzte Berichtspflicht
knapp, an erster Stelle stehe die Vermeidung
ist durch die EU-Taxonomie eingeführt worden,
63
Konzerne im Klimacheck
gemäß der Großunternehmen Angaben darüber
gehend zu vereinheitlichen (vgl. Kapitel 3.3). Die
machen müssen, inwieweit ihre Investitionen
gängige Berichtspraxis mit ihren vielen Wahl
und Umsätze ‚grünen‘ Charakter haben. Das
freiheiten führt zu einer gewissen Unübersicht-
nach wie vor zentrale Regelwerk jedoch, das
lichkeit und begrenzt so die Vergleichbarkeit
CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz von 2017, das
von Nachhaltigkeits- und integrierten Berichten.
2022/23 novelliert wurde, gibt lediglich vor, dass
Immerhin gibt es eine Reihe von Indikatoren, zu
kapitalmarktorientierte Unternehmen eine We-
denen die meisten berichtspflichtigen Unterneh-
sentlichkeitsprüfung vornehmen müssen: Sie
men bereits jetzt präzise Angaben machen, wenn
müssen alle diejenigen nicht-finanziellen Fakto-
auch oft in unterschiedlichen Systematiken und
ren in ihrem Geschäftsbericht berücksichtigen,
Reihenfolgen. Dazu gehören:
die Auswirkungen auf das finanzielle Geschäftsergebnis haben könnten. Dabei wird nicht kon-
Taxonomie-Konformität
kretisiert, welche Indikatoren das sind (vgl. Ka-
2019 hat die EU-Kommission ihr Maßnahmen
pitel 3.4).
paket „Green Deal“ lanciert, das die Europäische Union bis 2050 klimaneutral machen soll. Bei
Die Unternehmen nutzen diese Freiheiten mal
der sogenannten EU-Taxonomie handelt es sich
weniger, oft aber auch mehr, so wie der Modeher-
um ein System zur Klassifizierung ökologisch
steller Gerry Weber. Der inzwischen insolvente
nachhaltiger Wirtschaftsaktivitäten, die zu den
Konzern verkündet zwar, bis 2030 klimaneutral
EU-Umweltzielen
werden zu wollen. Dies allerdings „mithilfe von Kompensation der verbliebenen Emissionen“
Klimaschutz
(Gerry Weber 2023: 38) und – was noch schwerer
Anpassung an den Klimawandel
wiegt als diese vage Aussage – ohne konkrete
Nachhaltige Wassernutzung
Angaben, wie überhaupt der Weg zur Klimaneu-
Übergang zur Kreislaufwirtschaft
tralität aussehen soll und ob die angestrebte
Minimierung der Umweltverschmutzung
Klimaneutralität auch die Scope 3-Emissionen
Schutz von Biodiversität und Ökosystemen
einschließt. Es werden lediglich Werte für die THG-Emissionen der Jahre 2021 und 2022 aufge-
beitragen – oder auch nicht. Auf dieser Grund-
führt und diese auch nur für die Konzernzentrale
lage sollen private Anbieter nachhaltige Finanz-
in Halle/Westfalen. Weitergehende Vergleichs-
produkte entwickeln können. So müssen zum
möglichkeiten bietet der Nachhaltigkeitsbericht
Beispiel Investmentfonds den konkreten Anteil
von Gerry Weber nicht.
nachhaltiger Aktivitäten in „grünen“ Fonds belegen. Anders formuliert: Wenn Investor:innen
In der Europäischen Union laufen derzeit Ver-
bzw. der Kapitalmarkt insgesamt bei Entschei-
handlungen, um die Berichterstattung für Klima,
dungen stärker Nachhaltigkeitsaspekte einbe-
Soziales und gute Unternehmensführung weit-
ziehen, erhalten Unternehmen zusätzliche An-
64
Integrated Business Reporting: Indikatoren zur Messung der Öko-Bilanz eines Unternehmens
reize, um nachhaltiger zu werden. Umweltver-
Der Anteil erneuerbarer Energien
bände kritisieren die EU-Taxonomie allerdings,
am gesamten Energieverbrauch
weil diese an vielen Stellen zu schwammig sei
Dieser Indikator soll Aufschluss darüber geben,
und zum Beispiel auch Erdgas und Atomkraft als
in welchem Maße ein Unternehmen versucht,
nachhaltig gelistet werden (o. V. 2022).
seine Scope 2-Emissionen zu reduzieren bzw. vollständig abzubauen. Denn erneuerbare Ener-
Die Taxonomie-Verordnung der EU ist seit An-
gien werden als Netto-Null-Emission gezählt. Ein
fang 2022 in Kraft. In der ersten Stufe müssen
weiterer Teilindikator stellt die Eigenproduk
berichtspflichtige Unternehmen allerdings nur
tion von Energie dar, zum Beispiel durch eigene
Auskunft geben zu den Themengebieten „Kli-
Solarpanels oder Kraftwerke. Streng genommen
maschutz“ und „Anpassung an den Klimawan-
bildet der Indikator ‚Anteil erneuerbarer Ener
del“. Gerry Weber, Würth und die Deutsche
gien‘ aber nur einen Teilaspekt der gesamten
Bahn machen keine quantitativen Angaben zur
Scope 1-3-Bilanz ab.
Konformität ihrer Investitionen mit der EU-Taxonomie. Die Deutsche Telekom und EnBW lis-
Von den Triebwagen der ICE-Flotte der Deut-
ten dagegen minutiös auf, inwieweit ihre Wirt-
sche Bahn AG prangen die Claims „Das ist
schaftsaktivitäten konform mit der Taxonomie
grün: Unterwegs mit Ökostrom“ und „Deutsch-
sind, also einen wesentlichen Beitrag zu den
lands schnellster Klimaschützer“. Tatsächlich
Umweltzielen des Green Deal leisten. Bei der
jedoch nutzen zahlreiche Züge im Personen-
Deutschen Telekom belief sich – freilich be-
nah- und Güterverkehr noch andere Energie-
dingt durch das Geschäftsmodell – der Anteil
quellen, bis hin zu Diesel. Ein Blick in den
der Taxonomie-konformen Wirtschaftsaktivitä-
integrierten Bericht der Bahn zeigt, dass sich
ten am Umsatz 2022 gerade einmal auf 0,5 Pro-
der Gesamtanteil der erneuerbaren Energien
zent (Deutsche Telekom 2023: 54). Bei EnBW
2022 auf 65,2 Prozent belief, eine Steigerung
betrug der entsprechende Anteil 2022 immer-
um knapp drei Prozentpunkte gegenüber dem
hin 13,5 Prozent (EnBW 2023: 116).
Vorjahr (Deutsche Bahn 2023: 71). Doch der Anteil der erneuerbaren, das heißt klimaneu-
Um valide Aussagen treffen zu können, muss
tralen Energien bezieht sich allein auf den
zum einen die Berichterstattung auch auf die
„Bahnstrommix“. Was vollständig ausgeklam-
anderen Green-Deal-Ziele ausgeweitet werden.
mert und an keiner anderen Stelle erwähnt
Zum anderen müssen die Unternehmen über
wird, ist wie hoch der Anteil der Erneuerbaren
einen längeren Zeitraum berichten, um größere
am Energieverbrauch des Gesamtkonzerns ist.
Veränderungen belegen zu können. Die Umwelt-
Eine wichtige Frage, denn dem Bahn-Konzern
ziele des Green Deal können aber als Richtschnur
gehört mit DB Schenker eine sehr große Toch-
genutzt werden, um Unternehmen auf andere
tergesellschaft, deren Logistik-Aktivitäten in
Öko-Indikatoren hin zu kontrollieren.
erster Linie LKW ausführen.
65
Konzerne im Klimacheck
Transparenter kann die Deutsche Telekom mit ih-
sene IP-Datenvolumen (IP-Telefonie, Internet, IP-
ren Erneuerbare-Energien-Zahlen umgehen, denn
TV etc.) dividiert, das in dieser Zeiteinheit durch
deren Anteil liegt seit 2021 bei 100 Prozent. Dies
die Telekom-Netze gelaufen ist. Der Quotient
gilt auch für alle Telekom-Netze, Mobilfunk wie
bildet den Indikator für die Energieeffizienz, der
Highspeed-DSL (Deutsche Telekom 2023: 87).
vor allem im Vergleich mit früheren Jahren oder
Der Energieerzeuger EnBW macht zum Anteil er-
anderen Unternehmen aus der Branche Aussa-
neuerbarer Energien sehr ausführliche qualitative
gekraft besitzt. Bei der Telekom sank er von 119
wie quantitative Angaben, denn die nachhaltigen
im Jahr 2019 auf 91 im Jahr 2022. Die Energieeffi-
Energieformen bilden inzwischen die wichtigste
zienz der Deutschen Telekom hat sich folglich in
Säule des EnBW-Geschäftsmodells (EnBW 2023c:
vier Jahren um rund ein Viertel verbessert, weil
33–39). Die Würth-Gruppe kommuniziert abso-
ein kleinerer Quotient für eine Steigerung steht
lute Zahlen zum Einsatz erneuerbarer Energien.
(Deutsche Telekom 2023: 125).
Unklar bleibt aber, wie hoch ihr Anteil am Energieverbrauch ist (Würth-Gruppe 2023a: 85–89).
Im integrierten Bericht der Deutschen Bahn gehört „Energieeffizienz“ offensichtlich zu den
Energieeffizienz
bevorzugt eingesetzten Begriffen: Sie kommt
(Energieeinsatz/Produktionseinheit)
84 Mal vor. Dabei definiert die Bahn Energieeffi-
Kann man den gesamten THG-Ausstoß eines
zienz als Verhältnis der eingesetzten Primärener-
Unternehmens als eine Makro-Einheit verste-
gie zu gefahrenen Kilometern für Personen- und
hen, so hat die Energieeffizienz den Charakter
Gütertransporte. Die Daten werden zwischen
einer Mikro-Größe. Sie beschreibt die Menge an
den verschiedenen Verkehrsträgern (Bahn, Luft-
Energie, die ein Unternehmen einsetzen muss,
fracht, Straßengüterverkehr etc.) und der Art des
um eine für die Produktion relevante Einheit zu
Transports (Personen/Güter) aufgeschlüsselt.
realisieren. Insofern steht die Energieeffizienz
Einen (gewichteten) Gesamtwert für alle Ver-
für die Produktivität der aufgewendeten Energie,
kehrsmittel weist die Deutsche Bahn indes nicht
und ist damit sowohl ein ökonomischer als auch
aus. Als zweiter Indikator für Energieeffizienz lis-
ein ökologischer Indikator. Denn eine steigende
tet die Deutsche Bahn die stationären Energie-
Energieeffizienz zeigt an, dass das Unternehmen
verbräuche (Schienennetz, Bahnhöfe) auf – hier
entweder weniger Energien einsetzt oder sie ef-
dann allerdings nicht als Quotient, sondern in
fektiver nutzt.
absoluten Zahlen (Deutsche Bahn 2023: 72).
So errechnet zum Beispiel die Deutsche Telekom
Die Würth-Gruppe und Gerry Weber machen kei-
ihre Energieeffizienz, indem sie ihren gesamten
nerlei quantitative Angaben zu ihrer jeweiligen
Energieverbrauch einer Zeiteinheit (Treibstoff,
Energieeffizienz. Auch EnBW benutzt den Begriff
Gas, Fernwärme, Strom), gemessen in Millionen
nur in klimapolitischen Zusammenhängen. Folg-
Kilowattstunden, durch das in Terabyte gemes-
lich sollte bei diesem Öko-Indikator immer da-
66
Integrated Business Reporting: Indikatoren zur Messung der Öko-Bilanz eines Unternehmens
rauf geachtet werden, zu welcher spezifischen
genüber den Vorjahren gestiegen, von 2021 auf
Größe der Energieeinsatz Bezug nimmt und ob
2022 um fünf Prozent. Und der Wert der durch
dies logisch nachvollziehbar ist.
Sammelaktionen zurückgenommenen Mobil geräte stagniert seit Jahren schon bei 3,8 Ein-
Kreislaufwirtschaft
heiten von jährlich 100 in Umlauf gebrachten
(Abfallmenge/Recyclingquote)
Geräten (Deutsche Telekom 2023: 110, 113).
Begriffe wie „Circular Economy“ und „Cradle-toCradle“-Prinzip sind in jüngerer Zeit zu Mode-
Wasserverbrauch
begriffen avanciert, die Unternehmen dankbar
Wasser, zumal Grundwasser gilt inzwischen als
aufgegriffen haben, um sich ein grünes Image
knappes Gut. Deshalb ist es geboten, mit die-
zu geben – bis hin zu Autobauern. Entscheidend
ser gemeinsam genutzten Ressource sparsam
sind aber nicht nur Technologien und Prozesse,
und wertschätzend umzugehen. Gerade bei
sondern auch messbare Zahlen, die belegen,
der industriellen Verwendung von Wasser ent-
dass ein Unternehmen Fortschritte dabei macht,
stehen oft umweltschädliche Abwässer, deren Rückführung in den Biokreislauf entsprechen-
grundsätzlich seine absolute Abfallmenge zu
den Qualitätsstandards genügen muss. Wich-
reduzieren,
tige umweltpolitische Parameter sind deshalb
für nicht wiederverwertbaren Abfall umwelt-
die Wasserentnahme und -rückführung sowie vor
freundliche Entsorgungsmethoden zu finden,
allem der Wasserverbrauch als Makro-Indikator.
die Nutzung von Produkten und Materialien
Wasser spielt nicht immer eine wesentliche Rolle
durch Kund:innen bestmöglich zu verlängern
für wirtschaftliche Prozesse, in einigen wasser
sowie die Rückgabe alter Produkte zu fördern,
intensiven Branchen sind entsprechende Mess-
um diese ganz oder teilweise wiederzuver-
größen aber ein wichtiger Öko-Indikator. Dazu
werten.
zählen vor allem die Landwirtschaft und die Getränkeindustrie, die Stahl- und chemische Indus-
Beispiel: Deutsche Telekom. Der Konzern gibt ein
trie, die Zellstoff- und Papierindustrie sowie die
klares Ziel aus: „Bis 2030 wollen wir erreichen,
Energieerzeugung.
dass alle von uns in Umlauf gebrachten Produkte in den Kreislauf zurückgegeben werden.“ (Deut-
Eine Stichprobe zeigt, dass die Unternehmen
sche Telekom 2023: 97) Der Nachhaltigkeits
dazu bisher eher spärlich Informationen heraus-
bericht listet eine Reihe von Aktionsfeldern und
geben. Der Energiekonzern EnBW tritt auch als
Einzelmaßnahmen auf wie papiervermeidendes
Trinkwasserversorger auf und produziert rund
Arbeiten der Beschäftigten, nachhaltige Pro-
acht Prozent seiner Energie mit Wasserkraft.
duktverpackungen und die Rücknahme von Mo-
Darüber hinaus wird Wasser zur Kühlung von
bilgeräten. Ein Blick auf die Zahlen zeigt jedoch:
Kraftwerken eingesetzt. Der integrierte Bericht
Trotz aller Bemühungen ist die Abfallmenge ge-
listet sowohl den Gesamtverbrauch als auch die
67
Konzerne im Klimacheck
Wasserentnahme aus dem Grundwasser und aus
gungskraft des berichtenden Unternehmens
Gewässern für den Zeitraum 2018 bis 2022 auf
überprüfen oder gegebenenfalls auch bei Natur-
(jeweils gemessen in Kubikmetern). Eine kom-
schutzorganisationen (BUND, Nabu, WWF etc.)
mentierende Einordnung, wie das Unternehmen
um Einschätzungen und Bewertungen bitten.
seinen Verbrauch in diesem Zeitraum um fast ein Drittel reduzieren konnte, fehlt dagegen (Energie
In ihrem integrierten Bericht für 2022 hebt die
Baden-Württemberg 2023: 305).
Deutsche Bahn beispielsweise hervor, dass Schienenwege, Gebäude und Flächen des Kon-
Auch die Textilindustrie gehört zu den großen
zerns oft „einen einzigartigen Lebensraum für
‚H2O-Schluckern‘, denn Unternehmen brauchen
geschützte Arten“ böten. Bei Eingriffen in be-
Wasser zum Färben, Veredeln und Waschen
stehende Ökosysteme würde die DB AG umwelt-
von Textilien. Der Modekonzern Gerry Weber
verträgliche Lösungen entwickeln. So seien für
verzichtet in seinem Nachhaltigkeitsbericht je-
das Bauvorhaben „Ausbau Knoten Bamberg“ auf
doch vollständig auf Angaben zum Wasserver-
rund 33 Hektar Hauptmoorwald verschiedene
brauch, sondern beschränkt sich darauf, auf die
Artenschutzmaßnahmen für Zauneidechsen und
Wasserersparnis bei bestimmten ‚sanften‘ Pro-
Fledermäuse ergriffen worden. Beim Ausbau des
duktionsmethoden hinzuweisen. Der Montage
schwäbischen Schienennetzes und des Stuttgar-
technik-Konzern Würth liefert zwar Zahlen für
ter Hauptbahnhofs (Projekt „Stuttgart 21“) seien
den Zeitraum 2020 bis 2022, diese umfassen
„adäquate Ausgleichsflächen“ für 8.600 Mauer
jedoch nur die Gesellschaften der Würth-Grup-
eidechsen geschaffen worden. Sehr konkret: Ab
pe, „für welche Wasser elementar ist für ihre Ge-
2023 nutzt die Deutsche Bahn nicht mehr das
schäftsaktivitäten“ (Würth-Gruppe 2023a: 93),
potenziell krebserregende Pflanzenschutzmittel
was nicht einmal ein Viertel aller Gesellschaften
Glyphosat (Deutsche Bahn 2023: 74, 79).
ausmacht. Damit verlieren die Zahlen an Aussage kraft.
4.5 Zwischenbilanz
Naturschutz und Biodiversität
Auch wenn er meist noch etwas mühsam in den
Biodiversität, mithin der Schutz biologischer
Geschäfts- und Nachhaltigkeitsberichten recher-
Vielfalt in definierten geografischen Räumen,
chiert werden muss, ist der THG-Ausstoß der
gilt als wichtiger Stabilisator von Ökosystemen.
Scopes 1-3 ohne jede Frage die zentrale Mess-
Gerade für Unternehmen, die im Freien tätig sind
größe für die Klima-Performance von Unterneh-
oder gar Eingriffe in die Natur vornehmen, ist bio-
men. Sinnvoll ist hier freilich eine dynamische
logische Vielfalt deshalb ein relevanter Öko-In-
Betrachtung: Wie sich die Werte über einen
dikator. Dieser lässt sich allerdings nur schwer
bestimmten Zeitraum verändert haben – im Ab-
quantitativ messen. Wirtschaftsjournalist:innen
gleich mit selbst gesetzten CO2-Zielmarken der
können hier bestenfalls die logische Überzeu-
Unternehmen. Diese sind oft ohne Etappenziele,
68
Integrated Business Reporting: Indikatoren zur Messung der Öko-Bilanz eines Unternehmens
sondern nur mit Endmarken veröffentlicht. Doch
zeigt an, ob ein Unternehmen es schafft, trotz
lässt eine diachronische Betrachtung möglicher-
Wachstums bzw. trotz steigender Umsätze pa
weise erkennen, ob die Entwicklung in die richti-
rallel dazu seinen THG-Ausstoß zu senken – oder
ge Richtung geht und das Endziel überhaupt rea-
nicht. Ein ähnlicher Indikator ist die Energieeffi-
listisch ist. Der THG-Ausstoß ist auch deshalb der
zienz, bei dem die eingesetzte Energie für eine
am besten geeignete Klima-Indikator, weil die
unternehmensrelevante Einheit (zum Beispiel
Unternehmen – etwa im Gegensatz zum Wasser-
ein Produkt oder eine Dienstleistung) gemessen
verbrauch – oft nur für diese Kategorie Zielgrößen
wird. Hier kommt es aber, wie erwähnt, stark auf
definieren. Aber auch bei anderen Aspekten wie
die jeweilige Bezugsgröße an.
beispielsweise dem Wasserverbrauch oder der Abfallquote sollten Wirtschaftsjournalist:innen
Eine sehr wichtige Rolle spielen die Klima-Zerti-
bei den Unternehmen Zielgrößen erfragen, wenn
fikate. Unternehmen kompensieren damit rech-
sie nicht von vornherein veröffentlicht werden.
nerisch Emissionen, die sie in der eigenen Wertschöpfung nicht beseitigen können oder wollen,
Wie ernst es ein Unternehmen mit seinen Klima-
indem sie beispielsweise CO2-Senken (Auffor-
zielen und seiner Nachhaltigkeitsstrategie meint,
stungsprojekte etc.) in Entwicklungsländern fi-
lässt sich unter anderem daran erkennen, ob es
nanzieren. Nach der Vermeidung und Reduktion
sich von der Science Based Targets initiative zer-
von CO2 bilden Klima-Zertifikate allenfalls ledig-
tifizieren lässt und sich an den Zielen des Pariser
lich die drittbeste Lösung beim Klimaschutz. Des-
Klimaabkommens orientiert. Eine wichtige Rolle
halb ist es wichtig, den Anteil dieser Zertifikate
spielt sicher auch das jährliche Ranking beim Car-
an der CO2-Gesamtbilanz des Unternehmens zu
bon Disclosure Project (CDP). Beim CDP, das vor
ermitteln. Diese Informationen sind (derzeit) in
allem auf Transparenz und klare Klimaziel-Defi-
den einschlägigen Berichten entweder gar nicht
nitionen abhebt, werden allerdings fast nur sehr
oder nur bruchstückhaft zu finden und müssen
große, transnationale Konzerne erfasst.
von Journalist:innen dezidiert nachgefragt werden.
Um die Klima-Performance von Unternehmen bewerten zu können, sind über die Betrachtung
Neben den Scope 1-3-Werten und dem Anteil
des einzelnen Unternehmens hinaus branchen-
der CO2-Kompensation gibt es noch eine Reihe
interne Vergleiche mit Wettbewerbern nahelie-
weiterer wichtiger Öko-Indikatoren. Dazu gehört
gend. Da diese Unternehmen meist nicht gleich
die Angabe, in welchem Ausmaß Investitionen
groß sind, bietet es sich an, als Indikator die
und Umsatz von Unternehmen konform sind mit
Emissionsintensität heranzuziehen: den Sco-
der EU-Taxonomie für Nachhaltigkeit. Aus den
pe 1-3-Ausstoß, dividiert durch den Umsatz – be-
Klimazielen der Taxonomie leiten sich wiederum
zogen auf einen bestimmten Zeitraum, beispiels-
weitere relevante Indikatoren ab wie der Wasser-
weise ein Kalenderjahr. Die Emissionsintensität
verbrauch, die Orientierung an der Kreislaufwirt-
69
Konzerne im Klimacheck
Abbildung 5:
Matrix für ein Integrated Business Reporting (Schwerpunkt Klima) Messgröße
Maßeinheit
Kerngrößen Scope 1 (direkte Emissionen)
Tonnen CO2-Äquivalente
Scope 2 (indirekte Emissionen)
Tonnen CO2-Äquivalente
Scope 3 (Emissionen aus der vor- und nachgelagerten Wertschöpfungskette)
Tonnen CO2-Äquivalente
Scope 1+2 (sofern nur diese Werte angegeben werden)
Tonnen CO2-Äquivalente
Scope 1-3 (THG-Gesamtausstoß)
Tonnen CO2-Äquivalente
Vergleiche Mehrjahresvergleich innerhalb eines Unternehmens Veränderung absolut Veränderung relativ Emissionsintensität (Mehrjahres)Vergleich zwischen mehreren Unternehmen THG-Ausstoß insgesamt Emissionsintensität Anteil von Klimazertifikaten an den gesamten THG-Emissionen
Tonnen CO2-Äquivalente Prozent Tonnen CO2-Äquivalente/Umsatz (in €) Tonnen CO2-Äquivalente Tonnen CO2-Äquivalente/Umsatz (in €) Prozent
Weitere Indikatoren Zertifizierung durch die Science Based Targets initiative (SBTi)
Ja/nein
Taxonomie-Konformität: „Grüner“ Anteil an Gesamtinvestitionen und -umsatz
Prozent
Anteil erneuerbarer Energien am gesamten Energieverbrauch
Prozent
Energieeffizienz
Einheiten CO2-Äquivalente/ „Produkteinheit“
Kreislaufwirtschaft Abfallmenge Recyclingquote
Tonnen Prozent
Wasserverbrauch
Kubikmeter
Naturschutz/Biodiversität
Fallbezogene qualitative Bewertung
Quelle: Eigene Darstellung.
70
Integrated Business Reporting: Indikatoren zur Messung der Öko-Bilanz eines Unternehmens
schaft (Abfallmenge, Recyclingquote) sowie der
land. Bis dahin müssen wichtige Kennzahlen
Beitrag zum Naturschutz und zur Artenvielfalt.
von Wirtschaftsjournalist:innen bei den Unter-
Stichprobenartige Recherchen in den integrier-
nehmen aktiv erfragt sowie gegebenenfalls aus
ten Geschäfts- und Nachhaltigkeitsberichten
den Berichten selbst recherchiert und errechnet
der in dieser Studie untersuchten Unternehmen
werden.
zeigen, dass die entsprechenden Informationen teils sehr umfassend, oft sehr selektiv und
Um die Arbeit für Wirtschafts-, Finanz- und auch
bruchstückhaft und teilweise sogar gar nicht ge-
Klimajournalist:innen zu erleichtern, wurden die
liefert wurden. Die Berichte zeichnen sich durch
bisherigen Erkenntnisse in eine Matrix für ein
eine gewisse Uneinheitlichkeit und damit auch
Integrated Business Reporting gegossen (Abbil-
durch Unübersichtlichkeit aus. Um dies positiv
dung 5). Diese Schablone listet die relevanten
zu verändern, bedarf es noch einiger Anstren-
Öko-Indikatoren einzeln auf, um eine systemati-
gungen – durch die Unternehmen wie durch die
sche Bewertung der Klima-Performance von Un-
politischen Institutionen in der EU und Deutsch-
ternehmen zu erleichtern.
71
Konzerne im Klimacheck
5 Integrated Business Reporting in der Praxis
Wie lässt sich das Integrated Business Reporting
einen Nachhaltigkeitsbericht veröffentlicht, ge-
in der wirtschaftsjournalistischen Praxis einset-
wissermaßen rückwirkend für die Jahre 2020 bis
zen? Eigentlich ganz einfach. Wie genau, soll
2022.
anhand konkreter Beispiele von zwei der analysierten Unternehmen demonstriert werden. Im
Mit dem folgenden journalistischen Bericht
ersten Fall wird gezeigt, wie die Klima-Kompo-
über die digitale Bilanzpressekonferenz der
nente bei einem Bericht über die Bilanz-Presse-
Würth-Gruppe am 4. Mai 2023 soll zum einen
konferenz des schwäbischen Industriekonzerns
der Charakter eines klassischen Berichts über
Würth angemessen berücksichtigt wird (Kapi-
die Bilanz eines Unternehmens gewahrt wer-
tel 5.1). Beim zweiten Beispiel steht die Haupt-
den, wie er beispielsweise im Unternehmens-
versammlung 2023 der Deutschen Telekom im
ressort von Handelsblatt oder Frankfurter Allge-
Mittelpunkt. Auch hier ist es das Ziel, stärker –
meine Zeitung oder bei Nachrichtenagenturen
vor allem messbare – ökologische Aspekte für
wie dpa und Reuters erscheinen könnte. Zum
die Berichterstattung aufzugreifen (Kapitel 5.2).
anderen soll er aber – deutlich sichtbar – um die Klima-Komponente ergänzt werden (vgl. für
5.1 Fallbeispiel: Bericht über die Jahres bilanz der Würth-Gruppe
die geringe Präsenz des Klimathemas auf der Veranstaltung die Beschreibung in Kapitel 2.3). Dazu gehört vor allem, dass die entsprechenden
Wie in Kapitel 2 knapp skizziert, handelt es sich
Messgrößen (THG-Ausstoß, Emissionsintensität)
bei der Würth-Gruppe um ein schwäbisches
in die Übersicht (Tabelle 7) mit den wichtigsten
Familienunternehmen, das international füh-
Kennzahlen integriert und dann im Fließtext er-
rend ist als Hersteller von Befestigungs- und
wähnt und eingeordnet werden.
Montagetechnik. Würth hat sich neben seinen wirtschaftlichen Aktivitäten vor allem als Kunst-
Beim vorliegenden Beispieltext ist es notwen-
förderer hervorgetan, als Vorreiter in Sachen
dig, für eine Leserschaft, die in Klimafragen, die
ökologischer Nachhaltigkeit bisher jedoch nicht
zumal auf ein Unternehmen bezogen sind, wahr-
(vgl. Kapitel 4.3 und 4.4). Die Würth GmbH & Co.
scheinlich geringe Vorkenntnisse mitbringt, die
KG, das Kernunternehmen der Würth-Gruppe,
Öko-Indikatoren kurz zu erklären. Sobald diese
hat seit 2017 drei Nachhaltigkeitsberichte vorge-
Kenntnisse ins Allgemeinwissen übergegangen
legt. Die Würth-Gruppe selbst hat 2023 erstmals
sind, wird dies nicht mehr notwendig sein.
72
Integrated Business Reporting in der Praxis
Beispielartikel
Schwäbischer Schraubenkonzern Würth will digitaler werden Die Würth Gruppe konnte trotz krisenhafter weltpolitischer Lage 2022 ihren Umsatz und Gewinn deutlich steigern. Nun will sie verstärkt ihre Logistik automatisieren, um diese effizienter, aber auch nachhaltiger zu gestalten. Beim Klimaschutz ist der Konzern besser geworden. Die Würth-Gruppe ist nach eigener Aussage „stabil“ durch das Krisenjahr 2022 gekommen. Die Zahlen, die der Weltmarktführer für Montage- und Befestigungstechnik nun bei seiner Bilanz-Pressekonferenz vorlegte, scheinen dies zu bestätigen. Ihren Umsatz konnte die Würth-Gruppe um fast 17 Prozent auf knapp 20 Mrd. Euro steigern, den Netto gewinn um fast ein Viertel auf 1,2 Mrd. Euro. Wahrscheinlich wirkte dabei aber auch die hohe Inf lationsrate als Treiber. Würth hat frühzeitig Vorkehrungen vor dem Ausbruch des Ukraine-Krieges getroffen. „Wir haben unsere Bestände massiv aufgestockt, um Lieferprobleme zu verhindern“, sagte der scheidende Finanzvorstand Joachim Kaltmaier. Mehr als zwei Drittel der Würth-Lieferanten kämen zudem aus Europa. Auf diese Weise konnten Probleme in der Lieferkette reduziert werden. Besonders stark wuchsen im Vorjahr die Bereiche Elektronik und Elektrogroßhandel, der vom Boom bei
regenerativer Energietechnik profitiert hat. Für das laufende Jahr ist die Würth-Gruppe indes nur verhalten optimistisch. So werde sich das Geschäftsergebnis eher auf dem Niveau des Vorjahres bewegen, kündigte Vorstandssprecher Robert Friedmann an. Der schwäbische „Schraubenkonzern“ ist bekannt für seinen offensiven Außendienst. So sind rund die Hälfte der 86.000 Mitarbeiter:innen im Vertrieb tätig. Beschleunigt durch die Corona- Pandemie habe Würth aber kontinuierlich sein E-Business ausgebaut, so Friedmann. 2022 seien erstmals mehr als 20 Prozent des Umsatzes über digitale Vertriebskanäle erzielt worden. Das Familienunternehmen aus Künzelsau will mit einer konsequenten Digitalisierung und Automatisierung zugleich dem Fachkräftemangel entgegenwirken. Ein wichtiger Baustein dafür ist die Logistik innerhalb und außerhalb des Unternehmens. „Bisher sind 35 Prozent unserer Logistik automatisiert“, sagte Friedmann. „Bis
2030 streben wir einen Automatisierungsgrad von 75 Prozent an.“ Um technischen wie finanziellen Aufwand zu sparen, will Würth für seine weltweit rund 400 Tochtergesellschaften einheitliche IT-Lösungen schaffen. Dabei handelt es sich in erster Linie um speziell programmierbare Roboter, die zum Beispiel für Lieferungen an die Kundschaft Verpackungen passgenau zuschneiden. Diese Technik soll Transportkosten reduzieren, aber auch aus ökologischen Gründen Material sparen. „Nachhaltigkeit ist ein zentraler Bestandteil unsere Unternehmensstrategie“, hob Friedmann bei der Bilanzvorlage hervor. Die Würth-Gruppe hat erstmals einen freiwilligen Nachhaltigkeitsbericht vorgelegt, der den Zeitraum 2020 bis 2022 abdeckt. Aus dem Bericht geht hervor, dass alle Würth-Unternehmen weltweit jährlich rund 365.000 Tonnen an CO2 und anderen Treibhausgasen (THG) an die Atmosphäre abgeben. Über den
73
Konzerne im Klimacheck
Zeitraum hat der Konzern seine Umsätze deutlich stärker erhöht als seinen CO2-Ausstoß. Damit konnte Würth seine Emissions intensität (THG-Ausstoß pro „Umsatzmilliarde“) innerhalb von drei Jahren um rund ein Drittel reduzieren. Allerdings veröffentlicht das schwäbische Familienunternehmen nur seine Scope 1 und -2- Werte, die direkte Emissionen bei der Produktion und von Dritten gelieferte Energie berücksichtigen. Angaben über die oft viel umfangreicheren Scope 3-Emissionen macht Würth nicht. Bei diesen werden unter anderem Treibhausgase erfasst, die in der vorgelager-
ten Wertschöpfung (zum Beispiel Transporte und Geschäftsreisen) entstehen und wenn Kund:innen die Produkte nutzen. Auch auf Nachfrage macht der Konzern keine Angaben darüber, in welchem Umfang er Klima-Zertifikate einsetzt. Unternehmen nutzen diese Zertifikate, mit denen zum Beispiel Aufforstungsprojekte im globalen Süden finanziert werden, um sie mit ihrem tatsächlichen Treibhausgas-Ausstoß zu verrechnen. Die Würth-Gruppe gibt an, dass sie vor allem Biodiversitätsprojekte fördere und die Kompensation nur in Betracht ziehe, „wenn sämtliche Maßnahmen ausge-
Tabelle 7:
Kennzahlen der Würth-Gruppe (2020–2022)*
Kennzahl/Jahr
2020
2021
2022
Umsatz
Mrd. €
14,4
17,0
19,9
Ebitda
Mrd. €
1,6
2,0
2,4
Betriebsergebnis (Ebit)
Mrd. €
0,8
1,2
1,6
Nettogewinn
Mrd. €
0,6
1,0
1,2
Investitionen
Mrd. €
0,9
0,9
1,2
Beschäftigtenzahl
Tsd
79.139
83.183
85.637
THG-Emissionen (Scope 1/2)
t eCO2
353.851
365.248
364.869
t eCO2/ „Umsatzmilliarde“
24.573
21.485
18.335
Emissionsintensität
Quellen: Würth-Gruppe (2023a: U5; 2023b; 2023d: U2), eigene Darstellung. *Zahlen teilweise gerundet.
74
schöpft wurden, die den realen Fußabdruck reduzieren.“ Im Januar dieses Jahres berichtete die „Süddeutsche Zeitung“, dass Manager:innen der Unternehmensgruppe auf auffällig vielen Kurzstreckenflügen innerhalb Deutschlands und nach Österreich unterwegs seien. Das Unternehmen rechtfertigte sich damit, dass aufgrund seiner geografisch ungünstigen Verkehrslage Flüge zu Konzernniederlassungen notwendig seien, gelobte für die Zukunft aber größere Zurückhaltung beim Fliegen. Die „Süddeutsche“ hatte für ihren Artikel Flugdaten ausgewertet. Die nun veröffentlichten offiziellen Angaben des Nachhaltigkeitsberichts unterstreichen die Vielfliegerei des Würth-Managements: So sind die durch Kerosin-Verbrauch verursachten Emissionen von 2020 auf 2021 um rund 30 Prozent gestiegen, im Folgejahr dann sogar um 85 Prozent auf 4.600 Tonnen. Ihr Anteil am gesamten THG-Ausstoß der Würth-Gruppe ist mit rund einem Prozent aber minimal. Vorstandssprecher Friedmann kündigte an, dass die Würth-Gruppe künftig eine jährliche Nachhaltigkeitsbilanz vorlegen werde. Ab 2026 sollen dann auch die Scope 3-Werte in der vor- und nachgelagerten Wertschöpfungskette berücksichtigt werden. Dann ist der Konzern durch EU-Vorgaben ohnehin berichtspf lichtig.
Anmerkung: Der im Beispielbericht erwähnte Artikel der Süddeutschen Zeitung stammt von Heubl (2023).
Integrated Business Reporting in der Praxis
5.2 Fallbeispiel: Feature über die Hauptversammlung der Deutschen Telekom
(vgl. Kapitel 2.4) und konzentrierten sich auf die ‚Nachricht des Tages‘, den abgeschlossenen Mehrheitserwerb von T-Mobile USA, sowie auf
Die Deutsche Telekom nimmt für sich in Anspruch,
die potenziellen Gefahren, die von chinesischer
zu den Vorreitern in Sachen Nachhaltigkeit zu ge-
Technik im Netz der Telekom ausgehen könnten.
hören und kommuniziert dies auch offensiv. So zum Beispiel auf dem ersten „Nachhaltigkeits-
Das folgende beispielhafte Feature zeigt, wie
tag“ im Oktober 2022, bei dem alle Vorstände des
eine Berichterstattung aussehen könnte, die
Bonner Konzerns auftraten. Und so auch bei der
den Fokus auf die Nachhaltigkeits-Rede von Te-
Hauptversammlung (HV) der Telekom am 5. April
lekom-Chef Höttges und auf die Kommentare der
2023 in Bonn, auf der Vorstandschef Tim Höttges
Aktionär:innen legt – ohne die ‚Nachricht des
eine einstündige Rede hielt, bei der das Thema
Tages‘ zu ignorieren. Dabei werden die Aussagen
Nachhaltigkeit im Mittelpunkt stand. Auch viele
des Vorstandschefs, die zumindest partiell als
Aktionär:innen, die sich zu Wort meldeten, kom-
‚Greenwashing‘ gelten könnten, wo nötig, mit
mentierten die Performance der Telekom beim
den ‚harten‘ Zahlen des Telekom-Nachhaltig-
Klimaschutz und bei Fragen der Unternehmens-
keitsberichts gegengecheckt. Der Text ist relativ
führung sowie – deutlich weniger – beim sozia-
lang (ca. 8.000 Zeichen inklusive Leerzeichen),
len Engagement. Die meisten Medien ignorierten
könnte aber je nach Medium entsprechend an-
diese Aspekte jedoch in ihrer Berichterstattung
gepasst werden.
Beispielartikel
Wie sich der Magenta-Konzern in einen grünen Riesen verwandeln soll Mit fast 115 Mrd. Euro Umsatz (2022) gehört die Deutsche Telekom zu den fünf größten Unternehmen Deutschlands. Künftig will sich der Konzern aber nicht nur an seinen Finanzzahlen, sondern auch an seinen Nachhaltigkeitszielen messen lassen – verkündet Telekom-Chef Tim Höttges und vermeldet quasi en passant auf der Hauptversammlung des Bonner Konzerns, dass nun endgültig die Mehrheit an T-Mobile USA gesichert sei. Das überdimensionale Telekom- „T“ auf der Bühne des Bonner World Conference Center ist ausnahmsweise einmal nicht im auf-
fälligen Magenta-Ton gehalten. Vielmehr strahlt es grün, weil das Innere des Telekom-Logos mit lauter Topfpf lanzen ausstaffiert
ist. Als Vorstandschef Tim Höttges auf die Bühne steigt, macht er mit Verweis auf das grüne „T“ schnell klar, worum es heute ge-
75
Konzerne im Klimacheck
hen soll: „Ohne Moos nix los!“ Der lockere Spruch ist durchaus doppeldeutig gemeint und soll signalisieren, dass die Telekom Ökologie und Ökonomie mitei nander vereinen will. Knapp eine Stunde lang widmet sich Höttges in seiner Aktio närs-Ansprache dem Thema Nachhaltigkeit, denn dieses werde für die institutionellen Investoren, aber auch die Kund:innen immer wichtiger. Etwas weniger für die rund 2.500 Telekom-Aktionär:innen im World Conference Center, die meist kleinere Aktienpakete halten: Sie applaudieren am lautesten, als Höttges die positive Kursentwicklung der T-Aktie hervorhebt. Freude kommt auch auf, als der Telekom-Chef mit knappen Worten, aber mit unverhohlener Genugtuung den Vollzug des Mehrheitserwerbs an T-Mobile USA bekanntgibt – nach Jahren zähen Ringens. T-Mobile USA ist seit einiger Zeit der große Gewinnbringer für den Konzern, während das deutsche Kerngeschäft zuweilen etwas zäh läuft. In der Generaldebatte üben die Aktionär:innen aber auch Kritik. Vor allem an der vermeintlich zu dürftigen Dividende von 70 Cent je Aktie und an der chronisch defizitären Geschäftskundensparte T-Systems, die doch endlich verkauft werden solle, wie mehrere Redner:innen fordern. Unbequeme Fragen muss sich Höttges auch zur „China-
76
Connection“ gefallen lassen. In den Netzen der Telekom, zum Beispiel bei Sendemasten, sind im großen Stil Komponenten des chinesischen Ausrüsters Huawei verbaut. Durch die zunehmenden Spannungen zwischen China und der westlichen Welt ist in der öffentlichen Debatte vermehrt darüber spekuliert worden, dass der chinesische Staat die Technik seiner Unternehmen in westlichen Telekommunika tionsnetzen missbrauchen könnte, etwa um geheime Daten abzugreifen.
Auf kritische Fragen zu Huawei reagiert Höttges leicht gereizt – heute will er lieber über Klimaschutz reden Die Aktionär:innen im Saal wollen unter anderem wissen, welche Auswirkungen diese brisante Konstellation auf das Geschäft in den USA haben könnte, wo die Vorbehalte gegenüber China besonders groß sind. „Sendemasten sind im Wesentlichen nichts Anderes als Antennen“, kontert Höttges. „Das Gleiche gilt für Handys. Also müsste man dann auch Smartphones aus China verbieten.“ Der Telekom-Chef reagiert leicht gereizt auf die vielen kritischen Fragen zu Huawei. Heute will er lieber über Nachhaltigkeit reden – so wie kurz zuvor in seiner Grundsatzrede.
Darin benutzt Höttges „Nachhaltigkeit“ als begriff liche Klammer für ein breites Spektrum an Themen und summiert darunter auch solides Haushalten, „immer das beste Netz bauen“, als verlässlicher Partner der Kund:innen auftreten sowie die Bereitschaft zur konsequenten Digitalisierung. Breiten Raum nehmen aber auch die Nachhaltigkeitsklassiker Klimaschutz und soziale Verantwortung ein. 2022 habe die Telekom, so Höttges, für die Ausbildung im Unternehmen, für die Förderung sozial benachteiligter Menschen, für die Erdbebenhilfe in der Türkei und Syrien sowie für die Unterstützung von Gef lüchteten aus der Ukraine Leistungen im Gegenwert von 2,3 Mrd. Euro erbracht. Dies entspricht rund zehn Prozent der Telekom-Investitionen in diesem Jahr. Beim Klimaschutz will der Vorstandschef mehr Tempo machen. Bis 2025 soll die Telekom in ihrem Kerngeschäft und beim dazugehörigen Energiebezug von Dritten komplett klimaneutral werden (Scope 1-2), bis 2040 die gesamte vor- und nachgelagerte Wertschöpfungskette (Scope 3). Höttges verkündet für das Scope 1-3-Gesamtpaket ein neues Zwischenziel, nämlich minus 55 Prozent CO2 bis 2030, verglichen mit 2020. Ein Blick in den Nachhaltigkeitsberichts der Telekom zeigt, dass der Konzern bereits von 2020 auf 2021 seine Scope 1-2-Emissionen auf ein Zehntel herunter-
Integrated Business Reporting in der Praxis
geschraubt hat, vor allem durch den Einsatz erneuerbarer Energien. Weit über 90 Prozent machen hingegen noch die Scope 3-Emissionen aus, vor allem die vorgelagerten. Hier sind 2020 114,4, 2022 sogar 12,3 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente entstanden. Wie will die Telekom ihre Ziele erreichen? Der Vorstandschef listet eine ganze Reihe von Maßnahmen auf. „Das wichtigste Zukunftsprojekt“ ist für Höttges der zügige Ausbau des neuen bundesweiten Glasfasernetzes. Das soll die schnellstmögliche Abschaltung des alten Kupfernetzes ermöglichen, denn der Betrieb von zwei, teilweise parallelen Netzen führt zu erhöhten Emissionen. Derzeit werden die Telekom-Antennen bereits mit einer Art „Bewegungsmelder“ ausgerüstet, sodass die Funkzelle nur aktiviert wird, wenn sich auch Menschen darin bewegen und Telekom-Dienste in Anspruch nehmen. Damit ließen sich zehn Prozent Strom in den Netzen sparen, so Höttges, vor allem nachts. Um die Kreislaufwirtschaft anzukurbeln, spielt für die Telekom das Recycling alter Hardware wie Router und Telefone eine zentrale Rolle. „200 Millionen alte Handys schlummern in den Schubladen“, mahnt Höttges. „Sie alle sollten recycelt werden, denn sie bestehen zu 45 Prozent aus Metallen, vor allem aus Kupfer.“ Der Appell kommt nicht von ungefähr, wie der aktuelle Nach-
haltigkeitsbericht des Konzerns zeigt: Zwar können alte Geräte in den Telekom-Shops zurückgegeben werden, bisher kommen aber gerade einmal rechnerisch 2,3 von 100 Geräten tatsächlich wieder zurück – die Rücklaufquote stagniert seit Jahren. Ab 2030 will die Telekom alle Endgeräte wieder in den Verwertungskreislauf zurückbringen – bis dahin scheint es jedoch noch ein weiter Weg. Zudem drängt der Konzern auf die klimaneutrale Produktion von Handys. So soll gerade in der vorgelagerten Wertschöpfung (Teil von Scope 3) der CO2-Fußabdruck drastisch verkleinert werden. „Dafür kaufen wir anders ein“, verkündet Höttges. Man schaue nicht mehr allein auf den Preis des Produkts, sondern auch auf den für die Umwelt. „Wer die grüne Produktion nicht schafft, f liegt irgendwann aus dem Sortiment.“ Es liefen bereits Gespräche. Unklar bleibt indes, was konkret unter „grüner Produktion“ zu verstehen und wann genau dieses „irgendwann“ erreicht ist.
Die Ausführungen des Telekom-Chefs stoßen bei den Aktionär:innen auf geteiltes Echo Höttges’ Ausführungen finden bei den Aktionär:innen ein geteiltes Echo. So lobt Henrik Pontzen, beim Volksbanken-Fonds Union
Investment für Nachhaltigkeit zuständig, den Telekom-Kurs. „Sie haben sich hier systematisch nach vorne gearbeitet“, sagt Pontzen in der Generaldebatte. „Dabei können wir Sie nur unterstützen.“ Ein anderer Fondsvertreter, Ingo Speich von der Deka Investment, will aber auch wissen, wie stark die Beschäftigten der Telekom nachhaltiges Denken bereits verinnerlicht hätten. Der freie Aktionär Christian Strenger kritisiert zwar, dass Nachhaltigkeit als Leistungsindikator bei den Vorstandsvergütungen noch nicht ausreichend berücksichtigt sei, lobt aber die Strategie insgesamt. Markus Dufner, Geschäftsführer des Dachverbands Kritischer Aktionär:innen, tut die Höttges-Rede dagegen als „reine Image-Politur“ ab und kritisiert die vermeintlich schlechte Nachhaltigkeits-Performance der Telekom. Ein Einzelaktionär glaubt, die Telekom hätte besser schon vor 50 Jahren mit dem Stromsparen beginnen sollen. Und ein weiterer Kleinaktionär hält am Ende seiner Rede eine Fotomontage in die Höhe, die eine Müllhalde voller Windräder zeigt. Auch dies eine, wenn auch recht drastische Meinungsäußerung zum Thema Nachhaltigkeit. Aber die T-Aktie soll ja schließlich eine „Volksaktie“ sein, die alle Teile der Bevölkerung repräsentiert. Telekom-Chef Höttges wird sich nicht groß daran gestört haben.
77
Konzerne im Klimacheck
5.3 Zwischenbilanz
Bruchteil des CO 2-Gesamtausstoßes ausmachen.
In diesem Kapitel wurde anhand der Beispiele der Bilanz-PK der Würth-Gruppe und der Haupt-
Zweitens, Unternehmen sollten den Journalist:in-
versammlung der Deutschen Telekom gezeigt,
nen die Arbeit erleichtern, indem sie ihnen nicht
dass sich Integrated Business Reporting relativ
nur umfassende, sondern auch kohärente Daten
leicht für die aktuelle wirtschaftsjournalistische
zur Verfügung stellen. Bei der Würth-PK wurde
Berichterstattung einsetzen lässt. Die kleine Re-
lediglich auf den neuen Nachhaltigkeitsbericht
lativierung bezieht sich auf die zwei zentralen
des Unternehmens verwiesen. Wichtige Daten
Parameter des Integrated Business Reporting:
muss sich die/der interessierte Journalist:in
Erstens, die jeweilige Haltung bzw. Vorgehens-
selbst zusammensuchen oder noch einmal bei
weise von Wirtschaftsjournalist:innen und, zwei-
der Pressestelle nachfragen. Bei der Telekom
tens, die der Unternehmen.
hat Vorstandschef Höttges einerseits Klimaziele benannt und zahlreiche Einzelmaßnahmen auf-
Erstens, Wirtschaftsjournalist:innen müssen
gelistet. Andererseits hat er bei den CO2-Minde-
gewisse Kenntnisse des Klimajournalismus
rungen nur unzureichende Prozentangaben zu
haben und auch bereit dazu sein, diese in
Vergleichsjahren gemacht und die Maßnahmen
angemessenem Maße einzusetzen. Dadurch
nicht mit den konkreten Klimazielen verbunden.
bekommt das journalistische Produkt frei-
Das vermittelt den Eindruck von PR-Blasen, wenn
lich eine andere Gewichtung, es entfallen
nicht gar Greenwashing – selbst dort, wo dieses
zwangsläufig Details zu anderen, rein wirt-
gar nicht vorhanden ist. Das ist wiederum ein
schaftlich-finanziellen Themen. Der analyti-
Hinweis für die Journalist:innen, die von den Un-
sche Blick auf das große Ganze, gekoppelt
ternehmen gelieferten Zahlen stets kritisch zu
mit konkreten Öko-Indikatoren, hat im Fall von
hinterfragen – was allerdings auch für die ‚klas-
Würth gezeigt, dass vermeintliche Skandale
sische‘ Unternehmensberichterstattung gilt:
wie die vielen Kurzstreckenflüge des Manage-
Auch dort stellen Unternehmen positive Zahlen
ments zwar nicht gerade von einem vorbildlich
in den Vordergrund und räumen ungünstigeren
nachhaltigen Handeln zeugen, aber nur einen
Entwicklungen deutlich weniger Raum ein.
78
Handlungsempfehlungen und Ausblick
6 Handlungsempfehlungen und Ausblick
Der Wirtschaftsjournalismus und das Klima – wie
hensweise nicht mehr völlig zeitgemäß ist.
geht das zusammen? Im abschließenden Kapitel
Unternehmen und Wirtschaftsmedien scheinen
sollen die wichtigsten Erkenntnisse dieser Stu-
zumindest teilweise aneinander vorbeizureden.
die zusammengetragen und daraus Handlungs-
Zudem erfüllt der Wirtschaftsjournalismus nicht
empfehlungen abgeleitet werden (Kapitel 6.1).
vollständig die Erwartungen seiner Publika. Als
Ein Ausblick soll aber auch nicht fehlen. Denn
klassisches Ressort, das fest in den General-
ein ganzheitlicher Wirtschaftsjournalismus zeigt
Interest-Medien verankert ist, versorgen die
sich nicht nur klimabewusst, sondern greift im
Wirtschaftsredaktionen die gesamte Bevölke-
nächsten Schritt auch soziale Aspekte und The-
rung, die in weiten Teilen und dies immer mehr
men aus der Unternehmensführung in systema-
an den Themenfeldern Nachhaltigkeit und Klima
tischer und messbarer Weise auf (Kapitel 6.2).
interessiert ist, offenbar nicht ausreichend mit klimarelevanten Informationen über Unterneh-
6.1 Das Klima-Thema in der Wirtschafts redaktion
men. Dies gilt umso stärker für die Zielgruppe der Investor:innen, sodass auch Special-Interest- und Fachmedien stärker darauf reagieren
Alle reden vom Klima, nur der Wirtschaftsjour-
sollten – und zwar ähnlich, wie es viele, vor al-
nalismus nicht. Zumindest wenn es um eine
lem größere Unternehmen bereits getan haben.
systematische Unternehmensberichterstattung
Nicht zuletzt durch öffentlichen Druck, der sich
auf Basis messbarer Daten geht. Eine stich-
in weiten Kreisen inzwischen sogar aus einem
probenartige Analyse der Bilanz-Pressekonfe-
Grundmisstrauen gegenüber ‚der Wirtschaft‘
renzen von vier Unternehmen (Deutsche Bahn,
speist, haben Unternehmen ihr Selbstverständ-
Deutsche Telekom, Energie Baden-Württemberg,
nis verändert – weg vom rein betriebswirtschaft-
Würth-Gruppe) sowie der Hauptversammlungen
lichen Apparat hin zu einem Sozialgefüge mit
von zwei Konzernen (Deutsche Telekom, Energie
gesellschaftlich-moralischer Verantwortung. Da
Baden-Württemberg) hat gezeigt, dass die Unter-
raus hat sich in den vergangenen Jahren zunächst
nehmen Klima- und Umweltaspekte eigeninitia-
das Konzept der Corporate Social Responsibility
tiv kommunizieren und dies mitunter sogar mit
entwickelt, welches in jüngerer Zeit vom Kapital-
prominenter Platzierung, die Medienresonanz
markt in das ESG-Konzept umgewandelt worden
darauf aber bestenfalls marginal ausfällt.
ist. Ob man die Aktivitäten, die Unternehmen davon herleiten, als ‚Greenwashing‘ klassifiziert
Dies legt den Rückschluss nahe, dass die be-
oder nicht – man sollte sie auf jeden Fall da
stehende wirtschaftsjournalistische Herange-
ran messen, wie sie es mit der Umwelt halten 79
Konzerne im Klimacheck
(‚Environmental‘), wie sozial sie sich im eigenen
der Klimafreundlichkeit zwischen Unternehmen
Hause und gegenüber Zulieferern verhalten (‚So-
einer Branche sowie auch branchenübergreifen-
cial‘) und wie es um die Qualität ihrer Unterneh-
de Perspektiven sind möglich, um fundierte, da
mensführung bestellt ist (‚Governance‘).
datenbasierte Aussagen über die Klima-Performance von Unternehmen und Branchen treffen
Vor allem die EU-Kommission und mit ihr der
zu können.
Bund haben einen Regulierungsrahmen geschaffen, der den Weg von Unternehmen zur
Anhand von zwei Beispielartikeln – einem Be-
Klimaneutralität beschleunigen soll. Dazu ge-
richt über die Bilanz-PK der Würth-Gruppe so-
hören auch EU-Richtlinien, die die Transparenz
wie einem Feature über die Hauptversammlung
fördern sollen und die börsennotierte Konzerne
der Deutschen Telekom – wurde demonstriert,
verpflichten, jährliche Nachhaltigkeitsberichte
dass Integrated Business Reporting praktisch
zu veröffentlichen. In den kommenden Jahren
problemlos umsetzbar ist. Wenn auch mit einer
wird die Berichtspflicht auf einen sehr viel grö-
kleinen Einschränkung. So waren einige Daten
ßeren Kreis von Unternehmen ausgeweitet und
in den Nachhaltigkeitsberichten nicht verfügbar,
der Aufbau der Berichte wird stärker vereinheit-
sodass das jeweilige Unternehmen noch einmal
licht, was Journalist:innen die Arbeit erheblich
extra kontaktiert werden musste. Für die aktu-
erleichtern kann. Wirtschaftsjournalist:innen
elle Berichterstattung kann dies zu arbeitshin-
können und sollten die Nachhaltigkeitsberichte
derlichen Zeitverlusten führen. Dies galt insbe-
allerdings schon jetzt stärker für ihre Arbeit nut-
sondere für Informationen zu Klima-Zertifikaten,
zen als bisher.
mit denen sich Unternehmen von der eigenen CO2-Vermeidung ‚freikaufen‘, wenn sie dafür
Dies gilt zuvorderst für ein breites Set an umwelt-
Klimaschutz-Maßnahmen in anderen Ländern fi-
und klimabezogenen Daten wie Energieeffizienz,
nanzieren. Selbst auf Nachfrage lieferten einige
Recyclingquote oder Wasserverbrauch. Zentrale
Unternehmen keine konkreten Angaben dazu.
Messgröße ist jedoch der Treibhausgas-Ausstoß eines Unternehmens innerhalb eines Jahres,
Aber auch jenseits des Zertifikate-Themas müs-
unter Berücksichtigung der eigenen Güterpro-
sen Unternehmen eine grundsätzliche Entschei-
duktion, aber auch der vor- und nachgelagerten
dung treffen: Ob sie ihre Nachhaltigkeitsberich-
Wertschöpfung (Scope 1-3). Im Rahmen dieser
te in erster Linie als PR-Instrument einsetzen
Studie ist gezeigt worden, dass sich mit den
und sich damit unter Umständen den Vorwurf
Scope 1-3-Daten nicht nur ein aktueller Status
des Greenwashings einhandeln. Oder ob sie
abrufen, sondern auch der THG-Ausstoß über
die Berichte in sachlicher, allumfassender Form
einen längeren Zeitraum verfolgen lässt, bei Be-
mit validen Datensätzen veröffentlichen wollen,
darf auch im Abgleich mit den offiziellen Klima-
die eine konstruktive Zusammenarbeit mit Wirt-
zielen des Unternehmens. Aber auch Vergleiche
schaftsjournalist:innen erheblich erleichtern
80
Handlungsempfehlungen und Ausblick
würde und dazu beitrüge, ein fundiert-seriö-
2. Der Treibhausgas-Ausstoß (Scope 1-3) wird
ses Gesamtbild des Unternehmens entstehen
als feste Größe bei wirtschaftsjournalisti-
zu lassen. Unternehmen, die sich für die zwei-
schen Standards etabliert, zum Beispiel bei
te Variante entscheiden, sollten zudem dafür
Berichten über Bilanz-Pressekonferenzen.
Sorge tragen, dass die Berichte möglichst ver-
Der THG-Ausstoß wird als feste Größe in der
ständlich aufbereitet sind. Dazu gehört zum
tabellarischen Übersicht der Unternehmens-
Beispiel auch, Angaben darüber zu machen, ob
bilanz eingeführt. Autor:innen nehmen die
bestimmte Maßnahmen aufgrund bestimmter
Klima-Komponente standardmäßig in ihre
gesetzlicher Vorgaben oder rein freiwillig ergrif-
Berichterstattung auf und sind dazu bereit,
fen worden sind.
dafür andere Aspekte (möglicherweise Details wie die x-te Untergröße des Unterneh-
Es steht außer Frage, dass Journalist:innen kom-
mensgewinns) wegzulassen. Dies gilt es auch
plexe Sachverhalte wie das Klima besser mit Hilfe
bei der redaktionellen Bearbeitung zu berück-
von spannend erzählten Beispielen ‚rüberbrin-
sichtigen.
gen‘ können – handele es sich um den Einsatz einer E-Transporterflotte oder ein neues Produkt,
3. Schrittweise werden die THG-Daten auch bei
das vollständig aus recycelten Materialien her-
anderen wirtschaftsjournalistischen Forma-
gestellt ist. Darüber sollten sie aber – analog zur
ten eingeführt (Unternehmensporträt, Aktien
klassischen Unternehmensberichterstattung –
analyse etc.).
nicht den Blick auf die Zahlen vergessen, insbesondere den THG-Ausstoß (Scope 1-3) des Un-
4. Die Wirtschaftsredaktion entwickelt und setzt
ternehmens. Andernfalls laufen sie Gefahr, am
eigene Klima-Schwerpunkte in der Unterneh-
beispielhaften Phänomen festzukleben, das aber
mensberichterstattung und/oder kombiniert
keineswegs pars pro toto stehen muss.
sie mit anderen Unterressorts wie Finanzen oder Wirtschaftspolitik.
Wie kann nun ein klimabewusster Wirtschaftsjournalismus in Redaktionen etabliert und in
Mitte 2022 erschien auf ntv.de beispielsweise
der praktischen Arbeit umgesetzt werden? Dazu
ein Artikel mit dem Titel: „Gutes Gewissen im
folgende Überlegungen und Handlungsempfeh-
ICE: Wie klimafreundlich ist die Bahn?“ (Arnold/
lungen:
dpa 2022) Es handelte sich um einen sehr gut recherchierten Hintergrundbericht der Nach-
1. Die Mitarbeitenden müssen sich zunächst
richtenagentur dpa – der dann bei ntv.de aus-
eine zumindest basale Klima-Expertise aneig-
gerechnet in der Rubrik „Panorama“ landete.
nen (z. B. durch Schulungen), um beurteilen
Solche Ausrutscher sollten der Vergangenheit
zu können, welche Relevanz der Aspekt beim
angehören. Diese und ähnliche Artikel gehören
jeweiligen Thema hat.
in die Wirtschaftsberichterstattung.
81
Konzerne im Klimacheck
6.2 Integrated Business Reporting reloaded: Soziales und Unternehmensführung einbinden
funkkarten für Geflüchtete aus der Ukraine, Katastrophenhilfe nach den Erdbeben in der Türkei und in Syrien, sein Engagement für digitale Teilhabe in Deutschland, allerdings auch aus sozia-
Ohne Frage hat das Klima-Thema eindeutig Vor-
len Gründen subventionierte Mobilfunkverträge
rang, denn es ist das drängendste und dring-
der Tochtergesellschaft T-Mobile USA.
lichste. Zum ESG-Konzept gehören aber auch die Bereiche ‚Social‘ und ‚Governance‘. In folgenden
Dieses sehr weit gefasste Verständnis von Corpo-
Schritten könnten und sollten deshalb auch so-
rate Citizenship (vgl. Kapitel 3.1) spiegelt sich we-
ziale Aspekte und solche der Unternehmensfüh-
der in den Angaben der Deutschen Bahn nieder
rung mit in die Bilanzierungspraxis aufgenom-
noch in denen von Energie Baden-Württemberg
men werden. Dies ist allerdings leichter gesagt
wider. Der Bahn-Konzern steuert sein soziales
als getan, denn die Bereiche „Soziales“ und
Engagement über die Deutsche Bahn Stiftung,
„Governance“ sind kein homogener Schirm für
die 2022 rund drei Millionen Euro in 24 gemein-
eng miteinander verwandte Komponenten, wie
nützige Projekte investiert hat. Zudem hat die
dies bei „Environmental“ der Fall ist, sondern
Bahn 6,6 Millionen Euro für ihr Bahn-Museum
bilden eher eine Klammer für viele verschiedene
in Nürnberg aufgewendet (Deutsche Bahn 2023:
Themenbereiche.
32–35). Mitzählen oder nicht? EnBW hat 2022 rund zwei Millionen Euro für soziale Zwecke ge-
Hinzu kommt, dass sie zwar in Teilen quantifi-
spendet, 2021 waren es noch 3,7 Millionen (Ener-
zierbar sind, doch fehlt die eine zentrale Kenn-
gie Baden-Württemberg 2023: 49). Würden die
zahl wie sie der THG-Ausstoß beim Klima dar-
Deutsche Bahn und EnBW ihr soziales Engage-
stellt. Es gibt durchaus Ansätze, allerdings zeigt
ment ähnlich breit wie die Deutsche Telekom
ein Vergleich der vier analysierten Unternehmen,
definieren, kämen sie aber auch auf wahrschein-
wie weit man hier noch von einer einheitlichen
lich deutlich höhere Summen. Würth macht zu
Berichterstattung entfernt ist. So ließe sich zum
diesem Bereich überhaupt keine quantitativen
Beispiel ein Indikator nutzen, der alle Aufwen-
Angaben. Hier scheint eine vereinheitlichte Klas-
dungen für soziale und gemeinnützige Zwecke
sifizierung und Zählweise also dringend geboten.
summiert. Die Deutsche Telekom fasst dies unter „Community Contribution“ zusammen
Ein weiterer möglicher Indikator ist die Zufrie-
und kommt für 2022 auf die stolze Summe von
denheit der Mitarbeitenden2. Solche Indizes
2,35 Milliarden Euro (Deutsche Telekom 2023:
setzen sich meist aus mehreren Komponen-
141). Dazu zählt der Konzern kostenlose Mobil-
ten zusammen wie Stimmung im Betrieb und
2 Ein verwandter sehr wichtiger Indikator ist in diesem Zusammenhang die Kundenzufriedenheit. Viele Unternehmen machen hier inzwischen – unabhängig ermittelte – Angaben. Dieser Indikator gehört allerdings in die ökonomische Berichterstattung.
82
Handlungsempfehlungen und Ausblick
Sinnhaftigkeit der Arbeit, aber auch Arbeitge-
auch gewisse rechtliche Grenzen der Bericht-
ber-Attraktivität und Markenidentität. Solche
erstattung, sodass meist nur binär zwischen
umfassenden Befragungen durch unabhängige
Männer- und Frauenanteil unterschieden und
Dienstleister erfolgen meist alle zwei Jahre. Zwi-
zum Beispiel die ethnische Herkunft nicht do-
schenzeitlich, meist halbjährig werden kürzere
kumentiert wird. Aufgefächert wird dabei meist
Umfragen durchgeführt, die aufschlussreicher
zwischen Gender Diversity bei der Gesamtbe-
sein können, wenn sie nur die Stimmung ein-
legschaft, Führungskräften und Neueinstellun-
fangen. Bei der Deutschen Bahn lag der Wert
gen. Das Zahlenwerk kann durchaus aufschluss-
der Mitarbeitenden-Zufriedenheit 2022 bei 3,9
reich sein. So liegt der Anteil der weiblichen
auf einer Skala von 1 bis 5 (bestmöglicher Wert)
Führungskräfte bei der Würth-Gruppe gerade
und hielt damit das Niveau von 2020. Allerdings
einmal bei 18 Prozent – bei einem Frauenanteil
haben auch nur knapp 60 Prozent der Beschäf-
von rund 28 Prozent an der Gesamtbelegschaft
tigten an der Umfrage teilgenommen (Deutsche
(Würth-Gruppe 2023a: 83). Bei der Deutschen
Bahn 2023: 85). Bei EnBW können maximal
Telekom arbeiten immerhin 28 Prozent Frauen
100 Punkte erreicht werden, 2022 erreichte der
im mittleren und oberen Management – bei ei-
„People Engagement Index“ einen Wert von 81,
nem Frauenanteil von knapp 36 Prozent an der
einen Zähler weniger als 2020. Wie hoch die Be-
Gesamtbelegschaft (Deutsche Telekom 2023:
teiligung der Mitarbeitenden war (84 Prozent),
159–160).
muss der Lesende allerdings selbst errechnen (Energie Baden-Württemberg 2023: 39–41, 104).
Daneben können je nach Unternehmen und Branche noch weitere Sozialindikatoren relevant
Der Indikator „Mitarbeitenden-Zufriedenheit“
sein. Für wahrscheinlich die meisten Unterneh-
ist insofern von großer Relevanz, als er bis zu
men dürfte in Zeiten des Fachkräftemangels die
einem bestimmten Grad Auskunft darüber gibt,
Zahl der Neueinstellungen eine bedeutende Rol-
inwieweit ein Unternehmen als Sozialgefüge
le spielen, aber auch Daten zur Aus- und Weiter-
funktioniert. Die hohen Zustimmungswerte der
bildung. Nicht minder wichtig bleiben allerdings
genannten Beispiele deuten allerdings auch da-
auch ‚Klassiker‘ wie der Arbeitsschutz, quantifi-
rauf hin, dass die Befragten zumindest teilweise
ziert in meldepflichtigen Arbeitsunfällen. Dieser
nach dem Prinzip der sozialen Erwünschtheit ge-
Indikator mag vielleicht weniger in Deutschland
antwortet haben und so bessere Werte zustande
und Westeuropa ins Gewicht fallen, in Zeiten ei-
gekommen sein könnten, als wenn sich die Be-
ner globalisierten Produktion dürfte es sich al-
schäftigten zum Beispiel unter Kolleg:innen oder
lerdings um einen nicht unwichtigen Faktor vor
außerhalb des Unternehmens gegenüber Dritten
allem bei Produktionsstätten in Ländern des glo-
geäußert hätten.
balen Südens handeln.
Ein ‚objektiver‘ Indikator ist die Diversität un-
Damit kommt die sogenannte Lieferkette ins
ter den Mitarbeitenden. Hier gib es allerdings
Spiel, die Wertschöpfung durch Zulieferer. Vor 83
Konzerne im Klimacheck
allem die Textilindustrie, die Elektronik-Branche,
von öffentlichen Ausschreibungen führen kann.
Chemie und Pharma sowie die Autohersteller und
Die Sorgfaltspflicht bezieht sich vor allem darauf,
der Maschinenbau sind in hohem Maße abhängig
dass Unternehmen Präventions- und gegebenen-
von der Beschaffung im Ausland (Stiftung Fami-
falls Abhilfemaßnahmen ergreifen müssen gegen
lienunternehmen 2023: 22). Als 2013 in Bangla-
eine Reihe möglicher Gesetzesverstöße durch
desch eine auch von deutschen Modekonzernen
ausländische Zulieferer. Dazu zählen vor allem:
genutzte Textilfabrik in Bangladesch einstürzte und dabei mehr als 1.000 Menschen ums Le-
Kinder- und Zwangsarbeit
ben kamen, drangen die Arbeitsbedingungen in
Unzureichender Arbeitsschutz
den Ländern des globalen Südens erstmals auf
Diskriminierung jedweder Art (nach Rasse,
drastische Weise ins öffentliche Bewusstsein.
Geschlecht, Religionszugehörigkeit etc.)
Ähnliche Vorfälle in den Jahren danach sorgten
Unfaire Entlohnung
für insgesamt größere Aufmerksamkeit. Da die Auslagerung von Teilen der Produktion an soge-
Der Konnex zwischen ‚Social‘ und ‚Environmen-
nannte Zulieferer vor allem kostengetrieben ist,
tal‘ wird dadurch deutlich, dass das Gesetz auch
hat das zunehmende Offshoring zugleich auch
ausdrücklich Umweltschädigungen einschließt.
die globale Ökobilanz verschlechtert. Denn in
Dazu zählen unter anderem
Entwicklungs- und Schwellenländern spielen Umwelt- und Klimaschutz meist keine vorrangige
schädliche Bodenveränderungen
Rolle (Zeisel 2021: 3). All diese Entwicklungen
Luftverunreinigung
haben dazu geführt, dass Mitte 2021 die Große
übermäßiger Wasserverbrauch
Koalition aus Unionsparteien und SPD das „Lie-
widerrechtliche Zwangsräumung von Land,
ferkettengesetz“ verabschiedet hat – gegen Wi-
Wäldern und Gewässern
derstände aus der Wirtschaft, die zur Abschwä-
Verbot der Nutzung gefährlicher Stoffe wie
chung der Regelungen führten (Bierbrauer 2022).
etwa verbotene Chemikalien (Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in
Der offizielle Name lautet „Gesetz über die un-
Lieferketten 2021).
ternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten“, was bereits darauf hindeutet, dass deut-
Um ihrer Sorgfaltspflicht für internationale Zulie-
sche Unternehmen nicht unter Erfolgspflicht ste-
ferer nachzukommen, müssen die Unternehmen
hen und schon gar keine Haftung übernehmen
ein internes Risikomanagement einrichten und
müssen, wenn sie nicht dafür sorgen, dass die
regelmäßig Risikoanalysen durchführen. Zudem
Sozial- und Umweltstandards in ihren Gastlän-
muss ein Beschwerdeverfahren organisiert und
dern nicht eingehalten werden. Die Unternehmen
der gesamte Prozess dokumentiert werden. Ab
müssen vielmehr einer eher niedrigschwelligen
2024 müssen alle Unternehmen in Deutschland
Sorgfaltspflicht nachkommen, die bei Verletzun-
mit mehr als 1.000 Beschäftigten ihrer Sorg-
gen maximal zu Bußgeldern und dem Ausschluss
faltspflicht für die Lieferkette nachkommen. Seit
84
Handlungsempfehlungen und Ausblick
2023 gilt das Gesetz bereits für Unternehmen
Ins Fadenkreuz der Kritik geraten oftmals auch die
mit mehr als 3.000 Mitarbeitenden. Sie müssen
vermeintlich überhöhten Gehälter der Vorstände,
2024 erstmals einen Bericht veröffentlichen.
die vor allem durch üppig wirkende Boni zustande kommen. Vorstandsboni werden traditionell nach
Da dieser streng formalisiert ist und wahrschein-
ökonomischen Kriterien vergeben (Höhe des Be-
lich eher typische Experten-Lektüre darstellt,
triebsergebnisses und der Investitionen, Erschlie-
kann davon ausgegangen werden, dass zumin-
ßung neuer Geschäftsfelder etc.). Laut einer Stu-
dest die wesentlichen Teile dieser Dokumenta
die von Beile/Schmid (2023) haben gerade in den
tion Eingang in die Nachhaltigkeitsberichte
vergangenen Jahren alle 40 DAX-Konzerne und
finden dürften. Die Würth-Gruppe hat dies be-
fast alle der 50 MDAX-Unternehmen ihren Katalog
reits in ihrem aktuellen Nachhaltigkeitsbericht
zentraler Kriterien für die Auszahlung von Boni
umgesetzt (Würth-Gruppe 2023a: 67–77). Wie
(„Boni-Key Performance Indicators“) um ESG-Kri-
aufschlussreich die Lieferketten-Infos der Unter-
terien erweitert. Vor allem ökologische und etwas
nehmen für die wirtschaftsjournalistische Arbeit
weniger soziale Kritierien machen mittlerweile
sind, wird sich erst herausstellen, wenn 2024 der
bis zu 25 Prozent der variablen Vorstandsver-
erste große Veröffentlichungsschub kommt.
gütung aus. Die Spannbreite ist allerdings groß und die Kriterien sind mal weicher, mal präziser
Bleibt schließlich noch das weite Feld der ‚Go-
formuliert. Aus wirtschaftsjournalistischer Sicht
vernance‘, der Unternehmensführung. Hierunter
lohnt es sich also, einen genauen Blick auf die
fällt ein Sammelsurium verschiedenster Tätig-
Boni-Konditionen zu werfen, dienen sie doch als
keitfelder eines Unternehmens: die Arbeit von
zentrales Steuerungsinstrument dafür, welche
und Koordination zwischen Vorstand und Auf-
kurzfristigen wie auch strategischen Ziele der
sichtsrat, Datenschutz, Cybersecurity sowie Com-
Vorstand verfolgt – gerade auch in Bezug auf ESG.
plicance, also das Einhalten von Regeln durch Mitarbeitende, um zum Beispiel Vorteilsnahme
An diesem wie an den anderen Faktoren zeigt
und Korruption zu unterbinden. Dass Unterneh-
sich, dass es möglicherweise gar nicht mal so ein
mensführung gerade auch für Investor:innen ein
weiter, aber doch ziemlich verästelter Weg mit di-
enorm wichtiges Thema darstellt, zeigt sich an
versen Möglichkeiten zum Abzweigen ist, um ein
deren zahlreichen Wortmeldungen auf Hauptver-
ganzheitliches Bild von Unternehmen zu zeich-
sammlungen. Im Mittelpunkt stehen dabei oft
nen. Zunächst einmal sind offene Debatten und
vermeintliche Verletzungen von Übergangsfris-
ein erstes konkretes Experimentieren mit neuen
ten von Manager:innen beim Wechsel vom Vor-
Konzepten notwendig. Das Integrated Business
stand in den Aufsichtsrat sowie die angeblich
Reporting stellt hierbei sicher eine probate Vari-
oder tatsächlich mangelnde fachliche Kompe-
ante dar. Über lang und noch besser über kurz
tenz neuer Aufsichtsratsmitglieder. Bei beiden
sollte der deutschsprachige Wirtschaftsjourna-
handelt es sich um Themen, die eher qualitativ
lismus so das Ziel einer integrierten Unterneh-
beurteilt werden müssen.
mensberichterstattung erreichen. 85
Konzerne im Klimacheck
Literaturverzeichnis
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Anhang
Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen Tabelle 1:
Jährlicher CO2-Ausstoß der BRD nach Sektoren (1990, 2022)............................................... 8
Tabelle 2:
Ökologische und soziale Nachhaltigkeit als Thema bei den Bilanz-Pressekonferenzen 2023 ausgewählter Unternehmen................................ 22
Tabelle 3:
Ökologische und soziale Nachhaltigkeit als Thema auf der Hauptversammlung 2023 ausgewählter Unternehmen ............................................................................................ 29
Tabelle 4:
THG-Bilanz der Deutsche Bahn AG im Jahr 2022 (in Millionen Tonnen CO2-Äquivalente)..............................................................................52
Tabelle 5:
THG-Ausstoß, Umsatz und Emissionsintensität führender deutscher Energieerzeuger (2020–2022)...........................................................57
Tabelle 6:
Klima-Ranking deutscher Unternehmen von Capital und Statista (2022)............................ 60
Tabelle 7:
Kennzahlen der Würth-Gruppe (2020–2022).....................................................................74
Abbildung 1:
Wesentlichkeitsmatrix von SchwörerHaus 2021/22........................................................... 40
Abbildung 2:
Schematische Darstellung der Emissionsquellen Scope 1-3 bei Gerry Weber..................... 50
Abbildung 3:
THG-Ausstoß der Deutsche Bahn AG 2012–2022 (in Millionen Tonnen CO2-Äquvalente).............................................................................. 56
Abbildung 4:
Die Emissionsintensität führender deutscher Energieerzeuger 2020–2022 (Millionen Tonnen CO2-Äquivalente/Milliarde Euro Umsatz).............................................. 58
Abbildung 5:
Matrix für ein Integrated Business Reporting (Schwerpunkt Klima).................................... 70
Hinweis zum Autor Lutz Frühbrodt ist seit 2008 Professor für Fachjournalismus und Unternehmenskommunikation an der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt (THWS). Zuvor hat er unter anderem als Technologie-Reporter in der Wirtschaftsredaktion der Welt-Gruppe und beim Deutschlandfunk Kultur gearbeitet. Frühbrodt hat zahlreiche mediensoziologische und medienökonomische Bücher, Aufsätze und Studien veröffentlicht, darunter einige bei der Otto-Brenner-Stiftung. Seit einigen Jahren beschäftigt sich der promovierte Volkswirt zunehmend mit Nachhaltigkeitsthemen.
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Konzerne im Klimacheck
OBS-Arbeitspapiere Infos und Download: www.otto-brenner-stiftung.de
Nr. 62
Auf der Suche nach Halt. Die Nachwendegeneration in Krisenzeiten (Simon Storks, Rainer Faus, Jana Faus)
Nr. 61
Desiderius-Erasmus-Stiftung. Immer weiter nach rechts außen (Arne Semsrott, Matthias Jakubowski)
Nr. 60
Vom Winde verdreht? Mediale Narrative über Windkraft, Naturschutz und Energiewandel (Georgiana Banita)
Nr. 59
Radikalisiert und etabliert. Die AfD vor dem Superwahljahr 2024 (Wolfgang Schroeder, Bernhard Weßels)
Nr. 58
Antisemitismus. Alte Gefahr mit neuen Gesichtern (Michael Kraske)
Nr. 57
Gut beraten? Zur Rolle der Zivilgesellschaft in Sachverständigengremien (Siri Hummel, Laura Pfirter)
Nr. 56
Mehr Wählen wagen? Ungleichheiten beim „Wählen ab 16“ und ihre Folgen (Thorsten Faas, Arndt Leininger)
Nr. 55
Arbeitsdruck – Anpassung – Ausstieg. Wie Journalist:innen die Transformation der Medien erleben (Burkhard Schmidt, Rainer Nübel, Simon Mack, Daniel Rölle)
Nr. 54
Mediale Routinen und Ignoranz? Die Sahel-Einsätze der Bundeswehr im öffentlichen Diskurs (Lutz Mükke)
Nr. 53
Das Verblassen der Welt. Auslandsberichterstattung in der Krise (Marc Engelhardt)
Nr. 52
Soziale Rhetorik, neoliberale Praxis. Eine Analyse der Wirtschafts- und Sozialpolitik der AfD (Stephan Pühringer, Karl M. Beyer, Dominik Kronberger)
Nr. 51
Desiderius-Erasmus-Stiftung. Politische Bildung von Rechtsaußen (Arne Semsrott, Matthias Jakubowski)
Nr. 50
Künstliche Intelligenz und die Zukunft der Arbeit. Die digitale Transformation in den (sozialen) Medien (Derya Gür-Şeker)
Nr. 49
Alternative Fakten im Gespräch. AfD-Diskussionen auf Facebook (Hannah Trautmann, Nils C. Kumkar)
Nr. 48
Aufstocker im Bundestag IV. Bilanz der Nebenverdienste der Abgeordneten in der 19. Wahlperiode (Sven Osterberg)
Nr. 47
Tragische Einzelfälle? Wie Medien über Gewalt gegen Frauen berichten (Christine E. Meltzer)
Nr. 46
Wenn Politik Presse macht. Gastbeiträge von Politiker*innen in ausgewählten Tageszeitungen (Marvin Oppong)
92
OBS-Arbeitspapier 63 ISSN: 2365-1962 (nur online) Herausgeber: Otto Brenner Stiftung Jupp Legrand Wilhelm-Leuschner-Straße 79 D-60329 Frankfurt am Main Tel.: 069-6693-2810 Fax: 069-6693-2786 E-Mail: info@otto-brenner-stiftung.de www.otto-brenner-stiftung.de Autor: Prof. Dr. Lutz Frühbrodt Studiengangleiter „Fachjournalismus und Unternehmenskommunikation“ (Master) Technische Hochschule Würzburg-Schweinfurt Münzstr. 19, 97070 Würzburg E-Mail: lutz.fruehbrodt@thws.de Redaktion & Lektorat: Benedikt Linden (OBS) Satz und Gestaltung: Isabel Grammes, think and act Druck: AC medienhaus GmbH, Wiesbaden Titelbild: FAHMI/AdobeStock.com Redaktionsschluss: 01. Oktober 2023
Die Otto Brenner Stiftung …
Hinweis zu den Nutzungsbedingungen:
Dieses Arbeitspapier ist unter der Creative Commons „Namensnennung – Nicht-kommerziell – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International“-Lizenz (CC BY-NCSA 4.0) veröffentlicht. Die Inhalte sowie Grafiken und Abbildungen dürfen, sofern nicht anders angegeben, in jedwedem Format oder Medium vervielfältigt und weiterverbreitet, geremixt und verändert werden, sofern keine Nutzung für kommerzielle Zwecke stattfindet. Ferner müssen angemessene Urheber- und Rechteangaben gemacht, ein Link zur Lizenz beigefügt und angeben werden, ob Änderungen vorgenommen wurden. Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenz information auf https://creativecommons.org/licenses/ by-nc-sa/4.0/deed.de
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... ist die gemeinnützige Wissenschaftsstiftung der IG Metall. Sie hat ihren Sitz in Frankfurt am Main. Als Forum für gesellschaft liche Diskurse und Einrichtung der Forschungsförderung ist sie dem Ziel der sozialen Gerechtigkeit verpflichtet. Besonderes Augenmerk gilt dabei dem Ausgleich zwischen Ost und West. ... initiiert den gesellschaft lichen Dialog durch Veranstaltungen, Workshops und Koopera tionsveranstaltungen (z. B. im Herbst die OBS-Jahrestagungen), organisiert Konferenzen, lobt jährlich den „Otto Brenner Preis für kritischen Journalismus“ aus, fördert wissenschaftliche Untersuchungen zu sozialen, arbeitsmarkt- und gesellschaftspolitischen Themen und legt aktuelle medienkritische und -politische Analysen vor. ... informiert regelmäßig mit einem Newsletter über Projekte, Publikationen, Termine und Veranstaltungen.
... veröffentlicht die Ergebnisse ihrer Forschungsförderung in der Reihe „OBS-Arbeitshefte“ oder als Arbeitspapiere (nur online). Die Arbeitshefte werden, wie auch alle anderen Publikationen der OBS, kostenlos abgegeben. Über die Homepage der Stiftung können sie auch elektronisch bestellt werden. Vergriffene Hefte halten wir als PDF zum Download bereit unter: www.otto-brennerstiftung.de/wissenschaftsportal/ publikationen/ ... freut sich über jede ideelle Unterstützung ihrer Arbeit. Aber wir sind auch sehr dankbar, wenn die Arbeit der OBS materiell gefördert wird. ... ist zuletzt durch Bescheid des Finanzamtes Frankfurt am Main V (-Höchst) vom 4. November 2020 als ausschließlich und unmittelbar gemeinnützig anerkannt worden. Aufgrund der Gemeinnützigkeit der Otto Brenner Stiftung sind Spenden steuerlich absetzbar bzw. begünstigt.
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HELABA Frankfurt/Main DE11 5005 0000 0090 5460 03 HELA DE FF
Aktuelle Ergebnisse der Forschungsförderung in der Reihe „OBS-Arbeitshefte“ OBS-Arbeitsheft 112
Leif Kramp, Stephan Weichert
Whitepaper Non-Profit-Journalismus
Handreichungen für Medien, Politik und Stiftungswesen
OBS-Arbeitsheft 111*
Janis Brinkmann
Journalistische Grenzgänger
Wie die Reportage-Formate von funk Wirklichkeit konstruieren
OBS-Arbeitsheft 110*
Henning Eichler
Journalismus in sozialen Netzwerken
ARD und ZDF im Bann der Algorithmen?
OBS-Arbeitsheft 109*
Barbara Witte, Gerhard Syben
Erosion von Öffentlichkeit
Freie Journalist*innen in der Corona-Pandemie
OBS-Arbeitsheft 108*
Victoria Sophie Teschendorf, Kim Otto
Framing in der Wirtschaftsberichterstattung
Der EU-Italien-Streit 2018 und die Verhandlungen über Corona-Hilfen 2020 im Vergleich
OBS-Arbeitsheft 107*
Leif Kramp, Stephan Weichert
Konstruktiv durch Krisen?
Fallanalysen zum Corona-Journalismus
OBS-Arbeitsheft 106*
Lutz Frühbrodt, Ronja Auerbacher
Den richtigen Ton treffen
Der Podcast-Boom in Deutschland
OBS-Arbeitsheft 105*
Hektor Haarkötter, Filiz Kalmuk
Medienjournalismus in Deutschland
Seine Leistungen und blinden Flecken
OBS-Arbeitsheft 104*
Valentin Sagvosdkin
Qualifiziert für die Zukunft?
Für Spenden mit zweckgebundenem Verwendungszweck zur Förderung von Wissenschaft und Forschung zu den Schwerpunkten:
Zur Pluralität der wirtschaftsjournalistischen Ausbildung in Deutschland
• Angleichung der Arbeits- und Lebensverhältnisse in Ost- und Westdeutschland (einschließlich des Umweltschutzes) • Entwicklung demokratischer Arbeitsbeziehungen in Mittel- und Osteuropa • Verfolgung des Zieles der sozialen Gerechtigkeit
Ingo Dachwitz, Alexander Fanta
Bank: IBAN: BIC:
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Geben Sie bitte Ihre vollständige Adresse auf dem Überweisungsträger an, damit wir Ihnen nach Eingang der Spende eine Spendenbescheinigung zusenden können. Oder bitten Sie in einem kurzen Schreiben an die Stiftung unter Angabe der Zahlungsmodalitäten um eine Spendenbescheinigung. Verwaltungsrat und Geschäftsführung der Otto Brenner Stiftung danken für die finanzielle Unterstützung und versichern, dass die Spenden ausschließlich für den gewünschten Verwendungszweck genutzt werden.
OBS-Arbeitsheft 103*
Medienmäzen Google
Wie der Datenkonzern den Journalismus umgarnt
OBS-Arbeitsheft 102*
Wolfgang Schroeder, Samuel Greef u. a.
Bedrängte Zivilgesellschaft von rechts
Interventionsversuche und Reaktionsmuster * Printfassung leider vergriffen; Download weiterhin möglich.
Diese und weitere Publikationen der OBS finden Sie unter www.otto-brenner-stiftung.de Otto Brenner Stiftung | Wilhelm-Leuschner-Straße 79 | D-60329 Frankfurt/Main
OBS-Arbeitspapier 63
Frühbrodt – Konzerne im Klimacheck
OBS-Arbeitspapier 63
Lutz Frühbrodt
OBS-Arbeitspapier 63
Konzerne im Klimacheck
Konzerne im Klimacheck ‚Integrated Business Reporting‘ als neuer Ansatz der Unternehmensberichterstattung
‚Integrated Business Reporting‘ als neuer Ansatz der Unternehmensberichterstattung
www.otto-brenner-stiftung.de
EIN PROJEKT DER OTTO BRENNER STIFTUNG FRANKFURT AM MAIN 2023