trade policy brief
Messung von Verzerrungen auf internationalen Märkten: Finanzierung unter Marktniveau
Mai 2021
Staatliche Unterstützung für Industrieproduzenten in Form von Finanzierung unter Marktniveau (Fremd- und Eigenkapitalfinanzierung zu marktunüblichen Konditionen) ist erheblich. Diese Unterstützung ist relativ umfangreich und verbreitet in Sektoren wie beispielweise Aluminium, Zement, Glas und Keramik, sowie Fotovoltaikmodule, wobei Firmen mit mehr als 25% Staatsbeteiligung davon vergleichsweise stärker profitieren. Die Finanzierung unter Marktniveau hat eine Reihe von Auswirkungen für die Ausgestaltung von Handelsregeln, insbesondere in Bezug auf Transparenz, den Umfang von Subventionsregeln, und Staatsbeteiligungen.
Was ist das Problem? Die Unterstützung, die Regierungen ihren Industrieproduzenten zukommen lassen, ist zunehmend Grund für internationale Spannungen, auch aufgrund von Bedenken hinsichtlich unlauterem Wettbewerb und Überkapazitäten. Doch anders als Unterstützungsleistungen für Agrarproduzenten sind Umfang und Ausmaß der staatlichen Unterstützung für das verarbeitende Gewerbe weiterhin undurchsichtig und schlecht dokumentiert. Dies ist insbesondere deshalb besorgniserregend, da es immer mehr Belege dafür gibt, dass eine solche Unterstützung für den globalen Wettbewerb und möglicherweise auch für die subventionierenden Länder selbst schädlich ist. Jüngste OECD Studien über staatliche Unterstützung in den Wertschöpfungsketten von Aluminium und Halbleitern zeigen, dass ein großer Teil der Unterstützung für Produzenten im verarbeitenden Gewerbe in Form von markunüblich günstigen Finanzierungskonditionen erfolgt. Die Finanzierung unter Marktniveau umfasst
Unterstützungsinstrumente, die über das Finanzsystem wirken, sei es in Form von Fremdkapital (z. B. durch Vorzugszinssätze und staatliche Kreditbürgschaften) oder in Form von Eigenkapital (z. B. durch staatliche Eigenkapitalinfusionen, die zu marktunüblichen Konditionen bereitgestellt werden, oder durch staatliche Anteilseigner, die niedrigere laufende Eigenkapitalrenditen tolerieren als es private Investoren verlangen würden). In beiden Fällen dient diese Unterstützung dazu, die Kapitalkosten der Unternehmen zu senken. Dies ermöglicht ihnen, mehr zu investieren als sie es anderweitig tun würden, oder höhere Verluste zu tolerieren.
Der Analyseansatz der OECD Die meisten Regierungen legen keine detaillierten Informationen darüber offen, welche Unternehmen und Sektoren staatliche Unterstützung erhalten, geschweige denn die einzelnen Finanztransaktionen, die der Finanzierung unter Marktniveau zugrunde liegen. Die OECD hat sich deshalb notwendigerweise auf die Empfänger
Abbildung 1: Der Schwerindustrie kommt tendenziell mehr Fremdfinanzierung unter Marktniveau zugute (Durchschnittliche Einsparungen durch Schulden unter Marktniveau, % vom Umsatz) Durchschnitt aller Firmen in dem Sektor (links) % Anteil der Firmen mit Schulden unter Marktniveau (rechts)
Durchschnitt der Firmen mit Schulden unter Marktniveau (links)
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Messung von Verzerrungen auf internationalen Märkten: Finanzierung unter Marktniveau
(d. h. Industrieunternehmen) und nicht die Geber der Unterstützungsleistungen (d. h. Regierungen) konzentriert. Dieser Ansatz hat es auch ermöglicht, die beträchtliche Finanzierung unter Marktniveau zu identifizieren, welche von staatlichen Intermediären (z. B. Staatsbanken oder staatliche Lenkungsfonds) vergeben wird. Um das Ausmaß und den Umfang von Finanzierung unter Marktniveau zu verstehen,hat die OECD öffentlich zugängliche Quellen genutzt, um detaillierte Finanzinformationen über 306 der größten Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes in 13 Industriesektoren für den Zeitraum 2005-19 zu sammeln und zu analysieren. Diese Sektoren sind: Luftfahrt und Verteidigung; Aluminium; Automobilbau; Zement; Chemikalien; Glas und Keramik; Schienenfahrzeugbau; Halbleiter; Schiffbau; Fotovoltaikmodule; Stahl; Ausrüstung für Telekommunikationsnetzwerke; und Windkraftanlagen. In den meisten Sektoren decken die betrachteten Unternehmen mindestens zwei Drittel des weltweiten Umsatzes oder der weltweiten Produktionskapazität ab. Die geografische Verteilung ist ebenfalls ausgewogen, um das Gewicht der einzelnen Länder in der weltweiten Produktion des jeweiligen Sektors widerzuspiegeln.
Die Forschungsergebnisse der OECD Fremdkapitalfinanzierung unter Marktniveau scheint in der Regel in der Schwerindustrie größer zu sein, einschließlich in Branchen mit ausgewiesenen Überkapazitäten (Abbildung 1). Die OECD schätzt, dass Fremdfinanzierung unter Marktniveau in Sektoren wie Aluminium, Zement, Glas und Keramik sowie Halbleiter im Durchschnitt etwa 3-4 % des Umsatzes der begünstigten Unternehmen ausmacht. Rund die Hälfte der betrachteten Firmen in den Bereichen Fotovoltaikmodule, Schiffbau und Stahl scheinen im untersuchten Zeitraum ebenfalls von Fremdfinanzierung unter Marktniveau profitiert zu haben. Fremdfinanzierung unter Marktniveau korreliert nicht nur positiv mit einer Zunahme an Produktionskapazitäten, sondern auch negativ mit der Produktivität der Unternehmen. Dies deutet darauf hin, dass die Empfänger von Unterstützungsleistungen im Allgemeinen weniger produktiv sind. Im Gegensatz dazu wurde festgestellt, dass Eigenkapitalrenditen unter Marktniveau häufiger in Hochtechnologie-Sektoren vorkommen, die auf immaterielle Vermögenswerte und Eigenkapitalfinanzierung angewiesen sind. Dies ist insbesondere der Fall in der Halbleiterindustrie, in der durch die Schaffung von staatlichen Investitionsfonds die Staatsbeteiligung an Halbleiterfirmen zunahm, aber auch in der Luftfahrt- und Verteidigungsindustrie. Unternehmen mit Staatsbeteiligung machen einen wesentlichen Anteil an allen 306 untersuchten Firmen aus: In Sektoren wie Aluminium, Schiffbau und Stahl sind schätzungsweise mehr als 40 % aller von der Analyse erfassten Unternehmenswerte in staatlicher Hand. Die OECD hat außerdem festgestellt, dass Firmen mit mehr als 25 % Staatsbeteiligung tendenziell mehr Unterstützung sowohl in Form von Zuschüssen als auch in Form von Fremdfinanzierung unter Marktniveau erhalten (Abbildung 2).
Was bedeutet das für politisches Handeln? Die OECD Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit nach besseren Regeln, die sich mit der Finanzierung unter Marktniveau und staatlicher Unterstützung im Allgemeinen befassen. Ein erstes Problem betrifft die mangelnde
www.oecd.org/trade
tad.contact@oecd.org
Abbildung 2: Firmen mit mehr als 25 % Staatsbeteiligung erhalten in der Regel mehr Unterstützung (Durchschnittliche Einsparungen durch Schulden unter Marktniveau, % vom Umsatz) Durchschnitt aller Firmen (links) Durchschnitt der Firmen mit Schulden unter Marktniveau (links) % Anteil der Firmen mit Schulden unter Marktniveau (rechts)
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Staatsbeteiligung ≥50%
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Transparenz bei der Finanzierung unter Marktniveau. Viele Regierungen legen die von ihnen vergebenen Subventionen nicht offen. Dieses Problem verschärft sich im Fall von Finanzierung unter Marktniveau, zum Teil wegen einem fehlenden Konsens über die Bestimmung eines Marktreferenzwerts und wegen unzureichender Informationen über staatliche Beteiligungen an Unternehmen. Die Ergebnisse verdeutlichen auch die Rolle, die Unternehmen mit Staatsbeteiligung nicht nur als Empfänger staatlicher Unterstützung, sondern auch als Bereitsteller selbst spielen. Dies stellt eine Reihe von Herausforderungen für derzeitige Handelsregeln dar, da sie staatliche Banken oder staatliche Investmentfonds, die Finanzierung unter Marktniveau vermitteln oder bereitstellen, möglicherweise nicht vollständig disziplinieren. Schlussendlich werden die bestehenden Handelsregeln eventuell nicht vollständig der komplexen Natur von Eigenkapital unter Marktniveau gerecht. Dies gilt insbesondere für die wiederkehrenden Vorteile, die entstehen können, wenn ein staatlicher Anteilseigner niedrigere Renditen für seine Eigenkapitalinvestition akzeptiert, was es dem betreffenden Unternehmen dann ermöglicht, unter einer weicheren Budgetbeschränkung zu agieren. Die OECD erörtert die Bedeutung dieser Erkenntnisse für mögliche neue Regeln für Industriesubventionen in der WTO sowie Optionen, die über ergänzende Instrumente und Ansätze zur Verfügung stehen. Nicht jede staatliche Unterstützung stellt ein Problem dar. Staatliche Unterstützung, einschließlich derer über das Finanzsystem, hat eine entscheidende Rolle in der Krisenreaktion auf die COVID-19 Pandemie gespielt. Angesichts der Auswirkungen auf globale Märkte und fairen Wettbewerb ist es jedoch von entscheidender Bedeutung, dass Finanzierung unter Marktniveau auf solche Krisensituationen beschränkt bleibt und ihre Nutzung Regeln unterliegt. Die Ausgestaltung von Nothilfen, beispielsweise in Bezug auf Transparenz, Nichtdiskriminierung, Zielsetzung und Dauer kann für die Minimierung von Handels- und Wettbewerbsverzerrungen wichtig sein, auch über einen längeren Zeithorizont.
@OECDtrade